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Fußnoten

1

Vgl. Kap. 5: Quellen und Kontexte.

2

U. a. Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand (1773) von Goethe; Der Hofmeister (1774) von Jakob M. R. Lenz; Die Zwillinge (1776) von Friedrich M. Klinger; Julius von Tarent (1776) von Johann A. Leisewitz; Die Kindermörderin (1776) von Heinrich L.Wagner. – Vgl. Interpretationen, Dramen des Sturm und Drangs, Stuttgart 2012.

3

Der von Schiller zurückgezogene Druckbogen wird als der »unterdrückte Bogen B« bezeichnet. Vgl. Christian Grawe, Erläuterungen und Dokumente, Friedrich Schiller, »Die Räuber«, Stuttgart 2009, S. 9098.

4

Schiller an von Dalberg, zitiert nach: Grawe (s. Anm. 3), S. 123.

5

In den drei letzten Szenen (IV,5 und V,12) der Tragödie, die im Interpretationskapitel noch einmal berührt werden, ist die Handlung beinahe ausschließlich auf die selbstverursachte Auslöschung der Familie Moor (einschließlich Amalias) gerichtet.

6

Friedrich Schiller, »Selbstrezension und Bericht zur Uraufführung«, zitiert nach: Grawe (s. Anm. 3), S. 198.

7

Grawe (s. Anm. 3) S. 192 f.

8

»Es ist nicht das Drama des Revolutionärs Karl, sondern das zweier Brüder mit unterschiedlichen moralischen Defiziten«, schreibt Walter Schafarschik, in: Schafarschik, Literaturwissen. Friedrich Schiller, Stuttgart 2005, S. 78 f.

9

Dieter Liewerscheidt, Die Dramen des jungen Schiller, München 1982, S. 38.

10

Benno von Wiese, »Friedrich Schiller«, zitiert nach: Grawe (s. Anm. 3), S. 232.

11

Jost Nolte, »Ebenbürtig im Unheil: Die Brüder Moor«, in: Die Welt, 10. Dezember 1968.

12

Friedrich Schiller, Die Räuber. Fiesko. Kabale und Liebe, hrsg. von Gerhard Kluge, Frankfurt a. M. 2009, S. 910 f.

13

Zur Person Schubarts vgl. Kap. 1: Schnelleinstieg.

14

Schiller (s. Anm. 13), S. 1095.

15

Vgl. zum Komplex dieser Einflüsse Peter-André Alt, Schiller. Leben – Werk – Zeit, Bd. 1, München 2000, S. 123 f., 129, 183 f.

16

J. M. R. Lenz, Anmerkungen übers Theater, Shakespeare-Arbeiten und Shakespeare-Übersetzungen, Stuttgart 2014, S. 46.

17

Helmut Koopmann, »Schiller-Forschung 19701980«, in: Schafarschik (s. Anm. 8), S. 78.

18

Liewerscheidt (s. Anm. 9), S. 40.

19

Hans Schwerte, »Schillers Räuber«, in: Deutsche Dramen von Gryphius bis Brecht, hrsg. von Jost Schillemeit, Frankfurt a. M. 1975, S. 152.

20

Liewerscheidt (s. Anm. 9), S. 43.

21

Schiller an von Dalberg am 12.10.1781, zitiert nach: Edgar Neis, Klassiker wieder aktuell?, Freiburg i. Br. 1979, S. 38.

22

In Karl Moors Entscheidung erkennen manche Interpreten den »charakteristischen Schritt aus dem Raum des barocken Pathos hinaus, […] die humane Modernität von Schillers ›Räubern‹«. – Schwerte (s. Anm. 20), S. 168.

23

Schiller an Goethe, zitiert nach: Walter Schafarschik, Schiller-Brevier, Stuttgart 2000, S. 81 f.

24

Schiller an Christian Körner, zitiert nach: Schafarschik (s. Anm. 24), S. 199 f.

25

Erwin Piscator, zitiert nach: Theater heute, Nr. 3 (März 2002), S. 34.

26

www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=6797:die-raeuber-sebastian-baumgarten-beschwoert-mit-friedrich-schiller-das-gespenst-des-nationalismus&catid=179:staatsschauspiel-dresden&Itemid=40 (1992016).

27

www.epd-film.de/filmkritiken/die-raeuber (1992016).

28

Ernst Penzoldt, Drei Romane, Frankfurt a. M. 1952, S. 384387.

29

Das forderte Hellmuth Karasek in seiner (Erwin Piscator sehr verwandten) Aussage bereits vor 35 Jahren, vgl.: Neis (s. Anm. 22), S. 59.

1. Schnelleinstieg

Die Werke Friedrich Schillers (17591805) entstanden in einer überaus bewegten Zeit deutscher und europäischer Geschichte. Zwei bedeutende Ereignisse begleiteten sein Leben: das (vorübergehende) Erwachen eines deutschen Nationalgefühls, das zwischen 1760 und 1785 zu einem ersten Höhepunkt gelangte, und die Französische Revolution (178994) mit ihren weitreichenden politischen und gesellschaftlichen Folgen.

Das Drama Die Räuber, das in eine spannungsreiche persönliche Entwicklungsphase fiel, zählt zu Schillers Jugendwerken. Beinahe dreimal so lang wie ein normales Bühnenstück, mit einer konflikt- und intrigenreichen Handlung, wurde es ein sensationeller Bühnenerfolg. Das Publikum, das am 13. Januar 1782 in Mannheim die Uraufführung einer bereits dem Zeitgeschmack angepassten Fassung des Dramas erlebte, reagierte äußerst emotional.

Schon während seiner Schulzeit (177681) arbeitete Schiller an seinem ersten Drama. Er griff darin das uralte Motiv der verfeindeten Brüder auf. AnstößeZur Dramatisierung des Stoffes wurde er durch die 1775 erschienene Erzählung Christian Friedrich Daniel Schubarts (17391791) Zur Geschichte des menschlichen Herzens angeregt. Schubart, ein gegen das Unrecht seiner Zeit anschreibender Landsmann Schillers, polemisierte in Artikeln und Gedichten gegen Anmaßung und Willkür der Landesfürsten. Mutig trat er für eine einheitliche deutsche Nation ein. Zehn Jahre seines Lebens, 177787, verbrachte er in Festungshaft auf dem Hohenasperg. Herzog Karl Eugen (17281793), der württembergische Landesherr, hatte ihn wegen unbotmäßiger Veröffentlichungen einkerkern lassen. Schiller verehrte Schubart sehr, ebenso wie ihn das Volk überall las und seine Ideen verbreitete. Aber auch andere Quellen als Schubart sind für die Ausarbeitung der Räuber nachgewiesen.1

Schubarts Erzählung war sozusagen die Initialzündung für Schillers Niederschrift seines Dramas. Er sah, dass zahlreiche, nur wenig ältere Dramatiker schon mit Werken hervorgetreten waren, die in der Öffentlichkeit mächtigen Aufruhr verursacht hatten.2 Schiller wollte es ihnen gleichtun und auch Bühnenschriftsteller werden. Nach sechs Jahren härtesten Internatslebens in der Stuttgarter »Karlsschule« schrieb er sich wie in einem Aufschrei seinen Frust von der Seele.

Das Drama Die Räuber, 1780 begonnen und 1782 uraufgeführt, beschloss die Epoche des Sturm und DrangSturm und Drangs, in der die »jungen Wilden« aus den Anfangsjahren der zweiten Jahrhunderthälfte gegen die etablierte Gesellschaft aufstanden. Ihr Aufbegehren wurde vor allem im dichterischen Wort laut. Auf den Niedergang des Feudalismus hatte die Bewegung keinen direkten Einfluss, aber sie setzte in der Literatur Zeichen für die Stärkung des Bürgertums. Starke Impulse erhielten die jungen Dichter aus der Philosophie und Literatur der europäischen Nachbarländer England und Frankreich. Besonders waren es die Ideen des Schweizers Jean-Jacques Rousseau (17121778), der ihre Suche nach einer natürlichen und gerechten Gesellschaftsordnung beflügelte. Ein Schauspiel, Sturm und Drang (1777) von Friedrich Maximilian Klinger (17521831), gab der kurzen, explosionsartig entstandenen und dann bald erloschenen Bewegung (176580) ihren Namen. Im Drama, im Theater überhaupt, erkannten die ›Stürmer und Dränger‹, zu denen als junger Autor auch Goethe (17491832) zählte, das angemessene Ausdrucksmittel für Aufklärung und Protest. Neben den Dramen selbst bezeugen dies zahlreiche programmatische Schriften zum Theater. Shakespeare – Vorbild einer ganzen EpocheWilliam Shakespeare (1564–1616) war das Vorbild, dem die jungen Autoren nacheiferten. Die meisten seiner Bühnenstücke lagen in deutschen Übersetzungen vor. Von ihm übernahm man, was gegen jede Literaturnorm verstieß: bruchstückhafte Szenen, unbekümmerte Nichtbeachtung der sogenannten Einheiten von Ort, Zeit und Handlung, Bewunderung der Kraftkerle, Leidenschaft und Extreme.

Wie Shakespeare, der seine Stoffe und Gestalten in der englischen und schottischen Geschichte fand, brachten die Dramatiker des Sturm und Drangs die eigene nationale Vergangenheit ins Spiel. Keiner von ihnen hat es jedoch vermocht, darin die Fülle des Shakespeare’schen Dramas zu erreichen. In Schillers Räubern treten viele der Shakespeare-Merkmale teilweise sogar in auffallender Ähnlichkeit in den Dialogen, Figuren und Motiven hervor, doch schon mit einer anderen, sehr eigenen Blickrichtung. Schiller befasste sich gedanklich offenbar bereits sehr mit einer in sich geschlossenen neuen Theaterkonzeption, einem Ideenkonzept, das auf die Bildung und Erziehung der Menschen zielte. Es war der Anfang seines Weges zur Klassik.

Als deutsche »Klassik« wird der Zeitabschnitt zwischen 1786 und 1832 bezeichnet, in der Kunst und Dichtung ausdrücklich auf die griechisch-römische Antike zurückbezogen wurden. Im engeren Sinn mit »Weimarer Klassik« ist die Phase von Goethes und Schillers Zusammenarbeit seit 1794 bis zu Schillers Tod 1805 gemeint. Goethes Italienische Reise (1786) gilt allgemein als der Beginn dieser Epoche. Sie führte die literarisch-geistigen Sturm und Drang, Aufklärung, EmpfindsamkeitStrömungen der Aufklärung (172085) und der Empfindsamkeit (174080) weiter. Schillers Jugenddrama, obwohl furios und stark aufbegehrend, entwächst in mancher Hinsicht bereits der Epoche des Sturm und Drangs, auch wenn man es ihr noch zurechnen kann. Es gehört in das Schnittfeld aller geistigen Bewegungen und Strömungen der Zeit, aus deren Entwicklungslinien der Sturm und Drang jäh und höchst eigenwillig herausschnellte. Mit Schillers Drama Die Räuber verhielt es sich ähnlich wie gut 100 Jahre später mit Gerhart Hauptmanns Bühnenerstling Vor Sonnenaufgang (1889), dem ebenfalls das Epochenlabel des Naturalismus aufgedrückt wurde, obwohl das Stück schon deutliche Akzente von Überwindung und Distanz zu ihm enthielt.

Was geschieht in Schillers Stück, das uns im zugrunde gelegten Lesetext in der ursprünglichen Fassung vorliegt?

Zwei Brüder, Karl und Franz Moor, verrennen sich aus unterschiedlichen Motiven in verbrecherische Handlungen. Karl Moor, der Typ eines Gentleman- Räubers à la Robin Hood, wird von seinem Bruder beim Vater verleumdet. Der Vater glaubt die Lügen seines jüngeren Sohns Franz und verstößt seinen Ältesten. Karl Moor schließt sich einer Bande von Gesetzlosen an und verliert das Vertrauen in die Welt. Plündernd, raubend und mordend ziehen er und seine Bande durchs Land. Wo sie auftauchen, verbreiten sie Schrecken. Karl wird aber stets von seinem Gewissen und edlen Zielvorstellungen eingeholt. Franz, der alles will (Haus, Hof und Karls Braut), geht leer aus und bringt sich um. Auch Karl verliert alles und gibt am Ende auf.

Abb. 1: Titelseite des Erstdrucks, 1781

Schiller hatte es sich mit seinem Drama nicht leicht gemacht, ehe er es der Öffentlichkeit präsentierte. Er griff in die bereits im Druck befindliche Erstausgabe ein, um Umarbeitung und EntschärfungenÄnderungen vorzunehmen. Ganze Teile wurden von ihm sogar zurückgezogen, die auf einem Druckbogen erhalten sind.3 Die uns vorliegende Fassung basiert auf der von Schiller autorisierten, aber anonym erschienenen Erstausgabe von 1781. Eine zweite Ausgabe kam 1782 mit nur wenigen Änderungen gegenüber der ersten heraus. Sie nennt seinen Namen, erhielt aber gegen seinen Willen den Zusatz »in Tirannos« (»gegen die Tyrannen«) auf dem Titelblatt.

Abb. 2: Der Theaterzettel der Uraufführung 1782: Umarbeitung in »sieben Handlungen« und Rückverlegung in die Zeit Kaiser Maximilians I. (1459–1519)

Für die Mannheimer Uraufführung musste der junge Dramatiker sein Stück abermals umarbeiten. Er tat dies nur widerstrebend, zumal vom Intendanten Heribert von Dalberg (17501806) immer neue Eingriffe in den Text verlangt wurden. Schillers Angriffe auf Adel und Kirche wurden als bedenklich, verwerflich und vor allem als dem Bühnenerfolg abträglich angesehen. Figuren seines Dramas wurden deshalb ›neutralisiert‹, die Handlung wurde entschärft und ins 15. Jahrhundert zurückverlegt. Aber selbst in dieser verharmlosenden Fassung, die als das »Mannheimer Soufflierbuch« bekannt ist, war der leidenschaftliche Ausbruch des jungen Schriftstellers gegen die brüchig gewordenen Festen der Zeit noch deutlich zu hören. Schiller hatte Pläne für eine Fortsetzung seines Schauspiels. In einem Brief vom 24. August 1784 heißt es: »Nach dem Karlos gehe ich an den 2ten Theil der Räuber, welche eine völlige Apologie des Verfaßers über den ersten Theil sein sollen, und worinn alle Immoralität in die erhabenste Moral sich auflösen muß. Auch dieses ist unermeßliches Feld für mich.«4 Von dieser geplanten Fortsetzung gibt es nur einige Skizzen.

Den deutschen Ausgaben folgten bald erste Übersetzungen (1785 ins Französische; 1792 ins Englische), und über die Grenzen Europas hinaus beflügelte das Werk sogar das junge Amerika. Über zwei Jahrhunderte hinweg hat Schillers Jugenddrama zu unterschiedlichsten Deutungen herausgefordert, die sich in der Festlegung auf ›Freiheitsdrama‹ hier, ›Ideendrama‹ dort am deutlichsten polarisieren. Über alle Auffassungs- und Deutungsunterschiede hinweg sind Die Räuber hierzulande und im Ausland jedoch zu einem echten Theater-Klassiker geworden.

2. Inhaltsangabe

Vorrede

Schiller rechtfertigt in der Vorrede zur ersten Auflage der Räuber die provokative Form, Thematik und Darstellungsweise des Dramas.

Die Rechtfertigung der FormForm wird als »dramatische Geschichte« bezeichnet, weil das Stück der Dialogform und Akteinteilung wegen natürlich ein Drama ist, wegen seiner schieren Länge und der Orts- und Zeitwechsel aber die aristotelischen Einheiten des Dramas sprengt.

Die Rechtfertigung der Thematik und DarstellungsweiseDarstellung unmoralischer Charaktere ist nötig, weil zur Bekämpfung des Lasters (und das ist das Ziel einer Theateraufführung für Schiller) zunächst das »Laster in seiner nackten Abscheulichkeit« (3,31 f.) dargestellt werden muss. Außerdem ist es, so Schiller, auch erforderlich, dass die Faszination, die von lasterhaften Charakteren ausgeht, gezeigt wird: »Wenn ich vor dem Tiger gewarnt haben will, so darf ich seine schöne, blendende Fleckenhaut nicht übergehen« (5,3471