Für Philippa

Teil I Der Zahn

Zwei Tage streifte er durch die Wildnis, ohne Nahrung oder Wasser, erfüllt von seiner Vision. Der Junge war nackt, bemalt nur mit weißem Lehm, und er war auf der Suche nach dem Geschenk, das er in seiner Vision gesehen hatte. Mit scharfkantigen Steinen ritzte er sich in die Haut über seinen Rippen, doch noch immer gaben Himmel und Erde ihre Geheimnisse nicht preis. Langsam verlor er die Hoffnung. Er hatte sich verirrt und musste jemanden finden, der ihn führte. Er war ein Junge und musste zum Mann werden. Selbst als die Nacht hereinbrach, stolperte er weiter, in der Hoffnung, dass der Morgen die Erleuchtung mit sich brächte. Stattdessen kam sie aus der Dunkelheit.

Das Auge war ein gähnendes Loch in einem schwarzen Schädel. Der Junge kämpfte mit dem Monstrum, das ihn unter die Erde ziehen wollte. Er trat um sich, schrie, stemmte die Hände gegen die dunklen Kiefer, die sich um ihn schließen wollten. Die Zähne bohrten sich in seine Hände. Er wurde hinabgerissen an einen Ort, an dem es keinen Mond, keine Sterne gab, doch er kämpfte weiter. Jedes Licht verschwand und mit ihm die Zeit. Bald rührte er sich nicht mehr, im Glauben, er sei tot und würde nie mehr den Morgen dämmern sehen.

Als er erwachte, ging gerade die Sonne auf, und er war am Leben, schlurfte blutüberströmt voran. In der Faust hielt er einen schwarzen Zahn.

1
Der Elasmosaurus

Als gewalttätig hätte ich meinen Vater nicht unbedingt bezeichnet, aber er scheute keineswegs davor zurück, seine Fäuste einzusetzen. Und das war mein Glück. Denn wenn er an jenem Abend in der Akademie der Naturwissenschaften nicht auf Professor Cartland losgegangen wäre, hätte ich wohl nie die Gelegenheit bekommen, Rachels Augen aus der Nähe zu betrachten.

Als wir uns im Foyer zum ersten Mal begegneten, kannte ich nicht einmal ihren Namen. Sie war eher unscheinbar und ihre biedere Kleidung verlieh ihr den Charme einer Kohlmotte. Nase und Kinn waren zu markant, als dass man ihr Gesicht zart hätte nennen können. Ihr helles, feines Haar, das einen Stich ins Rötliche aufwies, trug sie in der Mitte gescheitelt und straff zurückgesteckt.

Sie fiel mir lediglich auf, weil sich im ganzen Foyer zu dem Zeitpunkt nur zwei Mädchen befanden – und es sich bei dem anderen um Anne Atkinson handelte. Anne hatte ich schon mehrmals getroffen. Sie war der älteste junge Mensch, den ich kannte. Mit ihrem gebeugten Gang und der akkurat festgezurrten Spitzenhaube wirkte sie genauso klapprig wie ihr betagter Onkel, der sich wie bei jedem unserer monatlichen Treffen auf sie stützte.

Und nun war da Rachel. Ich fragte mich, mit wem sie wohl gekommen war. Sie verließ die überfüllte Halle, wo die Leute plaudernd auf den Vortrag warteten, und schlenderte in einen der Ausstellungsräume. Hinter dem Riesenhirsch-Skelett und der prähistorischen Meeresschildkröte stand er: der Hadrosaurus foulkii.

Der Koloss imponierte mir jedes Mal aufs Neue, egal, wie oft ich ihn schon gesehen hatte. Joseph Leidy hatte ihn entdeckt, vor gerade einmal sechzehn Jahren. Es war das erste Dinosaurierskelett, das je auf amerikanischem Boden gefunden wurde. Auf den Hinterbeinen stehend war es knappe viereinhalb Meter hoch. Acht Meter lang, vom Kopf bis zur Schwanzspitze gemessen. Die Vorderbeine schienen einen künstlichen Baum zu umklammern, der der Stabilität halber hinzugefügt worden war. Man konnte sich direkt unter seinen Brustkorb stellen.

Rachel starrte konzentriert zu ihm hoch und zwischen ihren Augenbrauen bildete sich eine senkrechte Falte.

»Noch nie gesehen?«, fragte ich.

Sie drehte sich nur halb zu mir um, gerade weit genug, um einen kurzen Blick auf mich zu werfen, bevor sie sich wieder dem Hadrosaurus zuwandte.

»Nein.«

Nein. Mehr nicht. »Sind Sie nicht von hier?«

Seit er vor einigen Jahren aufgestellt worden war, erfreute sich der Hadrosaurus einer solchen Beliebtheit, dass die Akademie ihre Besuchszeiten verkürzt hatte und Eintritt verlangte. Ganz Philadelphia musste ihn inzwischen gesehen haben.

»Wir kommen aus New Haven.«

»Ah.« Sie schien sich kein bisschen für mich zu interessieren. Anders als die meisten Mädchen. Ich überlegte, ob ich aus dem Mund nach der Essiggurke roch, die Teil meines Abendessens gewesen war. Aber wahrscheinlich war sie einfach schüchtern. Ich wollte, dass sie sich zu mir umdrehte und mich endlich richtig ansah. »Das sind nicht die echten Knochen«, sagte ich.

»Stimmt. Es sind nur Gipsabgüsse.«

Ich musterte sie erneut. »Woher wissen Sie das?«

»Aus einem Fachaufsatz, den ich gelesen habe.«

Ich sah mich um, ob nicht zufällig Professor Leidy in der Nähe war. Ich flüsterte trotzdem. »Den Schädel haben sie nie gefunden, darum mussten sie sich selbst einen ausdenken.«

»Und haben den eines Leguans als Vorlage genommen.«

Sie faszinierte mich von Sekunde zu Sekunde mehr. Und dann sah sie mich zum ersten Mal direkt an. Ihr Blick war vollkommen nüchtern. Keine kokett gehobene Augenbraue, kein Lächeln. Er vermittelte mir das Gefühl, dass sie auch ohne meine Gesellschaft zufrieden sei. Wenn nicht sogar zufriedener. Einen Moment lang wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Was untypisch für mich war.

»Ihre Haarspange ist sehr hübsch«, log ich.

»Nein, ist sie nicht.« Sie stieß einen kleinen Seufzer aus, als wäre sie enttäuscht von mir.

Ich war noch nie einem Mädchen begegnet, das nicht gern über seinen Haarschmuck redete. Ich lachte leise. Kurz dachte ich, sie würde mit einfallen.

»Ich meine bloß, sie hat so etwas … Besonderes … durch ihre …«, stammelte ich.

»Es ist eine ganz normale Haarspange«, schnitt sie mir das Wort ab und hob die Hand an den Kopf.

Ich sah Tuschespuren an Daumen und Zeigefinger ihrer linken Hand.

Sie bemerkte meinen Blick und erklärte, bevor ich sie darauf ansprechen konnte: »Ich skizziere die Ausgrabungsstücke meines Vaters für ihn.«

Jeder, der sich heute in diesem Gebäude befand, war auf die eine oder andere Weise Naturwissenschaftler. Wahrscheinlich war ihr Vater einer der vielen wohlhabenden Amateure.

»Ist er ein Sammler?«

»Ja. Und ziemlich anspruchsvoll in Bezug auf seine Skizzen.«

»Dann müssen Sie eine gute Zeichnerin sein.«

Es gab niemanden, der nicht gern Komplimente bekam, das Mädchen jedoch zeigte keinerlei freudige Regung, sondern legte bloß den Kopf schief und erwiderte: »Es ist nicht leicht. Aber ich hoffe, besser zu werden, wenn ich genug übe.«

»Mein Vater hält heute Abend den Vortrag.«

Sie wirkte aufrichtig überrascht. »Sie sind Michael Bolts Sohn?«

Ich deutete mit dem Kinn auf die große Ausstellungsvitrine an der Wand. »Das da drin ist sein Laelaps aquilunguis

Mein Vater war vielleicht nicht der erste Forscher, der in Amerika einen Dinosaurier entdeckt hatte – aber immerhin der zweite. Was er gefunden hatte, waren lediglich Teile eines Skeletts, doch davon hatte ich mir jeden einzelnen Knochen eingeprägt: Unterkiefer, Schlüsselbein, beide Humeri, Femur, Tibia, Fibula, mehrere Zehenglieder, Lumbal-, Sakral- und Kaudalwirbel. Es waren genug Stücke, um Rückschlüsse auf die Größe des Tiers, sein Gewicht und seine Fressgewohnheiten zuzulassen. Und um sich das Recht zu sichern, es benennen zu dürfen. Adlerklauenbewehrter, schrecklicher Springer. Ein Fleischfresser mit langen, gekrümmten Krallen, mit deren Hilfe er seine Beute aufschlitzte.

»Es heißt, er soll vielleicht auch bald aufgestellt werden«, fuhr ich fort.

Ohne etwas zu erwidern, ging sie zur Vitrine und betrachtete die Knochen, ganz und gar versunken. Ich fragte mich, ob sie mich einfach vergessen hatte.

»Sie scheinen sich ja sehr für Dinosaurier zu interessieren«, bemerkte ich.

Sie drehte sich nicht zu mir um. »Stimmt. Obwohl ich mich besser mit Schlangen auskenne.«

»Wirklich?«

»Ich halte mir einige.«

Ich war entzückt. »Wir haben eine Schildkröte. Horatio. Er läuft frei im Haus herum. Und eine Gila-Krustenechse haben wir auch.«

»Läuft die auch frei im Haus herum?«

»Nein. Die lebt in einem Terrarium. Sie liebt rohe Eier und lässt sich gern am Kopf kraulen. Man darf nur nicht vergessen, dass sie giftig ist.«

An dieser Stelle erntete ich normalerweise ein entsetztes Quieken. Rachel aber nickte bloß und wartete darauf, dass ich weitererzählte. »Wir haben in einem leeren Zimmer einen Farngarten angelegt, mit Salamandern und drei Fröschen. Unsere Haushälterin beklagt sich andauernd darüber, weil sie sie immer wieder aus der Spüle fischen muss.«

Jetzt lächelte sie. »Ich mag Salamander.«

»Wussten Sie, dass verlorene Gliedmaßen bei denen einfach nachwachsen?«

»Ja«, antwortete sie zu meiner Enttäuschung, denn das war das einzig Interessante, was mir zu Salamandern einfiel.

»Ich weiß eine ganze Menge über Salamander«, fügte sie hinzu. »Bei über vierhundert bekannten Arten gibt es ja auch einiges zu wissen.«

Also unterhielten wir uns über Salamander. Sie wurde ein wenig lebhafter, und ich glaube, ich auch, denn ich mochte solche Gespräche. Mit jemandem in meinem Alter konnte ich sie jedoch selten führen – schon gar nicht mit einer jungen Frau. Noch nie hatte ich den Geruch eines Mädchens so bewusst wahrgenommen – nicht nur den nach blumiger Seife, sondern auch den ihres Haars, ihrer warmen Haut. Mit Grauen bemerkte ich, dass sich zwischen meinen Beinen etwas regte, und zählte lautlos von zehn an rückwärts. Normalerweise funktionierte das gut, nur ausgerechnet jetzt nicht. Darum stellte ich mir nun Mrs Shaw, meine ehemalige Geschichtslehrerin, vor, das funktionierte immer.

Genau wie jetzt, wenn auch langsam. Um mich – und sie, für den Fall, dass sie nach unten sah – abzulenken, fragte ich sie, wie es komme, dass sie sich für Naturwissenschaften interessierte.

»Ich habe schon immer viel in Pfützen gestarrt«, antwortete sie.

Darüber musste ich lachen. Dann erzählte sie mir, wie sie ihre erste Lupe geschenkt bekommen hatte. Ich mochte ihre Art, zu reden, so offen und direkt. Für ein so unscheinbares Mädchen war sie erstaunlich faszinierend. Als Nächstes fragte sie mich, was mein wissenschaftliches Interesse geweckt habe.

Ich zuckte mit den Schultern »Knochen faszinieren mich einfach. Daran herrschte bei uns zu Hause auch nie ein Mangel.«

»Das waren dann wohl Ihre Bauklötze und Puzzlespiele«, sagte sie mit einem weiteren kleinen Lächeln.

»Mein Vater hat mir die Namen beigebracht. Mit sechs Jahren konnte ich einen Fuß zusammensetzen. Mit acht schaffte ich ein komplettes Eichhörnchen. Bei Gesellschaften schob er mir manchmal vor den versammelten Gästen einen Haufen Knochen hin und stoppte die Zeit. Einmal habe ich in drei Minuten einen Waschbären geschafft. Ich kann so ziemlich alles zusammensetzen.«

Einen Moment lang sagte sie nichts, dann: »Tja, ich freue mich jedenfalls schon auf den Vortrag Ihres Vaters.«

»Vielleicht haben wir ja später noch mal Gelegenheit, uns zu unterhalten.«

»Bitte entschuldigen Sie mich«, sagte sie, drehte sich um und ging. Und ich fragte mich, ob sie nun doch die Essiggurke gerochen hatte.

Ich betrat den Damenwaschraum, legte die Hände auf das kühle Marmorbecken und wartete darauf, dass die Röte aus meinen Wangen wich. Ich war es nicht gewohnt, dass junge Männer mich ansprachen, schon gar nicht so gut aussehende, aber mir war natürlich klar, warum er es getan hatte. Ich war das einzige Mädchen weit und breit – ihm war langweilig gewesen und er wollte ein bisschen seinen Charme spielen lassen. Denn zweifellos wusste er, wie charmant er war. Und erst diese Prahlerei darüber, wie schnell er Skelette zusammensetzen konnte.

Dennoch, er hatte mich kein bisschen belächelt, als ich mein Interesse für Salamander erwähnt hatte. Das gefiel mir. Es hatte sich angefühlt wie ein Gespräch unter Ebenbürtigen. Beinahe. Und das war selten.

Er war groß und hatte einen dichten Lockenschopf. Ein bisschen ähnelte er einem tapsigen Welpen, dessen Körper schon seine zukünftige Größe erahnen ließ: dicke Pfoten, riesige Augen. Ich wusste nicht, ob ich jemals eine so wohlgeformte Nase gesehen hatte. Sie stand im exakt richtigen Winkel und endete in zwei perfekten Nasenlöchern. Ich hätte nicht gedacht, dass Nasenlöcher perfekt sein konnten, aber seine waren es.

Darwin sprach von günstigen Merkmalen, die absolut willkürlich unter den Individuen einer Population verteilt seien. Körperliche Reize zählten nicht zu meinen, etwas anderes zu behaupten, wäre zwecklos. Mein Gesicht im Spiegel war die ewig selbe Enttäuschung. Jeden Tag sah ich Schönheit, wohin ich auch blickte: Sie blühte auf Feldern, huschte zwischen Bäumen umher, stand zu Marmor erstarrt in Kunstgalerien oder lief einfach auf zwei Beinen die Straße entlang. Die einzige Möglichkeit für mich, ihr nahezukommen, bestand darin, sie zu zeichnen, Tuschestrich für Tuschestrich.

Dummes Ding. Trotzdem hast du dich in der Wärme seiner Blicke, seines unbeschwerten Lächelns, gesonnt wie wahrscheinlich schon unzählige Mädchen vor dir. Alles, was er wollte, war ein bisschen Aufmerksamkeit, und dafür warst du gut genug.

Na also. Mein Puls beruhigte sich wieder, und auch die fleckige Röte war von meinen Wangen verschwunden. Schluss mit dem Unsinn. So einfach, wie eine Tür zuzuschlagen.

Als ich ins Foyer zurückkehrte, suchte Papa schon nach mir, und ich erkannte seine Ungeduld an der Neigung seines Kopfes. Alles drängte in Richtung des Vortragsraums.

»Ich habe gesehen, wie du dich mit einem jungen Mann unterhalten hast«, bemerkte er ohne Umschweife.

»Das war der Sohn von Michael Bolt.«

»Aha. Die Brut unseres illustren Redners.«

Wir betraten den Saal und nahmen unsere Plätze ein. Unauffällig sah ich mich um, konnte den Jungen jedoch nirgends entdecken, und dann betrat der Vorsitzende der Akademie das Podium, um zu einer langatmigen Einführung auszuholen und den heutigen Redner vorzustellen.

»Und nun wollen wir Professor Michael Bolt willkommen heißen.«

»Professor«, flüsterte mein Vater spöttisch. »Wohl kaum, ohne einen Posten an einer Universität.«

Papa hatte sich schon oft darüber ausgelassen, dass Bolt keinen akademischen Grad vorzuweisen hatte. Dass er sich einen Großteil seines Wissens selbst angeeignet hatte, ein Amateur ohne Lehrstuhl. Ich war mir sogar ziemlich sicher, dass mein Vater, der das Institut für Paläontologie an der Yale-Universität leitete, noch vor Kurzem Bolts Bewerbung um eine Stelle zurückgewiesen hatte.

Professor Bolt marschierte zum Podium, ein hochgewachsener Mann mit so riesigen Füßen, dass seine Schuhe Spezialanfertigungen sein mussten. Er war in jeder Hinsicht eine übergroße Kopie seines Sohnes. Oder wohl eher die erwachsene Vorlage. Er ging forsch und mit wiegenden Schultern, die ihn ein wenig aus der Balance zu bringen schienen. Doch er stolperte nicht; er preschte wacker voran. Ich musterte seinen sorgfältig gestutzten Kinnbart und den kecken Schnäuzer. Beides verlieh ihm das Aussehen eines Fuchses, besonders in Kombination mit dem buschigen Haar, das zu beiden Seiten seines Kopfes abstand wie ein Paar gespitzte Ohren.

Und während des Vortrags entpuppte Professor Bolt sich als mitreißender Redner.

Er erzählte uns von einer Lieferung Kisten von einem gewissen Dr. Hawthorn aus Kansas, der zwar gelernter Zahnarzt sei, aber auch ein leidenschaftlicher Naturforscher. Er berichtete – so ehrfürchtig, als hätte er die Bundeslade vor sich gehabt –, wie er in der ersten Kiste eine Anzahl nachlässig in Zeitungspapier eingeschlagener Knochen gefunden habe. Es hätten noch Reste des Kalkgesteins, aus dem sie geborgen worden waren, an ihnen gehaftet. Ein Knochen nach dem anderen kam zum Vorschein, jeder einzelne von einer Größe, die auf eine riesenhafte Kreatur schließen ließ.

Ich konnte kaum still sitzen vor Spannung. Dies war genau die Art von Entdeckung, von der ich selbst träumte. Doch als ich meinen Vater ansah, wirkte er betont unbeeindruckt.

Als Nächstes nahm Professor Bolt sein Publikum mit auf eine Reise in die Vergangenheit, zurück in die Frühgeschichte der Welt, als Kansas noch ein Binnenmeer gewesen war, voller Wesen, die unsere Ozeane schon lange nicht mehr bevölkerten. Vieles davon wusste ich längst, aber ich hatte noch nie jemanden so lebendig davon erzählen hören. Am Himmel kreisten Geschöpfe, die uns heute wohl an Drachen denken lassen würden – Pterodaktylen wie die, die vor Kurzem in Europa gefunden worden waren. Kadaver, die, als all diese Kreaturen starben, auf den Meeresgrund sanken, wo sie von Schichten aus Schluff und Sediment bedeckt wurden, die zu Stein erstarrten und die Knochen für Jahrmillionen konservierten. So lange, bis Mutter Erde dafür sorgte, dass der Kontinent sich aufbäumte, das Binnenmeer austrocknete und später Gletscher die weicheren Gesteinsschichten abtrugen, wodurch die tief vergrabenen Skelette dieser riesigen Echsen zurück ans Tageslicht gelangten.

An dieser Stelle ließ Bolt mit großer Geste die Vorhänge aufziehen, hinter denen der Elasmosaurus zum Vorschein kam. Ausgebreitet auf einer Reihe von Tischen, maß das Skelett dieses imposanten Meerestiers gut und gerne zehn Meter vom Kopf bis zur Schwanzspitze: Ich bestaunte die Rippen, die ruderartigen Flossen, den erstaunlich winzigen Kopf.

Beifall erhob sich im Saal, und ich fiel mit ein, doch als ich einen Blick zu meinem Vater hinüberwarf, sah ich, dass er nur halbherzig applaudierte. Dafür umspielte ein eigenartig selbstgefälliges Lächeln seinen Mund.

Nachdem Professor Bolt eine Weile über die Anatomie des Elasmosaurus referiert hatte, bat er das Publikum um Fragen und Kommentare, und Papa zögerte keine Sekunde. Ich hatte das ungute Gefühl, dass er auf genau diesen Moment gewartet hatte.

Er stand auf. »Wenn Sie erlauben, Sir?«

»Ich bitte darum«, erwiderte Bolt mit einem etwas angespannten Lächeln.

»Das scheint mir eine auffallend lange Reihe von Wirbeln zu sein, jaja, außerordentlich lang.«

Papa hatte die leicht irritierende Angewohnheit, seine Sätze an den ungewöhnlichsten Stellen mit »jaja« zu spicken.

Was jedoch selten bedeutete, dass er mit dem Angesprochenen einer Meinung war.

»Der Schwanz«, fuhr Papa fort, »muss ja doppelt so lang gewesen sein wie der Hals.«

»Ganz recht«, antwortete Bolt. »Dieses Tier hat sich nach meinen Erkenntnissen hauptsächlich mithilfe seines Schwanzes vorwärtsbewegt, die flossenartigen Gliedmaßen dienten eher der Stabilität.«

»Erstaunlich«, kommentierte mein Vater. »Haben Sie je die Möglichkeit in Betracht gezogen, Professor Bolt, dass die Wirbelgelenke bei diesem Tier umgekehrt angeordnet sein könnten?«

Der Professor zögerte kaum merklich. »Ich habe Monate daran gearbeitet, die Wirbelsäule zusammenzusetzen, Professor Cartland, daher kann ich Ihnen versichern, dass die Ausrichtung der Wirbel korrekt ist.«

Ich spürte, wie sich meine Zehen in den Schuhen verkrampften. Wenn Papa sich doch nur wieder setzen würde.

»Jaja«, sagte er stattdessen. »Wenn ich vielleicht kurz vortreten dürfte, Sir, um meine Theorie zu veranschaulichen?«

Das war keineswegs üblich und unter den Zuschauern erhob sich Gemurmel. Bolt jedoch, das Gesicht zu einer lächelnden Grimasse erstarrt, gab meinem Vater einen einladenden Wink. »Nur zu, nur zu.«

Hilflos sah ich zu, wie Papa sich mit seinen überkorrekten Trippelschritten nach vorn begab. Als er die Tische erreichte, verschränkte er die Hände hinter dem Rücken und beugte sich leicht vor.

»Es ist absolut verständlich, Professor Bolt, dass Sie davon ausgegangen sind, der Hals des Tiers müsse kürzer sein als der Schwanz, wie es bei Echsen der Fall ist – die ja, wenn ich mich nicht irre, Ihr eigentliches Fachgebiet sind.«

Ich spürte, wie meine Wangen angesichts dieser kaum verhüllten Beleidigung heiß wurden.

»Nun ja, Professor Cartland, ich habe tatsächlich einige Aufsätze im Bereich Herpetologie veröffentlicht, sie machen jedoch nur einen geringen Teil meiner insgesamt hundertsechsundvierzig Publikationen aus.«

Damit traf er, wie ich wusste, einen äußerst wunden Punkt bei Papa, der nicht annähernd so viel publiziert hatte.

»Dürfte ich Sie dennoch auf die Möglichkeit hinweisen«, entgegnete Papa energisch, »dass das, was Sie für den Hals der Kreatur halten, in Wirklichkeit der Schwanz ist?«

Eine Welle der Heiterkeit brandete durch die Zuschauerreihen, und Bolt, der sich dadurch bestärkt fühlte, lächelte.

»Das sei Ihnen durchaus gestattet, Professor, allerdings fürchte ich, dass Sie enttäuscht werden. Die Proportionen des Körpers würden jenseits aller bekannten Normen liegen. Und zudem wäre ein Hals von einer solchen Länge doch wohl weder praktisch noch erfüllte er seine Funktion.«

»Aber lassen Sie uns nicht vergessen, dass wir es mit einem Meerestier zu tun haben, jaja, bei dem der lange Hals nicht auf dieselbe Weise von Muskeln gestützt werden muss, wie es bei einem Landlebewesen der Fall wäre. Im Gegenteil, man könnte sogar mutmaßen, dass ein solcher Hals von Vorteil sein könnte, um von unten nach ahnungslosen Fischen zu schnappen.«

»Ihre Überlegungen sind originell, das muss ich Ihnen zugestehen«, sagte Bolt. »Dennoch bin ich der Meinung, dass Sie diese ebenso gut von Ihrem Platz aus hätten kundtun können.«

»Bitte sehen Sie es mir nach, Professor Bolt, dass ich Ihre Geduld derart auf die Probe stelle«, lenkte Papa ein, »aber wir sind doch unter Freunden hier, und der Zweck dieser Akademie besteht nun mal in der gemeinschaftlichen Ergründung wissenschaftlicher Fragen. Unser aller Ziel ist die Wahrheit. Nehmen Sie meine Einwände also bitte nicht persönlich.«

»Ich nehme sie sehr wohl persönlich, Sir, weil Sie mir offen Inkompetenz unterstellen.«

»Aber nicht doch, nicht doch.«

Die Spannung im Vortragssaal war inzwischen mit Händen greifbar. Jemand rief: »Setzen Sie sich doch wieder, Professor Cartland, damit auch andere zu Wort kommen!«

»Bitte vielmals um Verzeihung«, sagte mein Vater. »Ich bin gleich am Ende, wenn ich nur noch eine letzte Vermutung äußern dürfte, Professor?«

Bolt nickte knapp.

»Ich frage mich, jaja«, murmelte mein Vater und die restlichen Zuschauer und ich schnappten nach Luft, als er den Schädel des Elasmosaurus ergriff, »ob der Kopf nicht vielleicht« – er ging die zehn Meter zum anderen Ende der Tischreihe – »viel besser hierher« – hob den letzten Schwanzwirbel an und schob ihn in die Schädelbasis – »passen würde.«

Ein lautes Klicken war zu vernehmen. Gut möglich, dass ich es mir nur einbildete, aber die beiden Knochen schienen so mühelos ineinanderzugleiten wie zwei Puzzleteile.

Cartland hielt sein Werk hoch. »Was für mich der Beweis wäre, Professor Bolt, dass der Schwanz in Wirklichkeit der Hals ist und Sie Ihren Dinosaurier verkehrt herum zusammengebaut haben.«

Mir war, als hätte sich in meinem Brustkorb etwas gelöst und wäre geradewegs in meinen Magen geplumpst. Das Entsetzen im Gesicht meines Vaters bestätigte meine schlimmste Befürchtung: Cartland hatte recht.

Vater richtete sich zu voller Größe auf. »Ich verlange, dass Sie diese Behauptung zurücknehmen, Professor Cartland.«

Doch Cartland, dieser Schurke, verschränkte nur zufrieden die Arme. Er war ein gutes Stück kleiner als mein Vater und so bullig wie ein Kanonenofen. Was von seinem Haar noch übrig war, begann weit hinten auf seinem glänzenden Kopf. Die Enden seines Schnurrbarts wiesen streng nach unten und verdeckten seine Mundwinkel, die, wie ich annahm, zu einem triumphierenden Lächeln gehoben waren. Blanker Hass stieg in mir auf. Er hatte das Podium mit dem einzigen Ziel betreten, meinen Vater zu demütigen und seinen Ruf zu zerstören.

»Bedaure«, erwiderte Cartland, »aber das kann ich nicht.«

Die Stirn meines Vaters umwölkte sich. Seine Augen, die selbst zu den besten Zeiten nicht friedfertig wirkten, blitzten. Das linke stand ein wenig schräg, was einem den Eindruck geben konnte, dass er an einem vorbeisah – oder aber, dass man einen Verrückten vor sich hatte. Im Moment schien eindeutig Letzteres zuzutreffen.

»In dem Fall, Sir, muss ich Sie bitten, mein Fossil zurückzulegen und mich vor die Tür zu begleiten.«

Cartland lachte, doch als er antwortete, lag ein Hauch von Beunruhigung in seiner Stimme. »Ich werde Sie ganz gewiss nicht vor die Tür begleiten.«

»Legen. Sie. Mein. Fossil. Zurück.«

»Na schön«, erwiderte Cartland und kam der Aufforderung nach. »Möchten Sie sich gleich hier prügeln?«

Amüsiertes Getuschel aus dem Publikum – allerdings nur von jenen Zuschauern, die einige ganz bestimmte Versammlungen in den letzten Monaten versäumt hatten.

Ich war schon halb aufgesprungen, als mein Vater Cartland die Faust ins Gesicht rammte. Ein guter, wohlplatzierter Schlag aufs Auge – ich kann nicht behaupten, dass ich nicht insgeheim jubilierte. Ich bezweifelte, dass Cartland so ein geübter Kämpfer war wie mein Vater, aber er war massiger, und ich hätte meinem Vater am liebsten zugebrüllt, auf seine Deckung achtzugeben, er werde zu leichtsinnig. In dem Moment stürzte Cartland auch schon nach vorn und versetzte meinem Vater einen Schlag in die Magengrube, woraufhin dieser sich vornüberkrümmte.

Ich stürmte zum Podium. Im Publikum brach ein Chor missbilligender Rufe los.

»Gentlemen!«

»Ist das denn die Möglichkeit?«

»Nicht schon wieder, Bolt!«

»Sir!«, rief jemand meinem Vater zu. »Sind Sie nicht Quäker?!«

»Ganz recht, Sir!«, schnaufte mein Vater. »Wenn auch heute kein besonders guter!« Und damit hieb er abermals nach Cartlands Gesicht, der dem Schlag jedoch erstaunlich geschickt auswich.

»Vater!« Ich packte seinen Arm, aber er schüttelte mich ab.

»Der Schädel«, keuchte er an Cartland gewandt, »wurde neben den Wirbeln gefunden, aus denen ich den Hals zusammengesetzt habe. Die Aufzeichnungen des Ausgräbers waren unmissverständlich!«

»Das mag sein«, erwiderte Cartland. »Nichtsdestotrotz sind es Kaudalwirbel, keine Zervikalwirbel!«

Irgendwie gelang es ihm, ruhig und würdevoll zu bleiben, während mein Vater ihn wutschäumend umkreiste. Als wüsste er, dass ihm niemand etwas anhaben konnte, weil er recht hatte.

»Vater!«, rief ich abermals. »Hör auf!«

Doch er stürzte bereits erneut auf Cartland zu – keine gute Idee, denn der standhafte Professor hob lediglich den Fuß und trampelte meinem Vater auf einen seiner übergroßen Schuhe. Die waren von einem Schuster in Chicago gefertigt und hatten ein Vermögen gekostet. Mein Vater jaulte auf, duckte sich und rammte Cartland mit voller Wucht den Kopf in den Bauch. Die beiden Männer gingen zu Boden, wo jeder unter verbissenen Hieben und Stößen versuchte, die Oberhand zu gewinnen.

Plötzlich tauchte das Mädchen aus dem Foyer neben mir auf, ihre Wangen feuerrot. Noch nie hatte ich ein kampfentschlosseneres Gesicht gesehen. Kurzerhand ergriff sie meinen Vater beim Ohr und verdrehte es, als wollte sie eine Rübe aus der Erde ziehen.

»He!«, schrie ich. »Jetzt aber mal halblang!«

»Er soll meinen Vater in Ruhe lassen!«

Verdattert blickte ich von Cartland zu dem Mädchen. »Das ist Ihr Vater?«

»Ja!«

»Na, dann soll Ihr Vater gefälligst meinen in Ruhe lassen!«, fuhr ich sie an und deutete auf das sich windende Knäuel vor uns: Cartland hatte sich inzwischen behauptet und würgte meinen Vater, dem ein dünner Speichelfaden aus dem Mund rann.

Also schnappten wir uns unsere wild gewordenen alten Herren und versuchten unter lautem Geschrei, die beiden auseinanderzubringen. Inmitten des Handgemenges verfingen sich kurz meine Finger mit ihren.

Sie blickte mich an, und ich konnte nicht wegsehen. Ihre Augen waren wirklich außergewöhnlich, nicht nur ihr durchdringendes Blau – sondern die weißen und bernsteinfarbenen Schlieren in der Iris, als schössen Sternschnuppen und Polarlichter aus dem Schwarz ihrer Pupillen. Es fühlte sich an, als ob ich der Geburt des Universums beiwohnen würde.

Die Erkenntnis traf mich vollkommen unerwartet: Ich würde mich mit absoluter Sicherheit in dieses Mädchen verlieben.

2
Die Kiste

Am nächsten Morgen fand ich die Kiste.

Sie stand ungeöffnet unter Vaters Schreibtisch. Aus den Stiefelabdrücken auf dem Deckel schloss ich, dass er sie schon eine ganze Weile als Fußbank benutzte. Das sah meinem zerstreuten Vater ähnlich. Ich zog die Kiste hervor und schaffte Platz dafür auf einem der Arbeitstische.

Sie war klein, nicht viel größer als eine Schuhschachtel, und über und über mit dem verblichenen Siegel der Kickapoo-Arzneimittelcompagnie bestempelt. Adressiert war sie in schwer leserlicher Handschrift an den »Hochverehrten Professor Michael Bolt«. Offenbar setzte der Absender auf Schmeicheleien, um die Aufmerksamkeit meines Vaters zu erregen. Normalerweise eine Erfolg versprechende Strategie, doch diesmal hatte es die Sendung nicht davor bewahrt, als Fußstütze zu enden.

Mein Vater bekam tonnenweise Fundstücke von Amateuren zugesandt. Uralte Pflanzenabdrücke in Sandstein, den riesigen Zehenknochen irgendeines ausgestorbenen Säugetiers, zwei ausgestopfte Fichtenwaldsänger mit ungewöhnlicher Flügelzeichnung. Und Echsen. Haufenweise Echsen. Manchmal wurden sie ihm an die Akademie geschickt, andere wiederum kamen direkt bei uns zu Hause an. Unsere Haustür war voller Schrammen wegen all der Kisten, die hindurchgewuchtet worden waren. Sie stapelten sich im Flur und den schmalen, lang gezogenen Zimmern im Erdgeschoss.

Der Fußboden knirschte vor getrocknetem, von unzähligen Fossilien gemeißeltem Lehm. Ständig musste man sich einen Weg zwischen Türmen aus staubigen Büchern und Papieren sowie Tabletts, auf denen sich noch unklassifizierte Funde stapelten, hindurchsuchen – und dabei möglichst nicht auf Horatio, unsere Schildkröte, treten, die scharrende Streifzüge durch unser Haus unternahm und einem mit Vorliebe genau in dem Moment vor die Füße kroch, wenn man gerade mit etwas Schwerem, Zerbrechlichem beladen war.

Es gab weder einen Salon noch ein Wohnzimmer oder eine Bibliothek. Keinen Raum mit dicken Ledersesseln, in denen es sich Gäste hätten bequem machen können. Die Dekoration beschränkte sich auf ein Wühlmausfell, ein Präparateglas mit Alkohol, in dem sich eine Schlange kringelte und den Oberschenkelknochen einer Antilope.

Mrs Saunders, unsere Köchin und Haushälterin, hatte striktes Verbot, in den Vorderzimmern zu putzen – Vater hatte zu viel Sorge, dass sie versehentlich irgendwelche wertvollen Körperteile oder Zettel mit elementaren Notizen darauf entsorgen könnte. Nicht, dass sie jemals freiwillig einen Fuß in diese Räume gesetzt hätte, nicht einmal, wenn man sie dazu aufforderte. Sie hasste unser Chaos und konnte unsere Salamander genauso wenig ausstehen wie den Anblick und den Geruch der Gila-Krustenechse, die die Angewohnheit hatte, ihre Nahrung wieder hochzuwürgen.

Vater hatte oft Studenten oder Kollegen da, die ihm bei irgendetwas zur Hand gingen. An manchen Tagen herrschten bei uns Zustände wie auf dem Telegrafenamt. Alles brummte vor Neuigkeiten und Geplauder. Das Haus war wie ein Museum, das jemand auf den Kopf gestellt und so lange geschüttelt hatte, bis alles aus Schränken und Regalen geflogen war. Es war ein Zoo. Eine Leichenhalle. Bei uns gab es mehr tote Tiere als im örtlichen Schlachthof. Mehr alkoholgefüllte Gläser als im Wirtshaus um die Ecke.

Ich liebte es. Dennoch war ich froh, dass ich im Obergeschoss mein eigenes Zimmer hatte, mit einer Tür, die ich hinter mir schließen konnte. Und manchmal schloss ich sie sehr sorgfältig. Um den Staub und die vagabundierenden Salamander draußen zu halten. Oder die Wut- und Freudenschreie meines Vaters.

Vor zwei Wochen war ich aus dem Internat nach Hause geschickt worden. Für den Rest des Schuljahrs. Ich war suspendiert, hauptsächlich wegen der Sache mit Harold Thom. Er hatte mich gefragt, was mein Vater eigentlich während des Kriegs gemacht hatte. Eine heimtückische Falle, denn die meisten Quäker waren aus religiöser Überzeugung nicht in den Kampf gezogen. Einige aber schon, darunter auch Thoms Vater. Als ich geantwortet hatte, mein Vater sei Pazifist und habe in einem Feldlazarett gedient, hatte Thom lediglich geschnaubt, das sei ja wohl ein Witz, denn jeder wisse schließlich, dass mein Vater keine Skrupel habe, seine Fäuste zu benutzen, wenn er wollte. Nur im Angesicht des Kriegs habe offenbar seine Feigheit gesiegt.

Ich drosch auf ihn ein, bis ihm das Blut aus Mund und Nase schoss. Keine besonders gute Idee an einer Quäkerschule. Schließlich zerrten mich ein paar seiner Freunde von ihm herunter und schleiften mich zum Büro des Direktors. Dieser wusch mir gehörig den Kopf wegen meiner »bedauernswerten Neigung zu körperlicher Gewalt«. Außerdem sei ich in der Stadt in Billardbars und beim Glücksspiel erwischt worden und hätte mehrere meiner Mitschülerinnen mit meiner »anzüglichen Redeweise« verstört. »Und nicht zuletzt«, fügte der Direktor hinzu, »ist Ihre Handschrift eine Zumutung.« Ich glaube, der letzte Punkt stellte aus seiner Sicht meinen schlimmsten Charakterfehler dar. Dieses Jahr würde ich meinen Schulabschluss nicht machen, informierte er mich, sondern müsse ab nächstem Herbst das komplette Schuljahr wiederholen, wenn ich jemals an einer Universität angenommen werden wollte. Mein Schulabschluss war mir egal, genau wie meine Aussicht auf einen Platz an der Universität. Aber ich wusste, dass mein Vater das anders sah. An meinen ersten Tagen zu Hause dröhnte mir der Kopf von seinen zornigen Tiraden.

Doch das war längst vorbei. Ich glaube, insgeheim war er sogar ganz froh, mich wieder bei sich zu haben. Da er nicht gerade ein Organisationstalent war, stellte er mich schon bald dazu ab, ihm beim Sortieren und Bestimmen seiner Forschungsobjekte zu helfen.

Und so war ich bereits den ganzen Morgen brav damit beschäftigt, Kisten und Briefe zu öffnen und eine Bestandsaufnahme zu machen … und dabei konzentriert zu bleiben.

Doch ich sah noch immer ihre Augen vor mir. Rachel. Ihren Namen hatte ich erst von meinem Vater erfahren, als wir nach dem Abend in der Akademie auf dem Heimweg gewesen waren. Selbst im Schlaf ging sie mir nicht aus dem Kopf. Im Traum versuchte ich, eine Reise zu planen, um sie wiederzusehen. Erst mit dem Pennsylvanian von Philadelphia nach New York, wo ich an der Penn Station ankommen würde, und von dort aus weiter mit einem Zug der New-England-Line, der mich innerhalb von zwei Stunden nach New Haven bringen würde. Sie würde mich doch sicher nicht fortschicken, wenn ich plötzlich vor ihrer Tür stünde, oder? Doch die Zugfahrpläne – ein undurchdringliches Gewirr aus Zahlen und Buchstaben – ergaben keinen Sinn, und außerdem kam ich ständig zu spät und landete nie dort, wo ich hinwollte, bis ich schließlich mit klopfendem Herzen aufwachte.

Ich wollte mit ihr reden, ihr beweisen, dass ich kein großspuriger Trottel war. Kein hitzköpfiger Raufbold wie mein Vater. Eine richtige Ansprache hatte ich mir zurechtgelegt! Noch immer hatte ich ihre Stimme im Ohr, ihren Geruch in der Nase, sah, wie sie ernst zu mir hochblickte. Nur ein einziges Wiedersehen. Sie war keine Schönheit und hatte einen sturen Bock zum Vater. Und doch hatte sie sich fest in meinem Herzen eingenistet.

Eine versteinerte Muschel rutschte mir aus der Hand, und ich kroch unter den Schreibtisch, um sie aufzuheben – wo ich auf besagte Kiste der Kickapoo-Arzneimittelcompagnie stieß.

Auf dem Arbeitstisch stemmte ich mit einem Meißel den Deckel hoch. Drinnen fand ich ein Polster aus Präriegras und drei Leinenbündel. Ich hatte gerade angefangen, das größte auszuwickeln, als ich hörte, wie die Haustür aufflog und gleich darauf wieder ins Schloss fiel. Mit einem mächtigen Seufzer stürzte Vater ins Zimmer.

»Es ist zu spät, sagen sie.«

Die ganze Nacht lang hatte er sich ein Taschentuch mit Eis auf den geschwollenen Wangenknochen gepresst und wie ein Besessener seinen Elasmosaurus-Artikel überarbeitet. Dieser sollte bereits in der nächsten Ausgabe des Journals der American Philosophical Society erscheinen. Vater hatte sogar (für viel zu viel Geld, meiner Meinung nach) einen Satz Druckplatten gekauft, um seinen ruhmreichen Fund angemessen zu bebildern.

»Der Artikel ist schon im Druck.« Er ließ sich auf seinen Drehstuhl fallen – die einzige Sitzgelegenheit, die nicht von einem Stapel Papier beansprucht wurde – und sackte in sich zusammen.

»Bist du sicher, dass Cartland recht hatte?«, fragte ich überflüssigerweise.

»Das wusste ich, sobald er es ausgesprochen hatte. Hawthorn, dieser Dämlack von Zahnarzt, hat mich auf die völlig falsche Fährte gelockt. Er hat mir versichert, dass der Schädel neben diesen Wirbeln gefunden worden sei … Aber ich bin selbst schuld: Warum verlasse ich mich auch darauf, was andere sagen? Wenn ich vor Ort gewesen wäre, wenn ich die Knochen selbst ausgegraben hätte, dann wäre es nie zu dieser Verwechslung gekommen.«

»Und was hast du jetzt vor?«

»So schnell wie möglich alle Ausgaben des Journals aufkaufen.«

Er musste mir nicht erklären, was für eine Demütigung das für ihn war. Er hatte keinen akademischen Grad. Keinen Lehrstuhl an einer renommierten Universität. Alles, was er vorzuweisen hatte, waren seine Arbeit und seine Publikationen.

»Jeder macht mal Fehler«, sagte ich, in der Hoffnung, ihn ein wenig aufzumuntern. »Denk doch nur an Agassiz, diesen Geologen aus Harvard, der auf den Giganten von Cardiff reingefallen ist.«

Mein Vater lächelte schwach. »Natürlich. Den Schwindel hat auch Cartland auffliegen lassen.«

»Trotzdem, du hast immer noch den Elasmosaurus zum Leben erweckt, nur eben …«

»Verkehrt herum«, beendete mein Vater den Satz, und wir lachten beide.

Geistesabwesend hob er die Hand an sein geschwollenes Gesicht und zuckte zusammen. »Wenigstens habe ich ihm eine ordentliche Abreibung verpasst, was?«

»Na ja, er dir auch.«

»Ich würde sagen, ich habe mehr Treffer gelandet als er. So ein alter Schmarotzer. Weißt du eigentlich, wie der an seinen Posten in Yale gekommen ist?«

»Ja, das hast du –«

»Hat einen reichen Verwandten beschwatzt, ein paläontologisches Institut aus dem Boden zu stampfen, inklusive Ausstattung. Und genau dieses Institut leitet er jetzt!«

Eine Reihe von Röchellauten kam aus dem Terrarium der Gila-Echse.

»Hast du sie schon gefüttert?«, fragte mein Vater.

»Vor gerade mal einer Stunde.«

»Das Geräusch macht sie nur, wenn sie Hunger hat.«

»Sie wird zu dick.«

Mein Vater ging zum Terrarium und kraulte die Echse am Kopf. »Gutes altes Mädchen«, murmelte er liebevoll.

Mir tat sie immer ein wenig leid, wenn ich sie so breitbeinig durch ihr enges Zuhause staksen sah. Vater ließ sie manchmal frei im Arbeitsraum herumlaufen, aber einmal hatten wir sie danach tagelang nicht wiederfinden können, woraufhin Mrs Saunders sich geweigert hatte, herunterzukommen und für uns zu kochen, bis wir die Echse aufgespürt und zurück in ihr Terrarium gesperrt hatten. Seitdem ließ Vater sie nicht mehr so oft laufen, denn weder er noch ich litten gern Hunger.

Vaters zerstreuter Blick fiel auf die Kiste, die ich gerade geöffnet hatte. »Irgendwas Interessantes?«

»Weißt du eigentlich, dass du die als Fußbank benutzt hast?«

Er reagierte nicht. Ich war mir nicht sicher, ob er mich überhaupt gehört hatte. Schon hatte er eins der Leinenbündel geöffnet und starrte auf den Inhalt. In seinem Gesicht rührte sich kein Muskel.

Behutsam legte er das Bündel auf den Tisch. Es war ein knapp zwanzig Zentimeter langes Stück Knochen, an dem noch ein paar hartnäckige Steinreste hafteten. An einem Ende spitz zulaufend, am anderen dicker, glänzend wie ein Stück poliertes Hartholz. Ich versuchte, es einzuordnen. Ein Schienbeinknochen? Ein Teil einer Elle? Doch die Form stimmte nicht. Beide Enden wiesen unsaubere Bruchstellen auf. Ich öffnete das zweite Bündel, während mein Vater nach dem dritten griff. Sein Teil war massiver als das erste, mit einer breiten ovalen Basis. Er hielt es an das dicke Ende des anderen. Die beiden gehörten eindeutig zusammen. Und meins …

Das dritte Stück verjüngte sich zu einer sehr scharfen Spitze. Auch dort war die Oberfläche glatt, doch als ich mit dem Daumen darüberstrich, ertastete ich eindeutige Rillen. Ich legte die Spitze an die anderen beiden Teile.

Plötzlich fiel mir das Atmen schwer. »Das ist der größte Zahn, den ich je gesehen habe.«

»Wer hat ihn geschickt?«, wollte mein Vater wissen.

Ich wühlte in der Kiste. »Da ist ein Brief!«

»Lies vor!«

Typisch Vater, mich erledigen zu lassen, was er genauso gut selbst machen konnte. Aber er war offenbar so aufgeregt, dass er nicht in der Lage war, seine Aufmerksamkeit auf so etwas Banales wie einen Brief zu richten. Er betastete die Zahnteile und nahm sie genau in Augenschein, während ich den Umschlag aufriss, den Brief herauszog und vorzulesen begann.

Sehr geehrter Herr Professor Bolt,

zunächst einmal möchte ich Ihnen meine Bewunderung aussprechen, da es mein größter Wunsch ist, eines Tages selbst ein Fossiliensammler nach Ihrem Vorbild zu werden. Ich bin Streckenabschnittsaufseher bei der Union Pacific Railroad in der Nähe von Edford und …

»Was macht denn ein Streckenabschnittsaufseher?«, fragte ich.

»Genau das, was der Name besagt. Weiter jetzt!«

… gehe nun schon seit einigen Jahren meiner Sammelleidenschaft nach. Inzwischen darf ich eine Vielzahl von Blättern und Blüten aus der Kreidezeit mein Eigen nennen.

»Du meine Güte«, unterbrach mich mein Vater. »Geht das nicht schneller?«

»Du lässt mich ja nicht!«

Während Untersuchungen nordöstlich von Fort Crowe bin ich kürzlich auf Teile eines Femurs und eines Sakrums gestoßen, die meinem ungeübten Auge so groß erschienen, dass sie nur von einem Dinosaurier stammen konnten. Was jedoch meines Erachtens für Sie, Sir, von größerem Interesse sein könnte, ist dieser Zahn, den ich ebenfalls dort gefunden habe. Ich habe noch nie ein imposanteres Exemplar zu Gesicht bekommen und glaube, dass die Kreatur, die dort im Stein liegt, riesig sein muss. Ich selbst habe noch nicht die Zeit gefunden weiterzugraben, bin allerdings überzeugt, dass noch eine Menge mehr Knochen in dieser Gegend zu finden sind. Anbei sende ich Ihnen den Zahn als Zeichen meiner Glaubwürdigkeit, in der Hoffnung, dass Sie mich als fähigen Helfer in Betracht ziehen. Meine Ansprüche sind bescheiden, dennoch verfüge ich nicht über die notwendigen Mittel, um die Ausgrabungen fortzusetzen und damit weiter Gottes Werk zu verrichten.

 

In Erwartung Ihrer fachkundigen Meinung verbleibe ich hochachtungsvoll,

Edward G. Plaskett

Dies war eindeutig der Zahn eines Fleischfressers. Die gezackten Ränder sorgten dafür, dass der Zahn sich tief in seine Beute bohrte und sie festhielt. Ich stellte mir vor, wie dieses Ding mir ins Fleisch drang, wie ich nicht mehr davon loskam und langsam verblutete …

»Wie lang, würdest du schätzen …«, murmelte mein Vater.

Ich hatte schon das Maßband in der Hand. »Achtundzwanzig Komma sechs Zentimeter.«

Mithilfe eines Messschiebers bestimmte mein Vater den Umfang und diktierte mir die Maße der dicksten und der schmalsten Stelle. Ich griff zu Feder und Tinte und notierte. Gleich darauf riss Vater mir die Feder aus der Hand und fing an zu rechnen, wobei er leise vor sich hin murmelte. »Wenn wir den Laelaps als Referenz nehmen …«

Laelaps aquilunguis – praktisch ein Mitglied unserer Familie, so oft hatte ich ihn schon gesehen. Oder zumindest Skizzen, wie er mit Haut und Muskeln ausgesehen haben mochte. Doch selbst seine größten Zähne brachten es nicht einmal auf zweieinhalb Zentimeter.

Vater schrieb immer mehr Zahlen auf. »Der Größe des Zahns nach zu urteilen, müsste der Kiefer …« Wieder machte er eine Notiz. »Was auf eine Schädelgröße von anderthalb Metern schließen lässt. Das hieße, wieder in Bezug zum Laelaps …«

Cuvier, ein französischer Anatom, hatte die These aufgestellt, man könne auf Grundlage eines einzigen Zahns ein komplettes Tier rekonstruieren. Und genau das versuchte mein Vater nun. Er berechnete die Länge der Wirbelsäule, die Maße der Hüft- und Oberschenkelknochen.

»Ein Zweibeiner«, verkündete er schließlich und sah triumphierend zu mir auf, »rund fünfzehn Meter lang und ungefähr zehn Meter hoch.«

Nicht mal in meiner Fantasie hatte es jemals ein so riesiges Tier gegeben. Ich dachte an den Megalosaurus, den Buckland vor ein paar Jahrzehnten in England entdeckt hatte. Der war groß. Doch während der Megalosaurus bequem in mein Fenster im ersten Stock lugen könnte, würde diese neue Kreatur wohl eher das Dach einschlagen, um mich dann im Ganzen zu verschlingen.

»Das muss der König der Dinosaurier gewesen sein«, flüsterte ich.

»Ein Rex«, bestätigte Vater. »Ha! Du hast ihm schon einen halben Namen gegeben!«

So lange ich mich zurückerinnern konnte, hatte ich Dinge gesammelt. Als kleiner Junge mochte es das Ei eines Fichtenwaldsängers gewesen sein, ein Ochsenknöchel oder die Larve eines Monarchfalters. Der Nervenkitzel bei der Jagd, nach etwas Verlorenem, das nun wieder aufgetaucht war. Meine Beute hortete ich auf Regalen in meinem Zimmer. Das machte mich glücklich – doch sobald ich etwas gefunden hatte, war beinahe im selben Moment der Drang wieder da, dieses Verlangen nach etwas Neuem, das ich entdecken musste.

Jetzt jedoch erschien mir alles, alles, was ich in meinem Leben je gefunden hatte, nichtig.

Jeder andere Gedanke wich aus meinem Kopf. Ich wusste es sofort. Ich wusste, dass ich diese Kreatur finden musste, jeden einzelnen Knochen. Ich wollte sie mit meinen eigenen Händen aus dem Fels schlagen, sie zusammensetzen und das montierte Skelett in den Ausstellungsräumen der Akademie sehen.

»Wir dürfen niemandem davon erzählen«, sagte mein Vater streng zu mir, als könnte ich auf die Idee kommen, seine Erkenntnisse per Telegramm in ganz Philadelphia zu verbreiten.

»Der Brief ist auf den zweiten April datiert«, bemerkte ich.

»Na, und?«, setzte er an, hielt jedoch gleich darauf inne und riss die Augen auf. »Welcher Tag ist heute?«

Der Kopf meines Vaters war so vollgestopft mit Genialität, dass für belanglose Kleinigkeiten – wie zum Beispiel Jahreszeiten oder Wochentage – manchmal einfach kein Platz mehr war.

»Der vierte Juni.«

»Das sind neun Wochen!« Wie um sich zu beruhigen, zwirbelte er seinen Bart, dann warf er mir einen wütenden Blick zu. »Warum hast du die Kiste nicht früher aufgemacht?«

Das war nun wirklich ein starkes Stück. »Ich hab’s dir doch gerade gesagt! Du hast die Kiste als Fußbank benutzt.«

»Das ist doch absurd!«

Ich hob den Deckel an und zeigte ihm die Stiefelabdrücke. »Sie stand unter deinem Schreibtisch!«

Er winkte ab. »Wie dem auch sei. Wir müssen Mr Plaskett sofort ein Telegramm schicken. Bevor er sich an jemand anderen wendet.«

Und mit »jemand anderen« meinte er Cartland. Es gab nicht allzu viele Naturwissenschaftler, die sich als Paläontologen bezeichneten. Selbst Leidy und Hayden sahen sich eher als Geologen und Biologen.

Wenn wir die Ersten waren, denen Plaskett von seiner Entdeckung erzählt hatte – und das war mehr als zweifelhaft, mussten wir schnell handeln.

»Schreib mit«, kommandierte mein Vater und wippte auf den Fußballen auf und ab.

Ich griff nach einem leeren Blatt und tauchte die Feder in die Tinte. Vielleicht war es besser so. Ich wusste schließlich, was aus seiner Handschrift wurde, wenn er aufgeregt war – ein grässliches Gekrakel, schlimmer noch als meins. Und das wollte was heißen.

Mein Vater sah durch mich hindurch und wandte sich direkt an unseren unsichtbaren Fossilienjäger in Wyoming: »Mr Plaskett. Sie gefallen mir. Sind engagiert. Finanzieller Vorschuss unterwegs. Erzählen Sie niemandem davon. Weitere Anweisungen für Grabungen in Kürze per Post.« Dann schien sein Blick wieder auf mich scharfzustellen. »Das reicht. Ich muss ihm schnell Geld schicken, damit er nicht auf die Idee kommt, für jemand anderen zu arbeiten …«

»Du willst ihn graben lassen?«, platzte es ungläubig aus mir heraus. »Einfach so? Das sollten wir selbst machen! Auf die Weise gibt es auch keine Missverständnisse – wie mit dem Elasmosaurus!«

Ich hatte den richtigen Nerv getroffen. Vaters Blick schweifte rastlos durch den Raum, auf der Suche nach einem Ruhepunkt. Dann ließ er die flache Hand auf den Tisch krachen. »Zum Donnerwetter, du hast recht. Den würde ich liebend gern selbst ausgraben! Die Zähne und alles, was dazugehört!«

»Genau! Worauf warten wir noch?«

Er blinzelte, und sein Blick verlor an Intensität. »Nichts lieber als das, nur … im Moment fehlt mir leider das Geld für eine solche Expedition. Weißt du, wie wenig ich auf der Bank habe?«

Ich nickte, denn Vater hatte mich mit unseren Rechnungen betraut. Leider fiel das Thema Haushaltsverwaltung nämlich ebenfalls nicht in den Bereich seiner Genialität. »Im Moment zweiundsechzig Dollar.«

Mein Vater presste die Lippen zusammen. »Wirklich so wenig?«

Er hatte schon seit Jahren kein Geld mehr verdient. Als ich noch klein war, kurz nach dem Tod meiner Mutter, hatte er eine Weile am Daverford-College Zoologie gelehrt. Doch dort hatte er nur fünf Semester durchgehalten, bevor er mit den Worten, unter solchen Pedanten nicht arbeiten zu können, wütend das Handtuch geworfen hatte. Damals hatte ich natürlich noch nicht gewusst, was ein Pedant war – ich stellte mir vor, dass es etwas Hundsgemeines sein musste, wie eine Art Kobold. Inzwischen hatte mein Vater mich mit der Bedeutung dieses Worts hinreichend vertraut gemacht – und mit all seinen schillernden Synonymen.