Gut aussehend, höflich und sanftmütig ist er, ein Traum von einem Mann. Alles tut er den Frauen zu Gefallen. Schon mit siebzehn war er die Stütze seiner allein stehenden Mutter. Matilda, die ihn als Knaben verführte, bleibt er ein Leben lang treu. Mit seiner hässlichen Kommilitonin Alja schläft er nur, weil sich kein anderer erbarmt. Lena heiratet er, damit sie für das uneheliche Kind, das sie von einem Kubaner erwartet, einen Vater vorweisen kann. Und seiner Chefin Valerija, einer schönen, gehbehinderten Bibliothekarin, macht er gehorsam ein Kind, weil sie es sich so sehr wünscht. Mitleid und Begehren sitzen bei ihm sozusagen an derselben Stelle. Und so ist er bald nur noch damit beschäftigt, für seine Frauen Lebensmittel zu organisieren, Katzen zu füttern und Medikamente zu besorgen. Während die "Pest seines Lebens", die eifersüchtige Swetlana, ihn auf Schritt und Tritt verfolgt und seinetwegen mehrere Selbstmordversuche begeht. Schurik selbst glaubt nicht mehr an die romantische Liebe. Bis sie ihm, kurz nach seinem dreißigsten Geburtstag, auf einmal widerfährt. "Wie kann man ohne Liebe leben? Diese Frage von immer währender Aktualität steht im Zentrum dieses großartigen Romans." L’Express

 

Hanser E-Book

Ljudmila Ulitzkaja

 

Ergebenst, euer Schurik

 

Roman

 

Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt

 

 

Carl Hanser Verlag

 

 

1

 

Der Vater des Kindes, Alexander Sigismundowitsch Lewandowski, ein Mann von dämonischem, leicht verschlissenem Äußeren, mit gebogener Nase und unbändigen Locken, die zu färben er mit über fünfzig aufgegeben hatte, war sehr früh als künftiges musikalisches Genie gehandelt worden. Mit acht Jahren ging er, wie Mozart, auf Konzertreisen, doch als er sechzehn war, geriet das Ganze ins Stocken, als wäre sein Erfolgsstern am Himmel erloschen; junge Pianisten von solider, aber keineswegs außergewöhnlicher Begabung überrundeten ihn, und er, der das Kiewer Konservatorium mit Auszeichnung absolviert hatte, wurde nach und nach zum Begleitpianisten. Als solcher war er unglaublich einfühlsam, präzise, ja einzigartig, er begleitete erstklassige Geiger und Cellisten, die sich sogar um ihn stritten. Aber sein Name stand eben immer in der zweiten Zeile. Auf Plakaten kam er bestenfalls als »Klavierbegleitung« vor, schlimmstenfalls nur mit zwei Buchstaben: »Kl.« Dieses »Kl.« war sein ganzes Unglück, ein ewiger Stachel in seiner Leber. In der Antike glaubte man, die Leber sei das Organ, das durch Neid am meisten leide. Natürlich glaubt niemand mehr an diese hippokratischen Albernheiten, doch Lewandowskis Leber neigte in der Tat zu Anfällen. Er hielt Diät, wurde von Zeit zu Zeit gelb, kränkelte und litt sehr.

Er lernte Vera Korn im besten Jahr ihres Lebens kennen. Sie war soeben ins Theaterstudio von Taïrow aufgenommen worden, hatte noch nicht den Ruf der schwächsten Studentin erworben, genoß den interessanten, vielseitigen Unterricht und träumte von einer großen Rolle. Es waren die Jahre vor dem Niedergang des Kammertheaters. Der Landesvater und oberste Theatertheoretiker des Landes hatte das Theater noch nicht als »durch und durch bürgerlich« gebrandmarkt – das tat er erst einige Jahre später –, noch herrschte Alissa Koonen, und Taïrow erlaubte sich so »durch und durch bürgerliche« Streiche wie die Inszenierung der »Ägyptischen Nächte«.

Im Theater wurde Neujahr traditionell nach dem alten Kalender begangen, und zu den zahlreichen Vergnügungen, mit denen die erfinderischen Schauspieler sich im Januar 1935 diese lange Nacht vertrieben, gehörte ein Wettbewerb um das schönste Bein. Die Schauspielerinnen verschwanden hinterm Vorhang, dann hob jede ihn ein Stück an und demonstrierte keusch ihr namenloses Bein vom Knie bis zu den Zehenspitzen.

Die achtzehnjährige Vera drehte ihre Wade so, daß die akkurat gestopfte Stelle auf der Ferse nicht zu sehen war, und fiel fast in Ohnmacht von den süßen, prickelnden Gefühlen, als sie energisch hinterm Vorhang vorgezogen wurde und man ihr eine Schürze umband, auf der in großen silbernen Lettern stand: »Ich habe das reizendste Bein der Welt«. Außerdem wurde ihr ein in den Theaterwerkstätten eigens angefertigter Pappschuh voller Konfekt überreicht. Das alles wanderte in die unterste Schublade des Sekretärs ihrer Mutter Jelisaweta Iwanowna, die erstaunlich empfänglich war für den Erfolg ihrer Tochter auf einem Gebiet, das ihrer eigenen Vorstellung nach jenseits des Anstands lag – wo es, einschließlich der versteinerten Pralinen, jahrzehntelang ruhen sollte.

Lewandowski, der aus Petersburg zu einem Gastspiel in Moskau weilte, war von Taïrow persönlich eingeladen worden. Der aristokratische Gast wich Vera den ganzen Abend nicht von der Seite und beeindruckte sie zutiefst, und als der Ball vorbei war, verstaute er ihren prämierten Fuß eigenhändig in ihrem weißen Filzschuh – einer mit einem hohen Absatz versehenen kühnen Variation des russischen Filzstiefels – und brachte sie nach Hause in die KamergerskiGasse. Es war noch dunkel, träge fiel künstlich anmutender Schnee, die Straßenlaternen warfen gelbes Theaterlicht, und Vera fühlte sich wie eine Debütantin auf einer riesigen Bühne. Mit einer Hand hielt sie ihre in Zeitungspapier gewickelten Ausgehschuhe Größe fünfunddreißig an sich gepreßt, die andere ruhte selig auf Lewandowskis Arm, und er rezitierte ihr altmodische Gedichte eines in Ungnade gefallenen Dichters.

Noch am selben Tag fuhr er wieder in sein Leningrad und ließ Vera in völliger Verwirrung zurück. Er versprach, bald wiederzukommen. Doch Woche um Woche verging, und von Veras Herzenssehnsucht blieb nur ein bitterer Nachgeschmack.

Veras berufliche Erfolge waren gering, zudem hegte die Ballettmeisterin, die modernen Ausdruckstanz im Geiste von Isadora Duncan unterrichtete, eine heftige Abneigung gegen sie, nannte sie nur noch »reizendes Bein« und ließ ihr nicht den kleinsten Fehler durchgehen. Die arme Vera wischte sich die Tränen mit dem Zipfel eines altgriechischen Chitons aus der Textilfabrik Iwanowo ab und plagte sich mit dem Takt der ekstatischen Skrjabinschen Rhythmen, zu denen die Studentinnen trainierten, indem sie energisch Fäuste und Knie emporschleuderten, um die unergründliche Seele der rebellischen Klänge in Bilder zu übersetzen.

An einem der schlimmsten Tage dieses Frühlings wurde Vera am Bühneneingang von Lewandowski abgeholt. Er war für zwei Wochen nach Moskau gekommen, um mehrere Konzerte mit einem exzellenten, weltberühmten Geiger aufzunehmen. In gewissem Sinne war dies die Sternstunde seines Lebens: Der Geiger, ein Musiker der alten Schule, brachte Lewandowski betonten Respekt entgegen und erinnerte sich sogar an dessen Ruhm aus Kindheitstagen. Die Aufnahmen liefen großartig. Zum erstenmal seit Jahren konnte das verletzte Selbstwertgefühl des Pianisten aufatmen, sich entspannen und entfalten. Das reizende Mädchen mit den schillernden graublauen Augen erbebte allein von seiner Gegenwart – so nährte eine Inspiration die andere.

Die junge Vera, die das ganze Studienjahr lang fleißig die Taïrowschen »emotional aufgeladenen Formen« studiert hatte, verlor in diesem Frühjahr endgültig das Gefühl für die Grenze zwischen Leben und Theater, die »vierte Wand« fiel, und fortan spielte sie das Stück ihres eigenen Lebens. Getreu den Ideen des hochverehrten Lehrers, der von seinen Schauspielern Universalität verlangte – vom Mysterienspiel bis zur Operette, wie er selbst sagte –, gab Vera für den gerührten Lewandowski die pathetische Naive.

Dank der gemeinsamen Bemühungen von Natur und Kunst entwickelte sich eine berauschende Affäre: Nächtliche Spaziergänge, intime Essen in den Séparées der renommiertesten Restaurants, Rosen, Champagner, heiße Zärtlichkeiten, die beiden Genuß bereiteten – vielleicht sogar mehr Genuß als das, was in der letzten Moskauer Nacht vor Lewandowskis Abreise geschah, als Vera endgültig vor den überlegenen Kräften des Gegners kapitulierte.

Der glückliche Sieger reiste ab und hinterließ Vera in einem süßen Nebel frischer Erinnerungen, aus denen sich allmählich das wahre Bild ihrer Zukunft herausschälte. Er hatte ihr bereits das ganze Elend seiner Ehe gebeichtet: die psychisch kranke Frau, die kleine Tochter mit einem Geburtstrauma, die herrische Schwiegermutter mit dem Wesen eines Feldwebels. Nie, niemals würde er diese Familie verlassen können. Vera war starr vor Entzücken: Wie edel er war! Sie wollte ihm unverzüglich ihr Leben opfern. Selbst wenn auf lange Trennungen nur kurze Begegnungen folgten, selbst wenn nur ein kleiner Teil seiner Gefühle, seiner Zeit, seiner Persönlichkeit ihr gehörten – der, den er selbst ihr zu widmen wünschte.

Allerdings war dies eine andere Rolle – nicht mehr die des verwandelten Aschenputtels, das auf gläsernen Absätzen im Licht dekorativer Lampen munter durch die nächtlichen Straßen klappert, sondern die der heimlichen Geliebten, die tief im Schatten steht. Anfangs dünkte sie sich bereit, diese Rolle bis ans Ende des Lebens zu spielen, ihres oder seines Lebens: ein paar langersehnte Begegnungen im Jahr, dazwischen finstere Löcher und gleichförmige sehnsüchtige Briefe. So ging es drei Jahre, und Veras Leben bekam den Beigeschmack von ödem weiblichem Unglück.

Ihre Schauspielkarriere endete, noch ehe sie recht begonnen hatte – man bat sie zu gehen. Sie verließ das Ensemble, blieb aber im Theater, als Sekretärin.

Im selben Jahr, neunzehnhundertachtunddreißig, unternahm sie auch den ersten Versuch, sich aus der zermürbenden Liebesbeziehung zu befreien. Lewandowski akzeptierte ihren Willen ergeben, küßte ihr die Hand und entschwand in sein Leningrad. Doch Vera hielt keine zwei Monate durch, bat ihn zu kommen, und alles begann von vorn.

Sie wurde immer dünner und, wie ihre Freundinnen meinten, häßlicher. Es zeigten sich die ersten Symptome ihrer Krankheit: Ihre Augen bekamen einen metallischen Glanz, mitunter saß ihr ein dicker Kloß im Hals, die Nerven gingen mit ihr durch, und selbst ihre Mutter begann Veras hysterische Anfälle ein wenig zu fürchten.

Es vergingen weitere drei Jahre. Teils auf Betreiben ihrer Mutter, teils aus dem Wunsch heraus, ihr, wie sie es nun sah, verpfuschtes Leben zu ändern, brach Vera erneut mit Lewandowski. Auch ihn zermürbte diese schwierige Affäre, er hätte sich nur nicht als erster zur Trennung entschlossen: Seine Liebe zu Vera war wirklich aufrichtig, ja erhaben – jedesmal, wenn er in Moskau war. Veras leidenschaftliche, affektierte Verliebtheit war Balsam für seine Seele. Diesmal schien die Trennung zu gelingen: Der ausbrechende Krieg brachte sie für geraume Zeit auseinander.

Zu der Zeit hatte Vera ihre triste Stelle als Sekretärin bereits verloren und den bescheidenen Beruf einer Buchhalterin erlernt, lief aber dauernd zu den Proben und probierte insgeheim so manche Rolle aus – besonders angetan hatte es ihr die der Madame Bovary. Ach, wenn Alissa Koonen nicht gewesen wäre! Damals glaubte sie, es könne sich noch alles wenden, eines Tages würde sie es sein, die in einem mit drei Rosenbuketts geschmückten Barègekleid auf der Bühne stehen und mit einem fremden Vicomte auf dem Gut Vaubyessard eine Quadrille tanzte. Diese Krankheit versteht nur, wer sie selbst durchgemacht hat. Ohne das Theater zu verlassen, versuchte Vera dennoch, von ihrer Theatersucht loszukommen; sie schaffte sich sogar einen Verehrer »aus dem Publikum« an, einen jüdischen Einkäufer, der so hirnlos wie tugendhaft war. Er machte ihr einen Heiratsantrag. Sie heulte eine ganze Nacht durch und wies ihn dann ab, indem sie ihm stolz erklärte, sie liebe einen anderen. Irgend etwas schien an Vera nicht zu stimmen, oder sie paßte einfach nicht ins Bild der Zeit – jedenfalls konnten ihr fragiles Äußeres, ihre innere Bereitschaft zu augenblicklicher Begeisterung und ihre seelische Subtilität, die eher aus Tschechows Zeiten stammten, in den heroischen Jahren des Krieges niemanden reizen. Nun, dann eben nicht! Aber ein Einkäufer – nein!

Bald folgte die Evakuierung nach Taschkent. Veras Mutter Jelisaweta Iwanowna, Dozentin an der Pädagogischen Hochschule, bestand darauf, daß ihre Tochter im Theater kündigte und mitfuhr.

Lewandowski wurde nach Kujbyschew evakuiert, seine unglückliche Familie blieb in Leningrad zurück und kam während der Blockade um. In Kujbyschew erkrankte er schwer, drei Lungenentzündungen hintereinander brachten ihn beinahe ins Grab, aber eine Krankenschwester, eine stämmige ortsansässige Tatarin, pflegte ihn gesund. Aus Einsamkeit und Schwäche heiratete er sie.

Als sich Vera und Lewandowski nach dem Krieg wiedertrafen, begann alles von vorn, wenngleich in etwas anderen Kulissen. Sie arbeitete nun im Drama-Theater als Buchhalterin. Anstelle von Alissa Koonen verehrte sie Maria Babanowa, besuchte jede ihrer Vorstellungen – sie lächelten sich im Flur sogar zu. Lewandowski holte Vera wie früher am Bühneneingang ab, und sie liefen über den Twerskoi-Boulevard zur Kamergerski-Gasse. Wieder war er in seiner Ehe unglücklich, wieder hatte er eine kränkelnde Tochter. Er war stark gealtert und noch ätherischer geworden, noch verliebter und noch tragischer. Ihre Affäre lebte mit neuer ozeanischer Elementargewalt auf, die Wellen der Liebe trugen sie in ungeahnte Höhen und rissen sie in abgrundtiefe Strudel. Womöglich war es genau das, wonach Veras Herz dürstete. In jenen Jahren träumte sie immer wieder denselben Traum: In einer ganz alltäglichen Situation, zum Beispiel beim Teetrinken mit ihrer Mutter am ovalen kleinen Tisch, entdeckte sie plötzlich, daß eine Wand im Zimmer fehlte, an deren Stelle gähnte die endlose Dunkelheit eines Zuschauerraums voller stummer, regloser Zuschauer.

Wie früher kam Lewandowski drei-, viermal im Jahr nach Moskau, übernachtete meist im Hotel »Moskwa«, und Vera eilte zu ihm. Sie hatte sich mit ihrem Schicksal abgefunden, und erst eine späte Schwangerschaft änderte den Lauf ihres Lebens.

Ihre Affäre währte lange, genau wie Vera es sich in ihrer Jugend prophezeit hatte – »bis zum Tod«.

 

 

2

 

Während der Schwangerschaft deutete alles auf ein Mädchen: Veras Bauch war nicht birnen-, sondern apfelförmig, das Gesicht weich aufgedunsen, körnige braune Pigmentflecke um die Augen, und die Bewegungen des Kindes waren sanft, nie grob. Alle rechneten fest mit einem Mädchen, vor allem Veras Mutter, Jelisaweta Iwanowna. Weit entfernt von jedem Aberglauben, bereitete sie sich frühzeitig auf die Geburt ihrer Enkelin vor, und obgleich sie sich nicht bewußt auf Rosa beschränkte, war am Ende fast die gesamte Babyausstattung rosa: Strampler, Windeln, selbst eine wollene Strickjacke.

Das Kind war unehelich, Vera nicht mehr jung – achtunddreißig. Doch diese Umstände hinderten Jelisaweta Iwanowna keineswegs, sich auf das bevorstehende Ereignis zu freuen. Sie selbst hatte spät geheiratet, ihre einzige Tochter mit fast dreißig zur Welt gebracht und schließlich mit drei Kindern als Witwe dagestanden: mit der sieben Monate alten Vera und zwei halbwüchsigen Stieftöchtern. Sie hatte sich irgendwie durchgeschlagen und die Mädchen großgezogen. Die ältere Stieftochter war dann neunzehnhundertvierundzwanzig aus Rußland emigriert und nicht zurückgekehrt. Die jüngere, mit ganzem Herzen der neuen Macht zugetan, hatte den Kontakt zur Stiefmutter, die noch der alten Ordnung anhing, also rückständig und gefährlich war, abgebrochen, einen sowjetischen Funktionär geheiratet und war vor dem Krieg in einem Stalinschen Lager umgekommen.

Jelisaweta Iwanowna, durch ihre gesamte Lebenserfahrung zu Toleranz und Mut erzogen, erwartete das kleine Mädchen, den unerwarteten Familienzuwachs, mit offenem Herzen. Eine Tochter war Familie, eine Tochter war Freundin, eine Tochter war eine Stütze – darauf fußte auch ihr eigenes Leben.

Als statt des Mädchens ein Junge zur Welt kam, waren beide, Mutter und Großmutter, verwirrt: Dahin waren die heimlichen Pläne, das schöne Familienporträt, das ihnen vorgeschwebt hatte: Jelisaweta Iwanowna vor dem wunderschönen holländischen Kachelofen, die Hand auf der Schulter der vor ihr sitzenden Vera, und auf Veras Schoß ein reizendes lockenköpfiges Mädchen. Wie in dem Kinderrätsel: zwei Mütter, zwei Töchter und eine Großmutter mit Enkelin.

Das Gesicht des Kindes hatte sich Vera schon in der Entbindungsklinik genau angesehen, doch zu Hause wickelte sie es zum erstenmal aus und war unangenehm überrascht von dem, verglichen mit den winzigen Füßchen, riesigen knallroten Säckchen und dem augenblicklich in die Höhe schnellenden unziemlichen Zipfel. Während sie noch verwirrt dieses allbekannte Phänomen anstarrte, traf ein warmer Strahl ihr Gesicht.

»Na, so ein Schlingel«, sagte die Großmutter lachend und befühlte die Windel, die trocken geblieben war. »Paß auf, Vera, der wird immer trocken aus dem Wasser kommen.«

Der Säugling spielte mit seinem Gesicht, zusammenhanglos wechselten die Gesichtsausdrücke: Die Stirn legte sich in Falten, die Lippen lächelten. Er weinte nicht und gab nicht zu erkennen, ob es ihm gutging oder schlecht. Vermutlich fand er alles, was um ihn herum vorging, erstaunlich.

»Ganz der Großvater. Er wird mal ein richtiger Mann, schön und stattlich«, sagte Jelisaweta Iwanowna zufrieden.

»Manche Körperteile sind jetzt schon ziemlich üppig«, bemerkte Vera vielsagend. »Genau wie bei seinem Vater.«

Jelisaweta Iwanowna winkte ab. »Nein, nein, Vera, du hast keine Ahnung – das ist bei allen Männern der Korns so.«

Damit war ihre persönliche Erfahrung in dieser Frage erschöpft, und sie gingen zur nächsten über: Wie sie beide, zwei schwache Frauen, einen richtigen starken Mann großziehen sollten. Aus sentimentalen familiären Gründen stand der Name für das Kind fest: Alexander – Schurik, wie die beiden Frauen ihn sogleich nannten.

Vom ersten Tag an wurden die Pflichten aufgeteilt: Vera übernahm das Stillen und Jelisaweta Iwanowna alles übrige.

Sport, eine männliche Erziehung und keinerlei Verweichlichung – so definierte Jelisaweta Iwanowna die vorrangigen Aufgaben. Und tatsächlich, sobald der Nabel verheilt war, sorgte sie für die körperliche Ertüchtigung ihres Enkels: Sie ließ eine Masseurin kommen und verabreichte dem Kind täglich Abgüsse mit kühlem, abgekochtem Wasser. Um echte männliche Beschäftigungen zu gewährleisten, erstand sie im Kinderkaufhaus beizeiten ein Holzgewehr, Spielzeugsoldaten und ein Pferd auf Rädern. Mit Hilfe dieser schlichten Gegenstände beabsichtigte Jelisaweta Iwanowna dem Jungen den Kummer der Vaterlosigkeit zu ersparen – deren wahres Ausmaß sich binnen kurzem herausstellen würde – und ihn zu einem richtigen Mann zu erziehen: verantwortungsbewußt, fähig zu eigenständigen Entscheidungen, selbstbewußt – eben so, wie ihr verstorbener Mann gewesen war.

»Du mußt dir das Prinzip des maximalen Abstands antrainieren«, belehrte sie ihre Tochter einige Tage nach der Entlassung aus der Entbindungsklinik, weit vorauseilend. »Wenn das Kind größer ist, schließlich deine Hand losläßt und den ersten Schritt von dir weg tut, dann mußt du einen Schritt in die entgegengesetzte Richtung machen. Eine schreckliche Gefahr bei alleinerziehenden Müttern ist nämlich«, präzisierte Jelisaweta Iwanowna erbarmungslos, »daß sie mit dem Kind zu einer Einheit verschmelzen.«

»Was redest du da, Mama«, entgegnete Vera gekränkt, »das Kind hat schließlich einen Vater, und der wird sich an seiner Erziehung beteiligen.«

»Er wird soviel Nutzen bringen, wie ein Ziegenbock Milch gibt. Das kannst du mir glauben«, versicherte Jelisaweta Iwanowna energisch.

Das war um so kränkender für Vera, weil bereits abgesprochen und beschlossen war: In ein paar Tagen würde der glückliche Vater kommen, um sich endlich mit seiner Geliebten zu vereinen. In diesem Punkt gingen die Meinungen von Mutter und Tochter, die einander abgöttisch liebten, auseinander. Jelisaweta Iwanowna verachtete Veras Geliebten und hatte viele Jahre gehofft, ihre Tochter würde einen Besseren finden als diesen zartbesaiteten erfolglosen Künstler. Allerdings wußte sie aus eigener Erfahrung, wie schwer das Alleinsein für eine Frau war, besonders für eine Frau wie Vera, eine Künstlernatur, die für die Grobheit der heutigen Männer nicht geschaffen war. Nun, letztlich war irgendeiner besser als keiner.

»Ist ein Fräulein noch so fein, will es doch gevögelt sein«, knurrte sie nicht ganz passend. Sie liebte Sprichwörter und Redensarten und kannte eine Unmenge davon, sogar auf Latein. Eigentlich sehr streng in ihrer Sprache, benutzte sie mitunter derbe, obszöne Ausdrücke, wenn diese durch das phraseologische Wörterbuch geheiligt waren.

»Also weißt du, Mama«, sagte Vera empört, »das geht zu weit …«

Jelisaweta Iwanowna besann sich. »Oh, entschuldige, entschuldige, ich wollte dich auf keinen Fall beleidigen.«

Trotz der Grobheit ihrer Mutter antwortete Vera mit einer Rechtfertigung: »Mama, du weißt doch, er ist auf Gastspielreise.«

Jelisaweta Iwanowna sah das betrübte Gesicht ihrer Tochter und lenkte ein: »Ach, zum Teufel mit ihm, Vera. Wir kriegen unseren Kleinen auch allein groß.«

Ihre Prophezeiung sollte sich erfüllen. Lewandowski verunglückte einen Monat nach der Geburt des kleinen Alexander. Von der ersten Begegnung mit seinem Sohn nach Leningrad zurückgekehrt, geriet er vor dem Moskauer Bahnhof unter ein Auto. Der betagte Vater war endgültig entschlossen gewesen, sich von seiner reckenhaften Sonja zu trennen, ihr und der Tochter die Leningrader Wohnung zu überlassen und nach Moskau zu ziehen. Die ersten beiden Punkte waren erfüllt. Nur zum Umzug kam Lewandowski nicht mehr.

Vera erfuhr von Lewandowskis Tod erst eine Woche nach der Beerdigung. Beunruhigt, weil er sich nicht meldete, versuchte sie einen Freund von Lewandowski zu erreichen, der über ihr Verhältnis Bescheid wußte, doch der war gerade verreist. Sie faßte sich ein Herz und rief bei Lewandowski zu Hause an. Sonja teilte ihr mit, daß er tot sei.

Die junge Mutter, »Spätgebärende«, wie man sie in der Klinik eingeordnet hatte, und alte Geliebte – zu der Zeit währte ihre Romanze bereits zwanzig Jahre – wurde unverhofft Witwe, noch bevor sie hatte heiraten können.

Der schwarzhaarige Knabe stopfte sich die geballte Faust in den Mund, sog energisch daran, schnaufte, machte die Windeln voll und weilte im Zustand sorgloser Zufriedenheit. Der Kummer seiner Mutter scherte ihn nicht. Anstelle der versiegten Muttermilch bekam er nun verdünnte, leicht gesüßte Kuhmilch, die er bestens vertrug.

 

 

3

 

Gegen Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts kamen Familienlegenden in Mode, was viele verschiedene Ursachen hatte, in erster Linie wohl den unterbewußten Wunsch, eine entstandene Lücke auszufüllen.

Soziologen, Psychologen und Historiker werden irgendwann herausfinden, warum so viele Menschen zur selben Zeit genealogische Nachforschungen anstellten. Nicht jeder konnte adlige Vorfahren ausgraben, doch auch Kuriositäten hatten ihren familiengeschichtlichen Wert – eine Großmutter etwa, die der erste Arzt in Tschuwaschien gewesen war, ein Mennonit niederländischer Abstammung oder, noch pikanter, ein Henker der Folterkammer Peters des Großen.

Schurik brauchte seine Phantasie nicht sonderlich anzustrengen – die Legende seiner Familie war überzeugend dokumentiert durch mehrere Zeitungsausschnitte aus dem Jahr neunzehnhundertsechzehn, eine wunderschöne Rolle dicken – und nicht etwa dünnen, wie Unwissende meinen – japanischen Papiers und ein auf faserigen blaßgrauen Karton geklebtes Foto von noch immer verblüffender Qualität. Das Foto zeigte einen kräftigen Mann mit schwerem, massigem Kinn auf dem Stehkragen eines vornehmen Hemdes – seinen Großvater Alexander Nikolajewitsch Korn, neben ihm den Prinzen Kotohito Kanin, den Cousin des Mikado, der eine lange Reise von Tokio nach Petersburg unternommen hatte, größtenteils auf der Strecke der Transsibirischen Eisenbahn. Korn, der technische Direktor der Eisenbahnverwaltung, ein Mann von europäischer Bildung und tadellosen Manieren, war der Chef dieses Sonderzuges gewesen.

Die Aufnahme war am neunundzwanzigsten September 1916 im Fotoatelier des Herrn Johansson auf dem Newski-Prospekt entstanden, wie die kunstvolle blaue Inschrift auf der Rückseite belegte. Der Prinz selbst machte leider nicht viel her: keine japanische Tracht, kein Samuraischwert. Ganz normale europäische Kleidung, ein rundes Gesicht mit schmalen Augen, kurze Beine – er sah aus wie ein x-beliebiger Chinese aus einer der Wäschereien, die es damals in Petersburg bereits gab. Von einem Wäschereichinesen unterschied ihn allerdings der undurchdringliche Hochmut, den die zu einem glatten Lächeln verzogenen Lippen keineswegs abmilderten.

Der mündliche Teil der Familienlegende, nacherzählt von Großmutter, enthielt Großvaters Erinnerungen: Das ausgiebige Teetrinken im Pullman-Sonderzug, während draußen tagelang die Taiga vorüberzog, schillernd im Herbstbunt der Laubbäume und im düsteren Dunkelgrün der Nadelbäume.

Der Großvater hatte eine hohe Meinung von dem japanischen Prinzen. Er hatte an der Sorbonne studiert, war ein kluger Kopf und ein freidenkerischer Snob. Sein Freidenkertum äußerte sich vor allem darin, daß er sich die für einen japanischen Aristokraten unerhörte Freiheit herausnahm, persönlichen, ja vertrauten Umgang mit Herrn Korn zu pflegen, der im Grunde nur Dienstpersonal war, wenn auch auf höchster Ebene.

Prinz Kotohito hatte acht Jahre in Paris gelebt, war ein großer Verehrer der neuen französischen Malerei, besonders von Matisse, und traf in Korn auf einen verständnisvollen Gesprächspartner, wie er in Japan keinen fand. Die »Goldfische« kannte Korn nicht, glaubte dem Prinzen aber aufs Wort, daß Matisse gerade in diesem Werk die deutlichsten Spuren seines aufmerksamen Studiums der japanischen Kunst offenbarte.

Korn war neunzehnhundertelf das letztemal in Paris gewesen, vor dem Krieg, als die »Goldfische« noch Rogen im Kopf des Malers waren, doch dafür hatte Matisse in jenem Jahr auf der Herbstausstellung ein anderes Meisterwerk präsentiert, seinen »Tanz«. An dieser Stelle ging Großmutter stets von Großvaters Berichten fließend über zu ihren eigenen Erinnerungen an jene letzte gemeinsame Auslandsreise, und Schurik, der die Bekanntschaft seines Großvaters mit einem japanischen Prinzen mühelos schluckte, sträubte sich innerlich zu glauben, daß seine Großmutter leibhaftig in Paris gewesen war, einer Stadt, deren Existenz eher ein Faktum der Literatur denn des Lebens war.

Großmutter bereiteten diese Erzählungen viel Vergnügen, und sie übertrieb es damit wohl ein wenig. Schurik hörte ihr brav zu und schaukelte in ungeduldiger Erwartung des längst bekannten Ausgangs der Geschichte sacht mit den Beinen. Er stellte nie zusätzliche Fragen, doch das verlangte Großmutter auch nicht. Mit den Jahren erstarrten ihre schönen Geschichten und lagen wohl als unsichtbare Knäuel zusammen mit den Fotos und der Papierrolle in der Schublade ihres Sekretärs. Die Schriftrolle war übrigens eine Urkunde, die bestätigte, daß Herr Korn den Orden der Aufgehenden Sonne verliehen bekommen habe, die höchste staatliche Auszeichnung in Japan.

Neunundsechzig erfolgte der große Umzug der Familie aus der Kamergerski-Gasse – Jelisaweta Iwanowna benutzte starrsinnig und prophetisch ausschließlich die alten Namen – in die Nähe des Belorussischen Bahnhofs, in die Nowolesnaja-Straße. In der neuen, unglaublich geräumigen und wunderschönen Dreizimmerwohnung zeigte die Großmutter ihrem fünfzehnjährigen Enkel zum erstenmal das Herzstück der Legende: Es lag in drei ineinandersteckenden Hüllen, deren oberste nicht original war – eine schmucklose Schatulle aus karelischer Birke. Dafür waren die beiden inneren echt japanisch, eine aus apfelgrünem Nephrit, eine aus Seide, graugrün schillernd wie das Meer im Winter. Darin ruhte er: der Orden der Aufgehenden Sonne. Der Schatz war tot und seines Ruhmes beraubt, übrig war nur noch das Edelmetallskelett, die vielen Brillanten aber, die seine Seele und strenggenommen seinen wesentlichen materiellen Wert ausmachten, fehlten, an sie erinnerten nur noch leere Fassungen.

»Die Steine haben wir aufgegessen. Die letzten sind für diese Wohnung draufgegangen«, informierte Jelisaweta Iwanowna ihren Enkel, der mit seinen fünfzehn Jahren einem einjährigen Schäferhundwelpen ähnelte, bei dem Körper und Pfoten bereits ausgewachsen, Brustkorb und männliches Auftreten jedoch noch unterentwickelt sind.

»Wie hast du sie denn da rausgekriegt?« Den jungen Mann interessierte mehr die technische Seite.

Jelisaweta Iwanowna zog eine Haarnadel aus ihrem hochgesteckten Zopf, fuchtelte damit in der Luft herum und erklärte: »Mit einer Haarnadel, Schurik, mit einer Haarnadel! Damit ließen sie sich prima rauspolken. Wie Weinbergschnecken.«

Schurik hatte zwar noch nie Schnecken gegessen, aber es klang überzeugend. Er drehte das Rudiment des Ordens hin und her und gab es zurück.

»Fünfzig Jahre ist dein Großvater nun schon tot. Und die ganzen Jahre hat er der Familie geholfen zu überleben. Diese Wohnung, Schurik, das ist sein letztes Geschenk an uns.« Mit diesen Worten steckte sie den Orden wieder in seine innere Hülle, dann in die zweite und packte ihn schließlich in die Holzschatulle. Die Schatulle schloß sie mit einem winzigen Schlüssel an einem ausgeblichenen grünen Bändchen ab, den Schlüssel legte sie in eine Teedose.

»Wie hat er denn geholfen, wenn er schon tot war?« hakte Schurik nach, die gelbbraunen Augen unter den runden Brauen weit aufgerissen.

»Also wirklich, du hast einen Verstand wie ein Fünfjähriger«, ärgerte sich Jelisaweta Iwanowna. »Aus dem Jenseits! Ich habe natürlich einen Stein nach dem anderen verkauft.«

Mit geübtem Handgriff steckte sie die Haarnadel wieder an ihren Platz und klappte den Sekretär zu.

Schurik ging in sein Zimmer, an das er sich noch nicht richtig gewöhnt hatte, und schaltete das Tonbandgerät ein. Musik heulte auf. Er mußte über das Gehörte nachdenken – es war wichtig, ergab aber zugleich überhaupt keinen Sinn, und bei Musik konnte er besser denken.

Sein Zimmer unterschied sich in der Größe kaum von der durch zwei Bücherschränke und ein Notenregal abgeteilten Ecke, in der er bislang gehaust hatte. Allerdings gab es hier eine Tür mit kleinem Kugelgriff, sie ließ sich richtig verschließen, wobei das Schloß sogar leise klackte, und das gefiel ihm so sehr, daß er, um den Effekt zu verstärken, noch ein Schild an die Tür hängte: »Ohne Anklopfen kein Eintritt«. Doch das verstand sich ohnehin von selbst. Mutter wie Großmutter respektierten seine männliche Welt von seiner Geburt an. Die männliche Existenz war für sie ein Rätsel, ja ein Mysterium, und sie beide warteten voller Ungeduld auf den Tag, da Schurik ein erwachsener Korn sein würde – ernst, zuverlässig, mit massigem, festem Kinn und Macht über die dumme Umwelt, in der ständig alles zerbrach, zerfloß, kaputtging und nur mit männlicher Hand wieder repariert, überwunden oder gar neu geschaffen werden konnte.

 

 

4

 

Jelisaweta Iwanowna stammte aus der reichen Kaufmannsfamilie Mukossejew, die zwar nicht so berühmt war wie die Jelissejews, die Filippows oder die Morosows, doch ebenfalls durchaus erfolgreich und in ganz Südrußland bekannt.

Ihr Vater Iwan Mukossejew handelte mit Getreide, fast die Hälfte des gesamten Getreidegroßhandels von Südrußland lag in seiner Hand. Jelisaweta war die älteste von fünf Schwestern, die gescheiteste und zugleich die häßlichste: Sie hatte hervorstehende Kaninchenzähne, so daß sie den Mund nicht ganz schließen konnte, und ein kleines Kinn, dafür eine große, gewölbte Stirn, die das ganze Gesicht überschattete. Ihre Zukunft stand von vornherein fest: Sie würde ihre Nichten und Neffen großziehen. Das war nun einmal das Los alter Jungfern. Ihr Vater liebte sie, bedauerte sie wegen ihrer Häßlichkeit und schätzte ihren wendigen Geist und ihre Auffassungsgabe.

Je mehr Töchter geboren wurden, ohne daß ein Stammhalter in Sicht gewesen wäre, desto aufmerksamer richtete der Vater den Blick auf sie, und obgleich er strikt patriarchalische Ansichten vertrat, schickte er sie aufs Gymnasium. Während die jüngeren Töchter an Schönheit zunahmen, wurde die Älteste reicher an Wissen.

Nach der Geburt der fünften Tochter wurde ihre Mutter schwer krank und stellte das Gebären ein, und fortan kümmerte sich der Vater noch intensiver um Jelisaweta. Nach dem Abschluß des Gymnasiums schickte er sie an die einzige Handelsschule, die auch Mädchen nahm, nach Nishni Nowgorod.

Jelisaweta fuhr folgsam an die Handelsschule, kehrte aber bald zurück und erklärte dem Vater entschieden, die Ausbildung sei sinnlos, dort könne man nichts lernen, was nicht jeder Dummkopf ohnehin wisse, und wenn er in ihr wirklich eine gute Stütze haben wolle, dann solle er sie nach Zürich oder nach Hamburg schicken, denn dort lerne man wirklich etwas, und zwar nicht wie in grauer Vorzeit, sondern moderne wissenschaftliche Ökonomie.

Dunja, Mukossejews zweite Tochter, war bereits verheiratet. Natascha, die dritte, stand kurz davor, und die beiden jüngsten würden auch nicht lange sitzenbleiben: Sie erhielten eine anständige Mitgift und waren hübsch. Dunja hatte sich bereits ans Gebären gemacht, zum großen Verdruß ihres Vaters aber als erstes ein Mädchen bekommen. Solange die Töchter keinen Erben zur Welt brachten, lief alles wohl darauf hinaus, daß Jelisaweta das Geschäft in ihre starken Hände nehmen mußte. Kurzum – er schickte seine Tochter zur Ausbildung ins Ausland. Sie trat die Reise in die Schweiz an wie den Weg in die Ehe – von Kopf bis Fuß neu eingekleidet, mit zwei nach Leder duftenden Koffern, mit Wörterbüchern und Segenswünschen ausgestattet.

In Zürich entflammte sie für den neumodischen Beruf und verlor, trotz der gewichtigen Segenswünsche, den Glauben ihrer Vorfahren so unversehens und schmerzlos, wie man einen Schirm in der Straßenbahn vergißt, wenn der Regen vorbei ist. So verließ sie mit ihrer häuslichen Welt auch die angestammte Religion, die altbackene Orthodoxie, in der sie nur noch die Papierblumen, die goldenen Meßgewänder und den allumfassenden Aberglauben sah. Wie viele junge Leute ihrer Generation, und nicht die schlechtesten, wandte sie sich einer neuen Religion zu, die eine neue Dreifaltigkeit predigte: den schlichten Materialismus, die Evolutionstheorie und jenen »reinen« Marxismus, der sich noch nicht mit sozialen Utopien eingelassen hatte. Kurz, sie eignete sich, wie man damals meinte, progressive Ansichten an, schloß sich aber entgegen der weitverbreiteten Mode keiner revolutionären Bewegung an.

Nach einem Jahr Studium in Zürich fuhr Jelisaweta in den Ferien nicht etwa nach Hause, sondern trat eine Frankreichreise an. Es wurde eine kurze Reise: Paris bezauberte sie so sehr, daß sie nicht einmal bis zur Côte d’Azur kam. Sie schrieb ihrem Vater, sie werde nicht nach Zürich zurückkehren, sondern in Paris bleiben und französische Sprache und Literatur studieren. Der Vater war erzürnt, aber nicht allzu sehr. Inzwischen war der langersehnte Enkel geboren, und tief im Innern nahm er »Lisas Bockigkeit« als Beweis für die weibliche Minderwertigkeit und sagte sich, daß er umsonst für die älteste Tochter eine Ausnahme gemacht habe.

Nein, daß ein Weib häßlich ist, macht sie noch lange nicht zum Mann, entschied er. Spuckte aus und befahl seiner Tochter zurückzukehren. Strich ihr die Unterstützung. Doch Jelisaweta hatte es nicht eilig mit der Heimkehr. Sie studierte, nebenbei arbeitete sie – kurioserweise ausgerechnet in der Buchhaltung einer kleinen Bank. Das in der Schweiz erworbene Wissen erwies sich als äußerst nützlich.

Nach Rußland kehrte Jelisaweta erst drei Jahre später zurück, Ende neunzehnhundertacht, und zwar mit der festen Absicht, getrennt von der Familie ein eigenständiges Leben zu führen. Sie war inzwischen eine rundum europäisch emanzipierte Frau, sie rauchte sogar, doch da der französische Charme nicht auf sie abgefärbt hatte und sie gut erzogen war, fiel ihre Emanzipiertheit nicht weiter auf. Sie hätte gern französische Literatur unterrichtet, doch im Staatsdienst lehnte man sie ab, und Gouvernante wollte sie nicht werden. Nachdem sie eine Weile eine passende Arbeit gesucht und ein totales Fiasko erlitten hatte, nahm sie ein überraschendes Angebot an: Der Mann einer Gymnasiumsfreundin brachte sie in der Statistikabteilung des Verkehrsministeriums unter.

In jenen Jahren wurden die privaten Eisenbahnen endgültig in staatliche Verwaltung überführt, und der Mann, der dieses langjährige staatswichtige Projekt umsetzte, war Alexander Nikolajewitsch Korn. Jelisaweta Iwanowna wurde ihm untergeordnet, auf der bescheidenen Stelle einer Statistikerin. Bereits nach einem halben Jahr übertrug er die kompliziertesten Aufgaben, nämlich die Frachtbeförderung und die Ermittlung der Unterhaltskosten pro Werst, ausschließlich Jelisaweta Iwanowna. Niemand kannte sich mit Rubeln und Frachtkilometern so gut aus wie sie.

Der alte Mukossejew hatte sich in seiner Tochter nicht geirrt, ihre kaufmännischen Fähigkeiten waren überragend. Alexander Nikolajewitsch Korn, ein solider Witwer Mitte vierzig und Vater zweier Töchter, betrachtete die freundliche, nette Kollegin mit wachsender Sympathie, und im dritten Jahr machte er ihr einen Heiratsantrag. Dieser Umstand verdient ein Ausrufungszeichen. Keine ihrer hübschen Schwestern konnte von einer solchen Heirat auch nur träumen. Nach der Hochzeit löste sich Jelisaweta gänzlich von den diversen Ideen ihrer Jugend, absolvierte das Pädagogische Institut und widmete sich mit Erfolg der Pädagogik. Nicht, daß sie enttäuscht war von den Idealen ihrer Jugend, aber sie dünkten ihr plötzlich nicht recht schicklich, und was sie aus früheren Zeiten bewahrte, waren keine großen Prinzipien, sondern alltägliche Grundsätze: gewissenhaft und uneigennützig seine Arbeit verrichten, keine schlechten Taten begehen, wobei gut und schlecht sich ausschließlich am eigenen Gewissen orientierten, und gerecht sein gegenüber anderen. Letzteres hieß für sie, sich bei allem Tun nicht nur nach den eigenen Interessen zu richten, sondern auch die Interessen anderer zu berücksichtigen. Das hätte maßlos öde sein können, war aber dank Jelisawetwas Aufrichtigkeit und Natürlichkeit sehr lebendig. Korns Töchter gewannen sie lieb, ihr Verhältnis zueinander war gut und entspannt. Die kleine Halbschwester Vera wurde von den beiden Älteren abgöttisch geliebt.

Im Sommer 1917 starb Alexander Nikolajewitsch Korn überraschend, und Jelisaweta Iwanownas weibliche Waage von Freud und Leid blieb für immer ausgeglichen – die glücklichen Jahre ihrer Ehe konnte ihr niemand mehr nehmen. Alles Unglück, alle Widrigkeiten und Entbehrungen, die nach dem Tod ihres Mannes über sie hereinbrachen, schrieb sie viele Jahre lang seiner Abwesenheit zu. Selbst die kurz darauf folgende Revolution betrachtete sie als eine der unangenehmen Folgen seines Todes. Offenbar hatte er nicht ohne Grund oft ihre Naivität und natürliche Unschuld verspottet. Diese Eigenschaften behielt sie ihr Leben lang.

Sie besaß kaum Humor, und da sie um diese ihre Schwäche wußte, wiederholte sie ständig die gleichen Scherze und Bonmots. Der kleine Schurik hörte von ihr oft die kokette Erklärung: »Ich bin nie sprachlos. Ich unterrichte mehrere Sprachen.«

Sie war eine großartige Lehrerin, und ihre eigenwillige Methodik war für Kinder sehr reizvoll und für Erwachsene äußerst effektiv. Am liebsten arbeitete sie mit Kindern, obgleich sie ihr Leben lang an einer Hochschule unterrichtete und trockene, uninteressante Lehrbücher schrieb.

Für ihren Privatunterricht stellte sie meist eine Gruppe von zwei, drei Kindern zusammen, oft unterschiedlichen Alters, denn sie erinnerte sich gut daran, wie toll es war, mit den Geschwistern gemeinsam zu lernen – aus Sparsamkeit wurde in ihrer Familie stets nur ein Lehrer für alle engagiert.

In der ersten Französischstunde brachte sie ihren Schülern bei, was »pinkeln«, »kacken« und »kotzen« auf französisch heißt, also Wörter, die man in einem anständigen Haus nicht benutzen durfte. Damit war Französisch vom ersten Tag an eine Art Geheimsprache für Eingeweihte. Für einen besonderen Zusammenhalt sorgte das Krippenspiel auf französisch, das Jelisaweta Iwanowna mit ihren Schülern im Laufe des ganzen Jahres erarbeitete. Diese Aufführung hatte etwas Subversives: Die russischen Machthaber, die sich stets in die innersten Belange ihrer Bürger einmischten, bekämpften das Christentum in jenen Nachkriegsjahren mit derselben Entschiedenheit, mit der sie in früheren Zeiten für dessen Verbreitung gestritten hatten und mit der sie es viele Jahre später erneut einführen sollten. Jelisaweta Iwanowna demonstrierte mit den Weihnachtsaufführungen ihre strikte Unabhängigkeit und ihren Respekt vor kulturellen Traditionen.

Schurik spielte darin im Laufe der Zeit alle Rollen. Die erste, das Jesuskind, das meist von einer in eine alte braune Decke gehüllten Puppe verkörpert wurde, bekam er mit drei Monaten. In der letzten Aufführung, ein halbes Jahr vor dem Tod seiner Großmutter, spielte er den alten Joseph, wobei er zum Entzücken der heiligen drei Könige, der Hirten und des Esels seinen Text witzig entstellte.

Der Unterricht fand stets bei Jelisaweta Iwanowna zu Hause statt, so daß Schurik, ob er nun eine besondere Begabung dafür hatte oder nicht, die Sprache zwangsläufig mitlernte: Das Zimmer in der Kamergerski-Gasse war zwar groß, aber es war ihr einziges. Er konnte sich nirgendwohin zurückziehen, und so hörte er immer dieselben Lektionen des ersten, zweiten und dritten Unterrichtsjahres. Mit sieben sprach er mühelos Französisch; als er älter war, konnte er sich nicht einmal mehr erinnern, wann er die Sprache eigentlich gelernt hatte. »Noël, Noël …« war ihm vertrauter als das russische Lied vom Tannenbäumchen.

Als er zur Schule kam, begann die Großmutter, ihn in Deutsch zu unterrichten, das er im Gegensatz zu Französisch bewußt als Fremdsprache wahrnahm, und er lernte es ebenso mühelos. In der Schule hatte er keine Probleme, in seiner Freizeit spielte er auf dem Hof Fußball, trieb ein wenig Sport, trat zum großen Entsetzen seiner Mutter sogar in eine Boxsektion ein, zeigte aber keinerlei ausgeprägte Interessen. Fast bis zu seinem vierzehnten Lebensjahr war Vorlesen sein liebster häuslicher Zeitvertreib. Das Vorlesen übernahm natürlich die Großmutter. Sie las wunderbar, ausdrucksvoll und schlicht, und so verdöste er, neben seiner gemütlichen Großmutter auf dem Sofa liegend, den ganzen Gogol, Tschechow und den von Jelisaweta Iwanowna besonders geliebten Tolstoi. Später dann Victor Hugo, Balzac und Flaubert. Das war nun einmal der Geschmack von Jelisaweta Iwanowna.

Auch seine Mutter leistete ihren Beitrag zu seiner Erziehung: Sie ging mit ihm in gute Theateraufführungen und Konzerte, nahm ihn sogar zu begehrten Gastspielen mit – so sah er als kleiner Junge den großen Paul Scofield als Hamlet, was er mit Sicherheit vergessen haben würde, hätte Vera ihn nicht von Zeit zu Zeit daran erinnert. Und natürlich besuchte er die schönsten Neujahrsfeiern der Hauptstadt – im Haus des Schauspielers, im Theaterverein, im Haus des Films. Kurz – es war eine glückliche Kindheit.

 

 

5

 

Mutter und Großmutter, zwei breitflügelige Engel, standen stets zu seiner Linken und zu seiner Rechten. Diese Engel waren nicht fleisch- und geschlechtslos, sondern spürbar weiblich, und von klein auf bildete sich bei Schurik unbewußt das Gefühl heraus, das Gute an sich sei etwas Weibliches, das von außen kam und ihn, der im Zentrum stand, umgab. Zwei Frauen beschützten ihn von Geburt an, berührten hin und wieder mit der Hand seine Stirn – hatte er auch kein Fieber? In ihren seidigen Rockschößen barg er sein Gesicht, wenn er sich genierte; an ihre Brüste, die weiche, nachgiebige der Großmutter und die kleine, feste der Mutter, lehnte er sich vor dem Einschlafen. Diese Liebe kannte keine Eifersucht und keinen Kummer: Beide Frauen liebten ihn mit ihrer ganzen seelischen Kraft, wetteiferten darin, ihm zu dienen, wenn auch auf verschiedene Weise. Sie stritten nicht um ihn, sondern stärkten im Gegenteil sein Bestätigung heischendes Selbstbewußtsein. Aufrichtig und unisono lobten sie ihn, spornten ihn an, waren stolz auf ihn, freuten sich über seine Erfolge. Er dankte ihnen ihre Liebe mit vollkommener Gegenseitigkeit, und sie stellten ihm nie die sinnlose Frage, wen von ihnen beiden er mehr liebe.

Das Gespenst der Vaterlosigkeit, das sie beide einst gefürchtet hatten, kam gar nicht erst auf. Als er »Mama« und »Oma« sagen konnte, zeigten sie ihm ein Foto, auf dem der verstorbene Lewandowski unbestimmt lächelte, und sagten: »Papa«. Etwa sieben Jahre lang genügte ihm das vollauf, erst in der Schule bemerkte er eine gewisse Unvollständigkeit seiner Familie. Er fragte: »Wo?« und bekam die wahre Antwort: »Gestorben.« Schurik wußte, daß sein Vater Pianist gewesen war, und nahm das alte Klavier in der Wohnung als Zeugnis seiner früheren Anwesenheit.

Wenn für die harmonische Entwicklung eines Kindes tatsächlich zwei erzieherische Kräfte notwendig sind, eine männliche und eine weibliche, so sorgte wohl neben dem Klavier Jelisaweta Iwanowna mit ihrem starken Charakter und ihrer inneren Ruhe für diese Ausgewogenheit.

Die beiden Frauen bewunderten ihren hochgewachsenen, wohlgestalten Jungen und warteten mit Spannung auf die Zeit, da in seinem Leben die dritte, wichtigste Frau auftauchen würde. Beide glaubten, ihr Junge würde früh heiraten und ihre Familie bald wachsen und neue Triebe hervorbringen. Mit banger Neugier betrachteten sie Schuriks Klassenkameradinnen, die an seinem siebzehnten Geburtstag zappligen, geschlechtslosen Twist tanzten, und rätselten: Die vielleicht?

In der Klasse gab es wesentlich mehr Mädchen als Jungen. Schurik war beliebt, zu seinem Geburtstag am sechsten September war fast die gesamte Klasse eingeladen. Nach den Sommerferien hatten alle das Bedürfnis, sich auszutauschen. Außerdem war dieses zehnte Schuljahr ihr letztes vor dem Abitur.

Die braungebrannten Mädchen zwitscherten, lachten überlaut und quiekten, die Jungen standen mehr rauchend auf dem Balkon, als daß sie tanzten. Ab und zu gingen Jelisaweta Iwanowna oder Vera in das große Zimmer, eigentlich das der Großmutter, trugen ein neues Gericht auf und musterten verstohlen die Mädchen. In der Küche tauschten sie augenblicklich ihre Eindrücke aus. Sie waren einhellig der Meinung, daß die Mädchen furchtbar schlecht erzogen seien.

»Töne sind das, wie auf einem Vorstadtbahnhof, dabei sind es doch eigentlich kultivierte Mädchen«, seufzte Jelisaweta Iwanowna. Dann schwieg sie eine Weile, spielte mit den Spitzen ihrer runzligen Finger und bekannte irgendwie widerwillig: »Aber sie sind trotzdem ganz entzückend. Reizend …«

»Ach was, Mama, das kommt dir nur so vor. Sie sind schrecklich vulgär. Ich weiß nicht, was du an ihnen reizend findest«, widersprach Vera empört.

»Die Blonde im blauen Kleid ist ganz reizend, Tanja Iwanowa heißt sie, glaube ich. Und die orientalische Schönheit mit den persischen Brauen, die Schlanke, die ist doch entzückend, finde ich.«

»Ach was, Mama, die Blonde, das ist nicht Tanja Iwanowa, das ist die Gurejewa, die Tochter von Anastassija Wassiljewna, der Geschichtslehrerin. Der fehlt doch jeder zweite Zahn, von wegen reizend, und deine orientalische Schönheit, also ich weiß nicht, was an der schön sein soll, sie hat einen Schnurrbart wie ein Gendarm. Ira Grigorjan, sag bloß, du erinnerst dich nicht an sie?«

»Schon gut, schon gut. Du redest ja wie ein Pferdehändler, Verotschka. Aber Natascha, Natascha Ostrowskaja, was hast du gegen die?«

»Deine Natascha, daß du Bescheid weißt, die geht seit der achten Klasse mit Gija Kiknadse«, bemerkte Vera mit einer Spur persönlicher Gekränktheit.

»Gija?« fragte Jelisaweta Iwanowna erstaunt. »Ist das nicht der komische kleine Dicke?«

»Natascha Ostrowskaja scheint das nicht zu stören.«

Jelisaweta Iwanowna wußte nicht, was Vera wußte: Schurik war seit der fünften Klasse heftig verliebt in Natascha, aber sie hatte dem komischen, schläfrigen Gija den Vorzug gegeben, der meist schwieg, aber wenn er den Mund aufmachte, dann kugelten sich alle vor Lachen – mit seinem Witz konnte sich niemand messen.

Kurz – der Großmutter mißfielen die Mädchen zwar insgesamt, jedes einzelne jedoch fand sie reizend. Vera dagegen hielt Schuriks Schule für die beste in der ganzen Stadt und die Klasse für großartig, es waren ausschließlich Kinder kultivierter Eltern, das heißt, im Grunde mochte Vera sie alle, aber einzeln genommen fand sie an jedem Mädchen abstoßende Makel.

Schurik hingegen gefiel alles – im allgemeinen und im besonderen. Er hatte bereits im Vorjahr Twisten gelernt und mochte diesen komischen Tanz, der aussah, als ziehe man sich nasse, klebende Kleider vom Leib. Ihm gefiel auch die Gurejewa und Ira Grigorjan, selbst Natascha hatte er den Verrat verziehen, zumal Gija sein Freund war. Außerdem gefiel ihm die Obsttorte mit Schlagsahne, die seine Großmutter gebacken hatte. Und das neue Tonbandgerät, das er zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte.

Alles weitere stand für Schurik bereits fest: Er wollte sich an der Philologischen Fakultät bewerben, an der Sektion für Romanistik und Germanistik. Wo auch sonst?