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Christoph Franceschini

Thomas Wegener Friis

Erich Schmidt-Eenboom

SPIONAGE

UNTER

FREUNDEN

Partnerdienstbeziehungen
und Westaufklärung
der Organisation Gehlen
und des BND

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Für die Kapitel über Italien und die Schweiz zeichnen Christoph Franceschini und Erich Schmidt-Eenboom verantwortlich, für Dänemark, Schweden und Finnland Thomas Wegener Friis und Erich Schmidt-Eenboom. Alle übrigen Kapitel stammen von Erich Schmidt-Eenboom.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage als E-Book, April 2017

eISBN 978-3-86284-395-4

Inhalt

Nachwehen des NSA-Skandals: Auch der BND spioniert gegen Freunde – Vorwort

Die beiden Grundprobleme: Eingefleischtes Misstrauen und nationale Interessen

Der Forschungsstand

Der Forschungsansatz

Die Grenzen der Aufarbeitung der Pullacher Partnerdienstbeziehungen

Die Quellenlage

Was man weiß, was man wissen sollte

Die Anfänge der Partnerdienstbeziehungen ab 1947

Der Aufbau der Westaufklärung ab 1950

Die Methoden der Westaufklärung: Abhören und Ablauschen

Die Partnerdienstbeziehungen des BND

Die Entwicklung der Residenturen

Der Schub nach der Wiedervereinigung

Italien, der Vatikan und der Malteserorden – Echte Feinde in Rom?

Don Giovanni und das SCHNEEGLÖCKCHEN

Bruder Johannes

Deckname GUSTAV

Der Privatsekretär

HJ-Führer und Geldsorgen

Ein französischer Faschist

Die SS-Agentin

Die Deckfirmen

Der Südtirol-Konflikt

Eine alte Seilschaft

Die Operation EVA in Italien

Spionage gegen den Vatikan

Langemanns Neuordnung der römischen Verhältnisse

Versuchte Erpressung

Operation VANNI

Abschöpfgespräche in Rom

Ein BND-Panzer in Rom

Operation KUBRA

Das Doppelspiel gegen den BND

Papstattentat und ukrainische Nonnen

Ein problematischer Partner in Rom

Österreich als Operationsbasis und Einflussbereich

Operationen von Org und BND in den ersten Nachkriegsjahren

Der Aufbau der österreichischen Sicherheitsarchitektur ab 1945

Österreichs Militärnachrichtendienst zwischen zwei Vormunden

Die Ausspähung des österreichischen Inlandsnachrichtendienstes

Weitere Ausspähungsziele in Österreich

Die Schweiz – Von Neutralität keine Spur

Die Anfänge

Gemeinsam gegen die DDR

Ein BND-Maulwurf im Schweizer Dienst

Partner und Widerpart

Exkurs: Die frühe Kooperation mit den spanischen Diensten

Frankreich zwischen Partnerschaft und Angriffslust

Der gute Anfang unter Gehlen

Die Kehrseite der Medaille: Geheimdienstaktivitäten gegen Frankreich

Frankreich gegen Deutschland

Die Partnerdienststrukturen ab den 1970er-Jahren

Ein schwieriger Verbündeter – Großbritannien

Anfang mit Hindernissen

Westdeutsche Spionage gegen Großbritannien

Ein bisschen Siegermacht spielen

Britische Spionage gegen die Bundesrepublik

Kleine und große Gefälligkeiten

Partnerdienststrukturen

Gemeinsame Operationen nach der Wende

Geheimdienstkooperation mit Dänemark

Die nachrichtendienstlichen Beziehungen zwischen Dänemark und Westdeutschland

Frühe Kontaktaufnahme zu Reinhard Gehlen

Die Nutzung von deutschem Know-how

Hinter den Linien des Gegners

Dänemark und die Org

Kooperationspartner BND

Streit unter den dänischen Führungskräften

Der kleine Partner

Deutsche und Dänen im Verbund der Nachrichtendienste anderer NATO-Staaten

Vorläufiges Fazit: eine Geschichte schnellen Umdenkens

Die 1970er- und 1980er-Jahre

Die Zusammenarbeit mit Schweden

Frühe Beziehungen zur Organisation Gehlen

Residentur in Stockholm?

Kontakte nach Finnland

Erste Schritte in Richtung Finnland

Partnerbeziehungen nach Finnland

Den großen Bruder im Nacken – Die Vereinigten Staaten von Amerika

Abhängig von Anfang an

Erste nachrichtendienstliche Ansätze der Org in Nordamerika

BND-Aufklärung gegen die USA

Die CIC-Operation CAMPUS

CIA contra BND

US-Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland

Nicht nur Kanzler im Visier

Die Hauptziele

Die Partnerdienstverhältnisse

Anhang

Anmerkungen

Quellen- und Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Personenregister

Über die Autoren

Nachwehen des NSA-Skandals: Auch der BND spioniert gegen Freunde – Vorwort

Seit Edward Snowden im Juni 2013 Zuflucht in Hongkong gesucht hat und zunächst fand, werden wir nahezu täglich mit immer neuen Enthüllungen konfrontiert, die tiefe Einblicke in das Potenzial und die Programme, in die Technik und das Ausspähungsvolumen der US-amerikanischen National Security Agency (NSA) und zum Teil auch in ähnliche Strukturen und Praktiken ihres britischen Pendants Government Communications Headquarters (GCHQ) geben.

Die Weltöffentlichkeit erfuhr, dass die NSA – gestützt auf einen Jahresetat von etwa 10 Milliarden US-Dollar mit einem 100 000-Mann-Heer von Datendieben – ihrem Anspruch, jede Telekommunikation auf dem Globus vollständig zu erfassen, zu durchsieben, zu analysieren und wesentliche Teile sehr langfristig zu speichern, in wachsendem Maß gerecht wird.1 Auch der Bundesnachrichtendienst (BND) stecke mit dem Hauptangreifer auf die verfassungsrechtlich geschützte Privatsphäre der Deutschen sowie auf die ökonomischen und regierungsseitigen Betriebsgeheimnisse der Bundesrepublik nebst ihren europäischen Partnern unter einer Decke, blies der Whistleblower aus dem Moskauer Exil anschließend heraus.2

Bei der medialen und parlamentarischen Aufklärung des NSA-Skandals, die durch die Enthüllungen von Snowden zunächst eine Vielzahl von Gesetzesverstößen des BND bei seiner Zusammenarbeit mit der NSA und nachrichtendienstliche Angriffe der angelsächsischen Verbündeten auf den deutschen NATO-Partner zutage gefördert hat, gab es 2015 eine Wendung, die zahlreiche Fachleute aus den Medien und erst recht das breite Publikum überraschte: Der BND geriet ins Kreuzfeuer der Kritik, weil auch er systematisch befreundete Staaten und internationale Organisationen ausgespäht hatte. Skandalisiert wurden die Ausforschung der Türkei, für die es zahlreiche gute Gründe gibt, oder Lauschangriffe auf das österreichische und belgische Innenministerium, das britische Verteidigungsministerium, europäische Unternehmen wie Eurocopter im französischen Marignane oder eine EADS-Dependance in Warschau, aber auch Banken wie die HSBC, Telekommunikationsunternehmen wie British Telecommunications, ein Flugzentrum der US-Raumfahrtbehörde NASA und eine Abteilung der U. S. Air Force. Im Visier des BND standen auch die Botschaften nahezu aller europäischer Staaten in Berlin sowie zahlreicher Konsulate in der Bundesrepublik.

Von den dem BND von den Amerikanern angeblich untergejubelten Selektoren wurden 40 000 im Laufe der Jahre ausgesondert. 68,7 Prozent dieser Suchbegriffe richteten sich gegen Regierungseinrichtungen von EU-Partnern, weitere gegen deutsche Unternehmen.3

Von 2009 an hörte der BND die Hohe Vertreterin der Europäischen Union (EU) für Außen- und Sicherheitspolitik und gleichzeitig deren Vizepräsidentin Catherine Ashton ab. 2013 sollte das Handy von US-Außenminister John Kerry in die Zielerfassungsliste aufgenommen werden. Der Lauschangriff scheiterte nur, weil ein BND-Mitarbeiter die Ländervorwahl der USA mit der eines afrikanischen Staats verwechselt hatte. Kerrys Kommunikation konnte dennoch über die Überwachung der Anschlüsse des US-Außenministeriums zum Teil erfasst werden.4

Der Bundesregierung schlug eine Welle der (gespielten) Empörung aus europäischen Nachbarstaaten entgegen. Als ruchbar wurde, dass der BND die Online-Kommunikation in Belgien in großem Umfang ausgespäht hatte, leitete die belgische Regierung Untersuchungen ein, und ihr Telekommunikationsminister Alexander De Croo verwies im Mai 2015 süffisant auf die Empörung der Bundeskanzlerin anlässlich der Überwachung ihres Handys durch die NSA.5 Bis Ende 2013 hatten BND und NSA gemeinsam auch französische Politiker wie den Außenminister Laurent Fabius überwacht. Am Rande des europäisch-afrikanischen Gipfeltreffens auf Malta im November 2015 forderte Frankreichs Präsident François Hollande von Angela Merkel öffentlich eine vollständige Aufklärung der Affäre. Die Kanzlerin beschwichtigte damit, dass es sich um eine »indirekte Maßnahme« gehandelt habe, bei der Personen im Visier standen, die sich an Fabius gewandt hatten.6

Wer sich da 2015 die Augen rieb und helle Empörung über die BND-Spionage gegen politisch verbündete Staaten bekundete, war mit der nachrichtendienstlichen Fachliteratur nur wenig vertraut. Aus Dokumenten, die der ehemalige leitende BND-Mitarbeiter Hans Langemann (LÜCKRATH) Anfang der 1980er-Jahre über einen Mittelsmann in die Medienlandschaft streute, ging bereits hervor, dass Pullach nicht auf die Staaten des Warschauer Vertrags allein fixiert war, sondern sich den geheimdienstlichen Rundumblick auf die Fahnen geschrieben hatte. Die Westaufklärung in dieser Operation EVA, die hier noch breiten Raum einnehmen wird, entsprang nicht den Eigenmächtigkeiten einzelner BND-Statthalter und war ebenso wenig ein der Regierung in Bonn verschwiegenes Hausprodukt Reinhard Gehlens, sondern Ausfluss der Auftragssteuerung durch das Bundeskanzleramt.

Im Vorfeld der am 21. Oktober 2016 vom Bundestag verabschiedeten Novelle zum BND-Gesetz hatte sich die Hoffnung breitgemacht, dass in Zukunft nicht nur europäische, sondern alle ausländischen Bürger, Politiker und Institutionen von Ausspähungen des BND verschont bleiben würden. In einer Anhörung im Innenausschuss des Bundestages Ende September 2016 hatte Matthias Bäcker vom Karlsruher Institut für Technologie sogar die Auffassung vertreten, es sei verfassungswidrig, wenn Ausländer gegenüber Bundesbürgern schlechter gestellt und gegen Abhörmaßnahmen weniger geschützt seien.7

Durchgesetzt haben sich jedoch die Hardliner, denn das neue Gesetz zur Auslands-Fernmeldeaufklärung gewährt dem BND größere Spielräume beim Ausspähen von EU-Institutionen, EU-Mitgliedsstaaten und Unionsbürgern, sofern es der Gefahrenabwehr dient oder »wenn dabei ausschließlich Daten über Vorgänge in Drittstaaten gesammelt werden sollen, die von besonderer Relevanz für die Sicherheit der Bundesrepublik sind […] Das Besondere an dieser Regelung ist, dass nunmehr gesetzlich abgesichert ist, was vor einiger Zeit noch bestritten wurde – dass nämlich auch der BND unter Umständen ›Freunde ausspähen‹ muss«,8 analysierte eine Studie der vom Bundeskanzleramt finanzierten Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) im Oktober 2016. Wirtschaftsspionage wird dem BND explizit untersagt, aber die Grenzen zur Wirtschaftsaufklärung bleiben fließend.

Dass die seit Jahrzehnten ausgeübte Spionage unter Freunden, auch die vom BND ausgehende, durch die neue Gesetzeslage – wenigstens zum Teil und über Gummiparagrafen abgedeckt – nun nur legalisiert wurde, ist auch ein Nachweis, den dieses Buch erbringen wird.

In der Tradition Reinhard Gehlens, der sich als Vorreiter bilateraler Zusammenarbeit mit westlichen Nachrichtendiensten gesehen hatte, machte der BND-Vizepräsident Paul Münstermann 1989 den ersten Vorschlag für einen gemeinsamen (west-)europäischen Nachrichtendienst. Kurz nachdem Ernst Uhrlau zum Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt von Gerhard Schröder ernannt worden war, sprach er sich Ende November 1998 für eine engere Zusammenarbeit der europäischen Nachrichtendienste aus, die durch den weiteren europäischen Integrationsprozess anders verzahnt werden müsse. Nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York, nach den islamistischen Attentaten in Madrid und London ist es zum Mantra führender Nachrichtendienstler und Sicherheitspolitiker geworden, dass es eine weit intensivere Kooperation der Dienste bis hin zur Schaffung eines EU-Nachrichtendienstes geben müsse. Nach den Bombenanschlägen in Brüssel 2016 forderten so der Generalbundesanwalt Peter Frank und der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Burkhard Lischka ein europäisches Terrorabwehrzentrum, und Innenminister Thomas de Maizière verlangte die Verknüpfung von verschiedenen Datentöpfen in Europa.9

Herausgekommen ist bisher nur ein wenig funktionierendes »Intelligence Sharing« beim External Action Service der Europäischen Union. Dessen Koordinator ist seit 2015 der vormalige BND-Spitzenbeamte Gerhard Conrad. Er war zuvor Resident des BND in London und damit Kontaktmann zu den hartleibigsten Nationalisten in der intelligence community der NATO-Staaten. Geradezu revolutionär kooperativ hatte sich hingegen der französische Dienst 2015 verhalten. Nach Aussagen des Technikchefs der Direction générale de la Sécurité extérieure (DGSE) Bernard Barbier gegenüber der französischen Tageszeitung Le Monde hegte sein Dienst auf Spitzenebene Pläne zur Fusion von BND und DGSE, um den US-Diensten Paroli bieten zu können. Ausgebremst worden – so Barbier – seien diese Überlegungen jedoch von französischen Politikern.10

Nationalstaatliches Denken hatte nicht zum ersten Mal das Schritthalten nachrichtendienstlichen Handelns mit den politischen und selbst militärischen Integrationsbemühungen vereitelt. Insofern ist dieses Buch auch ein Stück Ursachenforschung für die teils schleppenden, teils fehlschlagenden Bemühungen um einen supranationalen Nachrichtendienst auf EU-Ebene. Den tieferen Grund für den Geheimdienstauftrag, gerade politisch verbundenen Mitspielern in die Karten zu gucken, nannte Christopher J. Murphy, Dozent für Geheimdienststudien an der britischen Universität von Salford. Er betonte, dass es natürlich keine internationalen Geheimdienstallianzen, sondern nur nationale Interessen gäbe. Sein britischer Humor brachte es im Juni 2015 auf den Punkt: Die Nachrichten, dass sich NATO-Verbündete gegenseitig ausspionieren, haben denselben Neuigkeitswert wie die Information, dass der Papst katholisch ist.11 Aber so, wie es von großem Interesse ist, wie dieser oder jener Papst seinen Katholizismus praktiziert, so ist es auch für die Analyse der internationalen Beziehungen ausgesprochen wichtig zu erforschen, welchen Stellenwert die Spionage unter eigentlich auf Zusammenarbeit angewiesenen Freunden in bestimmten Zeitabläufen hatte.

Die beiden Grundprobleme: Eingefleischtes Misstrauen und nationale Interessen

In der Central Intelligence Agency (CIA) sehen die Leute Partnerdienstbeziehungen wie einen Schmerz im Arsch,12 aber als notwendig an, zitierte Elizabeth Braw im August 2014 das drastische Votum der CIA-Mitarbeiterin Valerie Plame, deren Identität aus Kreisen um US-Präsident George W. Bush illegalerweise kurz nach dem Einmarsch von US-Truppen in den Irak 2003 gelüftet worden war. Einer der Gründe für die Zusammenarbeit liegt ihrer Ansicht nach darin, gegnerische Maulwürfe im eigenen Dienst ausfindig zu machen. Um zu verdeutlichen, welche Probleme dabei auftreten, zog sie eine Parallele zu Platons Höhlengleichnis: Geheimdienstzusammenarbeit sei ein klassisches Spiegelkabinett, in dem niemand sicher sein kann, dass die Dinge so sind, wie sie erscheinen. Ebenso realistisch schätzte CHRISTOPHER FELIX, ein Pseudonym für James McCargar,13 bereits 1963 das Verhältnis zwischen Nachrichtendiensten ein. »Geheimdienste mögen auf demselben Bett zusammensitzen; sie mögen selbst die Decken ein wenig zurückschlagen, aber niemals gehen sie zusammen ins Bett«,14 resümierte der Autor nach 16 Jahren in Diensten der CIA.

Wo Braw in der intelligence community nach ähnlichen Stimmen suchte, fand sie eine ganze Reihe. Nigel Inkster, ehemaliger Direktor für Operationen im britischen MI 6, beklagte eine Erosion bei der Zusammenarbeit der NATO-Partner mit Blick auf Russland, weil Deutschland und Italien zunehmend wirtschaftlich von der Russischen Föderation abhängig würden. Martin Arpo, stellvertretender Leiter des estnischen Inlandsnachrichtendienstes KaPo, erläuterte, dass es kein blindes Vertrauen gäbe, sondern eine Need-to-know-Abschottung; Spionage richte sich auch gegen Alliierte, ohne dass dies bedeute, dass die gesammelten Informationen auch gegen den Verbündeten eingesetzt würden.

Welches Machtgefälle im amerikanisch-deutschen Verhältnis bestand, machte ein deutscher Offizieller der Newsweek-Journalistin klar: Die CIA habe den BND nie als gleichwertigen Partner betrachtet und noch in den 1990er-Jahren unverhohlen geäußert: »Ihr spielt nicht in unserer Liga.« Wenn die CIA etwas über Mitteleuropa wissen wollte, habe sie den BND gefragt. Wenn der BND jedoch beispielsweise etwas über Indonesien habe wissen wollen, habe die Antwort gelautet: Was geht euch das an? Ein BND-Beamter, der einige Jahre in Washington eingesetzt war, erklärte, dass sich die Beziehungen sogar noch verschlechtert hätten. Unter den Regierungschefs Helmut Kohl und George H. W. Bush habe der BND einen guten Zugang zur CIA gehabt, aber das sei 2014 nicht mehr der Fall.

Ungenannt bleibend und sein Herkunftsland verschweigend, formulierte der Leiter einer zentralen europäischen Sicherheitsagentur, dass es zwar bei der Bekämpfung des Terrorismus unter den NATO-Nachrichtendiensten eine engere Zusammenarbeit gäbe als im Kalten Krieg, dass aber zugleich in heutiger Zeit unterschiedliche politische Zielsetzungen Hürden aufbauen würden, die Einfluss auf die Geheimdienste hätten.15

Eleganter schlug der wenig später entlassene BND-Präsident Gerhard Schindler im Frühjahr 2016 in einem Gespräch mit dem Spiegel in dieselbe Kerbe. Er forderte den Abbau von Misstrauen auch gegenüber europäischen Partnern, während ein hochrangiger pensionierter BND-Mann zuvor zu Protokoll gegeben hatte, dass das nachrichtendienstliche Geschäft »zuallererst auf Misstrauen« beruhe.16 Wenig später räumte Schindler allerdings in der ARD-Fernsehdokumentation »Schattenwelt BND« ein: »Nachrichtendienste tun sich mit der Kategorie ›Freund‹ naturgemäß schwer«.17 Damit sprach der BND-Präsident öffentlich aus, was in geheimen Pullacher Papieren schon seit Jahrzehnten seinen Niederschlag gefunden hatte. Klartext sprach zum Beispiel ein Vortrag von Eberhard Blum, des Leiters der BND-Zentralabteilung, vom Oktober 1969: Der »Gedanke der Universalität verbietet gleichzeitig Ausrichtung nachrichtendienstlicher Tätigkeit ausschließlich nach Grundsatz Feind-Freundverhältnis. Aufklärung politischer Absichten und Möglichkeiten der ›Freunde‹ erforderlich, z. T. vorrangig, weil BRD von diesen abhängig – Verhalten eines ›Freundes‹ kann eigene Stellung gegenüber ›Feind‹ oft nachhaltiger tangieren als Aktion des ›Feindes‹.«18 Zu den bedeutendsten Dienstleistungen des BND für die Ressorts der Bundesregierung zählte er dabei die »Sicherheits- und Bündnispolitik, Deutschlandpolitik, Außenhandels- und Entwicklungspolitik«19

Anlass für den Newsweek-Artikel von Braw war der Fall von Markus R., der am 2. Juli 2014 festgenommen worden war. Die Anklageschrift des Generalbundesanwalts vom 6. August 2015 warf dem in der Abteilung »Einsatzgebiete Auslandsbeziehungen« (EA) tätigen BND-Angestellten vor, unter dem Decknamen UWE für einen Agentenlohn von mindestens 95 000 Euro seit Januar 2008 als Doppelagent für die CIA-Station in Wien gearbeitet zu haben. Zum Verratsumfang von mehr als 200 Dokumenten zählten eine abteilungsinterne Personal- und Organisationsdatenbank sämtlicher aktueller und zahlreicher früherer Mitarbeiter dieser Beschaffungsabteilung mit Klar- und Decknamen, des Weiteren Dokumente, die die Struktur, Arbeitsschwerpunkte und Ausrichtung der Abteilung EA und des BND insgesamt sowie konzeptionelle operative Überlegungen und Analysen betrafen, ferner Dokumente zur Zusammenarbeit mit US-amerikanischen und anderen ausländischen Diensten. Neben dem Auftragsprofil des BND übergab er seinem US-Führungsoffizier in Salzburg auch das Transkript eines Telefonats, das die US-Außenministerin Hillary Clinton aus ihrem Regierungsflugzeug mit dem UNO-Generalsekretär Kofi Annan geführt hatte.

Erschwerend kam hinzu, dass der am 1. Dezember 2007 vom BND eingestellte Bürokaufmann am 28. Mai 2014 eine vom Bundesamt für Verfassungsschutz abgefangene E-Mail an das russische Generalkonsulat geschickt hatte, die drei geheime Anhänge enthielt: Zwei der Dokumente, mit denen sich Markus R. dem russischen Auslandsnachrichtendienst Sluschba wneschnei raswedki (SWR) andienen wollte, betrafen aktuelle Verdachtsfälle auf Spionage, das dritte enthielt die detaillierte Planung zur Einrichtung und Zielsetzung eines neuen operativen Arbeitsbereichs im BND.20 Der 32-jährige Schwerbehinderte wurde Mitte März 2016 wegen Landesverrats, der Verletzung von Dienstgeheimnissen und der Bestechlichkeit in fünf Fällen zu einer Haftstrafe von acht Jahren verurteilt.21

Bundesinnenminister Thomas de Maizière hatte den Schaden im August 2014 als »lächerlich« heruntergespielt. Und auch Finanzminister Wolfgang Schäuble redete den Skandal klein. Er glaubte, über die Dummheit der USA weinen zu müssen, weil sie so einen drittklassigen BND-Mitarbeiter angeworben hatten.22 Nach der Verhaftung von Markus R. musste der Berliner CIA-Resident im Juli 2014 ausreisen, und der US-amerikanische Botschafter John B. Emerson wurde gleich zwei Mal ins Auswärtige Amt einbestellt.23 Es war nicht das erste Mal, dass ein Spitzenmann der Agency aus der Bundesrepublik zurückgezogen wurde. Mitte der 1990er-Jahre musste der Chief of Station der CIA in München Deutschland verlassen.24 »Wir leben nicht mehr im Kalten Krieg, wo wahrscheinlich jeder jedem anderen misstraute«, kommentierte die Bundeskanzlerin den Fall Markus R. Die USA hatten versucht, die Ausweisung des Residenten durch das Angebot einer neuen Vereinbarung zum Austausch nachrichtendienstlicher Informationen zu vermeiden, aber die Bundesregierung ging darauf nicht ein.25

Ein BND-Beamter erklärte gegenüber Newsweek, die CIA habe mit der Annahme eines Selbstanbieters aus dem Dienst eine rote Linie überschritten. Wo die rote Linie zuvor verlief und in welchem Maß die CIA gegen den BND spionierte, macht das Abschlusskapitel deutlich. Dass dieser Fall eines US-Spions im Allerheiligsten des BND keine einmalige Entgleisung der CIA war, sondern nur der Höhepunkt einer jahrzehntelangen Ausforschung des kleinen Partners darstellt, wird das Kapitel zu den (west-)deutsch-amerikanischen Geheimdienstbeziehungen unter Beweis stellen.

Aus der anschließenden Analyse der »Allianz des Misstrauens«, die ihren Niederschlag in der ständigen US-Spionage gegen die unsicheren Kantonisten in Bonn und Berlin fand und die von eher zaghaften Bemühungen des deutschen Auslandsnachrichtendienstes zur Aufklärung der Absichten der westlichen Führungsmacht begleitet wurde, wird klar, dass es die politischen Rahmenbedingungen waren und sind, die das prekäre Verhältnis des US-amerikanischen Geheimdienstapparats zu den (west-)deutschen Sicherheitsbehörden prägten und prägen. So defensiv, wie sich der BND stets gegenüber dem großen Bruder verhielt, so offensiv ging er häufig – wie sich zeigen wird – mit kleinen Partnerdiensten wie denen Österreichs um.

Der Forschungsstand

Wie wenig bestellt das Forschungsfeld Geheimdienstkooperation unter westlichen Verbündeten nach 1945 noch weitgehend ist, zeigt sich auch in dem 2015 verfassten Beitrag von Adam D. M. Svendsen über die britisch-amerikanische Zusammenarbeit in der Zeitschrift des Verbandes ehemaliger US-amerikanischer Nachrichtendienstmitarbeiter. Nach einer historischen Einführung und der Skizzierung der Zusammenarbeit zwischen Großbritannien und den USA im Zweiten Weltkrieg stehen bei dem britischen Mitarbeiter des Copenhagen Institute for Futures Studies (CIFS) nur zwei sehr allgemein gehaltene Druckseiten über die geheim gehaltene Kooperation zwischen den angelsächsischen Staaten innerhalb der NATO, die nur auf Kriegsschauplätze von den Falkland-Inseln 1981 bis zur Invasion des Iraks 2003 abheben und kein einziges Detail verraten.26

Rhodri Jeffreys-Jones, emeritierter Professor für amerikanische Geschichte an der Universität Edinburgh, hat 2013 ein Werk vorgelegt, das den Anspruch erhebt, »The Story of Western Intelligence« zu sein. Tatsächlich beleuchtet er detailliert und sachkundig jedoch nur das Auf und Ab der britisch-amerikanischen Geheimdienstbeziehungen vom Ersten Weltkrieg bis heute. Nachrichtendienste anderer NATO-Staaten spielen nur eine periphere Rolle.27

Natürlich gibt es insbesondere in der angelsächsischen Fachliteratur, aber auch in deutschsprachigen Werken28 reichliche Fundstellen zum Zusammenwirken westlicher Dienste. Das Thema steht jedoch nicht als Leitmotiv über den Arbeiten, wird weder explizit in den Forschungsmittelpunkt gestellt noch als methodologische Betrachtungsebene eingebracht.

Eine Ausnahme bildet der Forschungsstand zur Organisation Gehlen (Org) unter der Treuhänderschaft der U. S. Army und der CIA, das Verhältnis zwischen den US-Diensten und der Org vor ihrer Übernahme in den Bundesdienst zum 1. April 1956 betreffend. Neben der Arbeit von Jens Wegener29 liegt mit dem Aufsatz von Thomas Wolf ein erstes Ergebnis der »Unabhängigen Historikerkommission« des BND dazu vor.30

Für die jüngere Zeit gibt es allenfalls Momentaufnahmen wie beispielsweise die Listen der BND-Partnerdienste und -Residenturen unter dessen Präsident Klaus Kinkel31 oder sektorale Analysen zur Zusammenarbeit westlicher Dienste beispielsweise beim multinationalen Propagandaprojekt Interdoc.32 Der wohl einzige durchgängig erforschte Bereich von Partnerdienstbeziehungen ist die Ausgestaltung der Zusammenarbeit bei der fernmelde-elektronischen Aufklärung unter den »Five Eyes« (USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland) von 1942. Dafür stehen die Arbeiten von James Bamford aus 2001,33 »The Ties That Bind« von Jeffrey T. Richelson und Desmond Ball 1985,34 in jüngerer Zeit das Buch von Matthew Aid35 sowie aus britischer Sicht die Geschichte des GCHQ von Robert Aldrich.36 Die Enthüllungen von Edward Snowden förderten noch aktuellere Fakten zutage, die auch – wie der Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages zur NSA-Affäre ermittelte – zahlreiche Informationen über die Kooperation zwischen NSA und BND lieferten.

Die in den deutschen Medien und im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages ausführlich thematisierte technische Aufklärung bleibt in diesem Buch weitestgehend ausgespart, insbesondere da, wo es sich um die Massenüberwachung von Telekommunikation handelt. Vorrangig geht es um die Kooperation bei der Aufklärung mit menschlichen Quellen, die Austauschbeziehungen mit ausgewählten Partnerdiensten einerseits und die gegeneinander gerichteten Geheimdienstaktivitäten andererseits.

Der Historiker Christopher Nehring hat im Oktober 2016 den Versuch unternommen, theoretische Modelle von Geheimdienstkooperationen ins Blickfeld der Forschung zu rücken und ein erstes Fazit gezogen: »So zeigt sich anhand der gängigen Theorien der Intelligence Studies, dass Geheimdienstkooperation im aktuellen internationalen System eher eine Ausnahme ist, nicht der Regelfall. Es lassen sich zahlreiche Kooperationshindernisse identifizieren, die eine Zusammenarbeit in diesem sensiblen Feld zumindest deutlich erschweren. Diese Hindernisse, ständige Sicherheits- und Vertrauensdefizite sowie das vorherrschende nationale Interesse der Akteure führen dabei – gerade auch innerhalb von Allianzen und Bündnissen – zu Aufklärungsbemühungen gegenüber Verbündeten. Je heterogener und asymmetrischer Allianzen sind beziehungsweise je dominanter ein Partner in ihnen ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit eines spying on friends.«37

Hinter diese Aussagen muss man einige Fragezeichen setzen. Zum einen ist sowohl gleich nach Ende des Zweiten Weltkrieges als auch aktuell die Zusammenarbeit von Nachrichtendiensten trotz gegenläufiger nationaler Interessen und dem eingefleischten Misstrauen der Regelfall für die Dienste im gleichen politischen Lager und wird mit hohem Aufwand betrieben. Zum anderen erklärt die Dominanz eines Partners nur im Einzelfall – beispielsweise für das amerikanisch-deutsche Verhältnis – das Ausmaß der Spionage unter Freunden. Die intensiven Aufklärungsbemühungen Großbritanniens, Frankreichs oder Italiens gegenüber der mindestens gleichwertigen Bundesrepublik können durch Asymmetrie ebenso wenig erklärt werden wie die weitestgehend harmonischen Beziehungen des BND zu den deutlich kleineren Nachrichtendiensten Dänemarks.

Relativieren muss man auch Nehrings These, die letztlich gescheiterten Bemühungen der Bundesregierung um ein No-Spy-Abkommen mit den USA seien »historisch ohne Präzedenzfall […] und daher ein Novum« gewesen. Dennis Blair, Barak Obamas 2013 entlassener Director of National Intelligence, hatte im Frühjahr 2010 ein No-Spy-Abkommen zwischen den Nachrichtendiensten der USA und Frankreichs auf den Weg gebracht. Doch der bereits ausgehandelte Verzicht darauf, sich gegenseitig auszuspionieren, scheiterte im Mai am Widerstand des von CIA-Chef Leon Panetta beeinflussten Weißen Hauses, letztlich also am US-Präsidenten.38 Das »no go« der US-Dienste im Falle Frankreichs und der Bundesrepublik war von der Sorge um einen Schneeball-Effekt getragen: Alle Staaten, die sich auf eine politische Freundschaft mit den Vereinigten Staaten berufen, könnten einen ähnlichen Vertrag verlangen und damit die Westaufklärung der US-Dienste zum Erliegen bringen.

Vor einer Theoriebildung, die alle Konstellationen und ihre Ursachen erhellt, steht stets die empirische Analyse. Nur auf der Basis zahlreicher Einzelbefunde zum Zusammen- und Gegeneinanderwirken von Partnerdiensten lässt sich das Spannungsfeld von Kooperation und Konkurrenz in allen Facetten erhellen. Dieses Buch unternimmt den Versuch, eine Vielzahl diesbezüglicher Fakten zusammenzutragen.

Der Forschungsansatz

Was schon vor der Übernahme der Org in den Bundesdienst zum 1. April 1956 an Partnerdienstbeziehungen geschaffen wurde und in welchem Umfang dabei die Globalisierung der nachrichtendienstlichen Aktivitäten über die Zielregionen »Ostblock« hinaus in den Gründerjahren des BND wuchs, wird im Folgenden für ausgewählte Staaten West-, Nord- und Südeuropas sowie für die Vereinigten Staaten dargestellt. Soweit es die schwierige Quellenlage zulässt, wird für eine Reihe von Staaten die Entwicklung von Partnerdienstbeziehungen im frühen BND in die Betrachtung einbezogen, in der Regel bis zum Ende des Kalten Kriegs, teilweise auch darüber hinausgehend, wenn paradigmatisch Kontinuitäten oder Umbrüche aufzuzeigen sind.

Die Fragen, die dabei über einen Betrachtungszeitraum von sechs Jahrzehnten aufzuwerfen sind, lauten: Welche Partnerdienstbeziehungen entwickelten sich in der Organisation Gehlen bereits kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs, und wie umging Reinhard Gehlen bis 1956 die Vorgaben der CIA, sich auf die Aufklärung des sowjetischen Machtbereichs zu beschränken? Wie entwickelten sich die Beziehungen zu den wichtigsten NATO-Partnern und den neutralen Staaten Europas nach der Gründung des Bundesnachrichtendienstes, und in welchem Umfang spähte der deutsche Dienst seine westlichen Verbündeten aus? Wie verhielten sich andererseits die »Freunde« bei ihrer Spionage gegen Westdeutschland von 1946 bis heute, und in welchem Spannungsverhältnis standen deren nachrichtendienstliche Angriffe auf Bonn, Pullach und Berlin zum BND? Und nicht zuletzt: Welche Rolle spielt das Machtgefälle zwischen Staaten bei der Ausgestaltung der Partnerdienstbeziehungen und bei den gegeneinander gerichteten Aufklärungsprioritäten?

Zunächst gibt das Kapitel 1 einen allgemeinen Gesamtüberblick über das System der Partnerdienstbeziehungen der Organisation Gehlen und des BND ab 1946 und über die Entfaltung der Westaufklärung Pullachs, bevor die Porträts der Einzelstaaten folgen.

Die Auswahl der Staaten und ihrer Dienste folgt weitestgehend der in den 1980er-Jahren vom BND in seinen Referaten 13 A und 13 B betreuten Länder, umfasst die USA, Skandinavien und das nordische Finnland sowie Großbritannien, Frankreich, die Schweiz und Italien sowie das vom Referat 13 H (Balkan) betreute Österreich. Um den Umfang des Buchs nicht zu sprengen, werden Norwegen,39 die Niederlande, Belgien, Luxemburg und Kanada vernachlässigt.

Im Kapitel 2 steht das außerordentlich spannungsgeladene Verhältnis zu Italien und dem Vatikan im Mittelpunkt. Das dritte Kapitel konzentriert sich auf Österreich, das vierte auf die Schweiz als neutrale westeuropäische Nachbarn der Bundesrepublik. Im Kapitel 5 wird die konkurrierende Mittelmacht Frankreich und ihr wechselvolles Verhältnis zu Bonn und Berlin beleuchtet. Im Kapitel 6 wird das für den BND und die Bundesregierung bis heute problematische Großbritannien abgehandelt. Die Kapitel 7 bis 9 widmen sich den skandinavischen Staaten Dänemark und Schweden sowie dem nordischen Finnland. Dass Abschlusskapitel 10 steht für die Beziehungen zum bedeutendsten Pendant in Politik und Nachrichtenwesen, den Vereinigten Staaten von Amerika.

Nicht einbezogen werden die Staaten an der NATO-Südflanke wie Portugal, die Türkei, Griechenland und Zypern sowie transatlantische Verbündete in Fernost wie Japan und Taiwan und in Lateinamerika. Eine Ausnahme stellt Spanien dar. Wegen seiner Schlüsselrolle als Rückzugsraum für die Organisation Gehlen und den BND und der damit verbundenen Beziehungen zu Frankreich und der Schweiz widmet sich ein Exkurs der Frühgeschichte der deutsch-spanischen Geheimdienstbeziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Damit werden zugleich alle Staaten berücksichtigt, zu denen bereits Ende der 1940er-Jahre Verbindungen geknüpft wurden.

Die Darstellung umfasst dabei zwei aufeinanderprallende Dimensionen, nämlich die Dichotomie zwischen dem austarierten Austausch von Informationen und der Kooperation bis zu gemeinsamen Operationen auf der einen und gegeneinander gerichteten Aktivitäten – Stichwort: Spionage unter Freunden – auf der anderen Seite. Um es vorwegzunehmen: Die in der Regel bilateralen Geheimdienstbeziehungen sind nach Zeit und Raum extrem unterschiedlich und reichen von durchweg vertrauensvollen Verhältnissen bis zu geradezu feindseligen Zweckbündnissen.

Das vielschichtige Bild zeigt auch Inlandsdienste zweier Staaten, die im Bündnis gegen die Auslandsnachrichtendienste ihrer Länder stehen, zwei Auslandsnachrichtendienste in gemeinsamer Frontstellung gegen die Streitkräfte beider Länder oder sogar Auslandsnachrichtendienste, die bei ihrer Kooperation einvernehmlich ihre Regierungen hintergehen.

Als Bausteine zur Analyse der positiven Partnerdienstbeziehungen dienen Protokolle und Notizen von gemeinsamen Besprechungen, Mechanismen und Themen des Austausches, ferner gemeinsame Operationen sowie in begrenztem Umfang Joint Ventures bei der technischen Aufklärung. Unerlässlich, wenngleich erzählerisch bisweilen sperrig, bleibt die Darstellung der Gründung und personellen Spitzenbesetzung der BND-Residenturen und ihrer Partnerdienste, sodass sie in den meisten Fällen auf die jüngere Vergangenheit beschränkt wird. Dazu zählt auch das Aufblättern der FLEUROP-Liste, jener Liste der blumigen Namen, die der BND seinen Partnern verlieh. Nicht zuletzt richtet sich der Blick auf die Freund-Feind-Verhältnisse vor 1945. Sind es doch die historischen Wurzeln und Bezüge, die das Aufwachsen der Geheimdienstbeziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg befördert oder gebremst haben.

Auf der anderen Seite werden die Aufklärungsprioritäten Pullachs gegenüber westlichen oder neutralen Staaten – gegenüber ihren politischen, wirtschaftlichen und nachrichtendienstlichen Verhältnissen – in den Fokus genommen sowie vice versa die Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der Bundesrepublik samt ihren führenden Repräsentanten, die oft genug von Partnerdiensten ausgespäht wurden.

Die Grenzen der Aufarbeitung der Pullacher Partnerdienstbeziehungen

Zu den Konfliktfeldern zwischen dem Bundesnachrichtendienst und der von ihm beauftragten »Unabhängigen Historikerkommission« (UHK) zählt die Auffassung des BND, dass vor der Preisgabe von Informationen über Partnerdienste deren Einverständnis einzuholen sei, besonders im Fall von Großbritannien und den USA. Die Historiker der UHK verlangten hingegen erfolglos, dass der deutsche Nachrichtendienst genauso »hemdsärmelig« vorgeht wie die CIA seit 2001 bei der Freigabe von Akten, die die Org und den BND betreffen.40

Im Interview mit dem Redakteur des Bayerischen Rundfunks, Ulrich Chaussy, hatte der damalige Präsident des BND, Ernst Uhrlau, bereits am 1. Juli 2011 auf die Erwartungshaltung der Partnerdienste in dieser Beziehung hingewiesen: »Deswegen: wir haben aus gutem Grund in unserer Rechtsordnung auch den Grundsatz, dass geheimhaltungsbedürftige Sachverhalte nicht auf dem freien Markt ausgetragen werden können und dass wir vor allem auch als Nachrichtendienst unsere Arbeits- und Funktionsfähigkeit im Umgang mit internationalen Partnern auch aufrechterhalten müssen. Und die erwarten von uns, dass ihre Informationen, die sie uns übermitteln genauso sorgfältig behandelt werden, wie wir von denen erwarten, dass sie mit dem, was wir im Rahmen von Zusammenarbeit übermitteln, nicht auf dem öffentlichen Markt erscheinen.«41 Der Sprecher der UHK, Klaus-Dietmar Henke, hatte auf dem 3. Rosenburg-Symposium am 8. Mai 2013 in Berlin ebenfalls die besondere Sensibilität in der Frage der Partnerdienstbeziehungen angedeutet: »Bei Veröffentlichungen bestehen keinerlei Restriktionen, soweit nicht ›Gründe des Persönlichkeitsrechts oder des Geheimschutzes entgegenstehen‹. Das dürfte selten genug der Fall sein […] (Ausnahmen mag es bei den Beziehungen des BND zu anderen Nachrichtendiensten geben.)«.42

Der Chefhistoriker des BND, Bodo Hechelhammer, wies im April 2014 erneut auf diese Restriktion hin: »Bei der Entscheidung über eine Aktenfreigabe ist grundsätzlich die Herkunft der Information zu beachten: Wenn diese von anderen Behörden oder Nachrichtendiensten anderer Nationen stammen, können diese die Freigabe verweigern. Die würde von dem betreffenden Nachrichtendienst als Vertrauensbruch gewertet und könnte die zukünftige Zusammenarbeit mit dem BND beeinträchtigen.«43

Zur Ehrenrettung des BND muss man erwähnen, dass sich der Dienst bei seinen Partnern intensiv um die Freigabe von Informationen über die beiderseitige Zusammenarbeit bemüht hat. Auf Gegenliebe ist er da nur in den allerwenigsten Fällen gestoßen. Der neue BND-Präsident Bruno Kahl hat anlässlich der Präsentation der ersten vier Bände der Ergebnisse der UHK am 6. Oktober 2016 im Neubau des BND deutlich darauf hingewiesen, dass es für die UHK besondere Restriktionen bei der Darstellung der Partnerdienstbeziehungen gibt. Da die bilaterale Zusammenarbeit in Geheimverträgen mit einer Verschwiegenheitsklausel geregelt wurde, sei eine Zustimmung der Partner zur Offenlegung erforderlich. Einzelheiten zum Ablauf und Erfolg der BND-Bemühungen, die Partner zu größerer Transparenz zu bewegen, mochte Kahl allerdings nicht nennen.

Gegen diese Argumentationslinie spricht, dass sich die CIA ihrerseits nicht an die third-party-rule hält und dem US-Nationalarchiv selbst Protokolle über den Antrittsbesuch des neuen BND-Abteilungsleiters Rudolf Werner (KEMPE) bei der CIA im August 1984 übergab.44 Fragwürdig ist auch die Pullacher Ansicht, dass die gegenwärtige Kooperation mit Partnerdiensten auch dann beeinträchtigt wird, wenn diesbezügliche Akten aus der Frühzeit des Kalten Krieges zugänglich gemacht werden. So ist jedes Auskunftsersuchen an das BND-Archiv, das explizit nach Partnerdienstbeziehungen fragt, aussichtslos.

Die Quellenlage

Eine Ausnahme machte der BND jedoch mit der Freigabe seiner Akte 12292, die als »BEGONIE-Aktennotizen 1956/62« detaillierte Auskunft über die Kooperation mit dem dänischen Auslandsnachrichtendienst über sieben Jahre hinweg geben. Die dänische Gegenüberlieferung ist zwar nicht lückenlos, erlaubt jedoch ein differenziertes Bild der Partnerdienstbeziehungen zu zeichnen. Die vom BND-Referat Archivwesen des BND freigegebenen Akten aus dem Komplex Bundeskanzleramt bzw. Gehlens Kontakten zum Geheimdienstkoordinator Hans Globke enthalten eine Vielzahl von Einzelhinweisen, die ihres Stichwortcharakters wegen oft nur Hinweise auf partnerdienstrelevante Aktivitäten enthalten und keine substanziellen Fallschilderungen.

Für die 1970er-Jahre enthalten die geheimen Vermerke des BND-Vizepräsidenten Dieter Blötz eine ganze Reihe relevanter Informationen. Die umfangreichen Aktendeposita ehemaliger Angehöriger der Org und des BND im Forschungsinstitut für Friedenspolitik e. V. (FF) sowie Interviews mit ehemaligen BND-Mitarbeitern ergänzen die Quellenbasis.

Sehr detailliert konnte das deutsch-italienische Geheimdienstverhältnis erforscht werden, weil hier umfangreiche Aktenbestände der Org und des BND auf der einen und zahlreiche Dokumente der italienischen Sicherheitsbehörden auf der anderen Seite vorliegen.

Weiterhin stützt sich diese Studie auf US-amerikanische Akten, voran die aufgrund des Nazi War Crimes Disclosure Act freigegebenen Bestände der Record Group (RG) 263 (= Records of the CIA) im US-Nationalarchiv sowie Einzeldokumente aus den Bundesarchiven in Berlin und Koblenz. Hinzu kommen der umfängliche Nachlass von James H. Critchfield, dem CIA-Aufseher in Pullach ab Juli 1949, sowie einzelne Geheimdokumente dänischer, norwegischer, österreichischer, schweizerischer und russischer Provenienz. Bei der einschlägigen Fachliteratur und Presse wurden deutsch- und englischsprachige Veröffentlichungen herangezogen, zudem dänische, schwedische, norwegische, finnische, italienische und französische.

Was man weiß, was man wissen sollte

Die Anfänge der Partnerdienstbeziehungen ab 1947

Die Grundsatzweisung der Geheimdienstabteilung des European Command der US-Streitkräfte (EUCOM) hatte am 13. Oktober 1948 festgeschrieben, dass kein Angehöriger der Organisation Gehlen (Org) Kontakt zu ausländischen Nachrichtendiensten oder Regierungen aufnehmen durfte, ohne zuvor die Zustimmung des EUCOM eingeholt zu haben.45 In Bezug auf Geheimdienstkontakte schrieb auch die Central Intelligence Agency (CIA) diese Regelung der U.S. Army fort, nachdem sie die Treuhänderschaft für die Org zum 1. Juli 1949 übernommen hatte. Das »Grundlegende Übereinkommen« zwischen dem CIA-Aufseher über die Org, James H. Critchfield, und Reinhard Gehlen legte unter dem Punkt 6. f) für Partnerdienstbeziehungen fest: »Alle Verbindungen mit Nachrichtendiensten befreundeter Staaten müssen vorher genehmigt werden«.46

Als diese Vereinbarung Ende Januar 1949 verhandelt und kurz darauf in Kraft gesetzt wurde, hatten sich allerdings mit und ohne amerikanisches Zutun bereits einige Partnerdienstbeziehungen entwickelt. Über feste Residenten verfügte die Org zunächst nur in Rom und Madrid. Die Beziehungspflege zu anderen Nachrichtendiensten erfolgte bis 1956 ansonsten durch gegenseitige Besuche der Geheimdienstchefs oder ihrer Abgesandten. Die Org-Abteilung 36 (Nachrichtenwesen) baute Funkverbindungen zum schweizerischen, zum französischen, zum spanischen und zum dänischen Nachrichtendienst auf.47

Soweit Gehlen seine Partnerdienstkontakte telefonisch pflegte, wurden diese Gespräche von der CIA erfasst. In seiner NARA-Akte findet sich eine Übersicht über die von seinem Dienstapparat geführten Auslandsferngespräche im Zeitraum vom 25. Juli 1951 bis zum 22. März 1952. In diesen etwa acht Monaten registrierte der US-Dienst 28 Gespräche, davon neun nach Rom und 19 in die Schweiz, wobei er dabei wiederum neun Mal mit Marcel Mercier, dem Statthalter des französischen Auslandsnachrichtendienstes SDECE (Service de Documentation Extérieure et de Contre-Espionnage) in Bern, telefoniert hatte.48

Bereits zu Org-Zeiten erhielten die ersten Partnerdienste ihre Decknamen, die als Sammelbezeichnung unter Fleurop49 firmierten. Dabei stand zunächst HORTENSIE für die CIA, NARZISSE für Frankreich, ASTER für Großbritannien, BEGONIE für Dänemark und Tagetes für den US-Marine-Nachrichtendienst Office of Naval Intelligence (ONI), während für die U. S. Army und die U. S. Air Force kein Fleurop-Deckname Verwendung fand.50

Gehlens Bemühen, sich an der CIA vorbei im Westen vielfältige Kontakte zu verschaffen und eigenständige Partnerdienstbeziehungen aufzubauen, setzten schon sehr früh ein. Bereits Mitte Oktober 1949 verfasste er eine Vortragsnotiz für Konrad Adenauer, in der er betonte, die Org sei in der Lage, »der deutschen Regierung auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet Unterlagen auch außerhalb des Ostsektors zur Verfügung zu stellen.« Er ging sogar so weit, dem Kanzler vollmundig zu versprechen, sein Dienst sei in der Lage, »in diskreter, indirekter Weise jede gewünschte Verbindung zu jeder gewünschten Persönlichkeit in den westlichen Ländern herzustellen, zur Zeit mit Ausnahme England«.51 Trotz des CIA-Vorbehalts hatte Org-Chef Reinhard Gehlen Adenauers Geheimdienstkoordinator Hans Maria Globke (GLOBUS) bereits im Herbst 1951 eine Notiz vorgelegt, die einen Vorschlag über die Zusammenarbeit mit befreundeten Nachrichtendiensten enthielt.52 Die Aufgabe, die Kooperation mit den westlichen Partnerdiensten zu gestalten, übernahm am 1. November 1953 Georg Buntrock (BOHLEN)53, der auch noch Anfang der 1960-Jahre als Leiter des Auslandsverbindungsdienstes des BND amtierte.54 Dem ehemaligen Oberst i. G. der Wehrmacht assistierte Harald Mors (MÖLLER), im Zweiten Weltkrieg Major und Kommandeur eines Fallschirmjägerbataillons. In ihren Stab wurde auch der Verbindungsmann zum amerikanischen Marinenachrichtendienst ONI, Hans von Büchler (BROCK) versetzt,55 der dort verblieb, bis er am 1. Juli 1964 Resident des BND in Den Haag wurde. Häufig eingebunden in die Partnerdienstgespräche war auch der Gehlen-Vertraute Hans Winter (WILDEN), zugleich der Verbindungsmann der Org zu Adenauer, wenn der Kanzler sich in der Schweiz erholte.56

Ein Strategiepapier der Org vom 17. September 1953 widmete sich der Neuordnung des Verbindungswesens für die bevorstehende Überführung der Org in den Bundesdienst. Es umriss auch die Hauptaufgabe des Leiters des Verbindungswesens: »Schwerpunkte für die Zusammenarbeit sind der Materialaustausch, das Nehmen und ›policy‹-Fragen.«57

In seiner Übersicht über die Spionageabwehr-Operationen der Org vom März 1955 hob Critchfield hervor, dass sich der Gehlen-Dienst bei der Counter Espionage auch auf Partnerdienstinformation der Schweiz, Frankreichs, Spaniens, Großbritanniens und Dänemarks stützen konnte.58

Harald Mors, mehr als ein Jahrzehnt Gehlens Weggefährte, sein Nachbar in Berg und ein kritischer Verehrer seines Chefs, hob 1983 rückblickend hervor, wie ungewöhnlich der Auf- und Ausbau von Partnerdienstbeziehungen in der Frühzeit des Kalten Kriegs war: »Gehlens Bemühungen um Kontakte zu den ausländischen Geheimdiensten in Westeuropa waren im nachrichtendienstlichen Geschäft ein absolutes Novum: die Spionageorganisationen aller Länder waren bis dahin die streng gehüteten Reservate der nationalen Regierungen. Bis auf kriegsbedingte, vorsichtige und immer mit großer Reserve betriebenen Kontakte untereinander kochten auch bis 1945 die alliierten Nachrichtendienste ihre Süppchen weitgehend unter Ausschluss der Blicke ihrer Verbündeten! Gehlen war der Überzeugung, dass dieses Verfahren überholt, abwegig, absurd und gefährlich war, weil nur eine zusammengefasste, mit allen verfügbaren Mitteln aller interessierten freien Staaten betriebene weltweite Aufklärung gegen die Sowjets und ihre Satelliten, ihre revolutionären internationalen Institutionen, ihre kommunistischen Parteien auch in westlichen und neutralen Ländern, kurz gegen die mit allen offenen und konspirativen Mitteln vorangetriebene Zielsetzung der Weltrevolution Aussicht auf Erfolg haben würde und damit ›den Westen‹ vor der kommunistischen Aggression retten könne.«59