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Ich widme dieses Buch meinen Töchtern
Jana Glauser und Lena Reis.

 

 

 

 

 

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Das erste Werbeplakat für Staubsauger der Welt. Im Science Museum in London heißt es dazu: «In 1906 the British Vacuum Cleaner Company commissioned John Hassall RI, the famous artist and cartoonist to make an advertising poster.» Der Aushang dieses Plakates führte in London zu Unruhen unter den Dienst boten, die um ihren Berufsstand fürchteten; so musste derselbe Künstler drei Jahre später ein neues Plakat anfertigen, welches die Versöhnung zwischen einem Dienstmädchen und dem Staubsauger darstellte. Interessantes Detail: Der Schlauch des Staubsaugers auf dem Bild kommt zum Fenster herein – die er wähnte Firma bot einen Putzservice an, dessen benzingetriebene Maschinen (mit zwei vorgespannten Pferden) von der Straße aus operierten, wobei die Schläuche jeweils durch das offene Fenster ins Haus gelegt wurden.

Vorwort

VIELE HISTORIKER und Historikerinnen tun sich bisweilen schwer mit ­ih­rem «verstaubten» Image in der Öffentlichkeit – ich möchte mich selbst nicht ausschließen. Dennoch soll mit der vorliegenden Arbeit zur Geschichte des Staubsaugers gleichzeitig der Versuch unternommen werden, dieses Bild etwas zu «entstauben». Erste Staub saugende Maschinen in Deutschland wurden zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts immerhin «Entstaubungspumpen» genannt. Ich muss zugeben, dass sich auf einigen Dokumenten zum Thema Staubsauger in mehreren Jahrzehnten auch einiger Staub abgelagert hatte (zum Teil sind die Akten selber schon fast zu Staub zerfallen), weil sie in den letzten achtzig bis neunzig Jahren nicht mehr benutzt worden waren.

Allerdings verbirgt sich hinter all dem staubigen Schleier eine äußerst spannende Geschichte des Alltags, die uns alle betrifft, und eine solche fast greifbare und in vielen Belangen auch begreifbare Geschichte wollte ich zu neuem Leben erwecken.

Als ich 1985 das Studium der Geschichte an der Universität Bern begann, interessierte ich mich besonders für Erfindungen. Ich hatte damals bereits selbst einige Erfinderpatente verfasst und angemeldet. Als ich mich im Kreis der Kommilitonen vorstellen musste und meine Erfin­dertätigkeit erwähnte, erwiderte die Professorin, dass ich wohl das fal­sche Studium gewählt hätte, denn in der Geschichte gäbe es nichts mehr zu erfinden, da sei alles bereits erfunden. Obwohl sie mit ihrer Feststellung sicher Recht hatte (ich habe die Geschichte des Staubsaugers auch nicht erfunden, sondern lediglich aufgearbeitet und erforscht), half mir mein «Erfindergeist» zumindest, viele scheinbar ausweglose Situationen, Theo­rie- und Methodenprobleme zu überwinden.

Ich bin nicht durch den Gebrauch des Staubsaugers auf die Idee zu dieser Arbeit gekommen, sondern dank eines Hinweises von Professor Franz Bächtiger. Anlässlich eines ikonografischen Seminars empfahl er mir das Buch von Sigfried Giedion: «Die Herrschaft der Mechanisierung», in dem ein paar Seiten zum Thema Staubsauger zu finden sind.

Giedion war gelernter Bauingenieur und später erfolgreich als Kunst- und Architekturhistoriker tätig gewesen. Der Philosoph Ernst Bloch (damals noch auf orthodox-marxistischer Linie) sprach über Giedions ­Arbeiten kritisch und widerwillig anerkennend von einer auf einem «technoid fortgeschrittenen Können» begründeten «sozialdemokratischen ‹Mo­dernität› à la Giedion». Giedions Einschätzungen in diesem Epoche machenden Werk[1] und der Giedion-Nachlass an der ETH Zürich bildeten eine gute Grundlage, und mit zahlreichen Reisen nach England und Deutschland begann ich Ende 1988 mit der Forschung, bei der ich mich auf Zeitschriften und Firmenarchive vor allem in England und Deutschland stützte. Als Hilfsmittel wurde auch die digitale Technik eingesetzt: Inserate und Werbebroschüren wurden gescannt und im Zeit­raum zwischen 1920 und 1960 nach Kernbegriffen rund um den Staubsauger durchsucht. Der größeren Übersichtlichkeit willen wurden nur wenige der daraus resultierenden Grafiken und Statistiken in dieses Buch übernommen.

All das führte unter anderem 1994 zu meiner Dissertation an der Universität Bern. Um eine verbesserte Lesbarkeit zu erzielen, wurde sie für dieses Buch noch einmal vollständig überarbeitet. Dabei wurde auf eine Vielzahl von Anmerkungen (aber nicht auf alle!), auf die Beschreibungen der jeweiligen Untersuchungsmethoden und Interpretationen sowie auf die Darstellung des immensen Quellenmaterials weitgehend verzichtet.

Pionierarbeit im Umfang, wie sie für die Arbeit nötig war, kann eine Person allein ohne fremde Hilfe nicht bewältigen. Das Korrekturlesen und damit die meisten lesbaren Sätze verdanke ich meinem Vater Max Glauser und Gertrud Meier (die trotz ihres Umzuges nach Hamburg immer wieder Zeit für die Korrektur fand). Schließlich gilt mein besonderer Dank dem Informatiker Ueli Schrag, der mir über jede technische Panne hinweghalf, meine Computeranlagen stets auf dem neuesten Stand der Technik hielt und immer gute Ideen in Bezug auf die Inhaltsanalyse hatte.

Weiterhin möchte ich dem Mann danken, der sechzig Jahre seines Lebens zuerst bei «British Vacuum Cleaners» und später bei der Firma «Goblin» dem Staubsauger gewidmet hat, Bill Sutton. Zuletzt bedanke ich mich bei Mrs. Lena Whitear, Johannes Kraner und Marianne De Loës für das großzügige Gastrecht in London, Berlin und Stockholm. Finanzielle Unterstützung erhielt ich von der Kommission für Feldforschungsbeiträge der Universität Bern. Einen Beitrag zur Überarbeitung des vorliegenden Buches erhielt ich vom Gerold-und-Niklaus-Schnitter-Fonds der ETH Zürich, bei welchem ich mich an dieser Stelle ganz besonders bedanken möchte.

Abschließend sei daran erinnert, dass mir auf meinen zahlreichen Reisen durch Europa unzählige «dienstbare Geister» in Bibliotheken, Archiven und auf Ämtern geholfen haben.

 

Bern, im August 2001

Christoph Glauser

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Zu diesem dänischen Inserat aus dem Jahre 1926 heisst es: «Evolutionslehre (Eine Phantasie) Das eigenartige prähistorische Tier, Electrosaurus Lux, genannt ‹Staubschlucker›, ist durch Entwicklung zum besten Freund der Hausfrau geworden.»

Einleitung

DIE EVOLUTION des Staubsaugers soll in diesem Buch nicht bis zu den Dinosauriern zurückverfolgt werden, sondern sich ausschließlich auf das späte neunzehnte und das zwanzigste Jahrhundert beschränken. Dies, obschon bereits Gutenberg auf die eigentliche Idee des Staubsaugens gekommen sein soll, indem er angeblich mit einem Blasebalg aus Leder die Metallspäne von seinen gegossenen und gesetzten Lettern absaugte.

Was ist denn eigentlich ein Staubsauger? Ein moderner Staubsauger entwickelt eine Saugwirkung bzw. ein Vakuum am Ende eines Gehäuses mit Hilfe eines Propellers, der im Sinne eines Gebläses die Luft aus dem Staubsauger hinausbefördert. Bei den frühen Modellen wurde der gleiche Effekt mit Kolbenpumpen erzielt. Weil die Luft wieder in den Unterdruckraum nachströmt, entsteht eine Luftströmung, die alle Staubpartikel vom Teppich, Boden oder von wo auch immer mitreißt. Der Propeller wird gewöhnlich durch einen kleinen hochtourigen elektrischen Universalmotor angetrieben und hat zahlreiche angewinkelte Lamellen. Durch seine Rotation wird ein Luftstrom in axialer Richtung erzeugt.

Die Wirkungsweise des Gebläses besteht darin, dass ein Flügelrad die Luftteilchen unter Ausnutzung der Zentrifugalkraft durch das Gebläsesystem beschleunigt. Zwischen Vorder- und Rückseite des Flügelrades entsteht eine Konzentrations- und damit eine Druckdifferenz, welche die Luftströmung verursacht. Man spricht vom so genannten Vakuumprinzip. Der Luftstrom wird danach durch einen Filter geleitet, in welchem der Staub zurückgehalten und gesammelt wird, möglichst ohne dabei den Luftstrom zu unterbrechen oder zu behindern. Die meisten Staubsauger enthalten deshalb sackähnliche Filter, durch welche die Luft von innen her nach draußen hindurchgelenkt wird, während sich der Staub im Innern des Sacks ansammelt, weshalb dieser dann auch von Zeit zu Zeit geleert werden muss. Die Mundstücke müssen den Luftstrom derart regulieren, dass Luftstrom und Saugwirkung in einem optimalen Verhältnis zueinander stehen. Die meisten Staubsauger werden zu Reinigungszwecken in privaten Haushalten verwendet und heute mehrheitlich von Frauen bedient.

Der Staubsauger ist zur Banalität geworden, er ist so alltäglich, dass er von uns nicht mehr als ein Gerät wahrgenommen wird, welches unsere Umwelt, unsere Handlungen prägt, als ein Gerät, welches seine eigene Geschichte hat.

Auch die Geschichte des Staubsaugers ist zum Teil nur noch fragmentarisch überliefert und (noch) nicht als «historische Explosion» in die Geschichtsbücher eingegangen. Der Apparat hat sich gleichwohl «explosionsartig» in die privaten Haushaltungen des zwanzigsten Jahrhunderts verbreitet. Dazu bemerkt Sigfried Giedion: «Die langsame Ausformung des täglichen Lebens ist ebenso wichtig wie die geschichtlichen Explosionen, denn ihr Zündstoff hat sich im anonymen Leben aufgespeichert. Werkzeuge und Gegenstände sind Ausdruck grundsätzlicher Einstellungen zur Welt. Diese Einstellungen bestimmen die Richtung, in der gedacht und gehandelt wird. Jedem Problem, jedem Bild, jeder Erfindung liegt eine bestimmte Einstellung zur Welt zugrunde, ohne die sie niemals entstanden wären. Der Handelnde folgt äußeren Antrieben – Gelderwerb, Ruhm, Macht –, dahinter jedoch steht unbewusst die Einstellung seiner Zeit, sich gerade diesem Problem und dieser Form zuzuwenden.»

Konkreter: So wie sich die moderne Industriegesellschaft in der Frühzeit ihrer Entwicklung die Welt mit dem Bau von Eisenbahnlinien, Eisenbrücken, Motorschiffen und Kanälen neu schafft und neu ordnet, so soll auch der Mikrokosmos des Alltagslebens geordnet und «gesäubert» werden. Wenn die mittelalterlichen Reste der Armutssiedlungen in den Großstädten nicht durch schreckliche Feuersbrünste vernichtet werden, dann werden sie einfach abgerissen. Ganze Stadtteile werden mit Kanalisation und mit neuen Gebäuden versorgt. Innerhalb von nur 50 bis 60 Jahren verändern die europäischen Weltstädte ihr Bild. Nicht zuletzt das Militär erkennt an seinen rachitischen Wehrpflichtigen, dass eine durch Krankheiten geschwächte Bevölkerung die staatstragenden Aufgaben nicht wahrnehmen kann.

Insofern zeigt eine tiefere innere Logik, wie die epochalen Umwälzungsprozesse auch im Alltagsleben ihre Auswirkungen hatten. Von der Reinigung der Straße bis zur Reinigung der Wohnung ist es im wahrsten Sinne des Wortes nur ein kurzer Weg.

Unter den Begriff Vorboten des heute gebräuchlichen Staubsaugers fallen sehr heterogene Maschinen und Geräte. Welche Werkzeuge/Maschinen bildeten gewissermaßen den Ideenvorrat für den später erfundenen oder entwickelten Staubsauger? Könnte man es als Erfindung des Staubsaugerprinzips bezeichnen, wenn jemand mit einem gewöhnlichen Blasebalg Staub wegsaugt? Und welche Rolle spielte die Luft als wichtigstes Element bei der Erfindung?

Der sicherste, weil systematisch erfassbare Weg durch die wirre technische Geschichte der Mechanisierung des Reinigens führt über die Erfor­schung der Patente.

Die Aktenlage zeigt, dass sich Patentämter und Gerichte sehr viel häufiger mit dem Staubsauger befasst haben als beispielsweise Forscherinnen und Forscher. Die Fragen, welche Erfinder in welchen Quellen welche Patente bezeichnen, um ihre eigene Invention zu stützen, verteidigen oder zu rechtfertigen, welche Richter welche Patente für die Urteilsbegründung in den Anhang ihrer Akten aufnehmen und in welchen Firmenarchiven welche Patente zu finden sind, ist mindestens ebenso interessant wie die Frage: «Welche Patente werden von den jeweiligen erwähnten Personen oder Institutionen gerade nicht erwähnt?»

Wo viele Patente sind, gab es Streit um die Frage: «Wer war der Erste?» Sie führte über verschiedene Fährten aus den Firmenarchiven hi­naus an die Gerichtshöfe und von dort zu der jeweils nächsthöheren Instanz, bis schließlich vor dem House of Lords in England definitiv ent­schieden wurde, wer als Erfinder des Staubsaugers zu gelten hat.

Wenn die Erfindung des Staubsaugers als «die erste kommerziell einsetzbare Form einer durch einen Motor angetriebenen Pumpmaschine, welche ein Vakuum zum Zweck der Reinigung von Haushaltsgegenständen erzeugt» definiert würde, so kommen nur noch zwei Personen in Frage: der Brite Hubert Cecil Booth und der Amerikaner David Thomas Kenney. Beide erfüllten fast zur gleichen Zeit unabhängig voneinander auf technisch unterschiedliche Art die Bedingungen der oben erwähnten Definition. Booth hatte bereits die erste patentierte Maschine auf Rädern gezeichnet, während Kenney von einer fest installierten Anlage ausging. Auch der Antrieb der beiden Maschinen ist dementsprechend unter­schied­lich: Bei Booth war es ein Benzinmotor und bei Kenney eine Dampfmaschine.

Diese britisch-amerikanische Erfinderfreude hat verschiedene nationalistische Blüten getrieben und die Forschung in beiden Ländern dazu animiert, Nachweise dafür zu liefern, dass die Erfindung Resultat des Innovationsgeistes der alten respektive der neuen Welt sei.

Aber darum soll es hier nicht gehen, denn eigentlich interessiert ja etwas anderes: Wie ist es möglich, dass sich ein Haushaltgerät wie der Staubsauger innerhalb weniger Jahrzehnte in den industrialisierten Ländern zu nahezu hundert Prozent verbreiten konnte? Obwohl wenig «harte» Daten zu seiner Verbreitung vorliegen, gibt es zahlreiche qualitative Informationen zu den besonderen Voraussetzungen, Umständen und Trägern dieser Verbreitung.

Welchen Einfluss haben die technischen Entwicklungen, die ökonomischen Faktoren und die verbreitungsspezifischen Vorgänge auf das soziale System, auf den Menschen? Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse und Theorien in Bezug auf den Haushalt können am Beispiel des Staubsaugers gestützt werden, welche nicht? Weshalb blieb die «Entstau­bungspumpe»[2] nicht Männersache, oder wie kam es, dass der Staubsauger den Frauen in die Hand gelegt wurde? Welche Rolle spielten die Kinder? In welchem sozialen Zusammenhang spielte sich die technische Entwicklung ab? Das sind Fragen, die im sozialgeschichtlichen Teil aufgegriffen werden. Zum Schluss bleibt auch die Geschichte des Staubsaugers immer fragmentarisch, um die einleitenden Gedanken von Giedion wieder aufzunehmen. Trotzdem ermöglicht die Inhaltsanalyse der Anzeigen in der Kombination mit qualitativen Studien, die «historische Nacht» zumindest schlaglichtartig etwas zu erhellen, so dass bisweilen sogar eine historische Morgenröte am Himmel aufzieht.

Die Geschichte des Staubsaugers ohne zugehörige Firmengeschichte zu verfassen, wäre dasselbe, wie einen Staubsauger ohne Vakuum zu bauen. Andererseits würde es den Rahmen dieses Buches bei weitem sprengen, wenn jede Firma bis ins Detail besprochen werden sollte. Deshalb be­schränken sich die Firmengeschichten ohne Anspruch auf Vollständigkeit auf wichtigste historische Persönlichkeiten und national ­festlegbare Entwicklungsschritte. Die Gewichtung ist aufgrund der Häufigkeit des Firmennamens in den analysierten Inseraten und in Ab­hän­gig­keit von der Verfügbarkeit firmenspezifischer Unterlagen vorgenommen worden. Die alphabetische Reihenfolge ist bewusst gewählt. Firmen, welche die Forschungsarbeiten durch großzügige Öffnung ihrer Archive oder gar durch aktive Mithilfe und Gewährung der Kopierrechte gefördert haben, werden gegebenenfalls häufiger genannt.

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Eine besonders wirkungsvolle Methode, die natürliche kindliche Motorik in den Dienst der Haushaltsreinigung zu stellen. Patent Nº. 23462 vom 14. August 1906, aus dem königlichen Patent- und Registrierbüro Stockholm. Die Baupläne können beim Autor eingesehen werden.