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Nr. 9

 

Gestohlene Erinnerung

 

Geheime Aktion im Herzen des Gegners – ein ungewöhnlicher Agent tritt auf

 

Dennis Mathiak

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Blecherne Erinnerungen

2. Sie haben es mir versprochen!

3. Der Unbekannte

4. Die Augen öffnen

5. Erwachen

6. Einschleusung

7. Vergesslichkeit

8. Und täglich grüßt Galbraith Deighton!

9. Bericht Galbraith Deighton

10. Flucht durch TROSS

11. Um den Verstand gebracht

12. Die Diagnose

13. Ein Schlaf ohne Erwachen?

14. Wo wir sind

Lesermagazin

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

1500 Jahre nach dem Aufbruch ins All hat sich die Menschheit über die Milchstraße ausgebreitet. Doch die Bewohner vieler Welten fühlen sich der Erde nicht mehr verbunden – mit der Antiterranischen Koalition planen sie einen Bruderkrieg.

Perry Rhodan lässt für das Sonnensystem einen Zeitschirm als Versteck errichten. Der große Krieg wird so verhindert.

Es stellt sich aber heraus, dass in der Milchstraße ein weiterer Konflikt herrscht, womöglich seit vielen Jahren und vor den Augen der Menschen verborgen. Uralte Mächte sind auf verschiedenen Planeten aktiv, sie bedrohen nicht nur die Erde, sondern auch zahlreiche andere Welten.

Während Perry Rhodan einer Spur der Verschwörer in der Eastside der Galaxis nachgeht, stoßen zwei außergewöhnliche Terraner tief ins Herz des Heimlichen Imperiums vor. Die größte Bedrohung ihrer Mission ist die GESTOHLENE ERINNERUNG ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Tom Bistamurti – Der Rekrut kämpft mit Erinnerungslücken.

Galbraith Deighton – Der Geheimdienstchef geht in einen Risikoeinsatz.

1.

Blecherne Erinnerungen

 

Ich zielte. Im virtuellen Fadenkreuz auf der Helminnenseite meines Kampfanzugs tauchte der Gegner auf, ein insektoides Wesen auf vier Beinen. Durch das getönte Material seines Kugelhelms erkannte ich die auf- und zuschnappenden Mandibeln und die zuckenden Antennen.

Der Mond, auf dem wir einander begegneten, hatte eine starke Albedo. Das vom Boden reflektierte Licht brach sich in den unheimlichen Facettenaugen meines Zielobjekts. Mir schauderte einen Augenblick, bevor ich mich besann, dass mein Gegner kein Monster war, sondern ein intelligenzbegabtes Wesen. Es hatte ebenso Gefühle und Gedanken wie ich, nur dass es gegen die Interessen von Terminus handelte – im Gegensatz zu mir.

Es eilte geradewegs auf mich zu, ohne Schrittspuren auf dem gelblich leuchtenden Eis zu hinterlassen, sprang dabei eher weit und hoch, als dass es rannte, begünstigt durch die auf diesem Himmelskörper kaum vorhandene Schwerkraft.

Fühlte es sich so sicher?

Ich blinzelte durch das Menü meines Helmdisplays und suchte nach Energieausschlägen im Umkreis, die von den passiven Ortungssystemen des Anzugs aufgefangen und visualisiert wurden. An den entsprechenden Positionen kämpften höchstwahrscheinlich meine Kameraden gegen den Gegner. Ich fragte mich, was der Grund für diesen Konflikt war. Womit hatten die Insektoiden sich Terminus zum Feind gemacht? Womit konnte man sich Terminus überhaupt zum Feind machen? Welche Interessen ...

»Deckung!«, erklang es im Helmempfänger.

Ich warf mich zu Boden, und das keinen Augenblick zu früh. Ein Projektil schlug vor mir ins Eis. Ich drehte mich hastig in die Gegenrichtung und zog meinen Körper vorwärts, wo immer ich einen Vorsprung oder eine Verwerfung zu greifen bekam. Dank der geringen Gravitation schnellte ich fast fliegend dicht über den Untergrund hinweg auf einen dunkler gefärbten Eisblock zu.

Schräg hinter mir wirbelte eine Explosion brockenweise Eis in die Höhe, verdampfte es teilweise, sodass dort eine Wolke aus Wasserdampf in den dunklen Himmel stieg. Instinktiv erwartete ich den zugehörigen donnernden Knall. Doch selbst wenn die Außenmikrofone meines Anzugs aktiviert gewesen wären, hätte ich nichts gehört. Denn der Mond besaß keine Atmosphäre, die Schall tragen konnte.

Dicht hinter mir erfolgten nun weitere Explosionen. Ich stoppte in der Deckung des angepeilten Brockens und lugte dahinter hervor. Von einer Anhöhe ein Stück entfernt und etwa hundert Meter über meiner vorigen Position gelegen, jagte ein Projektil in meine Richtung herab und schlug in den massiven Eisblock vor mir.

Ich legte mein Thermostrahlgewehr an, nahm den Heckenschützen ins Visier, rastete das Fadenkreuz mit einem Zusammenkneifen des Auges ein und drückte den Auslöser bis zu einem leichten Widerstand.

Der rötliche Spurstrahl markierte das Ziel. Das komplette Hinabdrücken des Feuerknopfs ließ die geballte Energieladung des Thermostrahlers frei, und das Eis am Einschlagspunkt explodierte in einer Fontäne. Eine vierbeinige Gestalt stürzte kopfüber in die Tiefe, überschlug sich und kam am Ende des Hangs zum Liegen.

Mit einem Zoom des Helmvisiers überzeugte ich mich vom Tod des Gegners. Dessen Helm war zersprungen, an einigen Stellen geschmolzen, Antennen, Facettenaugen und Mandibeln verkohlt.

Ich zitterte, biss mir auf die Lippe. Soeben hatte ich ein Intelligenzwesen getötet, ein fühlendes und denkendes Individuum. Vielleicht hatte es Familie besessen – es würde nie mehr mit seinen Anverwandten und Freunden das Leben genießen können. Mir wurde klar, dass ich gar nichts über die Wesen wusste, denen wir gegenüberstanden, außer dass sie ein Feind von Terminus waren. Wie waren sie überhaupt hierhergekommen, um uns als Gegner für die Ausbildung zu dienen, wo genau befand ich mich? War dies noch HEER oder ...

Im Augenwinkel bemerkte ich einen Blitz. Ich warf mich in die Deckung zurück, sondierte die Ortungsergebnisse der Umgebung und entdeckte die Kennung eines Kameraden, die er ausstrahlte, um einen Beschuss durch die eigene Seite zu vermeiden. Ich spähte erneut hinter dem Eisklotz hervor. In einiger Distanz erkannte ich den Insektoiden, den ich vor wenigen Augenblicken schon einmal im Visier gehabt hatte. Ich begriff, dass er mich hatte ablenken sollen, damit sein Kamerad mich aus der Höhe erledigen konnte.

Unwillkürlich jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken. Dies war ernst, ich durfte mir die Gewissensbisse nicht leisten, wenn ich diesen Einsatz überleben wollte. Oder war ich gar nicht in Gefahr? Doch die Ausbilder hatten uns gewarnt, das Manöver nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.

Ein Thermostrahl jagte in den Schutzschirm des vierbeinigen Feinds, ließ die milchig weiße Sphäre aufflackern. Der Gegner floh in großen Sprüngen.

Ich überwand den Skrupel, hustete ob meiner trockenen Kehle und legte an, nahm den Flüchtenden ebenfalls unter Beschuss und schaltete meinen Strahler auf Garbenfeuer. Stakkatoartige Strahlsalven jagten in das Milchweiß seines Energieschirms. Dessen Farbe wechselte zu einem Himmelblau, dunkelte ab und brach zusammen, als sich die Treffer der zwei Strahlengewehre zu einem Punktbeschuss vereinigten.

Was blieb, waren Asche und Wasserdampf.

 

*

 

»C-13!« Der Kamerad sicherte mit seiner Waffe nach allen Seiten und lief am Fuß des Hangs auf mich zu. »Das war knapp. Um ein Haar hätte es Sie erwischt.«

Ich nickte und sagte gleichzeitig: »Ja«, weil die Kopfbewegung in meinem gepanzerten Anzug kaum zu sehen gewesen wäre und mein Helmvisier zudem verspiegelt war.

»Welchen Weg nehmen wir?« Ich verband meine Anzugpositronik mit der von C-10, wie ihn seine Funkkennung auswies.

Er akzeptierte die eingehende Komverbindung. Gemeinsam prüften wir die Pfade, die durch das unwägbare Gewirr aus eisigen Hügeln, Brocken und Nadeln führten, die das Tal zwischen den steilen Erhebungen links und rechts von uns prägten.

»Hier sind wir gelandet.« C-10 markierte einen Punkt auf der Karte, der den Hang aufwärts lag, dann kreiste er eine etwa einen Quadratkilometer messende Fläche westlich unseres Standorts ein. »Die Kapseln unserer Kameraden sind über dieses Areal verteilt niedergegangen.«

»Wir sollten den direktesten Pfad durch den Eiswald nehmen«, riet ich. »Wir fahren die Systeme der Anzüge auf ein Minimum herab und nutzen die natürliche Geländedeckung.«

»In Ordnung. Los geht's!«

 

*

 

Meine Anzugpositronik verstärkte die Tönung des Helmvisiers, glich das Verwirrspiel von Schatten und Lichtreflexen aus. Es herrschte eine seltsame Atmosphäre in diesem Wald aus Licht, Dunkelheit und Eis, in dem nichts zu hören war außer meinem eigenen Atem.

Um uns vor der Ortung durch die Feinde zu schützen, desaktivierten wir den Nahbereichsfunk zwischen C-10 und mir. Wie der Mann tatsächlich hieß, war mir unbekannt. Ich wusste nur, dass wir beide der Landungsgruppe C angehörten und er die Kennnummer 10 trug, so wie ich die 13.

Ich stutzte. Einen Augenblick lang überlegte ich, wie es zu all dem gekommen war und ... blieb stehen.

»Wo bin ich?« Ich flüsterte, obgleich ich wusste, dass dies unsinnig war, weil mich ohnehin niemand hörte. Kein Wunder, nicht auf einem atmosphärelosen Mond, dessen Oberfläche aus gelblichem Wassereis bestand, der eine starke Albedo hatte und kaum Gravitation. All diese Informationen kamen mir seltsam vertraut vor ... War dies etwa Mimas, der Saturnmond?

Jemand legte mir eine Hand auf die Schulter. Ich blinzelte und sah C-10 vor mir. Er winkte mir, ihm zu folgen, dachte vielleicht, ich hätte die Orientierung verloren.

Ich hob den Daumen, signalisierte, dass alles in Ordnung sei. Wir setzten unseren Weg fort. Doch es ging mir nicht aus dem Sinn. War dies Mimas? Und falls ja, wie kam ich darauf? Horchte ich in mich hinein, fand ich keinerlei Hinweis, eine Verbindung zu dem Mond zu haben, geschweige denn zu Saturn oder zum Solsystem, der Heimat meiner Vorfahren.

Meiner Vorfahren ... Erneut so ein Gedanke, der aus den Tiefen meines Gedächtnisses aufstieg und direkt wieder versank, als hätte ich keinen Zugriff auf meine Erinnerungen. »Was für ein Blödsinn! Ich bin ... Ich bin ... und komme von ...« Ächzen. »Ich bin ... und komme von ...« Tiefes Einatmen. Schweiß perlte von meiner Stirn, fing sich in meiner Augenbraue. Die Klimatisierung des Anzugs erhöhte den Luftzug, um ihn zu trocknen, bevor er mir in den Augen brannte.

Ein letztes Mal tauchte ich nach meinen Erinnerungen, fasste nach ein, zwei Momentaufnahmen. Nach einem sechsbeinigen Tier mit pyramidenförmigem Kopf und silbernem, drahtigem Fell. Dem Namen Bentleb. Einem Raumschiff und einer Quarantänestation. Nach einem Todesfall. Trauer.

Allem haftete ein blecherner Klang an, wenn ich versuchte, es an die Oberfläche zu ziehen, es mir aber sogleich wieder entglitt und in die schwarze Tiefe hinabsank.

Ich leckte mir über die spröden Lippen. »Schluss! Das wird einen Sinn haben. Eine Erinnerungsblockade, damit ich keine Geheimnisse verraten kann, sollte der Feind mich in die Hände bekommen. Oder zwischen die Mandibeln ...«

 

*

 

Der Paratronschirm über dem Gebäudekomplex schimmerte in einem tiefen Blau. Immer wieder flammten über der energetischen Kuppel die Atomsonnen von Fusionsbomben auf, die aus vielen Kilometern Entfernung von Transformkanonen abgefeuert wurden. Die grellweißen Fluten verschmolzen mit dem intensiv blauen Leuchten und den schwarzen Kontinuum-Strukturrissen, über die der Paratronschirm die auftreffende Energie in den Halbraum ableitete.

»Die Raumunterstützung leistet ganze Arbeit«, sagte C-10.

Wir hatten uns unter einen Eisvorhang zurückgezogen, die Rückentornister abgesetzt und fahndeten nach den Energiesignaturen unserer Kameraden. Wir brauchten ihre Unterstützung, um das schwere Intervallgeschütz zu vervollständigen, mit dem wir von dieser Stelle der Bodenoffensive aus eine Strukturlücke in der Abwehr des Gegners schaffen sollten.

»C-5 und C-11 werden bald zu uns stoßen«, erkannte ich auf der Ortungsdarstellung unserer Umgebung. »C-1 und C-8 sind ebenfalls in der Nähe.«

»Das ist gut.« Die Stimme von C-10 ließ nichts von der Anspannung erahnen, die er fühlen musste.

Ich spürte sie jedenfalls und trommelte einen unruhigen Rhythmus auf meinem Oberschenkel. »Das ergäbe aus jedem Quartal unserer Landungsgruppe mindestens ein Bauteil. Perfekt. Damit steht zumindest ein Geschütz.«

Als C-5 und C-11 nur noch wenige Hundert Meter entfernt waren, aktivierte ich einen Peilimpuls.

C-10 hob den Daumen. »Müsste ungefährlich sein, bei dem Energiegewitter, das da hinten abgeht.« Er deutete auf den Paratronschirm, der unter ständigem Beschuss unserer Raumunterstützung lag. Die Strahlenbahnen der Abwehrgeschütze und Raumforts im Orbit taten ihr Übriges.

»Interessant wird es aber werden, sobald wir durch eine Strukturlücke im Paratronschirm eindringen und ...«

Ein Projektil fuhr zwischen uns in den Boden. Ich riss die Augen auf, stieß mich mit dem rechten Bein aus der Hocke ab und schoss unter dem Eisvorhang hervor. Die kinetische Energie der Explosion packte mich und wirbelte meinen Körper um mehrere Achsen. Ich streckte einen Arm aus, bekam den Fortsatz einer Eisnadel zu fassen und stabilisierte mit antrainierten Bewegungen meinen unkontrollierten Flug.

Antrainiert? Wann habe ich mir so etwas antrainiert?

Ich unterdrückte einen Fluch und konzentrierte mich darauf, in die Tiefe zu klettern und mit der freien Hand nach meinem Handstrahler zu greifen. Das Gewehr hatte ich neben den Bauteilen des Intervallgeschützes abgelegt. Es war hoffnungslos verloren.

Ebenso wie C-10. In den Augenblicken, in denen ich flüchtige Eindrücke vom Einschlagsort des Explosivgeschosses erhaschen konnte, sah ich, dass die Detonation ihn erwischt hatte.

Ich erreichte den Boden. Den Strahler zum Schuss erhoben, lief ich in die Richtung, in der ich den oder die Angreifer vermutete, wenn sie nicht längst ihre Position verlegt hatten.

Sollte ich besser auf Verstärkung warten und mich bis dahin zwischen den Eisnadeln verbergen? Oder ...

Ein Schlag warf mich nach vorn, der Helm krachte auf den Boden, und mein Kopf schlug gegen die Polsterung.

»Anzugleck!«, warnte die Positronik. »Die Undichtigkeit wird mit Dichtungsmasse versiegelt.«

Alles Blut sammelte sich an einer einzigen Stelle meines Körpers, mein Magen zog sich zusammen. Ich spürte warme Feuchtigkeit zwischen den Beinen, die zu überraschend für die Sanitäreinrichtung des Anzugs kam.

Ich griff nach der Stelle im Rücken, packte in die schaumige Dichtungsmasse, wollte sie herabreißen, mein Vibromesser aus dem Gürtel ziehen und das eingeschlagene Projektil herausschneiden.

Meine Finger zitterten.

Ein metallischer Geschmack erfüllte zusammen mit warmer Flüssigkeit meinen Mundraum, sickerte aus dem Mundwinkel und tropfte auf die Helminnenseite.

Ich schrie!

Dann zerriss es mich.

2.

Sie haben es mir versprochen!

 

Das schrille Piepen des Weckers riss mich aus einem diffusen Traum, der sich augenblicklich verflüchtigte. Ich öffnete die Augen und rieb mir den Schlafsand aus den Augenwinkeln.

»Es ist sechs Uhr, Rekruten«, informierte die Zimmerpositronik. »Finden Sie sich in dreißig Minuten zur Nahrungsaufnahme in Kantine C-Alpha ein.«

Im Bett unter mir hörte ich ein peinerfülltes Stöhnen. Ich drehte mich auf die Seite und antwortete unwillkürlich mit einem Ächzen. Ein dumpfer Schmerz pochte unter meinem linken Schulterblatt, als hätte mich ein stumpfer Gegenstand mit voller Wucht getroffen und eine kräftige Prellung hinterlassen.

Die Erinnerung an einen Kampf zuckte durch meine Gedanken, das Gefühl, als zerrisse es mich jeden Moment. Doch so schnell sie gekommen war, verwehte sie wieder. Der Nachhall eines schlechten Traums.

Ich legte die Beine über die Bettkante, streckte meinen Körper durch und blinzelte in das stetig heller werdende Licht der Zimmerbeleuchtung, das die pastellblauen Wände und die acht Doppelbetten aus dem Dunkel des Nachtmodus schälte.

Auch meine Kameraden standen auf.

Unter mir quälte sich C-10 aus dem Bett, hielt sich die Brust. »Ich fühle mich«, sagte er, »als hätte ich hundert Kilo gestemmt. Und das mehr als einmal.« Er blinzelte träge.

So träge, wie ich mich fühlte, Tag für Tag. Die Ausbildung in HEER und SCHMIEDE war zermürbend und anstrengend, aber sie würde sich lohnen. Hoffentlich war sie bald abgeschlossen, dann konnte ich mir in TROSS eine Partnerin suchen, eine Familie gründen und Kinder großziehen ...

Man hatte es mir versprochen!

 

*

 

Das kurze Aufwallen der Gefühle schwand so schnell, wie es gekommen war. Ganz wie die Erinnerung an meinen Traum, den ich intensiv erlebt hatte; so intensiv, dass er mir wie real vorgekommen war, aber der sich nicht greifen ließ.

Ich folgte meinen Kameraden in den Hygieneraum, griff im Vorbeigehen nach einer Dentaltablette aus der Schüssel neben den Waschbecken und steckte sie mir in den Mund. Sofort setzte der prickelnde Reinigungsprozess ein.

Unter der Dusche musterte ich verstohlen meine Nebenmänner, betrachtete die roten und blauen Blutergüsse, die Hautabschürfungen und die schon ins Gelbe oder Krustige übergehenden Wunden älterer Trainingseinheiten. Warmes und kaltes Wasser prasselte auf meinen Körper, schmerzte bei jeder Berührung meiner eigenen Blessuren, bis es endlich versiegte und aus den Düsen stattdessen Schaum sprühte und sich automatisch auf jedem Quadratmillimeter meiner Haut verteilte. Es brannte an einigen Stellen, als der Desinfektionsanteil des Reinigungsmittels wirkte, und wieder regnete es abwechselnd warm und kalt auf mich herab.

Wacher wurde ich dadurch nicht. Nur sauber. Der dumpfe Schmerz unter dem Schulterblatt ließ allmählich nach. Folgen der Übungskämpfe, von den Schlägen und Tritten, mit denen die Ausbilder uns malträtierten.

Aber warum zitterte meine Hand? Ich öffnete und schloss sie zur Faust, erinnerte mich daran, ein Strahlengewehr damit gehalten zu haben. Ich hatte anvisiert und geschossen, getötet, ich ...

... schüttelte den Kopf. So ein Unsinn. Ich hatte geschossen, aber nur in Simulationen!

Der Regen aus den Duschköpfen versiegte, ich wurde trocken geföhnt und mit einer Lotion besprüht, die sich als öliger Film auf der Haut verteilte, doch Sekunden später eingezogen war. Ich folgte den Kameraden zu den Spinden in einem weiteren Nebenraum unserer Kabine, zog die Montur an und strich den Schriftzug mit meiner Kennnummer glatt – C-13.

Einst hatte ich einen Namen besessen. Doch der war in TROSS nicht relevant. Er war für mich nicht mehr relevant. Alles, was zählte, war der Einsatz für Terminus, und beinahe erinnerte ich mich selbst nicht mehr an meinen Namen.

Beinahe?

 

*

 

Fast automatisch folgte ich dem Gang vor unserem Zimmer nach links. Hundert Meter geradeaus, wieder links, fünfzig Meter weiter und nach rechts. »Kantine« prangte in weißen Lettern auf der marineblauen Wand. Alles in diesem Quartierbereich war in Blautönen und wenigen kontrastfarbenen Akzenten gehalten.

Ich klappte den Verschluss meiner Nahrungsmittelausgabe hoch, griff nach dem Tablett mit dem Nährbrei und dem Tee, die auf meine individuellen Bedürfnisse ausgerichtet waren, und setzte mich zu den Kameraden des ersten C-Sextas an den Tisch. Ebenso automatisch wie ich hergekommen war, führte ich den Löffel zum Mund und schluckte das sättigende, aber fade schmeckende Grundnahrungsmittel.

Nach der Ausbildung würde ich etwas Richtiges zwischen die Zähne bekommen, schwor ich mir. Ich würde wieder agiler sein und nicht jeden Schritt und Handschlag wie von selbst tätigen. Was freute ich mich auf etwas wie ein saftiges Ganshurensteak, das in meiner Heimat in ... auf ...

Ich runzelte die Stirn. Die Bilder zweier Städte überlagerten sich vor meinem inneren Auge, mit einem blechernen Nachhall bellte ein sechsbeiniges Wesen mit silbrigem Drahtfell. Ödes Land und fruchtbare Wälder huschten vorbei.