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Das Wissen dieser Welt aus den Hörsälen der Universitäten.

Fachbereich

PHILOSOPHIE / WISSENSCHAFTSTHEORIE

Gibt es Grenzen des Wissens und der Wissenschaft?

Von Prof. Dr. Jürgen Mittelstraß

Gibt es Grenzen des Wissens und der Wissenschaft?

Wer von Grenzen des Wissens spricht, denkt zunächst einmal an sich selbst – an das, was man weiß und was man nicht weiß, wobei sich schnell herausstellt, daß das eigene Wissen ein beschämend kleiner Teil nicht nur eines möglichen, sondern auch eines wirklichen Wissens, des Wissens anderer ist. Meist ist man sich nicht einmal sicher, ob das, was man zu wissen glaubt, auch wirkliches Wissen ist, d.h. ein Wissen, das sich jederzeit als begründet erweist und kritischen Nachfragen standhält. Zwischen Wissen, Meinen und bloßen Vorstellungen vom Wissen tun sich – nicht nur in der Alltagswelt – Abgründe auf. Zumindest bewegt man sich auf unsicherem Gelände.

Wer hier nicht großzügig gegenüber sich selbst verfährt, dem eigenen Wissen bzw. für Wissen Gehaltenen schlicht vertraut, sich gelegentlich auch auf einen common sense beruft (der keineswegs irrtumsfrei ist), wird schnell zum Skeptiker. Wenn es mir schon so geht, daß ich mich auf das, was ich weiß, was ich zu wissen glaube, nicht verlassen kann, warum sollte es beim Wissen anderer, und gelte es noch so als gewiß, anders sein? Die eigene Unsicherheit wird schnell zur erkenntnistheoretischen Gewißheit: Wissen ist prinzipiell fehlbar, potentielles Nichtwissen, von Meinung – bis hin zum ‘rationalen Glauben’ (rational belief) – nicht ein für allemal unterscheidbar. Und wenn doch etwas für Wissen gehalten wird, weil es sich immer wieder bestätigte, dann sind seine Grenzen in der Regel eng. Die Wirklichkeit von Grenzen des Wissens ist aufdringlicher als das Versprechen unbegrenzten Wissens.

Überhaupt ist die Erfahrung von Grenzen etwas ganz Normales, unser Leben auf Schritt und Tritt Begleitendes. Nicht nur unsere intellektuellen Vermögen sind begrenzt; das gleiche gilt von unseren körperlichen Fähigkeiten und von den Umständen, in denen wir uns bewegen. Alles Glück hat ein Ende, alles Können stößt an Grenzen, natürliche oder individuell bedingte, alles Wünschen hilft über Begrenztheiten, die sich in der Wirklichkeit aufdringlich zur Geltung bringen, nicht hinweg. Der Mensch erfährt sich über das Mißlingen wie über das Gelingen; die conditio humana ist selbst eine begrenzte. Wer so denkt, ist schon ein halber Philosoph. Tatsächlich ist es von Anfang an eine der Lieblingsbeschäftigungen der Philosophie, nicht nur nach den Entstehungsbedingungen des Wissens (wie kommt Wissen zustande, was setzt es voraus?) und dem Wesen des Wissens (wie unterscheidet sich Wissen z.B. von Meinung?) zu fragen, sondern auch nach den Grenzen des Wissens. Damit waren meist Erkenntnis grenzen in dem Sinne gemeint, daß die Kapazität und die Organisationsform des menschlichen Verstandes einfach nicht ausreichen, um alle Fragen zu beantworten, die sich stellen lassen, und alles zu erforschen, was sich in irgendeiner Weise als erforschbar denken läßt. Man stellt sich hier den menschlichen Verstand wie eine Lampe (oder einen Scheinwerfer) vor – wohin sein Licht reicht, reicht auch das Wissen, wohin sein Licht nicht reicht, da bleibt es dunkel. Das Wissen begrenzt sich gewissermaßen selbst, weil der Verstand von nur begrenzter Reichweite ist. Und wo er (ohne Licht) nur herumtappt, ist er blind, erkennt er nicht, muß er das Feld anderen – Mystikern, Esoterikern, Traumtänzern, allesamt vermeintlich mit übermenschlichen Fähigkeiten ausgestattet – über lassen. Die haben übrigens auch gegenwärtig wieder Konjunktur. Ein Verstand, der an seine Grenzen stößt, sehnt sich eben nach einfacheren, jedenfalls nach intellektuell weniger anstrengenden Zugängen ins unendliche Wissen – und je kleiner der Verstand ist, um so mehr.

Doch nicht von derartigen Grenzen soll hier die Rede sein, auch nicht von den Grenzen des spekulativen oder spekulierenden Wissens, sondern von Grenzen, die (tatsächlich oder auch nur vermeintlich) den wissenschaftlichen