cover

Maike Wessel

DIE
KONQUISTADOREN

Images

© Verlag KOMPLETT-MEDIA GmbH
2007, München/Grünwald
www.komplett-media.de

eBook-Herstellung und Auslieferung:
HEROLD Auslieferung Service GmbH
www.herold-va.de

Geschichts-Daten

1475 Geburt von Francisco Pizarro
1484 Geburt von Hernando Cortéz
1492 Granada wird von den Mauren zurückerobert Der spanische König unterschreibt Vertrag mit Christoforo Columbus Columbus entdeckt die Neue Welt
1494 Spanien und Portugal ziehen Demarkationslinie in der Neuen Welt
1497 Giovanni Caboto (John Cabot) entdeckt Nordamerika
1498 Vasco da Gama entdeckt Seeweg nach Indien
1500 Vicente Yánez Pinzon entdeckt den Amazonas Pedro Álvares Cabral landet in Brasilien
1502 Geburt von Gonzalo Pizarro Francisco Pizarro erreicht die Neue Welt (Panama)
1506 Cortéz bricht in die Neue Welt auf: nach Hispaniola und Kuba
1507 Martin Walseemüller führt den Begriff „Amerika“ ein
1508 Entdeckung der mexikanischen Halbinsel Yucatan
1513 Vasco Núnez de Balboa entdeckt den Pazifik, die „Südsee“ Ponce de León entdeckt Florida
1516 Juan Díaz de Solís entdeckt Rio de la Plata und Argentinien
1517 Cortéz erforscht Yucatan und trifft erstmals die Maya
1519 Zweite Eroberungsexpedition Cortéz' nach Mexiko Empfang beim Aztekenherrscher Montezuma Gefangennahme von Montazuma Alonso Álvarez de Pineda entdeckt Mississippi und Rio Grande
1520 Versuch der Amtsenthebung von Cortéz Ermordung Montezumas Ausbruch der Pocken im Aztekenreich
1521 Belagerung und Eroberung der Aztekenhauptstadt Tenochtitlan
1524 Pedro de Alvarado unterwirft Guatemala und San Salvador
1526 Francisco Pizarro entdeckt Peru und die Inka
1528 Álvar Núnez Cabeza de Vaca beginnt Leben als Indianer
1532 Die Pizarros erobern Inka-Hauptstadt Cajamarca in Peru Verhaftung von Inka-König Atahualpa
1533 Ermordung von Atahualpa Eroberung des Inka-Reiches
1535 Pedro de Mendoza gründet Buenos Aires Diego de Almagro entdeckt Chile Der lange Marsch von Cabeza de Vaca
1536 Cortéz entdeckt Kalifornien Aufstand der Inka, Flucht des Inka-Königs Manco Cabeza de Vaca kehrt in Zivilisation zurück
1540 Zimtland-Expedition von Gonzalo Pizarro Francisco Vázquez de Coronado entdeckt Arizona und New Mexico Cabeza de Vaca wird Statthalter in Peru
1541 Ermordung von Francisco Pizarro Zerwürfnis zwischen Gonzalo Pizarro und Francisco de Orellana Teilung der Zimtland-Expedition
1542 Rückkehr von Gonzalo Pizarro Orellana durchquert den Amazonas Der spanische König verbietet Indianer-Sklaverei
1543 Cabeza de Vaca wird abgesetzt und verbannt
1547 Tod von Hernando Cortéz
1548 Tod von Gonzalo Pizarro
1550 Rat der Vierzehn debattiert über die Menschenrechte Der spanische König stoppt alle Eroberungen in der Neuen Welt
1552 Cabeza de Vacas Reisebericht erscheint als Buch
1557 Tod von Cabeza de Vaca
1572 Endgültige Eroberung und Auslöschung des Inka-Reiches

Inhaltsverzeichnis

Hernando Cortéz

Die weibliche Macht der Malinche

Die Krankheit des Herzens

Der Kampf gegen die Menschenopfer

Die sagenhafte Stadt Tenochtitlan

Die Verhaftung Montezumas

Gefangen im Palast

Der zweite Angriff auf Mexiko

Das neue Mexiko

Francisco Pizarro

Das Gold von „Biru“

Pizarro landet in Peru

Die Eroberung Perus

Die Inka testen die Weißen

Bestechungsversuch mit Gold

Der Aufstand der Inka

Die Flucht von Manco

Das sagenhafte El Dorado

Der Marsch ins Zimt-Land

Quer durch die Grüne Hölle

Das große Zerwürfnis

Das Land der Amazonen

Rückzug über die Anden

Die Fahrt auf dem Amazonas

Das grüne El Dorado

Almanach der Konquistadoren

Die Reue des Eroberers

Ein Leben als Indianer

Der spanische Schamane

Der lange Marsch

Begegnung mit den Sklavenhändlern

Zurück in der Zivilisation

Statthalter von Paraguay

Die Reue des Königs

Der Sieg der Menschenrechte

Spanien am Ende des 15. Jahrhunderts. Eine neue Ära beginnt. Das Schicksalsjahr ist 1492. Granada, die letzte Hochburg der Araber auf der iberischen Halbinsel, fällt. Der Jahrhunderte lange Kampf der christlichen Spanier gegen die Herrschaft der Mauren ist gewonnen. Die Halbinsel ist zurück erobert, die „Reconquista“ beendet. Aber der mittelalterliche Kreuzzugsgeist der Spanier ist keineswegs erloschen. In den Nachfahren der Glaubensritter regen sich weiterhin religiöser Eifer und missionarisches Sendungsbewusstsein. Die spanischen Kämpfer, oft seit Generationen im Dienst mit der Waffe, roh, zäh, meist ungebildet, viele sogar Analphabeten, strotzen vor Rauflust. Und auch sie werden erfasst vom Geist der Neuzeit, von dem unbezwinglichen Zug in die Ferne, von dem Trieb, alles zu erforschen und zu unterwerfen.

Es ist das Zeitalter der Entdeckungen. 1492 unterzeichnet das spanische Königspaar Ferdinand und Isabella mit dem Genuesen Christoforo Colombo einen Vertrag, im Auftrag der Krone den Westweg nach Indien zu finden. Im Herbst desselben Jahres erreicht Kolumbus die karibischen Inseln, nennt sie – noch in seinem Irrtum gefangen – die „Westindischen Inseln“. Ein neuer Kontinent liegt Spanien zu Füßen. Frankreich und England sind mit innenpolitischen Problemen beschäftigt. Portugal, Spaniens größter Rivale und unter seinem König Heinrich dem Seefahrer Vorreiter aller kommenden Entdeckungen, konzentriert sich auf den Osten. 1498 entdeckt Vasco da Gama den Seeweg nach Indien, und Portugal beherrscht seitdem den Gewürzhandel aus Asien. Den Spaniern steht so der Westen offen.

Die Neue Welt – noch sind es winzige Kolonien auf den Inseln Kuba und Hispaniola. Die Spanier finden dort im Wesentlichen nur den Rohstoff Zucker und dunkelhäutige Indianer. Die planmäßige Ausbeutung von beidem, die auf Sklaven gestützte Zuckerproduktion in großem Stil, wird erst Jahrzehnte später beginnen und die Antillen für 200 Jahre zur Melkkuh und zum Zankapfel der europäischen Mächte machen. Die spanische Krone jedoch, auf der Suche nach Geldquellen, um ihre Großmachtpolitik zu finanzieren, giert nach etwas, was es auf den Inseln der Karibik nicht gibt: Gold.

Aber die Spanier finden bald Gold. In Mengen, von denen kein Europäer je zu träumen gewagt hat. Denn im Dunkeln des noch unentdeckten neuen Kontinents liegen Schätze, die sich die Menschen in der Alten Welt nicht vorstellen können. Sie wurden von zwei hoch entwickelten Kulturen geschaffen, von Zivilisationen, die Errungenschaften hervorgebracht haben, die es sie in Europa am Beginn der Neuzeit nicht gab. Sie hatten Wunderwerke der Ingenieurskunst, geniale Bewässerungsanlagen und Düngemethoden, botanische Gärten und Dampfbäder geschaffen; sogar ein Postsystem, das mit unglaublicher Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit funktionierte. Es gab Großstädte, deren Straßen so sauber waren, dass die Füße der Bewohner nie schmutziger wurden als ihre Hände. Diese Kulturen hatten Gerichte, die sich niemals mit Eigentumsdelikten beschäftigen, weil die Menschen so ehrlich waren. Und vor allem hatten sie Meisterwerke des Kunsthandwerks geschaffen, exquisit gearbeiteten Schmuck aus Gold und Silber.

Beide Hochkulturen, der Staat der Azteken in Mexiko und das Reich der Inkas in Peru, werden in weniger als 20 Jahren nicht nur unterjocht, sondern völlig zerstört. Die Täter: eine Rotte ruchloser Banditen aus Spanien. Das Motiv: schnöde Gier nach Gold, nach Macht, nach Ruhm. Verblendet durch den doppelten Größenwahn ihrer katholischen Religion und der weißen Rasse, angetrieben durch Rauf- und Abenteuerlust, bereit, unglaubliche Strapazen und Entbehrungen auf sich zu nehmen, erobern die Spanier die Neue Welt. Mit Verschlagenheit und Tücke unterwerfen sie zwei Reiche, töten Hunderttausende, vergewaltigen, knechten und versklaven, plündern und brandschatzen, rauben gigantische Schätze und zerstören unermessliche Kunstwerke und Heiligtümer.

In Lateinamerika nennt man das noch immer die „Conquista“, Eroberung. Und die Männer, die das vollbrachten, das sind die „Konquistadoren“.

Hernando Cortéz

Die Geschichte der „Conquista“ beginnt in der Estremadura, der staubigsten, kargsten und einsamsten Provinz Spaniens. 1484 wird hier in der kleinen Stadt Medellín der erste der großen Eroberer geboren: Hernando Cortéz. Nach dem Wunsch der Eltern wird der aufgeweckte Junge in Jura ausgebildet und nicht, wie üblich, im Militärwesen. Cortéz gehört zu den großen Namen der Weltgeschichte, und doch bleibt seine Vita bis heute rätselhaft. Ein Schürzenjäger und ein Spieler soll er gewesen sein. In jedem Fall war er ein typisches Produkt der Renaissance, wissensdurstig, waffengewandt, hungrig nach Abenteuer, Ruhm und Ehre. Er ist der Held unserer ersten Geschichte – wenn man Jemanden als einen Helden bezeichnen kann, der den Untergang einer Zivilisation und den Tod hunderttausender von Menschen zu verantworten hat.

22 Jahre ist Cortéz alt, als er 1506 Spanien verlässt und sich in die Neue Welt aufmacht. Er siedelt sich zunächst auf Hispaniola an – heute teilen sich die Dominikanische Republik und Haiti die Insel – etwas später zieht er nach Kuba.

Die spanischen Kolonien auf den Antillen bestehen zu der Zeit gerade mal seit zehn Jahren. Doch in dem Jahrzehnt seit Kolumbus’ erster Entdeckungsreise ist das geographische Wissen der Europäer enorm gewachsen. Im Jahre 1500 erreicht der Spanier Vicente Yánez Pinzón den Amazonas und der Portugiese Pedro Álvares Cabral landet – versehentlich – im südlichen Teil Brasiliens. Trotzdem wird Brasilien für die nächsten 30 Jahre nicht weiter erforscht, vermutlich weil sich Klima und Landschaft wenig für eine Kolonisierung eigneten.

Auch Nordamerika bleibt noch für weitere 100 Jahre unbesiedelt, obwohl 1497, also noch vor Kolumbus, Giovanni Caboto – unter englischer Flagge und mit dem englischen Namen „John Cabot“ – das amerikanische Festland bei Labrador erreicht. Kurioserweise werden beide, Kolumbus wie Cabot, um die Ehre geprellt, dem neuen Kontinent ihren Namen zu geben. Diesen Ruhm stiehlt sich völlig ungerechterweise ein cleverer Mitreisender der Entdeckungsfahrten mit einer großen Klappe: der Italiener Amerigo Vespucci. Der deutsche Geograph Martin Waldseemüller geht der Eigenwerbung Vespuccis auf den Leim, und führt 1507 den Namen „Amerika“ ein – eine der großen Ungerechtigkeiten der Geschichte.

Die wahren europäischen Entdecker Nordamerikas sind sowieso die Skandinavier, die schon um das Jahr 1000 die Küsten Neufundlands erreicht hatten. Ihre Reisen waren zwar nicht völlig in Vergessenheit geraten, aber das Wissen darüber war nicht weitergegeben worden.

In den Jahren 1508/1509 erreichen die Spanier zum ersten Mal die Yucatán-Halbinsel, ein Jahr später die Küste Floridas. Noch herrscht die Ansicht vor, dass all dies Inseln seien, an denen man vorbei bis nach China segeln könne. Doch dieses Bild verändert sich sehr bald. 1513 bahnt sich Vasco Núnez de Balboa einen Weg durch den Dschungel in der Landenge von Panama und erblickt zum ersten Mal den Pazifik, die „Südsee“.

Der entscheidende Moment für Cortéz kommt mit zwei Expeditionen nach Yucatán. 1517 erreicht der spanische Kapitän Córdoba die Spitze der Halbinsel Yucatán und kommt zum ersten Mal in Berührung mit der Kultur der Mayas. Dies sind nicht „primitive“ Stammesvölker wie auf den Westindischen Inseln, die von den Kolonialherren rücksichtslos versklavt werden. Es ist eine hoch entwickelte Zivilisation, die die Spanier beeindruckt. Zu dieser Zeit ist die Kultur der Mayas bereits seit langem im Niedergang begriffen, ihre Hochblüte hatte sie im 9. Jahrhundert. Selbst die großen Städte der späten Zeit wie Chichen Itzá sind verlassen und vom Tropendschungel überwuchert. Aber es gibt immer noch organisierte Stadtstaaten mit Schriftkultur und Handel entlang der Küste.

Zunächst wird Córdoba als Gast empfangen, doch ein anderer Stadtfürst hatte wohl von der Gewalttätigkeit der spanischen Siedler in der Karibik gehört und greift die Expedition an. Córdoba verliert die Hälfte seiner Männer, aber was er nach Kuba zurückbringt, löst eine Kettenreaktion aus, die den Lauf der Weltgeschichte verändert: Gold. Die Mayas hatten die Goldstücke im Tauschhandel von einem Land im Nordwesten erhalten, einem Land mit dem Namen „Mexiko“.

In Kuba versteht man die Tragweite dieser Entdeckung sofort und organisiert eine zweite Expedition unter Juan de Grijalva. Grijalva geht auf der Insel Cozumel an Land, wo er Pyramiden und hohe Gebäude findet, weitere Zeichen einer Hochkultur. Die Expedition umrundet die Halbinsel und landet an der Küste hunderte von Kilometern weiter nordwestlich. Die Einheimischen dort gehören zum Volk der Totonacs. Sie heißen Grijalva willkommen und sind geradezu begierig, mit den Spaniern zu reden. Mit Hilfe eines Maya als Dolmetscher erzählen die Totonacs von einer großen Stadt jenseits der schneebedeckten Bergkette im Osten, unter deren Herrschaft sie leben. Es sei ein Reich mit einer hoch entwickelten politischen Ordnung und Verwaltung, mit Gesetzen und Gerichtsbarkeit.

Da wird den Spaniern zum ersten Mal klar, dass sie sich nicht auf einer Insel, sondern auf einem Festland befinden, auf dem ein großes und mächtiges Reich existiert: Mexiko. Die Neuigkeiten von Grijalva wirken auf die Kolonisten in Kuba elektrisierend. Der Goldrausch erfasst die Spanier. Mexiko – das ist das neue Zauberwort für Reichtum und Ruhm.

Hernando Cortéz sieht seine Chance und ergreift sie. Als einer der wohlhabendsten Männer Kubas kann er sich seine eigene Expedition finanzieren. Seine Flotte umfasst vier größere Schiffe und sieben kleinere Boote. An Bord sind 530 Europäer, darunter etwa 100 Matrosen, ein Arzt, etliche Zimmerer und mindestens acht Frauen; zudem mehrere hundert Indianer aus Kuba und einige Afrikaner, der Großteil Sklaven. Obwohl die Expedition offiziell als Forschungsund Handelsreise ausgewiesen ist, nimmt Cortéz ein beeindruckendes Waffenarsenal mit. Armbrüste, Handgewehre, kleine Artillerie und tragbare Schiffskanonen. Seine Geheimwaffe sind 16 Pferde und eine große Anzahl Kampfhunde – Tiere, die, wie sich herausstellen wird, den Azteken unbekannt sind und ihnen große Furcht einjagen.

Am 18. Februar 1519 setzt Cortéz in Santiago de Cuba Segel. Er tut das gegen den Willen des kubanischen Gouverneurs. Es ist der Schachzug eines Spielers. Eines Spielers, der große unbekannte Risiken einzugehen bereit ist.

Cortéz' Geschichte wird von einer Reihe einzigartiger Dokumente erzählt, darunter seine eigenen Briefe aus der Neuen Welt. Erstaunlicherweise haben wir auch Material von Seiten der Azteken. Der faszinierendste und detailreichste Bericht wurde von einem Franziskaner, Bernardino de Sahagún, in Nahuatl, der Sprache der Azteken, geschrieben. Sie stützt sich auf Gespräche mit aztekischen Augenzeugen. Zusammen mit Liedern und Gedichten der Azteken gibt dieser Bericht einen unschätzbaren Einblick in die Geschehnisse, deren Tragik noch heute, fast 500 Jahre später, unter die Haut geht.

Verständigung ist ein entscheidender Faktor bei der Eroberung fremder Reiche. Und in diesem Punkt hat Cortéz von Anfang an unverschämtes Glück. Auf Cozumel, seiner ersten Station vor der Küste Yucatáns, trifft er auf einen Spanier mit Namen Aguilar, der nach einem Schiffbruch acht Jahre als Gefangener unter den Einheimischen gelebt hat. Damit hat Cortéz einen Dolmetscher für die Sprache der Mayas – unverzichtbar für das Vordringen ins Landesinnere.

Die weibliche Macht der Malinche