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Silke Porath / Sören Prescher

Mörderische Sächsische Schweiz

11 Krimis und 125 Freizeittipps

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Impressum

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Ashera GbR, 87733 Markt Rettenbach

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Alle Rechte vorbehalten

2. Auflage 2019

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © manfredxy / shutterstock.com

ISBN 978-3-8392-5366-3

Haftungsausschluss

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Metas Aufbruch

Mit einem schwachen Pusten entfernte Meta Malewski die Staubkörnchen vom Armaturenbrett. Dann steckte sie den Schlüssel ins Zündschloss, atmete einmal tief ein und startete den Wagen. Hatte sie wirklich an alles gedacht? Meta schaltete den Motor wieder ab. Es war bereits halb drei am Freitagnachmittag. Eigentlich hätte sie seit zwei Stunden unterwegs sein wollen. Ein ereignisreiches Wochenende lag vor ihr. Ohne nervende Kunden, ohne nörgelnden Chef und ohne das Gefühl, wieder einmal den halben Tag mit dem Staubwedel vergeudet zu haben.

Meta mochte ihren Job, irgendwie. Aber als Buchhändlerin verkaufte sie eben nicht nur gute Geschichten, sondern war auch dafür zuständig, dass die Krimis und Romane staubfrei blieben. Sie fixierte ein imaginäres Staubkorn auf dem Tachometer und schloss die Augen hinter der gelb umrandeten Brille. Nicht, dass sie eine Brille gebraucht hätte, aber seit vor drei Jahren neben der Buchhandlung ein Optiker eröffnet hatte, war die 46-Jährige so was wie ein Brillenjunkie. Andere Frauen shoppten Schuhe, wenn die Beziehung in die Binsen ging. Meta verlegte sich auf Brillen, von denen sie mittlerweile zwei Dutzend besaß, in allen erdenklichen Farben. Und da sowieso nur Fensterglas in den Gestellen war, auch recht günstig erstanden. Wie jenes Modell, das sie heute trug. Das Gelb biss sich zwar ein wenig mit dem Fahlbraun ihrer Haare, passte dafür aber exakt zu den Streifen auf ihrem Shirt.

Mit geschlossenen Augen ging sie die Packliste durch. Die Brillen hatte sie schon am Vorabend mit den Klamotten im Rollkoffer verstaut. Die Kamera thronte in ihrer schwarzen Polstertasche wie ein stummer Freund neben ihr auf dem Beifahrersitz. Das neue Weitwinkelobjektiv war zwar schwer, würde aber wunderbare Panoramafotos liefern. Und herrliche Panoramen, hatte sie gelesen, sollte es in der Sächsischen Schweiz jede Menge geben. Meta fotografierte noch nicht allzu lange, aber lange genug, um zu wissen, dass ihr nie ein gutes Porträt gelingen würde. Geschweige denn ein passables Foto von einem Tier, wenn das nicht tot irgendwo lag, womöglich noch als Schnitzel in der Theke beim Metzger (Food-Fotos machte sie zwar manchmal, aber daran fand sie keinen rechten Geschmack). Alles, was sich schneller als eine Schnecke bewegte, kam ihr nicht mehr vor die Linse.

Zahnbürste, Deospray und Einwegrasierer? Alles im Beautycase. Bücher? Musste und wollte sie nicht mitnehmen. Das hätte sich angefühlt, als würde ein Finanzbeamter mit einem Stapel Steuererklärungen im Gepäck in Ferien fahren. Wanderschuhe? Im Koffer. Ladekabel fürs Handy? In der Kameratasche. Ingwerbonbons?

»Mist!« Meta zerknüllte die leere Packung, die sie in der Mittelkonsole aufbewahrte. Das also hatte sie vergessen. Was kein Drama war, schließlich gab es ihre Lieblingssorte an jeder Tankstelle. Aber sie wäre gerne ohne Verzögerung losgefahren und hatte den Wagen bereits gestern Abend vollgetankt. Der schaffte die knapp 540 Kilometer von Wiesbaden bis nach Ostsachsen also locker. Aber ob sie ohne nervenberuhigende Lutschpastillen durchkäme?

»Egal, wird schon gehen«, ermunterte Meta sich selbst und startete das Auto zum zweiten Mal. Scherte aus der Parklücke aus und lenkte den Wagen Richtung Mainzer Straße und A66. Für einen Freitagnachmittag war erstaunlich wenig Verkehr und bis zur Auffahrt auf die A5 hatte sie erstens dreimal lautstark die Lieder im Radio mitgesungen und zweitens beinahe vergessen, dass sie keine Bonbons hatte. Bis ein schwarz lackierter Lkw mit polnischem Kennzeichen just in dem Moment ausscherte, als Meta auf der linken Spur mit 160 Sachen ankam. Sie trat auf die Bremse, schnappte nach Luft und starrte auf die schwarze Wand, die unaufhaltsam näher kam. Beinahe hätte sie die Augen zusammengekniffen. Sie schlug auf die Hupe und atmete erst wieder aus, als sich der Abstand zwischen ihr und dem Laster auf ein gesundes Maß verringert hatte. Hinter dem Brummi herfahrend, überholte sie einen tschechischen Lastwagen, verkniff es sich, dem Verursacher des Schneckenrennens im Vorbeifahren einen Vogel zu zeigen, und hielt Ausschau nach der nächsten Raststätte. Es war definitiv Zeit für ein Ingwerbonbon.

Eine Tasse Kaffee, ein trockenes und viel zu teures Salamibrötchen und einen Abstecher aufs Klo später saß sie wieder im Wagen. Das Navi führte sie im Feierabendverkehr an Zwickau und Chemnitz vorbei nach Dresden. Als es dämmerte, verließ sie die Autobahn und atmete auf. Nun musste sie nur noch ihre Pension in der Altstadt finden, dann hatte sie das erste Ziel ihrer Reise geschafft.

Meta reckte sich, schnappte sich die Kameratasche vom Beifahrersitz und ging über die Straße zu der kleinen Pension, die sie über das Internet gebucht hatte. In Dresden selbst war sie zwar noch nie im Leben gewesen, hatte aber schon viel Tolles über die Elbmetropole gehört. Schade eigentlich, dass ihr gar keine Zeit für das Grüne Gewölbe und den Zwinger blieb. Aber für diesen Kurzurlaub hatte sie sich die Sächsische Schweiz ausgeguckt – was ja nicht bedeutete, dass sie sich beim nächsten Mal nicht die Landeshauptstadt vornehmen würde. Genug Sehenswertes gab es hier allemal.

Als sie den breit grinsenden Glatzkopf hinter dem Empfangstresen sah, fühlte sich Meta sofort willkommen. Ihre Reservierung fand er auf Anhieb. Fünf Minuten später befand sie sich in ihrem Zimmer im zweiten Stock. Der Ausblick auf die Altstadt war traumhaft.

Lange Zeit zum Genießen blieb Meta nicht. In den ersten Monaten als Single, direkt nach der Trennung von Hajo, dem Inhaber eines Elektroladens und der Mensch, welcher ihr die Kamera und damit ein neues Hobby geschenkt hatte, war sie oft genug alleine mit der Minibar in irgendwelchen Hotelzimmern gewesen. Hatte Rotz und Wasser geheult. Und den Inhalt des winzigen Kühlschranks in sich hineingekippt, während im Fernsehen platte Reportagen liefen. Der Liebeskummer war längst verklungen, trotzdem plante Meta gerne ihre Abende. Und für heute hatte sie eine Karte im Tom-Pauls-Theater in Pirna reserviert. Blöd nur, dass das Navi eine Fahrtzeit von einer reichlichen halben Stunde veranschlagte. Und noch blöder, dass die Vorstellung bereits in einer Viertelstunde beginnen sollte. Aber vielleicht würde sie es ja noch bis zur Pause schaffen.

Meta hastete aus der Pension, zerkaute während der Fahrt – dank einiger besonders langsamer Zeitgenossen wurden es satte 40 Minuten – drei Ingwerbonbons und fand tatsächlich beim Stadtmuseum einen Parkplatz. Sie warf sich die Kameratasche über die Schulter und hastete die Dohnaische Straße hinunter. Irgendwo hinter ihr floss die Elbe, aber daran konnte sie nun keinen Gedanken verschwenden. Sie bog nach der Barbiergasse in die Schössergasse ein, staunte kurz über das auch im Dunkeln imposante Rathaus und fand das Baumeisterhaus auf Anhieb, in dem das kleine Theater untergebracht war. Sie stieß die Tür des liebevoll restaurierten Hauses auf. Oder wollte dies tun – denn es war abgeschlossen. Ganz leise hörte sie von drinnen einen Mann sächseln, das Publikum lachen und klatschen.

»Herrje.« Meta ließ sich auf den Stufen nieder. Zur Pause würde sicher jemand öffnen, sagte sie sich selbst und schob einen Ingwerdrops nach.

»Na, junge Frau, ist Ihnen nicht gut?« Ein baumlanger Kerl in den Fünfzigern stand plötzlich wie aus dem Nichts vor ihr.

»Nein, alles gut.« Meta stand auf. »Ich wollte rein, aber …«

»… die Tür klemmt?« Der Mann grinste und wuchtete sich gegen die Pforte. Tatsächlich ging sie auf.

»Theater oder Ilses Kaffeestube?« Er ließ ihr den Vortritt.

»In die Vorstellung platz ich lieber nicht rein«, antwortete Meta und musterte den Mann. Sehr gepflegtes Erscheinungsbild, erstaunlich dunkles Haar, erstaunlich viele Falten. Passte nicht ganz zusammen, sah aber attraktiv aus. Wenn auch weit entfernt von ihrem Beuteschema.

»Ich geh zu Ilse«, teilte der Mann ihr mit und es klang irgendwie wie eine Einladung. Fühlte sich auch so an, als die beiden das kleine Kaffeehaus betraten und sich nebeneinander auf ein altertümliches, dunkelrot gepolstertes Sofa setzten.

»Sie sind nicht von hier«, stellte der Mann fest.

»Nein, aus Wiesbaden«, sagte Meta.

»Aber nicht vom BKA, oder?«

Sie lachte. »Nein, nur weil das so oft im Tatort gezeigt wird, gibt es bei uns trotzdem noch andere Jobs.«

»Ich war noch nie dort.« Der Mann bestellte einen Rotwein. Meta tat es ihm gleich und orderte außerdem eine Portion Würzfleisch. Die Eierschecke würde sie bis zum Dessert abwarten, falls sie vor der zweiten Spielzeit noch Zeit hätte.

»Ich war noch nie in Pirna«, gab Meta bekannt. Sie sagte nicht, dass sie sowieso erst seit knapp 15 Minuten in der Stadt war. »Ich bin übrigens Meta.«

»Kurt«, sagte er und die beiden gaben sich die Hand. Dann mussten beide lachen. Wie das manchmal so ist, wenn zwei Wildfremde sich begegnen.

»Urlaub?«, fragte Kurt.

»Sozusagen. Und Sie?«

»Rente. Ich war bei der Stadt beschäftigt. Archivar. Aber eigentlich wollte ich Polizist werden. Wie alle kleinen Jungs.«

Meta hatte zwar ein wenig Probleme, sich den hünenhaften Kurt als kleinen Jungen vorzustellen, vergaß dann aber alles um sich herum und beinahe auch das Würzfleisch, das die Kellnerin irgendwann vor ihr abstellte. Denn als Kurt von seinem Hobby zu erzählen begann, stockte ihr der Atem: Er hatte nicht nur die Stadtgeschichte archiviert, sondern sämtliche Kriminalfälle rund um Pirna und die Sächsische Schweiz. Und schon der erste Fall, den er zwischen Burgunder und Mineralwasser erzählte, ließ ihr die Nackenhaare zu Berge stehen.