HENRY QUINN

 

Tagebuch des Grauens

 

 

 

 

Vier Romane in einem Band

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

KÖNIG DER WÖLFE 

IM VORHOF DER HÖLLE 

CLUB DER SATANSTÖCHTER 

TAGEBUCH DES GRAUENS 

 

Das Buch

 

 

In einem alten verstaubten Ohrensessel hockte ein Wesen, das zu beschreiben jedem Menschen schwer gefallen wäre. Obwohl es ohne Zweifel menschliche Züge aufwies, war es am ganzen Körper behaart wie ein Tier und hatte spitz zulaufende Ohren. Seine Nase glich der eines Hundes. Eine lange rote Zunge hing aus dem Maul der Schreckensgestalt. Aus ihrer Kehle kam ein leises, aufgeregtes Hecheln...

 

Das Auto hatte sich überschlagen. Axelrod sah seinen blutüberströmten Körper, hörte seine Frau kreischen und sah, wie die Menschen zusammenliefen. Von irgendwoher ertönte eine Polizeisirene.

»Mein Gott!«, schrie jemand. »Holt sie da raus! Holt sie da raus!«

Axelrod sah seinen Körper auf der Straße liegen, sah, wie aus einer großen Stirnwunde Blut in seine Augen rann und wischte sich instinktiv mit dem rechten Jackenärmel über das Gesicht.

Das war der Augenblick, in dem er feststellte, dass er zweimal existierte...

 

Als Halliday nach Hause zurückkehrte, stellte er sofort fest, dass irgendetwas nicht stimmte.

In der Halle brannte eine einsame Lampe, die den weit gestreckten Raum in eine unheimliche Atmosphäre tauchte. Leises Stimmengemurmel drang an seine Ohren – aber die Worte waren ihm nicht verständlich. Es war wie ein leiser Singsang, der dann und wann von einem dumpfen Gong unterbrochen wurde und aufs Neue einsetzte.

Halliday erreichte ohne Zwischenfall die Tür zu seinem Arbeitszimmer und fühlte, wie sich der Türgriff unter dem Druck seiner Hand bewegte. Er glitt hinein in den Schutz fast absoluter Dunkelheit, und sein Herz klopfte zum Zerspringen...

 

London, 1974. Unerklärliche Dinge ereignen sich im Umfeld des jungen Autors Lionel Roberts: Freunde und Bekannte verhalten sich plötzlich rätselhaft und unheimlich... Und es hat den Anschein, dass seit Jahrhunderten tote Menschen in seiner Vaterstadt ihr vampirisches Unwesen treiben...

 

Vier Romane von HENRY QUINN in einem Band: KÖNIG DER WÖLFE, IM VORHOF DER HÖLLE, CLUB DER SATANSTÖCHTER und TAGEBUCH DES GRAUENS – klassische Horror-Schocker mit wunderbarem 70er-Jahre-Flair!

 

 

KÖNIG DER WÖLFE

 

 

1

 

Ein kalter Novemberwind fegte vom Meer her über das Festland. Der eisige Hauch lähmte alles Leben, die Straßen waren wie ausgestorben. Dichte, silbergraue Nebelschwaden zogen an den Fenstern der Häuser von Arkham vorbei.

Prüfend sog Kenneth Clark die Luft durch die Nase. Bald würde es Schnee geben. Er klopfte seine Pfeife aus, schloss das Fenster und kleidete sich aus, um zu Bett zu gehen.

Er zog die Decke bis über die Ohren und war bald in einen tiefen, traumlosen Schlaf gesunken.

Wie lange er gelegen hatte, wusste er nicht zu sagen – viel mehr als zwei Stunden konnten es gewiss nicht gewesen sein – da riss ihn das beharrliche Pochen des Türklopfers aus seinem Schlaf. Benommen fuhr er hoch.

Da hörte er es wieder, ungeduldiger jetzt. Das Pochen dröhnte durch das ganze Haus und brachte die Scheiben zum Klirren. Dann rief eine ihm unbekannte heisere Stimme seinen Namen.

»Mister Clark! Mister Clark!«

Mit einem unwilligen Knurren wälzte Clark sich aus dem Bett. Er riss den Morgenmantel von der Stuhllehne und taumelte schlaftrunken auf den Korridor hinaus. Während er sich im Gehen anzog, fragte er sich, wer ihn zu dieser späten Stunde noch aufsuchen konnte, und ob der Grund wirklich so schwerwiegend war, dass man ihn so unsanft aus seinem wohlverdienten Schlaf riss.

Er lebte zwar bereits seit mehreren Jahren in diesem trostlosen Ort in New England, aber zu intensiveren Kontakten oder sogar Freundschaften mit den Bewohnern Arkhams war es bisher nicht gekommen. Die Leute waren scheu und gingen Fremden misstrauisch aus dem Weg. Möglicherweise hielten sie ihn, der seinen Lebensunterhalt mit dem Malen von Bildern verdiente, für einen Verrückten. Vielleicht war es aber auch nur das übliche Vorurteil, das Landbewohner gegen Städter haben, das daran schuld war, dass er außer zu Doktor Ferris und Pfarrer Martin so gut wie keinen Kontakt zur Bevölkerung hatte.

Clark schaute aus dem Fenster. Vor der Haustür stand eine untersetzte Gestalt. Es war ein Mann, barhäuptig, der mit den Armen heftig zu gestikulieren begann, als er ihn bemerkte. Er forderte Clark auf, sofort herunterzukommen.

Kenneth Clark war zuerst etwas ratlos. Was wollte dieser ungebetene Gast von ihm? Er konnte sich nicht erinnern, ihn jemals gesehen zu haben.

Im Erdgeschoss wurde eine Tür geöffnet. Dann ertönten schlurfende Schritte und die nörgelnde Stimme seiner Haushälterin. Im Ort sagte man, dass diese Frau, die sein Haus versorgte und auch darin lebte, geisteskrank sei.

Clark, der sie besser kannte, wusste, dass dies nicht stimmte. Sie konnte nur den Tod ihres Mannes nicht verwinden, der im nahe gelegenen Sägewerk bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Daher ließ sie keine Gelegenheit aus, wüste Beschimpfungen gegen Gott und die Welt auszustoßen, denen sie die Schuld an diesem Unglücksfall gab.

Anna, so hieß die Frau, würde den nächtlichen Störenfried schon zum Schweigen bringen. Gerade wollte Clark wieder in sein Bett zurückkehren, als schwerfällige, unsichere Schritte die Treppe zum Obergeschoss hinauf polterten. Sie wurden begleitet vom hastigen Trippeln von Annas Füßen und von wütend gekeiften Verwünschungen.

Vor Kenneth Clarks Tür verharrten die Schritte des Fremden für einen Augenblick. Clark konnte deutlich sehen, wie die Klinke heruntergedrückt wurde.

Er brachte keinen Laut hervor, und als die Tür mit einem heftigen Ruck aufgerissen wurde, sprang ihn das nackte Entsetzen an.

Die klobige Gestalt des Fremdlings schien den ganzen Türrahmen auszufüllen, ja, ihn geradezu sprengen zu wollen.

Leicht schwankend stand der Fremde auf seinen kurzen, verwachsenen Beinen vor ihm. Seine Kleidung war schäbig und zerlumpt. Die altertümliche Lampe, die er in der Hand hielt, warf tanzende Lichtreflexe auf sein von Pockennarben verunstaltetes Gesicht. Rotbraune, filzige Haarsträhnen klebten auf der Stirn des Fremden.

»Mister Clark?«, lallte der Besucher fragend. Seine Stimme klang guttural und war kaum zu verstehen.

Clark nickte mechanisch. Was wollte dieser seltsame Mann von ihm? War er ein Verrückter? Oder war er nur ein Bettler, der eine milde Gabe von ihm erhoffte?

»...Sie mitkommen...«, gurgelte der Fremde und machte eine heftige Bewegung mit dem Kopf. »…kommen zu Mister van Damm. Er schnell Hilfe brauchen...  ich auf... auf Sie warten, Sir... Mister Clark.«

Als Clark den Namen »van Damm« hörte, durchzuckte es ihn wie ein Stromstoß. Sein Puls, und eine ungeheure Erregung ergriff von ihm Besitz.

Randolph van Damm war Kunstmaler gewesen, ebenso wie Clark – und er war sein Vetter. Er hatte bereits in Arkham gelebt, als Clark in diesen Ort gezogen war.

Vor etwa sieben Monaten war er spurlos verschwunden, und niemand hatte mehr etwas von ihm gehört. Selbst die Kriminalpolizei in der nächsten Kreisstadt, die der Sheriff von Arkham um Hilfe gebeten hatte, stand vor einem Rätsel und hatte ihn nicht ausfindig machen können.

»Van Damm?« Clarks Stimme bebte. Nur mit Mühe konnte der Mann sich zusammenreißen. »Randolph van Damm? Mein Gott, wissen Sie etwa, wo er sich aufhält? Ist er vielleicht sogar hier in Arkham?«

Der Fremde gab keine Antwort. Stattdessen wiederholte er nur seine Aufforderung: »Mister van Damm Hilfe brauchen.«

»Warten Sie«, stieß Clark hastig hervor und kehrte in sein Zimmer zurück, um sich anzuziehen. Als er zurückkam, war der Fremde keinen Zentimeter von der Stelle gewichen. Clark musste seine Hausangestellte daran hindern, gegen den Unbekannten tätlich zu werden.

»Sie können zu Bett gehen, Anna«, forderte er die Frau auf. »Sie brauchen nicht auf mich zu warten. Ich glaube, es wird etwas länger dauern.«

Erst auf der Straße fiel ihm der gewaltige Buckel des Fremden auf. Wie das fleischgewordene Wesen aus einem Alptraum torkelte der Gnom durch die finsteren Gassen Arkhams auf das Ende des Städtchens zu, wobei sein Körper als verzerrter Schatten im Schein der Straßenlaternen über die Häuserwände tanzte.

Vor dem vorletzten Haus des Dorfes, in dem einst Randolph van Damm gewohnt hatte, blieb Clark stehen. Doch sein Führer grunzte nur unwillig und bedeutete ihm, weiterzugehen.

Die Situation wurde von Minute zu Minute unheimlicher. Nur die Angst vor dem unheimlichen Fremden hielt ihn davon ab, umzukehren oder den Zwerg zumindest zu fragen, wohin er ihn führte.

Sie betraten jetzt eine Wiese. Clark stapfte durch kniehohes Gras. Die Feuchtigkeit des Nebels setzte sich in seinen Kleidern fest und ließ ihn frösteln. Stellenweise tauchten Krüppelweiden aus der Dunkelheit auf. Ein leises Plätschern verriet Clark, dass, sie offensichtlich an einem Bach entlanggingen.

Nach weiteren zehn Minuten hielt der Fremde plötzlich an.

Die Stille der Nacht wurde von einem eigenartigen Sausen und Knurren gestört. Durch die wallenden Nebelschwaden konnte Kenneth Clark erkennen, wo er sich befand.

Sie standen vor dem Wahrzeichen des Ortes. Es war die alte halbverfallene Windmühle, die ein holländischer Einwanderer vor mehr als hundert Jahren ungefähr drei Kilometer von Arkham entfernt aufgestellt hatte.

Ehe Clark sich von seinem Staunen erholen konnte, machte der Bucklige sich mit großer Selbstverständlichkeit an dem Schloss in der Tür zu schaffen. Er wirkte ganz so, als wäre er hier irgendwie zu Hause.

Als der Bucklige im Innern der Mühle verschwand, verspürte Clark in sich den unwiderstehlichen Drang, ihm zu folgen.

Mit zitternden Knien stieg er hinter ihm die morsche Wendeltreppe hoch. Das Holz knarrte bei jedem Schritt, und er hatte Angst, die Treppe würde jeden Moment zusammenbrechen und ihn in die Tiefe schleudern. Aber er langte sicher oben an.

Während er sich den Schweiß von der Stirn wischte, fuhr er sich auch mit der Hand durch die Haare. Dabei musste er feststellen, dass sich unzählige Spinnweben darin verfangen hatten. Er konnte nur mühsam ein Würgen des Ekels unterdrücken.

Der Zwerg war plötzlich verschwunden.

Suchend schaute Kenneth Clark sich um und versuchte die Finsternis mit seinen Augen zu durchdringen.

Da vernahm er eine Stimme. Ihr Klang jagte ihm einen Schauer nach dem anderen über den Rücken. Er wusste genau, dass er die Stimme schon einmal gehört hatte, ja, sie sogar sehr gut kannte.

Und dann begriff er das Unfassbare. Es war die Stimme seines verschollen geglaubten Vetters!

»Tritt ein, Vetter«, sagte die Stimme.

Er war in eine Falle gelaufen! Dies war nie und nimmer die Stimme Randolph van Damms gewesen!

Doch wer sollte sich sonst für ihn ausgeben? Was wollte man überhaupt von ihm?

Entschlossen straffte Clark seine Schultern und trat in den Raum...

 

 

2

 

Mit vielem hatte Clark gerechnet, doch nicht mit dem, was sich ihm darbot. Mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen starrte er auf dieses Bild des Grauens vor ihm.

In einem alten verstaubten Ohrensessel hockte ein Wesen, das zu beschreiben jedem Menschen schwer gefallen wäre. Obwohl es ohne Zweifel menschliche Züge aufwies, war es am ganzen Körper behaart wie ein Tier und hatte spitz zulaufende Ohren. Seine Nase glich der eines Hundes. Eine lange rote Zunge hing aus dem Maul der Schreckensgestalt. Aus ihrer Kehle kam ein leises, aufgeregtes Hecheln.

»Setz dich, Kenneth«, sagte die Gestalt, ohne die Lippen zu bewegen. Sie wies auf einen Schemel, der seitlich von dem flackernden Kaminfeuer stand.

»Ich verstehe nicht...«, murmelte Clark fassungslos. »Wer sind Sie? Woher kennen Sie meinen Namen?«

»Erkennst du mich nicht mehr?« Die kaum als Gesicht zu bezeichnende Fratze verzerrte sich in plötzlich aufwallendem Schmerz. »Ich bin es doch – dein Vetter Randolph!«

Clark glaubte den Verstand zu verlieren. Hatte er richtig verstanden? Sein Vetter Randolph?

»Ich weiß, dass sich mein Aussehen bedeutend verändert hat«, fuhr das schreckliche Wesen fort, als hätte es Clarks Schrecken überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, »aber wir dürfen keine Zeit verlieren. Hör jetzt gut zu – du sollst meine Geschichte erfahren...«

Clark zuckte unwillkürlich zurück, als das Wesen ihn mit einer weiteren Geste zum Platznehmen aufforderte. Seine Gedanken jagten dahin. Sein Geist weigerte sich beharrlich, in diesem haarigen Ungetüm seinen Vetter zu sehen.

Und doch... war in dieser tierischen Fratze nicht eine gewisse Ähnlichkeit mit seinem Verwandten?

Was mochte Randolph widerfahren sein, dass er sich auf eine so schreckliche Art und Weise verändert hatte? War diese Veränderung vielleicht daran schuld, dass er so lange spurlos verschwunden gewesen war?

»Du erinnerst dich doch bestimmt an mein Interesse, das ich schon immer der Bibliothek der Miscatonic-Universität entgegengebracht habe, nicht wahr?«, fragte der unheimliche van Damm mit krächzender Stimme.

Clark nickte unwillkürlich. Dabei nahm er automatisch auf dem Schemel Platz.

»Genau zu jener Zeit begann mein Unglück. Als der Verwalter der Universität mich in die Bibliothek einließ, lernte ich dort sehr schnell einen Mann kennen, dem meine Wünsche und Interessen nicht fremd waren, mehr, der sie sogar vollständig teilte. Da er mir gänzlich unbekannt war, wunderte ich mich, ihn in Arkham noch nie getroffen zu haben. Der Mann erklärte mir, dass er seit mehreren Jahren seinen Wohnsitz in der Umgebung habe. Da er jedoch meist auf Reisen sei, komme er nur einmal im Jahr in den Ort.

Der Mann wirkte auf mich in gleichem Maße abstoßend wie anziehend. Irgendwie erschien er mir unnahbar. Er trug ausschließlich schwarze Kleidung, was den düsteren Eindruck, den ich von ihm hatte, nur noch verstärkte. Er schien nur aufzutauen, wenn ich ihn darum bat, mir die Andeutungen bezüglich hier existierender Satanszirkel zu erklären, die mir in alten Büchern aufgefallen waren. Über dieses makabre Thema kamen wir uns näher, und als wir uns bereits einige Male, getroffen hatten, lud er mich in sein Haus ein, um mir seine umfangreiche Sammlung zu zeigen.

Dies geschah vor sieben Monaten, Vetter, und damals hätte ich noch alles verhindern können, was auf mich zukommen sollte. Denn was ich während dieser Zeit durchgemacht habe, klingt so unglaublich, dass selbst mir die Worte fehlen, es dir zu erklären.«

Verständnislos starrte Clark ihn an. Zugleich fasziniert und angewidert beobachtete er, wie sein Gegenüber die Zunge nach Hundemanier aus dem Maul hängen ließ.

»Dieser Mann übte auf mich einen verhängnisvollen Einfluss aus. Irgendwie schaffte er es, die Kontrolle über meinen Verstand zu ergreifen. Zuerst merkte ich nichts davon, doch als es mir endlich bewusst wurde, da war es bereits zu spät. Ich hatte keinen eigenen Willen mehr und musste meinem schrecklichen Herrn gehorchen. Meine Gedanken waren seine Gedanken. Eingesperrt in eine kahle Zelle fristete ich mein armseliges Dasein. In dieser Zeit lernte ich das nackte Grauen kennen. Offenbar unter dem Einfluss von Rauschgiften – LSD und anderen psychedelischen Drogen – stellte mein Peiniger Experimente mit mir an, die so grauenhaft waren, dass ich bald nicht mehr zwischen Traum und Wirklichkeit unterscheiden konnte.

Und ich musste feststellen, dass ich nicht der einzige war, der auf diese Weise in dem Haus dahinvegetierte.

Manchmal konnte ich die Schreie meiner Mitgefangenen hören, dann wieder ertönte blutgieriges Wolfsgeheul, obwohl es hier in der Gegend schon seit Jahrhunderten keine Wölfe mehr gibt.

Kenneth, du musst mir glauben...«

Die Stimme Randolph van Dammes wurde zu einem heiseren Flüstern. Gleichzeitig begann in seinen Augen ein Feuer des Irrsinns zu lodern.

»Eines dieser Experimente erlebte ich mit vollem Bewusstsein mit! Kannst du dir vorstellen, wie es ist, wenn du mit ansehen musst, wie sich dein Körper gegen deinen Willen verformt, bald nichts mehr Menschenähnliches an sich hat? Wenn du merkst, wie dir am ganzen Leibe ein Fell wächst und dein Mund sich zu einer Schnauze formt? Weißt du, wie es ist, wenn man sich in einen Wolf verwandelt?«

Mit einer fahrigen Bewegung riss Kenneth Clark sich den Kragen auf. Er glaubte zu ersticken. Schweiß bedeckte seine Stirn, und das Schlagen seines Herzens erschien ihm in seinen eigenen Ohren wie das drohende Grollen eines Gewittersturms.

Ratlos schaute er sich um. Sollte er sich noch weiter bei diesem offensichtlich Irren aufhalten, der sich als sein Vetter ausgab?

Entschlossen erhob Clark sich, um diesen Ort des Schreckens zu verlassen, da packte der Fremde seinen Arm. Clark meinte, sein Herz bliebe stehen. Eine Gänsehaut spannte sich über seinen Rücken, und er konnte ein Frösteln nicht unterdrücken. Mit rasendem Herzen wartete er darauf, dass etwas Schreckliches geschah.

»Ich konnte fliehen«, keuchte sein Gegenüber jetzt. »Mit Hilfe von Mobo, der dich hierher gebracht hat, gelang es mir, aus jenem furchtbaren Haus zu entkommen. Ich hielt mich in der Mühle versteckt, denn ich wusste und weiß genau, dass meine Verfolger mir dicht auf den Fersen sind.

Manchmal bekomme ich Anfälle, die ich nicht steuern kann. Dann verwandele ich mich wieder in einen Wolf und muss meinem Raubtierinstinkt gehorchen. Ich weiß, dass ich so nicht weiterleben kann.

Wenn du mir nicht hilfst, dann... dann Gnade Gott allen Menschen, die in Arkham leben!«

»Wenn Sie... wenn du wirklich Randolph van Damm bist«, stammelte Clark, »dann...«

»Schweig«, zischte das Wesen. »Du glaubst mir also nicht?«

Die Augen des Ungeheuers funkelten plötzlich. Verhaltene Wut loderte in ihnen, doch nur für Sekunden. Dann verwandelte sich der hasserfüllte Blick in einen Ausdruck hilfloser Panik. Van Damm ließ Kenneth Clarks Arm los und griff sich mit einer fahrigen Geste an die Kehle, als würge ihn ein. unsichtbarer Gegner.

»Da... es... es kommt wieder über mich«, gurgelte er mit halb erstickter Stimme.

Seine Worte endeten in einem schrecklichen Röcheln. Seine Haut wurde wächsern und das Licht seiner sonst lebhaften Augen schwächer und schwächer. Er sank hilflos auf den Boden.

Sein Körper verwandelte sich auf grausige Weise. Die Proportionen änderten sich, und bald platzten die Nähte der Lumpen und Fetzen auf, mit denen er bekleidet war.

Angewidert und entsetzt kniete Clark nieder, doch van Damm wehrte ihn heftig ab.

»Es gibt keine Rettung«, kam es wie ein Hauch aus dem Mund, der sich mehr und mehr in eine Hundeschnauze verwandelte. »Töte mich um der Menschheit willen, und dann suche den, der mich zu dieser Kreatur gemacht hat. Such den Schwarzen! Steck sein Haus in Brand, ehe... ehe er…ehe... sein Name ist...«

»Was... sprich lauter«, drängte Clark seinen Gegenüber.

Er wollte aufspringen, wollte davonrennen, wollte dieses Haus des Schreckens verlassen, doch eine überirdische Macht schien ihn auf die Stelle zu bannen. Er konnte sich nicht rühren und musste mit schreckgeweiteten Augen mit ansehen, wie sein vermeintlicher Vetter Randolph van Damm sich in einen Wolf verwandelte.

Erst das heisere, mordgierige Knurren holte Kenneth Clark aus seiner Erstarrung. Er riss sich von dem grauenerregenden Anblick los und suchte sich einen Fluchtweg. Er taumelte hoch. Seine Gedanken wirbelten wie ein wild gewordenes Karussell in seinem Kopf herum.

Er musste hier raus – um jeden Preis. In diesem Zustand würde sein Vetter, wenn er es überhaupt war, keine Rücksicht kennen und in ihm nur eine leichte Beute sehen.

Als der Wolf Anstalten machte, sich zu erheben, konnte Clark einen verzweifelten Schrei der Angst nicht unterdrücken. Indem er auf die Füße sprang, stieß er gegen einen der antiken Kerzenleuchter und kippte ihn um.

Als hätten die Kerzenflammen darauf gewartet, leckten sie sofort an dem morschen Holzwerk des Bodens. Unter leisem Knistern geriet es sofort in Brand.

Clark achtete nicht darauf, fand die Tür und stürzte die Treppe hinunter. Rauchschwaden folgten ihm und legten sich wie glühende Fesseln um seine Lunge. Seine Augen tränten, und ein krampfartiger Husten quälte ihn bis an den Rand der Erschöpfung.

Am Fuß der Treppe stolperte der Flüchtende, knallte mit dem Kopf gegen die Wand und verlor für Sekunden das Bewusstsein.

Als er wieder aufwachte, bohrte sich das verzweifelte Heulen des Wolfes wie ein glühendes Messer in sein Gehirn. Das Mensch-Tier war in der oberen Etage eingesperrt und musste wohl in den Flammen einen qualvollen Tod sterben.

Das Holz der alten Mühle musste knochentrocken sein, denn das Feuer hatte sich rasend schnell ausgebreitet.

Als Clark sich aufrappelte und weiter stolperte, brach hinter ihm das Chaos herein. Mit verzehrender Kraft suchten die Flammen sich einen Weg ins Freie.

Durch Clarks rechtes Bein jagte ein wilder Schmerz. Er versuchte aufzustehen, aber der Schmerz brachte ihn fast um. Hatte er sich etwa das Bein gebrochen? Er biss die Zähne zusammen und schrie vor Schreck heiser auf, als hinter ihm ein Balken herunter krachte und ihn mit einem wahren Funkenregen überschüttete. Gleichzeitig stürzte die halbe Treppe ein.

Holzteile prasselten Clark auf den Rücken und ließen ihn erneut in die Knie sinken. Er schwankte, drohte umzufallen, doch mit der letzten Kraft seines sich gegen den Flammentod wehrenden Körpers stemmte er sich hoch, bekam das Treppengeländer zu fassen und zog sich vorwärts.

So gelangte er nach draußen. Dort ließ er sich nicht weit von der brennenden Mühle einfach in das Gras fallen. Mit einem erstickten Schluchzen starrte er in die Flammen, in denen sein Vetter irgendwo mit dem Tode ringen musste.

Lange blieb Clark so sitzen. Er rührte sich erst, als die Mühle bis auf die Grundmauern niedergebrannt war und aus dem Feuer nur noch ein müdes Schwelen geworden war.

Bevor auch das erstarb, wurde Kenneth Clark noch Zeuge einer weiteren rätselhaften Erscheinung.

Über der Mühle schwebte plötzlich ein Flammenkreuz, das kilometerweit durch die Nacht zu sehen sein musste.

Fasziniert starrte Clark die Erscheinung an. Ebenso plötzlich, wie sie aufgetaucht war, verschwand sie auch wieder.

Clark warf noch einen letzten Blick auf die Trümmer, dann setzte er sich in Richtung Arkham schwerfällig in Bewegung...

 

 

3

 

Sie hatten Mark Roemer restlos erledigt. Sie hatten ihn so fertig gemacht, wie man einen Mann nur fertig machen kann. Der Prozess, den die Leute, die er vorher zu entlarven versucht hatte, gegen ihn in Gang gesetzt hatten, war eine jener Sensationen gewesen, die man nicht so schnell vergisst. Wochenlang hatte man Roemers Fall durch die gesamte Presse gezerrt, und anschließend hatte keine der großen Fernsehgesellschaften mehr etwas mit ihm zu tun haben wollen.

Er hatte sich einige Monate mehr schlecht als recht mit lustlos abgedrehten Horrorfilmen über Wasser gehalten, für die ihn ein spleeniger Millionär und Produzent angeheuert hatte. Aber auch das war ein Reinfall gewesen. Roemer hatte die Arbeit an den Nagel gehängt und sich verkrochen. Er hatte jede Hoffnung aufgegeben, eines Tages wieder einen Film zu machen, der in aller Munde sein würde.

Als Chester C. Hannagan ihn in seiner Bruchbude im Death Valley, inmitten einer Ansammlung von bunten, geflickten Zelten und Wellblechbaracken, in denen einige Hippies hausten, aufstöberte, sah Roemer nicht einmal auf.

»Sind Sie Mark Roemer?« Hannagan setzte sich unaufgefordert auf einen morschen Sessel, nachdem er einen Stapel zerlesener Zeitschriften von der Sitzfläche geräumt hatte.

»Hmm«, machte Roemer mürrisch. Er hatte ungeheuer abgenommen und sah dürr und hager aus. Seine Haare waren schulterlang und seine Hautfarbe bronzen wie die eines Indianers. Er sah den vor ihm sitzenden Mann an, sein von der Hitze gerötetes Gesicht und die teure Zigarre, die wie ein Geschütz in seinem linken Mundwinkel klemmte. Dann musterte er geringschätzig den 400-Dollar-Anzug seines Besuchers.

»Ich habe einen Job für Sie, Roemer«, sagte dieser.

»Wen soll ich für Sie umlegen?«

Immerhin hat er seinen Humor noch nicht verloren, dachte Hannagan erfreut. Laut sagte er: »Sie sind doch Roemer, der vor sechs Jahren...«

»...der größte Schnüffler der NBC war«, beendete Roemer den angefangenen Satz Hannagans. Dabei nickte er. »Klar, der war ich mal. Und Sie? Sind Sie der Bursche, den die Industriekapitäne mit einem fetten Scheck herschicken, weil das schlechte Gewissen sie nicht mehr ruhig schlafen lässt?«

Hannagan starrte ihn verdutzt an. »Mein Name ist Chester C. Hannagan«, stellte er sich vor. »Und was ich Ihnen vorzuschlagen habe, ist eine durchaus ernsthafte Angelegenheit. Weder war ich an dem von Ihnen aufgedeckten Giftmüllskandal beteiligt, noch habe ich heute indirekt irgendetwas damit zu tun.«

Roemer lachte bitter auf. Er verzog das Gesicht zu einem zynischen Grinsen. Hannagan hatte den Eindruck, als würde Roemer in abgrundtief hassen und verachten.

»Kein Hund würde auch nur einen Knochen von mir nehmen«, erwiderte Roemer. »Zumindest nicht in diesem verdammten Land. Wenn Sie mir einen Job andrehen wollen – mir, ausgerechnet mir – dann muss die Angelegenheit zum Himmel stinken. Was darf‘s denn sein, Mister Hannagan, Pornofilme?«

Hannagan zuckte hilflos die Achseln. »Hören Sie, Mann«, sagte er dann. »Ich weiß, dass man nicht eben sanft mit Ihnen umgesprungen ist. Aber ich halte es für unfair und einen Fehler, wenn Sie Ihre durchaus gerechtfertigte Wut jetzt an mir auslassen wollen. Ich biete Ihnen einen Vorschuss von zehntausend Dollar.«

»Ich werde keine Werbefilme drehen. Davon gibt‘s sowieso schon zu viele.«

»Es geht um etwas anderes.«

»Darunter kann ich mir nichts vorstellen. Sie müssen schon genauer werden.«

Es kostete Hannagan einige Mühe, seine Beherrschung zu wahren. Er war nicht hergekommen, um sich von einem heruntergekommenen, möglicherweise rauschgiftsüchtigen Journalisten beschimpfen zu lassen wie ein Rotzjunge. Andererseits war dieser Mann genau der Könner, den er brauchte. Er gab sich einen Ruck.

»Wie ich hörte, haben Sie einmal Horrorfilme gedreht.«

Roemer lachte freudlos auf. Er legte den Kopf nach hinten und verdrehte in gespielt komischem Entsetzen die Augen. »Acht Stück in vier Monaten! Wenn das keine Leistung ist. Ich habe ja schon fast im Akkord gedreht!«

»Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel. Ich habe die Filme gesehen. Sie haben dem Produzenten seinen Einsatz bestimmt hundertfach wieder hereingeholt.«

»Ein verteufelt guter Schnitt. Immerhin brauchte er nur zehntausend einzusetzen.«

»Bleiben. wir beim Thema.« Hannagan wurde langsam ungeduldig. So schwierig hatte er sich die Verhandlungen eigentlich nicht vorgestellt. »Sie sollen für mich arbeiten, und zwar in Ihrem Genre. Es geht da um einen Horrorfilm ganz spezieller Art, den ich produzieren will.«

»Was meinen Sie mit ganz spezieller Art? Ich glaube, ich verstehe Sie nicht«, sagte Roemer.

»Haben Sie Geduld und hören Sie erst einmal zu. Es soll weniger ein Unterhaltungsfilm werden als mehr eine Art Dokumentation. Ich bin Direktor der Werbeagentur Fane, Boyle & Tarrach. Unsere Werbespots sind grundlegend anders als die der Konkurrenz. Wir drehen keine simplen Filmchen, sondern hautnahe Reportagen, die die Zuschauer geradezu an den Fernsehapparat fesseln. Auf diese Weise kommen unsere eingeblendeten Spots der verschiedenen Firmen wenigstens mit ziemlicher Sicherheit bei den Konsumenten an.«

»Halten Sie mir bitte keinen Vortrag über Werbung und ihre Methode«, unterbrach Roemer ihn unwillig. »Ich weiß, wie den Leuten von Ihresgleichen die Gehirne weich gemacht und mit Unsinn voll gepumpt werden.«

Hannagans gelangweilter Gesichtsausdruck änderte sich nicht. »Wir wollen uns doch nicht streiten. Das ist eben mein Job, und dabei verdiene ich nicht einmal schlecht. Sie können mich eine Hyäne nennen oder sonst wie – aber ich bin ja auch nicht gekommen, um von Ihnen eine Liebeserklärung zu hören.«

Einen Moment schwieg er, dann fuhr er fort. »Doch nun zur Sache. Sie sollen für uns eine Dokumentation über okkulte Riten, schwarze Messen und ähnlich phantastischen Kram drehen. Das alles natürlich mit einer versteckten Kamera, um die ganze Sache möglichst authentisch zu machen. Außerdem sollen Sie zu dem Streifen einen Text schreiben, der das Ganze zu einem Thriller aufmotzt. Je mehr Blut und Terror oder ähnliche makabre Szenen Sie bringen, desto besser für uns. Die Bezahlung…«

»...und die Widerwärtigkeiten servieren Sie dann Ihren Kunden zusammen mit einer Werbung für Büstenhalter, oder?«

»...besteht aus einem festen Honorar«, redete Hannagan weiter, ohne auf Roemers spöttische Bemerkung einzugehen. Er brauchte Geld, auch hier, am Ende der Welt. Außerdem hatte er Schulden.

Und zu diesem Zeitpunkt wusste er noch nicht, dass Hannagan im Besitz der Schuldscheine war, die seine Unterschrift trugen.

»Warum suchen Sie sich eigentlich keinen anderen für diesen Job?«

Da er nirgendwo einen Aschenbecher sah, drückte Hannagan seine Zigarette auf dem Fußboden aus und sagte: »Sie sind von Geburt her Deutscher. Der Film, den Sie machen sollen, muss in einem Ort gedreht werden, in dem sehr viele Deutschstämmige leben. Es gibt in der ganzen Branche keinen, der so gut Deutsch spricht wie Sie – und außerdem noch gute Filme machen kann.«

»Unter diesen Umständen lehne ich das Angebot ab«, sagte Roemer spontan. »Machen Sie nur, dass Sie schnellstens von hier verschwinden, Mann!«

»Überlegen Sie es sich – wir zahlen...«

»Raus!« Roemer rührte sich nicht. Nur in seinen Augen loderte ein wildes Feuer. Hannagan sah ein, dass es jetzt zwecklos wäre, den Versuch zu machen, sich mit dem Mann zu einigen.

Er seufzte und erhob sich. Achselzuckend wandte er sich zur Tür und verließ die Bretterbude. Draußen auf einem freien Platz stand der Hubschrauber, mit dem er den Weg in diese abgeschiedene Gegend gefunden hatte. Der Pilot riss eilfertig die Tür zur Kanzel auf, als sich der Werbemann näherte.

Als Hannagan sich auf seinem Sitz angeschnallt hatte und die kleine Maschine in die Luft stieg, lag um seine Lippen ein spöttisches Lächeln.

Roemer würde noch zu ihm kommen – von sich aus. Hannagan hatte an alles gedacht. Das einzige, was ihn ärgerte, war die Zeitverzögerung...

 

 

4

 

Am nächsten Tag erschien vor Roemers Hütte ein Gerichtsvollzieher. Er legte Schuldscheine mit Roemers Unterschrift vor, die von der Werbeagentur Fane, Boyle & Tarrach gekauft worden waren. Da Roemer sie selbstverständlich nicht einlösen konnte, wurde seine Hütte beschlagnahmt.

Er packte seine Sachen zusammen und trampte in den nächsten größeren Ort. Dort ließ er sich mit dem einzigen Hotel verbinden.

»Ich wusste, dass Sie mich anrufen würden«, sagte Hannagan, wobei Zufriedenheit in seiner Stimme mitschwang. »Wenn wir ein Geschäft in Angriff nehmen, gehen wir gewöhnlich kein Risiko ein, dass es ein Misserfolg werden könnte. Dass Sie noch nicht im Gefängnis sitzen, haben Sie allein mir zu verdanken.«

Roemer knirschte mit den Zähnen. So prekär seine Situation auch war, ihm viel die Entscheidung doch verdammt schwer.

»Okay, Sie Halsabschneider. Dann kommen Sie schon mit dem Witzblatt, das Sie Vertrag nennen«, krächzte er ins Telefon. »Auf diese Art und Weise werde ich wenigstens einmal erfahren, wie es ist, wenn man Sklave oder Leibeigener ist. Ich mache den Film, doch wünsche ich Ihnen und Ihrer Firma jeden erdenklichen Misserfolg. Ihre Pleite wäre für mich ein Freudenfest.«

Als der Werbemann wieder auftauchte, befand sich in seiner Begleitung ein bleichgesichtiger junger Mann, der einen Aktenkoffer trug. Mit blasiertem Gesichtsausdruck musterte er den ziemlich heruntergekommen wirkenden Filmregisseur.

Die Einzelheiten des Vertrages und des Films besprachen die Männer in einem mexikanischen Restaurant. Roemer erfuhr, dass Mr. Tarrach im Archiv einer Zeitung auf einen mehr als dreißig Jahre alten Artikel gestoßen war, der über seltsame Dinge berichtete, die sich in einem kleinen Ort namens Arkham abgespielt haben sollten.

Es hieß da, dass dort eine okkultistische Geheimgesellschaft existiere, die es in ähnlicher Form auf der ganzen Welt kein zweites Mal gäbe.

Verschiedene Bewohner des Ortes sollten angeblich mit Dämonen oder anderen Sendboten des Bösen in Kontakt getreten sein. Diese Kontakte waren wohl nicht ganz ohne Folgen geblieben, und aus den unseligen Verbindungen seien Kinder hervorgegangen, die über unglaubliche geistige Fähigkeiten verfügen mussten. Überdies sollen die Nachkommen nur im entfernten den menschlichen Elternteilen ähnlich gewesen sein.

Es war da von schrecklichen Beobachtungen die Rede. Angeblich sollten sich die unseligen Satanskinder bei Nacht in Wölfe verwandeln können. In dieser Gestalt machten sie die Gegend unsicher, und jedermann musste Angst um sein Leben und um seine Gesundheit haben.

Unschuldige und ahnungslose Bürger wurden in die umliegenden Wälder verschleppt, wo sie Zeugen grauenhafter Beschwörungsriten wurden.

Ein Mädchen, Martha Heinemann, sagte sogar aus, dass man sie als Satansopfer ausersehen hätte. Als die makabre Hochzeit gefeiert werden sollte, rettete sie nur ihre goldene Halskette vor dem Verderben. Ein Wesen tauchte auf, das sich beim Anblick des kleinen goldenen Kreuzes an der Kette in Rauch aufgelöst haben soll.

Roemer, der mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen stand und der nicht viel von geheimnisvollen Spinnereien hielt, begann sich zu langweilen. Fast bereute er schon, trotz aller Schwierigkeiten, den Auftrag diesen Film zu drehen, angenommen zu haben.

 

 

5

 

Walther Fabian hatte acht Jahre im Zuchthaus gesessen, weil er seinem Glauben treu gewesen war. Er hatte geglaubt, dass man ihn niemals erwischen würde.

Es war Zeit seines erwachsenen Lebens ein kleiner, mieser Schurke gewesen. Er hatte Einbrüche begangen, zwei Raubüberfälle, eine missglückte Erpressung.

Dann hatte er plötzlich festgestellt, dass seltsamerweise immer die kleinen Fische geschnappt wurden; niemals oder nur selten die Haie, die im Hintergrund die Fäden zogen.

Er hatte beschlossen, selbst solch ein Hai zu werden. Und das hatte ihm wohl endgültig das Genick gebrochen. Eine Gang hatte er immerhin noch aufbauen können. Doch als er sich daran machte, die Unterwelt von Des Moines unter seinen Befehl zu bringen und sie zu kontrollieren, herrschte plötzlich unter seinen Konkurrenten seltene Einigkeit, und man befreite, sich von dem lästigen Emporkömmling.

Auf der Strecke blieben acht tote Gangster. Sieben davon hatten zu Lebzeiten zu seiner Bande gehört.

Fabian selbst wanderte für acht Jahre hinter schwedische Gardinen, weil die Konkurrenz seine Heroin-Geschäfte an eine so große Glocke hing, dass die Polizei das Geläut nicht überhören konnte. Ein handfestes Indiz war schnell gefunden, und Walther Fabian stand vor Gericht.

Als er seine Zelle wieder verlassen durfte, verschwand er aus Des Moines und kehrte in seine Heimatstadt Arkham zurück. Ein alter Bekannter hatte ihm den Tipp gegeben, dass dies besser sei für ihn.

Auf eine Zeitungsannonce hin, in der irgendein exzentrischer Millionär sein soziales Gewissen ausgerechnet  an einem Vorbestraften demonstrieren wollte, hatte er den Job eines Verwalters bekommen. Fabian hatte seinen Chef noch nie zu Gesicht bekommen, sondern er telefonierte lediglich mit ihm. Als er erfuhr, was der Mann ihm zahlen wollte, war ihm erst einmal die Luft weggeblieben.

Die Bedingungen, die der Unbekannte, der sich mit Namen Steiner vorgestellt hatte, ihm stellte, machten ihn zwar stutzig, aber er hatte sich schnell besonnen, dass es besser war, das Geld anzunehmen und im übrigen zu schweigen.

Sein neuer Job war also nur nach außen hin der eines Verwalters. Er sollte einen Jahresetat von 100 000 Dollar verwalten, der dazu verwandt werden sollte, notwendige Reparaturen an der Villa auszuführen. Außerdem sollte er dafür sorgen, dass die Vorratskammer ständig mit den erlesensten Speisen gefüllt war.

Zudem war es Fabians Aufgabe, dafür zu sorgen dass niemand, der nicht zu einem bestimmten Personenkreis gehörte das Gebäude betrat.

Sollte es dennoch jemand schaffen, unbefugt in die Villa einzudringen, so würde es seine, Fabians, Aufgabe sein, dafür zu sorgen, dass er nie wieder hinauskam. Oder wenn doch, dann jedenfalls nicht lebend.

Dies alles erfuhr Fabian, nachdem er sich an sein hohes Gehalt und an die Annehmlichkeit, dafür nicht arbeiten zu müssen, ziemlich gewöhnt hatte.

Als er schließlich alles wusste, was in diesem mysteriösen Haus vor sich ging, war es bereits zu spät, noch einen Rückzieher zu machen.

Aber das wollte er auch gar nicht. Er fühlte sich wohl in seiner Haut – wohler als je zuvor, und es gab nichts Schöneres für ihn, als die Leute, die sich in gewissen Abständen in den unterirdischen Gewölben der Villa trafen, heimlich bei ihrem für Außenstehende unverständlichen Treiben zu beobachten.

Fabian war ein harter Bursche. Er hatte sein ganzes Leben zwischen Mördern und Räubern verbracht. Er selbst hatte mehr als ein Menschenleben auf dem Gewissen – auch wenn die Polizei davon nichts wusste. Aber trotzdem hatte es eine Weile gedauert, bis er sich an das gewöhnt hatte, was er nun miterleben musste.

Seine anfängliche Abscheu war einer gewissen Faszination gewichen, die ihn völlig in ihren Bann geschlagen hatte. Er wollte mehr über den geheimnisvollen Steiner erfahren.

Heimlich hatte er Kameras installiert, die automatisch Bilder schossen. Er rechnete damit, dass die ganze Angelegenheit eines Tages ein Ende haben würde, dass er dann wieder auf der Straße lag, wenn er nicht jetzt schon eine gewisse Vorsorge traf.

Wenn er allein war – und manchmal war er es sehr oft in diesem großen, dunklen, fast leeren Haus – entwickelte er seine Fotos und betrachtete sie genau.

Auf einigen waren schreckliche Szenen zu sehen. Sie waren so grauenhaft, dass selbst Fabians Hände zu zittern begannen und er glaubte, dass der Mann, dem er diente, mit dem Satan im Bunde sein müsse und Ziele verfolge, die jeder natürlichen Menschennatur widersprachen.

Und es waren immer dieselben Leute, die auf den Fotos zu sehen waren: Steiner, der Mann, der alles in der Hand hatte, und ein anderer, der sich Einstein nannte und doch – das hatte Fabian herausgefunden, ebenfalls Steiner hieß.

Ich muss an meine Rente denken, dachte er, als er die Fotos vor sich ausbreitete. Es war ein gefährliches Geschäft und nicht ohne Risiko.

Diese Leute hatten bereits eine Reihe von Menschenleben auf dem Gewissen, das wusste Fabian nur zu genau. Unter der Leitung Steiners, der im Gegensatz zu dem ihm gleichenden Einstein die Villa des Öfteren verließ, hatten sie mehr als einen Bewohner Arkhams in den Wahnsinn getrieben.

Der Zweck ihrer Experimente war Fabian allerdings in all den Monaten schleierhaft geblieben. Vielleicht war Steiner wirklich ein Schwarzer Magier, der dunkle Ziele verfolgte, aber jedenfalls – und jetzt musste Fabian grinsen – waren seine angeblichen Kräfte nicht so groß, um zu entdecken, welches Spielchen er trieb.

Fabian erinnerte sich an das junge Mädchen, das sie vor einigen Tagen gebracht hatten. Man hatte ihr die Augen verbunden und in das Gewölbe gebracht. Er hatte sie schreien hören und...

Das Telefon klingelte. Erschreckt ließ Fabian das Foto sinken und eilte nach nebenan.

»Fabian.«

»Hier spricht Steiner.«

»Ja?« Fabian registrierte, dass die Hand, die den Hörer hielt, leicht zitterte. Er kam sich vor wie ein auf frischer Tat ertappter Dieb. Es war das erste Mal, dass Steiner ihn zu einer solchen Zeit anrief.

»Sie sind auf einem bestimmten Gebiet etwas zu gut, Mr. Fabian. Ich glaube, ich brauche das nicht weiter auszuführen.«

Fabian erstarrte. Wusste Steiner von seinen geheimen Kameras? Hatte er sich irgendwie verdächtig gemacht? Er spürte, dass ihm der Angstschweiß ausbrach.

»Was meinen Sie?«, gurgelte er. »Ich verstehe nicht, was Sie damit meinen, Mr. Steiner.«

»Das wissen Sie sehr gut. Ich wünsche nicht, dass hinter meinen... Gästen her spioniert wird. Sie werden sich dafür zu verantworten haben.«

Ein Schwindel erfasste Fabian. Steiner wusste alles! Wahrscheinlich hatte er selbst Kameras installiert, geheime Beobachter, die nicht nur die Zusammenkünfte im Gewölbe festhielten, sondern auch ihn selbst kontrollierten!

»Vernichten Sie die Fotos«, fuhr Steiner kalt fort. »Und die Negative. Ich will die Sache dann vergessen.«

Er legte auf.

Fünf Minuten lang saß Fabian wie erstarrt da. Es gab keinen Zweifel, dass er beobachtet wurde. Seine Blicke suchten die Wände ab. Irgendwo war eine Kamera, die das, was sich in den oberen Räumen abspielte, direkt zu Steiner übertrug, der wahrscheinlich an einem Fernsehschirm saß und alles, was er sah, aufzeichnete.

Wortlos setzte Fabian in einem Kamin die Filme in Brand. Anschließend ging er zum Fenster und starrte in den verwilderten Park hinaus.

Wer war Steiner? Wer war dieser Mann, der offensichtlich alles über ihn wusste? Welchen Zweck hatten die zahllosen Entführungen von Menschen, die in einem Wagen mit undurchsichtigen Scheiben in die Villa gebracht wurden und anschließend im Gewölbe verschwanden? Was hatte das seltsame Heulen zu bedeuten, das manchmal aus den Tiefen der Erde in Fabians Ohren drang?

Was war Steiner für ein Mensch? Ein Massenmörder? Ein Irrer? Er war wahrscheinlich alles von dem, schloss Fabian. Aber der Mann hatte Geld. Unmengen davon. Woher hatte er es? Nichts, was er je in der Villa gesehen hatte, machte den Eindruck, dass Steiner einer herkömmlichen Tätigkeit nach ginge oder größere Besitztümer hatte. Bekam er das viele Geld von jemand anderem? Von wem?

Fabian befand sich in einer Situation, die ihn einerseits zum Millionär, andererseits auch binnen kurzem zu einer Leiche machen konnte.

Zwiespältige Gefühle erfüllten ihn. War er, nachdem er getan hatte, was Steiner von ihm verlangte, seines Lebens noch sicher? Hatte Steiner ihn nur in Sicherheit wiegen wollen, als er sagte, dass er alles vergessen wolle?

Aber warum sollte er ihn anrufen, wenn er die Absicht hatte, Fabian zu beseitigen? Nein, nein.

Fabian schüttelte den Kopf. Steiner brauchte sich um seinen Verwalter keine Sorgen zu machen. Fabian hatte im Auftrag seines Herrn bereits genug Verbrechen mit angesehen, um seinem Henker nicht mehr entkommen zu können. Er befand sich völlig in Steiners Hand.

Trotzdem überkam ihn eine hündische Angst.

Walther Fabian zückte zusammen, als plötzlich eine Klingel schrillte. Am Außentor musste jemand stehen und Einlass begehren.

Fabian schaute aus dem Fenster, doch es war nichts zu erkennen, da das Tor hinter dem Wäldchen lag, mehr als hundert Meter entfernt.

Wer konnte das sein? Unter dem Eindruck von Steiners Anruf gingen Walther Fabians Gedanken in eine ganz bestimmte Richtung. Für ihn gab es nur eine Antwort auf die Frage: Es musste jemand sein, den Steiner gedungen hatte, um ihn, Fabian, als lästigen Mitwisser zu beseitigen. Daran konnte es keinen Zweifel geben.

Nur einen kurzen Augenblick blieb Fabian in dem Raum, dann ergriff eine panische Angst völlig Besitz von ihm. Es hielt ihn nicht mehr auf seinem Platz. Hysterisch vor Grauen rannte Fabian über die Treppe ins Erdgeschoss hinunter.

Er öffnete die Hintertür und hetzte hinaus in die allmählich einsetzende Finsternis. Verzweifelt kämpfte er sich durch das Dickicht. Dabei rissen die Dornenranken tiefe Wunden in sein Fleisch, doch daran störte er sich nicht.

Eine Baumwurzel brachte ihn zu Fall. Als er sich schwerfällig wieder erhob, musste er feststellen, dass er sich den Fuß verstaucht hatte. Mühsam humpelte er weiter.

Hinter ihm wurden Stimmen laut. Dann knirschten kräftige Schritte auf dem Kies des Gartenweges. Fabians Schläfen dröhnten, und sein Herz schlug wie ein Dampfhammer. Endlich tauchte die Mauer vor ihm auf. Er setzte zu einem Sprung an, doch die wilde Flucht hatte ihn bereits zu sehr geschwächt. Es gelang ihm nicht, die etwa zwei Meter hohe Barriere auf diese Weise zu überwinden.

Verzweifelt schaute Walther Fabian sich nach einem Baum um, der nahe genug an der Mauer stand und mit dessen Hilfe er die Mauer überwinden konnte.

Doch da erstarrte er zu Eis.

Ein heiseres abgehacktes Bellen drang durch die Finsternis an seine Ohren. Rote Nebel wallten vor seinen Augen auf, und er begann zu winseln wie ein kleiner Hund, der Angst vor der Strafe seines Herrn hat.

Eine Bestie! Sie hatten eine Bestie auf ihn angesetzt!

Fabian geriet in Panik. Ein glücklicher Zufall bescherte ihm, was er so verzweifelt suchte. Nahe der Mauer entdeckte er einen Baum, der ihm als letzte Rettung dienen konnte.

Wie ein Wiesel kletterte er daran empor.

Unter ihm krachte es im Gebüsch. Heiseres Knurren wurde laut.

Walther Fabian starrte über die Mauer. In der Ferne sah er die Lichter Arkhams. Bis dahin waren es zwei Kilometer. Wenn er durchhielt...

Er schwang sich entschlossen über die Krone. Im gleichen Moment brach unten im Garten die Bestie durch das Unterholz. Mit gefletschten Zähnen setzte sie zu einem übermächtigen Sprung an.

Ein Mündungsblitz erhellte für Sekundenbruchteile die Dunkelheit. Den Knall hörte Walther Fabian schon gar nicht mehr.

Ein mächtiger Schlag schüttelte seinen Körper durch, und er stürzte über den Mauerrand...

 

 

6

 

Der Morgen graute bereits, als Roemer nach langer Fahrt völlig übermüdet die ersten Ausläufer von Arkham erreichte.

Die Landstraße war mehr ein Knüppeldamm und entlockte dem Filmregisseur einen wüsten Fluch nach dem anderen. Er musste sich so auf das Lenken des Wagens konzentrieren, dass er beinahe den Mann übersehen hätte, der aus dem Walddickicht heraus gekrochen kam und in offensichtlich panischem Entsetzen auf ihn zustürzte.

In einer Reflexbewegung rammte Roemer das Bremspedal auf das Bodenblech. Schlitternd kam der Wagen zum Stehen.

Roemer stieß die Fahrertür auf und hechtete aus dem Wagen. Mit langen Schritten lief er zu dem Unbekannten hinüber, der einige Meter vor dem Kühler des Autos zusammengebrochen war.

Ein erster Blick überzeugte ihn davon, dass er es nicht mit einem besoffenen Tramp zu tun hatte. Dieser Mann war verletzt. Sein Oberhemd und sein zerfetztes Jackett waren bereits blutdurchtränkt, und der Atem des Bewusstlosen ging nur noch ganz schwach.

Plötzlich begann er sich wieder zu bewegen. Er öffnete die Augen und starrte Roemer an. Er versuchte sich aufzurichten, sank jedoch gleich wieder zurück. Dabei bewegten sich seine Lippen, als würde er etwas sagen wollen. Roemer beugte sich herunter, um ihn besser verstehen zu können.

»Keine Chance«, flüsterte der Mann. »Keine verdammte Chance. Hätte ihm nicht trauen sollen, diesem Wahnsinnigen... nicht trauen sollen...«

Mit dem Mann schien es zu Ende zu gehen. Sein Gesicht zeigte bereits die fahle Farbe des herannahenden Todes.

»Wer war es?«, fragte er mit drängender Stimme. »Hat jemand auf Sie geschossen? Werden Sie verfolgt?«

»Keine verdammte Chance«, wiederholte der Verletzte. Er verdrehte bereits seine Augen, und ein ersticktes Röcheln drang aus seiner Kehle. »Steiner versprach, alles zu vergessen. Ich Idiot habe ihm geglaubt.«

Der Mann begann zu lallen und kicherte ab und zu völlig grundlos. Er schien den Verstand zu verlieren.

»Ich bringe Sie nach Arkham«, sagte Roemer schnell und hob den Unbekannten hoch. Vorsichtig bettete er ihn auf seine Arme und trug ihn zum Wagen. Es kostete ihn einige Mühe, ihn auf den Beifahrersitz zu bugsieren, doch er schaffte es. Dann warf er sich hinter das Steuer und jagte los auf das Städtchen zu.

Der Wagen machte einen Riesensatz nach vorn, und Roemer prügelte ihn ohne Rücksicht auf die Stoßdämpfer über die löcherige Asphaltdecke. Eine Minute später tauchten die ersten Häuser von Arkham auf, kleine Gebäude im Kolonialstil des vorigen Jahrhunderts, mit breiten Freitreppen und mächtigen Säulen, auf denen die großzügig angelegten Balkons ruhten.

Vor dem ersten Haus machte Roemer Halt. Mit weit ausgreifenden Schritten rannte er eine Treppe hinauf und suchte nach einer Klingel. Da es keine gab, benutzte er den eisernen Türklopfer. Das Geräusch das er verursachte, wusste sämtliche Nachbarn wecken.

Die Frau, die ihm öffnete, wirkte verschlafen und mürrisch. Erst als sie erkannte, dass ein Unbekannter vor ihrer Tür stand, hellte sich ihr Gesicht etwas auf.

»Ich habe einen Verletzten im Wagen«, stieß Roemer hastig hervor. »Könnten Sie bitte den Sheriff und einen Arzt anrufen, Madam?«

»Ich verstehe nicht...« Die Frau warf einen misstrauischen Blick auf Roemers Wagen, sah den darin liegenden, blutüberströmten Mann und stieß einen leisen Schrei aus. »Mein Gott! Das ist ja Fabian!« Dann eilte sie zum Telefon.

Es dauerte drei Minuten, bis der Sheriff mit seinem Gehilfen, und sechs, bis der Arzt auf der Bildfläche erschien.

»Der Mann ist tot«, sagte der nach einer kurzen Untersuchung. Und zu Roemer gewandt fragte er: »Wo haben Sie ihn gefunden, junger Mann?«

»Zwei Kilometer südlich von hier«, erklärte Roemer fahrig. »Er kam aus dem Gebüsch gestürzt.« Mit knappen Worten, schilderte er, was geschehen war. Der Sheriff machte sich Notizen und fragte, nachdem der Arzt wieder abgefahren war: »Haben Sie mit Mr. Fabian gesprochen? Hat er noch etwas sagen können?«

Roemer versuchte sich an die Worte des Toten zu erinnern. »Es war mir ziemlich unverständlich, was er sagte, Sheriff«, meinte er dann. »Er redete von einer Chance, die man ihm nicht gelassen habe und dass er Steiner nicht hätte vertrauen dürfen.«

»Steiner?« Der Sheriff zog fragend die Augenbrauen hoch. Auch sein Deputy schien mit dem Namen nichts anfangen zu können. »Wer soll das sein?«