Informationen zum Buch

Arturo Bandini, ein erfolgloser Schriftsteller, verdient sich seinen Lebensunterhalt als Hilfskellner. Doch als überraschend eine seiner Erzählungen von einer Zeitschrift angenommen wird, beginnt sich sein Leben mit einem Schlag zu ändern. Er bekommt neue Jobs angeboten, in denen er es nie lange aushält, und er lernt neue Frauen kennen – hinreißende, aber leider meist unnahbare Frauen. Ein Mann wie Arturo Bandini gibt allerdings niemals auf, egal wie oft er eine Abfuhr erhält. Denn er weiß: Irgendwo wartet das Paradies …

John Fante

Warten auf Wunder

Roman

Aus dem Amerikanischen von Alex Capus

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Anmerkungen

Über John Fante

Impressum

Wem dieses Buch gefallen hat, der liest auch gerne …

Wieder für Joyce

S-6.tif

John Fante als Kellner im »Marcus’ Grille«, Los Angeles 1933.

Mit freundlicher Genehmigung des Joyce H. Fante Trust, USA-Malibu/California.

Kapitel 1

Mein erster Zusammenstoß mit dem Ruhm war nicht besonders aufregend. Ich war Kellner in Marx’ Imbiss an der Ecke Third und Hill Street in Los Angeles. Man schrieb das Jahr 1934, ich war einundzwanzig Jahre alt, und meine Welt reichte von Bunker Hill im Westen bis zur Los Angeles Street im Osten, und vom Pershing Square im Süden bis zum Civic Center im Norden. Als Kellner war ich unvergleichlich. Obwohl schrecklich unterbezahlt (einen Dollar pro Tag plus Mahlzeiten), wirbelte ich schwungvoll und Aufsehen erregend von Tisch zu Tisch, balancierte das Tablett auf einer Hand und fand nebenher Zeit, ein kleines Lächeln auf die Gesichter meiner Kunden zu zaubern. Außer meinen Servierkünsten konnte ich meinem Chef noch etwas bieten: Ich war Schriftsteller.

Diese Tatsache hatte sich herumgesprochen, nachdem ein betrunkener Fotograf von der Los Angeles Times an der Bar gesessen und ein paar Fotos von mir gemacht hatte, während ich eine Kundin bediente, die bewundernd zu mir hochsah. Am nächsten Tag stand das Bild in der Times, zusammen mit einer Story über Kampf und Aufstieg des jungen Arturo Bandini, dieses ehrgeizigen, hart arbeitenden Burschen aus Colorado, der im schwierigen Zeitschriftenmarkt den Durchbruch geschafft hatte, indem er seine erste Geschichte an den American Phoenix verkaufte. Herausgeber des Phoenix war selbstredend die berühmteste Persönlichkeit der gesamten amerikanischen Literaturszene – kein Geringerer nämlich als Heinrich Muller. Guter alter Muller, wie liebte ich diesen Mann! Meine allerersten literarischen Versuche waren eigentlich nichts weiter als Briefe an ihn gewesen. In den Briefen hatte ich ihn um Rat gebeten, ich hatte ihm Vorschläge für Geschichten gemacht, die ich noch schreiben würde, und dann hatte ich ihm Geschichten geschickt – viele Geschichten, eine Geschichte jede Woche, bis sogar Heinrich Muller, der größte Geizhals der literarischen Welt, die Waffen streckte. Erst ließ er sich herab, mir einen zweizeiligen Brief zu schicken, dann einen mit vier Zeilen und schließlich zwei Seiten mit vierundzwanzig Zeilen. Und dann, Wunder über Wunder, einen Scheck über hundertfünfzig Dollar als Pauschalhonorar für meine erste verkaufte Geschichte.

Am Tag, an dem der Scheck eintraf, ging ich in Lumpen. Meine tollen Colorado-Klamotten hingen in Fetzen an mir herunter, und so galt mein erster Gedanke einer neuen Garderobe. Schick sollte sie sein und günstig. Ich lief von Bunker Hill hinunter zum Goodwill Store an der Ecke Second Street und Broadway. In der Abteilung für gehobene Qualität fand ich einen hervorragenden blauen Anzug mit weißen Nadelstreifen für zehn Dollar. Die Hosenbeine und Ärmel waren zu lang. Ich ließ sie kürzen, was einen weiteren Dollar kostete, und sauste unterdessen durch die Hemdenabteilung, wo es Hemden in bester Qualität und jedem Stil zu fünfzig Cents gab. Dann erstand ich ein Paar Schuhe – feine, dicksohlige Oxfords ganz aus Leder, die mich über viele Monate durch die Straßen von Los Angeles tragen würden – und zu guter Letzt kaufte ich noch andere Sachen: mehrere Shorts und T-Shirts, ein Dutzend Paar Socken, einige Krawatten, und schließlich einen prächtigen, einfach unwiderstehlichen Borsalino. Ich setzte ihn mir elegant schräg auf den Schädel, verließ den Ankleideraum und bezahlte. Zwanzig Scheine. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich für mich selber Kleider gekauft. Ich betrachtete meine Erscheinung in einem großen Spiegel. Da fiel mir ein, dass meine Eltern in all den Jahren in Colorado nie das Geld gehabt hatten, mir einen Anzug zu kaufen; auch nicht vor der Abschlussprüfung an der High School. Na gut, jetzt ging ich meinen Weg, und nichts würde mich aufhalten, denn Heinrich Muller, der brüllende Tiger der literarischen Welt, würde mich an die Spitze führen. Ich verließ den Goodwill Store als neuer Mensch und ging die Third Street hinauf. Vor dem Imbiss stand Abe Marx, mein Boss.

»Du lieber Himmel, Bandini!«, rief er. »Warst du bei Goodwill oder was?«

»Goodwill, am Arsch«, schnaubte ich. »Das ist frisch von Bullock’s, Sie Blödmann.«

Ein paar Tage später gab mir Abe Marx eine Visitenkarte. Darauf stand:

Dr. Gustave Du Mont

Literaturagent

Aufbereitung und Lektorat

von Büchern, Theaterstücken,

Drehbüchern und Geschichten

Fachmännische Supervision

513 Third Street, Los Angeles

Schwätzer unerwünscht

Ich steckte die Karte in die Tasche meines neuen Anzugs und stieg in die fünfte Etage. Du Monts Büro war am Ende des Flurs. Ich trat ein.

Der Empfangsraum schlingerte wie bei einem Erdbeben. Ich hielt die Luft an und sah mich um. Der Raum war voller Katzen.

Katzen auf den Stühlen, Katzen auf den Vorhängen, Katzen auf der Schreibmaschine. Katzen auf den Bücherregalen. Der Gestank war überwältigend. Die Katzen wirbelten um mich her, strichen mir um die Beine und rollten spielerisch über meine Schuhe. Überall auf dem Boden und auf den Möbeln wogte und schwappte eine dünne Schicht Katzenhaare, wie das Wasser in einer Pfütze bei leichtem Wind. Ich ging hinüber zu einem offenen Fenster und warf einen Blick auf die Feuertreppe. Katzen stiegen rauf und runter. Ein riesiges graues Vieh kletterte zu mir hoch. Es hatte einen Lachskopf im Maul, strich an mir vorbei und sprang hinein ins Zimmer.

Auch die Luft war jetzt voller Katzenhaare. Eine Tür ging auf, und dann stand da Gustave Du Mont, ein kleiner, älterer Mann mit Augen wie Kirschen. Er ruderte mit den Armen, rannte zwischen die Katzen und kreischte:

»Raus! Raus! Alle raus! Zeit, dass ihr nach Hause geht!«

Gemächlich glitten die Katzen zu Boden. Einige landeten vor seinen Füßen, ein paar schlugen zum Spaß nach seinen Hosenbeinen. Die Katzen waren Du Monts Gebieterinnen. Er seufzte, warf die Hände in die Höhe und sagte:

»Was kann ich für Sie tun?«

»Ich bin vom Imbiss im Erdgeschoss. Sie haben mir Ihre Karte dagelassen.«

»Kommen Sie rein.«

Ich trat in sein Büro. Er schloss die Tür. Wir befanden uns in einem kleinen Raum in Gesellschaft von drei Katzen, die zuoberst auf einem Bücherregal lümmelten. Edle Tiere, riesige Perser, die sich königlich selbstbewusst die Pfoten leckten. Ich starrte sie an. Du Mont schien zu verstehen.

»Meine Lieblinge«, sagte er lächelnd. Er öffnete die Schreibtischschublade und nahm eine kleine Flasche Scotch heraus.

»Wie wär’s mit Mittagessen, junger Mann?«

»Nein danke, Doktor Du Mont. Sie wollten mich sprechen?«

Du Mont entkorkte die Flasche, nahm einen Schluck und ächzte.

»Ich habe Ihre Geschichte gelesen. Sie sind ein guter Schriftsteller. Einer wie Sie sollte nicht mit Hamburgern jonglieren. Sie gehören in eine bessere Umgebung.« Du Mont nahm einen weiteren Schluck. »Wollen Sie einen Job?«

Ich musterte die Katzen. »Vielleicht. Woran haben Sie gedacht?«

»Ich brauche einen Lektor.«

Ich sog den beißenden Gestank der Katzen ein. »Ich weiß nicht, ob ich dem gewachsen bin.«

»Sie meinen die Katzen? Darum kümmere ich mich.«

Ich dachte kurz nach. »Was soll ich lektorieren?«

Er nahm noch einen Schluck. »Romane. Kurzgeschichten. Alles, was reinkommt.«

Ich zögerte. »Kann ich mir das Zeug mal anschauen?«

Er schlug mit der Faust auf einen Stapel Manuskripte. »Bitte sehr.«

Ich nahm das oberste Manuskript vom Stapel. Es war eine Kurzgeschichte mit dem Titel »Leidenschaft im Morgengrauen«. Geschrieben hatte sie eine gewisse Jennifer Lovelace. Ich stöhnte auf.

Du Mont nahm wieder einen Schluck. »Sie ist grauenhaft«, sagte er. »Alle sind grauenhaft. Ich kann das Zeug nicht mehr lesen. Auf meinem Schreibtisch landet das schlechteste Geschreibsel der Welt. Aber es liegt viel Geld drin, wenn man den Nerv dazu hat. Je schlechter der Kram, desto mehr Geld liegt drin.«

Inzwischen war mein Anzug bedeckt mit Katzenhaaren. Meine Nase juckte, und ich hatte Niesreiz. Ich unterdrückte ihn.

»Wie viel springt für mich raus?«

»Fünf Dollar die Woche.«

»Verflucht, das ist ja nur ein Dollar pro Tag.«

»Genau.«

Ich schnappte mir die Flasche und nahm einen Schluck. Der Scotch schmeckte nach Katzenpisse und verätzte mir den Hals.

»Zehn Dollar die Woche, sonst läuft nichts.«

Du Mont streckte mir die Hand entgegen. »Abgemacht. Am Montag fangen Sie an.«

Als ich am Montag um neun Uhr zur Arbeit antrat, waren die Katzen weg. Das Fenster war geschlossen. Der Empfangsraum frisch aufpoliert. Beim Fenster stand ein Schreibtisch. Alles war sauber und abgestaubt. Ich strich mit dem Finger über den Fenstersims – kein einziges Katzenhaar blieb hängen. Ich sog die Luft ein. Der Uringeruch war immer noch kräftig, aber überdeckt von einem starken Desinfektionsmittel. Und dann war da noch der Duft von Anti-Katzen-Spray. Ich setzte mich an den Schreibtisch und nahm den Staubschutz von der Schreibmaschine. Es war eine alte Underwood. Ich spannte ein Blatt ein und probierte die Tastatur aus. Sie funktionierte wie ein rostiger Rasenmäher. Etwas an diesem Job gefiel mir nicht. Wieso sollte ich anderer Leute Sachen verbessern? Warum blieb ich nicht in meinem Zimmer und schrieb mein eigenes Zeug? Was würde H. L. Muller in einem Fall wie diesem tun? Wahrscheinlich würde er mich auslachen. Recht hatte er.

Die Tür ging auf, und Du Mont kam herein in einer erstaunlichen Aufmachung – er trug einen Gehrock über einer grauen Weste, eine Melone auf dem Kopf und Gamaschen über den Schuhen, und seine rechte Hand spielte mit einem schicken kleinen Gehstock. Ich war ja nie in Paris gewesen, aber beim Anblick dieses herausgeputzten kleinen Mannes musste ich an Paris denken. Der Kerl hatte bestimmt eine Schraube locker.

»Guten Morgen«, sagte er. »Wie gefällt Ihnen Ihr Büro?«

»Was ist mit den Katzen passiert?«

»Das Desinfektionsmittel«, sagte er. »Es verscheucht sie. Keine Sorge, die kommen nicht wieder. Ich kenne Katzen.« Er hängte Hut und Stock an den Türhaken, nahm einen Stuhl und setzte sich neben mich an den Schreibtisch. Dann hob er »Leidenschaft im Morgengrauen« vom Stapel und brachte mir die Kunst des Lektorierens bei. Es war ein Gemetzel. Mit einem schwarzen Stift unterstrich, kürzte und strich er einzelne Sätze, dann ganze Abschnitte und ganze Seiten. Das verstümmelte Manuskript blutete geradezu. Ich begriff rasch, was ich zu tun hatte. Ich schnappte mir das Manuskript und zerhackte es eigenhändig Satz für Satz, bis die Nacht hereinbrach.

Am späten Nachmittag hörte ich einen dumpfen Schlag an meinem Fenster. Ein Kater. Ein komischer alter Kauz mit einem elenden, zerschundenen Gesicht. Er starrte mich an, rieb die Nase an der Scheibe und leckte erwartungsvoll seine Barthaare. Eine Weile ignorierte ich ihn, aber als ich wieder hinsah, saßen neben ihm auf dem Fenstersims zwei weitere Katzen und starrten mich an wie bettelnde Waisenkinder. Das hielt ich nicht aus. Ich fuhr mit dem Lift hinunter zum Imbiss, fischte ein paar Scheiben Pastrami aus dem Müll und brachte sie den Katzen. Als ich das Fenster öffnete, stürzten sie ins Zimmer und fraßen mir gierig aus der Hand.

Da hörte ich Du Mont lachen. Er stand in der Tür seines Büros mit einer Perserkatze im Arm. »Wusste ich’s doch, dass Sie ein Katzenfreund sind«, sagte er. »Man sieht es Ihnen an den Augen an, wissen Sie?«

Kapitel 2

Ich brauchte drei Tage, um Jennifer Lovelaces Geschichte zu überarbeiten. Ihre Fassung war dreißig Seiten stark gewesen, meine noch fünfzehn. Die Geschichte war eigentlich nicht schlecht, sie war nur schlecht erzählt. Es ging um sechs Lehrer, die im Planwagen durch die Prärie fuhren, allerhand Scharmützel mit Indianern und Banditen ausfochten und zu guter Letzt in Stockton ankamen. Ich brachte die Sache in Ordnung, dann trug ich das Manuskript in Du Monts Büro. Er wog es in der Hand und runzelte die Stirn.

»Können Sie nicht zehn Seiten hinzufügen?«

»So ist’s lang genug«, sagte ich. »Keine Zeile mehr. Ich denke, Jennifer Lovelace wird zufrieden sein.«

Er griff nach dem Telefon. »Ich sage ihr, dass das Manuskript fertig ist.«

Jennifer Lovelace kam am folgenden Nachmittag, als ich gerade die Katzen fütterte. Sie war umwerfend schön. Sie trug ein weißes Leinenkleid, schwarze Strümpfe und schwarze Schuhe, und an ihrem Arm hing eine schwarze Tasche. Ihr Haar glänzte seiden und schwarz, ihre schwarzen Augen leuchteten. Mein Blick glitt über ihre Brüste, ihre Taille, ihre Hüfte – Jennifer Lovelace war hinreißend. Unwiderstehlich. Quälend schön. Seit ich nach Los Angeles gekommen war, waren tausend schöne Frauen an mir vorübergezogen, und ich hatte nur mit den Schultern gezuckt. Aber bei Jennifer Lovelace streckte ich die Waffen.

»Hallo«, sagte ich und rappelte mich auf.

»Guten Tag«, lächelte sie. »Mein Name ist Jennifer Lovelace. Ist Doktor Du Mont hier?«

»Einen Augenblick. Nehmen Sie bitte Platz.« Sie ließ sich mit ihrem königlichen Hintern auf einem Stuhl nieder. Ich bewunderte die sanfte Mechanik ihrer Hüften, ihrer Knie, ihrer Fesseln. Zuletzt legte sie ihre edlen Hände in den Schoß und lächelte mich an. Ich war selig. Ich klopfte an Du Monts Tür und ging hinein.

»Sie ist hier!«, flüsterte ich.

»Schsch!« Du Mont presste die Lippen aufeinander. »Lassen wir sie eine Weile warten. Sie ist reich.«

»So sieht sie auch aus.«

Du Mont zog eine goldene Uhr aus seiner Jackentasche und betrachtete sie ewig lang. Endlich zischte er: »Jetzt! Führen Sie sie rein!«

Ich öffnete die Tür. Jennifer Lovelace saß noch immer kerzengerade da in geduldiger Anmut. Königlich.

»Bitte hier entlang«, sagte ich.

»Danke schön.« Sie stand auf und ging auf Du Monts Bürotür zu. Da sah ich, dass ihr Rücken voller Katzenhaare war.

»Warten Sie!«

Jennifer Lovelace sah sich verwundert nach mir um. Das war meine Chance. Ich fiel hinter ihr auf die Knie und wischte die Katzenhaare von ihrem wunderbaren Hintern, von ihren kräftigen Schenkeln, den köstlichen Hüften. Sie wirbelte von mir weg.

»Was um Himmels willen machen Sie da?«

»Die Katzen«, sagte ich und streckte ihr meine Hände voller Katzenhaar entgegen.

Sie verdrehte den Hals, um über die Schulter an sich hinunterzuschauen, und wischte sich über den Rücken. Ich robbte ihr zu Hilfe, aber sie stieß mich weg.

»Lassen Sie die Finger von mir!«

Da stand plötzlich Du Mont an ihrer Seite. »Bitte kommen Sie, meine Liebe.« Ganz der galante Gentleman. Ruhig. Gefasst. Zuvorkommend. Er geleitete sie ins Büro und schloss die Tür. Ich blieb allein auf den Knien im Vorraum zurück, umzingelt von jaulenden, um Futter bettelnden Katzen. Eine vage Empfindung von Peinlichkeit und Verwirrung stieg in mir hoch. Aus Du Monts Büro drang nicht der geringste Laut. Ich rutschte auf den Knien zur Tür und wagte einen Blick durchs Schlüsselloch. Du Mont saß an seinem Schreibtisch, Jennifer Lovelace ihm gegenüber. Sie blätterte in ihrem Manuskript, das ich bearbeitet hatte. In ihrem Gesicht las ich rasch wachsenden Zorn.

»Mein Manuskript!«, japste sie. »Was ist mit ihm geschehen?« Sie kramte in ihrer Handtasche. »Geben Sie mir bitte eine Zigarette.«

Du Mont hielt ihr die Schachtel hin.

»Was haben Sie mit meiner Geschichte gemacht, Doktor Du Mont? Sie haben sie – massakriert! Meine schöne Geschichte! Wie können Sie mir so was antun?«

Du Mont hob beschwichtigend die Hand. »Ich habe gar nichts getan, meine Liebe. Ich hatte ja keine Ahnung, dass er so weit gehen würde.«

Jennifer Lovelace erstarrte. »Er? Wer ist Er?«

Du Mont sagte nichts. Er deutete nur schuldbewusst mit dem Kinn in meine Richtung. Da sprang Jennifer hoch, und ich trat den Rückzug an – durch den Empfangsraum und durch den Flur, die Treppe hinunter, durch den Imbiss im Erdgeschoss und den Hinterausgang hinaus in den Hof. Dort setzte ich mich auf eine Obstkiste und rauchte eine Zigarette. Meine Hände zitterten. Wenig später waren auch die Katzen wieder bei mir; dieselbe Bande, die mich schon im Büro heimgesucht hatte. Sie musterten mich neugierig. Wahrscheinlich fragten sie sich, was zum Teufel ich in ihrem Revier verloren hatte.

Ich schaute an der Fassade hoch zu meinem Bürofenster. Niemals würde ich dorthin zurückkehren. Niemals. Du Mont hatte mich reingelegt. Verraten. Ich schämte mich, dass ich dermaßen in Jennifer Lovelaces Manuskript gewütet hatte – ich, der ich jeden niederschlagen würde, der mit meinen Geschichten so umspringen würde. Was Heinrich Muller wohl über meinen Charakter sagen würde? Charakter – am Arsch. Ich lachte lauthals. Ich war ein Niemand, eine Null. Zum Teufel damit. Ich beschloss, einkaufen zu gehen. Vielleicht ein Paar Hosen. Mir blieben noch immer über hundert Dollar. Ich würde meine Sorgen im Kaufrausch vergessen. Wozu war Geld sonst da?

Im Goodwill Store wählte ich drei Paar Hosen aus und probierte sie an. Aber irgendwie halfen sie mir nicht so richtig. Ich betrachtete mich im Spiegel, wie ich nun mal war – ein Namenloser, eine Null. Ein Niemand im Schatten von Heinrich Muller, dem röhrenden Tiger im literarischen Dschungel.

Ich ging durch die Third Street, dann links die Hill Street hoch, und als es mir zu steil wurde, stieg ich in einen Bus. Der Bus war fast leer; außer mir war nur noch ein Mädchen an Bord. Sie saß auf der anderen Seite des Mittelgangs und las in einem Buch, und sie trug ein schlichtes Kleid und keine Strümpfe. Sie war ziemlich hübsch, aber nicht mein Geschmack. Als der Bus anfuhr, wechselte sie den Sitzplatz. Die hat ja keinen Hintern, dachte ich. Na, einen Hintern hat sie schon, aber nichts, was sich mit dem königlichen Hintern einer Jennifer Lovelace messen könnte. Das hier ist einfach nur ein Hintern. Ein ganz gewöhnlicher Durchschnittshintern. Ich hatte heute wirklich kein Glück.

Zuoberst auf Angel’s Flight stieg ich aus und lief nach Hause, ins Hotel. In der Lobby saß die Wirtin an ihrem Schreibtisch. Vor ihr lag der American Phoenix – und zwar exakt an der Stelle, an der ich ihn drei Wochen zuvor hingelegt hatte. Ich trat kühn an den Schreibtisch und hob das Heft auf.

»Sie haben es nicht gelesen, was?«

Sie lächelte feindselig. »Nein, habe ich nicht.«

»Wieso nicht?«

»Ich fand’s langweilig. Den ersten Abschnitt habe ich gelesen, das hat mir gereicht.«

Ich klemmte mir das Heft unter den Arm.

»Ich werde hier ausziehen. Bald. Sehr bald.«

»Bitte, wie Sie wünschen.«

Ich ließ die Frau hinter ihrem Schreibtisch sitzen und ging durch den Flur zu meinem Zimmer. Als ich den Schlüssel ins Schloss steckte, hörte ich, wie auf der anderen Seite des Flurs ein Schlüssel gedreht wurde. Eine Tür ging auf, und das Mädchen aus dem Bus kam heraus. Sie hatte immer noch das Buch in der Hand. Es war »Nana« von Emile Zola. Sie lächelte mich an.

»Hallo!«, sagte ich. »Ich wusste nicht, dass du hier wohnst.«

»Bin gerade eingezogen.«

»Arbeitest du hier in der Gegend?«

»Kann man wohl sagen, ja.« Sie warf mir einen schelmischen Blick zu. »Willst du auf einen Sprung zu mir reinkommen?«

Nein, das wollte ich nicht. Ich fand an dem Mädchen nichts Verlockendes. Gleichzeitig aber musste ich mich benehmen wie ein Mann. Es gab nur eine richtige Antwort.

»Klar will ich reinkommen.«

Sie warf mir einen zweiten schelmischen Blick zu und stieß ihre Tür auf. »Worauf warten wir dann noch?«

Ich zögerte eine Sekunde, dann trat ich ein. Gott steh mir bei, dachte ich, als das Mädchen hinter mir die Tür schloss.

»Wie heißt du, Süßer?«

»Arturo. Arturo Bandini.«

Sie streckte die Arme nach mir aus und nahm mir den Mantel ab.

»Wie viel?«, fragte ich.

»Einen Fünfer, Süßer.«

Sie packte mich an den Schultern und drehte mich um, dann knöpfte sie mir das Hemd auf und hängte es über eine Stuhllehne. Anschließend verschwand sie im Badezimmer. »Bin gleich wieder da.«

Ich setzte mich aufs Bett und zog mich aus. Ich war nackt, als sie wieder rauskam, und sie war ebenfalls nackt. Ich versuchte, mir meine Enttäuschung über ihren Anblick nicht anmerken zu lassen. Sie war einwandfrei sauber und frisch geduscht, daran lag’s nicht. Aber trotzdem sah sie irgendwie unrein aus, und ihr Hintern hing verloren an ihr herunter. Sie und ich würden nie im Leben etwas Ordentliches zustande kriegen. Es war der reine Wahnsinn, dass ich überhaupt hier war. Das Mädchen aber schien derlei Sorgen nicht zu kennen. Sie packte meinen Stab und führte mich ins Bad, seifte meine Lenden ein und knetete entschlossen meine Keule – leider ohne erkennbaren Effekt. Meine Gedanken waren bei Jennifer Lovelace und dem edlen Liebreiz ihrer Formen. Das Mädchen trocknete mich ab, führte mich ins Schlafzimmer zurück, legte mich aufs Bett und schmiegte sich nackt an mich.

»Mach schon, Liebling«, sagte sie.

Ich fuhr ihr mit einem Finger durchs Schamhaar.

»Macht es dir etwas aus, wenn ich währenddessen lese? Reich mir mein Buch, bitte.«

Ich reichte ihr das Buch, und sie schlug es auf. Ich lag da und geriet ins Grübeln. Gütiger Himmel, wenn jetzt meine Mutter hereinkäme! Oder mein Vater! Oder Heinrich Muller! Wo sollte das alles enden?

Das Mädchen deutete mit dem Kinn auf eine Früchteschale. »Magst du einen Apfel?«

»Nein, danke.«

»Gib mir einen, bitte.«

Ich reichte ihr einen. Sie biss hinein und las weiter.