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Psychoanalyse im 21. Jahrhundert

Klinische Erfahrung, Theorie, Forschung, Anwendungen

 

Herausgegeben von Cord Benecke, Lilli Gast,

Marianne Leuzinger-Bohleber und Wolfgang Mertens

 

Berater der Herausgeber

Ulrich Moser

Henri Parens

Christa Rohde-Dachser

Anne-Marie Sandler

Daniel Widlöcher

Rolf Haubl

Johann August Schülein

Psychoanalyse und Gesellschaftswissenschaften

Wegweiser und Meilensteine eines Dialogs

Verlag W. Kohlhammer

Wir danken Alina Brehm für ihre Hilfe, den Text in Form zu bringen, wie auch für fachkundige Kommentare, die der Verständlichkeit unserer Argumente gedient haben.

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

 

 

1. Auflage 2016

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-022410-0

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-031768-0

epub:   ISBN 978-3-17-031769-7

mobi:   ISBN 978-3-17-031770-3

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Geleitwort zur Reihe

 

 

Die Psychoanalyse hat auch im 21. Jahrhundert nichts von ihrer Bedeutung und Faszination verloren. Sie hat sich im Laufe ihres nun mehr als einhundertjährigen Bestehens zu einer vielfältigen und durchaus auch heterogenen Wissenschaft entwickelt, mit einem reichhaltigen theoretischen Fundus sowie einer breiten Ausrichtung ihrer Anwendungen.

In dieser Buchreihe werden die grundlegenden Konzepte, Methoden und Anwendungen der modernen Psychoanalyse allgemeinverständlich dargestellt. Worin besteht die genuin psychoanalytische Sichtweise auf Forschungsgegenstände wie z. B. unbewusste Prozesse, Wahrnehmen, Denken, Affekt, Trieb/Motiv/Instinkt, Kindheit, Entwicklung, Persönlichkeit, Konflikt, Trauma, Behandlung, Interaktion, Gruppe, Kultur, Gesellschaft u. a. m.? Anders als bei psychologischen Theorien und deren Überprüfung mittels empirischer Methoden ist der Ausgangspunkt der psychoanalytischen Theoriebildung und Konzeptforschung in der Regel zunächst die analytische Situation, in der dichte Erkenntnisse gewonnen werden. In weiteren Schritten können diese methodisch trianguliert werden: durch Konzeptforschung, Grundlagenforschung, experimentelle Überprüfung, Heranziehung von Befunden aus den Nachbarwissenschaften sowie Psychotherapieforschung.

Seit ihren Anfängen hat sich die Psychoanalyse nicht nur als eine psychologische Betrachtungsweise verstanden, sondern auch kulturwissenschaftliche, sozialwissenschaftliche sowie geisteswissenschaftliche Perspektiven hinzugezogen. Bereits Freud machte ja nicht nur Anleihen bei den Metaphern der Naturwissenschaft des 19. Jahrhunderts, sondern entwickelte die Psychoanalyse im engen Austausch mit geistes- und kulturwissenschaftlichen Erkenntnissen. In den letzten Jahren sind vor allem neurowissenschaftliche und kognitionspsychologische Konzepte und Befunde hinzugekommen. Dennoch war und ist die klinische Situation mit ihren spezifischen Methoden der Ursprung psychoanalytischer Erkenntnisse. Der Blick auf die Nachbarwissenschaften kann je nach Fragestellung und Untersuchungsgegenstand bereichernd sein, ohne dabei allerdings das psychoanalytische Anliegen, mit spezifischer Methodik Aufschlüsse über unbewusste Prozesse zu gewinnen, aus den Augen zu verlieren.

Auch wenn psychoanalytische Erkenntnisse zunächst einmal in der genuin psychoanalytischen Diskursebene verbleiben, bilden implizite Konstrukte aus einschlägigen Nachbarwissenschaften einen stillschweigenden Hintergrund wie z. B. die derzeitige Unterscheidung von zwei grundlegenden Gedächtnissystemen. Eine Betrachtung über die unterschiedlichen Perspektiven kann den spezifisch psychoanalytischen Zugang jedoch noch einmal verdeutlichen.

Der interdisziplinäre Austausch wird auf verschiedene Weise erfolgen: Zum einen bei der Fragestellung, inwieweit z. B. Klinische Psychologie, Entwicklungspsychologie, Entwicklungs-psychopathologie, Neurobiologie, Medizinische Anthropologie zur teilweisen Klärung von psychoanalytischen Kontroversen beitragen können, zum anderen inwieweit die psychoanalytische Perspektive bei der Beschäftigung mit den obigen Fächern, aber auch z. B. bei politischen, sozial-, kultur-, sprach-, literatur- und kunstwissenschaftlichen Themen eine wesentliche Bereicherung bringen kann.

In der Psychoanalyse fehlen derzeit gut verständliche Einführungen in die verschiedenen Themenbereiche, die den gegenwärtigen Kenntnisstand nicht nur klassisch freudianisch oder auf eine bestimmte Richtung bezogen, sondern nach Möglichkeit auch richtungsübergreifend und Gemeinsamkeiten aufzeigend darstellen. Deshalb wird in dieser Reihe auch auf einen allgemein verständlichen Stil besonderer Wert gelegt.

Wir haben die Hoffnung, dass die einzelnen Bände für den psychotherapeutischen Praktiker in gleichem Maße gewinnbringend sein können wie auch für sozial- und kulturwissenschaftlich interessierte Leser, die sich einen Überblick über Konzepte, Methoden und Anwendungen der modernen Psychoanalyse verschaffen wollen.

 

Die Herausgeberinnen und Herausgeber

Cord Benecke, Lilli Gast,

Marianne Leuzinger-Bohleber und Wolfgang Mertens

 

Inhalt

 

 

  1. Geleitwort zur Reihe
  2. 1 Einleitung
  3. 2 Freud und die Gesellschaft
  4. 2.1 Freuds Gesellschaftsbild
  5. 2.2 Freuds gesellschaftsanalytische Schriften
  6. 2.3 »Wissenschaftliche Weltanschauung« vs. Marxismus
  7. 2.4 Leistungen und Grenzen von Freuds gesellschaftstheoretischen Vorstellungen
  8. 3 Die gesellschaftswissenschaftliche Aneignung der Psychoanalyse in sechzehn Autorenporträts
  9. 3.1 Theodor W. Adorno: Psychoanalyse als Kritik - Kritik der Psychoanalyse
  10. 3.2 Pierre Bourdieu: Sozioanalyse – Psychoanalyse des Sozialen
  11. 3.3 Cornelius Castoriadis: Plädoyer für radikale Imagination
  12. 3.4 Norbert Elias: Die Zivilisierung der Psyche
  13. 3.5 Erik H. Erikson: Kindheit und Gesellschaft
  14. 3.6 Michel Foucault: Psychoanalyse als Subversion und Herrschaftstechnik
  15. 3.7 Erich Fromm: Psychoanalytische Sozialpsychologie und Humanismus
  16. 3.8 Jürgen Habermas: Psychoanalyse als Modell emanzipatorischer Praxis mittels methodischer Selbstreflexion
  17. 3.9 Axel Honneth: intrapsychische Pluralisierung und innere Lebendigkeit als gesellschaftskritischer Maßstab der Psychoanalyse
  18. 3.10 Klaus Horn: Psychoanalyse als Politische Psychologie
  19. 3.11 Christopher Lasch: Im Zeitalter des Narzissmus
  20. 3.12 Alfred Lorenzer: Psychoanalyse als Anwalt gesellschaftlich verdrängter Sinnlichkeit
  21. 3.13 Herbert Marcuse: Das Veralten der Psychoanalyse und die repressive Entsublimierung in der spätmodernen Gesellschaft
  22. 3.14 Alexander Mitscherlich: Konsum statt Trauer. Auf dem Weg zu einer vaterlosen Gesellschaft
  23. 3.15 Talcott Parsons: Strukturell-funktionale Soziologie und Psychoanalyse
  24. 3.16 Richard Sennett: Modernisierungsrisiken von Psyche und Gesellschaft
  25. 4 Theorieentwicklung
  26. 5 Psychoanalytisch inspirierte Sozialforschung
  27. 5.1 Datenerhebung: Forschungsgespräche
  28. 5.2 Tiefenhermeneutik
  29. 5.3 Entschleunigung des Verstehens
  30. 5.4 Gesellschaft im Subjekt
  31. 5.5 Irritationsgeleitetes Verstehen latenter Sinngehalte
  32. 5.6 Szenisches Verstehen: Interpretieren als virtuelle Beziehungsdynamik
  33. 5.7 Interpretationsgruppen
  34. 5.8 Abduzieren
  35. 5.9 Spiegeln
  36. 5.10 Hinreichende Gültigkeit von Gruppeninterpretationen
  37. 5.11 Ergebnisbericht
  38. 5.12 Fazit
  39. 6 Ausblick und Positionierung
  40. 6.1 Exemplarische Schnittstellenthemen
  41. 6.2 Psychoanalyse als funktional differenziertes soziales System
  42. 6.3 Psychoanalyse als Werte- und Normengemeinschaft
  43. 6.4 Primat des Sozialen – eine interdisziplinäre Annäherung
  44. 6.5 Konsequenzen für die psychoanalytische Praxis
  45. 6.6 Psychoanalyse und praktizierte Gesellschaftskritik
  46. Literatur
  47. Stichwortverzeichnis

 

1          Einleitung

 

 

Anfang des 21. Jahrhunderts erschien ein Buch mit dem Titel Freud, Psychoanalysis, Social Theory. The Unfulfilled Promise (Weinstein, 2001). Gut ein Jahrzehnt später titelt ein Sammelband The unhappy Divorce of Sociology and Psychoanalysis. Diverse Perspectives on the Social (Chancer & Andrews, 2014). Die Metaphorik beider Titel liefert eine Zustandsbeschreibung, die auch für das vorliegende Buch Psychoanalyse und Gesellschaftswissenschaften zutrifft.

Der Plot der Narration besagt: Es gab eine Zeit, da gingen die Gesellschaftswissenschaften und die Psychoanalyse einen Ehebund ein, der nicht lange hielt. Inzwischen kam es zu einer glücklosen Scheidung, weil nicht in Erfüllung ging, was man sich voneinander versprach. So kann man die Geschichte erzählen – und nicht nur für die USA.

Auch im deutschsprachigen Raum lässt sich eine vergleichbare Skepsis feststellen. So hat beispielsweise Reimut Reiche – in den 1970er Jahren ein führender Kämpfer für die Verbindung von Gesellschaftskritik und Psychoanalyse – Mitte der 1990er Jahre einen Aufsatz veröffentlicht, in dem er der Psychoanalyse eine »Stimmung des Beleidigtseins« attestiert, die daher rühre, dass sie die einstigen Hoffnungen nicht erfüllt habe, sie sei die wissenschaftliche Disziplin, die Menschen therapeutisch wie politisch aus ihrer – kantianisch formuliert – selbst verschuldeten Unmündigkeit herausführe. Stattdessen sei sie mit ihrer zunehmenden Bedeutungslosigkeit konfrontiert. Die Menschen, ob als Patienten oder Bürger, wollen »die Wahrheit« und »die Aufklärung nicht mehr, die wir ihnen anzubieten haben und von denen wir gewohnt waren, dass wir sie nicht anbieten müssen, sondern dass man nach ihnen verlangt wie nach einem kostbaren Gut« (Reiche, 1995, S. 229).

In den Diagnosen des gegenwärtigen Verhältnisses von Gesellschaftstheorie und Psychoanalyse dominieren also Ernüchterung und Enttäuschung. Dies liegt vermutlich nicht nur an unangemessenen Erwartungen, sondern auch an den objektiven Bedingungen. Nicht zuletzt wohl auch daran, dass beide Disziplinen eher marginale Wissenschaften (geworden) sind, die nach Partnern suchen, die es ermöglichen, innerhalb des szentistischen Kanons aufzusteigen. Bleibt der Aufstieg verwehrt, liegen verschiedene Verarbeitungen nahe. Eine Variante besteht darin, vehement zu betonen, dass man einander auf keinen Fall braucht, wobei die Vehemenz freilich ahnen lässt, dass die verbleibenden Leerstellen weiterhin leer bleiben, was auch nicht befriedigt. Die verschärfte Form dieser Variante leugnet die Leerstellen, indem sie behauptet, über ein Erklärungspotenzial zu verfügen, das die Beiträge des potenziellen Partners schlicht überflüssig macht. Die häufigste Variante dürfte inzwischen die einer wechselseitigen Ignoranz sein: Steht das Urteil von vornherein fest, dass man den Anderen nicht braucht, muss man sich auch nicht über dessen Entwicklung informieren. Als Folge davon kommt es zu einer fortlaufenden Bestätigung der eigenen Vorurteile.

Um diese Gefahr zu verringern, wollen wir hier in diesem Buch – wie kursorisch auch immer – an eine Reihe von theoretischen Partnerschaften erinnern, die eindrucksvoll gezeigt haben, wie diese möglich sind und die sich aus unserer Sicht auch dazu eignen, die aktuellen Chancen für eine Kooperation von Gesellschaftswissenschaften und Psychoanalyse, genau genommen: von interessierten Gesellschaftswissenschaftlern und Psychoanalytikern auszuloten. Eine solche Kooperation abzuschreiben, würde verkennen, dass es sehr wohl Versuche gibt, aus der Geschichte des tradierten Kooperationsprojektes zu lernen, wie sich dies etwa die jüngst erfolgte Gründung einer »Gesellschaft für psychoanalytische Sozialpsychologie« zum Ziel gesetzt hat.

Im Zentrum des Buches stehen sechzehn mehr oder weniger umfangreiche Porträts einer Reihe von gesellschaftswissenschaftlichen Autoren, die sich mit Theorie und Praxis der Psychoanalyse (kritisch) auseinandergesetzt haben. Die Reihe ist keinesfalls vollständig. Eher spiegelt sie zum einen die von uns präferierten Bezüge, zum anderen haben wir darauf geachtet, dass es systematische und nicht nur beiläufige Auseinandersetzungen sind. Unser Ziel ist die Rekonstruktion von exemplarischen Argumenten, die womöglich die Chance erhöhen, die interdisziplinäre Kooperation zwischen Psychoanalyse und Gesellschaftswissenschaften nachhaltig zu verbessern. Das verlangt den Disziplinen ab, sich auf Augenhöhe zu begegnen und die Grenzen des eigenen Erklärungsanspruchs anzuerkennen.

Leider ist festzustellen, dass im gesellschaftswissenschaftlichen Diskurs nach wie vor eine Auseinandersetzung mit dem Werk von Sigmund Freud überwiegt. Die Pluralisierung der Psychoanalyse und die daraus folgende Vermehrung des psychoanalytischen Theorieangebots (vgl. Mertens, 2014) wird vergleichsweise selten genutzt, was schnell den (falschen) Eindruck erweckt, es würde in der Psychoanalyse keine Innovationen geben.

Bilanziert man die Themen, mit denen sich die von uns ausgewählten Autoren befassen, dann lassen sich verschiedene wiederkehrende Diskussionsstränge ausmachen. Diskutiert wird

•  das skeptische Weltbild, das Freud der Psychoanalyse eingeschrieben hat und das die Frage aufwirft, wie schicksalhaft die Geschichte der Menschengattung ist;

•  die Entgegensetzung von Individuum und Gesellschaft, die sachlich nicht gerechtfertigt ist, aber dem Selbstverständnis der bürgerlichen Gesellschaft entspricht;

•  der Grad an Repression, der generell oder in einem bestimmten Zeitraum gesellschaftlich als notwendig erscheint;

•  die ahistorische Konzeptualisierung des psychoanalytischen Erkenntnisgegenstandes, der eine ahistorische Begrifflichkeit nach sich zieht;

•  der von Freud vertretene a-soziale oder gar anti-soziale biologistische Triebbegriff, der verhindert, dass die Psychoanalyse weder einen Begriff von primärer Sozialität noch von Sozialisation hat;

•  das Modell der Psyche als eines »Apparates«, der Konflikte zwischen den »Instanzen« Es, Ich und Über-Ich in Kompromissbildungen überführt;

•  das Verhältnis von Sprache zu vorsprachlichen, vor allem leiblichen Formen menschlichen Erlebens und Handelns;

•  das psychoanalytische Modell des dynamischen Unbewussten als eine von verschiedenen Arten von Unbewusstheit, wenn auch eine ausgezeichnete;

•  die fehlende historische Selbstaufklärung normativer psychoanalytischer Vorstellungen;

•  der Nutzen von psychoanalytischen und psychoanalytisch inspirierten Konzepten, um aktuelle sozialwissenschaftliche Gesellschaftsdiagnosen zu schärfen;

•  die psychoanalytische Praxis als ein allgemeingültiges Modell individueller und kollektiver Aufklärungs- und Veränderungsprozesse.

Die Autoren, die wir ausgewählt haben, befassen sich unterschiedlich ausführlich mit den einzelnen Themen, wobei auffällt, dass sie sich untereinander nur wenig zur Kenntnis nehmen. Dadurch kommen ähnliche Argumentationslinien zustande, deren Verlauf aber in Parallelwelten verbleibt, sodass kaum Synergien entstehen können.

Die Schriftenreihe, in der dieses Buch erscheint, ist Psychoanalyse im 21. Jahrhundert betitelt. Wie die psychoanalytische Sozialpsychologie im 21. Jahrhundert aussehen wird, wissen wir nicht. Es gibt viele und vielversprechende Entwicklungen, aber es lässt sich noch nicht absehen, wohin sie führen werden. Was sicher ist: Auch sie werden sich mit Themen, Theoremen und Methoden auseinandersetzen müssen, mit denen sich die psychoanalytische Sozialpsychologie bisher beschäftigt hat. Statt das Rad immer wieder neu zu erfinden, ist es daher sinnvoll, von dem zu lernen, was schon geleistet wurde – und davon, was dabei (noch) nicht gelungen ist. Dieses Wissen versucht unser Buch kritisch präsent zu halten. Wir folgen dabei der Maxime, dass ein Rückblick den Blick in die Zukunft schärft.

Auch wenn sich die Psychoanalyse längst an ihrem Erfinder abgearbeitet hat und innovativer ist, als es manchmal erscheinen will, kommen auch wir nicht umhin, mit Freud zu beginnen. Und zwar mit dem Freud, der als intuitiver Gesellschaftsanalytiker imponiert, weil ihm von Beginn seiner Karriere an bewusst war, dass es eine Wissenschaft vom Menschen, wie es die Psychoanalyse zu sein beansprucht, immer schon mit bio-psycho-sozialen Untersuchungs- und Erkenntnisgegenständen zu tun hat.

 

2          Freud und die Gesellschaft

 

 

Lernziel

•  nachvollziehen können, dass Freud schon früh das kreative gesellschaftsdiagnostische Potenzial der Psychoanalyse erkannte, und wie er versuchte, es zu realisieren.

Freud (1856–1939) wurde in Freiburg/Mähren geboren. Seine Familie zog nach Wien, wo er von 1873 bis 1881 Medizin studierte. Anschließend widmete er sich intensiven neurologischen Studien, in deren Verlauf er sich auf Neuropathologie konzentrierte und sich 1885 in diesem Fach habilitierte. Ein Studienaufenthalt in Paris verstärkte sein Interesse an psychopathologischen Themen. Seine Auseinandersetzung mit den vorhandenen Theorien und praktische Erfahrungen, die er in der Behandlung psychisch Kranker sammelte, führten – begleitet von einer intensiven »Selbstanalyse« – zur schrittweisen Entwicklung der Psychoanalyse, der ersten ausgearbeiteten Theorie psychodynamischer Prozesse. Seine Arbeit löste eine große Resonanz aus – positive wie negative. Seine Theorien entwickelte er bis an sein Lebensende ständig weiter, ohne das Gesamtgebäude definitiv abschließen zu können. Nach 1938 zwang ihn die Machtübernahme der Nationalsozialisten zur Emigration nach London, wo er starb.

Freud war ein an seiner Welt interessierter Intellektueller. Er selbst schrieb im Rückblick: »In den Jugendjahren wurde das Bedürfnis, etwas von den Rätseln dieser Welt zu verstehen und vielleicht selbst etwas zu ihrer Lösung beizutragen, übermächtig.« (1927a, S. 291) Sein »faustischer Wissensdrang« (so Jones, 1984, S. 49) hatte zur Folge, dass er sich nie mit einer rein fachwissenschaftlichen Betätigung begnügte, sondern sich immer wieder – aus zeitgeschichtlichen wie aus biografischen Anlässen – mit gesellschaftspolitischen Themen beschäftigte. Soweit dies schriftlich dokumentiert ist, blieben diese Auseinandersetzungen zunächst auf eher improvisierte Exkurse in Briefen beschränkt. Das änderte sich, als Freud klar wurde, dass die Konzepte der Psychoanalyse sinnvoll auch auf sozialpsychologische und gesellschaftliche Themen anwendbar waren.

Auf solche Themen hatte ihn seine Ausbildung aber nicht vorbereitet. So wie er die Psychoanalyse mit den Mitteln entwickeln musste, die ihm aufgrund seiner Vorbildung zur Verfügung standen, konnte er sich bei ihrer Anwendung auf gesellschaftliche Themen auch nur auf das stützen, was er an subjektiven und vortheoretischen Vorstellungen über Gesellschaft hatte.

2.1       Freuds Gesellschaftsbild

Dass Vorstellungen über Gesellschaft etwas anderes sind als eine Gesellschaftstheorie, liegt auf der Hand, auch wenn beides leicht verwechselt wird. Freud hat dies in Bezug auf die Psychologie diskutiert und darauf verwiesen, dass sich jeder für einen Psychologen halte, weil er eine Psyche besitzt (Freud, 1940b, S. 143). Bezogen auf Gesellschaft heißt das: Weil man sich sozial nur orientieren kann, wenn man eine Vorstellung davon hat, was die eigene Gesellschaft ausmacht, entwickelt jeder Mensch wenigstens implizit ein Gesellschaftsbild.

Ohne professionelle Ausbildung (und ein Stück weit auch mit ihr) basiert jedes Gesellschaftsbild auf sozialen Erfahrungen und deren Verarbeitung. Was daraus entsteht, ist eine spezifische Mischung aus Verständnis und bloßer Routine, Gewohnheit und Gewissheit, die es erlaubt, ad hoc in sozialen Situationen handlungsfähig zu sein und die Fülle der auftretenden sozialen Ereignisse nach sozialer und persönlicher Relevanz zu ordnen. Diese lebenspraktisch funktionale Art des Denkens und Handelns wird in den Gesellschaftswissenschaften oft mit dem Begriff »Alltagsbewusstsein« bezeichnet.

Auch in Freuds schriftlichen Äußerungen – sowohl den privaten als auch den später publizierten – lassen sich die Spuren seines Alltagsbewusstseins erkennen. Filtert man aus seinen Texten heraus, wie er Gesellschaft erlebt und sich vorstellt, so zeigt sich ein in vieler Hinsicht zeittypisches Bild. Freud übernimmt ganz selbstverständlich (aber ohne ideologische Militanz) viele Positionen des gebildeten Bürgertums seiner Zeit:

Kinder sollen brav sein, Erziehung soll liebevoll, aber streng sein; Frauen sollen (im herkömmlichen Sinn) weiblich und passiv sein und ihre Männer unterstützen (statt aktiv zu sein und selbst Karrieren anzustreben), denn dann werden sie auch von ihnen als »Liebesobjekt« behandelt. Männer sind die »breadwinner« der Familie, sie müssen allein in der Welt zurechtkommen und selbständig ihren Weg konsequent gehen. Die Familie ist der Hort des Vertrauens, die Welt draußen erscheint gefährlich und oft unverständlich. Geschäftemacherei ist eigentlich würdelos; man hat genügend Geld zu haben, sodass es zu standesgemäßem Leben reicht, und bescheidet sich in und mit seinen gegebenen Möglichkeiten. Arbeit ist die unvermeidliche Bürde, die man (er)tragen muss, aber auch unverzichtbares Lebenselixier. Geistig strebt man danach, sich die Kultur – das kulturelle Erbe der Menschheit aus der Sicht des gebildeten Mitteleuropäers – anzueignen und ein Kulturweltbürger zu werden. Über Modetorheiten schüttelt man den Kopf und orientiert sich an den klassischen Maßstäben der Ästhetik sowie an den Normen, die sich »von selbst« verstehen – Selbstdisziplin, Engagement für das Projekt des gesellschaftlichen Fortschritts, Einhaltung der nötigen Regeln, wechselseitige Anerkennung unter Gleichen, Verachtung des Pöbels und stoisches Ertragen der Zumutungen des Lebens.

Diese Annahmen finden sich in Freuds frühen Äußerungen unsystematisch und stützen sich auf die (scheinbar) normative Evidenz der Lebenswelt. So erläutert er seiner Braut ausführlich, dass es einer Ehe schadet, wenn die Frau beruflich ehrgeizig oder gar ebenbürtig ist (Freud, 1968, S. 36 ff.). Solche und ähnliche Annahmen dienen Freud auch als Bezugssystem für seine frühen gesellschaftsbezogenen psychoanalytischen Arbeiten. So basiert seine Studie über den Witz und seine Beziehung zum Unbewussten (Freud, 1905c) darauf, dass er Gründe und Anlässe für Scham als selbstverständlich voraussetzt.

Mit der Ausarbeitung der psychoanalytischen Entwicklungspsychologie und der ersten Persönlichkeitstheorie standen Freud dann neue Möglichkeiten zur Verfügung, die es ihm erlaubten, seine bis dahin vortheoretischen Überzeugungen im Rahmen einer systematischen theoretischen Konzeption auszuarbeiten, zu korrigieren und weiter zu entwickeln.

Einen ersten systematischen Schritt unternahm Freud in dem Aufsatz über Die »kulturelle« Sexualmoral und die moderne Nervosität (1908d). Um dieses Thema zu bearbeiten, holte er weit aus und entwarf ein theoretisches Bild von »Kultur«, welches nunmehr auf die bereits entwickelten Bestandteile psychoanalytischer Theorie aufgebaut ist:

»Unsere Kultur ist ganz allgemein auf der Unterdrückung von Trieben aufgebaut. Jeder Einzelne hat ein Stück seines Besitzes, seiner Machtvollkommenheit, der aggressiven und vindikativen Neigungen seiner Persönlichkeit abgetreten; aus diesen Beiträgen ist der gemeinsame Kulturbesitz an materiellen und ideellen Beiträgen entstanden. Außer der Lebensnot sind es wohl die aus der Erotik abgeleiteten Familiengefühle, welche die einzelnen Individuen zu diesem Verzichte bewogen haben.« (Freud, 1908d, S. 149 f.)

Freud nutzt hier seine triebtheoretischen Annahmen als Grundlage für ein dynamisches Verständnis von Kultur: Die primäre psychologische Ausstattung der Menschen ist nicht sozial, sondern egozentrisch; sie braucht jedoch einen sozialen und kulturellen Kontext zur Realisierung und muss dafür nolens volens »kulturfähig« werden. Diese Möglichkeit besteht: Über-Ich-Bildung, Sublimierung und andere Formen der Triebkontrolle können zum Aufbau soziokultureller Strukturen genutzt werden, die wiederum die Entwicklung von kulturstützenden psychischen Strukturen stärken.

Es ist deutlich, dass und wie Freuds vortheoretische Gewissheiten hier in theoretische Argumentationen umgesetzt und dabei durch Theoretisierung bestätigt werden: Die Psyche als Dreh- und Angelpunkt sozialen Geschehens, die Familie als einziger Ursprung genuin sozialer Bindungen; die notwendige Repressions- und Stimulierungsfunktion dessen, was jetzt unter dem Begriff »Kultur« zusammen gefasst wird. Ausgehend von der These, dass Kultur vorrangig auf der Sublimierung von sexuellen Triebimpulsen beruht, entwickelt Freud ein Evolutionsschema:

»Mit Bezug auf die Entwicklungsgeschichte des Sexualtriebes könnte man also drei Kulturstufen unterscheiden: Eine erste, auf welcher die Betätigung des Sexualtriebes auch über die Ziele der Fortpflanzung hinaus frei ist; eine zweite, auf welcher alles am Sexualtrieb unterdrückt ist bis auf das, was der Fortpflanzung dient, und eine dritte, auf welcher nur die legitime Fortpflanzung als Sexualziel zugelassen wird. Dieser dritten Stufe entspricht unserer gegenwärtige ›kulturelle‹ Sexualmoral.« (ebd., S. 152)

Freud sieht diese Entwicklung – und das unterscheidet ihn von einem naiven Aufklärungsoptimismus – jedoch nicht nur als Fortschritt, er blickt auch auf ihre Kosten: »Nimmt man die zweite dieser Stufen zum Niveau, so muss man zunächst konstatieren, dass eine Anzahl von Personen […] den Anforderungen derselben nicht genügt.« (ebd.) Sublimierung stößt an konstitutionelle Grenzen, quantitativer und qualitativer Art; wo sie qua kultureller Norm erzwungen wird, kippt der Prozess der Kulturentwicklung ins Negative:

»Die Neurotiker sind jene Klasse von Menschen, die es […] unter dem Einflusse der Kulturanforderungen zu einer nur scheinbaren und immer mehr missglückenden Unterdrückung ihrer Triebe bringen, und die darum ihre Mitarbeiterschaft an den Kulturwerken nur mit großem Kräfteaufwand, unter innerer Verarmung, aufrecht erhalten oder zeitweise als Kranke aussetzen müssen.« (ebd., S. 154)

Bei näherem Hinsehen entpuppt sich dieses Problem für Freud als prinzipielle Aporie: »Die Bewältigung durch Sublimierung, durch Ablenkung der sexuellen Triebkräfte vom sexuellen Ziele weg auf höhere kulturelle Ziele gelingt einer Minderzahl, und wohl auch dieser nur zeitweilig […]. Die meisten anderen werden neurotisch oder kommen sonst zu Schaden.« (ebd., S. 156) Die »kulturelle Sexualmoral« (legitime Sexualität nur in der Ehe und nur für »Fortpflanzungszwecke«) ist daher »krankmachend« (ebd., S. 157).

Auch wenn die »kulturelle Sexualmoral« öffentlich tabuisiert wird, ist die mit ihr verbundene Problematik gesellschaftlich sehr wohl bekannt. Als Indiz nennt Freud die Differenz zwischen offizieller Moral und realem Sexualverhalten. Er verweist auf die Tatsache, dass Männern

»auch von der strengsten Sexualordnung, wenngleich nur stillschweigend und widerwillig, […] ein Stück Sexualfreiheit […] eingeräumt wird; die für den Mann in unserer Gesellschaft geltende ›doppelte‹ Sexualmoral ist das beste Eingeständnis, dass die Gesellschaft selbst, welche die Vorschriften erlassen hat, nicht an deren Durchführung glaubt« (ebd., S. 158).

»Gesellschaft« erscheint als eine Art para-humaner kollektiver Akteur, der aus (mehr oder weniger) rationalen Erwägungen heraus handelt, aber Fehler begeht. Aber das Handeln der Gesellschaft ist irrational und macht (ohne es zu wollen) einen Strich durch die intendierte kulturelle Bilanz. Freud unterstreicht,

»dass die Neurose, soweit sie reicht und bei wem immer sie sich findet, die Kulturabsicht zu vereiteln weiß und somit eigentlich die Arbeit der unterdrückten kulturfeindlichen Seelenkräfte besorgt, so dass die Gesellschaft nicht einen mit Opfern erkauften Gewinn, sondern gar keinen Gewinn verzeichnen darf, wenn sie die Gefügigkeit gegen ihre weitgehenden Vorschriften mit der Zunahme der Nervosität bezahlt« (ebd., S. 166).

2.2       Freuds gesellschaftsanalytische Schriften

Damit hat Freud eine theoretische Grundkonzeption für die Analyse gesellschaftlicher Prozesse entwickelt. In mancher Hinsicht ähnelt sie klassischen Vorgaben. So ist die primäre Kulturfeindlichkeit ein Thema, welches bereits Thomas Hobbes 1651 in seiner naturrechtlichen Grundlegung einer Gesellschaftstheorie ausführlich diskutiert und zum Ausgangspunkt seiner Staatstheorie gemacht hat. Die Theorie gesellschaftlicher Entwicklung bezieht sich zwar nicht explizit auf die strukturell vergleichbaren Entwürfe von Anne Robert Jacques Turgot, Baron de L‘Aule, Claude-Henri de Rouvroy, Comte de St. Simon oder Auguste Comte, entspricht aber den Vorstellungen, die in der Aufklärung oftmals verwendet wurden. Auch der Gedanke einer funktionalen Korrespondenz zwischen Kulturstufe und Psyche war zu Freuds Zeiten bereits ein geläufiger Topos. Allerdings gab Freud diesen Konzepten mit seiner triebtheoretischen Begründung eine neue Form und Grundlage. Damit verfügte er über ein theoretisches Gerüst, mit dessen Hilfe er das Thema Gesellschaft systematisch aufgreifen und behandeln konnte. Zugleich bot ihm die psychoanalytische Theorie die Möglichkeit, Probleme, die sich ihm lebenspraktisch und wissenschaftspolitisch stellten, begrifflich zu fassen und zu erklären. Bekanntlich wurde seine Arbeit nicht so aufgenommen, wie Freud sich dies gewünscht und vorgestellt hatte. Mit Hilfe seiner »kulturtheoretischen« Sicht konnte er nun die öffentlichen Reaktionen, die die Psychoanalyse auslöste, erklären und einordnen – und zugleich eine verhalten optimistisch stimmende Vorstellung der weiteren Zukunft der Psychoanalyse gewinnen.

In seinem Aufsatz über Die zukünftigen Chancen der psychoanalytischen Therapie (1910d) ging es Freud zunächst um die wenig begeisterte Resonanz, die die Psychoanalyse trotz ihrer therapeutischen Möglichkeiten auslöste. Er schreibt:

»Ich habe […] vor, Ihnen zu zeigen, daß wir mit unseren Hilfsmitteln zur Bekämpfung der Neurosen keineswegs zu Ende sind, und daß wir von der näheren Zukunft noch eine erhebliche Besserung unserer therapeutischen Chancen erwarten dürfen. Von drei Seiten, meine ich, wird uns die Verstärkung kommen:

•  durch inneren Fortschritt,

•  durch Zuwachs an Autorität,

•  durch die Allgemeinwirkung unserer Arbeit.« (Freud, 1910d, S. 104)

Auch in diesem, optimistisch stimmenden Szenario konfrontiert er seine Adressaten mit einer eher düsteren Diagnose:

»Über die Bedeutung der Autorität brauche ich Ihnen nicht viel zu sagen. Die wenigsten Kulturmenschen sind fähig, ohne Anlehnung an andere zu existieren oder auch nur ein selbständiges Urteil zu fällen. Die Autoritätssucht und innere Haltlosigkeit der Menschen können Sie sich nicht arg genug vorstellen.« (ebd., S. 109)

Gerade dadurch kommt »Autorität« jedoch eine Schlüsselfunktion in der gesellschaftlichen Entwicklung zu. »Diese Autorität und die enorme von ihr ausgehende Suggestion war bisher gegen uns.« (ebd.) Bis dato, so Freud, habe sich die Psychoanalyse gegen deren negativen Einfluss und Sogwirkung entwickeln müssen. Mit gesellschaftlichem Rückenwind könnte sie ihre Leistungsfähigkeit erst voll entfalten. Aber:

»Die Gesellschaft wird sich nicht beeilen, uns Autorität einzuräumen. Sie muss sich im Widerstande gegen uns befinden, denn wir verhalten uns kritisch gegen sie; wir weisen ihr nach, dass sie an der Verursachung der Neurosen selbst einen großen Anteil hat. Wie wir den Einzelnen durch die Aufdeckung des in ihm Verdrängten zu unserem Feinde machen, so kann auch die Gesellschaft die rücksichtslose Bloßlegung ihre Schäden und Unzulänglichkeiten nicht mit sympathischem Entgegenkommen beantworten; weil wir Illusionen zerstören, wirft man uns vor, dass wir die Ideale in Gefahr bringen.« (ebd., S. 111)

Und genau so, wie der einzelne Patient auf die Dauer der Therapie nicht widerstehen könne, werde dies auf Dauer auch der Gesellschaft nicht gelingen: »So mächtig auch die Affekte und die Interessen der Menschen sein mögen, das Intellektuelle ist doch auch eine Macht. Nicht gerade diejenige, die sich zuerst Geltung verschafft, aber umso sicherer am Ende.« (ebd.)

Analog beschreibt Freud die »Allgemeinwirkung« der Psychoanalyse. Als Therapie arbeitet sie unter anderem auch damit, dass sie die Konflikte beim Namen nennt und ihr damit den äußeren Halt nimmt, den Tabuisierung und Verleugnung bieten:

»Nun setzen Sie an die Stelle des einzelnen Kranken die ganze an den Neurosen krankende, aus kranken und gesunden Personen bestehende Gesellschaft, an Stelle der Annahme der Lösung dort die allgemeine Anerkennung hier. […] Der Erfolg, den die Therapie beim Einzelnen haben kann, muss auch bei der Masse eintreten. […] Die Mitteilung des Geheimnisses hat die ›ätiologische Gleichung‹, aus welcher die Neurosen hervorgehen, an ihrem heikelsten Punkte angegriffen, sie hat den Krankheitsgewinn illusorisch gemacht, und darum kann nichts anderes als die Einstellung der Krankheitsproduktion die endliche Folge sein.« (ebd., S. 112 f.)

Wiederum analogisiert Freud Individuum und Gesellschaft, psychologisiert deren Funktionsweise (und unterstellt eine strukturelle Fähigkeit zur Normalität). Zwar tendiere auch die Gesellschaft – als eine Art personifiziertes soziales System – dazu, sich infantil und ein Stück weit neurotisch zu verhalten, aber sie sei zugleich auch entwicklungsfähig und könne bzw. müsse letztlich einsehen, was notwendig und sinnvoll ist.

Freud hatte damit eine Argumentationsplattform geschaffen, die seine lebensweltlichen Vorstellungen bündelte und integrierte und ihnen zugleich eine theoretische Form gab, die weit darüber hinausging. Dabei zeigt sich eine wechselseitige Stimulierung: Weiterentwicklungen der psychoanalytischen Theorie werden für Ausgestaltungen der Kulturtheorie genutzt, während gleichzeitig die Kulturtheorie nicht nur zum Medium von Freuds früh geäußerten lebensphilosophischen Ambitionen, sondern zum Rahmen der psychoanalytischen Theorie wird.

Zu den wichtigen Schritten auf diesem Weg gehören vor allem folgende Arbeiten:

•   Totem und Tabu (1912–13a): In dieser großflächigen Spekulation über Ursprung und Entwicklung der Kultur entwickelt Freud eine Theorie kultureller Evolution mit »lamarckistischen« Zügen: Er ging davon aus, dass reale Ereignisse ihren Niederschlag im phylogenetischen Erbe fanden. Aus strukturellen Ähnlichkeiten zwischen den psychischen Funktionsweisen von Kindern, Neurotikern und »Wilden« schlussfolgert er Parallelen. Der Übergang zur Kultur habe sich ähnlich vollzogen, wie dies ontogenetisch geschieht: durch die Verinnerlichung von Normen im Verlauf eines realen ödipalen Dramas, wobei Freud unterstellt, dass die so erreichten Entwicklungsschritte zum Bestandteil der Psyche der kommenden Generationen werden. Auf diese Weise wird die Evolutionstheorie begründet und die Schlüsselfunktion des Ödipuskomplexes bestätigt.

•   Zeitgemäßes über Krieg und Tod (1915b): Dieser Text vollzieht eine Wende zur Schattenseite der Kultur. War Freud schon vorher nicht unbedingt optimistisch und in vieler Hinsicht ein Skeptiker, so löste der Erste Weltkrieg bei ihm eine Akzentverschiebung aus. Bis dahin hatte er sozusagen die Lebendigkeit der Kultur beschrieben und begründet. Jetzt ergänzt er dieses Bild. Die Kultur ist nun nicht mehr nur von mangelnder Kulturfähigkeit und schädlichen Versuchen, sie zu erzwingen, bedroht. Zusätzlich diskutiert Freud die unbewusste Phantasie der eigenen Unsterblichkeit und die im Unbewussten vorhandenen Todeswünsche (»unser Unbewußtes mordet selbst für Kleinigkeiten«; ebd., S. 351). Beides kann im Krieg und für den Krieg aktiviert werden. Diese Überlegungen verdichteten sich später in einer Revision der Triebtheorie, in der Freud die Annahme eines Nebeneinanders von Ich- und Sexualtrieb aufgab und eine Dichotomie von Libido und Todestrieb behauptete.

•  In Massenpsychologie und Ichanalyse (1921c) lieferte Freud einen wichtigen Baustein in seiner psychologischen Erklärung sozialen Geschehens. Seine Untersuchung der Psychologie der »Massen« erbrachte, dass in der strukturlosen großen Zahl das individuelle Über-Ich aufgehoben und auf triebhaftes Verhalten umgestellt wird. Im Prinzip gilt dies auch für Organisationen. Ihr sozialer Kitt ist die gemeinsame Unterwerfung unter sowie die Identifikation mit einem »väterlichen« – d. h. autoritären und autokratischen – »Prinzip«. Gehorsam erscheint nur an der Oberfläche als Angst vor Gewalt und Nutzenkalkül; in seiner Tiefenstruktur erweist sie sich als ödipal eingefärbt. Die daraus resultierende Konfiguration von Führungsfigur (oder -idee) und psychisch Abhängigen ist die Basis sowohl für hochgradig disziplinierte Kollektivleistungen als auch für gefährliche kollektive Triebdurchbrüche.

Schließlich unternahm Freud eine erneute Ausformulierung und Weiterentwicklung der Kulturtheorie. In Die Zukunft einer Illusion (1927c) schreibt er bündig:

»Die menschliche Kultur – ich meine all das, worin sich das menschliche Leben über seine animalischen Bedingungen erhoben hat und worin es sich vom Leben der Tiere unterscheidet – und ich verschmähe es, Kultur und Zivilisation zu trennen – zeigt dem Beobachter […] zwei Seiten. Sie umfasst einerseits all das Wissen und Können, das die Menschen erworben haben, um die Kräfte der Natur zu beherrschen und ihr Güter zur Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse abzugewinnen, andererseits alle die Einrichtungen, die notwendig sind, um die Beziehungen der Menschen zueinander, und besonders die Verteilung der erreichbaren Güter zu regeln. Die beiden Richtungen sind nicht unabhängig voneinander, erstens, weil die gegenseitigen Beziehungen der Menschen durch das Maß der Triebbefriedigung, das die vorhandenen Güter ermöglichen, tiefgreifend beeinflusst werden, zweitens, weil der einzelne Mensch selbst zu einem anderen in die Beziehung eines Gutes treten kann, insofern dieser seine Arbeitskraft benützt oder ihn zum Sexualobjekt macht, drittens aber, weil jeder Einzelne virtuell ein Feind der Kultur ist, die doch ein allgemeinmenschliches Interesse sein soll.« (Freud, 1927c, S. 325 f.)

Freud beginnt jetzt mit der strukturellen Aporie jeder menschlichen Gesellschaft und kommt von da aus zu einem bedrückenden Eindruck, dem

»Eindruck, dass die Kultur etwas ist, was einer widerstrebenden Mehrheit von einer Minderheit auferlegt wurde, die es verstanden hat, sich in den Besitz von Macht und Zwangsmitteln zu setzen. […] Während die Menschheit in der Beherrschung der Natur ständige Fortschritte gemacht hat und noch größere erwarten darf, ist ein ähnlicher Fortschritt in der Regelung menschlicher Angelegenheiten nicht sicher festzustellen.« (ebd., S. 327)

Trotz aller nötigen und möglichen Verbesserungen der materiellen Bedingungen bleibt das Problem der Kulturheuchelei oder mehr noch, der Kulturfeindschaft:

»Man hat, meine ich, mit der Tatsache zu rechnen, dass bei allen Menschen destruktive, also antisoziale und antikulturelle Tendenzen vorhanden sind und dass sie bei einer großen Anzahl von Personen stark genug sind, um ihr Verhalten in der menschlichen Gesellschaft zu bestimmen.« (ebd., S. 328)

Wenn auch unwahrscheinlich, so ist eine positive Entwicklung doch möglich: »Es wird entscheidend, ob und inwieweit es gelingt, die Last der den Menschen auferlegten Triebopfer zu verringern, sie mit den notwendig verbleibenden zu versöhnen und sie dafür zu entschädigen.« (ebd.)

Das sind klare Worte. Sie lassen sich nicht im Pathos, aber doch im Ziel mit den großen Utopien der Weltgeschichte vergleichen: Wie diesen, so geht es auch Freud um eine gerechte, sichere, humane Welt. Dabei holt ihn allerdings immer wieder seine Skepsis ein, vor allem dann, wenn er über die Notwendigkeit von Repression nachdenkt:

»Ebenso wenig wie den Zwang zur Kulturarbeit kann man die Beherrschung der Masse durch eine Minderzahl entbehren, denn die Massen sind träge und einsichtslos, sie lieben den Triebverzicht nicht, sind durch Argumente nicht von dessen Unvermeidlichkeit zu überzeugen und ihre Individuen bestärken einander im Gewähren lassen ihrer Zügellosigkeit.« (ebd.)

Freud entwickelt auf diesem Hintergrund einige Überlegungen genauer. Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass es mit der Verinnerlichung der Kulturleistungen nicht weit her ist. Selbst bei der Elite bleibt die Decke dünn:

»Unendlich viele Kulturmenschen, die vor Mord oder Inzest zurückschrecken würden, versagen sich nicht die Befriedigung ihre Habgier, ihrer Aggressionslust, ihrer sexuellen Gelüste, unterlassen es nicht, den anderen durch Lüge, Betrug, Verleumdung zu schädigen, wenn sie dabei straflos bleiben können.« (ebd., S. 333)

Bei den »zurückgesetzten Klassen« mag dies noch verständlich sein, aber auch auf die Eliten ist kein Verlass:

»Wenn […] eine Kultur es nicht darüber hinaus gebracht hat, dass die Befriedigung einer Anzahl von Teilnehmern die Unterdrückung einer anderen, vielleicht der Mehrzahl, zur Voraussetzung hat, und dies ist bei allen gegenwärtigen Kulturen der Fall, so ist es begreiflich, dass diese Unterdrückten eine intensive Feindseligkeit gegen die Kultur entwickeln. […] Die Kulturfeindschaft dieser Klassen ist so offenkundig, dass man über sie die eher latente Feindseligkeit der besser beteilten Gesellschaftsschichten übersehen hat. Es braucht nicht gesagt zu werden, dass eine Kultur, welche eine so große Zahl von Teilnehmern unbefriedigt lässt und zur Auflehnung treibt, weder Aussicht hat, sich dauernd zu erhalten, noch es verdient.« (ebd.)

Allerdings äußerst sich Freud skeptisch zu den Erfolgsaussichten revolutionärer Bewegungen. Dem Bolschewismus bescheinigt er 1933, dass der Versuch, die »menschliche Natur« zu verändern, nur scheitern kann (Freud, 1933a, S. 195). In einer Wendung von einer normativen zu einer funktionalen Sicht fragt Freud, wie denn Klassengesellschaften dennoch Stabilität gewinnen. Seine Antwort: Nicht durch Gewalt(-drohung), sondern vor allem durch Kompensationen – in der Sprache der Psychoanalyse: durch affektive Bindungen, die narzisstische Befriedigung bieten. Sie sind in ihrer Bilanz jedoch zwiespältig.

Am Beispiel der Religion zeigt Freud, dass diese kollektive Projektion infantiler Bedürfnisse und Wünsche zwar Versöhnung, Vertröstung und Identifikation zur Folge hat (was den kulturellen Status Quo stützt), aber in hohem Maße zu einer emotionalen und kognitiven Einschränkung führt (was die Kultur auf Dauer gefährdet). Insofern ist die Bilanz erneut negativ.

Der Kreis schließt sich. Wenn es ein Antidot gibt, dann sieht Freud es in einer Ersetzung von Religion durch die »wissenschaftliche Weltanschauung« (ebd., S. 171) – eine nüchterne Anerkennung der Welt, wie sie ist, inklusive aller ihrer unzivilisierten Seiten. Hier setzt Freud das anstrengende Programm der Aufklärung fort – noch gesichert durch eine strenge Moral, aber schon auf dem Weg in eine unsichere und ungesicherte Moderne. Er wurzelt tief und fest in seiner Zeit und wird gerade dadurch zu einem Denker, der wie kaum ein anderer für ihre grundlegende Veränderung steht.

Die gesellschaftliche Entwicklung erlaubte ihm nicht, diese Position durchzuhalten. Mit dem Vordringen des Faschismus trat die pessimistische Sichtweise stärker in den Vordergrund. Schon in Das Unbehagen in der Kultur (1930a) hatte Freud betont, dass die Kultur ständig gefährdet sei, weil der Kultivierbarkeit der Menschheit Grenzen gesetzt sind. Leicht seien die Menschen dazu zu bringen, sich – selbstdestruktiv – gegen die vermeintlichen Zumutungen der Kultur aufzulehnen. Gegen solche Attacken muss sich jede Kultur mit Disziplinierungen, zur Not mit Gewalt, wehren.

In dieser Lage konnte Freud Albert Einstein, der gehofft hatte, von ihm etwas Aufmunterndes zu hören, nur enttäuschen. In seinem Brief mit dem Titel Warum Krieg? (Freud, 1933b 1932) bleibt ihm nur, die deprimierende Diagnose mitzuteilen, dass Kriege ein kaum kontrollierbares Risiko der conditio humana sind. Gegen Ende seines Lebens sieht sich der Aufklärer Freud sogar genötigt, als letzten Verbündeten im Kampf gegen die Kulturfeindlichkeit die Kirche zu benennen (so im Vorwort zu Der Mann Moses und die monotheistische Religion, Freud, 1939a, 1934–1938, S. 157)!

2.3       »Wissenschaftliche Weltanschauung« vs. Marxismus

Freuds Gesellschaftsdiagnosen entwickeln sich von einem vorsichtigen Optimismus zu einer eher pessimistischen Sicht, wobei sie auf ihrem Weg eine Reihe von neuen Themen erschließen und immer wieder neue Argumente ins Spiel bringen. Strukturell bleibt sein Vorgehen jedoch weitgehend gleich. In der Neuen Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1933a) hat er seine Überzeugung ausführlich erläutert.

Allein der Wissenschaft attestiert Freud eine kulturkompatible Weltanschauung. Zu deren Konkurrenten zählt er auch den Marxismus. Freud konzediert, dass er kein Experte für Karl Marx ist. Dessen Gesellschaftstheorie – so wie er sie versteht – kann er nicht nachvollziehen: »In der Marxschen Theorie haben mich Sätze befremdet wie, dass die Entwicklung der Gesellschaftsformen ein naturgeschichtlicher Prozess sei, oder dass die Wandlungen in der sozialen Schichtung auf dem Weg eines dialektischen Prozesses auseinander hervorgehen.« (Freud, 1933a, S. 191) Dagegen setzt Freud seine

»Laienmeinung, […] die gewohnt ist, die Klassenbildung in der Gesellschaft auf die Kämpfe zurückzuführen, die sich seit dem Beginn der Geschichte zwischen den um eine geringes verschiedenen Menschenhorden abspielten. Die sozialen Unterschiede […] waren ursprünglich Stammes- oder Rassenunterschiede. Psychologische Faktoren, wie das Ausmaß der konstitutionellen Aggressionslust, aber auch die Festigkeit der Organisation innerhalb der Horde, und materielle, wie der Besitz der besseren Waffen, entschieden den Sieg. Im Zusammenleben auf demselben Boden wurden die Sieger die Herren, die Besiegten die Sklaven.« (ebd., S. 192)

Freud führt gegen das Bild, welches er von Marxens Theorie hat, zunächst geradezu soziologische und »materialistische« Argumente ins Feld, um dann den ökonomischen Monismus zu kritisieren:

»Man kann nicht annehmen, dass die ökonomischen Motive die einzigen sind, die das Verhalten der Menschen in der Gesellschaft bestimmen. Schon die unbezweifelbare Tatsache, dass verschiedene Personen, Rassen, Völker unter den nämlichen Wirtschaftsbedingungen sich verschieden benehmen, schließt die Alleinherrschaft der ökonomischen Momente aus.« (ebd., S. 193)

Vor allem aber kritisiert Freud das Fehlen eines psychologischen Verständnisses von Geschichte:

»Man versteht überhaupt nicht, wie man psychologische Faktoren übergehen kann, wo es sich um die Reaktionen lebender Menschenwesen handelt, denn nicht nur, dass solche bereits an der Herstellung jener ökonomischen Verhältnisse beteiligt waren, auch unter deren Herrschaft können Menschen nicht anders als ihre ursprünglichen Triebregungen ins Spiel bringen, ihre Aggressionslust, ihr Liebesbedürfnis, ihren Drang nach Lusterwerb und Unlustvermeidung.« (ebd., S. 193 f.)

Freud ergänzt dieses Argument mit dem Hinweis auf die Autonomie der Kulturentwicklung:

»Endlich wollen wir nicht vergessen, dass über die Menschenmasse, die den ökonomischen Notwendigkeiten unterworfen ist, auch der Prozess der Kulturentwicklung […] abläuft, der gewiss von allen anderen Faktoren beeinflusst wird, aber sicherlich in seinem Ursprung von ihnen unabhängig ist, einem organischen Vorgang vergleichbar, und sehr wohl imstande, seinerseits auf die anderen Momente einzuwirken. Er verschiebt die Triebziele und macht, dass die Menschen sich gegen das sträuben, was ihnen bisher erträglich war; auch scheint die fortschreitende Erstarkung des wissenschaftlichen Geistes ein wesentliches Stück von ihm zu sein.« (ebd., S. 194)

Aus dieser Konfiguration ergibt sich für Freud die Aufgabe einer »wirklichen Gesellschaftslehre«:

»Wenn jemand imstande wäre, im Einzelnen nachzuweisen, wie sich diese verschiedenen Momente, die allgemeine menschliche Triebanlage, ihre rassenhaften Variationen und ihre kulturellen Umbildungen unter den Bedingungen der sozialen Einordnung, der Berufstätigkeit und Erwerbsmöglichkeiten gebärden, einander hemmen und fördern, wenn jemand das leisten könnte, dann würde er die Ergänzung des Marxismus zu einer wirklichen Gesellschaftskunde gegeben haben.« (ebd.)

Der Kern einer solchen Gesellschaftskunde muss daher für Freud eine Psychologie sein: »Auch die Soziologie, die vom Verhalten der Menschen in der Gesellschaft handelt, kann nichts anderes sein als angewandte Psychologie. Streng genommen gibt es ja nur zwei Wissenschaften, Psychologie, reine und angewandte, und Naturkunde.« (ebd.)