Danksagung

 

Zum Schluss möchte ich die Gelegenheit nutzen und ein schon lange überfälliges, herzliches

D A N K E

an folgende, mir nahestehende Menschen aussprechen:

Zuallererst danke ich meiner Mutter, die mich damals, als junges Mädchen, so tatkräftig unterstützt hat, dass ich in den Beruf als Model einsteigen durfte. Leider konnte sie dieses Buch nicht mehr erleben. Und auch meinem Vater möchte ich danken, dass er uns in der schlimmen Nachkriegszeit in dieses wunderbare Stuttgart, meine Lieblingsstadt, geführt hat.

Dankbar bin ich auch meinen Freunden Klaus und Petra Hüber sowie Jerry und Moni Hillig für die jahrzehntelange Freundschaft mit allen Hochs und Tiefs.

Ein besonderer Dank geht an meine Freundin Ingrid Wein, die immer zur Stelle war, wenn Not war und mich einige Male wieder auf die Beine brachte.

Ein ebenso großer Dank geht an meine Freundin Brigitte Heilemann für ihre Unterstützung und ihre enorme Befürwortung dieses Buchvorhabens.

Nicht zu vergessen ist Gudrun Licker, die mit einer kurzen Unterbrechung fast zwanzig Jahre in meiner Agentur gearbeitet hat. Ihr danke ich ganz besonders für ihre Loyalität, Tatkraft und Freundschaft.

Für die lange Freundschaft mit meiner ehemaligen Kollegin und Model Lissy bin ich besonders dankbar und wünsche mir, dass es noch lange so bleibt.

Meinem letzten Booker in meiner Agentur, Christian König, gilt mein besonderer Dank für seine menschliche Wärme, seine Tüchtigkeit und sein besonderes Engagement in der Agentur.

Des Weiteren hier ein herzliches Danke an meine Schwägerin Erika und meine Nichte Gabi, die mir während der Pflege meiner schwerkranken Mutter sehr geholfen haben.

Karin Böttger, meiner Freundin aus den Kindertagen in Gleiwitz, bin ich zu großem Dank für eine so lange Freundschaft  verpflichtet.

Aber mein ganz besonderer Dank gilt Frau Monika Hofko vom Scripta Literatur-Studio in München, meiner Literaturagentin, die von Anfang an von meinem Buchvorhaben überzeugt war und meinen Text ins rechte Licht gerückt hat. Ohne ihr Bemühen wäre dieses Buch nie entstanden.


Rita Jaeger


Fräuleinwunder

Topmodel

Agenturchefin -

ein Leben auf Hochglanz



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»Rita Jaeger war unser erstes deutsches Topmodel. Sie hat den Blick der amerikanischen Modeindustrie auf die Schönheit der deutschen Frauen gelenkt. Sie hat uns außerdem gezeigt, dass es darauf ankommt, pünktlich zu sein, die passenden Accessoires zutragen und den richtigen Stil zu entwickeln. Das alles hat zu ihrem Erfolg beigetragen.«

Eileen Ford – Gründerin von FORD Models Inc.

IMPRESSUM

 

1. Auflage 2012

© 2012 by hansanord Verlag

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages nicht zulässig und strafbar. Das gilt vor allem für Vervielfältigung, Übersetzungen, Mikrofilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN: 978-3-940873-71-2

Dieses Buch wurde vermittelt vom Scripta Literaturstudio.

Covergestaltung und Gesamtbearbeitung: Judith Wittmann

Bearbeitung und Lektorat: Monika Hofko

Für Fragen und Anregungen: info@hansanord.de

Fordern Sie unser Verlagsprogramm an: vp@hansanord.de

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Inhaltsverzeichnis

 

Was wäre, wenn …?

Am Anfang war ein Bild

Der Barbier von Stuttgart

Endlich frei!

In vollen Zügen!

Ganz in Schwarz

Über den großen Teich

Zurück in der Alten Welt

In der Welt zu Hause

Sweet Sixties

… Model sein dagegen sehr!

Wie gewonnen, so zerronnen?

Woher – Wohin?

Am Boden zerstört

Zu neuen Ufern

Als Agentin in der weiten Welt

Süchtig – wonach?

Adieu, Mutti!

Einszweidrei, im Sauseschritt …

Danksagung

Bildteil

 

Was wäre, wenn …?

 

1951 war ich gerade sechzehn Jahre alt geworden und lebte mit meinen Eltern und meinem Bruder Günter in Stuttgart, wohin es uns am Ende des Zweiten Weltkriegs aus Oberschlesien verschlagen hatte. Stuttgart war damals von Bomben völlig zerstört, aber trotzdem hatte die Stadt einen gewissen Charme, sie war umgeben von Weinbergen und Hügeln und sehr viel Grün. Wir waren Flüchtlinge, bettelarm, und hatten unsere ganze Habe, unseren ganzen Besitz in Oberschlesien lassen müssen. Mit einem kleinen Koffer und einem Rucksack waren wir ein Jahr zuvor hierher gekommen und bekamen nach Jahren in anderen Städten, in Leipzig, Braunschweig und Wolfenbüttel, unsere erste eigene Drei-Zimmer-Wohnung.

Wie immer, nach Büroschluss, fuhr ich von der Fassfabrik, wo ich in der Lehre zur Sekretärin war, mit der Straßenbahn nach Hause. Als ich so versonnen aus dem Fenster schaute, tauchte ein schickes Cabriolet auf, das ganz langsam neben der Straßenbahn herfuhr. Welcher Autotyp es war, weiß ich heute nicht mehr. In dem Wagen saß eine äußerst elegante und hübsche Dame mit weißen Lederhandschuhen. Lässig steuerte sie das Auto und blickte gelangweilt nach vorne. Ich war wie gebannt von dem Bild. Fasziniert starrte ich dem Auto nach und dachte: So möchte ich auch einmal durch die Lande fahren, so elegant gekleidet, mit weißen Handschuhen, in einem so tollen Auto. Ich will arbeiten, arbeiten, arbeiten, damit ich das schaffe.

Dass mein inniger Wunsch, einmal so elegant und edel gekleidet zu sein und mit einem solchen Wagen zu fahren, sich tatsächlich erfüllen würde – das hätte ich nie gedacht. Wenn mir damals jemand gesagt hätte, wie mein Leben verlaufen würde, in Fotostudios, in den größten Modehäusern, wie Dior, Balmain, Jacques Fath, Nina Ricci, auf Laufstegen und in der ganzen Welt, ich hätte ihn für verrückt erklärt. Das war damals so weit weg von einem vorstellbaren Lebensweg wie der Mond.

Was wäre wohl aus mir geworden, wenn ich in Gleiwitz in Oberschlesien geblieben wäre?

Gleiwitz, an der idyllischen Klodnitz gelegen und nur fünf Kilometer von der polnischen Grenze entfernt, war eine reine Industriestadt mit etwa hundertzwanzigtausend Einwohnern, zwei Kohlegruben und mehreren Bergwerken und lag fernab der großen Zentren. Wegen seines Reichtums an Kohle und Erz und der ertragreichen Landwirtschaft war es immer schon Zankapfel zwischen Polen und Deutschland gewesen. Ja, was wäre aus mir geworden, wenn ich dort geblieben wäre, in Gleiwitz, das nach dem Krieg polnisch geworden ist, wo dann Armut herrschte und Enge? Wo den Deutschen unter Strafe verboten war, Deutsch zu sprechen. Vielleicht wäre ich Lehrerin geworden wie meine Tante Lotti, eine Schwester meiner Mutter. Das war eine Zeitlang mein Wunschberuf gewesen. Oder ich wäre Sekretärin geworden, hätte geheiratet und Kinder bekommen. Wer weiß.

Am Anfang war ein Bild

 

1951 lag Stuttgart immer noch in Schutt und Asche. Die ganze Innenstadt war zerbombt, so weit man sehen konnte. Die Hauptstraße, die Königstraße in der Stadtmitte, die vom Bahnhof ausgeht, war ein einziges Trümmerfeld, in dem sich die Menschen seltsam fremd bewegten wie große Käfer. Aber die Läden hatten sich wieder gefüllt nach der Währungsreform 1948, wo jeder Bürger mit 40 Mark angefangen hatte.

Ich war gerade auf dem Weg in das Kino in der Nähe des Bahnhofs, in dem meine Mutter als Platzanweiserin arbeitete. Sie schmuggelte mich immer kostenlos in die Vorstellungen hinein, wenn es noch Plätze gab. So kam ich in den großen Genuss, viele tolle Filme sehen zu können, ohne dafür zu bezahlen.

Und mitten in dieser Wüste aus Stein und Staub, durch die ich gerade ging, sah ich ein überdimensionales farbiges Plakat, von dem mich ein traumhaft schönes Gesicht anlächelte.

Eine Frau mit langen mahagonifarbenen Locken, einem herzförmigen Gesicht mit einem Alabasterteint, langen, dichten Wimpern, fein konturiertem Brauenschwung und einem versonnenen Blick. Es war Rita Hayworth, die amerikanische Schauspielerin, Hollywood-Star der 1940er und 1950er Jahre, eine Traumfrau. „Gilda“, „Die Lady von Shanghai“ … ich liebte ihre Filme, wie überhaupt alle Filme aus Hollywood mit Greta Garbo, Marlene Dietrich, und die deutschen Heimatfilme mit Sonja Ziemann, Hans Söhnker, Adrian Hoven.

Ich war begeistert von den schönen Schauspielerinnen und den gut aussehenden Schauspielern, und auch die Geschichten liebte ich. Heute würden wir sagen, „Schnulzen“, aber damals, nach den Kriegsjahren voller Elend, Hunger und Lebensgefahr, waren der Glanz und die Happy Ends eine Wohltat. Und so wollte ich auch Schauspielerin werden oder Sängerin oder Tänzerin, nicht mehr Lehrerin wie meine Tante Lotti, oder gar Sekretärin. Aber für eine solche Ausbildung hatten wir kein Geld, und so würde es halt beim Träumen bleiben, dachte ich.

Aber nun sah ich mir das Plakat genauer an. Was stand da eigentlich? Es war eine Ausschreibung für eine Misswahl. Gesucht wurde das deutsche Pendant von Rita Hayworth. War nicht erst kürzlich die erste Miss Germany nach dem Krieg gewählt worden? Wie hieß sie noch mal? Ja, Susanne Erichsen, so war ihr Name. Und nun sollte bei uns in Stuttgart eine zweite Rita Hayworth gewählt werden? Ich fand das ganz toll. Endlich tat sich etwas in den tristen Nachkriegsjahren, endlich kam ein bisschen Schwung in das Leben. Anmeldung war im Hindenburgbau am Bahnhof. Ich starrte sehr lange auf dieses Plakat, hatte die Welt um mich herum vergessen. Versonnen malte ich mir aus, was wäre, wenn ich von so einem Plakat herunterschauen würde. Wenn ich so berühmt wäre, dass man Plakate mit meinem Gesicht so groß überall aufhängen würde. Rita, du bist eine Spinnerin, dachte ich dann. Du bist weder hübsch, noch bist du gut gebaut, was soll der Quatsch! Aber der Gedanke ließ mich nicht mehr los, und nach dem Kino stand ich wieder vor dem Plakat. Ich dachte, bewerben kann ich mich ja mal. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

Zu Hause erzählte ich meiner Mutter von dem Plakat und von dem Wettbewerb. „Mutti, bitte, ich will mich unbedingt bewerben. Gehst du mit mir da hin?“ Ich war erst sechzehn und brauchte die Einwilligung der Eltern.

„Du willst also unbedingt an diesem Wettbewerb teilnehmen?“, fragte sie mich, und ohne zu überlegen antwortete ich: „Ja. Ich heiße doch auch Rita.“

Meine Mutter zögerte eine Zeit lang, ich bohrte weiter, und schließlich willigte sie ein. „Also gut, ich geh mit. Aber wir sagen deinem Vater nichts davon.

Ich ging also mit meiner Mutter zum Hindenburgbau am Hauptbahnhof, einem riesigen Gebäude, in dem immer große Veranstaltungen stattfanden. Man hatte es notdürftig wieder aufgebaut und hergerichtet, sodass auch gleich nach dem Krieg dort wieder große Ereignisse gefeiert werden konnten.

Im Anmelderaum saßen wir einem Mann gegenüber, der meine Personalien aufnahm: Rita Grunow, geboren am 3. Januar 1935 in Gleiwitz; Größe: eins zweiundsiebzig; Gewicht: achtundvierzig Kilo.

„Gut, Sie können teilnehmen“, sagte er schließlich zu mir, nachdem er das Formular ausgefüllt hatte. „Sie brauchen ein langes Abendkleid, und Sie müssen sich selbst schminken. Viel Glück!“

Ein Abendkleid? Ich hatte nicht viel anzuziehen. Kleider oder schöne Stoffe waren im Krieg und auch noch nach dem Krieg knapp. Meine Tante Angela, die Schneiderin war, hatte oft aus alten Stoffen und alten Kleidungsstücken etwas Neues zum Anziehen gezaubert. Sogar aus einer Militärdecke hatte sie mir einmal einen schönen Mantel genäht. Aber ein Abendkleid? Ich hatte nichts dergleichen. Ich überlegte. Doch, ja, Renate, meine Freundin aus der Berufsschule, die hatte ein sehr schönes hellblaues, langes Taftkleid. Bestimmt würde sie es mir leihen. Und beim Schminken würde mir meine Mutter helfen.

Ich fieberte dem Tag entgegen, und ich wurde immer nervöser. War es nicht unsinnig, an einem solchen Wettbewerb teilzunehmen? Die anderen waren bestimmt viel schöner und erfahrener als ich dünnes Klappergestell. Ich hatte ja auch keine rechte Ahnung vom Schminken und davon, mich zu präsentieren. Wie würde ich mich fühlen, wenn ich vor der Jury stand und alle würden mich anstarren und begutachten? Woher nahm ich den Mut? Zweifel kamen auf.

Am Tag des Wettbewerbs ging ich mit meiner Mutter zum Hindenburgbau. Dort wurden wir zum Umkleideraum geschickt. Vor der Tür atmete ich nochmals tief durch, meine Mutter drückte kurz meinen Arm, dann gingen wir hinein. In dem Raum waren ungefähr zwanzig Mädchen, es war ein Geraschel und Geplauder, eine nervöse, flirrende Stimmung. Ich schaute mich um. Nein, es ist sinnlos. Ich muss sofort wieder gehen, dachte ich. Die anderen Mädchen oder Frauen waren viel hübscher als ich, fand ich. Sie waren alle sehr wohlproportioniert, sie sahen aus wie Profis, hatten Busen und Po, wie es damals, Anfang er 1950er Jahre, der herrschenden Vorstellung von einer Frau entsprach, sie waren nicht so gerade und klapperdürr und schüchtern wie ich. Ich kam mir ganz schrecklich vor. Eine ganz andere Welt, die ich nicht kannte. Ich kannte die Berufsschule, und ich kannte die Lehre in der Fassfabrik: Schreibmaschine, Stenografie, Buchhaltung, von morgens halb acht bis abends um fünf. Ich lernte schnell und konnte die Arbeit sehr gut bewältigen. Aber das hier war fremd und einschüchternd – und trotzdem atemberaubend.

Die anderen waren richtig geschminkt mit Make-up, Rouge, Augenbrauenkontur, Wimperntusche und Lippenstift. Die meisten hatten ihre Haare gefärbt, eine in tiefem Rot, einige andere waren blondiert. Alle hatten perfekte Frisuren, Dauerwellen, toupiert, in Schwung gelegt. Ich dagegen hatte nur einen Augenbrauenstift von meiner Mutter, mit dem ich meine Brauen nachzog, und einen Lippenstift, den meine Mutter bei mir auftrug. Mein Vater wollte nie, dass ich mich schminke. Dann zwickte sie mich ein paar Mal in die Wangen, damit die Wangenknochen rosiger aussahen – das war alles. Meine dunkelblonden Haare mit den leichten Naturlocken trug ich einfach offen. Meine Mutter hatte sie mir mit Lockenwicklern in leichte Wellen gelegt. Dann zog ich das lange blaue Kleid von Renate an.

Ich nahm die aufgeregten Bewegungen und die aufgeregten Stimmen um mich her nur gedämpft wahr, wie durch Watte. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich bewegte wie ein Automat, dass ich selbst keine Macht mehr über meine Beine hatte. Irgendwer schob mich aus dem Gewusel hinaus auf die Bühne in einen großen Saal, der mit Lüstern und Leuchtern erhellt war. Meine Mutter blieb in der Umkleide, da sie keine Eintrittskarte hatte.

Ein Moderator machte die Ansagen und leitete die Veranstaltung. Vor der erhöhten Bühne saß an einem langen Tisch die Jury. Lauter Berühmtheiten, die ich aus dem Kino kannte: Lil Dagover, Adrian Hoven, Hans Söhnker, Sonja Ziemann und noch weitere Schauspielergrößen, an die ich mich nicht mehr erinnern kann. Dahinter saßen die Zuschauer, eine Menge Menschen, die wie eine unscharfe dunkle Masse waren.

Wie der Wettbewerb genau abgelaufen ist, was ich gesagt und wie ich mich bewegt habe, weiß ich nicht mehr genau. Vor meinen Augen verschwamm alles, und meine Antworten waren mechanisch, meine Stimme schien von woanders her zu kommen, nicht aus meinem eigenen Körper. Ich weiß nur noch, dass wir wohl jede eine Nummer hatten, dass dann die Jurymitglieder Punkte für jedes Mädchen vergaben, und die Punkte wurden dann ausgezählt.

Dann kam die Preisverleihung, und da traf mich fast der Schlag: Ich hatte den dritten Preis gewonnen. Ich war die Drittschönste! Neben all diesen attraktiven, perfekten Frauen war ich, das arme Flüchtlingskind aus Gleiwitz, die Drittschönste! Was für eine Überraschung! Ich stand da wie gelähmt, ich wusste nicht, war das alles? Was passiert jetzt? Ich bekam ein Geschenk in die Hand gedrückt, dann war die Veranstaltung zu Ende.

Ich verließ die Bühne und ging zurück in den Umkleideraum. Meine Mutter, die sonst so lebhaft und temperamentvoll war, sah mich nur überrascht und staunend an. „Mein Gott, Kind. Wer hätte das gedacht“, sagte sie. Dann zog ich mich wieder um, wir packten unsere Sachen zusammen, das bisschen Schminke, Kamm und Bürste. Als wir gehen wollten, trat ein großer, gut aussehender Herr auf uns zu und wandte sich an mich. „Darf ich mich vorstellen? Ich bin Walter Lautenbacher, ich bin Modefotograf. Ich wollte Sie fragen, ob Sie nicht als Fotomodell arbeiten möchten?“

Ich schaute ihn verblüfft an. Fotomodell? Ich hatte noch nie etwas von diesem Beruf gehört. Er erklärte mir, dass ein Modell für Mode, Kosmetik, Autos oder sonstige Produkte zu posieren hätte. Er bot meiner Mutter an, mich zu den Terminen von zu Hause abzuholen, und versprach ihr, dass sie mitkommen könne. So begann meine große Karriere als Fotomodell. Erst später verstand ich, dass ich, die aussah wie eine Bohnenstange, ohne üppige Formen und weibliche Konturen, am besten geeignet war für die Modebranche. Das war damals nicht anders als heute. Groß und dünn müssen die Frauen sein.

Walter Lautenbacher war der Erste, der mich professionell fotografiert hat. Am Anfang war ich so nervös, so erstarrt, dass ich nicht wusste, wie ich schauen, wie ich meine Mimik einrichten sollte. Ich hatte das Gefühl, zu erstarren, nicht mehr zu wissen, wie man seine Gesichtsmuskeln bewegt. Ich war nassgeschwitzt vor Aufregung und Anspannung. Aber das legte sich bald. Walter Lautenbacher gelang es, mir die Starre und die Nervosität zu nehmen, und brachte mir bei, allmählich selbstverständlicher mit meinen Bewegungen umzugehen. Interessanterweise konnte man es den ersten Fotos nicht ansehen, wie aufgeregt ich war.

Er zeigte mir, wie man sich richtig schminkt, mit Make-up, Puder, Rouge, Lidschatten, Wimperntusche und Brauenstift, wie ich mich frisieren und wie ich vor der Kamera stehen sollte. Durch ihn bekam ich kleinere Aufträge für Bleyle. Bleyle war in den 1950er Jahren einer der bekanntesten Hersteller für Damenbekleidung, vor allem aus Strickstoff, zum Beispiel Twinsets. Berühmt geworden war Bleyle mit dem Matrosenanzug für Kinder.

Ich machte mit Walter Lautenbacher außerdem Aufnahmen für Bauknecht-Küchenschränke und für Küchengeräte und musste dafür als Sechzehn- oder Siebzehnjährige eine Hausfrau und Ehefrau mimen. Einmal machte ich in einer Zeitschrift Werbung für eine Küchenmaschine. Ich trug eine gemusterte Schürze, eine weiße, ärmellose Bluse, ein Obstteller stand auf einer Anrichte vor mir und natürlich die Küchenmaschine, die vollendete Küchenhilfe, mit der man Saft machen und Gemüse raspeln oder pürieren konnte. Die Haare trug ich in eng anliegenden, nach hinten gekämmten dunklen Wellen, die Brauen in stark konturiertem Bogen und die Augen dunkel umrahmt, ein bisschen wie Audrey Hepburn.

Ich sollte dabei die Arme ausbreiten und so strahlen, als wollte ich sagen: „Das ist der Himmel auf Erden!“ Dieser Schriftzug prangte auf dem Werbebild.

Und ich warb in Zeitschriften für das Fenstertuch von Vileda. Ich hatte meine dunkelblonden Haare blondiert und hochtoupiert, wie eine Haube, trug einen weißen Pulli, darüber eine gemusterte Schürze mit Trägern, und hatte das Fenstertuch in der Hand, an der ein Ehering prangte.

Und ich machte Werbung für eine Boilerfirma. Heißes Wasser für alle, hieß es da, und ich trug wieder die Schürze über einem dunklen Rolli und hatte ein Geschirrtuch in der Hand.

Es machte mir Spaß, und ich verdiente auch etwas dabei, 20 bis 30 Mark pro Fototermin. Das war eine Menge Geld, wo der durchschnittliche Monatsverdienst damals etwa 400 bis 500 Mark betrug. Und ich durfte es für mich behalten – zu den 5 Mark von meinem Lehrlingsgehalt von 40 Mark.

Meinem Vater hatte ich den Wettbewerb und meine Fototermine zunächst verheimlicht. Und solange ich die Termine am Abend und am Wochenende wahrnehmen konnte, fiel es auch nicht auf. Walter Lautenbacher wartete entweder vor dem Haus im Auto auf mich, oder mein Vater war ohnehin nicht zu Hause und bekam es nicht mit. Doch ich hatte ein schlechtes Gewissen, meinen Vater anzulügen oder Heimlichkeiten vor ihm zu haben.

Aber ich war mittlerweile besessen davon, weiter zu modeln, und musste meinem Vater immer größere Lügen auftischen. „Ich treffe mich mit meiner Freundin“, erzählte ich ihm, oder dass ich zur Gymnastik oder zum Schwimmen ginge. Nur meine Mutter wusste Bescheid, sie steckte mit mir unter einer Decke.

Mit der Zeit meldeten sich andere Fotografen, die auch mit mir arbeiten wollten. Das ging damals über Mund-zu-Mund-Propaganda. Agenturen für Models gab es damals in Deutschland noch nicht. Nun wurde es für mich immer schwieriger, die Termine neben meiner Lehrstelle zu planen; ich musste mir dann freinehmen. Und es wurde auch immer schwieriger, die Arbeit vor meinem Vater geheimzuhalten. Ich sprach mit meiner Mutter darüber, dass wir es ihm sagen sollten. Dabei musste ich auch zugeben, dass ich ihn angelogen hatte. Ich brauchte einen längeren Anlauf, dann sagten meine Mutter und ich es ihm schließlich.

„Du, Vati“, begann ich zögernd. „Ich … ich habe an einem Schönheitswettbewerb teilgenommen. Und da habe ich den dritten Preis gewonnen. Und da ist ein Fotograf, der mit mir Fotos macht für Werbung …“ Es sei alles ganz seriös, ich würde ja abgeholt und zurückgebracht, und meine Mutter durfte dabei sein. Und ich zeigte ihm ein paar Aufnahmen von mir.

Doch mein Vater ließ ein Donnerwetter los. „Das kommt überhaupt nicht in Frage. Das sind doch nur Flausen! Du machst deine Lehre fertig und lernst einen anständigen Beruf!“ Er wollte mir diese Nebenjobs verbieten, aus Sorge, dass ich meine Lehre nicht erfolgreich zu Ende bringen würde. Wahrscheinlich die typische Sorge von Eltern, wenn ihre Kinder einen vermeintlich „unsicheren“ Beruf ergreifen wollen.

Doch ich versprach ihm, meine Lehre abzuschließen und die Fototermine nur nebenbei wahrzunehmen, und so willigte mein Vater, wenn auch sehr widerstrebend, schließlich ein.

Inzwischen war ich siebzehn, und ich wollte mich neben der Lehre etwas  amüsieren, wollte ausgehen, wollte am Wochenende tanzen gehen, in Lokale, wo getanzt wurde und wo eine Band spielte oder Platten aufgelegt wurden. Doch mein Vater war auch hier sehr streng. „Du bist um zehn, spätestens um elf zu Hause“, schärfte er mir ein. Er konnte nicht schlafen, wenn ich nicht pünktlich zu Hause war. Er schlich sich dann an meine Zimmertür, öffnete sie ein wenig und schaute, ohne Licht zu machen, ob ich im Bett war. So erfand ich einen Trick: Ich hatte in meinem Zimmer ein Wandklappbett, und wenn ich ausging, klappte ich das Bett auf und legte eine große Stoffpuppe auf das Kopfkissen. Mein Vater öffnete die Tür, sah in der Dunkelheit einen Schatten auf dem Kissen, dachte, ich schlafe, und ging beruhigt wieder in sein Schlafzimmer. Und ich schlich später auf bloßen Füßen in mein Zimmer. Das klappte eine Zeit lang sehr gut. Doch einmal kam ich erst morgens um vier nach Haus, und mein Vater stand im Türrahmen. „Wir sprechen uns noch“, zischte er nur.

Er war sehr streng. Damals dachte ich, er ist zu streng, aber heute denke ich, dass er nur das Beste für seine Tochter wollte.

Dann nahm ich heimlich an einem Mannequin-Kurs teil, um die richtigen Bewegungen und die richtige Körperhaltung auf dem Laufsteg und beim Präsentieren der Mode zu lernen. In Stuttgart gab es eine Schule für Mannequins, die von Steffi Grigull, einer rassigen Rumänin mit dunklen, in Wellen gelegten Haaren, geleitet wurde. Dieser Kurs dauerte vier Wochen und fand zweimal in der Woche am Abend statt. Diese Schule war die Nummer eins in Stuttgart. Dort konnte man sich anmelden und musste den Kurs natürlich bezahlen. Das Geld hatte ich mir inzwischen zusammengespart.

Wir übten, aufrecht und völlig gerade zu gehen, den Kopf erhoben, die Schultern zurück, den Blick geradeaus. Dazu mussten wir einen Bücherstapel auf dem Kopf balancieren, einen Stapel von etlichen Kilo Gewicht. Ein paar Schritte gehen, dann eine Drehung, wieder ein paar Schritte gehen, Drehung, damit ein Kleid von allen Seiten angeschaut werden konnte. Wir lernten außerdem, uns richtig zu schminken, und wir lernten Benimmregeln: richtig mit Messer und Gabel zu essen, wie man sich in der Öffentlichkeit verhält, beim Begrüßen und Vorstellen.

Nachdem ich diese Mannequin-Schule absolviert hatte, bekam ich noch mehr Termine, und Gott sei Dank ging meine Lehre in der Fassfabrik bald dem Ende zu. Es war sehr anstrengend, die Fototermine neben der Arbeit in der Firma wahrzunehmen, zumal ich die Lehre nicht mehr mit meinem wirklichen Berufsziel verband.

1953, da war ich achtzehn, war meine Lehre zu Ende. Und die Debatte, was ich nun beruflich machen sollte, flammte wieder auf. Mein Vater war weiterhin der Meinung, dass Fotomodell kein richtiger Beruf ist und dass einem das niemals einen Lebensunterhalt sichern könnte. „Ich will, dass du dir eine seriöse Festanstellung suchst. Da bekommst du dein regelmäßiges Gehalt, da hast du deine geregelte Arbeitszeit und deinen Urlaub. Als Fotomodell weiß man nie, was wird. Und was ist, wenn du älter wirst? Was willst du dann machen? Das geht doch nur ein paar Jahre, und dann ist Schluss.“

Wir diskutierten stundenlang, und es gab viele Tränen, weil ich die Reaktion meines Vaters nicht verstand, als junges Mädchen noch viel weniger. Schließlich siegte die Vernunft. Mein Vater setzte sich durch. Allerdings wollte ich nicht in der Fassfabrik weiterarbeiten; wenn schon Büro, dann wollte ich etwas anderes machen. Und so bewarb ich mich beim Verlag Reader’s Digest als Sekretärin. Modell stehen durfte ich, wenn es meine Arbeit nicht behinderte. Doch die Modelaufträge gingen nebenher weiter, bei Modenschauen, bei Frisurenaufnahmen.

Der Barbier von Stuttgart

 

So waren wir einmal, ich war inzwischen neunzehn Jahre alt, bei einer Veranstaltung, wo mehrere Friseure angesagt waren, die ihre Frisierkunst an unseren Köpfen zeigen wollten. Einer der Friseure, ein sehr junger Mann, war der Sohn eines großen Stuttgarter Friseursalons, des Salons Jäger, der damals sechzehn Angestellte beschäftigte. Er hatte gerade seine Lehrzeit bei dem berühmten Coiffeur Antoine in Paris beendet und war nach Stuttgart zurückgekommen. Antoine war Mitte der 1950er Jahre der Starfriseur in Europa. Wer dort gelernt hatte, dessen berufliche Laufbahn war danach gesichert – ungefähr so, wie wenn man heute bei Udo Walz in die Lehre gehen würde. Rolf Jäger war groß, etwas größer als ich, dunkelhaarig, mit leichten Geheimratsecken. Er stylte zwar nicht meine Haare, aber wir kamen ins Gespräch und verstanden uns gleich sehr gut. Er erzählte mir von Paris, ich erzählte ihm von mir, was ich machte und wie ich Fotomodell geworden war. Er lud mich zum Abendessen ein, und daraufhin trafen wir uns häufiger. Ich fand ihn sehr witzig und unterhaltsam, und wir hatten eine Menge Spaß miteinander. Er wurde der erste Freund in meinem Leben. Als ich sicher war, dass er vorerst mein Freund bleiben würde, stellte ich ihn meinen Eltern vor. Mein Vater war begeistert von diesem aufgeschlossenen jungen Mann, meine Mutter dagegen reagierte zögerlich. Dabei hätte ich eher die umgekehrte Reaktion erwartet. Doch schließlich nahm Rolf mit seinem Charme auch sie für sich ein.

Nachdem wir uns ungefähr acht, neun Monate kannten, lud Rolf mich eines Abends in ein Lokal zum Essen ein. Nach dem Essen bestellte er plötzlich eine Flasche Sekt und wurde recht feierlich. „Willst du mich heiraten?“, fragte er. Ja, das wollte ich. Ich war so glücklich in diesen Tagen, ich dachte, die Welt kann gar nicht schöner sein.

Etwa zwei Wochen nachdem Rolf mir den Heiratsantrag gemacht hatte, kam er zu meinen Eltern nach Hause, wo ich immer noch wohnte, und hielt ganz offiziell bei meinem Vater um meine Hand an. Das war damals so üblich. Der Vater gab die Einwilligung zur Heirat der Tochter. Man wurde erst mit einundzwanzig volljährig. Und auch erst wenn man verheiratet war, konnte man zu Hause ausziehen und mit dem Ehemann eine eigene Wohnung beziehen.