817802_Rivers_Die_Liebe_ist_stark_S003.pdf

KAPITEL 6

Dein zu sein und dich zu lieben,
in guten wie in bösen Tagen,
in Armut und Reichtum, gesund oder krank,
bis dass der Tod uns scheidet.

(Trauliturgie der Anglikanischen Kirche)

Es gelang Michael einfach nicht, Angel zu vergessen. Sosehr er auch versuchte, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, immer wieder wanderten seine Gedanken zu ihr. Warum nur? Woher kam dieses bohrende Gefühl, dass ihr irgendetwas passiert war? Jeden Tag arbeitete er bis nach Sonnenuntergang, und wenn er dann vor seinem Kamin saß, sah er in den Flammen ihr Gesicht, das ihn bittend ansah. Wohin wollte sie ihn locken? Zu sich in ihre Hölle. Oder war das hier schon die Hölle?

Er sah sie wieder vor sich, wie sie auf der Straße an ihm vorbeigegangen war an jenem ersten Tag, ein Bild tragischer Einsamkeit. Aber jetzt wusste er, dass sie ein Herz aus Stein hatte. Nein, nie wieder würde er zu ihr gehen!

Aber wenn er dann endlich einschlief, war sie wieder da, in seinen Träumen, und wenn er die Arme nach ihr ausstreckte, wich sie aufreizend zurück. Du willst mich, Michael, nicht wahr? Dann komm zurück. Komm zurück.

Nach ein paar Tagen wurden aus den Träumen Albträume. Sie war auf der Flucht vor irgendetwas. Er rannte hinter ihr her, rief ihr zu, sie solle anhalten, aber sie lief weiter, bis sie zu einem Abgrund kam. Jetzt endlich drehte sie sich zu ihm um. Der Wind peitschte ihr goldenes Haar um ihr weißes Gesicht.

Mara, warte!

Sie wandte sich ab, breitete ihre Arme weit aus und sprang.

„Nein!“ Er schrak hoch, schweißüberströmt und keuchend, sein Herz hämmerte. Er fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. „Jesus“, flüsterte er in die Dunkelheit hinein. „Jesus, erlöse mich von diesen Träumen.“ Warum ließ sie ihn nicht in Ruhe?

Er ging zur Tür, öffnete sie und ließ sich gegen den Türrahmen sinken. Draußen regnete es wieder. „Ich wäre doch verrückt, wenn ich wieder zu ihr ginge“, sagte er laut. „Verrückt.“ Er schaute wieder zum dunklen, weinenden Himmel hoch. „Aber genau das willst du, Herr, nicht wahr? Und du wirst mir keine Ruhe lassen, bis ich es tue.“

Er rieb sich aufseufzend den Nacken. „Ich weiß zwar nicht, wozu das gut sein soll, aber nun denn, ich fahre wieder hin.“ Er ging zurück ins Bett und schlief zum ersten Mal seit mehreren Tagen wieder tief und traumlos.

Am Morgen war der Himmel klar. Michael belud seinen Wagen und spannte die Pferde an. Als er spät am Nachmittag nach Pair-a-Dice kam, schaute er zu Angels Fenster hoch. Der Vorhang war zugezogen. Er spürte einen harten Knoten in seinem Magen. Natürlich, sie arbeitete.

Herr, du hast gesagt, ich soll deinen Willen tun, und ich versuche es, ehrlich. Aber warum muss das so wehtun? Ich brauche eine Frau, und ich habe auf die gewartet, die du mir geben wirst. Warum bin ich jetzt wieder in diesem elenden Loch und schaue zu ihrem Fenster hoch und höre mein Herz bis zum Hals klopfen? Sie will doch gar nichts mit mir zu tun haben!

Er zog die Schultern hoch und fuhr weiter, um seine Geschäfte zu tätigen. Ohne Gold würde er nicht zu ihr kommen. Vor Hochschilds Laden hielt er an, sprang vom Wagen und ging die Stufen zur Tür hoch. Im Fenster klebte ein Zettel: Geschlossen. Er klopfte trotzdem. Von drinnen kam Hochschilds Stimme mit einem Schwall von Flüchen, die einen Matrosen erblassen lassen hätten. Als er die Tür aufriss, verflog seine Wut.

„Michael! Wo warst du denn? Hab seit Wochen Ebbe im Laden, und du lässt dich nicht blicken!“ Er war unrasiert und halb betrunken, sein Hemd hing ihm aus der Hose. „Hast du ’ne anständige Ladung dabei? Dem Himmel sei Dank! Ist mir egal, ob’s verschimmelt oder voller Käfer ist, ich nehm’ alles.“

„Mit dir mache ich gerne Geschäfte“, grinste Michael. Er begann, die Kisten aufeinanderzustapeln und in den Laden zu tragen. „Du siehst schlecht aus. Bist du krank gewesen?“

Joseph lachte. „Zu viel Alkohol. Hast du’s eilig, oder hast du Zeit für ein Schwätzchen?“

„Heute nicht.“

„Willst wieder mein ganzes Geld im Palast durchbringen, wie? Ja, wir armen Männer, ohne Frauen können wir nicht sein.“ Hochschild sah Michaels Blick, stieß einen leisen Pfiff aus und wechselte das Thema. „Drei Meilen flussaufwärts sind sie wieder auf Gold gestoßen.“ Er erzählte die Einzelheiten. „Da kann ich glatt meine Preise erhöhen.“

Michael stellte die letzte Kiste auf die Theke. Angels Preis war sicher auch gestiegen. Hochschild zahlte und kratzte sich über seine grauen Bartstoppeln. Gewöhnlich konnte man mit Michael gut reden, aber heute sah er verbissen aus. „Hast du schon dein Vieh?“

„Noch nicht.“ Er hatte alles Gold, das er das letzte Mal verdient hatte, in Angel investiert. Vorsichtig schüttete er Hochschilds Goldstaub in seinen Gürtel.

„Es heißt übrigens, dass Angel zurzeit nicht zu haben ist“, sagte Joseph.

Ihr Name fuhr Michael wie ein Schwert durch die Brust. „So? Will sie sich ein bisschen rar machen?“

Hochschilds Augenbrauen gingen hoch und er schüttelte den Kopf. „Na, lassen wir das.“

Er folgte Michael nach draußen, wo er auf den Kutschbock sprang, grüßend an seinen Hut tippte und die Hauptstraße hinauffuhr. Ohne Goldstaub und gute Worte würde er Angel heute nicht sehen können. Er ließ die Pferde und den Wagen bei McPherson und ging zu Fuß zurück in die Stadt, um sich in einem Hotel gegenüber dem Palast einzumieten. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er den dringenden Wunsch, sich hemmungslos zu betrinken. Er machte stattdessen einen langen Spaziergang, um sich abzukühlen und sich zurechtzulegen, was er Angel sagen wollte.

Es dämmerte schon, als er zurückkam, innerlich kein bisschen ruhiger. Vor dem Gold Nugget Saloon hatte sich eine kleine Menschenmenge versammelt, um dem neuen Prediger zuzuhören, der Gottes Gericht mit Feuer und Schwefel kommen sah. Michael blieb am Rand der Menschentraube stehen und hörte eine Weile zu. Einmal warf er einen kurzen Blick auf Angels Fenster und sah aus dem Augenwinkel, wie eine Gestalt hinter dem Vorhang verschwand.

Eigentlich sollte er sofort hinübergehen und mit der Gräfin verhandeln. Sein Herz begann zu rasen, der Schweiß brach ihm aus. Nein, er würde noch etwas warten.

Jemand tippte ihm auf den Rücken. Er drehte sich um und sah eine verbraucht aussehende Frau, die ihn aus blutunterlaufenen Augen ansah. Ihr Haar war dunkel und lockig, und sie trug ein tief ausgeschnittenes grellgrünes Kleid.

„Ich bin Lucky“, sagte sie. „Angels Freundin.“ Sie war betrunken, ihre Worte klangen verschwommen. „Hab’ Sie von drüben aus gesehen.“ Sie nickte zum Palast hin. „Sie sind doch der, der Angel mitnehmen wollte, nicht?“

Die Wut schoss wie ein Buschfeuer in ihm hoch. „Was hat sie Ihnen noch alles erzählt?“

„Seien Sie nicht böse, Mister, kommen Sie einfach und fragen Sie sie noch mal.“

„Hat sie Sie geschickt?“ Stand sie vielleicht jetzt da oben hinter der Gardine und lachte ihn aus?

„Nein.“ Die Frau schüttelte energisch den Kopf. „Angel bittet niemanden um irgendwas.“ Tränen quollen ihr aus den Augen, sie wischte sich die Nase an ihrem Schultertuch ab. „Sie weiß überhaupt nicht, dass ich mit Ihnen rede.“ Lucky schaute zu ihm hoch. „Holen Sie sie da raus, Mister. Selbst wenn es Ihnen inzwischen egal ist, und auch ihr selbst, holen Sie sie raus, bitte!“

Sie drehte sich um und er packte ihren Arm, plötzlich besorgt. „Was ist mit ihr, Lucky? Was wollen Sie mir sagen?“

Sie wischte sich wieder über die Nase. „Ich muss zurück, bevor die Gräfin mich vermisst.“ Sie ging zurück über die Straße und um den Palast herum, um durch die Hintertür hineinzuschlüpfen.

Michael schaute zu Angels Fenster hoch. Hier war doch etwas faul. Sehr faul. Er ging über die Straße und durch die Schwingtüren des Palasts. Bis auf ein paar kartenspielende und trinkende Männer war der Saloon leer. Der Leibwächter, der sonst am Fuß der Treppe stand, war nicht da. Michael ging die Treppe hoch. Der Flur oben war leer und still. Zu still.

Angels Tür öffnete sich. Ein Mann kam heraus, gefolgt von der Gräfin. Sie sah Michael zuerst. „Was machen Sie hier oben? Ohne Anmeldung darf hier keiner rauf!“

„Ich möchte zu Angel.“

„Die arbeitet heute nicht.“

Er schaute auf die schwarze Ledertasche des Mannes. „Was ist mit ihr?“

„Nichts“, erwiderte die Gräfin scharf. „Sie macht ein paar Tage Pause. Und jetzt raus mit Ihnen!“ Sie versuchte ihm den Weg zu versperren. Er schob sie zur Seite und stürmte in das Zimmer.

Die Gräfin versuchte ihn aufzuhalten. „Bleiben Sie hier! Halten Sie ihn fest, Doc!“

Der Arzt sah sie verächtlich an. „Nein, Madam, das werde ich nicht tun.“

Michael stand schon am Bett. „Oh Gott …“

„Das war Magowan“, kam die ruhige Stimme des Arztes hinter seinem Rücken.

„Es war nicht meine Schuld!“ Die Gräfin wich ein paar Schritte zurück, als sie Michaels Blick sah. „Nicht meine Schuld!“

„Das stimmt“, sagte der Arzt. „Wenn sie nicht dazugekommen wäre, hätte er sie wahrscheinlich umgebracht.“

„Und jetzt gehen Sie endlich!“, sagte die Gräfin.

„Jawohl, ich gehe“, antwortete er. „Und Angel nehme ich mit.“

Angel spürte, wie jemand sie berührte. Die Gräfin keifte wieder. Angel wollte nichts mehr hören, nichts mehr fühlen, nie mehr. Aber da war jemand, so nah, dass sie die Wärme seines Atems fühlte. „Ich nehme dich mit“, sagte eine sanfte Stimme.

„Wie Sie wünschen, ich pack sie Ihnen als Geschenk ein“, sagte die Gräfin. „Aber erst zahlen Sie.“

„Haben Sie überhaupt keinen Anstand im Leib, Frau?“ Eine andere Männerstimme. „Das Mädchen hat Glück, wenn es am Leben bleibt …“

„Ach, Unkraut vergeht nicht, keine Bange! Ich kenne Angel, die kann was ab. Und umsonst kriegt er sie nicht. Und ich kann Ihnen noch was erzählen: Sie ist selbst schuld. Die kleine Hexe wusste genau, was sie tat, sie hat Bret provoziert! Seit dem Tag, an dem ich sie in San Francisco aus der Gosse gezogen habe, hab’ ich nichts als Scherereien mit ihr gehabt!“

„Sie kriegen Ihr Gold“, kam die Stimme, die Angel aus der Dunkelheit gezogen hatte. Jetzt klang sie zornig. Hatte sie wieder etwas falsch gemacht? „Aber verschwinden Sie besser von hier, bevor ich mich vergesse.“

Die Tür knallte zu und ein neuer Schmerzball in Angels Kopf explodierte. Sie stöhnte auf. Zwei Männerstimmen. Die eine sprach sie wieder an. „Bevor wir aufbrechen, möchte ich dich heiraten.“

Heiraten? Sie lachte wimmernd auf.

Jemand nahm ihre Hand. Erst dachte sie, es sei Luckys Hand, aber die war klein und weich, und diese hier war groß und fest, die Haut schwielig. „Sag einfach Ja.“

Nun ja, sie würde den Teufel persönlich heiraten, wenn das hieß, dass sie aus dem Palast herauskam. „Warum nicht?“, ächzte sie.

Dann trieb sie auf einem Meer von Schmerzen und leisen Stimmen dahin. Das Zimmer war voll von ihnen. Lucky war da und der Arzt und der andere Mann, dessen Stimme ihr halb bekannt vorkam, aber woher? Sie merkte, wie jemand ihr einen Ring über den Finger streifte, dann hob man ihren Kopf an, um ihr etwas Bitteres zu trinken einzuflößen.

Wieder eine Hand. Diesmal Luckys. „Sie richten gerade seinen Wagen her, damit er dich mitnehmen kann. Bei all dem Laudanum, das du getrunken hast, wirst du den ganzen Weg schlafen wie in Abrahams Schoß.“ Lucky streichelte ihr über das Haar. „Du bist jetzt eine verheiratete Dame, Angel. Er hatte einen Ehering dabei, an einer Kette um seinen Hals. Er sagt, es ist der Ring seiner verstorbenen Mutter. Er hat dir den Trauring seiner Mutter gegeben. Hörst du mich, Liebling?“

Angel wollte fragen, wen sie da gerade geheiratet hatte, aber war das wirklich wichtig? Sie spürte, wie der Schmerz nachließ und sie dafür immer müder wurde. Vielleicht würde sie ja doch noch sterben, dann wäre es endlich vorbei.

Sie hörte das Klingeln einer Flasche gegen ein Glas. Lucky trank wieder. Und weinte. Angel drückte schwach Luckys Hand. Lucky drückte zurück, leise schluchzend. „Angel.“ Sie strich über ihr Haar. „Was hast du bloß gesagt, dass Bret so etwas gemacht hat? Wolltest du etwa, dass er dich umbringt? Ist es wirklich so schlimm für dich?“ Sie streichelte weiter ihr Haar. „Bitte, Angel, gib nicht auf.“

Angel ließ sich in die wohlige Dunkelheit sinken. Lucky sprach weiter, wie aus weiter Ferne. „Ich werde dich vermissen, Angel. Wenn du da draußen vor deinem Blockhaus sitzt, mit den Kletterrosen an der Veranda, denkst du dann auch mal an mich? Vergisst du dann auch nicht deine alte Freundin, deine Lucky?“

KAPITEL 7

Neben dem Brunnen liege ich
und sterbe vor Durst.

(Charles d’Orléans)

Langsam kam Angel zu sich, geweckt von köstlichem Essensduft. Sie wollte sich aufsetzen – und keuchte auf vor Schmerz.

„Vorsicht“, sagte eine Männerstimme. Ein starker Arm glitt unter ihre Schultern, hob sie sanft an, schob etwas unter ihren Nacken. „Der Schwindel geht gleich weg.“

Ihre Augen waren zugeschwollen. Nur durch einen schmalen Schlitz sah sie den Mann. Stiefel, Latzhose, ein rotes Hemd. Er stand über ein Feuer gebeugt und rührte in einem großen Topf.

Durch ein Fenster vor ihr strömte das Morgenlicht. Es tat in ihren Augen weh. Sie war in einer Hütte, die nicht viel größer zu sein schien als ihr Zimmer im Palast. Der Fußboden bestand aus groben Holzdielen, der Kamin aus bunten Natursteinen. Außer dem Bett konnte sie einen Tisch, vier voll gestellte Wandbretter, einen Korbstuhl, eine Kommode und eine große schwarze Truhe mit einem Deckenstapel darauf ausmachen.

Der Mann kam zurück und setzte sich auf die Bettkante. „Meinst du, dass du etwas essen kannst, Mara?“

Mara.

Sie erstarrte. Erinnerungsscherben kamen zurück in ihren Kopf. Magowans Angriff, die Stimmen um sie herum, jemand, der sie etwas fragte … Ihr Herz stolperte. Sie betastete ihre Finger. An einem war ein Ring. Das Pochen in ihrem Kopf wurde noch heftiger und sie murmelte einen Fluch. Mein Gott, ausgerechnet er.

„Es ist Fleischbrühe. Du musst hungrig sein.“

Sie öffnete den Mund, um ihm zu sagen, wo er sich seine Suppe hinstecken konnte, aber der beißende Schmerz in ihrem Unterkiefer hielt sie auf. Michael Hosea stand auf und ging zurück zum Feuer. Als er wiederkam und sich setzte, hatte er eine Schüssel und einen Löffel dabei. Er wollte sie füttern! Sie fluchte erneut und versuchte, ihren Kopf abzuwenden, aber selbst dieses Manöver war zu viel.

„Ich freue mich, dass es dir besser geht“, sagte er trocken. Sie presste die Lippen trotzig zusammen. Ihr Magen knurrte. „Gib dem Wolf in deinem Bauch etwas zu essen, Mara, dann kannst du besser mit dem Wolf kämpfen, der vor deiner Tür steht.“

Sie gab nach; sie fühlte sich tatsächlich halb verhungert. Die Suppe, die er ihr einflößte, war besser als alles, was Henri je zustande gebracht hatte. Das Pochen in ihrem Kopf ließ nach, aber ihr Kiefer tat entsetzlich weh. Ein Arm schien in einer Schlinge zu liegen.

„Deine Schulter war ausgerenkt“, erklärte Michael. „Du hast vier gebrochene Rippen, einen Schlüsselbeinbruch und eine Gehirnerschütterung. Ob du auch innere Verletzungen hast, konnte der Arzt nicht sagen.“

Die Anstrengung des Aufsitzens ließ ihr den Schweiß ausbrechen. Sie sprach langsam und undeutlich. „Jetzt hast du mich also, du Glückspilz. Wohnst du hier?“

„Ja.“

„Wie bin ich hierhergekommen?“

„Auf meinem Wagen. Joseph hat mir geholfen, eine Hängematte reinzuhängen, damit ich dich aus dem Palast fortschaffen konnte.“

Sie betrachtete den einfachen Goldring an ihrem Finger und ballte ihre Hand zur Faust. „Wie weit bin ich von Pair-a-Dice weg?“

„Ein ganzes Leben.“

„Ich meine, in Meilen.“

„Dreißig. Wir sind nordwestlich von New Helvetia.“ Er bot ihr den nächsten Löffel an. „Iss noch, du musst was auf die Rippen kriegen.“

„Hab ich nicht genug Fleisch für deine Ansprüche?“

Er antwortete nicht.

Angel wusste nicht, ob er die Spitze gerade verstanden hatte oder nicht. Aber war es nicht unklug, wenn sie ihn womöglich wütend machte, jetzt, in diesem Zustand? Sie schluckte noch ein paar Löffel von der Suppe und versuchte, ihre Angst nicht zu zeigen. Michael ging zurück zu dem Topf und füllte die Schüssel wieder. Dann setzte er sich an den kleinen Tisch und aß selbst.

„Seit wann bin ich hier?“, fragte sie.

„Seit drei Tagen.“

„Drei Tage?“

„Die meiste Zeit davon warst du bewusstlos. Du hattest hohes Fieber. Es ist erst gestern Nachmittag zurückgegangen. Kannst du dich an nichts erinnern?“

„Nein.“ Sie versuchte es gar nicht erst. „Ich muss dir wohl Danke sagen, dass du mir das Leben gerettet hast“, sagte sie bitter. Er aß weiter, schweigend. „Und was wird jetzt, Mister?“

„Wie meinst du das?“

„Na, was willst du von mir?“

„Erst einmal gar nichts.“

„Nur mit mir reden, nicht?“

Jetzt sah er sie an, und die Ruhe in seinem Blick machte sie noch unsicherer. Er stand auf und trat an das Bett, und ihr Herz hämmerte. „Ich werde dir nichts Böses tun, Mara“, sagte er sanft. „Ich liebe dich.“

Es war nicht das erste Mal, dass ein Mann behauptete, dass er sie liebte. „Wie schmeichelhaft für mich“, sagte sie. Er antwortete nicht, und sie krallte ihre Finger in die Decke. „Ich heiße übrigens nicht Mara, ich heiße Angel. Meinen Namen solltest du schon richtig hinkriegen, wenn du mir ein Fangeisen anlegst.“

„Du hattest gesagt, ich kann dich nennen, wie ich will.“

Die Männer hatten ihr schon oft andere Namen als Angel gegeben – schöne und weniger schöne. Aber sie wollte nicht, dass dieser Kerl sie anders nannte als Angel. Angel hatte er geheiratet, und etwas anderes als Angel würde er nicht bekommen.

„Der Name Mara kommt aus der Bibel“, sagte er. „Er steht im Buch Ruth.“

„Und da du so bibelfest bist, meinst du also, dass Angel zu gut für mich ist.“

„Das hat nichts mit gut zu tun. Angel ist nicht dein richtiger Name.“

„Angel ist das, was ich bin.“

Sein Gesicht wurde ernster. „Angel war eine Hure in Pair-a-Dice, und die gibt es nicht mehr.“

„Du kannst mich nennen, wie du willst, es ändert doch nichts.“

Er setzte sich auf die Bettkante. „Alles ist anders. Du bist jetzt meine Frau.“

Sie zitterte vor Schwäche, aber sie wehrte sich weiter. „Und du glaubst, das macht einen Unterschied? Wie denn? Du hast für mich bezahlt, wie immer.“

„Die Gräfin auszubezahlen schien mir der schnellste Weg zu sein, dich da rauszubekommen. Ich dachte nicht, dass dir das etwas ausmachen würde.“

„Oh nein, das macht gar nichts.“ Diese elenden Kopfschmerzen.

„Leg dich besser wieder hin.“

Sie hatte nicht die Kraft zu protestieren, als er seinen Arm um sie legte und die Stütze unter ihrem Nacken wegzog. Die raue Haut seiner Hand streifte warm gegen ihre bloße Haut. „Streng dich nicht zu sehr an“, sagte er und zog die Decke wieder hoch.

Sie versuchte, sein Gesicht richtig zu sehen. Es ging nicht. „Ich hoffe, es macht dir nichts aus, wenn du noch etwas warten musst. Hab noch nicht genug Kraft, um mich gebührend dankbar zu zeigen.“

Sie hörte das Lächeln in seiner Antwort. „Ich bin ein geduldiger Mensch.“ Seine Fingerspitzen berührten sanft ihre feuchte Stirn. „Ich hätte dich doch nicht so lange aufrecht sitzen lassen sollen, mehr als ein paar Minuten schaffst du noch nicht.“ Sie wollte widersprechen, aber es hatte natürlich keinen Zweck. „Wo tut es am meisten weh?“

„Du brauchst mich nirgends anzufassen, danke.“ Sie schloss die Augen. Wie schön wäre es zu sterben, damit die Schmerzen für immer vorbei waren … Er berührte ihre Schläfe, und sie zog scharf die Luft ein.

„Ganz ruhig.“ Seine Berührung war weder aufdringlich noch grob, und sie entspannte sich. „Übrigens“, fuhr er fort, „ich heiße Michael. Michael Hosea, falls du es vergessen haben solltest.“

„Ja, hatte ich“, log sie.

„Michael. Kann man sich gut merken.“

„Wenn man will, ja.“

Er lachte leise. Sie wusste, dass sie an dem letzten Abend im Bordell gezielt und getroffen hatte. Warum hatte er sie überhaupt zu sich geholt? Als er damals zur Tür hinausgegangen war, hatte sie nicht damit gerechnet, ihn jemals wiederzusehen. Warum war er zurückgekommen? Was hatte er denn von ihr – in diesem Zustand?

„Warum bist du zurückgekommen?“

„Weil Gott mich geschickt hat.“

Der Mann war verrückt! Klar, das war es. Total verrückt.

„Versuch nicht zu viel zu denken. Vor dem Fenster singt gerade eine Spottdrossel, hörst du?“

Seine Hände waren so sanft. Sie lauschte dem Vogel, und der Schmerz ließ nach. Michael redete weiter, und sie wurde schläfrig. Sie hatte alle möglichen Männerstimmen gehört in ihrem Leben, aber keine wie diese – so tief, so friedlich, so beruhigend.

Sie war müde, todmüde. „Erwartet besser nicht zu viel, du und dein Gott“, murmelte sie.

„Ich erwarte alles.“

„Ja, das ist dein ständiger Spruch.“ Sollte er hoffen, was er wollte, und bitten, was er wollte … er würde nur das kriegen, was am Ende von ihr übrig war, und das war – nichts.

KAPITEL 8

Der Spötter sucht Weisheit
und findet sie nicht.

Sprüche Salomos 14,6

Würde sie je wieder aufstehen können? Es war Angel egal. Eine stumme schwarze Decke lag auf ihr. Einen Notausgang aus ihrem elenden Leben hatte sie in einem Augenblick der Verzweiflung nehmen wollen – und es wieder nicht geschafft. Schmerzen statt Frieden, Sklaverei statt Freiheit. Warum nur gelang ihr nichts? Warum gingen alle ihre Pläne schief?

Michael Hosea – der Mann, dem sie am meisten von allen hatte aus dem Weg gehen wollen. Und jetzt besaß er sie, und sie hatte nicht die Kraft, sich gegen ihn zu wehren, ja schlimmer noch, sie war völlig von ihm abhängig. Essen, Trinken, ein Dach über dem Kopf – alles gab er ihr. Es machte ihren Hass nur noch größer.

Wäre er wenigstens so wie die anderen Männer gewesen, dann hätte sie gewusst, wie sie ihm beikommen konnte. Aber er war anders. Nichts von dem, was sie sagte, schien einen Eindruck auf ihn zu machen. Er war wie Granit, unverwundbar. Seine ruhige Entschlossenheit machte sie fertig. Sein Blick – ihr fehlten die Worte dafür. Einmal sagte er, dass er während ihres Fiebers eine Menge über sie gelernt hatte, aber was das war, verriet er ihr nicht. Und was meinte er damit, dass er „alles“ von ihr erwartete? Immer, wenn sie aufwachte, war er an ihrer Seite. Warum konnte er sie nicht in Ruhe lassen?

Sie saß in der Falle. Wieder einmal. Diesmal war es kein elegantes Stadthaus, auch kein Zelt aus faulendem Segeltuch oder ein zweistöckiges Bordell. Aber es war wieder eine Gefängniszelle, und dieser Verrückte besaß den Schlüssel zu ihr.

Was wollte er nur von ihr? Und warum hatte sie das Gefühl, dass er ihr gefährlicher werden konnte als alle anderen Männer, denen sie bisher begegnet war?

Nach einer Woche ließ er sie jeden Tag ein paar Stunden allein in der Hütte, während er hinausging, um zu arbeiten. Gut. Sie wollte allein sein. Sie musste nachdenken, und das ging nicht, wenn dieser Mensch in der Nähe war.

Bald hatte sie mehr Zeit für sich, als ihr lieb war. Sie spürte die totale Einsamkeit, lauschte dem Trommeln des Regens auf dem Dach. Mit dem Geräusch des Regens kamen die alten Bilder zurück: die elende Hütte beim Hafen. Mama. Rab. Und Duke, und dann all das andere … bis sie Angst bekam, wahnsinnig zu werden. Vielleicht würde sie dann auch anfangen, mit Gott zu reden, wie dieser Verrückte, der ihr den Trauring seiner Mutter an die Hand gesteckt hatte.

Warum hatte er das gemacht? Warum hatte er sie geheiratet? Sie verstand es nicht.

Und dann stand er auf einmal wieder in der Tür, groß, stark, ruhig, mit diesem merkwürdigen Blick in den Augen. Sie versuchte, ihn wie Luft zu behandeln, aber er füllte die Hütte mit seiner Gegenwart – selbst dann, wenn er schweigend vor dem Kamin saß und wieder in dem alten Buch las.

Sie begriff ihn heute so wenig wie damals in dem Bordell, aber irgendwie hatte er sich verändert. Er sprach nicht mehr so viel. Er lächelte sie an, fragte, wie es ihr ging und ob sie etwas brauchte, und fuhr dann mit seinen Beschäftigungen fort. Einen Tag nach dem anderen schaute sie ihm zu, wie er sich den Hut aufsetzte, um sie wieder allein zu lassen.

„Mister“, sagte sie. (Nein, niemals würde sie ihn mit seinem Namen anreden.) „Warum hast du mich hierhergebracht, wenn du mich bloß die ganze Zeit allein lässt?“

„Damit du Zeit zum Nachdenken hast.“

„Nachdenken? Worüber?“

„Was du willst. Was du brauchst. Wenn es so weit ist, wirst du auch wieder aufstehen.“ Damit nahm er seinen Hut vom Haken und ging.

Durch das offene Fenster strömte das Morgenlicht herein. Im Kamin brannte ein Feuer. Ihr Magen war voll, sie hatte es warm – gerade die richtige Atmosphäre, um sich zu entspannen und an nichts zu denken. Warum nur gelang ihr das nicht?

War es vielleicht die Stille? Sie war eine Kakophonie der Geräusche gewöhnt: Männer, die an Türen klopften, Männer, lachende, schreiende, singende, fluchende Männer in der Bar im Erdgeschoss. Manchmal auch Klirren und Krachen, wenn unten Stühle und Gläser gegen die Wand flogen. Die Stimme der Gräfin. Oder Magowans Gebrüll. Und jetzt diese Stille. Sie dröhnte geradezu in ihren Ohren.

Sie beschwerte sich bei Hosea. Er antwortete: „Hier gibt es jede Menge Geräusche, du musst nur richtig hinhören.“

Da sie nichts anderes zu tun hatte, befolgte sie seinen Rat. Und richtig: Sie begann, Geräusche zu unterscheiden. Es war wie damals, als sie in dem Hafenschuppen die glänzenden Dosen auf den Boden gestellt hatte, wenn es regnete. Unter dem Bett ertönte eine Grille, draußen vor dem Fenster ein Ochsenfrosch. Ebenfalls von draußen kamen Vogelstimmen: Rotkehlchen, Spatzen, ein schimpfender Eichelhäher.

Es kam der Tag, an dem sie sich stark genug fühlte, um aufzustehen.

Was sollte sie anziehen? Erst jetzt dämmerte ihr, dass es in der ganzen Hütte nichts gab, was sie ihr Eigen nennen konnte. Wo waren ihre Sachen? Hatte er sie nicht mitgenommen?

Er selbst schien herzlich wenig Kleidung zu besitzen. In der kleinen Kommode lagen eine abgetragene Unterhose, eine zweite Latzhose und ein paar dicke Socken – alles viel zu groß für sie. In der Ecke stand eine schwarze Truhe, aber sie war zu müde, um sie zu öffnen und zu durchsuchen. Nackt und buchstäblich zu schwach, um sich auch nur eine Decke vom Bett zu holen, lehnte sie sich an die Fensterbank und atmete die frische Luft ein.

Ein halbes Dutzend Vögel flatterten in dem Geäst eines großen Baumes herum. Keine drei Schritte von der Hütte entfernt stolzierte ein großer Vogel daher und pickte auf dem Boden herum. Sie musste lächeln über sein unbekümmertes Gehabe. Ein sachter Wind wehte einen Duft herbei, der so stark war, dass sie ihn fast auf der Zunge schmecken konnte. So ähnlich hatten die Wiesen um Mamas Häuschen gerochen. Sie schloss genießerisch die Augen. „Oh, Mama“, flüsterte sie. Ein Kloß wanderte ihren Hals hoch. Ihre Rippen schmerzten wieder und sie begann zu zittern.

Michael kam herein. Als er sie nackt an dem offenen Fenster sah, holte er ohne ein Wort eine Decke vom Bett und legte sie um sie. Dann hob er sie sanft hoch. „Wie lange bist du schon auf?“

„Nicht so lange, dass ich schon wieder ins Bett will.“ Er hielt sie wie ein Kind in seinen Armen. Er war warm und roch nach Erde und Sonne. „Du kannst mich wieder runterlassen“, sagte sie. „Aber ins Bett will ich nicht. Ich hab’ mein halbes Leben darin verbringen müssen.“

Er musste grinsen, setzte sie in den Korbstuhl vor dem Feuer und legte Holz nach. Sie umklammerte die Lehnen des Stuhls, spürte jede Stelle, an der Magowans Fäuste und Schuhe gelandet waren; viel ausgelassen hatte er nicht. Sie berührte tastend ihr Gesicht und runzelte die Stirn. „Hast du einen Spiegel?“

Michael nahm die glänzend polierte Dose, die er zum Rasieren benutzte, und hielt sie ihr hin. Sie starrte ihr Spiegelbild an. Nach einem langen Augenblick gab sie ihm die Dose zurück. „Wie viel hast du für mich bezahlt?“

„Alles, was ich hatte.“

Sie lachte schwach. „Mister, du bist verrückt.“ Wie konnte der Mann es aushalten, sie auch nur anzusehen?

„Es sind keine bleibenden Verletzungen.“

„Nicht? Na ja, meine Zähne hab ich noch alle, das ist etwas.“

„Ich habe dich nicht wegen deiner Schönheit geheiratet.“

„Nein, natürlich nicht, sondern wegen meines übermäßigen Charmes. Oder weil der liebe Gott es dir befohlen hat?“

„Vielleicht denkt er, dass die Hörner an deinem Kopf zu den Löchern in meinem passen.“

Sie legte ihren Kopf zurück. „Ich hab’ mir gleich gedacht, dass du verrückt bist.“ Diese elende Müdigkeit ... am liebsten wäre sie doch wieder ins Bett gegangen, aber der Weg war so weit und sie so schwach ...

Michael trat zu ihr und hob sie behutsam hoch.

„Mister, ich hab’ dir doch gesagt, ich will nicht schon wieder liegen.“

„Schön, dann setz dich aufs Bett.“

„Wo sind meine Sachen?“

„Die habe ich vergessen, und hier könntest du sowieso nichts mit ihnen anfangen. Satin und Spitze sind nichts für die Frau eines Farmers.“

„Nein, die läuft besser nackt durch die Bohnen- und Möhrenbeete.“

Er grinste. „Klingt interessant.“

Sie verstand, warum die anderen Mädchen so wild auf ihn gewesen waren, aber ihr konnten gut aussehende Männer nichts vormachen. Duke war ebenfalls ein schöner Mann gewesen, der perfekte Charmeur. „Hör zu“, sagte sie gepresst. „Ich will so langsam mal aufstehen, und dazu brauche ich etwas anzuziehen.“

„Dann sollst du etwas haben.“ Dieser Kerl war so unerträglich gelassen ... er ging zu der alten Truhe hinüber, holte ein Bündel heraus und brachte es ihr. „Das sollte fürs Erste genügen.“

Neugierig faltete sie das Bündel auf. Ein fadenscheiniges Schultertuch aus grauer Wolle, darin eingeschlagen waren zwei Röcke aus grobem Halbwollzeug, der eine ein verschossenes Braun, der andere schwarz. Dann noch zwei langärmelige, hochgeschlossene Blusen. Die eine musste wohl einmal weiß gewesen sein und sah jetzt beinahe gelb aus, die andere hatte ein bläulich-rosa Blumenmuster. Zwei zu den Blusen passende Hauben waren da auch, und in den Hauben steckten verschämt zwei einfache Mieder, ein paar unförmige Unterhosen und mehrfach gestopfte schwarze Wollstrümpfe. Den Abschluss machten schwarze Schnürstiefel mit abgetragenen Absätzen.

Sie schaute ihn ungläubig an. „Ich werde dir ewig dankbar sein für diese Schätze.“

„Es ist nicht ganz das, was du gewohnt bist, ich weiß. Aber sie werden dir hier draußen bessere Dienste leisten als deine alten Kleider.“

„Da bin ich sicher.“ Sie befühlte die Röcke.

Er lächelte. „In ein, zwei Wochen kannst du anfangen, mir zu helfen.“

Ihr Kopf fuhr hoch, aber Michael war schon wieder auf dem Weg zur Tür. Helfen? Wobei helfen? Sollte sie eine Kuh melken? Für ihn kochen? Das Feuerholz hacken und Wasser aus dem Bach holen? Ach ja, und sicher waschen und bügeln. Nichts davon konnte sie. Er würde sich noch wundern.

Da kam er schon mit einem Arm voll Feuerholz zurück.

„Mister, ich habe keine Ahnung, was die Frau eines Farmers so macht.“

Er schichtete das Holz sauber auf. „Davon bin ich auch nicht ausgegangen. Aber du bist ja nicht dumm. Das lernst du alles schnell.“ Er legte neues Holz auf das Feuer. „Schwerere Arbeiten musst du erst erledigen, wenn du so weit bist. Frühestens in einem Monat.“

Schwerer? Was meinte er? Sie verlegte sich auf eine andere Strategie und setzte ein gut einstudiertes Lächeln auf. „Und die anderen ehelichen Pflichten?“

Er sah sie kurz an. „Wenn es für dich mehr ist als ein Job, werden wir die Ehe vollziehen.“

Seine Direktheit überraschte sie. Wo war der junge Mann geblieben, der errötend zusammengezuckt war, als sie ihn berührt hatte? Sie trat einen wütenden Rückzug an. „Schön, Mister, ich helfe dir für jede Stunde und jeden Tag, den du mich gepflegt hast.“

„Und wenn du meinst, wir sind quitt, dann gehst du?“

„Dann gehe ich zurück nach Pair-a-Dice und hole mir, was die Gräfin mir schuldet.“

„Das wirst du nicht tun“, sagte er ruhig.

„Doch, das tue ich.“ Sie würde sich ihr Geld von der Gräfin holen. Und dann würde sie jemanden anheuern, der ihr auch so eine Hütte baute, genügend weit weg von der nächsten Stadt, um ihren Frieden vor dem Lärm und Gestank zu haben, aber nahe genug, dass sie sich alles besorgen konnte, was sie brauchte. Sie würde sich auch ein Gewehr kaufen, ein großes, mit viel Munition, und wenn ein Mann an ihre Tür klopfte, würde sie es benutzen. Es sei denn natürlich, dass sie Geld brauchte. Aber wenn sie gut damit haushaltete, konnte sie lange von dem leben, was sie sich verdient hatte. Sie konnte es kaum erwarten. Noch nie hatte sie ganz allein gewohnt; es würde der Himmel werden!

Du bist gerade eine Woche lang viel allein gewesen, kam eine leise, spöttische Stimme aus dem Innersten ihrer Seele, und wie ist dir das bekommen? Gar nicht! Gib’s doch zu, das Alleinsein macht dir Angst, weil du so viele Dämonen in dir hast, die nur darauf warten, dich zu quälen.

„Du hast vielleicht für mich bezahlt, aber besitzen tust du mich nicht, Mister.“

Michael musterte sie geduldig. Was für einen eisernen Willen sie besaß. Er blitzte aus ihren Augen hervor, er hielt ihren Rücken gerade wie ein Lineal. Sie bildete sich ein, stärker zu sein als er, aber da lag sie falsch. Er tat das, was Gott persönlich ihm aufgetragen hatte, und Gott hatte seine eigenen Wege. Aber für den Moment hatte er genug gesagt; sollte sie erst einmal darüber nachdenken.

„Du hast vollkommen recht“, antwortete er. „Ich besitze dich nicht. Aber du wirst auch nicht weglaufen.“

Sie nahmen ihre Mahlzeit ein, jeder in seiner Ecke des Raumes: sie auf dem Bett, den Teller auf ihrem Schoß, er am Tisch. Das einzige Geräusch war das Knistern des Feuers im Kamin.

Angel stellte ihren Teller auf den Nachttisch. Sie zitterte vor Schwäche, war aber fest entschlossen, sich noch nicht hinzulegen. Sie musterte Michael. Früher oder später würde sie ihn schon knacken. War er nicht ein Mann? Männer waren einfach strukturiert.

„Sie haben alle ihre schwachen Seiten“, hatte Sally ihr gesagt. „Du musst nur herauskriegen, was sie von dir wollen. Solange du sie glücklich machst, fressen sie dir aus der Hand. Erst, wenn du das nicht mehr machst, werden sie gemein.“

Wie Duke. Nach der ersten Nacht hatte sie schon alles über ihn gewusst, was es zu wissen gab. Er war ein Machtmensch, der sofortigen Gehorsam verlangte. Sie brauchte das, was er von ihr verlangte, nicht zu mögen, aber sie musste es tun, und das möglichst lächelnd. Zögern brachte ihr seinen finsteren Drohblick ein, Protest eine Ohrfeige, Trotz brutale Gewalt, und auf Weglaufen stand das glühende Ende seiner Zigarre. Als er ihrer müde wurde, hatte sie eine wichtige Lektion gelernt: Egal, wie ängstlich oder angewidert oder wütend du bist, tu so, als ob du das magst, was die Männer wollen und wofür sie gezahlt haben. Und wenn du nicht so tun kannst, als ob du es magst, dann tu wenigstens so, als sei es dir egal. Sie war eine Expertin geworden in diesem Spiel.

Was hatte Sally ihr damals gesagt? „Es war dein Pechtag, als dieser betrunkene Trottel dich hierherbrachte. Oder vielleicht auch nicht.“ Sie hatte Angels Kinn angehoben, sodass sie sie ansehen musste. „Und diesen Blick will ich ab heute nie mehr bei dir sehen. Du wirst lernen, deine Gefühle für dich zu behalten, verstanden? Wir haben alle unsere traurigen Geschichten zu erzählen, und einige sind schlimmer als deine. Finde heraus, was ein Mann will, gib ihm das, wofür er zahlt, und zum Schluss entlass ihn mit einem netten Lächeln. Lern das, und ich werde dir deine Mama ersetzen. Lern es nicht, und du wirst denken, dass Duke der Himmel war.“

Sally hatte Wort gehalten, und Angel hatte alles über die Männer gelernt, was es zu lernen gab. Einige wussten genau, was sie wollten, andere bildeten es sich nur ein. Manche sagten das eine und meinten etwas ganz anderes. Einige hatten Mumm, viele waren bitter, aber am Ende lief es immer auf das Gleiche hinaus: Sie legten ihr Geld für ein Stück von ihr hin – und es kostete Angel immer weniger.

Sie blickte zu Michael Hosea hin. Was für einer war er?

Sie befingerte die abgetragenen Kleider und kräuselte missbilligend ihre Lippe. Vielleicht wollte er seine „Ware“ in Halbwollzeug einwickeln, damit er sie nicht zu gut erkennen konnte. Vielleicht wollte er nicht wahrhaben, was er da gekauft hatte. Nun gut, sie konnte für ihn die unschuldige Jungfrau spielen. Sogar die dankbare Jungfrau, wenn es denn sein musste. Danke, mein Ritter, dass du mich der Drachenhöhle entrissen hast … Sie konnte alles spielen, solange es nicht zu lange dauerte. Gott, ich bin es leid, das ständige Schauspielern, ich will nicht mehr so leben! Warum kann ich nicht einfach sterben?

„Das reicht“, sagte sie und stellte den Teller auf den Nachttisch. Oh ja, es reichte ihr. Alles.

Michael entging die Bedeutung der Geste nicht. „Ich werde dir nicht mehr zumuten, als du verkraften kannst.“

Sie sah ihn an. Nein, diesmal meinte er nicht Hausarbeit. „Und du, Mister? Glaubst du, du kannst verkraften, was ich dir zumute?“

„Probier es aus.“

Sie schaute ihm zu, wie er aß. Er sah kein bisschen beunruhigt aus. Der Mann wusste, wer er war und was er vorhatte. Und sie wusste: Wenn sie nicht bald zu Kräften kam und abhaute, würde er sie auseinandernehmen, Stückchen für Stückchen.

Am nächsten Morgen stand sie auf, sobald Hosea aus der Tür war, und zog sich an. Sie legte sich das Mieder um und knotete die ausgefransten Bänder zusammen. Der Stoff war dick und erlaubte keinerlei Einblicke. Noch nie hatte sie so etwas Schlichtes und Billiges angehabt.

Welche Frau mochte vor ihr diese Kleidung getragen haben? Was war aus ihr geworden? Es musste wohl eine von der anständigen und fleißigen Sorte gewesen sein – eine von denen, die sich demonstrativ weggedreht hatten, wenn Mama vorbeiging.

Sie zog die Schuhe an. Sie passten ihr leidlich. Michael kam wieder herein, und sie sah zu ihm hoch, eine Augenbraue gehoben. „Sagtest du nicht, dass du noch nie verheiratet warst?“

„Das sind die Sachen von meiner Schwester Tessie. Sie und ihr Mann Paul sind mit mir in den Westen gekommen, doch sie ist am Green River gestorben, an einem Fieber.“ Die Erinnerung tat ihm jetzt noch weh. Sie hatten Tessie mitten auf dem Weg begraben müssen. Danach waren alle Wagen in dem langen Treck über ihr Grab gerollt, um die Spuren zu verwischen. Paul und er hatten nicht gewollt, dass sie womöglich von Indianern oder wilden Tieren wieder ausgegraben wurde. Ohne Kreuz oder Grabstein hatten sie Tessie verscharrt; sie hätte etwas Besseres verdient gehabt.

„Und was ist aus ihrem Mann geworden? Ist er auch tot?“

Er schlüpfte aus seiner Jacke. „Sein Land ist am Ende dieses Tals, aber es liegt brach. Er ist als Goldgräber am Yuba River. Paul hat nie etwas sehr lange durchhalten können.“ Seine Liebe zu Tess hatte Paul eine Zeit lang auf Kurs gehalten, aber nach ihrem Tod war er wieder abgedriftet.

Angel lächelte zynisch. „Dann ist dein Schwager also auch einer von denen, die die Flüsse Kaliforniens vergewaltigen – und alles andere, was sie kriegen können.“

Michael drehte sich zu ihr um und sah sie an. Sie wusste, was er jetzt dachte, und fuhr fort: „Wenn er ein Mann ist, dann war er wahrscheinlich auch schon im Palast.“ Sie sah, wie sein Blick sich verdüsterte. Aha, richtig geraten. Sie zuckte die Achseln und stach noch tiefer. „Ich weiß natürlich nicht, ob er bei mir war. Beschreib ihn doch mal, vielleicht erinnere ich mich dann.“

Ihre Worte klangen kühl, aber Michael konnte sie nichts vormachen. Er merkte, wie sie fieberhaft alles versuchte, um ihn sich vom Leib zu halten.

Sein Schweigen frustrierte sie. „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, dass er mich erkennen könnte. Bis er wiederkommt, bin ich längst nicht mehr da.“

„Du gehörst zu mir.“

Sie lächelte kühl. „Früher oder später kommt ein Treck mit lauter Jungfrauen, alle anständig und in abgetragenen Wollsachen, und dann wirst du aufwachen, wenn du ihnen sagen musst: ‚Darf ich Ihnen meine Frau vorstellen, ich hab sie in einem Bordell gekauft‘.“

„Mir ist egal, wer alles noch kommt. Ich habe dich geheiratet.“

„Das kann man ja ändern.“ Sie zog den Ring von ihrem Finger und hielt ihn ihm hin. „Hier, bitte. So einfach ist das.“

Er blickte ihr forschend ins Gesicht. Glaubte sie wirklich, dass es so einfach war? Ring ab, und alles war wieder beim Alten? „Da liegst du falsch, Mara. Wir sind aneinander gebunden, ob du den Ring nun trägst oder nicht. Aber trag ihn doch lieber.“

Sie runzelte die Stirn, streifte den Ring aber wieder über. Sie drehte ihn an ihrem Finger. „Lucky hat gesagt, er hat einmal deiner Mutter gehört.“

„Das stimmt.“

Sie ließ ihre Hände herabsinken. „Sag Bescheid, wenn du ihn zurückhaben willst.“

„Ich werde ihn nie zurückwollen.“

Sie faltete die Hände im Schoß und sah ihn betont gelangweilt an. „Wie du willst, Mister.“

Endlich wurde er lebendig. „Diesen Satz hasse ich. ‚Wie du willst …‘ Als ob du mir eine Tasse Kaffee anbieten würdest.“ Genauso gleichgültig hatte sie jahrelang ihren Körper feilgeboten. „Damit das klar ist: Ich habe dich geheiratet, um dich zu lieben, in guten und bösen Tagen, bis der Tod uns scheidet. Ich habe ein Gelöbnis vor Gott abgelegt, als ich dich zur Frau nahm, und ich werde es nie brechen.“

Ach ja, Gott. Sei lieb und mach alles richtig, sonst zerdrückt er dich wie eine lästige Fliege. Vater unser im Himmelein zweiter Alex Stafford, oder? Sei nicht dumm, öffne dich niemandem, schon gar nicht ihm. Wenn dieser Mann sich einbildete, dass er sie dazu bringen konnte … Nein, sie hatte sie früh gelernt, ihre Lektion: An was ich nicht glaube, das kann mir nicht wehtun.

Seine Stimme riss sie aus ihren Gedanken. „Erinnerst du dich an unsere Trauung?“

„Nur vage. Da war so ein schwarzer Mann mit einer Stimme wie ein Totengräber.“

„Du hast Ja gesagt. Erinnerst du dich daran?“

„Ich habe nicht Ja gesagt, ich habe gesagt: ‚Warum nicht?‘“

„Auch gut.“

KAPITEL 9

Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir;
denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig;
so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.

Jesus in Matthäus 11,29

In den ersten paar Tagen verbrauchte das Ankleiden schon alle ihre Kraft. Nach einer Woche ging sie zum ersten Mal nach draußen. Es gab Michael einen merkwürdigen Stich, sie in Tessies Kleidern zu sehen. Verschiedener hätten die beiden Frauen nicht sein können: Tessie warmherzig, unkompliziert und offen, Angel abweisend und in sich selbst verschlossen; Tessie dunkel und kräftig, Angel blond und schmal.

Michael versuchte gar nicht erst sich einzureden, dass sie aus der Hütte gekommen war, weil sie sich nach seiner Nähe sehnte. Sie hatte es einfach satt, ständig hinter Holzwänden eingesperrt zu sein.

Er ging zu ihr, und sie nahm sofort eine abwehrende Körperhaltung an. „Wann soll ich mit dem Pflügen anfangen?“, fragte sie trocken.

„Im Herbst.“ Er lachte und schob eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht. „Wie wär’s mit einem kleinen Spaziergang?“

„Wie weit?“

„So weit du willst.“ Er nahm ihre Hand. Sie ließ sie wie einen toten Fisch in der seinen liegen. Er tat so, als bemerke er es nicht, zeigte ihr den Maisspeicher und den Geräteschuppen. Er führte sie zu der Holzbrücke über den Bach, wo er später, wenn er sich die ersten Kühe leisten konnte, ein Kühlhaus für Fleisch, Milch und Käse bauen wollte. Dann gingen sie den Pfad entlang zu der kleinen Scheune, vor der die beiden Zugpferde grasten, und er zeigte ihr die Felder, die er schon gepflügt hatte, und dann das offene Weideland.

„Als ich in den Westen aufgebrochen bin, hatte ich acht Ochsen“, sagte er mit einem Kopfnicken. „Jetzt hab ich nur noch die beiden da.“

„Und der Rest?“

„Einen haben die Indianer gestohlen, fünf sind auf dem Weg eingegangen. Der Treck war hart. Es sind nicht nur Zugtiere gestorben am Humboldt-See.“ Er sah sie an. Wie blass sie war. Er fragte sie, ob sie umdrehen sollten, doch sie sagte Nein.

Gott, wird sie in allem so starrköpfig sein?

Auf dem Rückweg zur Hütte zeigte er ihr die Stelle, wo er eine Laube bauen und von Wein überranken lassen wollte. „An warmen Abenden können wir dann dort sitzen. Es gibt keinen schöneren Duft als den von Weintrauben, die in der Sonne reifen. Wir bauen auch noch ein richtiges Schlafzimmer und eine Küche an, und an der Westseite des Hauses eine Veranda, dann können wir abends den Sonnenuntergang genießen und zuschauen, wie die ersten Sterne hervorkommen. Und an heißen Sommernachmittagen trinken wir Apfelwein und sehen dem Mais beim Wachsen zu. Und den Kindern, so Gott will.“

Ihr wurde mulmig. „Da hast du dir ja eine Menge vorgenommen.“

Er hob ihr Kinn an und sah ihr fest in die Augen. „Genug Zukunft für den Rest unseres Lebens, Mara.“

Sie ruckte ihren Kopf weg. „Ich habe meine eigenen Pläne, und du kommst nicht darin vor.“

Den Rest des Weges ging sie allein.

Der Spaziergang hatte ihr gutgetan, doch nun war sie erschöpft. Aber wieder in der kleinen Hütte hocken? Nein. Sie zog den Stuhl vor die Tür, um sich draußen hinzusetzen. Sie wollte die Wärme der Sonne auf ihrem Gesicht spüren, die frische Luft riechen. Eine sachte Nachmittagsbrise spielte mit ihrem Haar. Sie atmete das Aroma der Erde ein, ihre Muskeln entspannten sich, und sie schloss die Augen.

Als Michael von der Arbeit zurückkam, schlief sie. Selbst die Blutergüsse in ihrem Gesicht konnten das Bild des Friedens, das sie bot, nicht entstellen. Er nahm eine kleine Strähne ihres Haars und rieb sie sanft zwischen seinen Fingern. Die reinste Seide. Sie bewegte sich im Schlaf. Er betrachtete ihren schlanken weißen Hals und sehnte sich danach, seine Lippen darauf pressen, ihren Duft einatmen zu können.

Gott, ich liebe sie, aber wird es immer so bleiben wie jetzt – dieser Schmerz tief drinnen, der nicht aufhören will?

Sie schlug die Augen auf und zuckte leicht zusammen, als sie ihn so dicht vor sich sah. Er stand im Gegenlicht, sein Gesicht im Schatten. „Wie lange habe ich hier gesessen?“

„Du hast so friedlich ausgesehen. Entschuldige, wenn ich dich gestört habe. Du hast etwas Farbe gekriegt.“

Sie fasste sich an die Wange und spürte die Wärme. „Erst schwarz und blau, jetzt rot, wie?“

„Hast du Hunger?“

Allerdings. „Am besten fängst du langsam an, mir das Kochen beizubringen.“ Sie zuckte schmerzvoll zusammen beim Aufstehen und folgte ihm in die Hütte. Wenn sie allein klarkommen wollte, musste sie wohl lernen, selbst zu kochen.

„Als Erstes brauchst du ein richtiges Feuer.“ Er schürte die Glut und legte neues Holz nach. Dann ging er nach draußen und kam mit einem Stück gepökeltem Wildfleisch zurück. Er schnitt es in kleine Stücke, die er in das kochende Wasser in dem Topf fallen ließ. Der Duft der Küchenkräuter, die er zwischen seinen Handflächen zerrieb, bevor er sie in den Topf gab, war stark und würzig.

Er atmete aus. „Es war doch nur ein Topf Fleischsuppe, Mara.“

Ihre Frustration wollte überkochen. „Wie komme ich bloß an so einen Heiligen wie dich? Willst du dich irgendwie kasteien? Ist es das?“ Sie stürmte an ihm vorbei zur Tür hinaus.

Sie wollte weglaufen, aber es ging nicht. Schon am Feld musste sie anhalten. Er hatte sie heftig von dem Feuer weggerissen, ihr ganzer Körper tat ihr weh. Aber schlimmer noch war der Schmerz tief drinnen. Diese elende Demütigung! Sie konnte ja überhaupt nichts! Wie sollte sie je auf eigenen Füßen stehen, wenn sie sich nicht mal etwas zu essen kochen konnte? Auch wie man Feuer machte wusste sie nicht. Sie war nicht in der Lage, allein zu überleben.

Du wirst lernen.

„Nein, das werde ich nicht! Und ihn um Hilfe bitten werde ich schon gar nicht! Ich will nicht in seiner Schuld stehen.“ Sie ballte ihre verbrannte Hand zur Faust. „Ich habe ihn nicht gebeten, mich zu retten. Ich hab das hier nicht gewollt!“

Sie ging zum Bach, um ihre Hand und ihren Zorn zu kühlen.