Autoren: Félix Witting

M.L. Patrizi

 

Redaktion der deutschen Veröffentlichung: Klaus H. Carl

Übersetzung: Georg Robens

 

Layout:

Baseline Co. Ltd

61A-63A Vo Van Tan Street

4. Etage

Distrikt 3, Ho Chi Minh City

Vietnam

 

© Parkstone Press International, New York

© Confidential Concepts, Worldwide, USA

The Royal Collection © Her Majesty Queen Elizabeth II

Fotocredit Pierre Mignot

© The Metropolitan Museum of Art (1, 2)

 

Alle Rechte vorbehalten

Das vorliegende Werk darf nicht, auch nicht in Auszügen, ohne die Genehmigung des Inhabers der weltweiten Rechte reproduziert werden. Soweit nicht anders vermerkt, gehört das Copyright der Arbeiten den jeweiligen Fotografen. Trotz intensiver Nachforschungen war es aber nicht in jedem Fall möglich, die Eigentumsrechte festzustellen. Gegebenenfalls bitten wir um Benachrichtigung.

 

ISBN : 978-1-78310-651-6

Félix Witting - M.L. Patrizi

 

 

 

Caravaggio

 

 

 

 

 

 

INHALT

 

 

Einleitung

Caravaggio, ein romanhaftes Schicksal

Die ersten Jahre und der Aufbruch nach Rom

Mailand

Der Aufenthalt in Venedig

Reise nach Rom

Die ersten römischen Werke und die Kirche San Luigi dei Francesi

Die ersten römischen Werke

Die Malereien in der Kirche San Luigi dei Francesi

Im Exil

Die Zeit in Neapel

Malta

Sein Gesicht als Spiegel seiner Seele

Die Entstehung eines Stils

Maler der Freuden und des Verbotenen

Caravaggio oder die ästhetische Revolution

Aus anderen Perspektiven

Das Leben des Caravaggio, beschrieben von Giovan Pietro Bellori

Die von Mancini hinterlassene „Notizia“

Werdegang eines kriminellen Malers

Brief des Bischofs von Caserte an den Kardinal Scipione Borghese vom 29. Juli 1610

Schluss

Biographie

Abbildungsverzeichnis

Bibliographische Anmerkungen

Ottavio Leoni, Porträt von Caravaggio.

Pastell auf Papier, 23,5 x 16 cm.

Biblioteca Marucelliana, Florenz.

 

 

Einleitung

 

 

Wenn der Caravaggio genannte Michelangelo Merisi und seine Kunst für beinahe drei Jahrhunderte dem Vergessen anheim gefallen waren, so kann man heute doch feststellen, dass er seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts weitgehend rehabilitiert worden ist. Er war zwar verbannt (sagte Poussin nicht, dass er gekommen war, um die Malerei zu zerstören?) und in den Mäandern des Vergessens verborgen, dennoch scheint sein Name in ganz bestimmten Momenten in der Geschichte im kollektiven Gedächtnis wieder aufgetaucht zu sein. Schon ein Zeitgenosse Caravaggios, Giovanni Baglione (1571 bis 1643), erkannte dessen Bedeutung als Vorläufer eines resolut modernen Stils[1]. Er stellt bei dem Künstler fest, dass dieser ein starkes Verlangen hat, nach der „… glühenden Begeisterung der Öffentlichkeit, die nicht mit den Augen urteilt, sondern mit den Ohren hinschaut“, zu suchen, und dass er zahlreiche junge Künstler dazu getrieben hat, ausschließlich auf die Farbgebung zu achten und nicht auf den Aufbau der Figuren. Baglione beschreibt dennoch seine Werke als „… mit dem größten Fleiß und in der feinsten Art und Weise ausgeführt”.

Gleich ihm hatte Caravaggios Mäzen, der Marchese Vincenzo Giustiniani di Bassano (1564 bis 1637) keinen Zweifel an dem überragenden Genie des Künstlers. In einem an den Rechtsanwalt Teodoro Amideni adressierten Brief greift dieser den Standpunkt des Malers auf, den er für ausschlaggebend hielt[2]: „Wie Caravaggio sagte, es kostet ihn ebenso viel Mühe, ein gutes Blumenbild zu malen wie ein Bild mit Figuren“ und „… zu den Malern erster Wahl zählen wir unseren Caravaggio“. Für ihn malte Caravaggio um 1610 auch seinen Cupido a sedere (Amor als Sieger), und als das Altarbild mit dem Heiligen Matthäus für die Contarelli-Kapelle in San Luigi dei Francesi von der Kongregation abgelehnt worden war, entschloss sich der Marchese, es zu erwerben[3].

Und auch der Kunsthistoriker Giulio Cesare Gigli ergeht sich in begeisterten Lobreden über Caravaggios Kunst in Bezug auf die pittura trionfante: „Das ist er, der große Michelangelo Caravaggio, ein großartiger Maler, ein Wunder in der Kunst, ein Wunder in der Natur“[4]. Darüber hinaus beschreibt im 18. Jahrhundert der Direktor der Spanischen Akademie in Rom, Francisco Preziado, den Maler Caravaggio in einem am 20. Oktober 1756 an Giambattista Ponfredi gerichteten Brief als den Gründer einer Schule, der fortan Ribera und Zurbarán angehören[5]. Und wenn der stürmische Maler während der klassischen Periode von Zeit zu Zeit in die Erinnerung zurückgerufen wird, dann gab es insbesondere im Verlauf der Romantik ein punktuelles Interesse für den Wegbereiter des Barock.

Auch der große Philosoph Arthur Schopenhauer (1788 bis 1860) schenkte ihm Aufmerksamkeit[6], den Standpunkt des Fachmanns dagegen vertrat Professor Waagen (1794 bis 1868), der Caravaggios Besonderheiten herauszuarbeiten suchte[7]. Vom akademischen Standpunkt schließlich tat sich der Kunsthistoriker Manasse Unger (1802 bis 1868) hervor, der in seinen Kritischen Forschungen[8] Recherchen über die künstlerische Wirkung des Malers anstellte und Caravaggios[9] Lebensgeschichte begonnen hatte, die der fachhistorischen Beurteilung von J. Meyer nach für die damalige Zeit sehr vollständig ist. Der Kunsthistoriker Eisenmann bemühte sich ebenfalls, aus den unterschiedlichen Ansichten hinsichtlich der Bedeutung des Künstlers einen Sinn herauszulesen[10]. Die Historiker Woltmann (1841 bis 1880) und Woermann (1844 bis 1933) hingegen betteten ihr literarisches Porträt des Malers in eine Darstellung der historischen Entwicklung der Malerei[11]. Dünn gesäte, aber ernsthafte, seltsam reservierte und doch spannungsgeladene Bemerkungen widmete der Kunsthistoriker Jakob Burckhardt (1818 bis 1897) dem Künstler in der ersten Ausgabe des Cicerone. Interessanterweise wurden sie in den folgenden Auflagen nicht geändert[12].

In der Zwischenzeit ergriffen Maler wie zum Beispiel Théodule Ribot (1823 bis 1891) in ihren Theorien über die Kunst voll und ganz Partei für den barocken Meister, suchten aber auch ganz bewusst die Verdienste ihres französischen Caravaggios, des Meisters Valentin de Boulogne (1591 bis 1632), aufrechtzuerhalten[13]. Was auf diesem Gebiet noch zu erbringen war, ist ein historischer, objektiver Ehrenerweis, und die Anerkennung einer psychologischen Dimension der Werke des Caravaggio und seiner Kunst, um somit jenseits der literarischen Begeisterung zu den immer gültigen Werten des Malers zu gelangen.

Caravaggios Leben gab Anlass zu zahlreichen, allesamt von der gewalttätigen und überspannten Persönlichkeit des Malers beherrschten biographischen Auslegungen. Eine davon ist die berühmte, in Gedichtform gefasste Notizia von Mancini (eine Übersetzung davon befindet sich am Ende dieses Buches), die die wichtigsten Ereignisse in Caravaggios Leben aufzählt. Diesem Gedicht und anderen historischen Quellen nach kam Michelangelo Merisi im September 1571, wahrscheinlich am 29., dem Tag des Heiligen Erzengels Michael, in Mailand zur Welt, wo sein Vater laut Mancini „… Architekt und Vorarbeiter des Marchese von Caravaggio“, Francisco I. Sforza, war. Die Begabung zum Malen, die das Kind ziemlich früh an den Tag legte, könnte es von seinem Vater geerbt haben. Das widerspricht aber dem, was Bellori geschrieben hat (eine Übersetzung befindet sich ebenfalls am Ende dieses Buches), wonach der Künstler als Sohn eines Maurers so wie Polidoro da Caravaggio (um 1495 bis 1543) schon in frühester Jugend die Säcke mit Kalk und Putz für die Freskomaler getragen hat. Es ist dennoch sehr wahrscheinlich, dass Caravaggio ein gewisses Talent von seinen Vorfahren geerbt hat, wenngleich einige Biographen die Bedeutung eines solchen Erbes gern bagatellisierten. Wie dem auch immer sei, seine Eltern waren also ehrbare Mitglieder der Stadtgemeinschaft. Sein Vater genoss als Verwalter des Marchese einen gewissen Schutz, von dem Caravaggio sein Leben lang profitieren sollte.

Im Herzogtum von Mailand brach 1576 die Pest aus und die Familie Michelangelo Merisis musste aus der Stadt Mailand in die kleine Stadt Caravaggio fliehen, wo der Künstler seine Kindheit verbrachte. Wenige Monate danach verlor er im Alter von sechs Jahren seinen Vater.

Sieben Jahre später tritt Caravaggio am 6. April 1584 in Mailand beim Maler Simone Peterzano (um 1540 bis um 1596) die Lehre an, wo er vier oder fünf Jahre lang fleißig lernte. In dieser Zeit erlaubte er sich schon damals von Zeit zu Zeit ein paar Streiche, die auf sein zur Übertreibung neigendes und leicht erregbares Temperament zurückzuführen waren.

 

 

 

 

 

Der kranke Bacchus oder Satyr mit Trauben,

um 1593. Öl auf Leinwand, 67 x 53 cm.

Museo e Galleria Borghese, Rom.

Caravaggio, ein romanhaftes Schicksal

 

Knabe mit Fruchtkorb, um 1593.

Öl auf Leinwand, 70 x 67 cm.

Museo e Galleria Borghese, Rom.

 

 

Die ersten Jahre und der Aufbruch nach Rom

 

 

Mailand

 

Aus der Zeit, in der Caravaggio in der lombardischen Hauptstadt lebte, haben die Mailänder angeblich noch einige frühe Werke von seiner Hand aufbewahrt, die von der Forschung mehr oder weniger vernachlässigt wurden und deren Zuschreibungen heute umstritten sind. Sie waren jedoch sehr wichtig, um mehr über den Künstler zu erfahren, tragen sie doch im Keim einige caravaggeske Besonderheiten. Der zwischen 1511 und 1541 wirkende Bergamesker Maler Giovanni Cariani weckte besonders mit seinem eine Gruppe auf einer Terrasse darstellenden Gemälde von 1519 und mit einem Lautenspieler, der an ähnliche Motive erinnert, in Caravaggio die Neigung für das monumentale Genre. Diesem Genre maß er auch später noch sehr viel Bedeutung bei – so dass er sich auch schon am Beginn seiner Laufbahn dem Hang zum Grandiosen hingab.

In bestimmten Mailänder Werken erkennt man gut die Hand des Meisters von Michelangelo Merisi, bei dem, den Quellen nach, der junge Sohn des Handwerkermeisters anschließend in der Lehre war. Es handelt sich um Bernardino Lanini (1511 bis um 1578)[14], dessen von Gaudenzio Ferraris (um 1475 bis 1546) Stil inspirierter Maniera einwandfrei erkennbar ist. Caravaggio schien sich damals ausschließlich für die körperliche Form des Menschen zu interessieren, der sich einfach von einem neutralen Hintergrund abhebt. Das Verhältnis zwischen der Oberfläche des Bildes und der Figur, die es oft beherrscht – selbst wenn man von all den ererbten Modellen absieht – heben eine Besonderheit hervor, die immer häufiger vorkommt und die der Maler besonders lieb gewinnen wird. Caravaggio sucht seine Eingebung insbesondere bei Bernardino Butinone (1450 bis 1507) und an dessen Motiv, das an die Heilige Anna im Kreise ihrer Familie erinnert. In vielen seiner Bilder findet man auch die Enge des an die Bilder der alten Mailänder Schule erinnernden Bildausschnitts wieder, was wiederum beweist, dass der junge Caravaggio nur eine begrenzte Anzahl von Quellen zur Verfügung hatte. Dies trieb ihn dazu, sich seinen Weg hin zu der Freiheit zu bahnen, nach der er sich schon als Kind sehnte.

Man kann beobachten, dass der junge Künstler sich zwar dem Porträt zuwandte, jedoch gleichzeitig – wie es seine Jugendwerke belegen – eher von der wirklichkeitsnahen Darstellung von Genremotiven angezogen war, deren hoheitlicher Stil ihn bereits von seinen Zeitgenossen unterschied. Betrachtet man die Bilder seiner Lehrherren, so ist anzunehmen, dass die Ermutigungen eines Gaudenzio Ferrari und seines mailändischen Nachfolgers Bernardino Lanini ihn zur Nachahmung antrieben.[15] Die in der Kunst der beiden Letzteren angewandte lebhafte Farbgebung findet sich auch in Caravaggios Jugendwerken wieder, er sollte jedoch vor allem durch diesen ästhetischen Eindruck eine besondere, in seinen späteren Werken sehr wichtige Wirkung auslösen.

Der Künstler legte bei der Gestaltung realistischer Personen bereits sehr früh eine größere Zurückhaltung an den Tag als die erwähnten Meister, und er ließ eine Beobachtungsgabe erkennen, wie sie schon auf ähnliche Weise in der Vergangenheit ein anderer lombardischer Künstler bewiesen hatte, nämlich Guido Mazzoni (um 1450 bis 1518) mit seinen Tonskulpturen, insbesondere jene von Santa Anna dei Lombardi[16]. Das Haupt des Nikodemus in der Grablegung in der Galerie im Vatikan weist ebenfalls darauf hin, dass er die durch ihren Naturalismus so markanten Werke dieses Bildhauers ausgiebig studiert hatte. Darüber hinaus war es wahrscheinlich Lanini, der ihm von Venedig erzählte, wohin sich Caravaggio nach vier oder fünf Jahren in Mailand begab.

Knabe mit Fruchtkorb (Detail), um 1593.

Öl auf Leinwand, 70 x 67 cm.

Museo e Galleria Borghese, Rom.

Knabe mit Fruchtkorb (Detail), um 1593.

Öl auf Leinwand, 70 x 67 cm.

Museo e Galleria Borghese, Rom.

 

 

Der Aufenthalt in Venedig

 

Nach einer solchen Vorbereitung war es folgerichtig, dass er in Venedig von den für den Erwerb solcher Grundlagen günstigen Künstlern fasziniert war. Der Ruhm eines Giorgione (1478 bis 1510) und eines kurz zuvor verstorbenen Tizian (um 1477 oder um 1490 bis 1576) strahlte noch; das Talent Paolo Veroneses (1528 bis 1588) fürs Modellieren und die freie Farbgebung des Paris Bordone (um 1500 bis 1578) zogen Caravaggio zwar an, aber vor allem Jacopo Tintoretto (1518 bis 1594) mit seinem künstlerischen Talent faszinierte Merisi.

Der bereits erwähnte Kunsthistoriker Manasse Unger denkt dabei durchaus an Caravaggio, wenn er die Kunst des großen Venezianers in der folgenden Weise charakterisiert:

… [so hat es] … Tintoretto mehr mit dem Kraftmaße der Lebenswirkungen solcher Eigenschaften zu thun, [mit einer] Lebenswucht im Allgemeinen, die er […] mehr summarisch zusammenfasst, […] als die ursächlichen Bedingungen seiner auf diese Art erreichten Wirkung einer nähern Prüfung preis zu geben.“[17]

 

„Die Nächte, bedrohlich und von Blitzen durchzuckt, mit den flammenden Autodafés und dem zum Himmel steigenden Rauch liegen der Wirkung zugrunde, ganze Teile seiner Bilder liegen im Halbdunkel, andere sind auf geisterhafte Art durch grünliche fahle und lebendige Flecken erleuchtet.“ [18]

Jüngling, von einer Eidechse gebissen, 1593.

Öl auf Leinwand, 65,8 x 52,3 cm.

Longhi Sammlung, Florenz.

Jüngling, von einer Eidechse gebissen (Detail), 1593.

Öl auf Leinwand, 65,8 x 52,3 cm. Longhi Sammlung, Florenz.

Jüngling, von einer Eidechse gebissen (Detail), 1593.

Öl auf Leinwand, 65,8 x 52,3 cm. Longhi Sammlung, Florenz.

Knabe beim Schälen einer Frucht (Kopie),

um 1592-1593. Öl auf Leinwand, 75,5 x 64,4 cm.

Privatsammlung, Rom.

 

 

Die lebhafte Farbgebung in den Werken Gaudenzio Ferraris und seiner Nachfolger, die Caravaggio so fasziniert hatte, verführte ihn ebenso in Tintorettos Gemälden. Daher bemühte er sich in seinem Matthäus-Zyklus für die Kirche San Luigi dei Francesi umso entschlossener, eine noch tiefere Wirkung zu erreichen. Wenn es bei Tintoretto der Gleichklang aller stimulierenden Werte als Ausdruck eines starken Gefühls auf der Ebene der Mimik war, was so offensichtlich den Moment der Einheit in seinen Werken ausmachte, so versuchte Caravaggio voller Faszination, ihn sich anzueignen, wenngleich ihn seine Begabung für das Modellieren nie zu der packenden Erzählweise antrieb, die der venezianische Künstler so bemerkenswert beherrschte.

Man vermutet, dass Caravaggio nach dem Verlassen der lombardischen Hauptstadt gegen 1585 in Venedig, dessen künstlerischer Einfluss entscheidend sein sollte, ankam[19]. Wenn zwar auch nichts mit Sicherheit seine Ankunft in Venedig belegt, so gibt es doch keinen Zweifel darüber, dass der Tod seiner Mutter in diesen Jahren seine Reiseabsichten nur verstärken konnte. Eine von Federigo Zucchero gemachte und von Giovanni Baglione (um 1566 bis 1643) überlieferte Bemerkung über Caravaggio weist uns darauf hin, dass insbesondere Giorgio Barbarelli, genannt Giorgione, den jungen Künstler aus Bergamo fasziniert hat. „Ich kann sie nicht ohne den Einfluss von Giorgione sehen“ sagt der berühmte Manierist der römischen Schule in Bezug auf Caravaggios Gemälde in San Luigi dei Francesi[20], eine Einschätzung, die auf die betreffenden Bilder kaum zutreffen kann, erkennt man doch darauf nicht nur mehr den venezianischen Einfluss, sondern bereits den dem Caravaggio eigenen Stil.

In den Künstlerkreisen Roms jedoch glaubte man zu dieser Zeit, dass der lombardische Maler enge Verbindungen zu Venedig unterhielt. In jener Zeit ging dieser einfühlsame Künstler ganz auf im Zauber der venezianischen Malerei, die damals ihren Höhepunkt erreicht hatte. In den Porträts der Künstler, die er bewunderte, hatten diese Maler versucht, ihre Bildinhalte durch deren große Dimensionen auf einem beschränkten Hintergrund besser zu charakterisieren – man denke besonders an die Männerporträts von Giorgione in Berlin und Braunschweig[21] und an das Porträt eines jungen Mannes von Francesco Torbido (1482 bis 1562) in der Pinakothek in München[22]. Caravaggio übertrifft sie, indem er ihnen eine Art gigantische Dimension verleiht, die über das verwandte Bestreben hinausgeht, das man bei Torbido und bei Giorgione findet. Die von den venezianischen Malern vorgezogene Idee der reinen Betrachtung ist damit übertroffen.

Nach Eisenmann ist eine Judith, die sich früher in der Sammlung La Motta in der Gegend von Treviso befand, nunmehr jedoch vermutlich in einer englischen Privatsammlung zu finden ist, ebenfalls in Caravaggios venezianische Periode einzuordnen. Der Kunsthistoriker Gustav Friedrich Waagen (1794 bis 1868), obwohl gerade er besonders gut über die Sammlungen informiert ist, erwähnt dieses Gemälde nicht. Sicher ist aber, dass um 1597/1598 eine Judith und Holofernes gemalt wurde, die sich zur Zeit im Palazzo Barberini in Rom befindet. Nach Baglione soll Caravaggio danach eine Judith für die Signori Costi in Rom gemalt haben. Es ist nicht bekannt, ob es sich um dieselbe handelt, aber wie dem auch sei, eine andere Judith wurde ein paar Jahre später, 1607, gemalt und befindet sich zur Zeit in Neapel. Es soll sich allerdings um eine Kopie handeln.

 

Reise nach Rom

 

Ein paar Jahre später begibt sich Caravaggio im Alter von etwa zwanzig Jahren nach Rom, wo er, zweifellos auf Vermittlung seines bereits in Rom wohnenden Onkels, bei einem Hausherrn von bescheidenem Lebenswandel unterkommt, dem ehrwürdigen Pandolfo Pucci de Recanati, einem Verwandten des Monsignore Pucci, dem Benefiziär der Basilika Sankt Peter in Rom. Aus den Unterlagen des Historikers Wolfgang Kallab (1875 bis 1906) geht hervor, dass er dort bequem lebte, sich jedoch über bestimmte Aspekte des häuslichen Lebens beklagte, insbesondere über die Mahlzeiten, zu denen er Salat und Endivien als Vorspeise, Hauptgericht und Nachtisch serviert bekam. Teilweise deshalb verließ er nach einigen Monaten das Haus Pandolfo Puccis, den er mit dem Spottnamen „Monsignore Insalata“ belegte. Aus der Lektüre der Dokumente geht auch hervor, dass der Gastgeber bei dem jungen Schaffenden einige Bilder zu religiösen Themen bestellte, die er seiner Geburtsstadt zudachte. In dieser Zeit wurde Caravaggio krank, und da er über keinerlei Zahlungsmittel verfügte, wurde er im Hospital de la Consolazione aufgenommen, wo er im Verlauf seiner Genesungszeit zahlreiche Bilder für den Prior malte.

Die in der Lagunenstadt gemachten Erfahrungen hatten auf Caravaggio einen solchen Einfluss, dass er noch in Rom die Erhabenheit des Stils der venezianischen Meister beibehielt. Caravaggio wurde 1593 in dem gut gehenden Atelier des Malers Giuseppe Cesari d’Arpino, genannt Cavalier d’Arpin (1568 bis 1640), aufgenommen, und darin lagen der Zweck und die Wirkung seiner Lehrjahre in dessen Atelier. In seinem Werk bestätigt uns Baglione, dass „… er für einige Monate bei dem Cavalier Giuseppe d’Arpino blieb.“[23] Caravaggio wandte sich gezielt an ihn, um in die künstlerischen Kreise in der Ewigen Stadt Zugang zu finden. Der Cavalier d’Arpin hinterließ Fresken in La Trinità de Monti, in der Kapelle des Palazzo di Monte Cavallo – und sein bestes Werk – in der Kapelle Olgiati San Prassede. Was die Contarelli-Kapelle in San Luigi dei Francesi betrifft, wo er die Arbeiten begonnen hatte, so sollte er in Caravaggio seinen Nachfolger finden[24].

Sein Meister war selbst die meiste Zeit damit beschäftigt, Fresken auszuführen und versuchte, seinem Schüler diese vergleichbar weniger großartige Seite der römischen Kunst zu vermitteln, aufgrund derer Caravaggio seine Ausdrucksmöglichkeiten erweitern und vertiefen sollte. Caravaggios Werke zeigen in der Tat, dass er für die Ratschläge der erwähnten und für die Werke anderer einen oft heterogenen Stil anwendenden Künstler nicht taub war. So studierte er einerseits ernsthaft die Kunst der Antike und imitierte Michelangelo, andererseits bediente er sich eines Reklameschilds für einen Parfümhändler, das sein Freund Angelo Franciabigio (1482/1483 bis 1525) entworfen hatte, um damit die Genremalerei[25] weiter zu entwickeln, wie wir es bei der Wahrsagerin (Abbildung 1, 2) sehen können.

Ekstase des Heiligen Franziskus, um 1594-1595.

Öl auf Leinwand, 92,5 x 128 cm. Wadsworth Atheneum

Museum of Art, Hartford (Connecticut).

Die Falschspieler, um 1594.

Öl auf Leinwand, 94,2 x 130,9 cm.

Kimbell Art Museum, Fort Worth.

Die Falschspieler (Detail), um 1594.

Öl auf Leinwand, 94,2 x 130,9 cm.

Kimbell Art Museum, Fort Worth.

 

 

Dennoch hatte der Cavalier d’Arpin mit seinem eher allgemeinen Stil außer einem Hang für das Grandiose dem aus dem Norden des Landes gekommenen Maler praktisch nichts zu vermitteln. Dennoch galt Giuseppe Cesari damals als einer der einflussreichsten Künstler in Rom. Auch hier kann man sich vorstellen, dass ein Gönner, wer auch immer das gewesen sein mag, Caravaggio eine Empfehlung ausgestellt hatte, damit er in das prestigereiche Atelier aufgenommen wurde. Während sich der Cavalier d’Arpin den Fresken hingab, widmete sich Caravaggio, wie es bei Baglione klar hervorgeht, in erster Linie der Ölmalerei[26]. Mit anderen Worten, Caravaggio wurde angestellt, um „Blumen und Früchte“ zu malen.

Das in der Lombardei sehr beliebte Stillleben begann, sich zu einer sehr realistischen Darstellung hin zu entwickeln, in der jedes Detail so hervorgehoben wurde, als ob es durch eine optische Linse vergrößert wäre. Sicher ist, dass in Caravaggios frühen Werken die Darstellung natürlicher Elemente vorherrscht: Knabe mit Fruchtkorb (1593/1594), Knabe beim Schälen einer Frucht oder Fruchtkorb (1596). Wenn die Sinnlichkeit dieser beiden Knaben auch offensichtlich ist, so scheint die Tatsache, dass einige Kritiker sie als Loblied auf die Homosexualität ausgelegt haben, etwas übertrieben und etwas vereinfachend. Sicher lädt der halb geöffnete Mund die Leinwand mit Erotik. Caravaggio verbarg manchmal eine Botschaft in seinen Bildern. So wurde die Frucht, die das Kind schält, als Bergamotte oder als Bitterorange gesehen, das Symbol der universalen Liebe. Im Mittelalter war es nicht selten, dass Eheleute ein karminrotes Kleid trugen. Erklärt Johann Wolfgang von Goethe (1710 bis 1782) nicht in seiner Farbenlehre: „(Sie repräsentiert) die Farbe der höhern Glut sowie den mildern Abglanz der untergehenden Sonne“[27]. Dieses Bild könnte demnach den Übergang von der Kindheit zum Erwachsenenalter symbolisieren, der bittere Geschmack kündigte das Ende der Unschuld an.

Die Natur war für ihn nicht das so hoch geschätzte schützende und beherrschende höhere Wesen. Sie verlieh ihm keinerlei Gefühl der Begeisterung oder der poetischen Melancholie, sie erfüllte seine Seele nicht mit Freude oder Furcht, sie inspirierte ihn weder zur Verehrung noch zur Meditation, sondern bot ihm lediglich einen Rahmen, eine Bühne für den Auftritt seiner Figuren oder für eine Reihe von Gegenständen, die es auf der Leinwand den grundlegenden Prinzipien der Naturalisten gemäß treu nachzubilden galt. Dabei suchte er seinen eigenen Worten nach „… die Dinge der Natur nachzuahmen“ und dies mit dem Anspruch, den ihn seine lombardischen Meister gelehrt hatten. Hatten wir nicht in diesem Zusammenhang hervorgehoben, was Caravaggio gesagt hatte: „Es kostet ihn ebenso viel Mühe, ein gutes Blumenbild zu machen wie ein Bild mit Figuren“? Diese aus Caravaggios Mund kommende Aussage, so genau sie sein mag, ist nicht frei von Polemik, denn Menschen konnten nach Ansicht der damaligen Meinung nicht mit simplem Obst und Gemüse gleichgesetzt werden. Abgesehen von der pflanzlichen Überfülle dürften die Zeitgenossen Caravaggios von der Wirklichkeitsnähe seiner Werke beeindruckt gewesen sein. Die Sinnlichkeit, die von seinen frühen Bildern ausgeht, prägt den Betrachter und dies schon beim ersten Hinsehen.

Die Musikanten, um 1595.

Öl auf Leinwand, 92,1 x 118,4 cm.

The Metropolitan Museum of Art, New York.

Die Musikanten (Detail), um 1595.

Öl auf Leinwand, 92,1 x 118,4 cm.

The Metropolitan Museum of Art, New York.

Die Wahrsagerin (erste Version), um 1595.

Öl auf Leinwand, 115 x 150 cm.

Musei Capitolini, Rom.

Die Wahrsagerin (zweite Version), um 1595-1598.

Öl auf Leinwand, 99 x 131 cm.

Musée du Louvre, Paris.

 

 

Sein erstes Meisterwerk jedenfalls, die zarte und strahlende Landschaft der Ruhe auf der Flucht nach Ägypten (1594/1596) – auf dem der Stil Giorgiones klar erkennbar ist – beschwört mehr als einfache Sinneseindrücke von der äußeren Welt. Der heitere, sich in den ruhigen Wasserflächen widerspiegelnde Himmel, die zarten Berührungen des Lichts auf der Eiche, der Kirschlorbeer und die weißen Pappeln; die liebevolle Pracht der Schilfrohre mit den schmalen Blättern, die sich um die dreifachen Blätter des Dornengesträuchs winden, all das wurde zusammengetragen, um eine Harmonie zu schaffen, eine Quelle der Schönheit, für die der junge Künstler empfänglich war. Im Übrigen schenkte Caravaggio dem Gesichtsausdruck besondere Aufmerksamkeit, wovon der des Kindes in seinem Bild Jüngling, von Eidechse gebissen (um 1593) zeugt. Die sofortige Reaktion des Knaben und die schmerzhafte Verzerrung seines Gesichts sind von einem Realismus und von einer Wirklichkeitsnähe, die nicht täuschen können und rufen beim Betrachter ein Gefühl hervor. Die Arbeit an der Wiedergabe des Gesichtsausdrucks ist bemerkenswert. Die Intensität des Gefühlten ist vorhanden. Caravaggio wird auch weiterhin unaufhörlich an der Darstellung des Ausdrucks und der Gefühle seiner Protagonisten arbeiten.

Nach Bagliones Notizen finden wir Caravaggio nach ein paar Monaten als Selbstständigen vor – der ein paar mit Spiegel gemalte Selbstporträts anfertigt, deren Zuschreibungen aber in den meisten Fällen von der Kritik angefochten werden[28]. Ein Selbstporträt zum Beispiel wurde in der Folge der in Venedig gesammelten Eindrücke gemalt: warme Farbtöne, eine im Wesentlichen braune Färbung, ein Kragen aus dickem Weiß und die mit weißer Farbe verstärkte Kleidung heben sich sehr kontrastreich ab, die Gesichtszüge zart trotz des „gelassen eingesteckten“ Degens. Die leicht heldenhafte Goldfärbung weist darauf hin, dass das Bild zu Beginn seines Aufenthalts in Rom geschaffen worden war.

Ein anderes Selbstporträt, das früher in der Sammlung des Herzogs von Orléans war, ist zurzeit nicht auffindbar[29]. Es zeigte den Künstler in Bettlerkleidung, fast nur von hinten und mit nur angedeutetem Profil, wie er in einen Spiegel sieht, in dem sich sein nicht ungefälliges, aber gezeichnetes Gesicht spiegelt; neben ihm ein Schädel. Dann malte er, so Baglione, einen Bacchus mit Trauben – „… mit sehr viel Eifer, aber auf eine etwas hölzerne Art“ [30]. Dieses früher unauffindbare Bild wurde 1607 vom Fiskus bei dem Cavalier d’Arpin beschlagnahmt. Es befindet sich nunmehr schon seit vielen Jahren in der Galleria Borghese