Cover

Über dieses Buch:

Was vor langer Zeit geschah, wird erneut zur tödlichen Gefahr … Die Astronomin Katrin Selbach ist auf dem Weg zur Arbeit, als sie sieht, wie sich der bleiche Mond am Himmel blutrot färbt – und direkt vor ihren Augen ein Mann auf brutale Weise getötet wird! Als Katrin ihrem neuen Kollegen davon berichtet, ist Stefan Amlow schockiert: Vor ein paar Tagen ist er Zeuge eines ähnlich grausamen Schauspiels geworden. Purer Zufall … oder steckt mehr dahinter? Katrin und Stefan beschließen, der Sache gemeinsam auf den Grund zu gehen – und bringen sich selbst in tödliche Gefahr!

Über die Autorin:

Corina Bomann, geboren 1974, wuchs in Parchim auf, einem Dorf in Mecklenburg-Vorpommern; heute lebt sie in Berlin. Sie schrieb bereits zahlreiche erfolgreich Jugendbücher und historische Romane. Der ganz große Durchbruch gelang ihr mit dem Buch Die Schmetterlingsinsel, das wochenlang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste stand.

Bei dotbooks veröffentlicht Corina Bomann eBooks, die eine ganz andere Seite ihrer Kreativität zeigen – Mystery- und Horror-Romane, die zu Beginn ihrer Karriere entstanden und die sie für die Neuausgabe überarbeitet hat: Der Fluch der Gräfin, Elixier der Nacht, Die Geliebte des Teufelsritters, Die Zärtlichkeit des Bösen, Das Flüstern der Verdammnis und Die Verlockungen der Dunkelheit.

Die Website der Autorin: www.corina-bomann-buecher.de

Die Autorin im Internet: https://www.facebook.com/corina.bomann

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Überarbeitete eBook-Neuausgabe August 2016

Die ursprüngliche Fassung erschien 2000 unter dem Titel Die Rache des Blutdämons als BASTEI Mitternachts-Roman.

Copyright © der Originalausgabe 2000 Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach

Copyright © der überarbeiteten und mit einem Nachwort versehenen Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/conrado und shutterstock/Undrey

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95520-748-9

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Corina Bomann

Das Verlangen des Dämons

Roman

dotbooks.

Kapitel 1

In dieser Nacht hatte die junge Astronomin Katrin Selbach einen seltsamen, grässlichen Traum.

Mittelalterliche Soldaten zerrten einen in Ketten gefesselten Mann in ein finsteres Verlies. Der Gefangene war blutüberströmt und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, doch in seinen Augen loderte wahnsinniger Hass. Und dieser Hass explodierte in dem Augenblick, als ihm einer der Soldaten zurief: »Jetzt ist es aus mit dir, du verfluchter Blutdämon!«

Der Gefesselte lachte boshaft und brüllte dann so laut, dass die Wände bebten: »Nichts ist aus! Ich werde zurückkehren und Rache üben! Sieben Männer sollen sterben, und durch ihr Herzblut werde ich auferstehen, um ganz Tautenberg zu vernichten!«

Die finstere Drohung hallte wie ein Donnerschlag in Katrin nach. Sie schreckte aus dem Schlaf und starrte schweißüberströmt und mit rasendem Herzen in die Dunkelheit. Was, wenn das nicht nur ein Traum gewesen war, sondern eine dunkle Vorahnung? Ein böses Omen, das sie davor warnte, nach Tautenberg zu gehen?

Tautenberg war die Stadt, in die sie in wenigen Stunden umziehen würde. Sie hatte einen Job in der dortigen Sternwarte angenommen, und auch mit der neuen Wohnung hatte es auf Anhieb geklappt. Alles war bestens gelaufen … Aber nun wurde sie von einem Traum heimgesucht, der ihr die Zerstörung der Stadt prophezeite – und damit die Zerstörung ihrer Zukunft.

Hör auf zu spinnen!, ermahnte sie sich kopfschüttelnd. Du bist eben aufgeregt, nichts weiter. Deshalb phantasierst du dir solch einen Unsinn zusammen.

Katrin tastete nach ihrer Armbanduhr und versuchte zu erkennen, wie spät es war: Viertel nach drei. So früh am Morgen, dachte sie müde und schälte sich dennoch aus ihrem Schlafsack. Nach diesem Alptraum würde sie kein Auge mehr zutun. Da konnte sie auch aufstehen, sich fertig machen und jetzt schon, mitten in der Nacht, nach Tautenberg fahren.

Sie setzte das Vorhaben gleich in die Tat um. Nachdem sie geduscht und sich angezogen hatte, packte Katrin die restlichen Sachen zusammen und schaffte sie zu ihrem Wagen, der vor dem Haus stand. Als sie alles verstaut hatte, ging sie zu ihrem Briefkasten, warf – wie mit der Hauswirtin vereinbart – die Wohnungsschlüssel hinein und verließ das Haus.

Sie hatte sich gerade in ihren silbergrauen Golf gesetzt, als das Handy im Handschuhfach klingelte.

Sie erschrak. Wer ruft mich denn zu dieser Stunde an? Sie holte das Telefon hervor und nahm ab. »Hallo?«, fragte sie in den rauschenden Äther.

Zunächst antwortete niemand. Sie wollte das Telefon schon verärgert vom Ohr nehmen, da hörte sie plötzlich doch etwas. Es war die Stimme eines Kindes, sie klang merkwürdig verzerrt, doch die Worte waren genau zu verstehen. »Hüte dich! Hüte dich vor der Rache des Blutdämons.«

»Wer sind Sie?«, fragte Katrin stirnrunzelnd. Doch da hatte der merkwürdige Anrufer schon wieder aufgelegt. Was war denn das? Sie schüttelte den Kopf und spürte im nächsten Augenblick, wie sich eine Gänsehaut über ihren gesamten Körper legte. Hüte dich vor der Rache des Blutdämons. Und Blutdämon war der Mann aus ihrem Traum genannt worden.

Mit zitternden Händen legte sie das Handy zurück ins Handschuhfach, und während sie sich erneut fragte, ob der Traum nicht doch eine Warnung gewesen sein könnte, startete sie den Wagen und fuhr trotz ihres unguten Gefühls in Richtung Tautenberg.

Kapitel 2

Zu dieser Zeit wirkte die Bundesstraße wie ausgestorben. Gespenstisch schien das bleiche Mondlicht auf den grauen Asphalt, als Katrin in ein kleines Waldstück fuhr.

Fehlt nur noch ein mordlustiger Verrückter, der mit einer Axt auf die Straße rennt und versucht, mir den Kopf abzuhacken, dachte sie mit Galgenhumor. Doch zum Lachen war ihr überhaupt nicht zumute. Dazu beschäftigten sie der Traum und der anschließende Anruf zu sehr. Sie wollte sich einreden, dass alles nur Zufall oder ein böser Scherz gewesen war, doch woher sollte jemand von ihrem Traum wissen? Und wer zum Teufel war dieser Anrufer gewesen?

Eine Antwort fand sie nicht, denn kaum einen Atemzug später erschrak sie ganz fürchterlich.

Gerade als sie in eine kleine Kurve einbog, tauchten vor ihr plötzlich zwei grelle Scheinwerfer auf, die sie entsetzlich blendeten. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte sie, sich zu orientieren – und erkannte, dass ein Fahrzeug mit höllischem Tempo direkt auf sie zuraste!

Aus reinem Reflex heraus riss sie das Lenkrad herum und wich auf die andere Straßenseite aus. Ihr Wagen schleuderte, doch wie durch ein Wunder entging sie dem Zusammenstoß. Haarscharf schrammte der Geisterfahrer an ihr vorbei.

»Idiot!«, schimpfte Katrin laut, nachdem sie ihren Wagen auf dem Grünstreifen zum Stehen gebracht hatte. Mit rasendem Herzen schaute sie sich nach dem Verrückten um, der sie beinahe gerammt hätte. Sie sah gerade noch die Rücklichter des Höllengefährts – bevor es plötzlich von einer grellroten Lichtsäule erfasst und gegen einen Baum geschleudert wurde!

Das beobachten zu müssen, war schon schrecklich genug, doch das Entsetzen wurde noch größer, als sie erkannte, dass das tödliche Licht direkt vom Mond auszugehen schien. Einem Mond, der auf einmal so rot war wie Blut.

Himmel, was ist das? Katrin erstarrte. Woher kommt dieses Rot? Mit weit aufgerissenen Augen beobachtete sie das grässliche Schauspiel; das rote Licht lähmte sie regelrecht und machte es ihr unmöglich, auszusteigen und dem Verunglückten zu Hilfe zu eilen. Dieser Zustand hielt einen Moment lang an, bis das unheimliche Licht wieder verschwand. Erst dann konnte sie sich rühren.

Am ganzen Leib zitternd, schaltete sie die Warnblinkanlage ein und lief zur Unfallstelle. Dort bot sich ihr ein Bild des Grauens: Der Wagen – ein hellblauer BMW – hatte einen alten Kastanienbaum gerammt, die Motorhaube des Autos war völlig zusammengedrückt.

Hinter der gesplitterten Frontscheibe entdeckte Katrin einen reglosen Mann. Sein Kopf lag auf dem Airbag, und er schien auf den ersten Blick unverletzt. Um ihm zu helfen, trat sie näher an das Fahrzeug heran. Da stach ihr der Geruch von auslaufendem Benzin in die Nase.

Hoffentlich fliegt das alles hier nicht gleich in die Luft. Sie spürte, wie sich ihre Nackenhärchen sträubten. Wenn doch, konnte man ihre Asche wohl nur noch in eine Sanduhr füllen.

Aber sie musste den Mann doch retten! Todesmutig öffnete sie die Fahrertür, und im selben Augenblick sackte ihr der Fahrer leblos entgegen.

Er ist tot!, schoss es ihr durch den Kopf. Mit Grauen sah sie, dass der Mann ein tiefes Loch in der Brust hatte, genau dort, wo das Herz saß. Eine tödliche Verletzung, doch obwohl sie ziemlich groß war, blutete sie kaum.

Merkwürdig, wunderte sich Katrin, während sie ihre ganze Kraft aufbot, um den ziemlich großen Mann aus dem Wagen zu zerren. Sie hatte zwar noch nie einen so schweren Unfall gesehen, doch bei dieser Verletzung müsste eigentlich alles voller Blut sein. Egal – erst einmal weg von dieser Zeitbombe!

Mit zusammengebissenen Zähnen setzte sie ihre Anstrengungen fort. Nachdem sie es endlich geschafft hatte, den Mann außerhalb der Gefahrenzone auf den Boden zu legen, rannte sie zu ihrem Auto, holte das Handy und wählte den Notruf.

Die Frau von der Leitstelle versprach ihr, sofort einen Rettungswagen zu schicken. Hoffentlich, dachte Katrin, als sie auflegte. Sie hatte plötzlich Angst. Sie war allein mit einem Toten, und der Mond, der jetzt wieder so unschuldig das Waldstück beleuchtete, erschien ihr plötzlich feindselig. Warum war er plötzlich rot geworden und hatte diese unheimliche Lichtsäule ausgeschickt? Sie legte den Kopf in den Nacken und blickte zum Himmel. Es war ein Rätsel. Es stand doch keine Mondfinsternis an. Und außerdem – wovon hatte der Mann dieses tiefe Loch in der Brust? Von dem unheimlichen Licht etwa? Die Fragen rasten wie tollwütige Bestien durch ihren Verstand. Wie lange, wusste sie nicht, doch schließlich hörte sie mit Erleichterung, dass sich der Rettungswagen näherte.

***

»O mein Gott, was ist das?«, rief der Notarzt, als er den Toten zu Gesicht bekam. Katrin erschauerte. Obwohl sie etwas abseitsstand, bekam sie alles mit und beobachtete mit einem leichten Frösteln, wie der Arzt mit seiner Untersuchung begann. Er zerschnitt das Hemd des Mannes, um das ganze Ausmaß der Verletzung einschätzen zu können, dann schüttelte er resigniert den Kopf. »Da ist nichts mehr zu machen«, sagte er schließlich betroffen und erhob sich. »Gibt es noch weitere Verletzte?«

»Anscheinend nicht«, antwortete einer der Sanitäter, während er den Toten mit einer schwarzen Folie zudeckte. »Die junge Frau dort drüben scheint unverletzt zu sein – jedenfalls sagt sie das.«

Der Arzt nickte und kam dann zu Katrin, die sich an einen Baum gelehnt hatte. »Guten Morgen, ich bin Dr. Hagenbeck«, hörte sie ihn sagen.

»Katrin Selbach«, stellte sie sich vor und drückte seine Hand.

»Waren Sie an dem Unfall beteiligt?«

»Beinahe«, antwortete sie etwas abwesend. »Zum Glück konnte ich noch rechtzeitig ausweichen.« Sie starrte an dem Arzt vorbei auf den zerquetschten Unfallwagen. Mein Gott, wenn ich das nun gewesen wäre. Sie war geschockt und umklammerte frierend ihre Schultern. Dass sie dem Tod so nahe gewesen war, wurde ihr eigentlich erst jetzt richtig bewusst. Und darüber überhörte sie fast die Worte des Arztes.

»Sind Sie doch verletzt?«, fragte Dr. Hagenbeck besorgt.

»Nein«, antwortete sie nach einer Weile und schüttelte den Kopf. Doch das schien ihr der Notarzt nicht abzunehmen. »Soll ich Sie nicht lieber durchchecken?«, hakte er nach und schaute sie prüfend an.

»Nein, Herr Doktor, nicht nötig, mir fehlt wirklich nichts«, wehrte sie ab. »Sagen Sie mir nur – was geschieht jetzt mit dem Toten?«

»Sobald die Polizei den Unfall aufgenommen hat, wird er von einem Leichenwagen abgeholt.« Kaum hatte er das gesagt, ertönte auch schon die Polizeisirene. Ein Streifenwagen näherte sich der Unfallstelle. Wenig später kamen zwei übernächtigt wirkende Polizeibeamte auf sie zu.

»Was ist denn hier passiert?«, fragte der ältere der Beamten, ein Mann mit schwarzen Haaren und einem graumelierten Schnurrbart.

»Nun, das sollten Sie die junge Dame hier fragen«, antwortete der Notarzt, der schon auf dem Weg zu seinem Einsatzfahrzeug war. »Sie wird das am besten wissen. Bleibt nur noch zu klären, was die eigentliche Todesursache ist.«

Katrin schaute ihm nach. Der Arzt zweifelt, dachte sie beunruhigt. Er fragt sich auch, wer oder was den Mann getötet hat. Der Polizist begann indes mit der Befragung. Zunächst wollte er ihren Namen und ihre Anschrift wissen, dann fragte er nach dem Unfallgeschehen.

»Wann ist es passiert?«

»Vor ein paar Minuten.« Sie schaute auf ihre Armbanduhr. »Es mag kurz nach vier gewesen sein.«

»Können Sie etwas über den Unfallhergang aussagen?«, fragte der Polizist weiter, als gerade ein paar Meter entfernt der Leichenwagen stoppte und zwei schwarzgekleidete Herren ausstiegen.

Katrin erschauerte. Sollte sie ihm sagen, was passiert war? Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete sie, wie der Tote in eine Kunststoffwanne gehoben wurde. Der Polizist würde ihr wohl kaum abnehmen, dass der Mond den Wagen mit einem Lichtstrahl beschossen hatte. Das glaubte sie ja selbst kaum.

»Frau Selbach?«, fragte der Beamte nach.

Sie schreckte aus ihren Gedanken. »Ja?«, fragte sie etwas verwirrt, fasste sich aber sogleich wieder. »Entschuldigen Sie bitte, ich war mit den Gedanken gerade woanders.« Sie rieb sich mit der Hand über die Augen und begann mit der Schilderung der Schrecksekunden. »Ich fuhr gerade um die Kurve, als er auf mich zugerast kam. Eigentlich habe ich nur reagiert. Ich bin ausgewichen, und dann habe ich gesehen, dass …« Sie biss sich auf die Zunge. Um ein Haar wäre ihr die Sache mit der Lichtsäule rausgerutscht.

»Was haben Sie gesehen?«

»Ich habe gesehen, dass … dass der Wagen an den Baum gefahren ist«, stammelte Katrin, atmete tief durch und blickte den Polizisten erschöpft an.

Der Beamte hatte ein Einsehen mit ihr. »Gut, das wär’s erst einmal«, sagte er und schloss seine Notizen. »Wo können wir Sie erreichen, wenn wir noch Fragen haben?«

»In Tautenberg«, antwortete Katrin, froh darüber, die Befragung fürs Erste hinter sich zu haben. »Ich arbeite in der Sternwarte – oder besser gesagt, ich fange dort heute an.«

»Dann hoffe ich, dass der Rest des Tages besser für Sie verläuft«, meinte er. »Glauben Sie wirklich, dass Sie fahren können?«

»Ja, es geht schon«, entgegnete sie und schritt, ohne sich noch einmal nach der Unfallstelle umzuschauen, zu ihrem Wagen.

An den Traum und den mysteriösen Anruf dachte sie in diesem Moment nicht.

Kapitel 3

Katrin erreichte Tautenberg, als die Sonne schon hell über den Dächern stand. Der Anblick der morgendlichen Stadt versöhnte sie ein wenig, obwohl ihr der Schreck noch immer in den Gliedern saß. Was hast du? Es ist doch noch mal gutgegangen, sagte sie sich und fuhr an alten Fachwerkhäusern vorbei in Richtung Stadtrand. Dort hatte sie ihre Wohnung in einem neunstöckigen Hochhaus. Die Umgebung war zwar nicht besonders romantisch – eine Tankstelle und ein Baumarkt lagen direkt daneben –, doch die Miete niedrig. Genau richtig für eine Astronomie-Studentin mit frischem Abschluss, die erst mit dem Geldverdienen anfing.

Am Haus angekommen, stieg Katrin aus dem Wagen, öffnete den Kofferraum und holte eine Kiste mit Geschirr heraus – das laut klirrte, als sie es aus dem Auto hob und versuchte, unbeschadet damit zu ihrer Wohnung zu gelangen. Sie hatte gerade die ersten beiden Treppen erklommen – ihre Wohnung lag im fünften Stockwerk –, als sie plötzlich mit jemandem zusammenstieß. Katrin verlor beinahe das Gleichgewicht, taumelte zur Seite, und die Kiste landete mit lautem Klirren auf den steinernen Treppenstufen. Auch das noch! Sie fühlte, wie Wut in ihr hochkochte. »Verdammt noch mal, haben Sie keine Augen im Kopf?«, rief sie zornig.

Eine sanfte Männerstimme ertönte. »Bitte entschuldigen Sie, ich habe Sie in meiner Eile gar nicht gesehen.«

Ein dunkelblonder Mann streckte seine Hand aus, um ihr aufzuhelfen. »Das war Geschirr, nicht wahr?«

»Nein, mein Nachttopf!«, giftete Katrin und bückte sich nach der Kiste.

»Es tut mir wirklich leid«, sagte der Mann und hob beschwichtigend die Hände. »Ich bezahle Ihnen den Schaden. Sie müssen wissen, ich habe verschlafen und muss zur Arbeit. Gleich fährt mein Bus. Ich habe Sie wirklich nicht absichtlich umgerannt.«

»Das will ich stark hoffen«, entgegnete Katrin. Mit einem Schulterzucken schüttelte sie die Kiste. Alles Bruch, dachte sie resigniert. Aber was soll’s davon, dass ich mich aufrege, wird es nicht wieder heil. »Scherben bringen Glück – heißt es zumindest.« Sie musste lächeln. »Dank Ihnen werde ich wohl von nun an nur noch Glück haben.«

»Das hoffe ich für Sie«, sagte der Mann und reichte ihr die Hand. »Mein Name ist übrigens Stefan Amlow.«

»Katrin Selbach.«

»Wohnen Sie hier?«

»Im fünften Stock.«

»Na, so ein Zufall – dann sind wir ja Nachbarn!«, rief der Mann bereits wieder im Laufen. »Ich melde mich heute Abend wegen des Geschirrs.« Und noch ehe Katrin etwas entgegnen konnte, war er auch schon verschwunden.

***

Kaum eine Viertelstunde später fuhr sie auf den Parkplatz der Sternwarte. Das graue Gebäude fiel ihr sofort auf. Soweit sie erkennen konnte, war es auf den Resten eines alten Fundaments erbaut worden: schwere Feldsteine, grob miteinander verfugt – wie es bei alten Kirchen üblich gewesen war. Und noch etwas war auffällig, etwas, das sie nicht sehen, aber ganz deutlich spüren konnte. Eine seltsame Aura umgab das Haus und jagte ihr trotz des warmen Juniwetters einen kalten Schauer über den Rücken.

Es wirkt wie ein Geisterhaus,