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YNGRA WIELAND

 

ELTERNRATGEBER


- KINDER SELBSTBEWUSST BEGLEITEN

- WIE ELTERN DIE "COPY-PASTE-FALLE VERMEIDEN

 

 

Ratgeber


Ein Buch aus dem FRANZIUS VERLAG

 

Buchumschlag: Jacqueline Spieweg

Korrektorat/Lektorat: Petra Liermann

Verantwortlich für den Text in Inhalt und

Form ist die Autorin Yngra Wieland

Satz, Herstellung und Verlag: Franzius Verlag GmbH

Druck und Bindung: SDL, Berlin

 

ISBN 978-3-96050-018-6

 

2. Auflage

 

Alle Rechte liegen bei der Franzius Verlag GmbH

Hollerallee 8, 28209 Bremen

 

Copyright © 2017 Franzius Verlag GmbH, Bremen

www.franzius-verlag.de

 

 

 

 

 

 

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

 

 

 

 

 

 

 

Das Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung und Vervielfältigung des Werkes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und straf-bar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks und der Übersetzung, sind vor-behalten. Ohne ausdrückliche schriftliche Erlaubnis des Verlages darf das Werk, auch nicht Teile daraus, weder reproduziert, übertragen noch kopiert werden, wie zum Bei-spiel manuell oder mithilfe elektronischer und mechanischer Systeme inklusive Fotokopieren, Bandaufzeichnung und Datenspeicherung. Zuwiderhandlung verpflichtet zu Schadenersatz. Alle im Buch enthaltenen Angaben, Ergebnisse usw. wurden vom Autor nach bestem Wissen erstellt. Sie erfolgen ohne jegliche Verpflichtung oder Garantie des Verlages. Er übernimmt deshalb keinerlei Verantwortung und Haftung für etwa vorhandene Unrichtigkeiten.

 

Inhaltsverzeichnis

 

Besonderer Dank

1. Huhn statt Ei – Worum geht ´s hier eigentlich?

2. Unterwegs – Schwangerschaft und Geburt

3. Versuch und Irrtum – Die ersten drei Monate

4. Ankommen und Aufwachen – Drei Monate bis ein Jahr

5. Abhängigkeit und Eigeninitiative –Ein bis drei Jahre, 1. Teil

6. Ich und die anderen – Ein bis drei Jahre, 2. Teil

7. Boxenstopp – Das eigene Innere Kind heilen

8. Der Horizont wird weiter – Drei bis sechs Jahre, 1. Teil

9. Die Sache mit dem Zorn – Drei bis sechs Jahre, 2. Teil

10. Der Ernst (!!!) des Lebens – Sechs bis zehn Jahre, 1. Teil

11. Die Macht der Ordnung – Sechs bis zehn Jahre, 2. Teil

12. Mama, kannst du mir bitte keinen Tee kochen? – 10 bis 13 Jahre

13. Vom Festhalten und Loslassen – 14 bis 18 Jahre

Die wichtigsten Grundsätze, um ein Kind gut zu begleiten

Stimmen von Klientinnen und Klienten

Eure Kinder sind nicht eure Kinder

DANKE!!!

Über die Autorin

Weitere Veröffentlichungen der Autorin

Veröffentlichungen des Franzius Verlages:

 

Besonderer Dank

 

Besonderer Dank gebührt Manuela Fruhstorfer – danke für deinen praktischen Input, deine klugen Anregungen, deine Zweifel und deine Kritik.

 

1. Huhn statt Ei – Worum geht ´s hier eigentlich?

 

»... wir brauchen Menschen, die die Väter immer wieder daran erinnern, wie schwer es ist, ein bewusster Vater zu sein und Menschen, die die Frauen daran erinnern, wie schwer es ist, eine bewusste Mutter zu sein.«

Robert Bly, Eisenhans

 

Selbstbewusst

 

Sie haben sich diesen Ratgeber gekauft. Das könnte bedeuten, dass Sie bereits eine ungeklärte Situation mit Ihrem Kind oder Ihren Kindern haben oder gut vorbereitet sein wollen, da Sie ein Kind erwarten.

Glückwunsch!

Warum? Nun, Sie holen sich Hilfe, anstatt dem Irrtum aufzusitzen, Sie müssten alleine mit der Aufgabenstellung fertig werden. Außerdem gehören Sie offensichtlich zu den Müttern oder Vätern, die sich Gedanken um den Umgang mit ihren Kindern machen und die die gröbsten Schnitzer vermeiden möchten. Vertrauen Sie darauf, dass Sie auf dem Weg sind, das Richtige für Ihr Kind zu tun. Das ist schon die halbe Miete.

Wir haben Fitnessberater, Schönheitsberater, Ernährungsberater, Steuerberater, Versicherungsberater, Welpentrainer und Katzenpsychologen, brauchen für alles und jedes eine Prüfung, eine Lizenz, einen Schein, doch bei dem Umgang mit unseren Kindern wird vorausgesetzt, dass jeder das von Natur aus kann.

Es gibt Schwangerschafts- und Geburtsvorbereitungskurse, aber keine »Wir-werden-bald-ein-Kind-haben-wie-gehen-wir-damit-um«-Workshops. Junge Frauen sitzen bei mir in der Praxis, wünschen sich Kinder. Und haben riesige Angst, Fehler zu machen; dem Druck von außen nachgeben zu müssen, dem eigenen Gefühl zu misstrauen, ungenügend zu sein und dem Kind keinesfalls gerecht werden zu können.

 

Ein Kind braucht, um unter den bestmöglichen Bedingungen aufwachsen zu können, vor allem emotionale Geborgenheit und die Fähigkeit der Eltern, seine Gedanken, Absichten, Gefühle und Persönlichkeit zu erfassen und zu verstehen. Jedes Kind hat seine eigene Persönlichkeit und braucht Eltern, die diese erkennen, akzeptieren und unterstützen. Wenn Eltern die Bedürfnisse ihrer Kinder wahrnehmen und entsprechend darauf reagieren können, haben Kinder die besten Möglichkeiten, sich im Leben zurecht zu finden, unabhängig von Bildung, der gesellschaftlichen Schicht und auch materiellen Verhältnissen.

Der Wunsch, gute Eltern zu sein, setzt voraus, dass wir bereit sind, bei uns selbst zu beginnen. Der erste Schritt ist die Bewusstwerdung beider Eltern oder des erziehenden Elternteils. Wenn Eltern, am besten werdende Eltern, diesen Weg gehen, gewinnen sie im Ganzen, im Prozess der Bewusstwerdung: Die eigenen Blockaden und Verletzungen werden reflektiert und können heilen, das Kind profitiert in seiner Entwicklung und es gelingt die angestrebte gute Beziehung zwischen Eltern und Kind, eine Entspannung in der Familie, also eine win-win-Situation.

 

Wir Eltern reagieren im Umgang mit den Kindern meist unbewusst, geformt von unserer eigenen Erziehung, den Prägungen unserer Vorfahren, auf der Basis unserer Lebensmotive und unseres eigenen Charakters. Die unbewältigten und unbewussten Erlebnisse und Gefühle aus der Kindheit gestalten unser Erwachsenendasein und unseren Erziehungsstil. Daher ist es zunächst einmal Voraussetzung, das eigene Verhalten zu reflektieren. Es ist essentiell, übernommene Muster und Glaubenssätze, also unbewusst übernommene Anschauungen anderer, zu erkennen und, falls sich diese als hinderlich in Bezug auf unser Verhalten und unser Leben erweisen, aufzulösen. Manchmal erhält man im Verlauf dieses Prozesses Geschenke in Form blitzartiger Erkenntnisse über das Entstehen dieser eigenen Verhaltensmuster, die helfen, besser mit uns selbst und unseren Kindern umzugehen. Manchmal dauert es ein bisschen länger, manchmal braucht es einen Impuls von außen. Haben Sie Geduld mit sich und gehen Sie liebevoll mit sich um. Wenn Sie gut für Ihr Kind – und übrigens auch für Ihren Partner oder Ihre Partnerin – sein wollen, müssen Sie sich zunächst selbst als den wichtigsten Menschen in Ihrem Leben annehmen.

 

Zeitgeist

 

Die Entwicklung Ihres Kindes ist ein ganzheitlicher Prozess, bei dem die eigene Persönlichkeit, die Prägung durch die Eltern, das Familiensystem und die Umwelt zusammenwirken.

In der Nachkriegszeit waren Disziplin und Durchhaltevermögen Werte, auf die »man« achtete. Dann kam das Wirtschaftswunder und mit ihm neuer Reichtum. Mehr denn je regieren heute Gott Konsum und Göttin Leistungsdruck in jedem Lebensbereich unsere Gesellschaft. Die Emanzipation brachte den Frauen sowohl tatsächliche als auch trügerische Freiheit und zeigt sich heute leider auch in dem erdrückenden Erbe der Dreifachbelastung vieler Frauen. Anstatt Kinder, Küche, Kirche heißt es jetzt Kinder, Küche und Karriere und in jedem dieser Lebensbereiche will frau perfekt sein.

Alle diese gesellschaftlichen Umstände wirken auf uns ein, selbst wenn es beim Einzelnen kein Bewusstsein dafür gibt.

Die Männer haben es keineswegs leichter. Früher war ihre Rolle klar definiert, sie brachten das Mammut oder, etwas später, den Mammon nach Hause. Heute sollen sie massenhaft Geld verdienen, den Müll rausbringen, ins Fitnessstudio gehen, zuhören und ein Frühbeet im Kindergarten anlegen. Darüber hinaus haben sie in den meisten Bereichen ernsthafte Konkurrenz bekommen. Frauen können Reifen wechseln, den Schlagbohrer bedienen, Finanzmanagerinnen sein, Flugzeuge fliegen, Tische hobeln und Bundeskanzlerin werden. Selbst die Befruchtung kann ohne Männer vonstatten gehen.

All das führt bei vielen Männern zu tiefer Verunsicherung. Nun wird in diese Verhältnisse hinein ein Kind geboren. Jedes Kind bringt seine eigene Geschichte und seine individuelle Lebensaufgabe mit. Jedes Kind wird von seinem Umfeld und der Gesellschaft beeinflusst. Jedes Kind wird von der Tradition und der Geschichte seiner Herkunftsfamilie geprägt.

 

Zu viel oder zu wenig

 

Viele Kinder zeigen früh auffälliges Verhalten in Bezug auf ihr Essverhalten, im Umgang mit ihren Spielkameraden, sie rauchen und trinken weit über das »Ausprobieren« hinaus. Bei zahlreichen Jugendlichen gibt es Hinweise auf psychische Auffälligkeiten wie Ängste, Zwänge, Depressionen oder Störungen im sozialen Kontakt. Der Nährboden dazu liegt im konfliktreichen und ungeklärten Familienklima, Zeitmangel und Desinteresse, Egoismus oder Materialismus der Eltern. Viele Kinder gehen ohne Frühstück und ohne Pausenbrote aus dem Haus, sie müssen selbstständig für ihr Mittagessen sorgen, in vielen Familien gibt es kein regelmäßiges, gemeinsames Familienessen, geschweige denn andere Familienrituale.

Das andere Extrem erfahren Kinder, die übermäßig beeltert werden. Überelterung bedeutet, dass den Kindern alles abgenommen wird und sie keine Möglichkeit haben, eine altersgemäße Herausforderung zu erleben, die sie aus eigener Kraft bewältigen können. Überbeelterte Kinder haben schlechtere Chancen, ein gesundes Selbstvertrauen zu entwickeln.

Es ist kein Wunder, dass sich die beiden genannten Lebensumstände gleichermaßen ungünstig auf Kinder und Jugendliche auswirken.

Wenn ein Kind mit körperlicher oder seelischer Auffälligkeit reagiert, ist das zuerst einmal eine Reaktion auf die nächsthöhere Ebene im Familiensystem, also die Eltern. Treten Probleme mit einem Kind auf, braucht es in vielen Fällen zunächst eine Veränderung im Verhalten der Erwachsenen im Umgang mit dem Kind. Als Eltern geraten wir an unsere Grenzen, wenn und weil wir unseren eigenen Reaktionen ausgeliefert sind und sie als unkontrollierbar empfinden. Wir sind unbewusst in unseren Verhaltensmustern und Prägungen verstrickt.

 

Hilfe zulassen

 

Warum lesen Sie diese Zeilen? Vermutlich, weil Sie das Beste für Ihr Kind wollen und manchmal keine Ahnung haben, was und wie Sie es richtig machen sollen, weil Sie vielleicht Ihrer Intuition misstrauen oder verwirrt sind von den unzähligen Rat-Schlägen und Meinungen, die es zum Thema Kindererziehung gibt.

Kinder brauchen Grenzen, Kinder brauchen Regeln, Kinder brauchen Liebe, Kinder brauchen Freiheit, Kinder brauchen und brauchen und brauchen. Bis sie eines Tages von jetzt auf gleich beschließen, erst einmal keine Eltern mehr zu brauchen, auf und davon rennen und uns Eltern mit dem »Leeren-Nest«-Syndrom zurücklassen.

Aber zu diesem Thema kommen wir später. Zunächst brauchen Kinder viel und das ständig. Unterstützung beim Großwerden ist Arbeit! Wenn Sie diese Arbeit jedoch investieren, am besten so früh wie möglich, wird die Begleitung Ihres Kindes zunehmend leichter fallen und Sie können sich höchstwahrscheinlich viel Kummer, schlaflose Nächte, Streit, Stress und Kinderleid ersparen.

Wer Kinder stark für ihr eigenes Leben machen will, kommt keinesfalls daran vorbei, sich seiner Selbst bewusst zu werden und seine eigenen Themen anzuschauen. Das ist eine schwierige und manchmal schmerzhafte Arbeit, die sich jedoch vielfach auszahlt. Was ist erfüllender, als sein Kind selbstbewusst und sicher in die Welt gehen lassen zu können? Abgesehen davon ist es Wellness für die eigene Seele, ohne Altlasten durch das Leben zu gehen. Körperliche Hygiene ist weitgehend selbstverständlich geworden, an Psychohygiene mangelt es an allen Ecken und Enden. Seelenarbeit oder Therapie fällt leider noch viel zu oft in die Kategorie »Ich brauche das nicht, ich bin doch nicht verrückt!«. Wer das Wort Therapie scheut, mag sich vielleicht auf die Begriffe »Coaching« oder »Prozessbegleitung« einlassen, das klingt cool und ist in.

Jeder Erwachsene ist für sich selbst und sein Handeln verantwortlich. Wir leben in einer Zeit, in der sich jeder, Unterstützung und Hilfe holen kann, bei Therapeuten, Coaches, Beratungsstellen oder Selbsthilfegruppen. Viel Unglück für sich selbst und die Kinder kann vermieden werden, wenn Eltern endlich anfangen, sich mit ihren eigenen Themen auseinanderzusetzen.

Kinder spiegeln uns gnadenlos unsere Schwierigkeiten und Schattenseiten, sie konfrontieren uns mit unseren seelischen Problemzonen. Kinder tun das unbewusst, sie legen blind den Finger auf unsere wundesten Punkte.

Sie prüfen ohne Unterlass mit unglaublicher Beharrlichkeit unsere Belastbarkeit und testen, ob wir sie auch dann noch lieben, wenn sie uns an unsere Grenzen bringen.

Im schlechtesten Fall greifen wir in solchen Momenten auf Erziehungs- und Verhaltensmuster zurück, die wir selbst in unserer Kindheit erfahren haben oder wir machen vorsichtshalber alles ganz anders als unsere Eltern, was keineswegs unbedingt besser sein muss. Wir reagieren aus den Gefühlen unseres eigenen, verletzten Inneren Kindes heraus. Das Innere Kind steht symbolhaft für alle bewusst und unbewusst in uns gespeicherten Erinnerungen, Gefühle und Erfahrungen der eigenen Kindheit.

Wenn man dem ganzheitlichen Gedanken folgen will, muss man, um einen Problemkreis innerhalb der Familie zu unterbrechen, die Ursache anstelle des Symptoms verändern, also das Verhalten der Eltern, anstatt das des Kindes, das sich scheinbar falsch verhält.

Wie kann ich von mir selbst verlangen oder voraussetzen, meinem Begleitauftrag in bestmöglicher Form Folge zu leisten, wenn ich meine eigene Vergangenheit in keinster Weise bewältigt habe, wenn mein eigenes Inneres Kind, also der empfindlichste Teil meiner Seele, verletzt ist und wenn ich meine Ängste und blinden Flecken übersehe?

Bereits der Schweizer Psychiater C. G. Jung stellte fest, dass das ungelebte Leben der Eltern einen unermesslich starken Einfluss auf das Seelenleben eines Kindes hat.


Individualisten

 

Probleme entstehen meist, weil wir an den wahren Bedürfnissen und Beweggründen unserer Kinder vorbei handeln. Jedes Kind und jeder Erwachsene ist anders und braucht individuelle Unterstützung und Begleitung. Selbst Geschwisterkinder brauchen unterschiedliche Begleitung, denn jeder Mensch ist ein Individuum und hat seine eigene Prägung, die ihn einzigartig macht, sogar wenn es sich um eineiige Zwillinge handelt.

Jedes Kind hat ein Recht auf individuelle Anleitung, damit es sich in seiner Welt zurechtfindet. Diese Anleitung bedeutet, dem Kind einen Rahmen zu erschaffen, in dem es sich frei entwickeln kann. Das genetische Muster, welches das Kind mitbringt, ist eine Sache, darüber hinaus muss es positive Vorbilder und Anregungen von den Eltern geben und dies setzt die Eigenreflexion der Leitbilder voraus. Die beste Analyse der Persönlichkeit eines Kindes erhalten Sie übrigens bei einem psychologisch geschulten und -orientierten Astrologen in Form einer Horoskopanalyse.

Wenn in Samoa ein Kind psychisch oder physisch krank wird, fragen sich die Familie und die Gemeinschaft: »Was haben wir falsch gemacht, dass diese Störung aufgetreten ist?«

Bei einigen Stämmen der amerikanischen Ureinwohner war es ein Privileg, Kinder zu bekommen, und das Recht dazu konnte einer Frau oder einem Elternpaar, welches seine Kinder vernachlässigte oder sie in irgendeiner Form misshandelte, abgesprochen werden. Wenn eine Mutter ihr Kind körperlich oder seelisch schlecht behandelte, wurde es ihr weggenommen, und diese Frau durfte keine Kinder mehr haben. Die Ältesten wachten so über den Nachwuchs und bestimmten auf diese Weise, wer es durch seine Art zu leben verdient hatte, Kinder zu haben. Kinder waren heilig, ein Geschenk des Großen Geistes. Sie wurden behandelt, als würden sie dem Schöpfer gehören, anstatt den Eltern.

Das ist ein Gedanke, der auch in unserem Leben einen Platz verdient. In unseren Breitengraden wird jedes zehnte Kind geschlagen, in der Mehrzahl in Akademikerfamilien.

 

Unsere Kinder brauchen keine perfekten Erwachsenen, die versuchen alles richtig zu machen, wobei am Ende einzig und allein Überforderung herauskommt. Sie brauchen Eltern, die auch Fehler machen können und diese eingestehen. Gerade die Angst, Fehler zu machen, lässt Erziehung oft gefühllos und steril werden, was Kinder wiederum provoziert, Konflikte herauszulocken. Für Kinder ist es bedrohlich, kein Gefühl dafür vermittelt zu bekommen, woran sie sind. Es ist schwierig für Eltern, das Gleichgewicht zwischen den seelischen Bedürfnissen, den physischen Bedürfnissen nach Sicherheit und Ordnung und dem Bedürfnis nach sozialer Anpassung zu finden. Trotzdem sind es Kinder wert, es zu versuchen – mit der Gewissheit, dass wir als Eltern das Beste geben, was wir können, auf der Basis unserer Persönlichkeit und unserer Geschichte. Ein guter Vater oder eine gute Mutter zu sein, bedeutet keinesfalls, gängige Normen zu erfüllen, sondern ganz genau das zu tun, was gut und richtig für dieses Kind und diese Mutter oder diesen Vater ist. Wer versucht zu gut zu sein, erreicht meistens das Gegenteil.

 

Gebrauchsanweisung

 

Im Laufe dieses Buches lade ich Sie immer wieder dazu ein, Übungen zu machen, um sich selbst und ihrem Inneren Kind näherzukommen. Ich biete Ihnen Fallbeispiele an, um Unbewusstes und bestimmte Dynamiken der Psyche verständlich zu machen. Vielleicht mögen Sie sich ein schönes Heft besorgen, das Sie für die Übungen benutzen und das ein wunderschönes Geschenk für Ihr Kind sein kann, wenn es erwachsen ist.

Wie Sie bereits bemerkt haben, spreche ich Sie in diesem Buch persönlich an. Am liebsten hätte ich das in der Du-Form getan, aber vielleicht ist das dem einen oder der anderen zu nah, daher bleibe ich etwas förmlicher. Bitte seien Sie versichert, dass ich Ihre Leistung, ein Kind zu begleiten, wertschätze. Ich möchte Ihnen mit diesem Ratgeber einen Leitfaden durch die gesamte Kinderzeit ans Herz legen. Wer sich mit sich selbst und seiner Seele beschäftigt, tut keineswegs nur etwas für sich selbst und sein direktes Umfeld. Menschen, die sich ihrer selbst bewusst sind, tragen dieses erhöhte Bewusstsein in die Welt, es zieht Kreise wie ein Stein, den man ins Wasser wirft.

 

Das Wichtigste aus diesem Kapitel:

 

- Sie müssen auf keinen Fall alles alleine schaffen.

- Ein Kind braucht Eltern, die seine individuellen Bedürfnisse erkennen.

- Das Zauberwort heißt Selbstbewusstheit.

 

2. Unterwegs – Schwangerschaft und Geburt

 

In einer idealen Welt würden Paare, bevor sie sich bewusst für ein Kind entscheiden, prüfen, ob es in ihrem Leben Themen gibt, mit denen sie belastet sind und diese Belastungen an das Kind weiterreichen würden.

Sie würden sich darüber im Klaren sein, dass das Kind keinesfalls dazu da ist, die Beziehung zu kitten oder Partner an sich zu fesseln.

Die Paare wüssten, dass das Kind auf keinen Fall geboren wird, um die verpassten Gelegenheiten, die ungelebten Wünsche und die unerfüllten Träume der Eltern zu leben.

Sie wären sich bewusst, dass das Kind ihr Leben und ihre bisher gelebten Werte möglicherweise komplett auf den Kopf stellen wird, Opfer verlangt, sie in unvorhersehbare Situationen bringt und sie würden sich entsprechend vorbereiten.

Falls eine Schwangerschaft geplant wird, ist es gut, im Vorfeld Probleme und Ängste zu lösen. Von Zeit zu Zeit kommen junge Frauen zu mir in die Praxis, um genau das zu tun.

»Ich will frei in die Schwangerschaft gehen, ich will, dass mein Baby unbelastet in mir wachsen kann«, sagen sie.

»Bevor ich ein Kind großziehe, will ich meine Probleme erforschen und in den Griff bekommen und mich erst einmal selbst richtig kennenlernen und verstehen.«

Die Lakota, eine Stammesgruppe der Sioux, sagen, jeder Mensch trage zwei Bündel: ein Bündel der Lasten, eines der Segnung. Es ist sinnvoll, das Bündel der Lasten kleiner zu machen, bevor Kinder kommen. Seien Sie sich darüber im Klaren, dass sich Ihr Blickwinkel auf die Welt verändern wird und dass möglicherweise auch Ihre Werte einer Wandlung unterzogen werden.

 

Übung:

 

Hier sind einige Vorschläge für ein Gespräch zwischen den werdenden Eltern:

 

- Wie bist du erzogen worden?

- Was ist dir davon in positiver Erinnerung?

- Was macht dir bis heute zu schaffen?

- Was möchtest du unbedingt für dein Kind erreichen?

- Wie darf dein Kind auf gar keinen Fall sein? (!)

- Welchen Stellenwert werden die Großeltern haben?

- Welche Werte willst du unserem Kind mitgeben?

 

Vor der Geburt

 

Eine Frau kann während der Schwangerschaft in dem Maße aktiv sein, wie es ihr gut tut. Wichtig ist, dass sie auf ihren Körper hört und ihre Grenzen kennt. Es ist richtig und wichtig, einen Gang herunterzuschalten, sich, wann immer es möglich ist, Ruhe zu gönnen. Vater und Mutter sollen immer wieder Kontakt mit dem Baby im Bauch aufnehmen, es streicheln, mit ihm sprechen. Es ist schön, das Baby zu fragen, wie es heißen möchte und auf die innere Stimme zu hören, die ganz zart oder manchmal auch sehr bestimmt antwortet.

Sollte es Ängste, Sorgen, Nöte geben, ist es wichtig, sich diesen zu stellen und sich Hilfe und Erleichterung zu suchen. In der Schwangerschaft werden Ängste der Mutter und des Vaters zu denen des Kindes, die es dann bereits zusätzlich zu den eigenen Themen in die Welt mitbringt. Der Embryo ist mit dem seelischen Erleben der Mutter verbunden. Der Organismus speichert sowohl traumatische als auch Geborgenheit vermittelnde Erfahrungen dieser Zeit im ganzkörperlichen Zellgedächtnis, was Auswirkungen auf das spätere Verhalten des Kindes hat.

Von Zeit zu Zeit kommen Frauen in meine Praxis, die bereits Kinder haben, aber unglücklicherweise eine traumatische Geburt erleben mussten. Sie wollen dieses Trauma lösen, bevor sie wieder schwanger werden oder weil sie spüren, dass dieses Erlebnis ihre Beziehung zum Kind belastet. Das ist in hohem Maße verantwortungsbewusst und fürsorglich – für die Frauen selbst wie für die ungeborenen Kinder.

Setzen Sie sich mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin zusammen und fragen Sie sich, welche Themen für Sie oder Ihr Kind wichtig werden können.

Was ist sonst noch von Bedeutung während der Schwangerschaft? Bewegung!

Das Ungeborene macht jede Bewegung der Mutter mit und gleicht dabei seine Lage im Mutterleib aus. Es lernt Koordination und schult seinen Bewegungssinn. Bewegt sich die Mutter zu wenig, wird dieser Vorgang nur unzureichend gefördert.

Ab der achtzehnten Schwangerschaftswoche entwickelt sich der Hörsinn. In der Schwangerschaft ist die Mutter gut beraten, sich zu überlegen, welchen Geräuschen sie ihr Kind aussetzt. Lärm bedeutet Stress, das emotionale Erleben ist eng mit dem Hören verknüpft.

 

Bei der Geburt

 

Sollte kein Partner zur Verfügung stehen, um die Frau bei der Geburt zu begleiten, ist es sinnvoll, eine Freundin, eine Schwester, die Mutter, eine Vertraute zu bitten, bei der Geburt dabei zu sein. Es gibt auch die Möglichkeit, sich einer persönlichen Hebamme oder einer Doula anzuvertrauen, die Sie auch noch in den ersten Wochen nach der Geburt unterstützen und begleiten wird. Eine Doula ist eine Frau, die selbst meist mehrere Kinder auf die Welt gebracht hat und die einer werdenden Mutter vor, während und nach der Geburt zur Seite steht. Sie kümmert sich hauptsächlich um die emotionalen Bedürfnisse und Befindlichkeiten der werdenden Mutter.

Keine Frau sollte bei der Geburt ohne Unterstützung eines vertrauten Menschen sein. Das kann Wunden und Traumata hinterlassen, die das Staunen über das Wunder der Geburt trüben. Versuchen Sie, die Geburt so natürlich wie möglich und gleichzeitig so sicher wie nötig zu erleben, suchen Sie sich ein für Sie passendes Umfeld und bereiten Sie sich gut vor.

 

Geschlüpft

 

Nach Möglichkeit sollte sich der Vater mindestens die ersten drei Wochen nach der Geburt freinehmen, um die Mutter zu entlasten. Ein Baby wird Ihr bisheriges Leben für eine ganze Weile gehörig auf den Kopf stellen, alle Beteiligten müssen die Gelegenheit bekommen, sich an das neue, gemeinsame Leben zu gewöhnen. Die erste Zeit mit dem Baby ist sowohl für die Paarbeziehung als auch für die Bindung beider Eltern zum Kind bedeutend. In den ersten Wochen werden Bindungsmuster angelegt, die das ganze Leben des Kindes prägen werden.

Auch wenn es – unfassbar aber wahr – immer noch Menschen gibt, die davon ausgehen, ein Kind müsste man ruhig mal schreien lassen – tun Sie es bitte auf keinen Fall! Das Urvertrauen des Kindes kann dadurch stark beeinträchtigt werden. Die alte Mär »Das stärkt die Stimme« ist absoluter Unsinn. Babys haben kein Zeitgefühl, fünf Minuten können ihnen wie eine Ewigkeit erscheinen. Ein Baby ist völlig hilflos und braucht jede mögliche Fürsorge und Aufmerksamkeit.

Stellen Sie sich vor, Sie werden ohne jegliche Hilfsmittel in einem fremden Land ausgesetzt, dessen Sprache und Zeichen Ihnen fremd sind. Alleine haben Sie keine Möglichkeit, sich fortzubewegen, Sie haben kein Essen. Sie wären vermutlich reichlich dankbar, wenn Sie unaufgefordert mit Nahrung, Fürsorge, Wasch- und Schlafmöglichkeit versorgt werden würden.

Viele Väter beklagen, dass die Mütter ihnen das Kind entziehen, weil sie glauben, die Väter würden es falsch behandeln.

Mütter, lassen Sie Ihren Männern die Möglichkeit, sich auf ihre Art und Weise um das Kind zu kümmern. Sie selbst haben es bereits neun Monate in sich getragen, haben schon innige Bekanntschaft mit ihm geschlossen. Jetzt ist der Vater dran. Mit Sicherheit wird er das Kind anders halten, anders ansprechen, anders wickeln und es anders füttern. Aber das ist sein Recht und es ist für die zukünftige Erziehung und den Umgang mit dem Kind unerlässlich, den Vätern das Vertrauen zu schenken, es anders, aber genauso gut zu machen wie die Mütter.

Es gibt viel zu viele junge Mütter, die am Rande der Erschöpfung durch den Tag torkeln, aber um keinen Preis den Vätern einen Teil der Regie überlassen wollen!

»Der wickelt sie immer so schlampig.«

»Er singt ihm nie vor, während er ihm die Flasche gibt.«

»Er trägt ihn nie herum, bis er eingeschlafen ist.«

Ja, so ist es möglicherweise. Vermutlich fläzt er auf der Couch, trinkt ein (!) Bier, schaut die Sportschau und hat das zufriedene Baby auf dem Bauch liegen. Das schadet dem Kind keineswegs, es schafft Nähe zum Papa und das ist gut. Abzuraten ist beim Fläzen vom gleichzeitigen Schauen von Horrorfilmen, dem Führen von ärgerlichen Telefonaten oder geräusch- und bewegungsintensivem Spielen mit Spielekonsolen.