Zu diesem Buch

 

Das vorliegende Sammelwerk ist das Ergebnis eines Autorinnenwettbewerbs. Gesucht wurden Geschichten von Frauen, die sich für ein Leben in Nordfriesland entschieden haben. Für die Bearbeitung der vielen Einsendungen haben wir ein kompetentes Team gewonnen.


Bei der Auswahl halfen:

 

Das Amt Nordsee-Treene, Amtsvorsteherin Karen Hansen

Schulweg 19, 25866 Mildstedt

 

Die Gleichstellungsbeauftragte im Amt Nordsee-Treene Kira Luedtke und ihre Amtsvorgängerin Claudia Hansen

Schulweg 19, 25866 Mildstedt

 

Der Kreis Nordfriesland, Amt für Jugend, Soziales, Arbeit und Senioren, Stabstelle Sozialplanung Demographischer Wandel, Adelheit Marcinczyk

Postfach 1140, 25801 Husum

 

Die Schlossbuchhandlung, Astrid Seemann

Schlossgang 10, 25813 Husum

 

KIBIS NF, Beratungsstelle für Selbsthilfe und Ehrenamt,

Angelika Weinert

Schiffbrücke 12, 25813 Husum

 

Handels- und Gewerbeverein Mildstedt-Simonsberg-Südermarsch e.V., 1. Vorsitzende Betina Smetsers

www.mildstedt.com

 

 

Wie kamen die Geschichten in dieses Buch?

 

Mitmachen beim Autorenwettbewerb durfte jeder. Alle Einsendungen gingen ohne Autorennamen an die Vertreter der Jury. Jedes Jurymitglied konnte maximal 2 Punkte für eine Geschichte vergeben.

 

In die Buchauswahl aufgenommen waren alle Geschichten, die

1. als Preisträger ausgewählt wurden,

2. mindestens die Hälfte der möglichen Punkte von sieben Bewertern bekamen.

 

Die Ehrentafel dieses Wettbewerbs

 

Den Preis der Amtsvorsteherin des Amtes Nordsee-Treene erhält Anja Davids für „Leben auf dem Land“

 

Den Preis der Gleichstellungsbeauftragten im Amt Nordsee-Treene erhält Katja Just für „Tausche Berggeflüster gegen Meeresrauschen“

 

Den Preis des Kreises Nordfriesland, Amt für Jugend, Soziales, Arbeit und Senioren erhält Bärbel Güttler für „Heimweh oder Fernweh“

 

Den Preis der Schlossbuchhandlung erhält Sigrid Saxen für „Eine Kostprobe von der Weite“

 

Den Preis der KIBIS NF, Beratungsstelle für Selbsthilfe und Ehrenamt erhält Sigrid Nolte Schefold für „Sturmi und das Meer“

 

Den Preis des Handels- und Gewerbevereins Mildstedt-Simonsberg-Südermarsch e.V. erhält Marina Hoyer für „Minze in Nordfriesland“

 

Lobend erwähnen möchte die Jury folgende Beiträge:

„Achtung, wachsamer Nachbar“ von Astrid Fühlau

„Der Ausflug“ von Tatjana Hetzel

„Meine Entscheidung für das Landleben“ von Anita Körwer

„Landung“ von Gertrud Wiedenmann

„Auswandern“ von Yoli von Manowski

„Min Leben“ von Ingemarie Albertsen 

 

Cover


 

 

Claudia Hansen (Hrsg.)

Zwischen Landluft und Sehnsucht


Entstanden als Projekt in Zusammenarbeit mit dem Gleichstellungsbüro des Amtes Nordsee-Treene im Jahr 2009.


2. Auflage (Print) 2016 

1. Auflage (E-Book) 2016


© Ahead and Amazing Verlag, Ostenfeld 2009

erschienen in der Edition Leuchtfeuer


Leuchtfeuer-final



Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigung, Übersetzung, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.


Titelbild: lugat-fotocase.com

Titel-Gestaltung: Sabine Bolland-Gratz, www.gratzdesign.com

Satz und Lektorat: Kristina und Manfred Jelinski


Das Copyright aller Abbildungen im Innenteil liegt bei den jeweiligen Autorinnen.


Druck und Bindung: PRESSEL Digitaler Produktionsdruck, Remshalden

Printed in Germany


ISBN (Print): 978-3-933305-73-2

ISBN (E-Book): 978-3-933305-43-5


Ahead and Amazing Verlag, Jelinski GbR, Magnussenstr. 8, 25872 Ostenfeld

www.aheadandamazing.de


 

 

 

Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl

 

 Herbert Grönemeyer

 

 

Heimat – das unterschätzte Gefühl der Neuzeit

Ein Vorwort der Kuratoren

 

Die Suche nach der Heimat - das war das Thema, das alle Autorinnen bewegt hat, die sich an dem Schreibwettbewerb beteiligt haben, aus dem wiederum dieses Buch entstanden ist. Heimat, das ist eine geographische, historische oder auch ganz persönliche Eingrenzung, eine Beziehung zwischen Mensch und Raum, in der es um Identifikation geht; nicht immer, aber meistens geht es auch um einen konkreten Ort.

Was bewegt Menschen, im vorliegenden Fall Frauen, sich irgendwo niederzulassen und zu bleiben, sich dort beheimatet zu fühlen? Sich zum Beispiel für ein Leben in einer ländlichen Region zu entscheiden? Welches Für und Wieder spielt hier eine Rolle? Gibt es bestimmte wiederkehrende Umstände oder Lebensphasen? Wie wichtig ist überhaupt "Heimat" im Leben von Frauen?

Wir waren sehr gespannt auf die Antworten, als wir den Wettbewerb starteten.

 

Heimat ist eine scheinbar gegenläufige Bewegung zu unserer modernen Zeit. Globalisierung, Flexibilisierung, Spontaneität, Professionalität — da passt eigentlich so etwas Altmodisches wie Heimatgefühl und Identifikation, etwas wie zu Hause und verwurzelt fühlen, nicht hinein.

Trotzdem oder gerade deshalb spielt die Entscheidung für eine Heimat, eine Region, an der mein Herz hängt, eine wichtige Rolle. Menschen wollen einen Platz im Leben haben —sich an einem Ort zu Hause fühlen. Und so gibt es Frauen, die Nordfriesland nie verlassen haben, für die es die richtige Entscheidung war, hier zu bleiben. Und es gibt Frauen, die allein oder mit der Familie hier „gestrandet“ sind und für die es auch die richtige Entscheidung war, hier zu bleiben

Für alle spielen die Natur und die Menschen eine große Rolle. Wer hier angekommen ist, weiß, worauf er oder sie sich eingelassen hat — eine oft raue Umwelt, stürmisch und karg, aber auch auf unendliche Weite, Schönheit, Verbundenheit und Herzlichkeit der Menschen.

 

Wer sich für Nordfriesland entschieden hat, möchte dem rauen Klima trotzen und sich nicht bei Sturm einschließen, sondern an den Deich gehen. Wer sich für Nordfriesland entschieden hat, liebt das Vereinsleben und den Klönschnack mit den Nachbarn. Wer sich für Nordfriesland entschieden hat, hat sich gegen die Zeit und Hektik entschieden, denn hier läuft die Zeit anders.

Nordfriesland, das ist der weite Himmel mit unglaublichen Wolken, das sind die Inseln und Halligen, das ist das Weltnaturerbe Wattenmeer und das ist die Weite.

Und vor allen Dingen ist Nordfriesland das, was die Menschen, die hier leben, daraus machen.

Wir freuen uns sehr über die zahlreichen persönlichen Einsendungen und besonders, daraus ein Buch mit kurzen, aber sehr unterschiedlichen Geschichten über die Heimat Nordfriesland präsentieren zu können.

Bedanken möchten wir uns auf diesem Wege für all die Arbeit und Mühe beim Verlag Ahead and Amazing, der durch seinen Einsatz dieses Buch möglich gemacht hat. Unser Dank gilt auch Sabine Bolland-Gratz, die mit ihrem wunderschönen Titelentwurf einen so schönen und passenden Rahmen für das Buch gefunden hat.

 

Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen und anregende Gespräche über Ihr Leben in Nordfriesland.

 

Claudia Hansen                                                        Adelheit Marcinczyk

Ehemalige Gleichstellungsbeauftragte                         Kreis Nordfriesland

Amt Nordsee-Treene                                               Generationen handeln

und Herausgeberin

Alice Jolliet

Oh, Himmel Nordfrieslands

Oh, Himmel Nordfrieslands,

verwandelst mit deinem

wilden Atem

die Bäume zu indischen

Tempeltänzerinnen.

Oh, Himmel Nordfrieslands,

hältst mich zum Narren,

wie ein Geliebter.

Mal wähn' ich mich in deinem Schauspiel

in Afrikas Steppen

und dann wieder

fühl' ich mich von dir ins tiefste Sibirien

versetzt.

Ich liebe dich,

oh, Himmel Nordfrieslands,

wie ein wildes, unberechenbares,

freies Kind

oder wie den alten Rebellen,

der nach niemandem fragt.

Wenn deine Stürme

wie wild an mir zerren,

bist du mir gleichzeitig Halt,

denn ich weiß,

bald lachst du mir wieder

blau blitzend, weißwölkchen-

streichelweich zu.

Ich glaube, du hast

mein Herz für immer erobert -

oh, Himmel Nordfrieslands,

ich bin dir ergeben,

komm - spiele mit mir!

Purzelbäume –

schwerfällig,

doch auch elegant

wie eine Horde Delfine –

schlugst du heute,

Nordsee

Kapriolen,

Mein Herz zu erobern –

es ist dir für jetzt

mal wieder gelungen...

Gertrud Wiedenmann

Landung

Flughafen Hamburg, Abflughalle für den Flug Hamburg-Funchal, November, 6 Uhr morgens, dichtes Schneetreiben.

Er war mir sofort aufgefallen wegen des Pullovers, den er trug: Wildseide, vermutete ich, naturfarben, mit einem schönen Stehkragen. Edles, betont lässiges Naturdesign. Er saß alleine und las in einem Buch von einem preisgekrönten Autor, den ich auch kannte. Gute Literatur. Sympathisch sah er aus, angenehm. Der erste Lichtblick an diesem dunkel-kalten Hamburger Morgen, nach einer schlaflosen Nacht mit Brech-Durchfall. Den gebuchten zweiwöchigen „Wanderurlaub Madeira“ hätte ich am liebsten storniert, als ich die Mitreisenden betrachtete: 60 aufwärts, übergewichtig, paarweise, Goldkettchen, Designer-Täschchen, Bildzeitung.

Ich selbst trug meinen grauen Lieblingspullover und eine weite Jeans. Die Wanderstiefel trug ich an den Füßen, weil sie sonst zu viel Platz im Gepäck einnahmen.

Ich fühlte noch immer ein wenig die Übelkeit der Nacht, und verfluchte stöhnend meine winterlichen Fern- und Abenteuerreisen: Indien, Indonesien, Trekking in Ladakh und nun diese komische kleine Felseninsel im Meer. Nächstes Mal würde ich endlich Urlaub in einer Ferienwohnung auf dem Bauernhof machen – ruhig, friedlich und einfach, das schwor ich mir.

Vielleicht wanderte der nette Mann ja wenigstens, dachte ich hoffnungsvoll bei mir, und betrachtete skeptisch seine edlen Lederstiefeletten und noch skeptischer die Landebahn im immer dichter werdenden Schneetreiben. Mein Flugangstbarometer stieg bedrohlich an.

Beim Besteigen des Flugzeugs versuchte ich krampfhaft, den wildseidenen Stehkragen nicht aus den Augen zu verlieren, als könne nur er mein Überleben garantieren. Im Flugzeug saß ich eingezwängt neben einem unfreundlichen dicken Ehepaar, bewaffnet mit Goldkettchen, scharfem Parfum und Auto-Bild. Der Brechreiz meldete sich wieder. Die Durchsage aus dem Cockpit mit der Bitte um etwas Geduld, da die Tragflächen erst noch enteist werden müssten, ließ mir diesen Urlaub endgültig als Desaster erscheinen. Wir würden abstürzen. Zwischen Panik und Fatalismus hin- und her gerissen, erblickte ich plötzlich den Stehkragen wieder, drei Sitzreihen vor mir, neben sich zwei freie Plätze. Wenn schon abstürzen, dann mit Wildseide statt Goldkettchen, dachte ich bei mir und, während das Flugzeug bereits Richtung Startbahn rollte, huschte ich nach vorne und fragte, ob ich hier sitzen könne. Ich konnte. Erleichtert sank ich in meinen Sitz.

Wir kamen ins Gespräch. Viereinhalb Stunden bis Funchal. Er kam aus Nordfriesland. Davon hatte ich noch nie vorher gehört, und erfuhr nun viel über Friesen, Minderheitenkultur und Deichbau. Es klang alles ein wenig wie aus einem keltischen Sagenbuch. Er konnte gut erzählen. Von einer fremden Welt am nördlichsten Ende Deutschlands, nahezu unbekannt, wild und ein wenig verwunschen.

Andererseits erinnerte ich mich auch an relativ ungeliebte Kurzreisen zu dänischen Ferienhäusern, Fahrten durch eine mir endlos und langweilig erscheinende Landschaft ohne erkennbare Anzeichen von Zivilisation. Nordfriesland, wie ich jetzt erfuhr.

Die Nordsee war mir bisher immer ein wenig rau und bedrohlich erschienen. Der seidene Pullover ließ sie allerdings in warmen Farben aufleuchten, als er von seinen selbst gemalten Meeresbildern erzählte. Ich war Kunsttherapeutin. Er war Landwirt, frisch geschieden, Lebenskrise und so weiter. Seine Tante hatte ihn nach Madeira eingeladen. Er sollte mal rauskommen.

Wir redeten und redeten, aßen und schliefen. Heimlich betrachtete ich immer wieder den edlen Pullover, der einen offenbar wohlgeformten Körper verbarg. Landwirt!?

Meine Flugangst war verschwunden. Wie zum Teufel kam es, dass Landwirte heutzutage wildseidene Pullover trugen, gute Romane lasen, malten, und geschieden in fremde Länder flogen???

 

Die Bauern aus meiner bayerisch-fränkischen Familie trugen eher Breitcordhosen und Flanellhemden und mussten jede Familienfeier vorzeitig zum Melken verlassen. Sie waren stets in Begleitung ihrer freundlichen, Kuchen backenden Ehefrauen.

Von Urlauben oder Fernreisen war nie die Rede.

Beim Landemanöver auf Madeira sah es so aus, als würden wir direkt ins Meer stürzen, aber das war mir vollkommen egal. Später erfuhr ich, dass dies die kürzeste und schwierigste Landebahn der Welt ist. Nur erfahrene Piloten dürfen hier landen.

Als ich Madeira betrat, fühlte ich, dass etwas Neues begonnen hatte. Als wäre ein alter Teil von mir tatsächlich abgestürzt und frisch gebadet wiedergeboren.

Zwei Wochen später lernte ich Nordfriesland kennen. Mitten im Winter. Als erstes reparierten wir das vom Sturm zerstörte Dach des Schweinestalls vom Heuboden aus. Es roch nach altem Heu, Staub und ein wenig nach Schweinen. Ich fühlte, dass ich nach Hause gekommen war. Eine Nachbarin nannte uns das „Wunder von Madeira“ und beim Kaufmann gegenüber wurde ich „die Nüe von H.“

Ein halbes Jahr später, im Sommer, fütterte ich Schweine, lud Kornwagen ab und schmierte kiloweise Wurstbrote für Erntehelfer. Ich lernte Platt und Friesisch verstehen und fuhr bald drei- bis viermal wöchentlich nach Husum zu meiner neuen Arbeitsstelle. Vor allem lernte ich den Begriff „Multitasking“ mit Inhalt zu füllen.

Eine Hamburger Freundin rief an und fragte, ob es mir nicht zu ruhig auf dem platten Land sei. Während ich mit ihr durch das schnurlose Telefon sprach, sammelte ich im riesigen Garten Birnen auf und zog Unkraut. Ich konnte sie kaum verstehen, weil ein großer Trecker nach dem anderen mit prall gefülltem Hänger vorbeidonnerte. Hinter mir ratterte und brummte die Getreidetrocknung, und die großen Pappeln rauschten im kräftigen Wind. Ich hatte ohnehin kaum Zeit, zu telefonieren. Ruhe?

Manchmal vermisse ich die Ruhe der Stadt. In Hamburg-Eimsbüttel hatte ich in einer ruhigen Seitenstraße gewohnt, Balkon auf den Hinterhof mit Vogelgezwitscher. Auch fehlen mir ein wenig die langen Elbspaziergänge mit innigem Freundinnengeschwätz, gemütliche Kneipenabende oder ein Jazzkonzert in der Fabrik. Meine Kunst muss mit dem Winter vorlieb nehmen. Die Kontakte zu Freundinnen in der Stadt werden weniger mit der Zeit – zu verschieden sind die Lebenswelten.

Aber wenn ich Entspannung brauche, fahre ich nach Hamburg und durchwühle mit meiner Freundin Gisela Kunstgalerien und kleine Läden mit Schmuck oder verrückten Second Hand- Klamotten, um anschließend in einem lauten Café das multikulturelle Treiben auf der Straße zu beobachten. Niemand kennt mich. Ruhe.

Das Leben auf dem Land ist bunt, voller Herausforderungen und Überraschungen, fruchtbar und intensiv. Geheimnisse gibt es nicht mehr. Nachbarn und Bekannte gehen ein und aus. Der Betrieb läuft im Sommer auf Hochtouren. Geburtstage, Hochzeiten und Beerdigungen wechseln sich ab. Die Herbststürme sind lauter als eine vierspurige Straße in Hamburg. Von Ruhe keine Spur.

Ich schlage jede zweite Einladung aus, weil ich keine Zeit habe oder müde bin. Dorf-Feste meide ich, sie sind mir zu laut. Aber ich liebe es, bei der alten Nachbarin zu sitzen und herrlich dummes Zeug zu reden. Es wird viel gelacht hier.

Der wildseidene Pullover übrigens verlor mit den Jahren seine Form und wurde zum Polster für ein Katzenbettchen. Ich war ganz wehmütig, als ich ihn aussortierte. Aber schließlich hat er seinen Auftritt ja gehabt, sage ich mir, betrachtete schmunzelnd den ehemaligen Besitzer, der in schmieriger Latzhose und löchrigem T-Shirt über den Hof läuft, und mache mich daran, die Ferienwohnung sauberzumachen - für neue Gäste aus der Stadt.

Wie oft hatte ich mir in den letzten Jahren in Hamburg ein Leben auf dem Land gewünscht. Irgendetwas mit Natur und viel Ruhe hatte ich dabei im Kopf. Man muss vorsichtig sein mit Wünschen. Mitunter gehen sie ganz plötzlich in Erfüllung. Anders als gedacht. Schön.

 

Landung in Nordfriesland

Inge Hinrichs

Aus Liebe auf dem Land

Ich habe mich vor mehr als 50 Jahren aus Liebe zu meinem Mann für das Leben auf dem Lande entschieden. Geboren bin ich 1931 in Garding. Nach Kriegsbeginn wurde mein Vater in die Tschechoslowakei berufen. Wir zogen nach Ostrava und später nach Prag. Unser Hab und Gut verloren wir in Prag und kamen 1945 im April als Flüchtlinge wieder nach Garding.

Da Landbesitz in der Familie vorhanden war, wurden zum Überleben in der schwersten Zeit Kühe, Schafe und Schweine angeschafft. Somit konnten wir den Lebensunterhalt kurzfristig absichern und die Hungerperiode überstehen.

Meine große Tierliebe fand da ihre Erfüllung. Sich um diese Tiere zu kümmern und für sie zu sorgen, begeisterte mich.

Vor einem Umzug nach Rendsburg besuchte ich die Hauswirtschaftsschule in Garding, um Kochen zu lernen. Dort habe ich meinen Mann kennen gelernt. Einen Landwirt. Nach zwei Jahren heirateten wir und ich zog zu ihm auf den Hof.

Nun konnte ich die Liebe zu den Tieren ausleben. Hunde, Katzen, Hühner, Perlhühner, Enten, Puten, Schafe, Kälber und Kühe – es war das, was mich freute. Später habe ich noch jahrelang Igel durch den Winter gebracht, die ohne Hilfe verendet wären.-

Der Anfang war schwer! Wir hatten kein Auto, nur zwei Fahrräder!

Es gab kein fließend Wasser, nur Grabenwasser mit hüpfenden Wasserflöhen und somit kein Bad, kein WC, keine Waschmaschine, nicht einmal ein Telefon. Für mich eine riesige Umstellung. In der Küche gab es einen Feuerungsherd und einen Waschkessel.

In den ersten sieben Jahren habe ich vier Söhnen und einer Tochter das Leben geschenkt. Da war ich 29 Jahre alt! Selten habe ich Hilfe gehabt. Ich half meinem Mann in der Heuernte, beim Dreschen kamen ca. 20 Leute, die ich beköstigen musste. Wir haben nie einen Maler beschäftigt. Ich habe alle Tapezier- und Malerarbeiten erledigt. Dann war ich zuständig, die Kälber aufzuziehen.

Es wurde ein großer Gemüsegarten angelegt mit allem, was dazu gehörte. Spargel, Erdbeeren, Gemüse usw., somit konnten wir uns selbst versorgen. Ich habe Erdbeeren, Spargel und Eier verkauft. Aus einem alten Obstgarten schaffte ich auch noch einen zauberhaften, parkähnlichen Blumengarten.

Als die Kinder größer waren, galt es sich auch um Schularbeiten und Berufsfindung zu kümmern. Langsam konnte ich auch an mich denken. Als die Kinder aus dem Gröbsten waren, gab es eine Gymnastikgruppe, durch die ich viele nette Frauen kennenlernte. Vorher gab es nur die Familie und die Arbeit in Haus, Garten und Stall. Als meine Kinder dann alle berufstätig und mehr oder weniger aus dem Haus waren, konnte ich mich auch um andere Dinge kümmern. Vier Jahre Gemeinderat, danach als erste Frau in Tetenbüll – Arbeit als Kassenwart des TSV Tetenbüll, und vieles mehr.

Dann habe ich ein Blumenstübchen (als Gewerbe angemeldet) eröffnet. Ich säte im Garten Blumen, die sich gut trocknen ließen, pflückte, bündelte und trocknete sie und steckte Sträuße, um sie zu verkaufen. Fünf Jahre lang habe ich auch Abende über Blumenstecken für die Volkshochschule abgehalten.

Das Blumenstübchen hatte ich 12 Jahre.

So sind die Jahre verflogen und jetzt habe ich meinen Alterssitz in Husum und freue mich über sieben Enkelkinder.

Für die heutigen Verhältnisse mag das alles sehr extrem klingen, aber so wie ich haben viele Frauen auf dem Land gelebt. Mit den jetzigen Verhältnissen ist das nicht mehr zu vergleichen. Ich hatte ein anstrengendes aber erfülltes Leben und manchmal frage ich mich, wie ich das alles geschafft habe.

Übrigens, mein Lebensmotto ist: Wer kämpft, kann gewinnen, wer nicht kämpft, hat schon verloren!

 

Hinrichs

 

Inge Hinrichs (77, Mitte) mit ihren Enkelinnen

(von 1inks)Johanna (15), Frauke (14) und Gutje (11)

Anja Davids

Leben auf dem Land

Nordfriesland ... da steckt der Teufel doch schon im Detail - oder besser – im Namen. Nordfriesland, das bedeutet für mich eine salzige Brise, mal mehr, mal weniger stark. Das bedeutet blauer Himmel, und zwar in jeglicher Schattierung von Dunkelblauanthrazit bis strahlend Königsblau, mal mit Schäfchenwolken, mal ohne als bedrohliche, geballte Wolkenfront.

Schäfchenwolken ... Schäfchen ... Schafe ..., für mich gibt es kein Landleben ohne diese Tiere. Es ist eine so friedfertige, beruhigende Stimmung, wenn man von der Arbeit gestresst nach Hause kommt, keinen Lärm mehr ertragen kann. Dann setzt man sich vor die Tür und lauscht. Das Blöken der Schafe im Chor mit dem Muhen der Kühe, belebt vom hohen Schreien der Uferschnepfen und dem Kiwitt des Kiebitzes, das ist eine Musik von einzigartiger Schönheit. Da weiß ich, ich bin zuhause.

Nordfriesland, ja, wie bin ich hierher gekommen? Das ist schon eine seltsame Geschichte mit vielen Umwegen. Es begann im Jahre 1973 mit einem Urlaub in St.-Peter-Ording. Als Lübecker Kind nur die Ostsee gewohnt, war die Nordsee natürlich völliges Neuland. Wir machten Urlaub auf dem Bauernhof. Was gab es da nicht alles: Kühe und Kälber, Bullen, Schafe, Katzen, Hühner und vieles mehr, kurz gesagt alles, was man als Großstadtkind nicht unbedingt in die Finger bekommt. Ich durfte überall mit, in den Stall, auf die Fennen, Kühe reinholen, Bullen füttern, Kälber versorgen, es war für mich das Paradies. So stand mein Heiratswunsch von Stund auf an fest: ein Bauer soll es sein. Doch dazu später.

Natürlich genossen wir in vollen Zügen die Bademöglichkeiten und das Wandern im Watt. Es hat uns manchen Sonnenbrand (auch an den Füßen) eingebracht. Auch mit den unliebsamen Strandkrabben habe ich so meine Erfahrungen gemacht ... ich mag sie auch heute noch lieber von weitem sehen.

Kurz und gut, für mich als Kind unter zehn Jahren ein absoluter Traumurlaub, der nur unter Protest und Tränen wieder beendet wurde, aber irgendwann musste man ja wieder mal zurück nach Lübeck.

Dieser Urlaub und die wunderbaren Erlebnisse waren für mich auch ungefähr 15 Jahre später noch präsent, als ich mit einer Freundin beschloss, Kurzurlaub an der Westküste zu machen, Station: Jugendherberge Dagebüll. Von hier aus machten wir Tagestouren in alle Richtungen, unter anderem – um in Erinnerungen zu schwelgen – auch nach Eiderstedt. Was hatte ich meiner Freundin nicht alles vorgeschwärmt, da tobt das Leben, wir können die Reiherkolonie besichtigen und vieles mehr. Von der Reiherkolonie war im Jahre 1988 nicht mehr viel vorhanden, auf der Suche nach einem netten Café sind wir schier verzweifelt, St. Peter war so vollgestopft, dass wir gleich wieder kehrtgemacht haben. Für unsere Altersklasse gab es keine adäquate Unterhaltung auf Eiderstedt. Mein Fazit damals (wortwörtlich, ich bekomme es ab und zu noch zu hören): „Also auf Eiderstedt möchte ich ja nicht mal begraben sein!“

Tja, die Jahre gingen ins Land mit Studium und vielen weiteren Erfahrungen in Kiel. Selbst während des Studiums zog es mich immer wieder Richtung wilder Westen, nach Husum. Ich habe mehrere Referate und Arbeiten über Theodor Storm, einen meiner Lieblingsdichter, verfasst und bin zu Studienzwecken in die Stormgesellschaft gefahren, und das nicht nur einmal und nicht nur zu Studienzwecken.

Dann sollte 1993 der Ernst des Lebens beginnen, Vorbereitungsdienst für das zweite Staatsexamen. Da ich unbedingt einen Hund mitnehmen wollte, den ich gerade kennen- und liebengelernt hatte, begann meine Wohnungssuche „auf dem Land“, die dann in Simonsberg endete. Aus der Großstadt Kiel nun in Simonsberg gelandet stellte ich dann fest, man lernt nie aus. Auf dem Land leben kann auch spannend sein, reines Überlebenstraining. Als geselliges Menschenwesen gönnte ich mir dann einen netten Abend in netter Runde bei „Peter Post“, der Gastwirtschaft in Simonsberg. Gegen 0.30 Uhr dann allgemeiner Aufbruch, die anderen fuhren mit dem Auto los, ich trat vor die Tür vom Kirchspielskrug, dann der Schock: Hinter mir ging das Licht aus … und es war stockfinster!!! Entsetzen machte sich breit, das kann doch nicht wahr sein, wo sind die Straßenlaternen? Ich hatte doch genau gesehen, dass es welche gab! Pech gehabt, auf dem Land wird eben Energiesparen groß geschrieben, wie ich später erfuhr. Ab 0.00 Uhr sind die Laternen aus! Nie im Leben wäre ich Großstadtkind auf die Idee gekommen. Neumond machte den Heimweg zu einem Abenteuer. Die ungefähre Richtung ahnte ich, ansonsten kam ich tastend vorwärts. Ich wusste, wenn meine Füße auf Kies stoßen, bin ich von der Straße abgekommen. Für einen Weg von 5 Minuten brauchte ich dann locker 20 Minuten. Mein Hund war auch komplett begeistert, dass ich wieder da war.