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Geri Thomann, Franziska Zellweger (Hrsg.)

Lateral führen
Aus der Mitte der Hochschule Komplexität bewältigen
Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung, Band 6
Eine Publikation des ZHE – Zentrum für Hochschuldidaktik
und Erwachsenenbildung, Pädagogische Hochschule Zürich

ISBN Print: 978-3-0355-0472-9

ISBN E-Book: 978-3-0355-0473-6

Gestaltung und Satz: tiff.any GmbH, Berlin

1. Auflage 2016
Alle Rechte vorbehalten
© 2016 hep verlag ag, Bern

www.hep-verlag.com

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur Reihe Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung

Geri Thomann und Franziska Zellweger
Einleitung: Lateral führen an Hochschulen

Begriffliche Annäherung

Anforderung an laterale Führung an Hochschulen

Leseempfehlung

Zur Geschichte und zu den Personen hinter diesem Buch

Teil 1: Grundlagentexte

Franziska Zellweger
Wer führt lateral? Mittleres Management an Hochschulen

Führen im Sandwich

Betriebswirtschaftliche Forschung zum mittleren Management

Zur Herkunft des Konzepts der lateralen Führung

Mittleres Management an Hochschulen

Tätigkeitsprofile an Hochschulen

Führungskapazität in der Mitte von Hochschulen

Geri Thomann
Dilemmata, Paradoxien und Ambivalenzen – Führen als Sicherheitsproduktion in unvorhersehbaren Situationen

Die Komplexität von Führung – ein erster Befund

Führung von und in Expertenorganisationen – Spezifika

Bedeutung der Ausführungen für laterale Führungsfunktionen: Risiken eingehen und Risiken einschätzen

Christof Baitsch
Führung an Hochschulen hat es schwer – Laterale Führung bekommt eine Chance

Hochschulen und Führung

Laterale Führung – Aufgaben und Handlungsspielräume

Laterale Führung: ein trojanisches Pferd für die Organisation?

Teil 2: Fallbeispiele

Franziska Zellweger und Geri Thomann
Führen in der Mitte – Komplexität im Einzelfall

Fallbeispiele als Ausgangspunkt

Fall 1: Machen Sie für mich eine Ausnahme, bitte!

Fall 2: Bitte übernehmen Sie das Projekt!

Fall 3: Mehr Verantwortung tragen? Überlegen Sie es sich doch!

Fall 4: Von der ritualisierten Qualitätssicherung zur Qualitätsentwicklung

Fall 5: Natürlich interdisziplinär

Teil 3: Anregungen zur Praxisbewältigung

Rolf Kuhn
Kollektive Entscheidungsprozesse gestalten

Facetten des Phänomens »Entscheiden«

Lateral führen und entscheiden

Kollektive Entscheidungen

Anregungen für kollektive Entscheidungsprozesse

Ausgewählte Hilfsmittel zur Entscheidungsfindung

Schlussbemerkung

Elisabeth Fröhlich Luini
Aufträge klären und Rollen verhandeln in lateralen Führungssituationen

Gemischte Erfahrungen mit lateralen Führungsaufgaben und die Ursachen

Folgerungen für die Übernahme einer lateralen Führungsaufgabe

Kathrin Rutz
Verstehen und Bewältigen von Konflikten im Kontext von lateraler Führung

Macht, Vertrauen und Verständigung in Organisationen

Konflikte in Organisationen

Vom Umgang mit Konflikten

Zusammenfassung

Erika Stäuble
Projekte führen aus Sicht der Personalentwicklung

Laterale Führung an Hochschulen – ein noch wenig beachtetes Handlungsfeld der Personalentwicklung

Herausforderungen und Erfolgsfaktoren von Projektführung

Ansätze der Personalentwicklung zur Förderung lateraler Projektführung

Der Nutzen von Personalentwicklung für gelingende Projektführung

Rolf Kuhn und Geri Thomann
Jazz als Metapher für Führung und Organisation –
Die Illusion der Planbarkeit

Jazz als Modell für Führung, Management und Organisation

Das Ende der Planbarkeit im Management

Improvisation als Lernmodell für soziale Systeme

Grenzen der Jazzmetapher

Voraussetzungen und Kompetenzen für gelingende Improvisationen

Charakteristika von Teams mit einer hohen Improvisationsfähigkeit

Theo Wehner und Stefan Groß
Schlusspunkt – Seitenblicke auf die laterale Führung. Und doch kein Schlusspunkt

Wovon ist die Mitte der lateralen Führungsaufgabe die Mitte?

Wie klar ist klar genug?

Multilaterale Zusammenarbeit in wissensintensiven Organisationen

Autorinnen und Autoren

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Vorwort zur Reihe Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung

Dozierende an Hochschulen lehren, prüfen, beraten, forschen, organisieren Wissens- und Technologietransfer durch Weiterbildung und Dienstleistungen, betreiben Projektmanagement und engagieren sich in der Qualitätsentwicklung der eigenen Hochschule.

Das Zentrum für Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung (ZHE) wurde 2009 an der Pädagogischen Hochschule Zürich gegründet und unterstützt Hochschulen und ihre Dozierenden bei den oben beschriebenen Herausforderungen durch Weiterbildung und Beratung.

Themenschwerpunkte des ZHE sind u. a. Studierendenorientierung, Rollenvielfalt bei Dozierenden, kompetenzorientierte Lehre, erwachsenenbildnerisches Handeln in der Lehre an Hochschulen und Aspekte der Hochschulentwicklung.

Mit der Reihe Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung haben wir uns zum Ziel gesetzt, Diskussionen und Auseinandersetzungen um aktuelle und praxisrelevante hochschuldidaktische Fragen anzuregen sowie Dozierenden an Fachhochschulen sowie Aus-/Weiterbildungsverantwortlichen in weiteren Institutionen der Erwachsenenbildung nützliche Reflexions- und Handlungsinstrumente zur Verfügung zu stellen.

Jeweils eine Person oder ein Team aus dem ZHE oder dessen Umfeld verantwortet als Herausgeber einen Band; wir planen eine Publikation pro Jahr.

Hier finden Sie die bisher erschienenen Bände: www.phzh.ch/forum-hochschuldidaktik.

Wir beleuchten im vorliegenden 6. Band sogenannte Sandwich-Rollen im Hochschulkontext. Steuerung nahe an den Leistungsbereichen (Aus-/Weiterbildung, Forschung, Dienstleistungen) geschieht häufig »lateral« in projektartigen, nicht immer geklärten Konstellationen; dies benötigt spezifische Kompetenzen und Denkweisen.

Wie meistens verbinden wir unsere Schriften mit Zugängen oder Formaten in unseren Weiterbildungsangeboten. So bieten wir seit einigen Jahren in unserem Programm ein Modul »Lateral Führen« (vgl. unsere Website www.phzh.ch/hochschuldidaktik).

Herausgeber/-innen dieses Bandes sind Franziska Zellweger, Leiterin des Bereiches Hochschuldidaktik, und Geri Thomann, Leiter des ZHE. Geplant sind für die Jahre 2017 und 2018 Publikationen zu den Themen »Weiterbildung an Hochschulen gestalten« und »Qualitätsentwicklung in Hochschulen«.

Bitte kontaktieren Sie uns für Rückmeldungen oder Ideen in Bezug auf Themen. Wir wünschen Ihnen viele Anregungen.

Prof. Dr. Geri Thomann, Leiter ZHE
Zentrum für Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung
geri.thomann@phzh.ch
http://hochschuldidaktik.phzh.ch/

Geri Thomann und Franziska Zellweger
Einleitung: Lateral führen an Hochschulen

In diesem Buch geht es um Führung »in der Mitte« an Hochschulen. Im Fokus ist die Tätigkeit von Personen mit und ohne Personalverantwortung, welche unterhalb der ersten beiden Führungsstufen (Hochschulleitung, Dekane/Departementsleitung), also zwischen Management und direkten Leistungsaufträgen, Verantwortung übernehmen. Sie leiten zum Beispiel Projekte, Studiengänge, Forschungsteams unter nicht immer geklärten Rahmenbedingungen und auf sich stetig verschiebenden Bodenplatten.

Stellen Sie sich vor

Sie sind Studiengangsleiter/-in in einem Bachelorprogramm an der Fachhochschule einer mittelgroßen Stadt. Nach Abschluss Ihres Unistudiums und 5 Jahren in der Praxis sind Sie vor 3 Jahren zuerst nebenberuflich als Dozent/-in und vor Kurzem nun als Studiengangsleiter/-in ganz an die Fachhochschule gewechselt.

Dass es im Studiengang einiges zu optimieren geben würde, war Ihnen bereits bei Stellenantritt klar. Dennoch waren Sie überrascht, mit welcher Vehemenz sich die Studierenden des ersten Jahres bei Ihnen über eine unfaire Prüfung eines Dozenten beschwerten und sich beklagten, die Hochschule betreibe eine intransparente Selektion. Die Studierenden bemängelten, dass Wissensinhalte geprüft wurden, welche im Vorfeld als nicht prüfungsrelevant deklariert waren. Zudem waren mehrere Aufgaben unklar gestellt und alles in allem wäre es einfach viel zu viel gewesen. Es macht Ihre Situation nicht einfacher, dass der betroffene Dozent der Institutsleiter und damit ihr fachlich Vorgesetzter ist. Anspruchsvolle Führungsaufgabe – was tun?

In der systematischen Reflexion besteht bezüglich solcher »Sandwich«-Funktionen, der dafür notwendigen Kompetenzen und Rahmenbedingungen eine große Lücke. In der gängigen Führungsliteratur werden meist Management – Funktionen im übergeordneten Sinne und damit verbundene scheinbar nützliche »Tools« thematisiert.

In den folgenden Ausführungen wenden wir uns einerseits an Inhaberinnen und Inhaber von hierarchischen Funktionen, die sich in der Ausdifferenzierung von Führungsarbeit etwa an Fachhochschulen etablieren (z. B. Bereichsleitende, Forschungsgruppenleitende) (vgl. Böckelmann, 2012), aber auch an Trägerinnen und Träger von Führungsfunktionen ohne formale Weisungsbefugnisse (z. B. Studiengangsleitende ohne Personalführung, Stabsmitarbeitende, Projektleitende).

Begriffliche Annäherung

Führen

Der Begriff »Führen« entstammt dem Althochdeutschen fuoran (oder fuaran und fôran), ist somit mit dem Begriff »fahren« verwandt, was auf den Bewegungs- und Richtungscharakter des Wortes hinweist. Führen heißt für uns deshalb, »unterwegs« zu sein, vorhandene Kräfte und Ressourcen auf klar umschriebene Ziele hin zu bündeln, zu organisieren und dadurch wirkungsvoll einzusetzen, die an einer Aufgabe Beteiligten dafür zu gewinnen, ihre persönlichen Fähigkeiten in den Dienst einer gemeinsamen Aufgabe zu stellen und dies alles auch sich selbst gegenüber zu befolgen.

Führung von unten

Da wir Führung auch als Beziehungsgestaltung verstehen, existiert Führung auch »von unten«, verstanden als »zielorientierte, wechselseitige und aktivierende soziale Einflussnahme auf Personen einer höheren Hierarchiestufe zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben« (Wunderer, 2003, S. 254). Dabei sind die Strategien und Vorlieben der gegenseitigen Einflussnahme ob von oben oder unten erstaunlich ähnlich: Einfluss wird geltend gemacht durch eine überzeugende Begründung, freundliches Auftreten, bestimmtes Vertreten eines Standpunkts, das Schmieden von Koalitionen, das Verhandeln und allenfalls das Klären des Auftrages mit einer höheren Autorität.

Führung von der Seite – Lateral führen im engeren Sinne

Im unternehmerischen Kontext dominiert der Trend zu flacheren und flexibleren Organisationen. Mehr als zwei Drittel aller Führungskräfte, die temporär oder »fix« Teams leiten, führen lateral – mit anderen Worten: Sie verfügen über keine formalen Weisungsbefugnisse (Radatz, 2008).

Es geht somit um die Leitung von nicht unterstellten Organisationsmitgliedern auf ein Arbeitsziel hin.

Dabei

imagesind die Organisationsmitglieder nicht zwingend aus derselben Organisationseinheit,

imagebewegen sich diese oft auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen,

imageverfügen Leitungspersonen über keine disziplinarischen oder andere direkten Sanktionsmöglichkeiten.

Führen oder Leiten?

Traditionsgemäß sind Projekt-»Leitende« typische lateral Führende, sie müssen Spannungen und Konflikte zwischen Linie und Projekt ausbalancieren, um neue Resultate zu ermöglichen, welche für die Weiterentwicklung der Linienorganisation nutzbar gemacht werden können (vgl. Heintel und Krainz, 1996). Wir präferieren an dieser Stelle trotzdem den Begriff »Führen«, weil »Führen« mehr als »Leiten« und »Leiten« nahe an »Koordinieren« (Abstimmen von Aufgaben und Tätigkeiten) ist. Eine zentrale Voraussetzung dafür, führen zu können, ist das Bewusstsein dafür, dass man eine Führungsaufgabe übernimmt.

Zum Verhältnis von lateraler und hierarchischer Führung

Hierarchische (Linien-)Führung bezieht sich auf die Kompetenz der Weisungsbefugnis und der Personalführung, während laterale Führung mittels Vertrauen und Verständigung unterschiedliche Interessen zu einer tragfähigen, gemeinsamen Leistung verbindet. Andere Machtquellen, wie die Expertise oder interne Kommunikation, müssen daher nutzbar gemacht werden (vgl. Kühl & Schnelle, 2009; Kühl & Matthiesen, 2012, S. 531; Gebert, 2002). Das Denkmodell der lateralen Führung soll hier nicht trennscharf einer hierarchischen Führung entgegengestellt werden. Ohne die Unterschiede unter den Tisch zu wischen, scheint die Schnittmenge an Herausforderungen in der Führung an Hochschulen groß. Das mittlere Management »im Sandwich« ist gerade in Expertenorganisationen trotz Weisungsbefugnis auf ähnliche Fähigkeiten des Herstellens von Vertrauen und Verständigung angewiesen.

Es geht dabei nicht darum, Menschen zu manipulieren und mehr oder weniger sanft, aber »anders« dazu zu bringen, zu tun, was man möchte. Eher geht es uns um die Ermöglichung einer gemeinsamen Sichtweise, um unter Berücksichtigung aller geeigneter Ressourcen selbstmotiviertes Engagement zu fördern.

Laterale Führung an Hochschulen

(Laterale) Führung wird an Hochschulen zum Thema im Zusammenhang mit der höheren Autonomie und verstärkter Organisationstätigkeit im Zuge von Verwaltungsreformen (New Public Management). Im Schweizer Fachhochschulsystem führt auch das Schaffen von größeren Einheiten (Mehrspartenfachhochschulen) zum Aufbau von Führungskapazität in der Mitte. Führung im organisationalen Kontext von Hochschulen ist herausfordernd (Kezar & Ekel, 2004). Expertinnen und Experten weisen eine doppelte Identität aus, jene der Profession und jene der Organisation. Standards für das professionelle Handeln werden außerhalb der Organisation gesetzt. Die divergierenden Interessen von Expertinnen und Experten auf eine gemeinsame organisationale Zielsetzung auszurichten, ist entsprechend schwierig.

Laterale Führung im weiteren Sinne

Ausgehend von den vorangehenden Überlegungen verstehen wir laterale Führung in dieser Publikation eher als Konzept in einem bestimmten Kontext denn als Funktion. Vielleicht ist diesem Konzept der angloamerikanische Begriff des »Leaderships« näher als das traditionelle Verständnis von »Management« als Durchsetzung von Zielen und Interessen (vgl. Bennis & Nanus, 1996 und Goleman et al., 2002). Hier besteht jedoch die Gefahr, in den wohl ältesten Erklärungsansatz von Führungskompetenz zurückzufallen, die »Eigenschaftstheorie« oder die »Trait«-Theorien (vgl. Weinert, 2004, S. 467 ff.). Spezielle Charaktereigenschaften lassen gemäß diesen Konzepten Menschen zu Führungspersonen werden.

Laterale Führung ist keine neue »Great-Man«-Theorie, laterale Führung ist hochgradig vom organisationalen Kontext, von spezifischen (Führungs-)Situationen und deren Ermöglichung von Führungshandeln abhängig. Führung ist eben immer Interaktion in einem sozialen System.

In diesem Sinne ist laterale Führung nicht allein ein Thema für »betroffene« Führungskräfte, sondern gerade auch für Hochschulleitungen und Stellen, welche auf mittlere Führungsstrukturen und -kulturen gestaltend einwirken. Gelingende laterale Führung ist angewiesen auf Rahmenbedingungen, welche eine Kultur lateraler Kooperation unterstützt, realistische Aufgaben erteilt und ein Klima schafft, in welchem Freiräume mutig improvisierend ausgelotet und Fehler konstruktiv genutzt werden.

Anforderung an laterale Führung an Hochschulen

In diesem Buchprojekt sind wir von Fällen ausgegangen, wie sie uns in unserer Weiterbildungs- und Beratungspraxis begegnen können (vgl. dazu auch Teil 2). Die Strukturierung dieser Aktionsfelder und die Diskussion von Anforderungen an laterale Führung haben die Themensetzung und den Aufbau dieses Buches geprägt.

Die folgende Darstellung repräsentiert diese vorläufige »Landkarte«. Sie enthält sowohl Anforderungen an laterale Führungspersonen wie auch an die Hochschule als Organisation.

Anforderung

an die laterale Führungsperson

an die Hochschule als Organisation

 

Sie kann

Sie sorgt für

Rahmenbedingungen für Führungsarbeit realistisch setzen

imageproaktiv einen klaren, realistischen Auftrag verhandeln

imagesinnvolle Aufträge (z. B. keine Delegation von Aufgaben an Projekte, die in die Linie gehören)

imageklare realistische Ziele und adäquate Ressourcen

Handeln in komplexen Situationen/Probleme lösen

imageambivalente Situationen erkennen und aushalten

image(wo nötig rasch) handeln bei unvollständigen Informationen und unklaren Rollen

imageeine angemessene Fehlerkultur

Führen von Teams

imageunterschiedliche Personen mit unterschiedlichen Interessen auf ein Ziel hin motivieren und mobilisieren

imageeine Kultur lateraler Kooperation

Die individuelle Entwicklung mitdenken

Selbstführung:

imagedie eigene Rolle verhandeln, d. h. Rollenkonflikte, Rollenüberlastung und Rollenunklarheit erkennen und wo möglich bearbeiten

imageden Wert und die Risiken einer lateralen Führungsfunktion für die eigene Laufbahn einschätzen

imageVerantwortung für die eigene Weiterentwicklung übernehmen

Personalentwicklung:

imageLaufbahnperspektiven jenseits des klassischen akademischen Profils

imagedie individuelle Förderung von Mitarbeitenden in der Übernahme lateraler Führungsaufgaben

Zur Organisationsentwicklung beitragen

imagegrenzüberschreitend agieren

imageunterschiedliche Interessen zielorientiert unter einen Hut bringen

imageRahmenbedingungen und eine innovative Kultur, welche die Zusammenarbeit über organisationale Grenzen hinweg wertschätzt

Innovationskraft entwickeln, »markt«orientiert handeln

imagedie eigene Energie und jene des Teams ausrichten auf die Erarbeitung innovativer Lösungen

imageRahmenbedingungen, welche die Akquise und Bearbeitung innovativer Projekte begünstigt

Tabelle 1 Anforderungen an laterale Führung

Leseempfehlung

In diesem Buch sind verschiedene thematische Schwerpunkte und Formen von Texten von Autorinnen und Autoren mit unterschiedlicher Expertise verbunden. Sie folgen einem linearen Aufbau, jeder Text steht jedoch auch für sich.

Dreh- und Angelpunkt sind fünf Geschichten oder Fälle (Teil 2). Diese illustrieren Situationen, wie sie von lateral Führenden täglich erlebt werden. Wenn Sie sich also konkret in die Alltagssituation von lateraler Führung hineinbegeben möchten, bietet es sich an, dass Sie diese Geschichten zum Einstieg in diese Lektüre lesen. Vielleicht sind Ihnen aber Ihre eigenen Führungsgeschichten Anregung genug.

Im ersten Teil sind drei grundlegende Texte versammelt, welche drei verschiedene Zugänge anbieten:

Der erste Text von Franziska Zellweger verortet das Konzept laterale Führung im betriebswirtschaftlichen Diskurs. Sie fragt nach einem mittleren Management an Hochschulen und zeigt die Vielfalt lateraler Führungstätigkeit in Expertenorganisationen wie Hochschulen auf.

Der Artikel von Geri Thomann widmet sich den Widersprüchlichkeiten von lateraler Führung. Die Komplexität von Führung und Schwierigkeiten des Führungshandelns in unvorhersehbaren Situationen werden mittels der Begriffe Dilemma, Paradoxie und Ambivalenz erklärt. In einer lateralen Führungsfunktion tätig zu sein, bedeutet Risiken einzuschätzen und einzugehen. Dies erfordert, die Spezifika der jeweiligen Organisation und Funktion zu kennen, um einen professionellen Umgang mit den Herausforderungen von lateraler Führung zu finden.

Christof Baitsch stellt Führung an Hochschulen als Praxisbericht vor. Dies einerseits aus dem Innenblick, sprich als ehemaliger Hochschulangehöriger und mit einem Außenblick, als Berater an Hochschulen. Mittels dieser beiden Perspektiven stellt er die Frage nach den Besonderheiten und der Praktikabilität von lateraler Führung.

Im dritten Teil nach den Fallbeispielen folgen fünf Texte, welche zwar keine Rezepte liefern, aber dem Ziel folgen, lateral Führenden konkrete Anregungen für ihre Arbeit anzubieten:

Rolf Kuhn beschreibt, wie kollektive Entscheidungsprozesse gestaltet werden können.

Im Beitrag von Elisabeth Fröhlich Luini geht es darum, wie in lateralen Führungssituationen Aufträge geklärt und Rollen verhandelt werden können.

Konflikte – das Erkennen wie auch der konstruktive Umgang mit konflikthaften Situationen – sind Gegenstand des Artikels von Kathrin Rutz.

Erika Stäuble zeigt am Beispiel von Projektführung auf, warum die Perspektive der Personalentwicklung für gelingende laterale Führung an Hochschulen zentral ist.

Abschließend präsentieren Rolf Kuhn und Geri Thomann einen allegorischen Zugang zu lateraler Führung: Sie schlagen Jazz als Metapher für Führung und Organisation vor.

Theo Wehner und Stefan Groß schließlich formulieren einen nachdenklichen Schlusspunkt, welcher keiner ist und doch einen Schluss setzt.

Zur Geschichte und zu den Personen hinter diesem Buch

Drei der an diesem Band beteiligten Autoren (Christof Baitsch, Rolf Kuhn und Geri Thomann) konzipierten und verantworten seit fünf Jahren das ZHE Weiterbildungsmodul »Lateral führen« im Rahmen des von Franziska Zellweger geleiteten Weiterbildungsstudiengangs (CAS) Leiten von Studiengängen und Projekten an Hochschulen. Ihre konzeptionellen Überlegung und Erfahrungen bilden die Basis dieses Buchprojekts.

Fünf der an diesem Band beteiligten Autorinnen und Autoren (Christof Baitsch, Elisabeth Fröhlich Luini, Erika Stäuble, Geri Thomann und Franziska Zellweger) trafen sich im Vorfeld zweimal zu intensiven Diskussionen unter Leitung von Franziska Zellweger zu den im Teil 2 skizzierten Fallbeispielen. Die Analyse der Fallbeispiele ermöglichte es, ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln und auch Differenzen wahrzunehmen. Herzlichen Dank für die Bereitschaft zu dieser produktiven Auseinandersetzung!

Wir bedanken uns auch bei Theo Wehner und Stefan Groß für die großzügige spontane Zusage, die noch unfertige Skizze des Buches durchzusehen und äußerst anregende Schlussgedanken zu formulieren.

Ein großer Dank gilt schließlich auch Mitautorin Kathrin Rutz, welche uns bei der Endredaktion des Manuskriptes tatkräftig und kompetent unterstützte, und Karl Wilbers für den kritischen Blick und die wertvollen Anregungen zur Anschlussfähigkeit über den Schweizer Kontext hinaus.

Laterale Führung in Expertenorganisationen und im Speziellen an Hochschulen bedarf der weiteren Verständnisklärung. Deshalb sind wir hier als Team durchaus auch »lateral« unterwegs. Verschiedene Perspektiven, Denk- und Handlungsmöglichkeiten werden im Folgenden eröffnet. Ein spannendes und komplexes Arbeitsfeld erhält dadurch hoffentlich etwas Konturen.

Literatur

Bennis, W. & Nanus, B. (1996). Führungskräfte. München: Heyne Campus.

Böckelmann, C. (2012). Profil und Perspektiven: Arbeitssituation und Laufbahnperspektiven von Führungspersonen auf der dritten und vierten Führungsebene an Pädagogischen Hochschulen der Schweiz. Beiträge zur Lehrerbildung, 29(3), 387–398.

Gebert, D. (2002). Führung und Innovation. Stuttgart: Kohlhammer.

Goleman, D., Boyatzis, R. E. & McKee, A. (2002). Emotionale Führung. Berlin: Ullstein.

Heintel, P. & Krainz, E. E. (1996). Projektmanagement. Wiesbaden: Gabler.

Kezar, A. J. & Eckel, P. D. (2004). Meeting Today’s Governance Challenges. The Journal of Higher Education, 75(4), 317–399.

Kühl, S. & Matthiesen, K. (2012). Wenn man mit Hierarchie nicht weiterkommt: Zur Weiterentwicklung des Konzepts des Lateralen Führens. In S. Grote (Hrsg.), Die Zukunft der Führung (S. 531–556). Heidelberg: Springer Gabler.

Kühl, S. & Schnelle, T. (2009). Führen ohne Hierarchie. Macht, Vertrauen und Verständigung im Prozess des Lateralen Führens. OrganisationsEntwicklung, 2009(2), 51–60.

Radatz, S. (2008). Laterale Führung – erfolgreich gelebt. Lernende Organisation, 41, 2008 (Januar/Februar), 7–13.

Weinert, A. B. (2004). Organisations- und Personalpsychologie. Weinheim/Basel: Beltz PVU.

Wunderer, R. (2003). Führung und Zusammenarbeit. Eine unternehmerische Führungslehre (5., überarb. Auflage). München: Luchterhand.

Teil 1: Grundlagentexte

Franziska Zellweger
Wer führt lateral? Mittleres Management an Hochschulen

Führen im Sandwich

Führung an Hochschulen ist ein ambivalentes Thema. Expertinnen und Experten verfügen in ihrem Feld über einen Wissensvorsprung und entziehen sich so einer fachlichen Führung. Zudem sind Strukturen und Kulturen an Hochschulen traditionsgemäß so ausgeprägt, dass eine wirksame zentrale Steuerung nur beschränkt möglich ist (vgl. den Beitrag von Thomann i. d. Bd.).

Im Zuge verschiedener Reformen und Veränderungen in der Hochschulumwelt erfahren Hochschulen jedoch eine Zunahme an Organisationstätigkeit. Dabei sind in der Hochschulforschung vor allem Fragen der Governance und Hochschulleitung im Blick. Damit einher geht jedoch auch eine Zunahme an Koordinations- und Führungstätigkeit in der Mitte von Hochschulen. An Schweizer Fachhochschulen übernehmen beispielsweise zahlreiche Personen auf dritter Hierarchiestufe Leitung und Personalverantwortung für Institute, Zentren oder Bereiche. An deutschen Hochschulen hat gerade die Neuordnung des Akkreditierungswesens in der Lehre zu einer Neustrukturierung hochschulischer Verantwortlichkeiten geführt (Reil & Wilbers, 2014). Gleichzeitig wird ein beeindruckendes Portfolio an Projekten bearbeitet, häufig mit Fragestellungen von bereichsübergreifendem Charakter, welche eine Koordination und Zusammenarbeit quer durch die Organisation erfordern. Etwa erfolgt eine Studiengangsentwicklung im Sandwich unterschiedlichster Ansprüche und Interessen, häufig ohne dass die Führung mit adäquaten Ressourcen und Kompetenzen ausgestattet ist.

Ziel dieses Beitrags ist eine Übersicht über Personen und ihre Aufgaben, welche in der Mitte von Hochschulen hierarchische oder laterale Führung übernehmen. Ausgangspunkt dabei ist eine Darstellung der Diskussion um mittleres Management in Unternehmen und relevante Parallelen und Differenzen zu den Entwicklungen im Hochschulbereich. Es folgt eine Übersicht über die Vielgestaltigkeit der Verantwortungsübernahme in der Mitte von Hochschulen.

Betriebswirtschaftliche Forschung zum mittleren Management

Wenn über Führungspraxis an Hochschulen nachgedacht wird, schwingt meist der Diskurs um moderne Unternehmensführung mit. Nicht selten ist festzustellen, dass Bilder und Konzepte, welche in der Managementlehre bereits wieder als überholt gelten, den Führungsalltag an Hochschulen prägen. Deshalb möchte ich als Erstes die Diskussion um Führung in der Mitte mit Bezug auf »klassische« Unternehmen nachzeichnen, bevor ich auf das mittlere Management an Hochschulen eingehe.

Definition und Aufgaben des mittleren Managements

Mittleres Management bezogen auf die Unternehmenshierarchie wird in der Literatur sehr unterschiedlich definiert (Wieser, 2014) und umfasst schätzungsweise 10 % der Mitarbeitenden eines mittelständischen oder großen deutschen Unternehmens (Hölterhoff et al., 2011). Die Mitte ist allgemein gesprochen das, »was nicht ganz ›oben‹ und nicht ganz ›unten‹ einzuordnen ist« (Stahl, 2005, S. 16), also ohne strategische Gesamtverantwortung und ohne Ansiedelung im operativen Kern.