Die Feenschule

Vielleicht hast du schon mal darüber nachgedacht, ob es Feen wirklich gibt. Vielleicht hast du dich gefragt, wo sie wohnen, wie sie ihren Tag verbringen, ob sie in die Schule gehen, was sie essen, trinken und spielen.

Möglicherweise hast du dir auch gewünscht, einmal einer Fee zu begegnen. Einer echten Fee, der du deine geheimsten Herzenswünsche erzählen darfst?

Dann bist du hier genau richtig. In diesem Buch werden Wünsche wahr. Vielleicht ist es heute noch nicht gerade dein Wunsch, aber das kann morgen schon ganz anders aussehen.

Komm herein! Lerne einen Ort kennen, der gar nicht so weit weg liegt, aber für uns Menschen doch meistens unsichtbar ist. Einen Ort voller Magie und Fröhlichkeit.

Tritt ein in die Welt der kleinen Wunschfee Rosalie und ihrer Freunde.

Ein zauberhafter Morgen

Im matten Licht einer Glühwürmchenfamilie saß Rosalie auf dem Boden und wühlte in ihrem Koffer. Vorsichtig sah sie noch einmal die Sachen für die Reise durch. Sie stapelte ihre Kleider auf die eine, Ersatzflügel und Schuhe auf die andere Seite. Behutsam strich die kleine Blumenfee über die Handtücher, in die ihre Mutter noch am Abend Rosalies Namen eingestickt hatte. Sie überlegte. War auch wirklich alles im Koffer? Moment … nein, da fehlte noch etwas! Auf nackten Füßen lief sie zu ihrem Fliegenpilztisch, auf dem ihr Tagebuch lag. Sie nahm es und packte es zum Reisegepäck.

»Rosalie! Was machst du denn da?«, rief plötzlich eine helle Stimme. »Gerade wollte ich dich wecken!«

Überrascht drehte sich Rosalie um. Im Türrahmen stand ihre Mutter und breitete die Arme aus.

»Guten Morgen, Geburtstagskind. Bist du etwa so aufgeregt, dass du nicht mehr schlafen kannst? Sonst bist du doch nie vor dem Klingeln deiner Glockenblume wach!«

Rosalie kuschelte sich an ihre Mutter. Ihre Wangen glühten vor Aufregung.

»Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen, Mama. War das bei dir auch so? Damals, als du ins Internat Blütenwald gekommen bist?«

Rosalies Mutter lächelte. »Feenhaargenauso!«

»Ich bin ganz kribbelig, so freue ich mich.« Rosalie schüttelte sich. »Und gleichzeitig habe ich auch ein bisschen Angst, weil ich dann nicht mehr bei euch bin. Und nur ab und zu nach Hause komme.«

Rosalies Mutter strich ihrer Tochter sanft über den Kopf.

»Ich weiß, mir war damals auch mulmig zumute. Aber das vergeht. Denk einfach daran, dass du deine Freundin Melissa Waldfee wiedersiehst. Und dass in der Schule viele andere Feenmädchen sind. Du wirst bestimmt Spaß haben und tolle Sachen lernen!«

Rosalie seufzte. »Aber du fehlst mir jetzt schon. Und Papa auch!«

Wie auf Kommando öffnete sich die Tür, und ein dickes Paket wurde von zwei starken Armen ins Zimmer getragen. Wer sich hinter dem Paket verbarg, konnte Rosalie nicht erkennen, aber es musste natürlich ihr Vater sein.

»Tatarata! Ein Geschenk für das Geburtstagskind!«, rief er mit seiner brunnentiefen Stimme.

Rosalie lachte. »Das sieht ja witzig aus. Als könnte das Paket laufen. Was ist denn drin, Papa? Darf ich es aufmachen?«

Rosalies Vater stellte die Kiste auf das Blütenbett der kleinen Fee, dann nahm er seine Tochter in die Arme. Wuschelweich und behaart waren sie, denn Rosalies Vater war ein Troll. Vergnügt wackelte er mit seinen großen Ohren.

»Na, mach schon, ich bin ganz gespannt, wie dir unser Geschenk gefällt.«

Mit fliegenden Fingern knibbelte Rosalie die Schleife auf und schlug das gestreifte Papier zur Seite. In dem Paket lag ein weiteres Paket. Etwas kleiner als das erste und in Pünktchenpapier verpackt. Rosalie grinste. Dieses Spiel kannte sie schon, seit sie ein Feenbaby war. So verpackte ihr Vater immer ihre Geschenke. In jedem Päckchen steckte ein neues, und die Schachteln wurden immer kleiner. Bestimmt würde sie heute noch eine Menge Päckchen auspacken müssen.

 

»Typisch Papa!« Rosalie knuffte ihren Vater in den Arm.

Der Troll lachte, dass sein Bauch bebte, und wiegte sich auf seinen breiten Füßen hin und her. Rosalies Mutter kicherte.

Nach dem gestreiften Päckchen und dem mit Punkten packte Rosalie noch ein himmelblaues und ein sonnengelbes Päckchen aus. Schließlich hielt sie eine fünfte Schachtel in der Hand und seufzte. Das Kistchen war winzig klein und leuchtend rot. »Endlich! Jetzt bin ich aber gespannt, was drin ist.«

»Sei vorsichtig«, mahnte ihre Mutter. »Es ist sehr wertvoll!«

Behutsam hob die kleine Fee den Deckel und spähte hinein. Ein glänzendes Schmuckstück, eine Brosche, steckte darin. Rosalie legte sie auf die flache Hand und betrachtete den Schmuck. Es war ein kleiner Grashüpfer. Der Körper schimmerte silbergrün, die Augen glänzten wie Edelsteine.

»Der ist wunderschön«, flüsterte Rosalie. Mit dem Zeigefinger strich sie zärtlich über das Tier. So vorsichtig, als könnte es beim geringsten Druck zerbrechen. »Vielen Dank, ihr seid so lieb!«

»Wie schön, dass dir unser Geschenk gefällt«, sagte Rosalies Mutter. Sie wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Auge. »Das ist ein Flugling. Dein Flugling. Jede kleine Fee bekommt ein solches magisches Tier, wenn sie in die Schule geht. Dein Vater und ich haben diesen Flugling aus vielen anderen für dich ausgesucht.«

Rosalies Vater streichelte der kleinen Fee liebevoll über den Kopf. »Wir fanden, dass er am besten zu unserem kleinen Hüpfer passt.«

»Ein Flugling«, wiederholte Rosalie. »Aha. Und was mache ich damit?«

»Nicht du machst etwas mit dem Flugling«, erklärte ihr Vater. »Er macht etwas mit dir. Er passt auf dich auf.«

Rosalie sah erst den Flugling, dann ihre Eltern verwundert an. Merkwürdig. Wie sollte eine Brosche auf sie aufpassen? Gerade wollte sie den Schmuck genauer untersuchen, da begann es in ihrer Hand zu kribbeln. Die kleine Fee stutzte. In diesem Moment drehte der Flugling seinen Kopf, richtete den Blick auf Rosalie und zwinkerte ihr zu. Einmal, zweimal, dreimal.

Rosalies Herz hüpfte aufgeregt. »Ist mein Flugling etwa … lebendig?«

»Psst.« Rosalies Mutter legte einen Finger auf die Lippen. »Großes Feengeheimnis! Alles, was du über deinen Flugling wissen musst, erfährst du in der Schule.«

Rosalies Eltern sahen sie schmunzelnd an.

»Wie aufregend!«, rief Rosalie. »Jetzt muss ich kein bisschen Angst mehr haben!«

Da klingelte die Glockenblume auf Rosalies Pilztisch.

»Zeit fürs Geburtstagsfrühstück!« Rosalies Mutter schob die kleine Fee vorsichtig aus dem Zimmer. »Und dazu gehört frischer Holunderbeersaft und natürlich eine Geburtstagstorte mit Himbeersahne und vielen Kerzen!«

Abschied von zu Hause

Aufgeregt flog Rosalie in die Küche. Das Zimmer war dunkel. Nur das Licht der sieben Kerzen, die auf einer großen Torte flackerten, erhellte den Raum. Heute war ihr Geburtstag. Ihr siebter Geburtstag. Und nicht nur das! Bei Rosalie fiel dieser Tag ausgerechnet mit ihrer Einschulung zusammen.

Heute würde die kleine Blumenfee endlich in die Feenschule aufgenommen werden. Denn im Feenreich gehen die Kinder erst mit sieben Jahren zur Schule. Vorher, so hat es die Feenkönigin vor vielen hundert Jahren entschieden, dürfen die kleinen Feen einfach nach Lust und Laune durch Wiesen und Wälder streifen. Erst wenn sie alt genug sind, lernen sie alles über ihre Feenkraft, das richtige Benehmen einer guten Fee und die Feenregeln. Dafür würde Rosalie die nächsten Jahre im berühmten Internat Blütenwald verbringen. Nur am Wochenende durfte sie ab und zu nach Hause fahren.