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HEIMLICHE HELDEN

Dayton Ward
Kevin Dilmore
Keith R. A. DeCandido
David Mack

Based on
Star Trek and Star Trek: The Next Generation
created by Gene Roddenberry
and
Star Trek: Deep Space Nine
created by Rick Berman & Michael Piller

Ins Deutsche übertragen von
Susanne Picard

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Die deutsche Ausgabe von STAR TREK – CORPS OF ENGINEERS 2: HEIMLICHE HELDEN wird herausgegeben von Amigo Grafik, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg. Herausgeber: Andreas Mergenthaler und Hardy Hellstern, Übersetzung: Susanne Picard; verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde; Lektorat: Katrin Aust und Gisela Schell; Satz: Rowan Rüster/Amigo Grafik; Cover Artwork: Martin Frei; Print-Ausgabe gedruckt von CPI Moravia Books s.r.o., CZ-69123 Pohorelice. Printed in the Czech Republic.

Titel der Originalausgabe: STAR TREK – S.C.E.: BOOK 2
German translation copyright © 2016 by Amigo Grafik GbR.

Star Trek S.C.E. #5: Interphase Book 2 copyright © 2001
Star Trek S.C.E. #6: Cold Fusion copyright © 2001
Star Trek S.C.E. #7: Invincible 1 copyright © 2001
Star Trek S.C.E. #8: Invincible 2 copyright © 2001

Original English language edition copyright © 2001 by CBS Studios Inc. All rights reserved.

™ & © 2016 CBS Studios Inc. STAR TREK and related marks and logos are trademarks of CBS Studios Inc. All Rights Reserved.

This book is published by arrangement with Pocket Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., pursuant to an exclusive license from CBS Studios Inc.

Print ISBN 978-3-86425-855-8 (Mai 2016) · E-Book ISBN 978-3-86425-901-2 (Mai 2016)

WWW.CROSS-CULT.DE · WWW.STARTREKROMANE.DE · WWW.STARTREK.COM

INHALT

Interphase 2

von Dayton Ward & Kevin Dilmore

Kalte Fusion

von Keith R. A. DeCandido

Unbesiegbar

von David Mack & Keith R. A. DeCandido

STAR TREK

CORPS

OF ENGINEERS

INTERPHASE 2

DAYTON WARD & KEVIN DILMORE

Based on
Star Trek
and
Star Trek: The Next Generation
created by Gene Roddenberry

Ins Deutsche übertragen von
Susanne Picard

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INHALT

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Über die Autoren

1

Commander Sonya Gomez hatte schon bei mehr als einer Gelegenheit ein Gefühl der Hilflosigkeit erleben müssen – meistens während der frühen Jahre ihrer Karriere. Als sie nun auf der Brücke der U.S.S. Defiant stand und das surreal anmutende Bild betrachtete, das auf dem Hauptschirm zu sehen war, stieg dieses Gefühl wieder in ihr hoch und drohte, sie völlig zu überwältigen.

Zusammen mit Captain David Gold und Soloman beobachtete sie, wie der interdimensionale Spalt, in dem sie steckten, sich langsam schloss und die Defiant in einem Chaos einschloss, das gemeinhin als »Interphase« bekannt war und sie von der U.S.S. da Vinci und ihrem ganzen Universum trennte.

Das Gefühl der Hilflosigkeit schien durchaus angemessen.

Dabei hatte diese Mission wie so viele andere, die Gomez seit ihrem Eintritt in das Ingenieurkorps der Sternenflotte hinter sich gebracht hatte, zu Beginn so einfach ausgesehen. Angefangen bei Captain Gold übte die Aufgabe, die Defiant zu bergen, mit ihren technologischen und historischen Aspekten eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf die gesamte Besatzung aus.

Die Rettung des legendären Schiffs, das schon seit über einem Jahrhundert in einer interdimensionalen Spalte des Raums gefangen war, stellte eine einzigartige ingenieurtechnische Herausforderung dar. Als das Schiff im Jahre 2268 verschwand, glaubten die meisten Wissenschaftler der Föderation, dass es ohne Hoffnung auf Rettung in einem anderen Universum verloren sei.

Dieser Glaube war vor zwei Wochen erschüttert worden, als ein tholianisches Raumschiff die Defiant entdeckt hatte. Sie war noch immer in dem interdimensionalen Spalt gefangen, aber nun zum ersten Mal seit einem Jahrhundert wieder sichtbar. Die Umstände, die zum erneuten Erscheinen des Schiffs nach so langer Zeit geführt hatten, waren jedoch nach wie vor ein Mysterium, und die Tholianer waren in ihrer unverwechselbaren Art nicht gerade großzügig im Austausch von hilfreichen Informationen.

Und solche Informationen könnten wir jetzt sehr gut brauchen, dachte Gomez.

Sie führte ein Außenteam auf die Defiant, mit der Aufgabe, auf dem Wrack ein Minimum an Energie wiederherzustellen. Zusammen mit Kieran Duffy, dem Antriebsspezialisten der da Vinci, hatte sie berechnet, dass die Manövrierdüsen der Defiant verwendet werden konnten, um das Schiff mithilfe des Traktorstrahls der da Vinci aus dem Spalt zu ziehen. Duffy und sein Team hatten auch den Navigationsdeflektor der Defiant so modifiziert, dass er die Hülle der Defiant verstärkte und es damit dem Traktorstrahl einfacher machte, das alte Schiff festzuhalten.

Aber natürlich wäre es keine richtige S.I.K.-Mission gewesen, wenn die Defiant nicht einige Überraschungen bereitgehalten hätte.

Zunächst war da der Zustand des Schiffes selbst. Vollkommen ohne Energie, die der Spalt ihr offenbar genommen hatte, war die Defiant ein lebloser Koloss, dunkel und bedrohlich, als das Außenteam in den Tiefen des Maschinenraums materialisierte. Dann waren da die Überreste der Mannschaft, die schwerelos durch das Innere des Schiffes schwebten. Die albtraumhafte Szenerie hatte Gomez unvermutet getroffen und eine tiefe Beklemmung in ihr ausgelöst. Ihre Reaktion machte ihr Sorgen, aber sie hatte ihr Unbehagen bisher unter Kontrolle gehalten, indem sie sich auf die akuten Probleme konzentrierte.

Aber dann hatten die Tholianer unerklärlicherweise auf die Defiant geschossen und damit den Versuch der da Vinci gestört, das hundert Jahre alte Raumschiff aus dem interdimensionalen Spalt zu ziehen. So war die Defiant noch tiefer in die Interphase geschleudert worden. Außerdem hatte der Angriff die Raumtasche um das Schiff kollabieren lassen. Nun war sie im Raum zwischen den Dimensionen gefangen und das Außenteam der da Vinci mit ihr.

»Der Beschuss der Tholianer könnte das Raumgefüge nahe dem Spalt beeinflusst haben«, sagte Gomez, als sie nun auf den Hauptschirm sah. »Dieser Raumbereich ist so instabil, dass schon die kleinste Störung dafür ausreichen würde.«

Gold wandte sich zu ihr und ergänzte: »Etwas Ähnliches stand auch in den Berichten der alten Enterprise über die Entdeckung der Defiant. Das Feuer der Tholianer damals brachte wohl den Rhythmus der Interphase des Spalts durcheinander. Die Defiant tauchte weiterhin auf und verschwand wieder, aber man musste die Intervalle dafür neu berechnen.«

»Das bedeutet, dass uns die da Vinci immer noch befreien könnte«, überlegte Gomez.

»Vielleicht«, erwiderte Gold und trat auf die Steuerbordseite der Brücke. »Aber zuerst sollten wir sicherstellen, dass das Schiff nicht um uns herum auseinanderfällt. Soloman, funktionieren die internen Sensoren? Können Sie uns einen Schadensbericht geben?«

Der Binäre gab einige Befehle in die Wissenschaftskonsole ein. Sein Gesicht war in sanftes blaues Licht getaucht, das aus dem Sucher der Station strahlte. Die Sensoren der Defiant waren nur teilweise funktionstüchtig, sodass es einige Augenblicke dauerte, bis er die Informationen gesichtet hatte.

»Es gibt … drei Hüllenbrüche auf den Decks acht … dreizehn und fünfzehn«, berichtete er. »Ebenso lassen sich Energiefluktuationen … in der Backbord-Warpgondel feststellen.« Er wandte sich vom Sucher ab und fügte hinzu: »Die Schäden sind gering, wenn man … die Intensität des Angriffs in Betracht zieht, Captain. Wir hatten … großes Glück.«

Gomez seufzte erleichtert. »Das kann man wohl sagen. Wenn das alle Schäden sind, können wir dem Traktorstrahl der da Vinci weiter standhalten.«

»Wenn sie immer noch da ist«, sagte Gold und erntete schockierte Gesichtsausdrücke von Gomez und Soloman. Der kommandierende Offizier der da Vinci achtete nicht darauf und fuhr stattdessen fort: »Sie könnte von den Tholianern zerstört oder handlungsunfähig geschossen worden sein, oder Mr. Duffy hat meine Befehle befolgt und sie aus diesem Raumbereich fortgebracht. Jedenfalls kann es gut sein, dass wir uns bei unseren Überlegungen, wie wir uns aus diesem Spalt befreien sollen, nicht auf die da Vinci verlassen können.«

»Selbst wenn der Spalt noch offen wäre«, warnte Gomez, »wären die Manövrierdüsen der Defiant nicht ausreichend, um uns alleine hier rauszufliegen.«

Die Generatoren, die sie von der da Vinci mitgebracht hatten, würden in der Tat nicht genug Energie aufbringen können, um die gewaltigen Impulstriebwerke des Schiffs zu versorgen, ganz zu schweigen vom Warpantrieb.

Gold zuckte mit den Schultern. »Dann werden wir wohl einen anderen Weg finden müssen, nicht wahr?«

»Captain«, sagte Gomez. »Was, wenn wir es wirklich hier rausschaffen? Die Tholianer könnten draußen vor dem Spalt auf uns warten. Wir wären eine Zielscheibe.«

»Wir haben die Wahl: Entweder wir warten darauf, dass uns irgendjemand hilft, der weiß, was hier los ist, oder wir nehmen es im Normalraum mit den Tholianern auf. Letzteres ist mir eindeutig lieber«, gab Gold zurück.

Das Zirpen seines Kommunikators unterbrach ihre Unterhaltung, dann erklang die Stimme von Dr. Elizabeth Lense, der medizinischen Offizierin der da Vinci. »Lense an Captain Gold. Ich habe hier einen Notfall und brauche Unterstützung.«

»Doktor?«, rief Gold etwas lauter als gewöhnlich. »Ist alles in Ordnung bei Ihnen? Was ist mit Pattie?«

Kurz nachdem sie sich zur Defiant gebeamt hatten, hatte P8 Blau, das Nasat-Teammitglied des S.I.K., eine seltsame Energiequelle in den Tiefen des Schiffs gemessen. Gold hatte sie und Dr. Lense losgeschickt, diese zu untersuchen. Sie hatten in einem der Frachträume ein merkwürdiges Gerät tholianischer Bauart gefunden. Soweit Gold wusste, waren Pattie und Lense während des tholianischen Angriffs unten im Frachtraum gewesen.

Jetzt tauchten Bilder vor Golds innerem Auge auf, wie Pattie und Lense in einem Mahlstrom von herumwirbelnden Frachtcontainern, die in der Schwerelosigkeit herumgeschleudert wurden, panisch nach Deckung suchten.

»Ich bin unverletzt«, erwiderte Lense. Wie durch ein Wunder klang ihre Stimme so gelassen wie sonst. »Aber wir sind nicht mehr im Frachtraum. Während des Angriffs destabilisierte sich ein Teil der Hülle, und Pattie wurde ins All geschleudert. Sie war bereits bewusstlos, und so hatte ich keine andere Wahl, als ihr zu folgen.«

»Was?«, sagte Gold. »Sie meinen, Sie treiben außerhalb des Schiffes im Nichts?«

»Nein, Sir. Ich konnte uns zurückbringen, aber in der Zwischenzeit hatte sich die Hülle wieder stabilisiert. Ich stehe auf der Außenseite des Schiffs und kann von hier aus keine Schleusen oder Luken erkennen, durch die ich wieder ins Schiff gelangen könnte. Pattie hat eine Gehirnerschütterung. Sie braucht medizinische Hilfe.«

Gold sah Gomez an. »Transporter? Können wir sie direkt auf die Brücke beamen?«

Die Ingenieurin schüttelte den Kopf. »Die Transporter haben keine Energie, zudem habe ich keine Möglichkeit, sie von hier aus zu kontrollieren. Jemand müsste in den Transporterraum auf Deck sieben gehen.«

Gold wandte sich an die Wissenschaftsstation, wo Soloman bereits an den Sensorkontrollen arbeitete. Es dauerte nicht lange, bis der Binäre aufsah.

»Ich habe sie lokalisiert, Captain. Die … nächste Möglichkeit, die Defiant auf der Steuerbordseite zu betreten … ist eine Wartungsschleuse auf Deck vierzehn. Ich kann … sie zu dieser Schleuse dirigieren, aber die Luke … wird von Hand geöffnet werden müssen.«

Lense’ Stimme klang ein wenig besorgt. »Ich bin nicht sicher, ob ich das alleine schaffe und mich gleichzeitig um Pattie kümmern kann.«

»Ich kann mich dort mit ihr treffen«, sagte Gomez. »Soloman kann mich zur Luke lotsen. Ich mache mich über die Jefferies-Röhren auf den Weg.«

Sie wusste, dass es schwierig sein würde, sich im Raumanzug in den Röhren und Wartungstunneln, die beinahe alle Punkte des Schiffs miteinander verbanden, zu orientieren. Andererseits würde es dadurch, dass die künstliche Schwerkraft des Schiffs ausgefallen war, auch ein wenig einfacher sein.

»Das klingt doch nach einem Plan.« Gold nickte zustimmend. »In der Zwischenzeit werden Soloman und ich noch etwas Detektivarbeit erledigen. Es liegt auf der Hand, dass, was auch immer die Tholianer so verärgert hat, mit diesem kleinen Ding zu tun hat, das Pattie und der Doktor im Frachtraum gefunden haben.«

2

Heute war nun wirklich der letzte Tag, an dem Kieran Duffy sich während der Arbeit hinlegen wollte.

Und doch fand er sich nur wenige Augenblicke nach seiner ersten Raumschlacht als kommandierender Offizier eines Sternenflottenschiffs auf den Deckplatten des Maschinenraums der U.S.S. da Vinci wieder. Direkt neben ihm lag eine ansehnliche Anzahl von isolinearen Chips, die noch vor Kurzem durchsichtig und funktionstüchtig, jetzt aber verkohlt und nutzlos waren. Er hielt weitere Chips in der Hand und untersuchte sie nach Anzeichen, dass sie ausgebrannt waren. Dann überprüfte er seine Kontrolle mit einem Diagnosegerät, das er in der anderen Hand hielt. Direkt neben seinem Kopf befand sich eine offene Konsole, die von innen heraus glühte, und ungefähr ein Dutzend leere Halterungen, die darauf warteten, dass er funktionierende Chips installierte.

Duffy ließ alle Chips bis auf zwei fallen, bevor er seinen Kopf in die Konsole steckte, um sich darin umzusehen. Die hell erleuchteten Kontrollkonsolen mit den funkelnden Chips schienen sauber und neu zu sein. Nichts deutete darauf hin, dass diese Schlüsselkomponenten im Warp-Antrieb eines Raumschiffs so gut funktionierten wie ein nasses Streichholz.

Ein einziger Treffer.

Mehr hatte das tholianische Schiff nicht gebraucht, um den Warpantrieb der da Vinci zu zerstören. Die Situation war schon vor wenigen Stunden schlimm genug gewesen, als Captain Gold ihm den Auftrag gegeben hatte, die Mischverhältnisse im Warpkern so auszubalancieren, dass die da Vinci die U.S.S. Defiant aus dem interdimensionalen Spalt ziehen konnte. Die ungewöhnliche und prekäre Verbindung, die der Spalt zwischen zwei Universen geschaffen hatte, hatte schon zuvor den Warpantrieben der Schiffe, die es gewagt hatten, sich ihm zu nähern, großen Schaden zugefügt, und Captain Gold wollte keine weiteren Überraschungen während der Bergungsaktion erleben.

Doch dank den Tholianern waren Duffys Berechnungen der Formeln und Feinheiten der magnetischen Felder, die die Materie davon abhalten sollten, sich unkontrolliert mit der Antimaterie zu vermischen, vergeblich gewesen.

Wie heißt dieser blöde Spruch? Der Kampf ging über zwei Runden: Der Klingone schlug den Cardassianer und der ging zu Boden. Und wer liegt jetzt auf dem Boden?

Duffy schob seine Hand in die Tiefen der Konsole, um die beiden Ersatzchips zu installieren. Mit Mühe schaffte er es, den einen Chip an seinen Platz zu setzen, dann versuchte er, die andere Stelle zu erreichen, indem er den übriggebliebenen Chip mit spitzen Fingern vor sich herschob.

Aber genau in dem Moment, in dem der Chip die Kante der vorgesehenen Halterung berührte, erschütterte ein kräftiger Tritt gegen seinen rechten Fuß seinen ganzen Körper.

»Aaah!«, schrie er, ließ den Chip fallen und schlug sich den Kopf an der Kante der Konsolenluke an. Er wand sich aus der Öffnung heraus und sah auf. Über ihm stand Domenica Corsi, ihre Stiefelspitze direkt neben seinem Fuß, über den sie gerade gestolpert war.

»Na toll«, sagte Corsi. »Strauße stecken ihre Köpfe in den Sand, Sie stecken Ihren in eine Konsole.«

Zorn stieg in Duffy auf. »Oh, ich bitte um Verzeihung«, gab er auf der Stelle zurück. »Ich hatte den verrückten Gedanken, dass es schön wäre, einen funktionierenden Warpantrieb zu haben, falls die Tholianer wiederkommen. Aber vielleicht möchten Sie ja lieber aussteigen und schieben.«

Corsis grimmige Miene verfinsterte sich weiter. »Ein ganzes Schiff voller Ingenieure und Sie sind der Einzige, der das hier reparieren kann?«

Die Frage ließ Duffy innehalten. Er dachte über seine Antwort nach, bevor er sagte, was ihm auf der Zunge lag. Ja, er war auf der da Vinci der Experte für den Antrieb. So agierte er in der Regel auch und setzte sich dabei sogar über den Chefingenieur hinweg.

Aber jetzt hatte er das Kommando über die da Vinci. Das war nicht der richtige Zeitpunkt, sich um ein Problem des Warpantriebs zu kümmern, und Corsi hatte ihn nur daran erinnert.

Wieder einmal.

Als wolle sie diesen Punkt noch einmal betonen, sagte sie: »Sie gehören auf die Brücke, Commander. Befehlen Sie jemand anders, den Warpantrieb zu reparieren.«

Duffy nickte. »Sie haben recht.« Mit einem schiefen Lächeln fügte er hinzu: »Sie mögen es, mich zurechtzuweisen, oder?«

Zufrieden stellte er fest, dass die Miene der Sicherheitschefin etwas weicher wurde.

Das ist immerhin ein Anfang.

Nachdem er den wichtigen Reparaturauftrag an die kleine Armee von Ingenieuren weitergegeben hatte, die sich hier im Herzen des Schiffs den verschiedensten Aufgaben widmeten, lächelte Duffy Corsi noch einmal an und ging zur Tür. Sie folgte ihm, und beide gingen rasch den Korridor hinab.

»Ich muss genau wissen, wie weit wir mit den Reparaturen sind, bevor Captain Scott uns die offizielle Antwort der Sternenflotte unsere Situation betreffend mitteilt«, sagte er. »Ich würde auch gern ein paar Ideen hören, was die Wiederöffnung des Spalts angeht.«

Er versuchte, sich an das letzte Gespräch mit dem alten Ingenieur, dem Kopf des Ingenieurkorps der Sternenflotte, zu erinnern. Es war Captain Montgomery Scott gewesen, der die da Vinci und ihre Besatzung überhaupt erst in den tholianischen Raum beordert und ihnen die schwierige Aufgabe zugewiesen hatte, die Defiant aus dem Spalt zu bergen, wobei sie mit den launischen Bewohnern dieses Gebiets zusammenarbeiten mussten. Er war es auch gewesen, dessen Gesichtszüge entglitten waren, als Duffy ihm von den Ereignissen berichtet hatte, die sich überschlagen hatten, gerade als die Mission so gut zu laufen schien. Und er war es, der dafür wahrscheinlich gerade von der Admiralität der Sternenflotte die Achterschilde versohlt bekam.

Corsis Stimme ließ Duffy aus seinen Gedanken aufschrecken. »Das habe ich mir schon gedacht, Commander. Das Team wartet im Besprechungsraum auf uns.«

Duffy konnte ein Lachen nicht unterdrücken. Er fühlte sich angesichts der Tatsache, dass »Kernbruch« Corsi als Sicherheitsnetz für seinen ersten Drahtseilakt als Kommandant fungierte, erleichtert. Mit ihr an seiner Seite würde er diese Mission vielleicht knapp überleben.

Als sie den Besprechungsraum betraten und Duffy seinen Blick über die Anwesenden schweifen ließ, versuchte er, nicht über die nachzudenken, die so schmerzlich fehlten. Auf ihren üblichen Plätzen um den Tisch saßen Carol Abramowitz, ihre Verbindungsoffizierin mit der Tholianischen Versammlung, Fabian Stevens, der Experte der da Vinci für taktische Systeme, und Bartholomew Faulwell, der Kryptograf und Linguist des Teams, der angesichts der fehlenden Offiziere eingesprungen war, um bei der Suche nach Lösungen für das Problem zu helfen. Duffy überlegte kurz, ob er am Kopfende des Tischs Platz nehmen sollte, dem Platz, den üblicherweise Captain Gold einnahm, aber dann entschied er sich doch für seinen angestammten Platz neben Abramowitz.

»Okay«, begann er, stützte die Ellbogen auf den Tisch und verschränkte die Finger. »Der Warpantrieb ist beinahe wieder funktionsfähig. Alles andere ist ebenfalls auf einem guten Weg, oder?«

Stevens antwortete als Erster: »Wir haben nicht allzu viel abbekommen, Duff. Die Waffen funktionieren einwandfrei. Kommunikation, Schilde, Deflektoren, Lebenserhaltung, alles läuft im grünen Bereich. Ich wette, dass auch der Warpantrieb hervorragend funktionieren würde, wenn wir uns nicht ausgerechnet in diesem Raumbereich hier befänden.«

Duffy fragte sich, ob das nicht eher die Regel als die Ausnahme war. Die Disruptoren der tholianischen Schiffe konnten sicher bei Raumschiffen ohne Schutzschilde verheerende Schäden anrichten, aber normalerweise schienen Föderationsraumschiffe mit voll funktionsfähigen Schilden die volle Wucht solcher Angriffe abwehren zu können.

»Vielleicht haben Sie recht, Stevens«, erwiderte er. »Aber hier ist alles anders. Im Moment möchte ich mich eher um die Modifizierungen der Deflektoren kümmern und sehen, ob wir den Spalt wieder öffnen können, ohne darauf zu warten, dass er es von selbst tut.« Er wusste, dass Zeit in dieser Situation ein wichtiger Faktor war. Die Tholianer wussten mit Sicherheit, welchen Schaden sie auf der da Vinci angerichtet hatten, und sie konnten sich ebenfalls denken, dass das Raumschiff diese Region nicht verlassen würde, solange die Defiant und das Außenteam nicht gerettet waren – es sei denn, man zwang es dazu.

Die Uhr tickte für die Leute an Bord beider Schiffe, und Duffy war nicht bereit, geduldig abzuwarten.

Corsi meldete sich zu Wort. »Die Harmonie der Schildfrequenzen sollte genau beobachtet werden, Mr. Stevens, für den Fall, dass der Spalt auf sie den gleichen degenerativen Effekt hat wie auf unseren Warpkern. Wir müssen auf einen vollen Angriff gefasst sein, wenn das tholianische Schiff mit Verstärkung zurückkommt.«

Duffy wollte schon antworten, doch Carol Abramowitz war schneller. »Sie können sich so viel vorbereiten, wie Sie wollen«, sagte sie. »Aber es wird keine Schlacht geben.« Die interkulturelle Spezialistin erwiderte Corsis konsternierten Blick und fuhr ungerührt fort. »Sie können darauf wetten, dass der Befehl der Sternenflotte lauten wird, ohne die Defiant nach Hause zurückzukehren. Keiner wird das Vertrauen, das Botschafter und Diplomaten während des Dominion-Krieges zu den Tholianern aufgebaut haben, riskieren wollen. Unglücklicherweise werden ein altes Schiff und ein paar Ingenieure da als entbehrlich gelten.«

Abramowitz’ Einschätzung deckte sich mit seiner eigenen. Duffy ließ ein wenig den Kopf hängen. Captain Gold hatte ihnen allen schon vor der Mission gesagt, dass sie abgeblasen würde, sollte es Anzeichen geben, dass die Beziehungen zu den Tholianern darunter leiden könnten. Und ein Schusswechsel schien für ihn durchaus in diese Kategorie zu fallen. Sicher würden die Diplomaten im Hintergrund alles daransetzen, die da Vinci von dieser Mission abzuziehen, ob ihre Besatzung nun vollständig war oder nicht.

Er musste darauf vorbereitet sein, sich zu verabschieden, von seinem Captain, seinen Freunden und auch seiner … seiner …

Oh, Sonnie.

Aber Corsi konnte ihre Meinung nicht für sich behalten. »Was, wir sollen das Außenteam im Stich lassen? Die Tholianer haben zuerst geschossen! Wir haben diesen Kampf nicht begonnen, aber verdammt noch mal, wir werden ihn beenden!«

Duffy sah, wie Corsi ihre Brauen zusammenzog und die anderen um den Tisch herum mit Blicken durchbohrte, als erwarte sie ihre Zustimmung. »Lassen Sie die auf der Erde sagen, was sie wollen. Egal, ob wir die Defiant nach Hause bringen oder nicht, wir holen unser Außenteam zurück!«

»Es zeugt von Mut, diese Ansicht auszusprechen«, erklärte Abramowitz. »Aber ich glaube nicht, dass das realistisch ist.« Ihr Ton war gemessen und höflich, aber Duffy wusste, das war ein Zeichen, dass sie die Geduld mit der Sicherheitschefin verlor. Die rivalisierende Anspannung beider Frauen konnte schon bald so explosiv werden wie eine Mischung aus Materie und Antimaterie.

»Realistisch ist ein Quantentorpedo«, erwiderte Corsi bissig. »Glauben Sie ernsthaft, in dieser Situation hilft es noch, die Tholianer zu bezirzen …«

»Ich muss doch sehr bitten!«

Duffy war über die Vehemenz und Lautstärke der Worte, die aus ihm herausbrachen, genauso überrascht wie alle anderen. Alle Augen richteten sich auf ihn. Für einige Sekunden sagte niemand etwas, und das Einzige, was im Raum zu hören war, waren das Ventilationssystem und das ständig präsente Summen des Schiffsantriebs.

Er räusperte sich kurz und fuhr in etwas gemäßigterem Ton fort. »Leute, wir sollten nicht eine Minute daran zweifeln, dass Captain Scott alles in seiner Macht Stehende tut, damit wir hierbleiben können. Wir dürfen nicht aufhören, daran zu glauben, dass Captain Gold alles tut, um die Defiant wieder auf unsere Seite des Spalts zu bekommen.«

Er hielt inne und konzentrierte sich auf Corsi, die mit verschränkten Armen auf ihrem Platz saß. »Aber wir werden keine Befehle missachten, die von der Sternenflotte kommen. Bis dieser Befehl tatsächlich kommt, werden wir allerdings erst mal tun, was wir können.«

Schweigen hing für einige Sekunden im Raum, als Duffy seinen Blick über seine Kollegen und Freunde schweifen ließ. Er durchforstete sein Gehirn nach Worten der Unterstützung und der Aufmunterung, die Art von Ansprache, die Captain Gold in solchen Situationen so leicht über die Lippen kam. Jetzt war der Zeitpunkt, ein Captain zu sein, stattdessen fühlte er sich wie ein Babysitter, der versuchte, einen Streit zwischen zwei Schwestern zu schlichten, während Mama und Papa gerade im Holotheater waren.

Ich kann sie wohl kaum ohne Abendessen ins Bett schicken.

Seine Aufmerksamkeit wurde von einem bernsteingelben Licht abgelenkt, das auf dem Tisch neben Faulwell aufleuchtete. Der Linguist tippte auf eine Kontrolle auf der Tastatur neben seinem Arm und sah dann mitfühlend auf Duffy.

»Da kommt eine Nachricht vom Kommando der Sternenflotte herein. Wollen Sie sie privat annehmen?«

Duffy schüttelte den Kopf. »Nein. Schalten Sie sie auf den Schirm.«

Als Captain Scotts gütiges Gesicht den Schirm an der Wand des Besprechungsraums ausfüllte, spürte Duffy, dass ein wenig der Anspannung, die alle im Zimmer erfüllt hatte, verschwand. Das faltige Gesicht des Ingenieurs, seine freundlichen Augen und das angedeutete Lächeln waren genau, was sie alle in diesem Augenblick brauchten.

»Ich habe gute und schlechte Nachrichten, Mr. Duffy«, sagte Scott, »aber die Situation sieht nicht gut aus.«

Duffy rüstete sich für das, was er zu berichten hatte. »Wir sind bereit, Sir.«

Scott holte tief Luft, bevor er fortfuhr. »Unser Botschafter bei den Tholianern empfiehlt, dass wir die Mission abbrechen. Er wünscht eine formelle Entschuldigung der Föderation bei dem Kommandanten des tholianischen Schiffs, auf das Sie gefeuert haben, und den Ratsmitgliedern der Versammlung. Er sagt, wir stehen kurz davor, alle Fortschritte zunichtezumachen, die wir in den Beziehungen zu den Tholianern bisher erreicht haben, und dass die Defiant das alles nicht wert ist.«

Duffy nahm Scotts Worte wie betäubt zur Kenntnis. Sie gaben exakt die Befürchtungen wieder, die Abramowitz gerade erst formuliert hatte. Dennoch besann er sich auf seine Schlagfertigkeit. »Und wie genau sieht die gute Nachricht aus, Captain?«

Scott erlaubte sich ein kurzes Lächeln, bevor er weitersprach. »Wir haben Admiral Ross’ Unterstützung, und sein Wort hat großes Gewicht im Föderationsrat. Der Admiral ist der Ansicht, die da Vinci sollte die Position halten und sich darauf berufen, dass der Angriff, der uns in diese Lage gebracht hat, auf unzureichendes Urteilsvermögen und den Einfluss des Spalts zurückzuführen sei und kein fehlgeschlagener Kooperationsversuch. Er meint, dass so am Ende vielleicht die Tholianer diejenigen sein werden, die sich bei uns entschuldigen müssen.«

Duffy atmete vorsichtig aus und entspannte sich etwas. »Also, was machen wir in der Zwischenzeit?«

»Sagen Sie mir, wie weit Sie mit den Reparaturen sind.«

Damit hatte Duffy nicht gerechnet, denn er hatte dem Oberhaupt des S.I.K. bereits einen genauen Schadensbericht geliefert. »Alle Systeme sind voll funktionsfähig, mit Ausnahme des Warpantriebs, genau wie …«

»Ah«, unterbrach Scott mit einem fast schon zu dramatischen Seufzer. »Wollen Sie sagen, Sie haben mit der Reparatur eine ganze Menge Ärger, so nah am Spalt …?«

»Nein, Sir«, entgegnete Duffy zunehmend verwirrt. »Wir sind beinahe …«

»Die Reparatur könnte doch Stunden dauern, bevor Sie wieder in Richtung Föderationsraum aufbrechen können?«

Endlich dämmerte es Duffy. Ein breites Grinsen zeigte sich auf seinem Gesicht, als er Captain Scotts Worte begriff. Es war eine Miene, die sich nun auf den Gesichtern aller im Raum Anwesenden zeigte.

»Aber ja, Sir. Ich würde sagen, mindestens drei …«

»Zwölf Stunden, sagen Sie, brauchen Sie für die Reparatur? Ich werde es Admiral Ross gleich wissen lassen.« Scott nickte grimmig. Seine Wange zuckte verdächtig. Duffy hätte beinahe laut losgelacht.

Hat er mir wirklich gerade zugezwinkert?

»Dann sollte Ihr Team sich an die Arbeit machen, Mr. Duffy«, sagte Scott. Seine Stimme klang nun etwas ernster. »Aber jetzt muss ich Sie unter vier Augen sprechen.«

Jetzt kommt’s, dachte Duffy, als alle anderen aufstanden und den Besprechungsraum mit einer Geschwindigkeit verließen, die eher an eine schiffsweite Evakuierung erinnerte. Nur Stevens hielt lange genug inne, um den Daumen zu heben und mit den Lippen die Worte »Viel Glück!« zu formen. Dann war auch er fort. Sekunden später war Duffy allein im Raum. Er sah direkt auf den Bildschirm und war bereit, sich vom Leiter des S.I.K. einen Rüffel abzuholen.

Schön war die Zeit. Macht’s gut und danke für den …

»Mr. Duffy«, fragte der betagte Ingenieur. »Wissen Sie, wie die Worte lauteten, die mir auf der Brücke eines Raumschiffs die größte Angst eingejagt haben?«

Duffy schüttelte den Kopf.

»Nun, sie lauteten: ›Mr. Scott, Sie haben das Kommando.‹«

Duffy lachte unwillkürlich und erkannte, dass der Captain seine Zwangslage nur zu gut verstand. Er kannte nicht viele Ingenieure, die in Kommandoränge aufgestiegen waren – jedenfalls keine, die aus demselben Holz geschnitzt waren wie er. Warum hätte ein Ingenieur auch ein Raumschiff kommandieren wollen, statt seine Zeit damit zu verbringen, es auseinanderzunehmen und wieder zusammenzusetzen?

»Die Aufgabe eines Ingenieurs ist es, ein Raumschiff funktionstüchtig zu halten und auf diese Weise die Mannschaft zu schützen«, sagte Scott. »Ein paar meiner besten Jahre in der Sternenflotte waren die, in denen ich in der Kommandokette der Enterprise an dritter Stelle kam. Die Mannschaft zu schützen, das war es, was ich die ganze Zeit im Kopf hatte, wenn ich auf dem Sessel in der Mitte der Brücke Platz nahm.

Mr. Duffy, ich will offen zu Ihnen sein. Dieser Diplomat, dieser Marshall, will Ihnen die Schuld an dieser ganzen Misere geben. Er glaubt, dass ein unreifer Offizier, ein einfacher Ingenieur, der für das Kommando nicht geeignet ist, das Ganze verursacht hat.«

Scott beugte sich vor.

»Wir werden ihm zeigen, dass er da falschliegt, Mr. Duffy.«

Stolz. Das war es, was in Captain Scotts Augen aufleuchtete, als er sprach. Stolz auf das Ingenieurkorps der Sternenflotte, Stolz auf die Besatzung der da Vinci, Stolz auf den Ingenieur, der als Dritter in der Kommandokette nun für ein Schiff die Verantwortung übernommen hatte, dessen Mission mehr war als nur die Bergung eines Wracks aus einer vergangenen Ära.

Ich schaffe das.

»Ja, das werden wir, Captain«, stimmte Duffy zu und stand auf. »Verschaffen Sie mir nur etwas Zeit.«

Scott nickte ein paar Mal und presste die Lippen zusammen. Der alte Ingenieur wirkte gedankenversunken.

»Junge, ich dachte einst selbst, dass ich meinen Captain in dieser Lage zurücklassen müsste. Ich werde alles daransetzen, damit Sie nicht das Gleiche durchmachen müssen. Scott Ende

3

Gomez kroch durch die dunklen Jefferies-Röhren immer tiefer ins Innere der Defiant.

Nur das Licht ihrer Helmlampe wies ihr den Weg, und nur der Klang ihres eigenen Atems leistete ihr Gesellschaft. Obwohl keine Schwerkraft ihr Fortkommen behinderte, an ihr zerrte oder sie kopfüber einen Wartungsschacht hinabstürzen ließ, war es schwierig, voranzukommen. Ihr Raumanzug, der für die Nutzung im Weltall oder auf der offenen Oberfläche eines unwirtlichen Planeten konstruiert war, behinderte ihre Bewegungen in dieser Umgebung nur. Verbindungen und Kreuzungen waren eine ganz besondere Herausforderung, denn sie musste aufpassen, dass ihr Anzug nicht an hervorstehenden Kontrollen oder sonst etwas Spitzem oder Scharfem, das aus den Wänden ragte, hängen blieb und aufriss.

Außerdem war sie davon überzeugt, dass die Wände immer näher kamen.

Der Gedanke kam unwillkürlich und rückte sofort in den Vordergrund. Sie wusste, das war ein abwegiger Einfall und völlig ohne Grundlage, aber sie konnte ihn nicht abschütteln. Die Jefferies-Röhre zog sich um sie zusammen. Die Wände drohten, das Leben aus ihr herauszuquetschen, und wichen erst zurück, wenn sie das Licht der Helmlampe darauf richtete.

»Die Röhre wird nicht enger«, schalt Gomez sich selbst. »Das ist nur deine eigene Einbildung, also reiß dich zusammen und mach weiter.«

Das tat sie und zog ihren schwerelosen Körper so schnell sie konnte durch den engen Tunnel. Dabei tat sie ihr Bestes, die beklemmende Enge der Wände um sich herum zu ignorieren.

Eine Bewegung vor ihr lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sich, zusammen mit einem kurzen Aufblitzen von Farbe, das sich von dem eintönigen Grau des restlichen Tunnels abhob. Gomez hielt einen Augenblick inne, um sich zu orientieren und mit ihrer Helmlampe in die Röhre vor sich zu leuchten. Als ihr Blick auf die Quelle der Bewegung fiel, spürte sie, wie ein Schauder durch ihren Körper rann.

Es war das Skelett eines weiteren Besatzungsmitglieds der Defiant, das in einen roten Overall gekleidet war und frei in der Jefferies-Röhre schwebte, soweit das in der Enge möglich war. Die Fußknochen lagen frei, die Stiefel, die der Mann einst getragen hatte, waren nirgendwo zu sehen.

Der Mann oder die Frau? Gomez hatte keine Ahnung, welches Geschlecht dieses Besatzungsmitglied einst gehabt hatte. Sie war nicht einmal ganz sicher, ob es menschlich war. War diese Person ein Ingenieur gewesen, der sich hier in den Tiefen des Raumschiffs abgerackert hatte, nur um von den Auswirkungen der Interphase überwältigt zu werden? Er oder sie war hier isoliert gewesen, abgeschnitten vom Rest der Mannschaft. Ein Wartungsschacht schien Gomez ein besonders einsamer Ort zum Sterben zu sein.

Dieser Gedanke störte sie jedoch bei Weitem nicht so sehr wie die Erkenntnis, dass das Skelett des unglücklichen Opfers ihr den Weg durch die Jefferies-Röhre versperrte. Sie würde sich an dem toten Besatzungsmitglied vorbeischlängeln müssen, um weiterzukommen.

»Lieber Gott …«, flüsterte sie und bemerkte, dass ihre Stimme bei diesen Worten zitterte. Auf gar keinen Fall würde sie das Skelett anfassen können. Allein der Gedanke, die sterblichen Überreste des Besatzungsmitglieds anzufassen, widerte sie an.

Was zum Teufel ist nur los mit mir? Ihr Verstand schrie diese Frage. Natürlich musste sie vorankommen. Es war der einzige Weg zu P8 Blau und Lense. Darauf musste sie sich konzentrieren, nicht darauf, wie eng dieser Tunnel war oder auf dieses tote Skelett, das vor ihr trieb …

»Hör auf!«, schrie sie sich selbst an. Ihre Stimme hallte in ihrem Helm nach. Dann blieb sie für einige Minuten an Ort und Stelle, um ihre Atmung wieder halbwegs unter Kontrolle zu bekommen.

»Du schaffst das«, sagte sie sich selbst. »Das musst du. Pattie und Elizabeth brauchen dich.«

Ja, das war die Lösung. Sie musste sich nur auf Pattie und Elizabeth konzentrieren und die Tatsache, dass die beiden außerhalb des Schiffs in der Falle saßen und ihre Hilfe brauchten, um wieder hereinzukommen.

Sie aktivierte den Kommunikator. »Gomez an Lense«, rief sie. Sie war sich schmerzhaft bewusst, dass man ihrer Stimme ihre Nervosität anhören konnte. »Wie läuft es bei Ihnen? Und wie geht es Pattie?«

»Ich bin an der Schleuse, Sonya«, erwiderte die Ärztin. »Pattie ist immer noch bewusstlos, aber ihre Lebenszeichen sind stabil.« Sie hatte Gomez’ Anspannung offenbar ebenfalls bemerkt. »Alles in Ordnung bei Ihnen? Stimmt irgendetwas nicht?«

Gomez zwang sich, ein paar Mal tief durchzuatmen, bevor sie antwortete. Es wäre nicht gut, falschen Mut zu beweisen, das wusste sie, denn Lense würde diese Fassade mühelos durchschauen können. Es war sicher besser, zu erklären, was sie so beunruhigte.

»Ich fühle mich ein wenig klaustrophobisch, Elizabeth«, gab sie zu. »Ich bin schon durch eine Menge Jefferies-Röhren gekrochen, aber so habe ich mich noch nie gefühlt. Und da ist noch etwas.« In stockenden Worten beschrieb Gomez leise die Leiche, die ihren Weg blockierte.

Genug jetzt! Es war Zeit, weiterzugehen, dachte sie entschlossen. Lense und P8 Blau konnten nicht den ganzen Tag darauf warten, dass sie sich zusammenriss. Mit einem letzten befreienden Atemzug packte sie den nächsten Haltegriff und zog sich weiter voran.

»Ich bin unterwegs, Elizabeth«, sagte sie und hoffte, dass ihre Stimme in den Ohren der Ärztin zuversichtlicher klang als in ihren eigenen.

»Gut«, erwiderte Lense. »Sonya, reden Sie einfach mit mir, wenn Sie sich wieder nervös oder unbehaglich fühlen.«

»Okay.« Gomez nickte, auch wenn niemand da war, der es sehen konnte. Doch das kümmerte sie nicht, ihre Aufmerksamkeit richtete sich stattdessen auf die bevorstehende Aufgabe. Sie schloss die Augen und rief sich den schematischen Lageplan ins Gedächtnis, den Soloman ihr gezeigt hatte.

Ihre Konzentration ließ allerdings nach, als sie spürte, wie ihre Hand etwas streifte, das eindeutig kein Teil der Jefferies-Röhre war. Es war weich, gab unter ihrer Berührung nach und bewegte sich leicht, als sie näher kam.

Das Besatzungsmitglied.

Beinahe sofort spürte Gomez, wie ihr Puls sich beschleunigte und ihr Atem schneller wurde. Trotzdem zog sie sich weiter vorwärts, biss die Zähne zusammen und schloss die Augen noch fester, als sie spürte, wie das Skelett des toten Besatzungsmitglieds an ihrem Raumanzug vorbeiglitt. Ihr Verstand quälte sie mit Bildern von Knochen, die sich unter dem Overall des Besatzungsmitglieds verschoben. Konnte sie das Geräusch der aneinander schabenden Knochen tatsächlich hören?

Und dann passierte das, was sie am meisten fürchtete.

Es ging nicht weiter. Sie hielt sich an einem der Haltegriffe fest und versuchte, sich daran vorwärtszuziehen, doch vergeblich. Sie steckte fest. Ohne nachzudenken, öffnete sie die Augen und sah, dass der Schädel des toten Besatzungsmitglieds direkt an ihrem Helmvisier klebte.

Der Schrei, der sich aus ihrer Kehle löste, schien in dem engen Tunnel widerzuhallen.

»Sonya!« Lense’ Stimme kam über den Kommunikator. »Was ist passiert?«

Gomez antwortete nicht. Sie achtete nicht auf ihr aus dem Schiff ausgesperrtes Teammitglied, schlug mit den Armen um sich und trat in dem panischen Versuch, sich zu befreien, wie wild gegen die Tunnelwände. Eine Hand wischte den Schädel weg, der sie immer noch angrinste, und stieß ihn fort an die Decke der Röhre. Sie spürte, dass etwas unter ihren Fingern zersplitterte wie morsches Holz, dann war sie frei und zog sich wieder durch den Tunnel. Sie hatte keinen anderen Gedanken mehr im Kopf als den, nur ja nicht irgendwo hängen zu bleiben oder sich den Kopf an einer Wand oder einem Schott zu stoßen.

Plötzlich wichen die gekrümmten Wände der Jefferies-Röhre zurück und Gomez fiel in einen der Korridore der Defiant. Sie schaffte es gerade noch, die Arme hochzureißen, um nicht kopfüber auf das gegenüberliegende Schott zu prallen. Als ihre Hände die Wand berührten, übernahmen Instinkt und Training wieder die Kontrolle und halfen ihr bei der Orientierung, sodass ihre Magnetstiefel sich wieder auf das kalte, staubige Deck stellen konnten.

»Sonya?«, wiederholte Lense. »Antworten Sie! Ist alles in Ordnung?«

Gomez nahm sich noch einen Augenblick Zeit, um sich zu sammeln und die Erinnerung an die Leiche des Besatzungsmitglieds und daran, wie das Skelett unter ihrer Panikattacke nachgegeben hatte, als sie sich befreien wollte, zu verdrängen.

»Mir … mir geht’s gut, Elizabeth. Zumindest im Moment. Aber wenn es Ihnen nichts ausmacht, müsste Soloman uns einen anderen Weg zurück auf die Brücke finden.«

»Im Moment wäre ich erst einmal dankbar dafür, wieder im Schiff zu sein«, erwiderte die Ärztin.

Ein schwaches Kichern durchbrach Gomez’ Angst und zauberte ein dringend benötigtes Lächeln in ihr Gesicht. Sie ging den Korridor weiter hinab und richtete sich dabei nach den Richtungsweisern an den Schotten. Sie brauchte nicht lange, um den Raum zu finden, in dem sich sowohl die Wartungsschleuse als auch eine Anzahl von Spinden befand, in denen Raumanzüge und eine Auswahl von Werkzeugen aufbewahrt wurden. Wenn Zeit kein Faktor gewesen wäre, hätte Gomez sich einige Augenblicke Zeit genommen, um das jahrhundertealte Werkzeug zu untersuchen und sich daran zu erfreuen, wie hervorragend die fehlende Atmosphäre des Schiffs diese konserviert hatte.

Stattdessen wandte sie sich der Schleuse selbst zu. Ihr manueller Türöffner machte kurzen Prozess mit dem Schloss, und die Luke öffnete sich. Dahinter erschien das vertraute Gesicht von Elizabeth Lense. Die Ärztin hielt noch immer die bewusstlose Pattie in den Armen.

»Wie geht es ihr?«, fragte Gomez und half, die Nasat aufs Deck zu legen. Sie wollte Patties reglose Gestalt festhalten, als Lense nach ihrem Trikorder griff, aber zu Gomez’ Überraschung war sie selbst das erste Objekt von Lense’ Gründlichkeit.

»Wie erwartet«, meinte Lense, während ihr Trikorder zuschnappte. Sie holte ihr Medikit hervor. »Die Wirkung des Theragens, das ich Ihnen verabreicht habe, lässt nach. Die Interphase fängt an, Sie zu beeinflussen.«

Gomez seufzte in einer Mischung aus Erleichterung und Widerwillen auf. Sie gestattete sich einen Augenblick der Entspannung und sackte am Schott zusammen. Wenigstens wusste sie nun, dass die Gefühle von Panik und Unsicherheit, die sie empfunden hatte, einen äußeren Grund hatten und nicht ihr eigenes Versagen waren. Auf der anderen Seite hatte sie nicht erwartet, dass die Impfung, die Lense ihnen allen verabreicht hatte, so schnell nachlassen würde.

Als habe sie Gomez’ Frage vorausgeahnt, sagte Lense: »Im Spalt selbst sind wir wahrscheinlich einer stärkeren Wirkung der Interphase ausgesetzt, als wenn wir uns nur in der Nähe befänden. Ich sollte dem gesamten Außenteam so bald wie möglich eine neue Dosis verabreichen.«

Mit dem Hypospray in der Hand griff die Ärztin nach Gomez’ rechter Schulter und platzierte den Injektor in die kleine Druckschleuse, die sich dort befand. Die Verbindung war speziell dafür gemacht, dem Träger des Raumanzugs Medikamente zu verabreichen, wenn die Umstände es nicht gestatteten, den Helm abzunehmen. So konnte man ihn in beinahe jeder Umgebung behandeln. Kaum hatte sie Gomez das Theragen injiziert, wiederholte sie den Prozess bei sich selbst.

»Ich hatte nicht erwartet, dass ich so schnell nachimpfen müsste, wenn überhaupt«, erklärte Lense. »Wenn wir nicht aus dem Spalt verschwinden, bevor mein Theragen-Vorrat erschöpft ist, könnten wir in ernsthafte Schwierigkeiten geraten.«

Gomez dachte an den Anfall, den sie in der Jefferies-Röhre erlitten hatte und der der Hysterie sehr nahe gekommen war. Die Tatsache, dass er beinahe nichts im Vergleich zu dem sein würde, was ihnen bevorstand, wenn sie der vollen Wirkung des Spalts ausgesetzt waren, erfüllte sie mit einem ausgeprägten Gefühl der Panik.

4

Duffy saß im Sessel des Captains und starrte in die Weiten des Weltalls, das man auf dem Hauptschirm der da Vincida VinciDefiant