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Meiner Frau,
Christine Henriette,
geb. Engehausen

Ich war an einem schönen Maientag,

Ein halber Knabe noch, in einem Garten

Und fand auf einem Tisch ein altes Buch.

Ich schlug es auf, und wie der Höllenzwang,

Der, einmal angefangen, wär es auch5

Von einem Kindermund, nach Teufelsrecht,

Trotz Furcht und Graun, geendigt werden muß,

So hielt dies Buch mich fest. Ich nahm es weg

Und schlich mich in die heimlichste der Lauben

Und las das Lied von Siegfried und Kriemhild.10

Mir war, als säß ich selbst am Zauberborn,

Von dem es spricht: die grauen Nixen gossen

Mir alle ird’schen Schauer durch das Herz,

Indes die jungen Vögel über mir

Sich lebenstrunken in den Zweigen wiegten15

Und sangen von der Herrlichkeit der Welt.

Erst spät am Abend trug ich starr und stumm

Das Buch zurück, und viele Jahre flohn

An mir vorüber, eh ich’s wieder sah.

Doch unvergeßlich blieben die Gestalten20

Mir eingeprägt, und unauslöschlich war

Der stille Wunsch, sie einmal nachzubilden,

Und wär’s auch nur in Wasser oder Sand.

Auch griff ich oft mit halb beherztem Finger,

Wenn etwas andres mir gelungen schien,25

Nach meinem Stift, doch nimmer fing ich an.

Da trat ich einmal in den Musentempel,

Wo sich die bleichen Dichterschatten röten,

Wie des Odysseus Schar, von fremdem Blut.

Ein Flüstern ging durchs Haus, und heil’ges Schweigen30

Entstand sogleich, wie sich der Vorhang hob,

Denn Du erschienst als Rächerin Kriemhild.

Es war kein Sohn Apolls, der Dir die Worte

Geliehen hatte, dennoch trafen sie,

Als wären’s Pfeile aus dem goldnen Köcher,35

Der hell erklang, als Typhon blutend fiel.

Ein lauter Jubel scholl durch alle Räume,

Wie Du, die fürchterlichste Qual im Herzen

Und grause Schwüre auf den blassen Lippen,

Dich schmücktest für die zweite Hochzeitsnacht;40

Das letzte Eis zerschmolz in jeder Seele

Und schoß als glühnde Träne durch die Augen,

Ich aber schwieg und danke Dir erst heut.

Denn diesen Abend ward mein Jugendtraum

Lebendig, alle Nibelungen traten45

An mich heran, als wär ihr Grab gesprengt,

Und Hagen Tronje sprach das erste Wort.

Drum nimm es hin, das Bild, das Du beseelt,

Denn Dir gehört’s, und wenn es dauern kann,

So sei’s allein zu Deinem Ruhm und lege50

Ein Zeugnis ab von Dir und Deiner Kunst!

Erste Abteilung

Der gehörnte Siegfried

Vorspiel in einem Akt

Personen

KÖNIG GUNTHER

HAGEN TRONJE

DANKWART, dessen Bruder

VOLKER, der Spielmann

Brüder des Königs

GISELHER

GERENOT

RUMOLT, der Küchenmeister

SIEGFRIED

UTE, die Witwe König Dankrats

KRIEMHILD, ihre Tochter

Recken, Volk

Burgund, Worms am Rhein. König Gunthers Burg. Große Halle. Früher Morgen. Gunther, Giselher, Gerenot, Dankwart, der Spielmann Volker und andere Recken sind versammelt.

Erste Szene

Hagen von Tronje tritt ein.

HAGEN.

Nun, keine Jagd?

GUNTHER.

    Es ist ja heil’ger Tag!

HAGEN.

Daß den Kaplan der Satan selber hole,

Von dem er schwatzt.

GUNTHER.

    Ei, Hagen, mäß’ge dich.

HAGEN.

Was gibt’s denn heut? Geboren ist er längst!55

Das war – laßt sehn! – Ja, ja, zur Zeit der Flocken!

Sein Fest verdarb uns eine Bärenhatz.

GISELHER.

Wen meint der Ohm?

HAGEN.

    Gekreuzigt ist er auch,

Gestorben und begraben. – Oder nicht?

GERENOT.

Er spricht vom Heiland.

HAGEN.

    Ist’s denn noch nicht aus? –60

Wer hält mit mir? Ich eß kein Fleisch zur Nacht,

Das nicht bis Mittag in der Haut noch steckt,

Auch trink ich keinen Wein, als aus dem Horn,

Das ich dem Auerstier erst nehmen muß!

GUNTHER.

So wirst du Fische kauen müssen, Freund,65

Am Ostermorgen gehn wir nicht zur Jagd.

HAGEN.

Was tun wir denn? Wo ist der heil’ge Mann?

Was ist erlaubt? Ich hör die Vögel pfeifen,

Da darf der Mensch sich doch wohl fiedeln lassen?

(Zu Volker.) So fiedle, bis die letzte Saite reißt!70

VOLKER.

Ich fiedle nicht, solang die Sonne scheint,

Die lust’ge Arbeit spar ich für die Nacht.

HAGEN.

Ja, du bezögst auch dann noch dir die Geige

Gern mit des Feindes Darm und strichest sie

Mit einem seiner Knochen.

VOLKER.

    Würdest du75

Vielleicht auf die Bedingung Musikant?

HAGEN.

Ich kenne dich, mein Volker. Ist’s nicht so?

Du redest nur, wenn du nicht fiedeln darfst,

Und fiedelst nur, wenn du nicht schlagen kannst.

VOLKER.

Mag sein, Kumpan.

GUNTHER.

    Erzähl uns was, der Tag80

Wird sonst zu lang. Du weißt so mancherlei

Von starken Recken und von stolzen Fraun.

HAGEN.

Nur von Lebend’gen, wenn es dir beliebt,

Daß man sich sagen darf: die krieg ich noch,

Den vor mein Schwert und die in meinen Arm.85

VOLKER.

Ich will dir von Lebendigen erzählen,

Und der Gedanke soll dir doch vergehn.

Ich kenn den Recken, den du nimmer forderst,

Und auch das Weib, um das du nimmer wirbst.

HAGEN.

Wie! Auch das Weib? Den Recken laß ich gelten,90

Doch auch das Weib? Du meinst den Schlangentöter,

Den Balmungschwinger, den gehörnten Siegfried,

Der, als er einmal Schweiß vergossen hatte,

Durchs Bad sich deckte vor dem zweiten Mal –

Allein das Weib?

VOLKER.

    Ich sag dir nichts von ihr!95

Du könntest ausziehn, um sie heimzuführen,

Und kämst gewiß nicht mit der Braut nach Haus.

Der Schlangentöter selbst wird sich besinnen,

Ob er als Freier bei Brunhilden klopft.

HAGEN.

Nun, was Herr Siegfried wagt, das wag ich auch.100

Nur gegen ihn erheb ich nicht die Klinge:

Das wär ja auch, wie gegen Erz und Stein.

Glaubt’s oder zweifelt, wie es Euch gefällt:

Ich hätt’ mich nicht im Schlangenblut gebadet,

Darf denn noch fechten, wer nicht fallen kann?105

GISELHER

(zu Volker). Schon hört ich tausend Zungen von ihm plappern,

Doch, wie die Vögel durcheinander zwitschern,

Es gab kein Lied. Sprich du einmal von ihm!

GUNTHER.

Vom Weibe erst. Was ist das für ein Weib?

VOLKER.

Im tiefen Norden, wo die Nacht nicht endet,110

Und wo das Licht, bei dem man Bernstein fischt

Und Robben schlägt, nicht von der Sonne kommt,

Nein, von der Feuerkugel aus dem Sumpf –

(Man hört in der Ferne blasen.)

HAGEN.

Trompeten!

GUNTHER.

    Nun?

VOLKER.

         Dort wuchs ein Fürstenkind

Von wunderbarer Schönheit auf, so einzig,115

Als hätte die Natur von Anbeginn

Haushälterisch auf sie gespart und jeder

Den höchsten Reiz des Weibes vorenthalten,

Um ihr den vollen Zauber zu verleihn.

Du weißt von Runen, die geheimnisvoll120

Bei dunkler Nacht von unbekannten Händen

In manche Bäume eingegraben sind:

Wer sie erblickt, der kann nicht wieder fort,

Er sinnt und sinnt, was sie bedeuten sollen,

Und sinnt’s nicht aus, das Schwert entgleitet ihm,125

Sein Haar wird grau, er stirbt und sinnt noch immer:

Solch eine Rune steht ihr im Gesicht!

GUNTHER.

Wie, Volker? Dieses Weib ist auf der Welt,

Und ich vernehm’s erst jetzt?

VOLKER.

    Vernimm noch mehr!

So ist’s. Bei Eis und Schnee, zur Augenweide130

Von Hai und Walfisch, unter einem Himmel,

Der sie nicht einmal recht beleuchten kann,

Wenn nicht ein Berg aus unterird’schen Schlünden

Zuweilen seine roten Blitze schickt,

Ist aller Jungfraun herrlichste erblüht.135

Doch ist das öde Land, das sie gebar,

Auf seinen einz’gen Schatz auch eifersüchtig

Und hütet sie mit solcher neid’schen Angst,

Als würd es in demselben Augenblick

Vom Meere, das es rings umbraust, verschlungen,140

Wo sie dem Mann ins Brautbett folgt. Sie wohnt

In einer Flammenburg, den Weg zu ihr

Bewacht das tückische Geschlecht der Zwerge,

Der rasch umklammernd quetschend Würgenden,

Die hören auf den wilden Alberich,145

Und überdies ist sie begabt mit Kräften,

Vor denen selbst ein Held zuschanden wird.

GUNTHER.

Wie das?

VOLKER.

    Wer um sie wirbt, der wirbt zugleich

Um seinen Tod, denn führt er sie nicht heim,

So kehrt er gar nicht wieder heim, und ist150

Es schon so schwer, nur zu ihr zu gelangen,

So ist es noch viel schwerer, ihr zu stehn.

Bald kommt auf jedes Glied an ihrem Leibe

Ein Freier, den die kalte Erde deckt,

Denn mancher schon zog kühn zu ihr hinab,155

Doch nicht ein einziger kam noch zurück!

GUNTHER.

Nun, das beweist, sie ist für mich bestimmt!

Hei! Meine lange Brautwahl hat ein Ende,

Brunhilde wird die Königin Burgunds!

(Man hört die Trompeten ganz nahe.)

Was gibt’s?

HAGEN

(tritt ans Fenster).

Das ist der Held aus Niederland.160

GUNTHER.

Du kennst ihn?

HAGEN.

    Schau nur hin! Wer zöge wohl

So trotzig bei uns ein, wenn er’s nicht wäre,

Und hätte doch nur zwölfe im Gefolg!

GUNTHER

(tritt gleichfalls ans Fenster).

Ich glaub es selbst! Doch sprich, was führt ihn her?

HAGEN.

Ich weiß nicht, was ihn reizt! Er kommt wohl nicht,165

Um sich vor dir zu bücken, und er hat

Zu Haus doch alles, was man wünschen kann.

GISELHER.

Ein edler Degen!

GUNTHER.

    Wie empfängt man ihn?

HAGEN.

Du dankst ihm, rat ich, wie er dich begrüßt.

GISELHER.

Ich gehe ihm entgegen!

GERENOT.

    So auch ich!170

HAGEN.

Wer’s tut, der wird sich nicht erniedrigen!

Denn, daß er’s euch nicht selbst zu melden braucht:

Er steckt nicht bloß in seiner Haut von Horn

Und hat die Balmung-Klinge an der Seite,

Er ist auch Herr des Nibelungenhorts175

Und trägt die Nebelkappe Alberichs,

Und alles das, ich muß es redlich sagen,

Durch seine Kraft und nichts durch Hinterlist,

Drum geh ich mit.

GUNTHER.

    Wir kommen schon zu spät.

Zweite Szene

SIEGFRIED

(tritt mit seinen zwölf Recken ein).

Ich grüß dich, König Gunther von Burgund! –180

Du staunst, daß du den Siegfried bei dir siehst?

Er kommt, mit dir zu kämpfen um dein Reich!

GUNTHER.

Hier kämpft man nicht um das, was man schon hat!

SIEGFRIED.

Um das denn, was dran fehlt! Ich hab ein Reich,

So groß, wie deins, und wenn du mich besiegst,185

So bist du Herr darin. Was willst du mehr?

Du greifst noch nicht zu deinem Schwert? Ich hörte

Ja doch, daß hier die Tapfersten der Recken

Versammelt seien, kühn genug, mit Thor

Zu kämpfen um den Donner, wenn sie ihn190

In irgendeinem Eichenhaine träfen,

Und stolz genug, die Beute zu verschmähn.

Ist das nicht wahr? Wie? Oder zweifelst du

An meinem Pfande, glaubst du, daß ich’s dir

Nicht geben kann, weil noch mein Vater lebt?195

Herr Sigmund steigt von seinem Thron herunter,

Sobald ich wiederkehre, und er wünscht

Sich sehnlich diesen Augenblick herbei,

Denn selbst der Zepter wird dem Greis zu schwer.

Und jeden Helden, der dir dienen mag,200

Wäg ich dir auf mit dreien, jedes Dorf

Mit einer Stadt, und für ein Stück vom Rhein

Biet ich den ganzen dir! So komm und zieh!

DANKWART.

Wer spricht mit einem König so?

SIEGFRIED.

    Ein König!

Spricht doch ein Degen so mit einem Degen!205

Wer kann und mag besitzen, wenn er nicht

Bewiesen hat, daß er mit Recht besitzt?

Und wer erstickt das Murren um sich her,

Bevor er den Gewaltigsten, der lebt,

Zu Boden warf, und ihn mit Füßen trat?210

Bist du das nicht? So sag mir, wen du fürchtest,

Und gleich zur Stunde zieh ich wieder ab

Und fordre den, statt deiner, vor mein Schwert!

Du nennst ihn nicht und greifst auch nicht zur Wehr?

Ich brenne, mich zu messen mit dem Recken,215

Der mir mein Gut verdoppelt oder nimmt:

Wär dies Gefühl dir fremd? Das glaub ich nicht,

Wenn ich auch nur auf deine Diener blicke:

So stolze Männer würden dir nicht folgen,

Empfändest du nicht ganz so, wie ich selbst.220

DANKWART.

Du bist gewiß aufs Kämpfen so versessen,

Seit du des Lindwurms Schuppenpanzer trägst?

Nicht jedermann betrog den Tod, wie du,

Er findet eine offne Tür bei uns.

SIEGFRIED.

Wohl auch bei mir! Hab Dank, du alte Linde,225

Daß du ein Blatt auf mich herunterwarfst,

Als ich mich badete im Blut des Drachen,

Hab Dank, o Wind, daß du sie schütteltest!

Nun hab ich doch die Antwort für den Spötter,

Der seine Feigheit hinter Hohn versteckt.230

HAGEN.

Herr Siegfried, Hagen Tronje nennt man mich,

Und dieser ist mein Bruder!

VOLKER

(macht einen Geigenstrich).

SIEGFRIED.

    Hagen Tronje,

Ich grüße dich! Doch wenn dich das verdreußt,

Was ich hier sprach, so brauchst du’s nur zu sagen,

Ich setze gern den Königssohn beiseite235

Und stehe dir, als wärst du Gunther selbst.

GUNTHER.

Kein Wort mehr, Hagen, eh dein König sprach.

SIEGFRIED.

Und wenn du fürchtest, daß dein gutes Schwert

An meiner harten Haut zerspringen könnte,

So biete ich’s dir anders, komm herab240

Mit in den Hof, dort liegt ein Felsenblock,

Der ganz so schwer für mich ist, wie für dich:

Wir werfen und erproben so die Kraft.

GUNTHER.

Du bist willkommen, Held aus Niederland,

Und was dir hier gefällt, du magst dir’s nehmen,245

Nur trink mit uns, eh du’s von dannen trägst.

SIEGFRIED.

Sprichst du so mild mit mir? Da könnt ich bitten:

Schick mich sogleich zurück zu meinem Vater,

Er ist der einz’ge, der mich zücht’gen darf.

Doch, laß mich’s, wie die kleinen Kinder machen,250

Die auch nicht gleich von ihrer Unart lassen:

Kommt, werft mit mir, so trinke ich mit Euch!

GUNTHER.

So sei’s, Herr Siegfried.

SIEGFRIED

(zu Dankwart).    Und was Euch betrifft,

Nicht wahr, ich kniff Euch in den dritten Arm,

Es tat nicht weh, ich weiß, Ihr habt ihn nicht!255

(Zu allen.) Als ich hier einritt, packte mich ein Grauen,

Wie ich’s noch nicht empfand, solang ich lebe,

Mich fröstelte, als würd’s auf einmal Winter,

Und meine Mutter kam mir in den Sinn,

Die nie zu weinen pflegte, wenn ich zog,260

Und diesmal weinte, als ob alles Wasser

Der Welt den Weg durch ihre Augen nahm.

Das machte mir den Kopf so wirr und kraus,

Ich wollte gar vom Pferde nicht herunter –

Jetzt bringt Ihr mich so bald nicht mehr hinauf.265

(Alle ab.)

Dritte Szene

Ute und Kriemhild treten auf.

UTE.

Der Falk ist dein Gemahl!

KRIEMHILD.

    Nicht weiter, Mutter,

Wenn du den Traum nicht anders deuten kannst.

Ich hörte stets, daß Liebe kurze Lust

Und langes Leid zu bringen pflegt, ich seh’s

Ja auch an dir und werde nimmer lieben,270

O nimmer, nimmer!

UTE.

    Kind, was sagst du da?

Wohl bringt die Liebe uns zuletzt auch Leid,

Denn eines muß ja vor dem andern sterben,

Und wie das schmerzt, das magst du sehn an mir.

Doch all die bittren Tränen, die ich weine,275

Sind durch den ersten Kuß vorausbezahlt,

Den ich von deinem Vater einst empfing.

Auch hat er, eh er schied, für Trost gesorgt,

Denn wenn ich stolz auf tapfre Söhne bin,

Und wenn ich dich jetzt an den Busen drücke,280

So kann’s doch nur geschehn, weil ich geliebt.

Drum laß dich nicht durch einen Reim erschrecken:

Ich hatte lange Lust und kurzes Leid.

KRIEMHILD.

Viel besser, nie besitzen, als verlieren!

UTE.

Und was verlierst du nicht auf dieser Welt!285

Sogar dich selbst. Bleibst du denn, was du bist?

Schau mich nur an! So sehr du lächeln magst:

Ich war vordem, wie du, und glaube mir,

Du wirst dereinst, wie ich. Was willst du halten,

Wenn du dich selbst nicht einmal halten kannst?290

Drum nimm’s, wie’s kommt, und greife, wie wir alle,

Nach dem, was dir gefällt, obgleich der Tod

Es dir zu Staub zerbläst, sobald er will:

Die Hand, mit der du’s packst, zerstäubt ja auch.

KRIEMHILD

(tritt zum Fenster).

Wie mir’s ums Herz ist, Mutter, könnt ich schwören –295

(Sie schaut hinaus und bricht ab.)

UTE.

Was brichst du ab? Du wirst ja feuerrot?

Was hat dich so verwirrt?

KRIEMHILD

(tritt zurück). Seit wann ist’s Brauch

An unserm Hof, daß wir’s nicht mehr erfahren,

Wenn fremde Gäste eingezogen sind?

Wird diese stolze Burg zu Worms am Rhein300

Der Schäferhütte gleich, in der sich jeder

Bei Nacht und Tag verkriechen kann, der will?

UTE.

Warum so hitzig?

KRIEMHILD.

    Ei, ich wollte eben

Im Hofe nach den jungen Bären schaun,

Die so possierlich durcheinanderkugeln,305

Und wie ich ohne Arg den Laden öffne,

Da stiert mir plump ein Recke ins Gesicht.

UTE.

Und dieser Recke machte dir’s unmöglich,

Den Schwur zu endigen, den du begannst?

(Sie tritt gleichfalls zum Fenster.)

Ei freilich, wer ihn sieht, wie er da steht,310

Der überlegt sich’s, ob er weiter schwört.

KRIEMHILD.

Was kümmern mich die Gäste meines Bruders,

Wenn ich nur weiß, wie ich sie meiden kann.

UTE.

Nun, diesmal freut’s mich, daß dir bloß der Zorn

Die Wangen färbt, denn dieser junge Held,315

Der zwischen dich und deine Bären trat,

Ist längst vermählt und hat schon einen Sohn.

KRIEMHILD.

Du kennst ihn?

UTE.

    Ganz gewiß!

KRIEMHILD.

         Wie heißt er denn?

UTE.

Ich weiß es nicht! Jetzt aber kenn ich dich,

Du bist ja bleich geworden, wie der Tod! –320

Und wahrlich, wenn du diesen Falken fängst,

So hast du nichts vom Adler zu besorgen,

Er nimmt’s mit jedem auf, ich bürge dir!

KRIEMHILD.

Dir hab ich meinen letzten Traum erzählt!

UTE.

Nicht so, Kriemhild! Ich spotte deiner nicht.325

Wir sehen oft im Traum den Finger Gottes,

Und wenn wir noch im Wachen ängstlich zittern,

Wie du es tust, so sahn wir ihn gewiß.

Nur sollen wir den Wink auch recht verstehn,

Den er uns gibt, und nicht in unsrer Furcht330

Unmögliches geloben. Hüte du

Den Falken, der dir zugeflogen kommt,

Damit kein tück’scher Adler ihn zerreißt,

Doch denke nicht daran, ihn zu verscheuchen,

Du scheuchst mit ihm die Lust des Lebens fort.335

Denn über eines edlen Recken Liebe

Geht nichts auf dieser Welt, wenn du es gleich

Noch unter deinem Mädchenkranz nicht fühlst,

Und wär dir auch kein Besserer beschert,

Als dieser da, ich wies ihn nicht zurück.340

(Sie schaut aus dem Fenster.)

KRIEMHILD.

Er wirbt wohl nicht, so brauch ich’s nicht zu tun.

UTE

(lacht). Ei, so weit spring ich noch, so alt ich bin.

KRIEMHILD.

Was gibt’s da drunten, Mutter, daß du lachst?

UTE.

Sie werfen in die Wette, wie es scheint,

Und Giselher, dein Bruder, warf zuerst.345

Nun, nun, er ist der Jüngste. Aber schau;

Jetzt kommt der fremde Recke. Ach, mein Sohn,

Wo wirst du bleiben? Sieh, nun tritt er an,

Nun holt er aus, nun – Ha, der Stein wird fliegen,

Als würde er zum Vogel – Komm doch her350

Und stell dich hinter mich, du siehst es nicht

Zum zweitenmal, es gilt das Äußerste,

Er will’s mit einem Wurf zu Ende bringen!

Jetzt – Hab ich Augen oder hab ich keine?

Nicht weiter?

KRIEMHILD

(nähert sich). Hast du ihn zu früh gelobt?355

UTE.

Das ist ja nur ein Schuh!

KRIEMHILD

(tritt hinter Ute).     Noch immer mehr,

Als wär es nur ein Zoll.

UTE.

Um einen Schuh

Dies Kind zu überwerfen –

KRIEMHILD.

Ist nicht viel!

Besonders, wenn man sich dabei noch spreizt.

UTE.

Und wie er keucht!

KRIEMHILD.

    Für einen solchen Riesen360

Possierlich g’nug! Wär ich’s, verdient ich Mitleid,

Denn für ein Mädchen wär es schon ein Stück.

UTE.

Nun macht sich unser Gerenot ans Werk.

Es steht ihm gut, nicht wahr? Er hat von allen

Die meiste Ähnlichkeit mit seinem Vater,365

Nur mutig zu, mein Sohn! – Das ist ein Wurf!

KRIEMHILD.

Der Bär sogar ist überrascht, er hat

Sich’s nicht erwartet und wird plötzlich flink.

UTE.

Zieh du auf Abenteuer, wann du willst! –

Doch Giselher bleibt hier.

KRIEMHILD.

    Wie geht’s denn fort? –370

Nein, mache mir nicht Platz, ich seh’s schon so.

UTE.

Jetzt kommt der Recke wieder! Doch er strengt

Sich nicht mehr an, er scheint sich im voraus

Des Sieges zu begeben. Wie man sich

Doch irren kann! – Was tut er aber da?375

Er dreht sich um – er kehrt dem Ziel den Rücken,

Anstatt der Augen zu – er wirft den Stein

Hoch über Kopf und Achsel weg – Ja wohl,

Man kann sich irren! Gerenot ist auch

Besiegt, wie Giselher.

KRIEMHILD.

    Es macht zwar wieder380

Nur einen Schuh! Doch diesmal keucht er nicht.

UTE.

Es sind doch gute Kinder, die ich habe.

Treuherzig reicht ihm Gerenot die Hand,

Ein andrer würde nach der Klinge greifen,

Denn solch ein Übermut ist gar nicht fein.385

KRIEMHILD.

Man sieht’s ja wohl, daß er’s nicht übel meint.

UTE.

Herr Volker legt die Geige still beiseite,

Die er so höhnisch strich!

KRIEMHILD.

    Der eine Schuh

Stört ihn in seiner Lust. Die Reihe wäre

Am Marschall jetzt, wenn’s langsam, wie bei Treppen,390

Hinauf gehn soll, doch König Gunther drängt

Herrn Dankwart ungestüm zurück, er will

Sich selbst versuchen.

UTE.

    Und er tut’s mit Glück.

Zweimal so weit, als Gerenot.

KRIEMHILD.

    Und dennoch

Nicht weit genug. Du siehst, der Recke folgte395

Sogleich, und wieder fehlt der eine Schuh.

UTE.

Der König lacht. Ei nun, so lach ich auch! –

Ich sah’s ja längst, daß dies der Falke ist,

An dem dein Traum sich nicht erfüllen kann;

Doch hat er jetzt die volle Kraft gebraucht.400

KRIEMHILD.

Nun tritt der Tronjer an.

UTE.

    Dem schwärt’s im Herzen,

So fröhlich er auch tut! – Er packt den Stein,

Als wollt er ihn zermalmen. Wie der fliegt!

Bis an die Wand! Nun, weiter kann er nicht.

Das ist ein Wurf, den keiner übertrifft,405

Selbst für den einen Schuh ist nicht mehr Platz.

KRIEMHILD.

Der Recke holt sich doch den Stein noch wieder.

UTE.

Wozu nur? – Großer Gott, was gibt es jetzt?

Bricht über unserm Haupt die Burg zusammen?

Das dröhnt!

KRIEMHILD.

Bis in den Turm hinauf. Die Dohlen410

Und Fledermäuse fahren aus den Nestern –

UTE.

Sie fliegen blind ins Licht hinein!

KRIEMHILD.

    Die Wand

Hat einen Riß.

UTE.

    Unmöglich.

KRIEMHILD.

         Warte nur,

Bis sich der Staub verzieht. Groß, wie ein Fenster!

Da ging der Wurf hindurch.

UTE.

    Jetzt seh ich’s auch.415

KRIEMHILD.

Der Stein flog in den Rhein.

UTE.

    Wer sollt es glauben!

Und doch ist’s wahr, das Wasser selbst bezeugt’s,

Es spritzt ja himmelhoch empor.

KRIEMHILD.

    Das ist

Noch etwas über einen Schuh.

UTE.

    Dafür

Wischt er sich endlich auch einmal die Stirn.420

Gott Lob! Sonst käm der Tronjer um vor Wut!

KRIEMHILD.

Nun ist es aus. Sie schütteln sich die Hände;

Dankwart und Volker kamen um ihr Recht.

UTE.

Komm, wir vergessen, es ist Messezeit.

(Beide ab.)

Vierte Szene