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Autor: Christian Haasz

Herausgeber: Ulrich Dorn

Programmleitung, Idee & Konzeption: Jörg Schulz


Pure Porträts

Fotografie ist nicht einfach

Dies ist ein schwieriges Buch über Porträtfotografie. Wer einfach nur wissen will, wie man mit seiner Fotokamera Porträts macht, findet dazu etliche gedruckte Werke, Blogs, Magazinartikel, YouTube-Videos, private Websites von Enthusiasten, sogar Fernsehshows wie Germany’s Next Topmodel. Ein Buch über die ganz normale Porträtfotografie ist also völlig überflüssig. Warum gibt es dieses Buch hier aber dennoch?

Um ehrlich zu sein, hatte ich bei der Idee zu diesem Buch nur eine vage Vorstellung davon, was ein weiteres Buch zur Porträtfotografie bringen kann. Eine der Vorstellungen war, dass ich durch den Kontakt zu vielen sehr erfahrenen Berufsfotografen einen Einblick geben kann, wie man als Profi porträtiert. Wenn man dazu gezwungen ist, Porträts zu schießen, die sich verkaufen, muss man erstens sein Handwerk beherrschen, zweitens auf dem neuesten Stand der Technik sein und drittens jederzeit einen offenen Geist für die aktuellen Trends haben. Warum sollte das aber nur für Profis gelten?

Trends erkennen

Die Trends findet man natürlich vor allem in den aktuellen Onlinemedien wie Facebook, bei Instagram und 500px, in der Fotocommunity oder der model-kartei.de. Fernsehshows, die aktuelle Schönheitsbilder transportieren, sind ideal, um zu sehen, welche Fotos und Set-ups sich gerade die jüngere Generation in den nächsten Wochen und Monaten vom Fotografen vor Ort wünschen könnte. Shootings mit farbigem Mehl waren zum Beispiel eine Weile extrem angesagt. Unterwasser-Shootings sind auch so ein Trend, aber auch Shootings mit spritzenden Flüssigkeiten. Ob man all die aufwendigen Shootings aus Shows auch im Alltag realisieren kann, ist eine andere Frage. Wer jedoch zum Spaß fotografiert und nicht auf kalkulatorische Faktoren achten muss, kann für die Umsetzung einer außergewöhnlichen Shooting-Idee auch mal ein wenig mehr Aufwand betreiben.

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Technik – nicht alles ist sinnvoll

Es gibt jede Menge Amateurfotografen, die sich bei jeder Gelegenheit neue Ausrüstung kaufen. Vermutlich sind die allerwenigsten so blauäugig, zu glauben, dass eine teurere Kamera zwangsläufig zu besseren Bildern führt. Obwohl die Werbung natürlich genau das verspricht. Wenn die Fotografie Ihr Haupthobby ist und Sie das Freizeitbudget für Fototechnik ausgeben können – warum nicht? Es gehört eben zu den meisten Hobbys, dass man sich auch in Sachen Ausrüstung weiterentwickelt. Kein enthusiastischer Modellflieger wird sich mit einem einzigen Flugzeugmodell zufriedengeben. Und Sie müssen sich auch nicht mit einer einfachen Kamera zufriedengeben, die Sie mal vor fünf Jahren gekauft haben. Neuere Technik jedoch ist nicht immer sinnvoll. Ich benutze zum Beispiel weder Funk-Blitzauslöser noch WLAN-Verbindungen zwischen Kamera und Computer – für meine Zwecke zu langsam –, aber es ist unbestreitbar, dass leistungsfähigere Sensoren mit höherer Auflösung und besserem Rauschverhalten zu qualitativ besserem Fotomaterial führen.

Das Handwerk

Technik und Trends sind wichtig, die Grundlage jeder Art von Porträtfotografie ist jedoch das kreative Handwerk. Gestaltung durch Licht und Farben, Blende, Verschlusszeit, Perspektive und Brennweite – wer davon keine Ahnung hat, schafft nur Glückstreffer. Gerade in der Porträtfotografie gibt es auch bei Profis viele Glückstreffer. Zu differenziert ist die Gestaltung eines Porträts und zu wichtig sind manchmal Kleinigkeiten, die man beim Shooting nur schwer wahrnimmt. Ein Blick, eine Geste, ein einfallender Sonnenstrahl – das meiste ist planbar, das Salz in der Suppe sind aber situative Faktoren, auf die man nur mit viel Erfahrung und eben auch manchmal etwas Glück reagieren kann. Je ausgeprägter die handwerkliche Erfahrung, desto kreativer kann man auf Unvorhergesehenes reagieren.

Lernen Sie Ihre Kamera kennen, informieren Sie sich über Grundlagen der fotografischen Bildgestaltung (die finden Sie in diesem Buch), probieren Sie von den Standards ausgehend neue Ideen aus und entwickeln Sie die Möglichkeit, spontan zu reagieren. Sehen Sie sich an, wie andere Fotografen Licht setzen bzw. vorhandenes Licht einsetzen. Machen Sie nach, kopieren Sie und blicken Sie dabei über den vorgegebenen Horizont hinaus. Auch in der Fotografie wird man aus Erfahrung klug. Und da es im Internetzeitalter millionenfach Bilder und Vorbilder zu finden gibt, ist es heute einfacher denn je, aus Vorhandenem seinen eigenen Stil zu entwickeln.

Christian Haasz.

1. Der Mensch und seine Abbilder

Natürlich bilden Menschhen schon seit Anbeginn ihrer evolutionären Zeitrechnung sich selbst und andere ab. Höhlenmalereien und frühgeschichtliche skulpturale Darstellungen zeugen von Wesen und Drang des Menschen, Abbilder seiner selbst der Geschichte zu hinterlassen. Warum das so ist? Es gibt sicher viele Deutungsansätze, die man in der psychologischen oder kunsthistorischen Literatur finden kann. Aber hilft uns die Erkenntnis darüber, warum wir uns selbst gern abbilden, weiter, um bessere Fotografen zu werden? Ich denke nicht. Belassen wir es also vorerst bei dem Fakt, dass Menschen sich und andere Menschen künstlerisch konservieren. Und überlegen wir, wie wir uns darin verbessern, unseren Bildern mehr Persönlichkeit innewohnen zu lassen.

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Früher machten Künstler Selbstporträts – heute macht jeder ständig Selfies. Natürlich geht es nicht bei jedem Schnappschuss um Kunst. Aber wenn man über die reine Dokumentation momentanen Spaßes hinausgeht, kann man mit Selbstporträts eine Menge lernen.

105 mm | f/8 | 1/100 s | ISO 100 | Sonstiges: rechteckig aufgehängte Softbox, Aufheller weiße Wand

Wir als Fotografen im digitalen Zeitalter haben gegenüber einem Höhlenmaler, einem Bildhauer der Antike oder einem Maler der Renaissance ein paar entscheidende Vorteile. Wir haben zum Beispiel über das Internet unendlich viele Lernquellen zur Verfügung und müssen unser Handwerk nicht zwangsläufig von einem oder einigen wenigen Meistern erlernen. Wir können unser Werk schnell der ganzen Welt zugänglich machen. Und wir können uns in extrem kurzer Zeit weiterentwickeln. Es dürfte klar sein, dass all diese vermeintlichen Errungenschaften tiefschwarze Schattenseiten haben. Und leider gibt es darüber hinaus auch noch einen gravierenden Nachteil gegenüber den alten Meistern: die Verführung durch Schnelllebigkeit und dadurch letztlich künstlerische Oberflächlichkeit.

Selfies

Seit einigen Jahren ist ein Phänomen zu beobachten, das das Bedürfnis des Menschen nach Abbildungen seiner selbst auf die absolute Spitze treibt: Selfies. In jeder noch so verrückten und nicht auszudenkenden Lebenslage kommt irgendwer auf die Idee, mit seinem Handy ein Selbstporträt zu schießen und es mit der Welt zu teilen. Gerade der zweite Aspekt erweitert den alten Begriff des Selbstporträts ganz entscheidend, da die Verbreitung eines Selbstporträts in den sozialen Netzwerken immer auch ein Statement und ein Status-Update ist. Aber ebenso wie ein Maler im 19. Jahrhundert mit einem Selbstporträt etwas von sich zeigen und der Nachwelt hinterlassen wollte, ist auch ein Selfie im Prinzip dazu geeignet, einen Aspekt der Persönlichkeit zu erfassen und quasi zu konservieren. Die Frage ist nur: Welcher der täglich millionenfach veröffentlichen Selfies hat eine echte Bedeutung für die kulturell interessierte Menschheit? Andererseits, wie konnte Andy Warhol so viel Bedeutung aus etwas so Banalem wie einer Suppendose herausholen?

Problem Internet, Problem Kommentar

Ein großes Problem des Internets und diverser sozialer Netzwerke und Fotoforen ist, dass solche Netzwerke vor allem durch simple Lügen am Laufen gehalten werden. Schreib ich bei dir was Nettes, schreibst du bei mir was Nettes. Ehrliche und fundierte Kritik – wer von den ganzen Fotografen da draußen kann schon fundiert kritisieren? – ist nicht gerade eine Ware, mit der man seinen sozialen Status im Web erhöht. Betrachtet man die vielen Kommentare und die vielen Fotos in den vielen Foren, kommt man zwangsläufig zu dem Schluss, dass diese Wertungen ebenso sinnlos sind wie die meisten Bewertungen bei Amazon.

Es ist geradezu lächerlich, zu glauben, dass die lobhudelnden Kommentare unter grottenschlechten Fotos auch nur im Ansatz dazu beitragen würden, dass der das Machwerk verbrechende Fotograf sich weiterentwickelt. Im Gegenteil. Es wird ihm eine vermeintliche Qualität seiner Aufnahmen vorgegaukelt, die ihn davon abhält, sich objektiv mit seinen Bildern auseinanderzusetzen. Sollte man daher komplett auf die Veröffentlichung in der Fotocommunity, in der Model-Kartei und so weiter verzichten?

Nein, natürlich nicht. Aber man sollte versuchen, sich vom Wohlwollen der anderen Fotografen unabhängig zu machen. Und man sollte lieber mal um einen gezielten Kommentar oder um eine Meinung von jemandem bitten, dessen darstellerische Qualität man selbst beeindruckend findet.

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Der Vorteil von Fotocommunitys liegt darin, dass man schnell Gleichgesinnte und Models findet, mit denen man arbeiten kann. Der Nachteil: Die meisten Kommentare drehen sich um Selbstbeweihräucherung und Lobhudelei.

Fotografie als schlechte Malerei

Vermutlich haben sich zu der Zeit, als die Fotografie die Malerei zu konkurrieren begann, manche Künstler ähnliche Gedanken gemacht und ihre Gegenwart ebenso skeptisch gesehen, wie ich das nun tue. Wie kann eine Fotografie den gleichen künstlerischen Wert haben wie ein handwerklich und konzeptuell perfekt ausgearbeitetes Porträt in der Malerei? Nun, zuerst einmal sind nicht alle gemalten Porträts nur deswegen bemerkenswert, weil sie gemalt wurden. Und dementsprechend sind nicht alle fotografischen Porträts grundsätzlich weniger wert als ein Ölgemälde oder ein Aquarell, nur weil die Fotografie schneller und unmittelbarer entsteht.

Denkt man den Gedanken der künstlerischen Qualität konsequent weiter, ergeben sich für das eine wie für das andere bestimmte Merkmale, die erfüllt sein müssen, um aus dem Bild eines Menschen ein beeindruckendes Porträt zu machen – unabhängig vom jeweiligen Medium. Insofern braucht sich niemand mit seinen Porträts zu verstecken, nur weil die Bilder mit einer Digitalkamera entstanden sind.

Pixelqualität vs. konzeptuelle Qualität

Während die Pixelzähler unter den Fotografen, von denen es übrigens unzählige gibt, in der Regel kein vernünftiges Porträt zustande bringen – es liegt in der Natur der Sache, dass ein Blinder keine Farben erklären kann –, stellt sich für den nicht pixelzählenden Fotografen die Frage, ob und wie viel Einfluss die rein technische Bildqualität auf seine Arbeit haben darf.

Konkret: Wenn man ein Foto unter miesen Lichtbedingungen aufnimmt, das Bild gerade so nicht verwackelt, in den Farben und Kontrasten flau und auf Pixelebene furchtbar verrauscht ist, stellt sich die Frage, ob man das Foto noch als großes Werk feiern kann, wenn Ausdruck und Bildkomposition perfekt waren. Klare Antwort: Nein! Außer, die mangelhafte technische Bildqualität war Teil eines schlüssigen und nachvollziehbaren Konzepts.

Im Fall technischer Unzulänglichkeiten sollten Sie durchaus mal bei einem Pixelzähler nachfragen/nachlesen, was man gegen Bildrauschen, flaue Farben und schlecht differenzierten Kontrast tun kann. Aber vermeiden Sie es auf jeden Fall, technische Daten und das neueste Zubehör zu einem Fetisch zu erheben. Die Fixierung auf das neueste Kameramodell, den tollsten Kameragurt, das praktischste Fernauslösegerät lenkt Sie davon ab, worum es in der Porträtfotografie eigentlich geht: um Menschen.

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Wer glaubt, eine mordsteure Kamera samt kompletter Studioausrüstung sei die einzige Grundlage für gute Porträts, hat keine Ahnung von Fotografie. Und wer glaubt, ohne vernünftiges Equipment könnte man jederzeit nur mit dem Sinn für Bildgestaltung und Kreativität High-End-Porträts schaffen, irrt auf ähnliche Weise. Erst das Zusammenspiel von Technik und Kreativität auf hohem Niveau führt zu herausragenden Bildern, und auch das nicht beliebig und zu jeder Zeit.

2. Eine echte Persönlichkeit oder die Illusion davon?

Es ist immer dieser eine Blick, der fasziniert. Wenn jemand tiefgründige Blicke beliebig produzieren kann, kann in der Porträtsession fast nichts schiefgehen. Anna ist vor der Kamera Profi und konnte fast nach Belieben die Emotionen zeigen, die ich mir während der Fotosession gewünscht hatte.

100 mm | f/8 | 1/160 s | ISO 100 | Sonstiges: große, runde Softbox ohne Frontdiffusor für hartes Licht, ein Effektlicht für die Haare (Normalreflektor), Spot für den Hintergrund

Ist ein Porträt nicht grundsätzlich eine große Lüge? Man könnte argumentieren, dass eine Fotografie in einem Bruchteil einer Sekunde entsteht, man also nur einen Augenblick der Wirklichkeit quasi einfriert. Was lässt sich in einer hundertstel Sekunde schon zeigen? Emotionen, die Seele? Oder einfach nur eine zuvor für den Zweck vorbereitete Oberfläche? Im Grunde arbeiten alle Fotografen, die sich mit Menschen beschäftigen, auf Augenblicke hin und hoffen darauf, dass einer der Augenblicke beim Porträtieren genau der eine, entscheidende Augenblick ist und sie im richtigen Moment auf den Auslöser drücken. Was macht dann aber ein gutes Porträt aus, bei dem man als Betrachter das Gefühl hat, etwas von dem Menschen vor der Kamera zu erfahren?

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Sieht man hier die Frau oder ein Stereotyp? Wie schafft man es, den Menschen vor der Kamera zu zeigen und nicht bloße Maske und Abziehbild?

70 mm | f/4 | 1/100 s | ISO 160 | Sonstiges: Striplight vorn links (aus Kamerasicht), Aufheller (Striplight) mit minimaler Leistung von rechts hinten

Als Fotograf hat man einige Mittel an der Hand, um bestimmte Stimmungen und Illusionen zu erzeugen. Das beginnt bei der Kleidung des Menschen, geht weiter über Make-up und Frisur, den Hintergrund bzw. die Kulisse und endet natürlich beim Licht.

Aber auch die Wahl der Kamera sowie die der technischen Merkmale wie Brennweite, Empfindlichkeit und Verschlusszeit tragen zur Gestaltung eines Porträts bei. Wenn der Fotograf mit seinem Handwerkszeug nun aber bewusst gestalten und im Prinzip beliebig festlegen kann, was vor seiner Kamera geschieht, bedeutet das aber auch, dass man keinem Porträt vertrauen darf. Man kann den Menschen vor der Kamera im Grunde als leere Leinwand sehen, die der Fotograf mit seinen Mitteln bearbeitet, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Immer vorausgesetzt, der porträtierte Mensch spielt mit und macht, was der Fotograf verlangt.

Lach doch mal!

Ein Beispiel aus meiner eigenen Praxis: Eine Mutter kommt mit ihrem süßen, blond gelockten Mädchen kurz vor Weihnachten ins Studio. Es geht natürlich um Porträts, die für Oma und Opa gedacht sind. Die Mittel des Fotografen bestehen nun darin, einen hellen, himmels- oder wolkengleichen Hintergrund zu verwenden, viel Licht von vorn aufs Gesicht sowie von hinten auf die Haare zu setzen, das Mädchen dazu zu bringen, verträumt in die Kamera zu sehen.

Die Realität sieht jedoch fernab des – letztlich doch alle zufriedenstellenden – Porträts völlig anders aus. Das Mädchen war genervt, war offensichtlich überfordert mit der schrecklichen Situation. Mama war ebenso genervt, da man für den Porträttermin nur eine halbe Stunde Zeit eingeplant hatte, sich das Mädchen aber bereits beim Hairstyling nicht sonderlich kooperativ verhielt. Die Stimmung wurde also immer angespannter und hektischer.

Und dann der Klassiker: »Jetzt lach doch mal! Ist doch für Oma und Opa. Die wollen dich doch lieb lachen sehen!« Es ist ein Segen, dass meine Studioblitzgeräte in diesem Fall nur rund 1/1000 Sekunde aufleuchten. Denn hätte ich Porträts gemacht, die eine Zeitspanne von 10 Sekunden oder ein paar Minuten zeigen würden, wären Oma und Opa an diesem Weihnachten sicher nicht so glücklich und zufrieden gewesen beim Anblick ihrer süßen Enkelin. Als Fotograf muss man mit seiner Zeit haushalten und die richtigen Augenblicke erwischen. Und ab und zu muss man die Mama bitten, draußen vor der Tür zu warten. Dann klappt‘s auch mit dem Engelchen zu Weihnachten.

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Die beiden hatten Spaß beim Fotografieren, was man auch deutlich sieht. Würde man versuchen, zwei Kinder gleichzeitig zu einem gekünstelten Lächeln zu bewegen, müsste man schon viel Glück oder große Fähigkeiten in Photoshop haben, um die gewünschten Aufnahmen hinzubekommen.

60 mm | f/13 | 1/100 s | ISO 100 | Sonstiges: große Okto-Softbox, zwei Blitzköpfe für den Hintergrund, die zum Teil als Aufheller wirken, da sie nicht abgeschattet wurden und ein wenig nach vorn abstrahlen

Lieber mehr als weniger

Normalerweise heißt es ja in der Fotografie, dass man sich auf eher wenige, dafür aber wichtige Details konzentrieren sollte, um dem Betrachter ein eindeutiges Ziel seiner Aufmerksamkeit zu bieten. Das trifft natürlich auch auf die Porträtfotografie zu. Je klarer ein Bild durch Pose, Blick, Licht, Farben und Schärfe strukturiert und aufgebaut ist, desto eher findet das Auge den inhaltlichen Kern eines Porträts.

In einer Hinsicht darf es beim Porträtieren aber durchaus etwas mehr sein: Machen Sie lieber zu viele als zu wenige Fotos!

Denn nach meiner Erfahrung findet man den einen entscheidenden »Augen-Blick« des Porträtmodels oft erst beim Sichten und Aussortieren der Aufnahmen einer Session. Man kann so viel planen, wie man will, wenn aber der eine Blick, die eine Pose nicht dabei ist, hat die Session zwar Spaß gemacht und war vielleicht ganz nett, künstlerisch jedoch war sie praktisch wertlos.

Foto – Kontrolle – Foto – Kontrolle?

Während man in der kommerziellen Porträtfotografie die Bildanzahl während einer Fotosession natürlich so gering wie möglich hält – immerhin muss man aus kalkulatorischer Sicht den zeitlichen Aufwand bei der Nacharbeit in Grenzen halten und möglichst nur diejenigen Fotos schießen, die sich auch verkaufen lassen –, sollte man bei einem eher künstlerischen Porträtprojekt weder auf die Uhr noch auf den Bildzähler schielen. Während einer Session zeigt der schnelle Blick aufs Display lediglich, ob eine Aufnahme korrekt belichtet und halbwegs gut gestaltet ist.

Die emotionale Tiefe eines Fotos erkennt man erst dann, wenn man es auf dem Monitor in hoher Auflösung begutachtet.

Nun könnte man einwerfen, dass man schließlich mit einer modernen Kamera und einem Computer direkt in den Rechner z. B. nach Lightroom, CaptureOne oder Hasselblad Phocus fotografieren und die Bilder sofort auf dem Monitor ansehen kann. Das klappt nach meiner Erfahrung tatsächlich, jedoch nur mit mehr oder weniger professionellen Models, die auch nach dem Drücken des Auslösers ihre Pose hundertprozentig beibehalten. Denn darum geht es ja bei der sofortigen Bildkontrolle am Computer – man möchte, je fortgeschrittener der fotografische Prozess ist, anhand der letzten Aufnahme nur noch kleine Details in Pose, Licht und Gestaltung verändern, um eine weitere Aufnahme zu machen.

Die meisten Menschen, die es nicht gewohnt sind, minutenlang regungslos vor der Kamera zu sitzen, sind damit überfordert, weshalb eher eine relativ schnelle Arbeitsweise und eine große Bildanzahl die Wahrscheinlichkeit erhöhen, ein wirklich gutes Porträt aus einer Session zu ziehen. Und mehr dürfte in der künstlerischen Porträtfotografie auch nicht das Ziel sein – eine oder zwei wirklich gute Aufnahmen aus einer einstündigen Session mit verschiedenen Licht- und Set-up-Experimenten ist eine zufriedenstellende Ausbeute.

Emotionen herausfordern

Wenn Sie in erster Linie mit Amateuren vor der Kamera arbeiten, gehört tatsächlich auch etwas Glück dazu, ein berührendes Porträt zu schießen. Allerdings kann man dem Glück auf die Sprünge helfen, wenn man mit Regieanweisungen arbeitet und den Menschen vor der Kamera dazu bringt, ganz bestimmte Gedanken oder Gefühle in seiner Haltung und im Blick umzusetzen. Sagen Sie doch einfach mal »Schau bitte so in Gedanken versunken wie möglich!« Oder fordern Sie Ihr Modell auf, traurig, verschmitzt, berührt, vergeistigt zu schauen.

Beim Lachen wird es schon schwieriger, wie Sie vermutlich aus eigener Erfahrung wissen. Menschen scheinen zu glauben, dass sie beim Lachen mehr von ihrer Persönlichkeit preisgeben als bei einem finsteren oder nachdenklichen Gesichtsausdruck. In der Tat ist Lachen einladend, während ein grimmiger Gesichtsausdruck eine unsichtbare Barriere aufbaut. Ihr Fotomodell kann sich also hinter einem grimmigen Gesichtsausdruck verstecken. Das kann gerade am Anfang einer Session helfen, dem Modell ein wenig Selbstvertrauen zu geben. Außerdem gewöhnt man sich so schneller an die Situation, vor der Kamera zu sitzen und etwas von der eigenen Persönlichkeit zu zeigen.

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Wut ist so eine Emotion, die wohl die meisten Menschen auch vor der Kamera gut spielen können. Manchmal hilft es auch, ein bestimmtes Accessoire wie hier die Waffe einzusetzen, um dem Porträtmodel etwas in die Hand zu geben, an dem es sich im wahrsten Sinne des Wortes festhalten kann.

105 mm | f/14 | 1/100 s | ISO 100 | Sonstiges: große, runde Softbox, Effektlicht für die Haare, Hintergrundspot

Echte Persönlichkeit?

Fordert man ein Fotomodell auf, eine bestimmte Emotion zu zeigen, entspricht die Darstellung dann der Persönlichkeit des Modells? Ist die (gespielte) Emotion echt? Sagt man als Fotograf dann noch die »Wahrheit«? Oder ist die Frage nicht eigentlich müßig, wenn man in kontrollierter Studioumgebung oder bei einer geplanten Porträtsession im Wald arbeitet? Was zählt, ist schließlich das Ergebnis. Im besten Fall also ein berührendes Porträt. In diesem Sinne: Fotografen sind Lügner, aber nette!

Die Kunst des Porträtierens

Gehen wir einmal davon aus, dass ein Porträt idealerweise einen bestimmten Aspekt der Persönlichkeit vor der Kamera widerspiegelt. Wie fängt man diesen Aspekt ein? Wie schafft es der Fotograf, die Persönlichkeit bzw. einen interessanten Aspekt zu entdecken und schließlich in einem Porträt zu zeigen?

Je nachdem, wer vor der Kamera steht, ob man als Fotograf eine persönliche Beziehung zu dem Menschen vor der Kamera hat, ob es sich um eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens handelt oder ob er/sie einem völlig unbekannt ist, muss man unterschiedliche Wege von höflich distanziert bis kumpelhaft witzig einschlagen. Und schließlich kommt es natürlich auch darauf an, welche Funktion das Porträt haben soll. Weihnachtliche Kinderporträts haben eine ganz andere Funktion (z. B. die Verwandtschaft beeindrucken) als ein Porträt, das auf einem Plakat für eine politische Wahl (WÄHL MICH!) erscheint. Und ein künstlerisches Porträt, das auf die Transportierung von Dramatik, Erotik, Freude oder Gelassenheit abzielt, muss man völlig anders angehen als ein Passbild.

Alle Porträts haben jedoch unabhängig von ihrer jeweiligen Intention eines gemeinsam – den durch die kurze Verschlusszeit bedingten Augenblick, in dem alles passieren muss, was ein Porträt ausmacht. Selbst wenn »Lach doch mal« nur zu einer halben Sekunde Lächeln führt und der Fotograf diesen einen Augenblick erwischt, kann das schon genügen, damit die Porträtsession zu einem Erfolg wird. Natürlich kann es sein, dass sich das Lächeln verkniffen anfühlt. Aber wenn dieser eine Augenblick des Lächelns auf dem Foto die Illusion erschafft, der porträtierte Mensch hätte sich in diesem einen Augenblick wohlgefühlt und wollte dem Betrachter etwas von seinem Glück zeigen, hat man als Fotograf alles richtig gemacht. Obwohl man eigentlich gelogen hat.

Grundlegende Fragen vor dem Porträt

- Welche Funktion hat das Porträt und wie soll es präsentiert werden?

- Wer sind die Betrachter des Porträts?

- Welche Gefühle sollen ausgedrückt werden?

- Soll ein bestimmter Aspekt der Persönlichkeit gezeigt werden?

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Hier dürfte jedem auf den ersten Blick klar sein, welchem Sinn und Zweck die Porträts dienen. Wenn man vor der Session einen klaren Plan und eine ungefähre Vorstellung von den Ergebnissen hat, spart man sich viel Zeit und Nerven.

3. Interessante Gesichter finden

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Teresa ist ausgebildete Schauspielerin, die ein paar Dörfer weiter wohnt und bei der ich im Grunde jederzeit für Shootings nachfragen kann. Im Fall des Rotkäppchen-Shootings kam sie allerdings auf mich zu, da sie ihren jungen Husky inszenieren wollte.

50 mm | f/5.6 | 1/100 s | ISO 200 | Sonstiges: mobile Blitzanlage mit zwei Blitzköpfen für Hauptlicht (vorn rechts aus Kamerasicht) und Effektlicht von hinten links

Wer sich in Fotoforen oder Communitys im Internet herumtreibt, findet schnell Gleichgesinnte, Models, Bildbearbeiter, vielleicht sogar potenzielle Kunden. Die verschiedenen Tummelplätze für Fotografen bieten endlose Möglichkeiten, mit anderen in Kontakt zu treten. Eine der ersten Adressen für den Kontakt zu Amateurmodels ist die Model-Kartei unter www.model-kartei.de. Auch die Fotocommunity –  – ist ein guter Startpunkt für die Suche. Und natürlich findet man auf Facebook etliche Gruppen, die sich mit Themen rund um Fotografie und Models beschäftigen.

Aus eigener Erfahrung rate ich Ihnen, sich auf ein paar wichtige Communitys und Gruppen zu konzentrieren. Man verzettelt sich schnell, wenn man jeder Gruppe und jedem Forum beitritt, von denen man dann ständig Status-Updates und Erinnerungsmails erhält. Ich konzentriere mich beispielsweise bei der Suche nach Amateurmodels auf die Model-Kartei, habe aber auch einige Facebook-Kontakte, über die ich mit Porträtmodels in Kontakt treten kann.

Stereotypen finden

Es ist nicht verwerflich, sich an Fotografien anderer zu orientieren, um seine eigenen Ideen zu entwickeln oder bereits vorhandene weiterzuentwickeln. Viele beeindruckende Porträts zeigen Menschen und Gesichter, die bestimmten Stereotypen entsprechen. Alte, kantige Männer, Frauen, die vom Leben gezeichnet sind, romantisch leuchtende Mädchen mit Blumenkränzen im Haar, Kinder mit tiefsinnig wirkenden Blicken – eigentlich hat man das ja alles schon mal gesehen. Aber was ist falsch daran, so etwas auch zu probieren?

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Sara Surprisink ist mittlerweile Miss Tattoo Germany. Ich habe mit ihr über die Model-Kartei Kontakt aufgenommen, um Sie für ein Projekt zu buchen, bei dem ein Custom-Bike fotografiert wurde. Ganz nebenbei sind auch noch etliche Porträts entstanden.

140 mm | f/8 | 1/100 s | ISO 100 | Sonstiges: große, rechteckige Softbox von links oben (aus Kamerasicht), Effektlicht für die Haare, Aufheller von rechts hinten

Das Problem, solche Menschen in der eigenen Lebensumgebung zu finden, besteht weniger darin, dass diese Menschen nicht da wären, als vielmehr darin, die Augen offen zu halten. Denn viele Menschen aus der unmittelbaren Umgebung sieht man vielleicht täglich und übersieht dabei das Potenzial, das in einem Gesicht, einem Lächeln oder einem Zornausbruch steckt. Versuchen Sie, die Menschen um sich herum mit den Augen des Fotografen zu betrachten und nicht mit den Augen des Vaters oder der Mutter, der Freundin oder des Freundes, des Verwandten oder Bekannten.

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Teresa ist eine junge Frau aus meiner Nachbarschaft, die ich nun schon ein paarmal für Projekte gewinnen konnte. Man sollte immer die Augen offenhalten, ob nicht in der persönlichen Umgebung Menschen sind, die für Porträts infrage kommen.

First Contact

Es ist jedes Mal eine spannende Erfahrung, wie sich die Chemie zwischen Fotograf und Model entwickelt. Sobald man sich nach den üblichen Kontakten via Web oder Handy in der realen Welt gegenübersteht und die Hand gegeben hat, erahnt man erst wirklich, mit wem man es zu tun hat. Das gilt natürlich für beide Seiten. Je öfter man mit zuvor fremden Menschen arbeitet, desto entspannter wird man an die Situation herangehen. Machen Sie sich deshalb anfangs keine allzu großen Gedanken über Ihre Nervosität oder Unsicherheit – das geht fast jedem so. Immerhin ist man, hat man noch relativ wenig Erfahrung in der Porträtfotografie, noch unsicher und möchte so wenig wie möglich falsch machen. Auch das gilt natürlich wieder für Models wie für Fotografen gleichermaßen.

Einsteiger + Bekannter = entspanntes Shooting