Epilog

Jarek erwachte umgeben von Trümmern.

Der Palast war zusammengestürzt, hatte alles unter sich begraben, Camilla, Cassilda und auch den in gelbe Lumpen gehüllten Untoten.

Lange Zeit konnte er nur in den Himmel starren. Er sah die bleichen Sonnen aufgehen, ihr Licht getrübt von den Schwaden der nahen Feuersbrunst.

Jemand beugte sich über ihn: Die Gestalt in der weißen Robe, das Phantom.

»Du hast das Gelbe Zeichen gesehen«, sagte die eisige Stimme.

»Was heißt das?«, stöhnte Jarek. »Was bedeutet das? Erklär es mir, bitte.«

Aber die Erscheinung verwehte vor seinen Augen wie der Brandrauch und war schon nach wenigen Wimpernschlägen verschwunden.

Die Zeit verging.

Irgendwann spürte Jarek wieder ein wenig Leben in seinem geschundenen Leib, gerade genug, um sich unter Mühen aus dem Schutt zu befreien, der seinen Körper bis zur Brust bedeckte. Aber er konnte nicht aufstehen. Seine Beine gehorchten ihm nicht. Auf Händen und Knien kroch er vorwärts, hustete und spie Blut.

»Cassilda!«

Jarek rief ihren Namen, aber er bekam keine Antwort. Abgesehen vom Heulen des Windes herrschte Stille auf dem Palasthügel.

»Thale!«

Auch hier nur Schweigen.

Sie waren alle tot.

Jarek war vollkommen allein.

Der Assassine kroch weiter, bis er den Rand des Hügels erreichte. Dort erschlaffte er, sah auf dem Bauch liegend hinunter in die Ruinen, die einst die Stadt Carcosa gewesen waren. Unweit von ihm dampfte das wolkenähnliche Wasser des Sees Hali, gleichgültig und Wahnsinn bringend.

Aber konnte er dort unten in den Ruinen nicht Bewegung ausmachen?

Schatten huschten zwischen den Schuttbergen, kaum bestimmbare Schemen, Geister vielleicht. Jarek fragte sich, ob so die Zukunft Carcosas aussah: Eine Totenstadt, bewohnt von Gespenstern?

»Das Schicksal hat sich erfüllt, ein weiteres Mal.«

Jarek hörte die Stimme des Phantoms hinter sich, drehte sich aber nicht nach der Erscheinung um. Einerseits weil er keine Kraft für diese Bewegung übrig hatte, andererseits weil es keine Rolle spielte: Es gab nichts mehr zu sagen. Die Vorstellung war zu Ende, der Vorhang gefallen.

Teilnahmslos sah der Assassine zu, wie die beiden Sonnen über den Himmel wanderten, um scheinbar in den Wolkenwellen des Sees Hali zu versinken. Gegen Abend fand er genug Kraft aufzustehen. Immer noch blutete er aus zahlreichen Wunden, aber er würde nicht sterben, konnte nicht sterben, nicht hier, das wusste er jetzt. Er stammte nicht aus Carcosa und auch nicht aus Ythill, war nie ein Teil des Dramas gewesen, nur ein teilnehmender Zuschauer.

Jarek verbeugte sich in Richtung der Palastruine. Ein finaler Gruß an die Frau, die Königin, die er zu lieben geglaubt hatte, obwohl es ihm bereits vorkam, als lägen all diese Erlebnisse, sogar die Liebe, viele Jahre zurück.

Als er den Palasthügel ein letztes Mal hinabging, schlurfend, schmerzerfüllt und mühevoll, liefen Tränen des Abschieds über seine Wangen.

Impressum

Copyright © Martin Dehling Audio- und Buchverlag 2016
1. Auflage 2016
Umschlagillustration: Johann Sturcz
Umschlaggestaltung: Patrick Santy
Korrektorat: Mario Weiss
eBook: Axel Weiß
Mit freundlicher Unterstützung von Markus Becker
www.yellow-king-productions.de
ISBN: 978-3-946309-07-9

1

Zusammen mit Major Thale kauerte Jarek K., Assassine der Königin, in einem Gesträuch, den breitkrempigen Hut tief ins Gesicht gezogen. Er war weit genug von dem einsamen Haus entfernt, die Bewohner des Gebäudes konnten ihn nicht bemerken.

Grillen zirpten. Gelegentlich rief eine Eule und im Unterholz raschelten kleine Tiere. Wolken dämpften den Schein der drei Monde. Durch sein Fernrohr erkannte Jarek eine Gestalt in der Nähe des Hauses, in der Düsternis nicht viel mehr als ein menschenähnlicher Schatten. Die Fensterläden im Erdgeschoss des Gebäudes waren geschlossen und im ersten Stock brannte, soweit der Assassine sehen konnte, kein Licht. Es war unmöglich zu sagen, wie viele Leute sich im Haus aufhielten. Die Gestalt machte ein paar Schritte, wie um sich die Beine zu vertreten, hielt dann an, und schlenderte denselben Weg wieder zurück. Etwas, das Jarek ebenfalls nicht genau erkennen konnte, hing über ihrer Schulter, etwas Längliches. Eine Waffe vielleicht?

»Verdammt kalt«, zischte Thale, der direkt neben Jarek hockte.

Der Assassine gab keine Antwort. Ja, die Kühle und Feuchtigkeit der Nacht krochen auch in seine Knochen und er fragte sich, ob all das die Anstrengung wert war. Aber sie hatten sich die Mühe gemacht, hier herauszukommen, jetzt wollte Jarek auch Gewissheit haben.

Die Wolkendecke brach für einen Moment auf und kaltes, weißes Mondlicht beschien die Gestalt vor dem Haus. Durch das Fernrohr sah Jarek ein narbiges Gesicht mit einem schlecht gepflegten Spitzbart unter einer krummen Nase. Der Assassine schnalzte mit der Zunge. Er kannte den Mann, der vor dem Haus Wache schob, hatte sein Gesicht mehr als einmal auf den Fahndungsbildern des Direktoriums gesehen.

»Rufio«, flüsterte er in Thales Richtung.

»Bist du sicher?«, kam nach kurzem Schweigen die ebenfalls geflüsterte Frage zurück.

»Ganz sicher.«

Der Major kroch noch näher an Jarek heran, um ihm ins Ohr zischen zu können: »Wir müssen Verstärkung holen.«

Gewiss wäre dies das Vernünftigste gewesen. Bran hatte ihnen von dem abgelegenen Haus und seinen Bewohnern erzählt. Der Spitzel war stets bereit, Leute für ein paar Kronen ans Messer zu liefern. Meistens waren seine Informationen nichts wert, Gestammel eines Säufers, der sich den nächsten Schluck erschnorren wollte. Angeblich arbeitete Bran für den geheimnisvollen Rufmacher, was Jarek nicht glauben konnte. Diesmal jedoch schien der Trunkenbold richtig gelegen zu haben.

Der Assassine warf noch einen Blick durch sein Fernrohr. Rufio schien immer noch nichts bemerkt zu haben.

»Die schnappen wir uns«, wisperte Jarek.

»Warten wir lieber auf Verstärkung«, gab Thale flüsternd zurück.

Jarek schüttelte den Kopf. Die nächste Telegrafenstation lag gut eine halbe Stunde entfernt und es würde noch einmal dauern, bis die angeforderten Männer tatsächlich eintrafen. Dafür war Jarek nicht mitten in der Nacht hier herausgekommen. Er wollte handeln. Sein ganzer Körper vibrierte vor Anspannung.

»Das ist verrückt«, raunte Thale.

Jarek schenkte ihm ein Grinsen, doch er wusste nicht, ob sein Freund es im schlechten Licht sehen konnte. »Lassen wir’s drauf ankommen, oder?«

**

Rufio zeigte keine Reaktion, auch als Jarek sich ihm durch das Unterholz näherte, schien er nichts zu hören. Gelegentlich unterbrach er sein Auf- und Abgehen, um die Arme um sich zu schlingen oder sich in die Hände zu hauchen. Sein Atem dampfte in der Nachtkühle.

Die Nadelpistole lag in Jareks Hand, eine Waffe von einer Art, wie niemand sonst sie in Carcosa besaß. Das Erbe des Assassinen und seine Verbindung zu einer Vergangenheit, an die er sich nur noch nebelhaft erinnerte.

Rufio war wohl mit Taubheit geschlagen. Er bemerkte Jarek noch nicht einmal, als dieser in knapp einem Meter Abstand hinter ihm stand. Wieder blies sich der Mann in die Hände und murmelte etwas Unverständliches. Wahrscheinlich verfluchte er den Wachdienst. Dank der zurückgewichenen Wolkendecke besaß das Licht der Monde jetzt bedeutend mehr Kraft. Jarek sah nun, dass Rufio ein Bolzengewehr auf dem Rücken trug.

Der Assassine räusperte sich. Der Mann mit dem Gewehr sollte ihn wenigstens einmal sehen. Jetzt erst wirbelte Rufio herum, einen Ausdruck vollkommener Überraschung in seinem narbigen Gesicht. Er öffnete den Mund, möglicherweise um einen Schrei auszustoßen.

Jarek schoss ihm in den Hals. Das einzige Geräusch der Nadelpistole war ein Zischen. Rufio keuchte, wankte ein paar Schritte zurück, starrte Jarek aus großen Augen an. Dann kippte er ohne einen weiteren Laut zur Seite. Das Gift in der Nadel wirkte schnell.

Im Haus blieb alles ruhig. Niemand schien etwas von den Ereignissen hier draußen bemerkt zu haben. Knacken und Rascheln im Unterholz kündeten Thales Kommen an. Jarek unterdrückte einen Fluch. Der Major war ein zuverlässiger Partner, ein guter Freund und sogar einmal viel mehr als das gewesen, aber Heimlichkeit gehörte nicht zu seinen Begabungen.

Die Tür wurde aufgerissen. Matter Lampenschein fiel in die Dunkelheit. Im Türstock stand ein Mann mit langen Haaren, der eine Flasche in der Hand hielt.

»Hey Rufio«, rief der Kerl. »Magst du auch …«

Ein Schuss krachte. Der Kopf des Langhaarigen explodierte. Jarek riss die Arme hoch, als ihm Knochensplitter, Blut und Hirnbrocken entgegenspritzten. Der Leichnam blieb auf der Schwelle liegen.

Thale stand ein paar Schritte entfernt, seine Bolzenpistole in beiden Händen. Jarek sah angeekelt an seinem besudeltem Mantel herunter.

»Großartig, du Meisterschütze«, sagte er in Thales Richtung.

»Er hätte bewaffnet sein können«, antwortete der Major.

Aus dem Haus waren Schreie zu hören. Etwas polterte als vermutlich Möbel umgestoßen wurden.

Jarek zog mit der linken Hand sein Stilett aus der Scheide an seinem Gürtel und fasste mit der rechten den Griff der Nadelpistole fester.

So viel zur Heimlichkeit.

**

Jarek hatte eigentlich nichts gegen die AKU – die Anarchistische Kämpfende Union – die sich als Widerstandsbewegung gegen die Imperiale Dynastie verstand. Er stammte nicht aus Carcosa und die Politik in der Stadt interessierte ihn wenig. Die Leute um Nofris Yvain waren entweder fehlgeleitet oder dumm und die meisten davon letzteres. Arme Tröpfe allesamt, Ausgestoßene wie Rufio, Deserteure, verarmte Adlige, im Grunde zu bemitleiden. Aber sie trachteten Cassilda Castaigne nach dem Leben und das machte sie zu Jareks Feinden. Cassilda. Schon bei dem Gedanken an die Frau mit den traurigen Augen stach etwas in Jareks Brust. Oh ja, er würde sie beschützen. Alle, die sie bedrohten, aus dem Weg räumen, jeden einzelnen, ohne Gnade, ohne Zögern.

Der Assassine und Thale betraten das Haus, ihre Waffen im Anschlag. Jetzt noch auf Lautlosigkeit zu setzen, war ohnehin sinnlos. Zwei Männer mit Bolzengewehren stürmten ihnen entgegen. Einer von ihnen schoss sofort. Jarek sprang zur Seite. Thale ließ sich zu Boden fallen, feuerte gleichzeitig und traf den Schützen in die Brust. Mit einer klaffenden Wunde unter dem Brustbein taumelte der Mann zurück. Jarek drückte ebenfalls ab. Die Nadel bohrte sich in die Seite des anderen Gegners. Der Körper des Anarchisten verkrampfte sich und er fiel um, noch bevor er einen Schuss abgeben konnte.

Thale sagte etwas, das Jarek nicht verstand. In den Ohren des Assassinen rauschte es. Er konnte froh sein, wenn ihn der Lärm der Schießerei nicht das Trommelfell kostete.

» … leben lassen … einen!« Thale schrie Jarek ins malträtierte Ohr.

Der Assassine nickte nur. Klar, der Major gehörte zum Direktorium und wie jeder Geheimdienst brauchte auch der Dienst Carcosas Leute, aus denen er Informationen pressen konnte. Das Rauschen in Jareks Ohren ließ allmählich nach. Er trat eine nur angelehnte Tür auf, sah in einen Raum mit einem Esstisch in der Mitte und einigen Stühlen, manche davon umgestürzt. Drei Männer standen hier, ebenfalls mit Bolzengewehren bewaffnet. Jarek erschoss zwei von ihnen. Sie starben lautlos. Der dritte feuerte sein Gewehr ab. Der Assassine spürte einen Schlag gegen seine Schulter, der ihn herumriss. Aber es gab keinen Schmerz. Etwas Warmes, Klebriges lief seinen Arm hinunter. Jarek sprang zur Seite in den Gang, schlug dort der Länge nach hin und wälzte sich herum. Weiter entfernt krachten ebenfalls Schüsse. Thale war anscheinend auf noch mehr Gegner getroffen.

Der Mann mit dem Gewehr trat in den Gang. Jarek wurde klar, dass er seine Pistole nicht mehr in der Hand hielt. Er musste sie fallen gelassen haben, als der Bolzen ihn erwischt hatte. Jareks Gegner grinste, zeigte dabei zwei glänzende Goldzähne und richtete den Gewehrlauf auf den Kopf des Assassinen.

Jarek warf das Stilett. Die Klinge grub sich in ein Auge seines Gegners. Der Mann öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen, dann ging er zu Boden.

Der Schmerz kam. Brandete wie eine Feuerwoge durch Jareks Arm. Der Assassine presste die Zähne zusammen, um nicht zu schreien. Er betrachtete die Wunde. Trotz allem hatte er Glück gehabt: Obwohl der Bolzen ein großes Stück Fleisch aus seinem Oberarm gerissen hatte, schien das Geschoss nicht steckengeblieben zu sein. Es war mehr oder weniger ein Streifschuss. Ein richtiger Treffer hätte Jarek vermutlich den Arm abgerissen.

Trotz seiner Schmerzen stieß der Assassine ein kurzes Lachen aus. Mit was für Nieten sich der arme Nofris Yvain doch abgeben musste. Drei bewaffnete Männer und zwei davon waren nicht einmal in der Lage gewesen, einen einzigen Schuss abzugeben und auch der dritte hatte letztlich versagt.

Jarek riss ein paar Streifen Stoff aus seinem Hemd, verband notdürftig die Wunde, um wenigstens die Blutung zu stillen. Sein Ärmel war bereits rotbraun getränkt und ein breiter rostfarbener Fleck besudelte die Stelle, an der der verletzte Arm den Boden berührt hatte.

Der Assassine stand auf. Dabei wurde ihm so schwindlig, dass er sich an der Wand abstützen musste. Eigentlich war er nicht viel besser als Nofris’ Dilettanten. Machte die Dummheit seiner Feinde ihn nachlässig oder wurde er allmählich alt?

Endlich auf den Beinen lief ihm Schweiß in Bächen über das Gesicht und er zitterte. Gewiss hatte er jede Menge Blut verloren.

Jarek hörte keine Schüsse mehr. Entweder hatte Thale die letzten Hausbewohner unschädlich gemacht oder ihm war etwas zugestoßen. Die Nadelpistole lag nahe der Türschwelle. Jarek bückte sich, um die Waffe aufzuheben. Anschließend zog er das Stilett aus dem Auge des toten Anarchisten und machte sich auf die Suche nach Thale. An den Raum mit dem großen Tisch grenzte eine Küche. Auf dem Herd stand ein Topf, dessen Inhalt vor sich hinblubberte. In einer Ecke kauerte eine grauhaarige Frau, die eine Kittelschürze trug. Sie warf Jarek einen furchtsamen Blick zu, dann wandte sie ihr Gesicht wieder ab, als befürchte sie, ihn durch Augenkontakt zu provozieren. Weder der Assassine noch die Köchin sprachen.

Jarek setzte seinen Weg fort. Er musste Thale finden. Sein Herz pochte so laut, dass man es bestimmt im ganzen Haus hören konnte und die Pein in seiner Schulter pulsierte im Rhythmus dazu. Sein Mund war ausgetrocknet, er konnte kaum noch schlucken.

Wo steckte Thale bloß?

»Da bist du ja«, sagte jemand.

Jarek prallte zurück, hob die Nadelpistole. Doch es war der Major, der auf einmal vor ihm stand.

»Dich hat’s aber böse erwischt«, stellte Thale fest und packte den Freund an dessen gesundem Arm, um ihn zu stützen.

»Geht schon«, stieß Jarek hervor, obwohl er für Thales Hilfe dankbar war.

»Hier unten und im ersten Stock ist alles klar«, informierte ihn Thale. »Aber es gibt da ein Problem.«

Jarek leckte sich über die aufgesprungenen Lippen. »Was für ein Problem?«

»Das siehst du dir besser selbst an.«

**

Auf dem unteren Treppenabsatz lagen drei Leichen mit klaffenden, rotschwarzen Wunden in den Körpern. Sicherlich Thales Werk. Der Major führte seinen Freund zu einer schmalen Tür direkt unterhalb der Treppe. Das Holz dieser Tür war dunkel und wies an mehreren Stellen Stockflecken auf. In die Türmitte war, offenbar mit einem Messer oder ähnlich grobem Werkzeug, ein Symbol geritzt worden.

Jarek blinzelte. Etwas an diesem Symbol tat seinen Augen weh. Es schien zu wabern, sich ständig zu verändern. Vermutlich zeigte es einen stilisierten Skorpion mit einem gezackten Stachel, vielleicht aber auch ein Swastika, vielleicht etwas ganz anderes.

»Was soll das sein?«, murmelte der Assassine und rieb sich die Stirn.

Zu den Qualen in seinem Arm gesellten sich hämmernde Kopfschmerzen.

»Ich habe so etwas noch nie gesehen«, antwortete Thale. »Vielleicht irgendein neuer Code der AKU, den wir noch nicht kennen. Aber sag mal, wo kommt denn dieser Gestank her? Riechst du das auch?«

Jarek hatte gedacht, der Gestank, der in seine Nase kroch, entstamme seinen überreizten Sinnen: das Eisenaroma von Blut, vermischt mit Exkrementen.

»Das kommt unter der Tür durch«, sagte Thale. »Außerdem habe ich von drinnen etwas gehört. Kann sein, dass dahinter noch jemand ist.«

Der Gestank ließ in Jarek Übelkeit aufsteigen. Selbst ohne etwas gehört zu haben, war er sich sicher, dass hinter dieser Tür etwas wartete, etwas lauerte …

»Bleiben Sie weg von da«, sagte eine Stimme hinter ihnen.

Die beiden Männer drehten sich um. Vor ihnen stand die Köchin. Die Frau zitterte am ganzen Körper und Jarek fragte sich, warum sie nicht die Gunst der Stunde genutzt hatte, um zu fliehen.

»Was ist da drin?«, wollte Thale wissen.

Die Köchin schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht und, bei St. Haita, ich will es auch nicht wissen. Aber sie haben Leute da reingebracht, in den Keller. Die sind nicht mehr rausgekommen, verstehen Sie? Und die Schreie habe ich auch gehört.«

»Ich muss es trotzdem wissen.« Thale klang fest entschlossen.

Jarek vermutete, dass der Major nicht als Feigling dastehen wollte, obwohl ihm seine Angst allzu deutlich ins Gesicht geschrieben stand.

»Gehen Sie da nicht rein.« Tränen liefen jetzt über die Wangen der alten Frau. »Was immer da drin ist, es ist böse. Spüren Sie das nicht? Sehen Sie das Zeichen an der Tür?«

»Hast du das Gelbe Zeichen gesehen?«

Jarek fuhr zusammen und drehte sich zu Thale. »Was meinst du damit?«

Thale sah seinen Freund irritiert an. »Was soll ich meinen? Ich habe nichts gesagt.«

»Schon in Ordnung.« Der Assassine seufzte.

Jetzt hörte er schon Stimmen. Es ging ihm wirklich nicht gut. Dann schoss er der Köchin in die Brust. Die alte Frau fiel mit einem dumpfen Laut zu Boden.

»Was machst du da?«, rief Thale. Unglauben gepaart mit Schrecken schwangen in seiner Stimme mit.

Jarek gab keine Antwort. Alles drehte sich um ihn. Das Zeichen auf der Tür schien im Rhythmus der Schmerzen in seiner Schulter zu pochen.

Thale schüttelte den Kopf, verzichtete aber auf einen weiteren Kommentar. Er wandte sich wieder der Tür zu.

»Dann möchte ich jetzt wenigstens wissen, was dahinter ist«, sagte er.

»Ich bin überhaupt nicht mehr neugierig«, murmelte Jarek.

Er fühlte sich schwach und elend, einer Ohnmacht nahe. Sollte sich das Direktorium doch um den Rest hier kümmern, er brauchte Schlaf und Ruhe und er brauchte Cassilda. Wollte sie in die Arme schließen. Seine Königin. Den Duft ihres Haars riechen, sie küssen, sich in ihrem Schoß verlieren.

Thale trat mit voller Wucht gegen die Tür. Beim ersten Tritt ächzte das morsche Holz, nach dem zweiten gab es nach und die Tür flog krachend auf.

Durch den Türrahmen fiel blasser, unsteter Schein wie von Kerzenlicht. Jarek erkannte hinter der Öffnung lediglich vage Umrisse, die sich zu bewegen schienen. Ein Klirren drang an sein Ohr, dann ein Geräusch, das Wimmern oder Gekicher sein konnte. Der Gestank, der aus dem Durchlass drang, ließ den Assassinen würgen: Ein Brodem aus Fäulnis, Vorbote unvorstellbarer Scheußlichkeiten.

Thale hielt seine Bolzenpistole mit beiden Händen fest umklammert, und trat durch die Tür.

»Hast du das Gelbe Zeichen gesehen?«

Wieder flüsterte die Stimme in Jareks Ohr.

Gleich darauf schrie Thale.

10

Jarek wusste, dass er träumte. In seinem Traum lief er durch die Straßen Carcosas und die Stadt stand in Flammen. Rote Feuerzungen leckten an den Dächern der Gebäude, schlugen aus den geborstenen Fenstern, schwarzer Rauch verdunkelte den Himmel, verdeckte die Sonnen.

Wo war Cassilda? Wo war Jareks Königin?

Er musste sie finden, auch wenn er träumte. Selbst hier, in dieser Phantasmagorie, musste er sie beschützen.

Eine Hauswand stürzte ein und Jarek sprang im letzten Moment zur Seite. Staub wirbelte auf, nahm ihm die Sicht. Die Geräusche der Katastrophe verstummten. Der Assassine fand sich in grauem Zwielicht wieder. Er konnte keine zwei Meter weit sehen. Die Stadt schien verschwunden.

Das Phantom in der weißen Robe stand auf einmal vor Jarek. Der Assassine riss die Nadelpistole aus dem Halfter an seinem Gürtel.

»Hast du das Gelbe Zeichen gesehen?«

Dieselbe immer gleiche Frage, gestellt von derselben immer gleichen emotionslosen Stimme.

Jarek schoss. Das Phantom verschwand, als wäre es ein Luftballon, in den eine Nadel gestochen wurde.

Jarek drehte sich um. Das Phantom stand erneut vor ihm, scheinbar unverletzt.

»Wer bist du?«, rief Jarek.

Die Worte klangen in seinen Ohren weit entfernt, als höre er sich selbst aus einem Tunnel sprechen.

»Die Wahrheit«, lautete die Antwort der Erscheinung.

»Was willst du?«, fragte Jarek.

»Sein Kommen ankündigen«, sagte das Phantom.

»Wessen Kommen?«

»Das Kommen des wahren Königs, des lebenden Gottes.«

Jarek wusste nicht warum, aber er war kurz davor zu weinen. Eine niederdrückende, tödliche Traurigkeit lastete auf ihm, drohte ihn zu ersticken. Tränen liefen über seine Wangen.

»Werden wir überleben?«, fragte er.

»Nein«, gab das Phantom unverändert gefühllos zurück.

»Gibt es Hoffnung?«

»Die gab es nie.«

Jarek erwachte.

**

Er brauchte einige Momente, um zu begreifen, dass er in Thales Bett lag. Jarek kannte dieses Zimmer aus früheren Tagen. Das Fenster war leicht geöffnet und der Lärm Carcosas – Stimmengewirr, Tierlaute und das Rumpeln von Karren – drang an die Ohren des Assassinen.

Cassilda!

Jarek hatte sie im Traum gesucht und das Verlangen, sie zu sehen, war auch jetzt noch da, stärker als jemals zuvor. Obwohl sein ganzer Körper schmerzte, zwang er sich aufzustehen.

Jarek war nackt. Sein Mantel, zerschlissen und durchlöchert, aber mittlerweile sauber, hing über einem Stuhl. Thales Hausmädchen musste ihn gereinigt haben. Der Hut des Assassinen lag ebenfalls auf dem Stuhl. Die Nadelpistole fand er auf dem Nachttisch neben dem Bett. Er nahm die Waffe in die Hand und es fühlte sich wie immer richtig an, sie zu halten. Seine Waffe und nur seine, auf immer und ewig.

Jarek betrachtete sich im Spiegel, musterte die frischen Narben und Blutergüsse in seinem Gesicht und auf Brust, Armen und Beinen. Jemand musste die schlimmsten Wunden versorgt haben, als er ohnmächtig gewesen war, aber der Assassine erinnerte sich nicht daran.

Auf einer Kommode stand eine Waschschüssel. Handtücher und Seife lagen dort für ihn bereit. Jarek säuberte sich ausgiebig, auch wenn immer noch jede Bewegung Wellen der Pein durch seinen Körper sandte und die Seife in den kaum verheilten Wunden brannte. In einem Schrank fand er Hemd, Hose, Schuhe und Unterkleidung. Gerade als er seinen Mantel überstreifte, betrat Thales livriertes Dienstmädchen das Zimmer. Die Frau stieß einen halblauten Schrei aus, das Tablett in ihren Händen wackelte bedenklich, aber es gelang ihr, es festzuhalten. Auf dem Servierbrett standen Teller und Schüsseln mit Butter, Toast und Honig, nebst einer Kanne mit dampfendem Inhalt.

»Sie sind ja wach«, stellte das Dienstmädchen fest.

»Offensichtlich.« Jarek steckte die Nadelpistole in das Waffenhalfter an seinem Gürtel. »Wo ist Thale?«

Die Frau schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Herr Thale ist vor einiger Zeit gegangen und wann er wiederkommt, hat er nicht gesagt.« Sie stellte das Tablett auf dem Tisch im Eck des Raumes ab. »Möchten Sie frühstücken? Herr Thale meinte, dass Sie etwas zu Essen bräuchten, wenn Sie aufwachen.«

Jarek betrachtete stirnrunzelnd die dargebotenen Speisen. Aus der Kanne stieg der Geruch frisch gebrühten Tees und auch der Toast duftete einladend.

Aber der Assassine war nicht hungrig.

Er hatte Wichtigeres zu tun.

Er musste zu Cassilda.

Er musste seine Königin sehen.

Jarek schickte sich an, den Raum zu verlassen, da hielt das Dienstmädchen ihn mit einem Ausruf zurück:

»Das habe ich fast vergessen, Herr K. Vorhin hat jemand etwas für Sie abgegeben.«

Die Frau überreichte ihm einen Briefumschlag. Jarek betrachtete ihn von allen Seiten. Das Pergament war nicht beschriftet und trug auch kein Siegel. Er riss es auf und ein Zettel kam zum Vorschein. Das Papier war mit schwarzer Tinte beschrieben, die Schrift zittrig und ungeschickt wie von einem Kind oder Analphabeten.

Ambrosius Wild. Jarek kannte diesen Namen. Jene beiden Worte wurden halblaut in den dunkelsten Gassen und Kaschemmen Carcosas geflüstert. Der Rufmacher – so nannte man Herrn Wild auch. Jarek war ihm nie selbst begegnet, kannte aber all die Gerüchte, die sich um diese schattenhafte Gestalt rankten. Wenn jemandes Reputation in Carcosa bedroht oder bereits verloren war, dann suchte er Herrn Wild auf. Angeblich besaß der Rufmacher ein über die ganze Stadt verteiltes Netzwerk von Spionen, die in der Lage waren, an den richtigen Stellen Druck auszuüben, gezielt Leute zu bestechen oder einzuschüchtern, um den Nimbus des Klienten wieder ins Lot zu bringen.

Jarek fasste das Dienstmädchen am Arm.

»Woher haben Sie das?«, fragte er harsch.

»Ein … ein Mann hat den Brief gebracht«, stammelte sie, über Jareks Reaktion offensichtlich erschrocken. »Hat ausgesehen wie ein Tagelöhner. Ich habe ihn noch nie zuvor gesehen, kenne seinen Namen nicht … es tut mir sehr leid, Herr K. Ich … ich habe doch nichts Falsches gemacht?«

Jarek entspannte sich. Er setzte ein Lächeln auf und ließ das Dienstmädchen los.

»Nein, Sie haben nichts falsch gemacht. Ich danke Ihnen für diesen Brief, das hat mir sehr geholfen.«

»Dann bin ich ja froh.« Sie lächelte zurück, in ihrem unsteten Blick immer noch der Nachhall ihres Erschreckens. »Möchten Sie nicht doch etwas essen?«

»Keine Zeit«, gab Jarek zurück. »Es gibt Leute, die ich treffen muss.«

Sie nickte. Dann sah sie bedeutungsvoll auf seinen Mantel.

»Vielleicht sollten Sie etwas anderes anziehen. Dieses alte Ding kann man doch bloß noch wegwerfen.«

Jarek blickte an sich herunter. Das Dienstmädchen hatte recht, ähnliche Kleidungsstücke hingen für gewöhnlich an Vogelscheuchen, andererseits fand er seinen Aufzug im Moment passend.

»Das ist schon gut so«, sagte er deshalb. »Wenn wir die Dinge nicht in den Griff bekommen, dann wird mein Mantel bald unser geringstes Problem sein.«

Sie nickte, aber er sah in ihrem Gesicht, dass sie keine Ahnung hatte, wovon er redete. Der Assassine beließ es dabei, tippte zum Abschied an seine Hutkrempe und ging.

**

Die Hauptstraße war so belebt wie immer: Fuhrwerke, Fußgänger und Lastträger drängten sich und auch das eine oder andere Kabelmobil war zu sehen. Rufe von Straßenhändlern, die ihre Waren anpriesen, vermischten sich mit dem Geblöke von Vieh. Doch Jarek sah wesentlich mehr Milizionäre und Soldaten als jemals zuvor. Scheinbar wahllos hielten die Sicherheitskräfte Passanten an, manchmal gab es heftige Wortwechsel und Carcosas Staatsgewalt zeigte sich nicht zimperlich. Wer nicht gleich gehorchte, den rangen die Uniformierten nieder, fesselten ihn und transportierten ihn ab, vermutlich zu einem schärferen Verhör. An jeder größeren Kreuzung stand ein massives Aufgebot von Sicherheitsleuten begleitet von Männern in Zivil, bei denen es sich nur um Agenten handeln konnte. Bisher hatten diese Agenten sich darauf beschränkt, die Straßen von ihren verborgenen Kontrollposten aus zu überwachen. Irgendetwas musste sie aufgescheucht haben.

Die Uniformierten hielten auch Jarek an, aber wenn er seinen königlichen Siegelring vorzeigte, schreckten sie stets zurück.

»Es war etwas in der Alar-Kaserne«, antwortete ein Milizionär auf die Frage des Assassinen. »Ich weiß nicht genau, was passiert ist, aber es hat mit der verfluchten AKU zu tun, da bin ich ganz sicher. Hoffentlich finden wir die Kerle bald und dann knüpfen wir sie auf.«

Der Aufstieg zum Palast erschien Jarek lange und mühselig. Als er endlich das große Tor erreichte, war er außer Atem und zitterte vor Erschöpfung, trotzdem hielt er sich noch aufrecht. Cassilda brauchte ihn, er durfte nicht schwach werden.

Sandsäcke lagen vor dem Palasttor aufgeschichtet. Hinter diesen Absperrungen hielten Soldaten an fest montierten großkalibrigen Bolzengewehren Wache. Auch die schwer bewaffneten Posten konnten Jarek keine Auskunft geben, was genau der Grund für ihre Alarmbereitschaft war. Der Befehl war von ganz oben gekommen, ob vom Vorsitzenden des Direktoriums oder einem der Generäle wusste der Soldat ebenfalls nicht, war aber gleichermaßen sicher, dass alles irgendwie mit der AKU zusammenhing. Ein Dienstbote im Empfangsbereich des Palastes teilte Jarek mit, dass sich die Königin in ihre Privatgemächer zurückgezogen habe. Sie wünsche nicht gestört zu werden, habe aber ausdrücklich Anweisung gegeben, Jarek zu ihr vorzulassen.

Auf seinem Weg zu Cassilda begegnete der Assassine lediglich ein paar Wachen und einem Diener. In deren Gesichtern zeigten sich die strengen Linien von Anspannung und Sorge. Die Atmosphäre einer nicht greifbaren und doch nahen Bedrohung lag wie ein Pesthauch in der Luft. Immer noch spürte Jarek keinen Hunger, was ihm mittlerweile merkwürdig vorkam. Er hatte über einen Tag geschlafen, sein Magen hätte wie ein wütender Tiger knurren müssen.

Er riss die Tür zu Cassildas Gemächern auf.

Vor sämtlichen Fenstern des Raumes waren die Vorhänge zugezogen und ließen nicht mehr als eine Ahnung von Tageslicht herein. Die Luft roch abgestanden, als sei zu lange nicht gelüftet worden. Jarek entdeckte die Königin erst nach einigen Momenten. Cassilda saß in einem der schweren Lehnsessel, eine Wolldecke hüllte sie bis zum Kinn ein. Auf einem Tisch neben ihr stand ein Tablett mit Tellern, auf denen eine augenscheinlich unberührte Mahlzeit lag.

»Hallo Jarek.« Cassildas Stimme klang schwach.

Er ging zu ihr, küsste sie auf den Mund, dessen Lippen bei seiner Berührung teilnahmslos blieben.

»Ich kann ihn hören, Jarek«, wisperte Cassilda. »Sogar jetzt, in diesem Moment, kann ich ihn hören. Er geht umher. In der Dunkelheit geht er umher.«

»Wen kannst du hören?«, wollte der Assassine wissen.

»Ihn«, lautete die Antwort, der ein ersticktes Schluchzen folgte.

Jarek nahm Cassilda in die Arme. Sie ließ es geschehen, doch erwiderte sie die Geste nicht. Sie weinte und er spürte die Wärme ihrer Tränen an seinem Hals.

»Oh Jarek, bitte lass mich nicht allein. Du bist der einzige, der zu mir hält. Ich kann sonst niemandem vertrauen.«

Er flüsterte ein paar beruhigende, zusammenhanglose Worte und ließ Cassilda dann in ihren Sessel zurücksinken. Die Dunkelheit des Zimmers erinnerte ihn immer mehr an eine Gruft, aber als er zu einem der Fenster ging und den Vorhang zurückschlagen wollte, hielt Cassilda den Assassinen mit einem Aufschrei zurück.

»Tu das nicht! Ich will nicht, dass der Tag zu mir hineinsieht, dass die Sonnen in meinen Räumen spionieren. Verstehst du das? Ich kann ihn hören. Er geht umher, umher, umher …«

Jarek ließ Cassilda in der Düsternis sitzen. Er konnte nichts für sie tun, jedenfalls nicht im Augenblick. Ziellos wanderte er durch die königlichen Gemächer; die Harlekine standen ihm einmal mehr vor Augen, ihre geschminkten Gesichter, ihr Lachen, das kein Lachen war. Und ja, tatsächlich, sie hatten recht, alles war ein freudloser Witz, ein schrecklicher Scherz, das ganze Leben ein Hohn. Er konnte Cassilda nicht helfen, wusste nicht wie, konnte niemanden töten, um ihr die Angst zu nehmen. Jareks Gesicht brannte wie im Fieber.

Alles war ein Witz.

Alles ein schlechter Scherz.

Er konnte ihr nicht helfen.

Seiner Königin.

Seiner Geliebten.

Cassilda.

Sie saß in ihrem dunklen Zimmer in der schlechten Luft und verging vor Angst und er, Jarek, war machtlos.

Der Assassine betrat Cassildas Ankleidezimmer. Hier waren die Vorhänge nicht ganz zugezogen, so dass das Sonnenlicht den Raum zumindest zum Teil erhellte. Jarek stellte sich vor den Schminktisch, betrachtete sich in dem Spiegel darüber.

Ein Witz, ein Witz, alles ein Witz …

Die Gesichter der Harlekine …

Alles ein Scherz …

Jarek griff nach einem Topf mit Talk, betupfte damit sein Gesicht.

Ein Witz …

Er nahm einen Kohlestift und verteilte die schwarze Farbe auf seinen Lippen. Es dauerte, die Schminke richtig aufzutragen, aber schließlich grinste Jarek das Antlitz entgegen, das er für angebracht hielt.

Immer noch spürte er keinen Hunger, keinen Durst, keinen Schmerz. Gelächter stieg in ihm auf, brandete seine Kehle empor und quoll wie Erbrochenes aus seinem Mund.

Ein Witz, ein Witz, ein Witz …

»Jarek, was ist denn los?«

Cassilda stand im Türrahmen, die Decke um sich geschlungen.

»Nichts, mein Schatz.« Der Assassine machte ein paar tänzelnde Schritte zu ihr, fasste sie an den Schultern und gab ihr einen Kuss.

»Jarek, du machst mir Angst.« Sie wich vor ihm zurück.

»Oh, mein Schatz, die musst du nicht haben. Weißt du, ich war traurig und wusste mir nicht zu helfen. Aber jetzt, oh Wunder, bin ich wieder fröhlich.«

Cassilda schüttelte nur den Kopf und wandte ihren Blick ab.

Jarek deutete eine Verbeugung an. »Ich kann leider nicht bleiben, tut mir sehr leid. Ich muss jemanden treffen.«

Mit diesen Worten ließ er Cassilda stehen und bewegte sich, immer noch tänzelnd, aus dem Zimmer.

Alles ein Witz.

Alles ein Scherz.

Haha.

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