Georg Ebers

 

Im Schmiedefeuer

Roman aus dem alten Nürnberg

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

Cover: "Die Anno 1700 neu erbaute Brücken über dem Pegnitz-Fluß zu Nürnberg" (1730) von Johann Adam Delsenbach

Covergestaltung: nexx verlag gmbh, 2015

 

ISBN/EAN: 9783958705517

 

Rechtschreibung und Schreibweise des Originaltextes wurden behutsam angepasst.

 

www.nexx-verlag.de

 

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Band I.

Erstes Kapitel

 

Am Abend des St. Medardustages im Jahre 1281 nach der Geburt des Heilandes war der Mond eben hell aufgegangen über der Reichsstadt Nürnberg. Wohl fanden seine Strahlen den Weg in die Straße, die von dem starken Marienturm zum Frauentor führte; seinem Verlangen, den Ortliebhof zu erreichen, stellte sich indes ein Haus, ein Wachtturm und mit besonderem Glück ein hoher Lindenbaum entgegen. Dennoch gab es hier etwas zu sehen, das selbst jetzt, wo Nürnberg den Kaiser Rudolf und so viele weltliche und geistliche Fürsten, Grafen und Ritter beherbergte, seine Neugier reizte. Zu den glänzenden Schauspielen freilich, an denen es doch in diesem Junimond zu Nürnberg nicht fehlte, gehörte dies Etwas mitnichten. Es war sogar recht still hier; denn dem Kriegsvolke untersagte ein kaiserlicher Befehl, bei Nacht die Stadt zu durchziehen, und das Frauentor, durch das bei Tage Mensch und Vieh genug aus und ein ging, war längst verschlossen. Von den ehrsamen Bürgern, die so zeitig zu Bette gingen und sich so früh erhoben, dass sie sich des Mondlichtes selten lange freuten, kamen hier zu dieser Stunde nur wenige vorüber. Der letzte, ein ehrsamer Wollweber-Meister, war schief gegangen. Da er den Mond wie alles andere über sich und um sich her doppelt sah, hatte er sich gefragt, ob der da oben denn auch eine Gefährtin bekommen? Von der seinen daheim hatte er keinen freundlichen Empfang zu erwarten. Die Scharwache, die sich – der Mond wusste noch nicht recht warum – kurze Zeit vor dem Ortliebhause aufhielt, folgte dem Meister. Dann kam noch ein Priester, der, mit dem Mesner und einigen Laternenträgern, einem Sterbenden in der St. Clarengasse das Sakrament brachte.

 

Auf der andern, nordwestlichen Seite der Stadt, wo sich die Feste auf ihrem Hügel erhob, und ihr zu Füßen, am Tiergärtnertor, gab es sonst in dieser Stunde mehr zu sehen; denn droben residierte Kaiser Rudolf in der Reichsburg, und sein Schwager, der Herr Burggraf Friedrich von Zollern, in der seinen. Heute aber ging es auch da oben nicht eben glänzend her; denn der Kaiser und sein Hofstaat, der Burggraf und die Seinen, sowie sämtliche weltliche und geistliche Fürsten, die Grafen und Herren, die auf der Feste wohnten, befanden sich samt ihren Damen auf dem Rathaus. Da ging es hoch her, und rauschende Musik klang aus den offenen Fenstern des großen Saales, in dem auch Kaiser Rudolf während des Tanzfestes weilte. Dort wäre es dem Monde auch vergönnt gewesen, sich in blankem Stahl, in Gold, Silber und Edelgestein an Helmen, Diademen und Prachtgewändern zu spiegeln. Dazu hätte er freilich im Pegnitz-Fluss, der die Stadt in zwei Hälften teilte, noch bessere Gelegenheit gefunden, aber der alte Wanderer am Himmel zog von alters her die lauschigen, verborgenen Winkel den geräuschvollen Plätzen, den bescheidenen Schimmer dem aufdringlichen Glanze vor. Wo es Geheimes zu erforschen gibt, dahin schaut er am liebsten, und die Menschen wählten ihn jederzeit gern zum Vertrauten.

 

Bei der Linde nun, die vor dem Ortliebhofe in voller Blütenpracht die Straße beschattete, musste eben jetzt etwas im Werke sein, das ihm ganz und gar nach dem Sinne war; denn er hatte in dem alten Geschlechtersitz mit dem steinernen Wappen über der hohen Eichentür und in seinem Garten zwei schöne Jungfrauen heranwachsen sehen, von denen die jüngere von Kind an in ganz besonderer Beziehung zu ihm stand.

 

Jetzt gestattete die Krone der Linde ihm schon, trotz ihrer Dichtheit, in den breiten Vorraum zu blinzeln, der das weit zurückliegende Patrizierhaus von der Straße trennte.

 

Eine Kette, die in sanften Biegungen eine kurze Reihe von Granitpfeilern mit einander verband, schloss ihn gegen die Vorübergehenden, die Wagen und Reiter, die Schweine und das andere Vieh ab, das man durch das Tor trieb. Im Gegensatz zu der Straße, die bei üblem Wetter einem schwer zu durchwatenden Sumpfe glich, war er stets sauber gehalten, und der Stadtknecht konnte sich die Mühe sparen, hier Ausschau nach den Ferkel- oder Katzen-, den Hühner- und Rattenleichen zu halten, die es ihm in seiner Butte fortzuschaffen oblag.

 

In diesem Vorraum nun stand ein junger Mann von besonders hohem, kraftvollem Wuchse und schaute zu einem Fenster im ersten Stockwerk empor.

 

Der Schatten der Linde gestattete weder seine Züge, noch seine Kleidung deutlich zu erkennen; der Mond aber war ihm schon mehr als einmal an dieser Stelle begegnet und wusste, dass er ein schmucker Gesell war und dass sein gebräuntes Antlitz mit der kräftigen Nase und der breiten Stirn willensstark genug dreinschaute. Er hatte auch die Narbe wahrgenommen, die ihm von den Wurzeln des langen braunen Haares aus über die ganze Stirn hin bis an das Jochbein des linken Auges reichte und ihm ein kriegerisches Ansehen verlieh. Dennoch gehörte er keiner Streitmacht an, sondern war der Sohn eines städtischen Adelsgeschlechts, das sich zwar rühmte, »ritterbürtig« zu sein und seine Söhne in das Turnier einreiten lassen durfte, das aber auch friedlichen Geschäften nachging; denn es trieb Handel mit Italien und den Niederlanden, und jeder männliche Eisvogel brachte das Recht mit zur Welt, in den ehrbaren Rat gewählt zu werden und an der Regierung des Nürnberger Freistaates teil zu nehmen.

 

Dass der junge Herr im Vorhof des Ortliebschen Hauses sich zu den Eisvogels zählte, war dem Monde längst bekannt. Es gehörte auch wenig dazu, es zu erraten; denn über dem hohen Eingangstor des Eisvogel-Hofes war ein übergroßes, prunkendes neues Wappen befestigt, das jedes Kind in Nürnberg kannte, und der hochgewachsene Nachtschwärmer trug ein Wams, in dessen linke Brustseite das nämliche Wappen mit drei Vögeln im Schilde und einem auf der Helmzier gestickt war.

 

Schon eine gute Weile hatte er vergeblich gewartet; jetzt aber zeigte sich der Kopf eines jungen Mädchens am Fenster, und eine helle, frische Stimme rief ihm seinen Vornamen »Wolff« entgegen.

 

Da schwenkte er die Kappe, trat dem Fenster näher, begrüßte die Jungfrau mit warmen Worten und tat ihr zu wissen, dass es ihn so spät hierher gezogen, um ihr, wenn auch nur vom Vorplatze aus, den Nachtgruß zu bieten.

 

»So komm doch herauf,« bat sie heiter. »Der Vater und Eva sind zwar zum Tanz aus dem Rathaus, die Muhme Äbtissin aber sitzt bei der Mutter.«

 

»Nein, nein,« entgegnete Wolff. »Ich komme und gehe nur. Überhaupt stehle ich mir bloß dies Stündchen.«

 

»Das Geschäft?« frug die Jungfrau. »Weißt Du, dass ich anfange auf das Ungetüm, das Dich wie eine alte Spinne immer fester in sein Netz verstrickt, eifersüchtig zu werden? Ist das eine Art! Dem Geschäfte den ganzen Tag, und der Braut einige flüchtige Augenblicke im Mondschein.«

 

»Ging es doch anders!« seufzte Wolff. »Du weißt ja nicht, Els, wie schwer diese Zeiten! Und was steckt mir alles im Kopfe, seit der Vater mir überlässt auszuführen, was er an neuen Unternehmungen vorschlägt.«

 

»Neue und immer neue,« versetzte Els mit leisem Vorwurf. »Was hat dies Eisvogel-Geschäft für einen gefräßigen Magen! Ulmann Nützel sagte erst neulich: ›Wo man kaufen will, da war schon der Vogel und schnappte es fort, in Venedig und Mailand. Und der junge,‹ sagte er, ›geht noch schärfer ins Zeug.‹«

 

»Weil es gilt, Dir, Herzlieb, ein warmes Nest zu bereiten,« entgegnete Wolff beklommen.

 

»Als ob wir Handwerksleute wären,« lachte das Mädchen, »die um die Kundschaft besorgt sind. Das alte Eisvogel-Haus hat, denk' ich, große Öfen genug, um den Sohn mit seinem Weiblein warm zu halten. Bei den Tuchers nährt die Handlung ihrer sieben mit Weib und Kindern. Was wollen wir denn? Uns rechtschaffen lieb haben, mein' ich, und wenn ich auch das Leben besser kenne als Eva, für die Armut und Glückseligkeit eins sind, so brauch' ich doch auch nicht, wie die Frauen bei euch daheim, die Morgensuppe aus goldenen Tellern zu essen und ein Lager von Levantiner Damast für den Schoßhund. Und was der Vater mir mitgibt, zehn Ritterfräulein zusammengenommen ...«

 

»Ich weiß es ja, Lieb,« fiel Wolff ihr hier kleinlaut ins Wort. »Und ich! Wie gern begnügte ich mich mit dem Geringsten ...«

 

»So tu's doch!« rief sie munter. »Was Du das Geringste heißt, nennen andere immer noch Reichtum. Mehr als gut wollt ihr's haben, und ich – die Heiligen wissen's! – mit dem bloßen ›gut‹ wär' ich völlig zufrieden; an dem ›besser‹ und ›vollkommen gut‹ ist mancher gescheitert.«

 

Da rief er heiß aufwallend:

 

»Und nun möcht' ich doch noch hinein.«

 

»Und das Geschäft?« frug sie neckisch.

 

»Lass es gehen wie es will,« versetzte er lebhaft und schwenkte die Hand. – Doch schon im nächsten Augenblick ließ er sie wieder sinken und sagte bedenklich: »Nein, nein, es geht doch nicht; es steht zu viel auf dem Spiele.«

 

Els hatte sich schon umgewandt, um Kätterle, der Gürtelmagd, aufzutragen, die schwere Haustür öffnen zu lassen; bevor sie es tat, streckte sie indes das schön geformte Haupt weiter vor und fragte:

 

»Ist es wirklich so ernst? Will Dir der Unhold nicht einmal den Gutenachtkuss vergönnen?«

 

»Nein,« erwiderte er fest. »Eure Knechte sind fort, und bevor die Mägde mir öffnen ... Da steigt der Mond schon über die Linde. Es geht nicht. Morgen aber, und zu Gott mit leichteren Sorgen ... Heute noch dürften wir beruhigende Kunde erhalten.«

 

»Von den Waren aus Venedig und Mailand?« frug Els gespannt.

 

»Ja, Herz. In Verona trafen beide Züge zusammen. Von Ingolstadt kam der erste, von München der zweite Bote, und der von Landshut ist seit vorgestern herein. Schon heute Morgen hätte ein anderer ... Aber die glühende Hitze gestern, oder was weiß ich ... Jedenfalls ist die Besorgnis nicht grundlos. Du weißt nicht, was da auf dem Spiel steht.«

 

»Aber gestern schon wurde der Landfrieden verkündigt,« bemerkte Els, »und wenn Placker und Räuber sich unterfingen! ... Doch nein! Die Wagen fahren doch unter starkem Geleit.«

 

»Dem stärksten,« versicherte Wolff. »Vor morgen früh könnte überhaupt das erste Fuhrwerk nicht hier sein.«

 

»Da siehst Du,« rief das Mädchen heiter. »Warte nur! Bist Du erst mein, so lehr' ich Dich mit dem Schwarzsehen brechen! Ach, Wolff! Warum wird uns alles so viel schwerer gemacht als den anderen. Siehst Du ... heute Abend ... Ich wäre so gern mit Dir zum Tanze gegangen.«

 

»Aber wie oft, Herz, bin ich vergeblich in Dich gedrungen,« begann er; sie aber unterbrach ihn schnell:

 

»An Deinem guten Willen fehlte es ja gewiss nicht; doch eine von uns musste bei der Mutter bleiben, und Eva ...«

 

»Gestern noch klagte sie mir unter Tränen, dass man sie zum Tanze zwänge, der ihr zuwider.«

 

»Gerade darum sollte sie gehen,« unterbrach ihn Els in erklärendem Ton. »Schon achtzehn Jahr alt ist sie geworden, und noch zu keinem Vergnügen, das uns anderen Freude macht, war sie zu bewegen. Steckt sie nicht drüben im Kloster, ist sie immer daheim oder mit der Muhme Kunigunde oder mit einer Klarissin in Wald und Feld. Will sie später den Schleier nehmen, wer mag es ihr wehren; aber die Äbtissin selbst rät, sie möge, bevor sie der Welt entsagt, einen Blick in sie hinein tun. Und für wenige kommt mir das nötiger vor als gerade für unsere Eva.«

 

»Gewiss,« versicherte Wolff. »Ein so holdseliges Geschöpf! Ich kenne kein schöneres in Nürnberg.«

 

»Du!« schalt die Braut hinunter, und drohte dem Verlobten mit dem Finger; er aber versetzte schnell:

 

»Du lehrtest mich ja vorhin, dass Du das Gute dem Besseren vorziehst, und also wohl auch dem Schöneren das Schöne, und schön bist Du, Els, von außen und innen. Was bei der Eva noch hinzu kommt: die erstaunlich großen Heiligenaugen mit dem wunderbaren Aufschlag und den sonderbar langen Wimpern, die leise Neigung des Köpfchens, und was weiß ich sonst noch, das seh' ich wohl gern an Madonnen und Engelsbildern, – an der Herzliebsten und künftigen Hausfrau miss' ich es indes willig ... Aber Du, Els ... Wollte der Herrgott mir gestatten, mir eine Gefährtin ganz nach dem eigenen Herzen aus himmlischem Ton zu kneten, weißt Du, wie sie aussehen würde?«

 

»Wie ich, ganz wie die Els Ortliebin natürlich,« lachte das Mädchen.

 

»In aller Bescheidenheit richtig geraten,« entgegnete er munter. »Aber nimm Dich zusammen, dass sie es Dir nicht doch noch einmal zuvortut! Denn, weißt Du, wenn die kleine Heilige heut beim Tanz einen schmucken Gesellen ihren Nönnlein vorzuziehen lernt, und es wird aus ihr eine gute Nürnberger Hausfrau, dann geht das engelhafte Zuviel schon von selbst verloren, und hätt' ich einen Bruder – im vollen Ernst – ich wies ihn auf eure Eva.«

 

»Und,« rief Els, »wie schnell das Wetter sich auch bei ihr ändert, gewiss nicht zu seinem Schaden. Aber noch will sie ja nichts von euch Männern. Ich kenne sie. Die Tränen, die sie vergoss, als der Vater ihr die köstliche Mailänder Suckenie überreichte, in der sie zum Tanz ging, sind alles eher als Freudentränen gewesen.«

 

»Es wundert mich nur,« fügte Wolff hinzu, »dass ihr sie überhaupt zum Nachgeben bewegtet; das fromme Lämmlein versteht es ja, trotzig genug die jungen Hörner zu gebrauchen!«

 

»Oh ja,« pflichtete Els dem Bräutigam bei, als wisse sie es aus Erfahrung; doch fuhr sie sogleich eifrig fort: »Sie ist eben noch wie ein Apriltag.«

 

»Eben darum,« bemerkte Wolff, »wird auch der Tanz, den sie mit Tränen begann, fröhlich genug für sie enden. Die jungen Herren und Ritter werden sie umschwärmen wie die Bienen den Honig. Graf Montfort – mein Schwager Siebenburg sagt es – ist mit der Tochter auch auf dem Rathaus.«

 

»Und dem Kometen Cordula,« fügte Els erklärend hinzu, »folgte wie immer ein langer Schweif von Verehrern. Der Vater musste dem Grafen Quartier geben, es war nicht zu vermeiden. Kaiser Rudolf hatte ihn dem Rat unter denen genannt, die besonders berücksichtigt werden sollten. So wurde er denn uns zugewiesen, – und die ganze Gemächerreihe im Hinterhaus, die in den Garten schaut, ist jetzt voll von Montforts, von Montfortschen Hausbeamten, Dienstmännern, Knappen, Pagen und Kaplanen. – Montfortsche Pferde und Rüden drängen unsere guten Gäule aus den Ställen. Außer den zwanzig Rossen, die bei uns stehen, mussten achtzehn in der Brauerei an der Hundsgasse eingestellt werden und acht sind der Gräfin Cordula eigen. Und das Hinundher bei Tage und bis in die späte Nacht! Ein Glück, dass sie nicht mit im Vorderhause wohnen! Es wäre mir leid um die Mutter!«

 

»Umso herzlicher dürft ihr euch auf den Abschied freuen,« bemerkte Wolff.

 

»Kummer verursachen wird er uns allerdings schwerlich,« bekannte das Mädchen. »Aber die junge Gräfin bringt doch manche Kurzweil ins stille Haus. Ein rastloser Tollkopf ist sie gewiss, und dass auch Dein Schwager Siebenburg zu ihren Anbetern gehört, wird Deine stolze Schwester Isabella verdrießen. Ging sie nicht auf das Rathaus?«

 

»Nein,« entgegnete Wolff. »Die Zwillinge haben sie seltsam verwandelt. Du sahst ja das Gewand, das die Mutter ihr für den Tanz aufdrang: Genueser Sammet und Venezianer Spitzen ... Ein stattliches Haus wäre dafür zu haben gewesen. Sie hatte auch Lust, sich als junge Mutter auf dem Feste zu zeigen, – und königlich, sag' ich Dir, sah sie aus in dem köstlichen Staate. Heute Morgen aber entschloss sie sich anders, nachdem sie die Büblein gebadet. Wie Mutter und Großmutter auch drängten, sie blieb dabei, dass sie zu den Zwillingen gehöre, und dass ihnen etwas zustoßen würde, wenn sie die Kleinen verließe.«

 

»Das ist brav,« rief Els erfreut, »und wenn ich einmal ... Aber nein ... Isabella und ich sind nicht zu vergleichen. Mein Herr wird nie und nimmer zu den Anbetern einer andern gehören wie sein garstiger Schwager ... Übrigens ist des Schnurrbarts Mühe bei der Cordula vergebens. Der Eva widersteht sie freilich in ihrer weltlichen Weise, – mir aber kam mancherlei über sie zu Ohren, das mir gefällt. Mein Gott! Sie ist ein mutterlos Kind, und der Vater ein alter Zecher und Weidmann, der sich freut, wenn sie sich etwas Keckes herausnimmt. Doch er hält ihr auch den Beutel offen, und so mildherzig und gefällig wie sie ...«

 

»Mögen wenige sein,« fügte Wolff spottend hinzu. »Die Herren wissen's zu rühmen. Wegen grausamer Härte wurde ihr noch kein Paternoster auferlegt im Beichtstuhl.«

 

»Aber ebenso wenig für eine sündliche oder bösliche Handlung,« entgegnete Els bestimmt. »Du, Wolff, lässt sie mir, trotz Deines wüsten Schwagers, in Frieden! Hab' ich doch genug zu tun, ihr bei Eva und der Muhme Kunigunde das Wort zu reden, seit sie einem Schweizer Ritter vom Kaiserhofe die Locken brannte und salbte. Unser Kätterle brachte die Kohlen. Aber das tut ja auch manche andere, da die Courtoisie es gestattet. Ihr Zug zum Rathause hatte freilich auch ein recht eitles Ansehen. Die fünfzig Frachtwagen, die Du erwartest, geben kaum eine längere Reihe.«

 

Da zuckte der junge Kaufherr zusammen. Der Vergleich, dessen Els sich bediente, hatte die entschlummerte Besorgnis neu in ihm erweckt, und nach einigen kurzen und warmen Abschiedsworten trennte er sich von der Geliebten.

 

Nachdenklich schaute Els ihm nach, und der Mondschein zeigte ihr noch eine gute Weile seine hohe, kraftvolle Gestalt. Da schlug das Herz ihr schneller, und sie empfand tiefer denn je, wie sehr sie ihn liebte. Aber es war ihr, als ließe er, der sich sonst so frei und aufrecht trug, das Haupt immer tiefer sinken. Wie wenn eine schwere Sorgenlast ihm den starken Nacken beuge, schritt er dahin. Gern wäre sie ihm nachgeeilt, um sich an ihn zu schmiegen, und ihn zu fragen, was ihn ängstige, was er vor ihr, die alles mit ihm zu teilen bereit war, verberge; aber da entzog das Frauentor, durch das er die Stadt betrat, ihn schon ihren Blicken.

 

Mit einem leisen Seufzer wandte sie sich in das Zimmer zurück.

 

Es war doch kaum allein die Besorgnis um die erwarteten Waren, was ihrem Bräutigam die Seele belastete. Seine hoffärtige, schwache Mutter und mehr noch die gräfliche Großmutter, die mit im Eisvogel-Hof wohnte und die Tochter immer noch leitete wie ein willenloses Kind, waren zwar ihrem Bunde mit Wolff entgegen gewesen, doch ihr Widerstand war gebrochen seit dem Verlöbnis. – Manchem hingeworfenen Wort hatte sie dagegen entnommen, dass das Unvermögen der Frau Eisvogelin, sich selbst, der hoffärtigen Mutter, hinter der eine vornehme, doch wenig begüterte und leichtfertige Sippe stand, sowie der Tochter und ihrem verschuldeten, genusssüchtigen Gatten, dem Ritter Siebenburg, was es auch sei zu versagen, schwere Forderungen an die Kasse des alten Handelshauses stellte. Doch das gehörte ja zu den reichsten in Nürnberg. Noch etwas anderes, ihr Fremdes, musste Wolff bedrücken, und mit dem festen Entschluß, ihm keine Ruhe zu gönnen, bis er ihr alles bekannt, kehrte sie an das Lager der kranken Mutter zurück.

 

 

Zweites Kapitel

 

Kaum war Wolff von der Straße und Els vom Fenster verschwunden, als sich, wie der Erde entstiegen, eine schmale Männergestalt neben dem Kellerhals auf der linken Seite des Hauses regte. Gleich darauf ließ sich ein leises Klopfen auf dem Pflaster des Vorraums vernehmen, und um weniges später wurden die schweren, mit Eisen beschlagenen Eichenholzflügel der Haustür aus einander gezogen, und eine Frauenhand winkte dem späten Gaste. Behänd huschte er entlang dem schmalen Schatten des Hauses dem Tor zu und war bald hinter ihm verschwunden.

 

Der Mond schaute ihm bedenklich nach. Oft genug war er früher des schmalschulterigen Gesellen in der Nähe des Ortliebhofes ansichtig geworden, und sein Treiben hatte seine Neugier gereizt; denn er war auf verliebten Wegen gewandelt, und zwar schon, als noch an dem jüngst vollendeten Klarissinnenkloster – eine Stiftung der Brüder Ebner, zu der auch Herr Ernst Ortlieb eine stattliche Summe gefügt – gearbeitet wurde. Damals – etwa drei Jahre war es her – hatte der dreiste Bursche sich Abend für Abend zum Stelldichein auf die Baustelle begeben. Das saubere Mädchen aber, das sich dort mit ihm zusammen gefunden, war das Kätterle gewesen, die Gürtelmagd der schönen E's, wie man in Nürnberg die Ortliebschen Schwestern Els und Eva nannte.

 

Viele Eide, die ihr heiße, unwandelbar treue Minne verhießen, waren damals zu dem Monde aufgestiegen, und das Äußere des Mannes, der sie leistete, bot eine gewisse Gewähr, dass er sie halten werde; denn er hatte schon damals das lange dunkle Gewand der ehrbaren Leute getragen und auf der Vorderseite des Kogels, von dem ihm ein sackartiges Netz auf den Rücken herabhing, war ein großes S, auf dem linken Schulterstücke seines langen Rockes aber ein T zu schauen gewesen: die Anfangsbuchstaben der Worte »Standhaftigkeit« und »Treue«. Sie lehrten, dass derjenige, der sie sich in die Kleidung hatte einsticken lassen, diese Tugenden für die höchsten und edelsten halte. Man hätte auch glauben mögen, dass der hagere Bursche, dem man übrigens seine fünfunddreißig Jahre kaum ansah, an diesen schönen Eigenschaften festhalte; denn nachdem er, seit er sich mit Kätterle zum letzten Mal auf dem Bauplatze getroffen, volle drei Jahre ausgeblieben war, hatte er sich nach dem Einzuge des Kaisers Rudolf der Herzliebsten wieder in gewohnter Standhaftigkeit und Treue genähert.

 

Er hatte ihr Grund gegeben, auf ihn zu bauen; der Blick des Mondes aber reichte weit, und er hatte sich überzeugt, wie es mit der Standhaftigkeit und Treue Walther Biberlis beschaffen.

 

In einer Hinsicht bewährten sie sich aufs schönste und beste; denn unter Tausenden von Dienern hatte der Mond keinen gesehen, der mit treuerer Hingabe an seinem Herrn hing. Den hübscheren jungen Weibern gegenüber brachte er dagegen seine Haupttugenden in höchst sonderbarer Weise zur Geltung; denn der blasse nächtliche Wanderer da oben war ihm in verschiedenen Ländern und Städten begegnet, und überall, wo er sich längere Zeit aufgehalten hatte, war eine andere der Treue und Standhaftigkeit Biberlis versichert worden.

 

Allerdings wandte sich der Langrock, so oft ihn der Weg zu einer, der er ewige Minne geschworen, zurückführte, zunächst nur immer wieder an sie, falls auch sie ihm die alte Neigung bewahrt. Das Kätterle aber durfte mit Recht die größten Stücke auf ihn halten; denn ihr war er wärmer ergeben als den übrigen allen, und mit ihr meinte er es in seiner Weise auch redlich. Beabsichtigte er doch allen Ernstes, sich, sobald sein Herr den Kaiserhof – hoffentlich nicht allzu bald – verließ und sich in seiner Schweizer Heimat auf die Burg seiner Väter zurückzog, für die alten Tage einen eigenen Herd zu gründen, und niemand als Kätterle sollte das Feuer auf ihm entzünden. Ihr Äußeres sagte ihm so wohl zu wie ihr inneres Wesen. Sie war frei geboren wie er selbst, der Sohn eines Waldhüters, sie stammte, wie er, aus der Schweiz, und ihr Erbe, das für sie, die Waise, in ihrer Heimat Sarnen auf Haus und Ackerland feststand, und zu dem noch ihr Erspartes kam, genügte seinen Ansprüchen. Vor allem aber glaubte sie ihm und bewunderte seinen beweglichen Geist und seine Erfahrung. Außerdem leistete sie ihm widerspruchslos Gehorsam und hing so treu an ihm, dass sie um seinetwillen im ledigen Stand verblieben war, obgleich eine ganze Reihe von ansehnlichen Männern ernstlich um sie warb.

 

Zum ersten Mal war Kätterle ihm begegnet, als er sich nach der Schlacht auf dem Marchfelde vor länger als drei Jahren mehrere Wochen in Nürnberg aufgehalten hatte. Bei einem Turnier war sie auf dem Schaugerüst seine Nachbarin gewesen, und, da sie einander an dem scharfen »ch« in »ich« und anderen Worten als Schweizer Landsleute erkannt hatten, war er ihr und sie ihm von vornherein mit gutem Vorurteil entgegen gekommen.

 

Das Kätterle hatte ein gutes Herz; zu jener Zeit wäre sie aber beinah der Versuchung erlegen, den Himmel anzurufen, die Heilung der schweren Wunden eines tapferen Kämpen nicht allzu sehr zu beschleunigen; denn sie wusste, dass Biberli als Herrenknecht im Dienste des jungen Schweizer Ritters Heinz Schorlin stand, dessen Name in aller Mund war, weil er auf dem Marchfelde trotz seiner jungen Jahre sich durch seltene Tapferkeit ausgezeichnet hatte, und dass der junge Held nur bis zur völligen Heilung seiner schweren Wunden in Nürnberg bleiben würde. Sein Aufbruch brachte für sie die Trennung von seinem Diener mit sich, und sie hatte bisweilen, da sie das Heimweh ohnehin quälte, gemeint, sie würde den Abschied von ihm nicht überleben. Biberli pflegte indes seinen Herrn mit so treuem Eifer gesund, als hielte ihn nichts in Nürnberg zurück, und Kätterle blieb auch nach seinem Aufbruch in gutem Wohlsein.

 

Jetzt hatte sie ihn wieder.

 

Gleich nach dem Einzuge des Kaisers Rudolf vor fünf Tagen war Biberli frei und offen in den Ortliebhof gekommen, und hatte sich Martsche, der alten Haushälterin der Herrschaft, als Landsmann und Freund der Gürtelmagd vorgestellt, der ihr Grüße von daheim überbringe.

 

Ein vertrautes Wort mit ihr zu reden, war indes weder in der vollen Küche, noch im Ehaltengelaß möglich gewesen. Das Stelldichein heute Abend sollte dazu Gelegenheit bieten.

 

Die männliche Dienerschaft war, um die Sänften und Fackeln zu tragen, mit dem Herrn, der seine jüngere Tochter Eva zum Tanze führte, ausgegangen. Vor dem Rathause sollten die Knechte warten, weil es in Frage stand, ob die Tochter des Hauses, die nur mit Widerstreben an dem Feste teilnahm, nicht zeitig zum Aufbruch drängen würde. Der Graf von Montfort, der im Ortliebhof im Quartier lag, und seine gesamte männliche Dienerschaft waren sicher erst ganz spät oder gar gegen Morgen zurück zu erwarten; denn Gräfin Cordula hielt es beim Tanze aus bis zum Kehraus, und ihr Vater beim Weine, bis die Tochter ihn von den Zechgenossen in der Trinkstube fort rief.

 

Das alles berechtigte die Liebenden, auf ein ungestörtes Beisammensein zu hoffen. Auch der Schauplatz des Stelldicheins war gut gewählt. Nur den Mond verdross seine Wahl; denn nachdem Biberli die schwere Haustür hinter sich zugezogen, fand er keine Spalte oder Ritze, durch die einer seiner behänden Strahlen hätte erspähen können, was der treue und standhafte Biberli mit Kätterle trieb. Ein Fensterlein gab es wohl neben der Tür, doch es war verschlossen, und das Kreuz mit undurchsichtigem Schafleder bekleidet.

 

So musste der Mond sich denn der Neugier begeben.

 

Statt seiner beleuchtete den langen, mit einem hohen Kreuzgewölbe überspannten Soler des Ortliebhofes nur das Licht dreier Laternen, das sich mühsam durch Hornscheiben Bahn brach. Die glänzenden Punkte in einer dunklen Ecke des weiten Raumes waren die Augen eines schwarzen Katers, der dort auf Ratten und Mäuse lauerte.

 

Für die heimliche Begegnung zweier Liebenden bot dieser Raum in der Tat manchen Vorzug; denn er besaß, da er durch die ganze Breite des Hauses hinlief, zwei Öffnungen, von denen die eine auf die Straße, die andere auf den Hof führte. An den rechten Langseiten des Solers befand sich aber auch noch je eine kleine Tür, zu der Stufen hinaufführten. Beide verschlossen zu dieser Stunde menschenleere Räume; denn die Schreibstube und das Gemach, in dem Herr Ernst Ortlieb die Geschäftsfreunde empfing, waren schon seit Sonnenuntergang unbenützt, und die Badestube mit dem Ankleidezimmer daneben fand nur bei Tage Verwendung.

 

Von der großen breiten Eichenholztreppe her, die in den oberen Stock führte, hätte freilich leicht ein unberufener Störenfried kommen können. Aber für diesen Fall drängten sich hier den Liebenden die köstlichsten Verstecke geradezu auf; denn dort standen neben und über einander große und kleine Kisten als undurchdringliche Schutzmauer, hier bildeten hoch über einander getürmte Säcke und lange Reihen von Fässern Gelegenheit, sich hinter ihnen zu verbergen. In Matten verpackte lange Bündel lehnten an die Kisten und luden ein, hinter sie zu schlüpfen, und hinter jenen Bergen von Rinderhäuten und mit Palmenbast umschnürten Paketen hätte niemand leicht ein Liebespärlein vermutet. Es wäre übrigens auch kaum ratsam gewesen, sich in ihrer Nähe zu verbergen; denn diese Warenballen, die das Ortliebsche Haus aus Venedig bezog, enthielten Pfeffer und andere Gewürze, und es entströmte ihnen ein starker, nur für abgehärtete Nerven auf die Dauer erträglicher Duft.

 

Wertvolle Güter verschiedener Art lagerten hier, bis man sie in Keller und Speicher oder weiter in den Handel führte. Es gab aber auch manchen leeren Platz in dem weiten Raume; denn das Raubwesen auf der Landstraße hatte trotz der Strenge Kaiser Rudolfs noch mitnichten aufgehört und veranlasste Herrn Ernst Ortlieb immer noch, sich bei der Einführung kostbarer Güter Vorsicht aufzuerlegen.

 

Nachdem Biberli und seine Herzliebste sich überzeugt, dass die Glut ihrer Minne keineswegs erkaltet, ließen sie sich auf etlichen mit Gewürznelken angefüllten Säcken nieder.

 

Hier berichteten sie einander, was die Trennungszeit jedem gebracht.

 

Das Dasein Kätterles war in freundlichem Gleichmaß dahingeflossen.

 

Über die Herrschaft brauchte sie nicht zu klagen.

 

Die kranke Frau Maria Ortliebin bedurfte ihrer nur selten.

 

Bei einem Ritt zu Verwandten in Ulm war der Zug der Reisenden, der mit einer Reihe von Nürnberger Frachtwagen unter dem nämlichen Geleit gestanden, von den Rittern Absbach und Hirschhorn überfallen worden. Ein Bolzen hatte den Zelter der Frau Ortliebin getroffen, und die Unglückliche einen schweren Fall getan, der ihr einen inneren Schaden zugefügt, von dem sie noch nicht genesen. Dem jungen Hirschhorn, den das Geleit ergriffen, war der Anfall übrigens schlecht bekommen; denn am Galgen hatte er ein schmähliches Ende gefunden.

 

Bei dieser Mitteilung brauste Biberli auf. Trotz allen Mitleids für die schwer verletzte Frau meinte er doch, die Nürnberger hätten an dem Hirschhorn wie rechte Schelme gehandelt; denn er war ein Ritter, und sie hätten ihn darum als redliche und des Gesetzes kundige Richter nicht mit dem Strick, sondern mit dem Schwerte zu Tode bringen müssen. Und Kätterle stimmte ihm bei; denn sie widersprach ihm überhaupt nicht, und was einem Ritter zukommt, musste Biberli, der Milchbruder eines solchen, ja wissen.

 

Auch über die Töchter des Ortliebschen Hauses, in deren persönlichem Dienste sie stand, führte die Magd keine Klage. Els, die älteste, wusste sie sogar nicht hoch genug zu rühmen. Sie war gerechten Sinnes, die sorgsame Pflegerin der Mutter und sich immer gleich in ihrer heiteren Gutheit.

 

Auch Eva, der jüngeren, wollte sie nichts Übles nachsagen, zumal sie an Frömmigkeit alles im Hause überbiete. Trotz ihrer wundervollen Schöne – sie könnte wissen, dass nichts daran falsch und gemacht sei, – werde sie doch wohl bei den Klarissinnen enden. Aber wie der Wetterhahn auf dem Turm ändere sie bei jedem Lüftchen die Stellung. Wäre sie mit dem falschen Fuß aus dem Bette gestiegen, oder lese man ihr einmal nicht von den Augen ab, was sie begehrte, bringe ein Nichts sie in Wallung. Da fielen denn bisweilen recht unholde Worte; aber lange gram sein könnte man ihr doch nicht; denn es sei nicht zu beschreiben, wie lieblich sie gut zu machen trachte, wozu das rasche junge Blut sie fortgerissen habe. Wie zum Begräbnis sei sie heute zum Tanze gegangen; denn sie meide die Mannsbilder wie Gift, und sogar den Freundinnen der Schwester gehe sie aus dem Wege.

 

Da lachte Biberli, wie gewiss seiner Sache und rief: »Nur noch ein Weilchen Geduld! Heute Abend begegnet ihr mein Herr auf dem Rathaus, und wenn sich das magere Eichkätzlein von vor drei Jahren wirklich so köstlich herauswuchs, und er kommt ihr nicht auf die Fährte und bindet mit ihr an, will ich nicht länger Biberli heißen.«

 

»Aber Du sagtest ja,« versetzte Kätterle bedenklich, »Du hättest ihn noch nicht bewogen, es Dir nachzutun in Standhaftigkeit und Treue.«

 

»Dafür ist er ein Ritter,« entgegnete der Diener und schlug sich selbstbewusst, als gehöre er mit zu diesem bevorzugten Stande, unter das T an der Schulter, »und einem solchen steht die Jagd frei auf das Weibsbild wie auf das Wild in den Forsten. Und mein Heinz Schorlin! Du sahst ihn ja und bekanntest selbst, es lohne sich, den Hals nach ihm zu drehen. Dazu war das damals, wo er kaum von den schweren Wunden genesen, und was ist er heute! Da war der französische Ritter von Preully, mit dem mein Milchbruder selig zu Paris, so lang er noch munter ...«

 

Hier stockte er; denn ein fragender Blick der Herzliebsten bewies, dass er es, vielleicht aus guten Gründen, verabsäumt hatte, ihr von seinem Aufenthalt in Paris zu erzählen.

 

Jetzt, da er älter geworden und dem wilden Treiben in jener Zeit zu Gunsten der Treue und Standhaftigkeit entsagt, teilte er gelassen mit, was sie zu erfahren begehrte.

 

Beim Unterricht mit seinem Milchbruder, dem älteren Sohne des alten Ritters Schorlin, der damals noch am Leben gewesen, hatte er mancherlei Kenntnisse erworben. Darum war ihm, kaum zwanzig Jahre alt, die Schulmeisterstelle zu Stansstadt anvertraut worden. Er wäre auch vielleicht beim Unterrichten geblieben, weil er sich gut dazu anließ, wenn ihm nicht eine üble Kränkung sein Ämtlein verleidet.

 

Es war ihm nämlich kund geworden, dass man den Söldnern in der Schnitzturmwache einen um fünf Heller höheren Wochenlohn vergönnte als ihm, trotz seines mühsam erworbenen Wissens.

 

Da sei er denn im Verdruss auf die Schorlinburg, die ihm stets offen stehe, zurückgekehrt und zu guter Stunde gekommen.

 

Der ältere Bruder seines jetzigen Herrn, der von schwacher Gesundheit gewesen, habe nämlich nicht für ritterlich Werk getaugt und eben im Begriff gestanden, sich mit dem Herrn Kaplan und dem Rossknecht auf die hohe Schule nach Paris zu begeben. Da nun Frau Wendula, die gnädige Frau Mutter seines Herrn, gesehen, welch ehrbares Wesen er sich als Schulmeister erworben, habe sie den Gemahl bewogen, ihn als Herrenknecht dem gebrechlichen Sohne mitzugeben.

 

In Paris hätte es nun anfänglich an Ergötzlichkeiten aller Art mitnichten gefehlt, zumal sie unter den Söldnern des Königs manchen ausgelassenen Schweizer Ritter und Knecht gefunden. Den Versuchungen aber, die der Gottseibeiuns in Paris aussähe wie anderwärts der Bauer Roggen und Hafer, habe sein Milchbruder zu seinem Leidwesen nicht zu widerstehen vermocht, und bald habe den jungen Ritter schweres Siechtum befallen. Da sei es denn auch für ihn aus gewesen mit dem fröhlichen Treiben. Monatelang wäre er Tag und Nacht keine Stunde vom Lager des erkrankten Milchbruders und Herrn gewichen, bis ihn der Tod seiner schweren Leiden entledigt.

 

Daheim auf der Schorlinburg habe er bei der Rückkehr vieles verändert gefunden; denn der alte Ritter sei wenige Tage vor dem Tode seines Sohnes abgerufen worden, und Heinz Schorlin, seinem jetzigen Herrn Burg und Land als Erbe zugefallen. Doch damit habe es nicht gar viel auf sich gehabt, weil auf dem schönen großen Grunde der Schorlins viele Schulden gehaftet.

 

Der alte Ritter sei als Landsmann, guter Gesell und Waffenbruder des Kaisers Rudolf stets bereit gewesen, ihm mit dem Schwerte zu dienen; auch wo es ein großes Turnier gegeben, hätte er dabei sein müssen. So sei das Vermögen aufgezehrt worden, und Frau Wendula mit dem Sohn und drei Töchtern in mäßigem Wohlstand zurück geblieben. Die beiden älteren hätten den Schleier genommen, während die jüngste, ein frohgemuter Wildfang, bei der Frau Mutter verweile.

 

Aber Kaiser Rudolf hätte Frau Wendulas und ihres verstorbenen Herrn mitnichten vergessen und ihr in aller Gunst geboten, ihm den einzigen Sohn zuzuschicken, sobald er Schwert und Lanze zu führen gelernt.

 

Die Liebe und Treue, die der Vater ihm lebenslang erwiesen, denke er an Heinz zu vergelten.

 

Und der Habsburger, versicherte Biberli, halte sein kaiserlich Wort.

 

Schon nach wenigen Jahren sei sein junger Herr reif für den Hofdienst gewesen.

 

Gotthart von Ramsweg, Frau Wendulas älterer Bruder, ein weidlicher Ritter, wäre nach dem Tode ihres Gemahls zu der Schwester verzogen, um des Ihren zu walten und den Neffen in den ritterlichen Künsten zu unterweisen. Bald habe der starke, behände, furchtlose Sohn eines tapferen Vaters es denn auch unter Führung eines solchen Lehrers manchem Älteren zuvor getan. Kaum achtzehn Jahre alt sei er gewesen, als die Frau Mutter ihn zu dem kaiserlichen Herrn entsandt. Wackere Rosse und die feinsten Stücke aus der Rüstkammer des Vaters, einen Waffenträger und Pferdeknecht habe sie ihm samt ihrem Segen mit auf den Weg gegeben, und der Ritter Ramsweg, sein Ohm, es auf sich genommen, ihn nach Lausanne zu geleiten, wo Kaiser Rudolf damals Hof hielt, um mit Papst Gregor, dem zehnten seines Namens, wegen eines neuen Kreuzzuges zu verhandeln. Von ihm, den sie da sehe, sei noch keine Rede gewesen. Am Abend vor dem Aufbruch aber hätte ein Fahrender auf der Burg Einlass gefunden und von den Taten der früheren Kreuzfahrer gesungen und dabei gar beweglich der Verlassenheit gedacht, mit der der wunde Ritter Wiesenthau auf dem Schmerzenslager gelegen. Da sei ihr der verstorbene älteste Sohn in den Sinn gekommen und die brüderliche Wartung, die er, Biberli, ihm hatte angedeihen lassen.

 

»Und darum,« fuhr der Diener fort, »trug sie mir in der Besorgnis ihres mütterlichen Herzens auf, auch Heinz, ihr teures Herzblatt, als Herrenknecht zu begleiten und über sein Wohlergehen zu wachen.

 

»Weil ich der Feder mächtig, sollte ich auch dann und wann schreiben, was einer Mutter frommt von dem Sohn zu erfahren. Sie hegte ein gutes Zutrauen zu mir, weil sie mich als treu und standhaft befunden. Ich aber, wenn ich damals Frau Wendula in die Hand geschworen, dass sie sich nicht in mir betrogen sehen sollte, so hab' ich Wort gehalten in allen Stücken. Als wär' es gestern gewesen, steht jener Abend mir heute noch im Gedächtnis. Damit ich stets vor Augen behalte, welchen Lobes mich Frau Wendula gewürdigt, vermaß ich mich, die Schwestern meines jungen Herrn zu ersuchen, mir ein T' und S in den Kogel und in das neue Gewand zu sticken, und noch in der nämlichen Nacht wurde solches von den Fräulein gar säuberlich verrichtet. Seitdem aber begleiten mich diese beiden Anfangsbuchstaben oder Initiales, wohin das Ross uns auch führt, und wie er nach dem Marchfelde seinen Herrn mit Mühe und Sorge gesund gepflegt, so denkt Biberli auch Dir, seiner einzigen Herzliebsten, zu bewähren, dass er mit gutem Recht sein T und S trägt.«

 

Für diese guten Worte gönnte Kätterle dem Freunde mit solcher Hingebung den gebührenden Lohn, dass es ein Raub an dem Monde war, ihr nicht zuschauen zu dürfen.

 

Ganz unbefriedigt sollte seine Neugier indes dennoch nicht bleiben; denn als Biberli fand, die Zeit sei für ihn gekommen, auf dem Rathause nachzusehen, ob Ritter Heinz Schorlin, sein Herr, nicht seiner Dienste bedürfe, trat Kätterle mit ihm vor die Haustür.

 

Dort fanden sie noch mancherlei zu reden und zu tun, bevor sie sich trennten.

 

Zunächst begehrte die Schweizer Magd zu wissen, wie Kaiser Rudolf Heinz Schorlin empfangen und erhielt die erfreulichste Auskunft.

 

Schon zu Lausanne, wo er den ersten Sieg beim Lanzenstechen erfocht, habe Heinz den Ritterschlag erhalten. Nach dem Marchfelde aber sei er dem Kaiser immer lieber geworden, zumal auch eine feste Freundschaft seinen Herrn mit Hartmann, dem achtzehnjährigen Sohne Rudolfs, verbinde, der jetzt aber am Rhein sei. Erst heute hätte Heinz einen klingenden Beweis der kaiserlichen Gnade erhalten und wäre darum auch gar wohlgemut zum Tanze gegangen.

 

So gute Kunde über den Ritter, der ihrer jungen Herrin vielleicht jetzt schon begegnet sein konnte, weckte in der Magd, die sich gern in der ihrem Geschlechte teuren Beschäftigung des Ehestiftens versucht hätte, hochfliegende Anschläge, die nichts Geringeres bezweckten, als aus ihrer jüngeren Herrin und Heinz Schorlin ein Paar zu machen. Biberli aber hatte kaum gewahrt, worauf die Rede Kätterles zielte, als er sie beunruhigt und mit der Versicherung, er habe schon zu lange gesäumt, unterbrach und es kurz mit dem Abschiede machte, bevor er sie verließ. Die Ehe seines Herrn mit einer Jungfrau von städtischem Adel, der in seinen Augen weit hinter dem eines Ritters Schorlin zurückstand, sollte seinem Heinz keinen Stein in die Ruhmesbahn werfen, die ihn so schnell aufwärts führte. Es musste auch noch viel Wasser ins Meer laufen, bevor Biberli ihm aus gutem Herzen den Rat erteilen konnte, dem freien fröhlichen Leben von heute zu entsagen und im eigenen Neste Ruhe zu suchen.

 

Mochte Eva Ortliebin so holdselig sein wie die gnadenreiche Jungfrau in eigener Person und dem Ritter Heinz das leicht entzündbare Herz wie heiß auch immer entflammen, in die lähmende Knechtschaft der Ehe sollte er sich auch von ihr nicht locken lassen, so lange er da war und über ihn wachte.

 

Musste einmal geheiratet sein, dann hatte er etwas anderes für ihn im Sinn, das ihn auf einen Schlag zum großen Herrn machte. Aber auch dafür war es zu früh.

 

Als er über die Fleischbrücke auf den Markt kam und dem hellerleuchteten Rathause zuschritt, hatte er Mühe, vorwärts zu kommen; denn der ganze Platz war von Neugierigen, Dienern in bunten Festkleidern, Sänften, reich geschirrten Rossen und Fackelträgern erfüllt. Der Tross der Montforts, die im Ortliebhofe Quartier gefunden, gehörte zu den glänzendsten und zahlreichsten von allen, und schmunzelnd ließ er den Blick über die mit Gold beschlagene Sänfte der jungen Gräfin schweifen. Ihr hätte er seinen jungen Herrn lieber gegönnt als der Städterin, die Kätterle noch dazu mit einem Wetterhahne verglich und der darum die hohe Tugend der Standhaftigkeit ganz gewiss abging.

 

 

Drittes Kapitel

 

Der Diener des Ritters Schorlin stand in vertrautem Verkehr mit vielen Bediensteten des Kaiserhauses, und ein Furier führte ihn auf den Altan der Stadtpfeifer, von wo aus sich der große Rathaussaal übersehen ließ. Da saß der Kaiser bei Tafel, und ihm zur Seite auf einem kleineren Thronsessel seine Schwester, die Frau Burggräfin von Zollern. Nur die Größten und Vornehmsten, die der Reichstag nach Nürnberg gezogen, samt ihren Damen, teilten das Mahl, das die Stadt ihnen auftrug.

 

Aber dort – ziemlich weit von ihnen entfernt, indes doch noch auf dem für die Speisenden durch eine schwarzgelbe Seidenschnur abgeschlossenen Raume, getrennt von dem glänzenden Gewimmel der übrigen Gäste, gewahrte er – er wollte den eigenen Augen nicht trauen – den Ritter Heinz Schorlin, seinen Herrn, und neben ihm ein junges Weibsbild von wunderbar holdseligem Liebreiz.

 

Seit länger als drei Jahren hatte er Eva Ortliebin nicht gesehen, und doch wusste er, dass sie es war und keine andere. Aber wie das flinke, eckige Ding mit den hageren Ärmlein sich herausgewachsen hatte! An prächtigen, dem Auge wohlgefälligen Weibsbildern von jedem Alter und von jeder Gestalt mangelte es hier im Saale gewiss nicht. Manche mochte sich auch wohl einer glänzenderen, vornehmeren Schönheit rühmen; an herzbestrickender Anmut konnte sich sicherlich keine mit derjenigen messen, auf die Kätterle für seinen Herrn ein Auge geworfen. Sie hatte ja nur bescheiden darauf hinzudeuten begonnen; aber das schon war verdrießlich; denn es dünkte Biberli, als habe sie den Teufel damit an die Wand gemalt, und er wollte nicht, dass er komme.

 

Mit einem leisen, seiner Ehrbarkeit übel anstehenden Fluche schickte er sich an, den Altan zu verlassen; doch wie mit geheimnisvoller Gewalt fesselte ihn, was es da unten zu sehen gab, wenn es ihn auch mit immer neuem Verdruss erfüllte.

 

Besonders wenn ihm das wundervolle Ebenmaß der kraftvollen und doch nicht übermäßig großen Gestalt Heinz Schorlins, sein köstlich gewelltes Haar und die vornehme Leichtigkeit, mit der er das prächtige, links saphirblaue, rechts weiße mit Silberfalken bestickte Samtgewand trug, ins Auge fielen, oder wenn er gewahrte, wie huldreich ihm die Größten und Höchsten nach dem Mahle begegneten, meinte er einen bitteren Geschmack im Munde zu verspüren. Wahrlich nicht aus Neid, sondern weil der Gedanke ihm ins Herz schnitt, dies herrliche, schon in jungen Jahren ruhmreiche Glückskind, das er liebte, sollte sich an die Tochter eines städtischen Kaufherrn verlieren, wenn dessen bunten Kram, den er vorhin kennen gelernt hatte, auch ein adelig Wappenschild zierte.

 

Aber Heinz Schorlin hatte schon manche Vornehmere an sich gezogen, um ihrer bald genug überdrüssig zu werden! – Auch diesmal hätte Biberli gelassen auf seinen Leichtsinn gebaut, wäre der nichtswürdige Wunsch Kätterles nur unausgesprochen geblieben, – hätte Heinz nur so keck und übermütig mit der Ortliebin verkehrt, wie es mit anderen Damen sonst seine Art war. Doch einen wie bescheidenen, schier andächtigen Glanz gewann sein Blick, wenn er der Kaufmannstochter in die großen blauen Augen schaute. Und wie sie die aufschlug! Das musste ja den härtesten Weiberhasser behexen!

 

Und dem treuen, standhaften Biberli ballten sich die Fäuste, und einmal kam ihm sogar der Gedanke, »Feuer« in den Tanzsaal hinunter zu rufen, um alles, was sich da freute, umwarb und umwerben ließ, aus einander zu treiben.

 

Aber die da unten gewahrten nichts von ihm und seinem Zorne, und am wenigsten wohl sein Herr und die Jungfrau, die sich so ungern hierher begeben.

 

Daheim hatte Eva in der Tat alles daran gesetzt, um dem Rathause fern bleiben zu dürfen. Herr Ernst Ortlieb, ihr Vater, war indes unerbittlich geblieben. Dem kleinen Manne mit dem bartlosen Gesicht und den eingefallenen Wangen hatte das Kinn sogar schon zu zittern begonnen, und das pflegte der Vorbote eines Ausbruchs des Jähzorns zu sein, der ihn bisweilen mit solcher Macht übermannte, dass er Dinge beging, die er später bereute.

 

Und er war diesmal gezwungen gewesen, das Widerstreben seines eigenwilligen Kindes unter keiner Bedingung zu dulden; hatte Kaiser Rudolf doch den »Ehrbaren« vom Rate ans Herz gelegt, ihm selbst und seiner Schwiegertochter, der Herzogin Agnes, die er bei ihrem kurzen Besuch wohl zu unterhalten wünschte, zu Gefallen, die schönen Hausfrauen und Töchter bei dem Fest auf dem Rathause nicht fehlen zu lassen.

 

Die sieche Gattin des Herrn Ortlieb konnte der Els, ihrer älteren Tochter und treuen Pflegerin, in dieser Zeit nicht entbehren. Da hatte er denn von Eva Gehorsam verlangt und sie gezwungen, von ihrem Widerstande gegen den Besuch des Festes zu lassen; ihr aber war vor der lauten weltlichen Lust bange gewesen, ja es hatte sie vor ihr gegraut.

 

Schon als sie noch zu den Klarissinnen in die Schule ging, hatte sie sich oft gefragt, ob es für sie nicht das Schönste sein würde, wie Muhme Kunigunde, die Äbtissin des St. Klaraklosters, sich dem Heiland anzugeloben und auf vergängliche Freuden zu verzichten, um sich die Seligkeit des Himmels zu sichern. Die dauerte ewig und konnte schon hienieden beginnen bei einem stillen Leben ganz in und mit Gott, bei einem hingebenden Sichhineindenken in das ganz von Liebe gesättigte Wesen des Heilands und auch in die großen Schmerzen, die er aus Liebe auf sich genommen. O, auch das Leiden und Bluten mit dem Höchsten war reich an geheimnisvollen Wonnen; ja, mit dem seligen Nachgefühl, das jene Stunden der frommen Ekstase in ihr zurückließ, konnte keine irdische Freude sich messen.

 

Manchmal hatte sie sich auch lange mit geschlossenen Augen in das Himmelreich hineingeträumt und, selbst ein Engel, unter Engeln zu weilen vermeint. Wie oft hatte sie sich gefragt, ob weltliche Minne größere Lust bringen könnte als solch ein seliges Träumen oder als die Wanderungen durch den Garten und den Reichsforst, bei denen ihr die Äbtissin vom heiligen Franz von Assisi erzählte, dem auch ihr Orden den Ursprung verdankte, dem besten und warmherzigsten unter den Nachfolgern Christi, von dem der Papst selbst gesagt, dass er noch diejenigen erhöre, die Gott nicht erhören wollte. Da war außerdem kein Kraut, keine Blume, keine Tierstimme im Walde, die die Muhme Kunigunde nicht gekannt hätte. Und aus allem, was dort das Ohr vernahm und das Auge schaute, waren ihr wie dem heiligen Franz Stimmen entgegengeklungen, die für die Güte und Größe des Höchsten Zeugnis ablegten. Mit jeder Kreatur Gottes fühlte die Äbtissin sich schwesterlich verbunden und lehrte auch Eva sie ans Herz ziehen und, wie einer, der sich dem Kinde hold erweist, die Liebe der Mutter erwirbt, durch die Liebe zu seinen Geschöpfen die des Schöpfers zu gewinnen.

 

Die anderen hatten sie gut tadeln, weil sie sich von den Freundinnen und Vergnügungen der Schwester zurückzog. Ihnen waren eben die Wonnen der Einsamkeit fremd geblieben, die sie die Muhme und ihr Heiliger kennen gelehrt.