Wolfgang Hofer (Hg.): Ausdruck . Zugriff . Differenzen Der Komponist Wolfgang Rihm

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Bestellnummer SDP 87

ISBN 978-3-7957-8635-9

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Als Printausgabe erschienen unter der Bestellnummer NZ 5006

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Mit alleiniger Unterstützung der FAZIT-Stiftung
(Frankfurter Allgemeine Zeitung und Frankfurter
Societäts-Druckerei) Frankfurt am Main

Umschlag: HJ Kropp unter Verwendung
zweier Fotos von Charlotte Oswald

Ausdruck . Zugriff . Differenzen
Der Komponist Wolfgang Rihm

Symposion, 14. und 15. September 2002,
Alte Oper Frankfurt am Main

Herausgegeben von
Wolfgang Hofer

Vorwort

Wolfgang Hofer

Große künstlerische Erscheinungen sind immer unvergleichbar. Wolfgang Rihm ist zweifelsohne eine der prägendsten und präsentesten Persönlichkeiten der internationalen zeitgenössischen Musiklandschaft, und zwar ebenso grenz- wie generationsüberschreitend. Als er vor nunmehr etwa dreißig Jahren mit groß dimensionierten Werken in das Blickfeld einer breiten Öffentlichkeit trat, überraschte vor allem die sprengende Kraft der Jugend seiner Musik.

Darin ist er sich treu geblieben, indem er sein gesamtes Schaffen stets der Devise des «Départ» im Sinne von Aufbruch und Ausbruch dediziert hat. Das Werk in seiner Entwicklung hat einen neuen Musikstil der Freiheit mit sich gebracht, der seinen spezifischen Ausdruck in allen kompositorischen Gattungen findet. Der reichhaltige Kosmos des Gesamtwerks Rihms – unterdessen sind mehrere hundert Werke entstanden – zeugt nicht nur von außerordentlicher künstlerischer Produktivität. Sein musikalisches Œuvre ist auch Manifestation ständiger Metamorphose, ins Unbekannte und Unerhörte entführend.

Diesen Prozessen forschend-aufdeckend nachzuspüren war eines der Leitmotive für das Symposium, das Wolfgang Rihm während des «Auftakt»-Festivals 2002 in der Alten Oper Frankfurt gewidmet war. Das breite Spektrum an Themen und Motiven, das die Vortragenden in ihren Referaten umkreisten, hat mit der Vielfältigkeit und Differenziertheit, dem Facettenreichtum des Künstlers zu tun, um den sich alles drehte. Der mischte sich in den die Vorträge begleitenden Diskussionsrunden munter mit ein. So sind Diskurse ins Offene entstanden, deren Anhaltspunkte hier dokumentiert werden. Vielleicht auch als prismatische Modelle dessen, wofür sich Wolfgang Rihm zuletzt einsetzte und bedankte: dass sich ein Symposien zum wirklichen Dialog zwischen Wissenschaft und Forschung, der Kunst und den Künsten entfalte. Indem die Texte hier versammelt sind, soll etwas von der Lebendigkeit und Lebhaftigkeit dieses Forums rund um Rihm nachvollziehbar werden.

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Inhalt

Vorwort

Wolfgang Hofer

Rihm – ein Gesamtkunstwerk?

Claus-Steffen Mahnkopf

Der Körper des Komponisten und der Widerstreit zwischen Sprache und Materie in der Neuen Musik

Simone Mahrenholz

Literarisches Komponieren

David Robert Coleman

Die ästhetische Produktivkraft des Fantastischen und des Wahnsinns im Werk Wolfgang Rihms

Martin Zenck

Wahnsinnstheater

Gerhard R. Koch

Rev(f)erenzkomponisten

Hans-Klaus Jungheinrich

Heiner Müller und Wolfgang Rihm

Wolfgang Hofer

Hermaphroditischer Gesang

Zu Wolfgang Rihms Vokalität

Hans-Peter Jahn

Wiederkehr und Fortschritt

Wolfgang Rihm zum 50. Geburtstag

Luca Lombardi

Das «fluide» Werk und die Krise der Partitur

Zu Wolfgang Rihms 4. Streichquartett und «Über die Linie» für Violoncello solo

Gerhard E. Winkler

AutorInnen

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Rihm – ein Gesamtkunstwerk?

Claus-Steffen Mahnkopf

«Denn Ruhm ist schließlich nur der
Inbegriff aller Missverständnisse, die
sich um einen neuen Namen sammeln.»
Rilke über Rodin

Mir ist die Ehre zugefallen, mit meinem Vortrag das Symposium zu eröffnen. Eine Erklärung sei daher vorangestellt. Ich rede nicht als Musikwissenschaftler oder Musikkritiker. Ich spreche als Komponist, nicht aber nur als jüngerer Kollege, sondern vor allem als Freund. Die persönliche Beziehung, die mich mit Wolfgang Rihm verbindet, ist alles andere als erkenntnistheoretisch marginal; und das gilt, wie zu sehen sein wird, auch für die sozialen Kontakte von und zu Rihm im Allgemeinen. Wir beide sind Antitypen, trotz unseres sympathetischen Verhältnisses, und das Antagonistische, das uns dialektisch verbindet, möchte ich nutzen. Ich betrachte den Dissens als produktiver als den Konsens – und als wahrheitsfähiger. Mit ihm will ich, aufklärungsorientiert, Erkenntnisse liefern. Erwarten Sie somit keine Laudatio, keine Geburtstagsrede, überhaupt nichts von einem Festakt. Um die Stars soll sich schon der Medienkapitalismus selber kümmern. Man tut keinem Künstler einen Gefallen, wenn man ihn – vor lauter Ruhm – bedingungslos verehrt und zum Karajan der Gegenwart macht.

Rihm wurde in diesem Jahr fünfzig Jahre alt, und die Veranstaltungen, die diese Tatsache feiern und kommentieren, verhalten sich, als sei Rihm sechzig oder 65 Jahre alt geworden. Zuweilen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Zahl 50 einfach nicht stimmen könne, weil Rihm schon so lange auf der Bühne steht. Freilich, Rihm ist alles andere als alt geworden. Nicht, dass ihm Jungspund-Allüren eigen wären, wie man sie von einigen Künstlern kennt, die nicht erwachsen werden wollen; im Gegenteil, schon mit Mitte zwanzig, trotz der Geschocktheit des Komponisten, war er ein Klassiker – mit aller Ambivalenz, die diesem Schibboleth anhaftet. Aber alt ist Rihm deswegen nicht, weil er sich die Spontaneität des künstlerischen Drangs nicht abschleifen lässt und im umgangssprachlichen – aber nicht nur im umgangssprachlichen – Verkehr jedwede Färbung einer institutionellen deformation professionelle vermissen lässt, was nicht heißen soll, er verstünde sich nicht auf die Diplomatie systeminterner Kommunikation. Rihm ist, trotz seiner Berühmtheit, ein Mensch geblieben, den man als Menschen und nicht nur als Fama ansprechen kann, und das ist eine Seltenheit in der heutigen Zeit.

Die Musik des 20. Jahrhunderts ist eine Musik aus Extrempositionen. Eine von ihnen ist die Strawinskys, der hartnäckig der Auffassung war, dass Musik keine subjektiven Gefühle und inneren Zustände zum Ausdruck bringen könne, Musik sei wesentlich nicht-psychologisch. Wer nach ihm der gleichen Ansicht ist – und das sind nicht wenige –, ist zwar keine Epigone, der Ehrenplatz, eine solche radikale Position in die jüngere Musikgeschichte eingeführt zu haben, gebührt ihm aber nicht. Wolfgang Rihm ist, soweit ich sehe, ebenfalls ein Komponist, der eine Extremposition in aller Einseitigkeit formuliert hat und in die Geschichte – zumindest in die jüngere – eingeführt hat. Seine Überzeugung ist, dass man über Musikwerke und ihre Bedeutung nicht wirklich sprechen könne. Da Rihm aber alles andere als ein redegehemmter Mensch ist – in Wirklichkeit ist er einer der eloquentesten Komponisten der Gegenwart1 –, muss man eine solche Position ernst nehmen, darf sie nicht als ein mit Augenzwinkern vorgebrachtes Bonmot abtun. Dem möchte ich Rechnung tragen. Im Jahr seines 50. Geburtstags ist seine Musik, als leibhaftig erklingende, allgegenwärtig. Wer sie hören möchte, dem steht nichts im Wege. Ich finde, dass das auch der adäquate Rezeptionsmodus für Rihms Musik ist. Zur Enttäuschung derer, die von mir vielleicht Analysen ausgewählter Werke oder gar Prinzipielles zu seiner musikalischen écriture erwarten, werde ich mich an Rihms Gebot der theoretischen Distanz halten. Ich werde stattdessen über das reden, was bei Rihm übrigbleibt. Und das ist erstaunlich viel. Der Erfolg Rihms – und seine Geschichte ist primär eine Erfolgsgeschichte – ist nur zu erklären, wenn man dem Umfeld seiner Musik im mindesten so viel Beachtung schenkt, wie es üblicherweise mit der Musik geschieht, und nicht nur weil das 21. Jahrhundert genau mit der Verschiebung von der Sache auf ihre mediale Repräsentation anhebt.

Rihm ist ein Freund. Im September 1985 betrat ich während der Biennale in Venedig nachmittags ein Stehcafé, um meinen Durst zu löschen. Zufällig erspähte ich meinen damaligen Lehrer Ferneyhough, auf den ich zuging. Bei diesem angekommen, bemerkte ich, dass neben mir jemand stand. Ich drehte mich zu Seite, und während mir durch den Kopf schoss, dass das wohl jener Wolfgang Rihm sein müsse, von dem ich höchstens eine Fotografie kannte, hatte dieser mich bereits fest im Blick und sagte mit einem äußerst gewinnenden, sehr nahen und freundschaftlichen Lächeln, so als hätten wir uns schon immer gekannt: «Grüß dich!» Natürlich kannte er mich nicht und konnte auch nicht wissen, wer und was ich sei. Aber seine Augen sprachen eine unzweideutige, eine menschlich warme Sprache, und diese sagten: «Du bist einer von uns.» Das kann man als Einverleibung interpretieren, muss es aber nicht. Zumal, wenn in den Jahren danach Zudringlichkeit stets ausbleibt und die Integration in den Künstlerclan wohl anderen Komponisten vorbehalten ist. Rihm bleibt ein homme de lettres, bleibt charmant. Ich gestehe, dass mir derlei Gemeinsinn, derlei Kollegialität bei keinem anderen Komponisten je untergekommen ist. Rihm ist sozusagen das Gegenbild zu Stockhausen, den er zu seinen Lehrern zählt und für den Mit-Menschen nicht existieren. In einer Zeit, in der der Egoismus, ja Solipsismus der neoliberalen Ära auf uns alle, ob wir wollen oder nicht, abfärbt, ist das, was Rihm vorlebt, von unschätzbarem Wert. Deswegen habe ich auch keine Angst, dass er, der auf seinem Gebiet einflussreichste Mann in Deutschland, so mit Macht umgehen wird wie der zentralistische Boulez in Frankreich oder der nicht weniger zentralistische Berio in Italien. Rihm, der einen Aufsatz über den südwestdeutschen Tonfall schrieb, ist ein Kind des Föderalismus, er ist ein Karlsruher. Er, Mitglied zahlreicher Aufsichtsräte, Jurorengruppen und natürlich Professor für das Fach Komposition, weiß, mit Macht und Einfluss verantwortungsvoll umzugehen. Es ist nicht genügend bekannt, dass er es war, der für Lachenmann als Siemens-Preisträger warb; es ist nicht genügend bekannt, dass er, Mitte der 90er Jahre Juror der Akademie Schloss Solitude, nicht nur eine gut funktionierende Mischung von etwa zehn Komponistinnen und Komponisten auswählte, sondern dabei die dekonstruktivistische Avantgarde quantitativ beträchtlich berücksichtigte. Er förderte somit Komponisten, deren Musikdenken, Stil und Ästhetik alles andere als rihmisch sind. Es ist unter Komponisten gerade nicht selbstverständlich, Kompromisskandidaten bewusst zurückzuweisen und die Gegentypen, wenn und weil sie etwas zu bieten haben, zu unterstützen.

Die kleine Anekdote von Venedig war mir immer der Schlüssel für seine Menschlichkeit. Rihm begreift schnell soziale Kontexte, kann sehr präzise Menschen einschätzen und versteht es ohne jedwede Mühe enge persönliche Beziehungen aufzubauen, sozusagen ohne das Gegenüber zu fragen, aber auch ohne es zu belasten. Es geschieht einfach und unwiderruflich. Auch derjenige sitzt, wenn man so will, in der Falle, der seiner Musik, die ja alles andere als unumstritten ist, nicht in gleicher Begeisterung wie seiner Herzlichkeit zu begegnen vermag. So ist es Heinz-Klaus Metzger gegangen, der, 1987 von Jungheinrich interviewt, anstatt geschichtsphilosophisch zu werden, wie man es von dem angemaßten Adorno-Fortsetzer erwarten könnte, auf die freundschaftlichen Bande, die ihn mit Rihm verbanden, zu sprechen kam.2

Ich sagte, dass Rihm und ich kompositorische Gegentypen sind. Aber keine beziehungslosen. Im Gegenteil, die Gemeinsamkeiten sind gewichtig und nicht nur deutsch. Wir glauben an die genuine Sprachfähigkeit von Musik; daran, dass das Komponierte von einem Individuum stammt (und nicht von einem Repräsentanten eines Kollektivs) und für einzelne Individuen (und nicht für ein Kollektiv) bestimmt ist; wir glauben daran, dass Musik eine literarische Dimension hat – uns ist die Welt der Bücher eminent wichtig; schließlich leben wir mindestens so in der Musikgeschichte wie in der Gegenwart. Und noch eines verbindet uns: der politische Auftrag, für die Erhaltung der reichen – im doppelten Sinne: reichen – musikalischen Kultur in Mitteleuropa und in jenem Land zu kämpfen, für das wir stehen – gegen einen falsch verstandenen musikalischen Populismus, für die Erhaltung der Orchesterlandschaft, der Opernhäuser, für den Kulturauftrag der Rundfunkanstalten, für die Musikhochschulen mit ihren weltoffenen Studienangeboten. (Ob das eher mit einer Mitte-Rechts- oder mit einer Mitte-Links-Regierung möglich ist, ist eine Spekulation, die wir am 23. September 2002 anstellen können.)

Die Gegensätze in Stil, Ausdruck, Selbstverständnis und Sozialcharakter, die zwischen uns bestehen, sind auch Ausdruck einer Generationendifferenz, sie gehen auf unser unterschiedliches Alter während der 68er-Zeit zurück. Rihm war damals 16 Jahre alt, ich sechs. Er wollte Streichquartette schreiben und musste sich anhören, dass man jetzt keine Streichquartette schreibe, sondern Revolution mache; der Altlinke Oehlschlägel hat ihn deswegen noch heute auf der Schwarzen Liste. Ich war Grundschüler und erfuhr über meine bereits studierenden und das Elternhaus entsprechend politisierenden Geschwister, was die Frankfurter Schule politisch bedeutete. Rihms Paukenwirbel, mit dem er dann einige Jahre später «Nein» sagte und der ihn berühmt machte, war eine rebellische Gegenreaktion, ein Befreiungsschlag. Ich hingegen vergaß die Politisierung, die ich wie mit der Muttermilch in mich aufnahm, konnte sie aber dann Anfang der 80er Jahre, als die neue Musik in die tödliche Phase des anything goes eintrat, um so ernsthafter erinnern und aus ihr die geschichtlich gebotenen Konsequenzen ziehen. Wenigstens in dieser Hinsicht hatte ich es besser als Rihm – ein Streichquartett zu komponieren, das verbat mir niemand.

Rihm ist unpolitisch im Sinne von Thomas Manns berühmten «Betrachtungen eines Unpolitischen». Dies liegt teils in der Mentalität eines Menschen, der – Medienzeitalter hin oder her – zunächst Privatmann sein möchte, weil er nur dort die Kraft zur Produktion findet; aber auch an den Zeitumständen – Rihms Karrierestart fällt genau in jenes Loch, das die linken Utopien im Augenblick ihres Sturzes hinterließen, sein Aufstieg ins Kohl-Zeitalter. Doch mehr noch ist es Programm: Kunst und Geist seien zu schützen, auch und gerade vor dem Politischen, in der berechtigten Angst vor Desensibilisierung. Rihms enzyklopädische – sagen wir: Kulturkompetenz kann nicht umhin, im Politischen eine Einengung der Humanitas zu erkennen. Und in einer gewissen Weise teilt er diese Auffassung mit Komponisten, die ganz anders sind, so mit dem dezidiert unpolitischen Ferneyhough, aber auch ein wenig mit Lachenmann, der sich, sofern ich ihn richtig verstehe, nicht darüber freute, ein politischer Komponist genannt zu werden. Allein Thomas Mann, den der Erste Weltkrieg, die erste Zivilisationskrise, die ihn eines Besseren hätte belehren können, zum «Unpolitischen» machte, bedurfte einer weitaus größeren Katastrophe – die, wohl nicht aus Zufall, ihn, den Verbannten, ganz persönlich traf –, um zu erkennen, dass man das Unpolitische – um des Verzichts des Geistes auf das ihm angeblich Andere willen – nur aus Verdrängung wählen kann. «Jener Verzicht des Geistes ist nämlich», so schreibt er 1939, «ein Irrtum, eine Selbsttäuschung; man entgeht damit nicht der Politik, man gerät nur auf die falsche Seite – und zwar mit Leidenschaft. A-Politik, das bedeutet einfach Anti-Demokratie, und was das heißen will, auf welche selbstmörderische Weise sich der Geist dadurch zu allem Geistigen in Widerspruch setzt, das kommt erst in bestimmten akuten Situationen höchst leidenschaftlich an den Tag.»3

Nicht dass Rihm ein Anti-Demokrat wäre – im Gegenteil, er verkörpert geradezu die zentristische Qualität des consensus und des laissez faire, er ist zusagen ein Versöhnungsästhetiker;4 der streitbare, öffentlich kämpfende Demokrat à la Daniel Cohn-Bendit, Joschka Fischer oder Michel Friedman ist er derweilen nicht. Er sucht, zumindest öffentlich – aber was ist bei einem Manne wie Rihm nicht öffentlich? –, nicht den Dissens. Die Twin-Tower-Fantasien des Lehrers und – ist er ein Freund? – Stockhausen werden mit ausgesprochen klugen, aber eben doch moderaten Bemerkungen erwidert. Das «Sperrt ihn in ein Irrenhaus» stammt vom Kollegen Ligeti. Selbst im Erschrecken darüber, womit Stockhausen unfasslicherweise die Welt brüskierte, vermag Rihm Ruhe und Augenmaß zu bewahren. Auch darin sind wir verschieden – ich vermochte es nicht.

Rihm geht der sozialen und politischen Dimension des Komponierens – um seines Komponierens willen – aus dem Wege. So vermag er es äußerst kluge und musikalisch einfühlsame Gedanken zur Musik Schostakowitschs anzustellen, ohne auch nur ein einziges Mal anzusprechen, was bei dieser Musik und beim Schicksal ihres Schöpfers geradezu herausgebrüllt wird, mit den Worten des Chefs der Leningrader Philharmonie, Jewgenij Mrawinski, 1966: «Schostakowitschs Größe wird für mich vor allem durch die Bedeutsamkeit jener gesellschaftlichen und ethischen Idee bestimmt, die sein gesamtes Schaffen durchzieht … ‹Ich möchte nicht, dass es jemandem schlecht geht› – davon spricht er in seiner Musik. Darin hört man die Stimme des staatsbürgerlichen Gewissens, die gegen alles gerichtet ist, was dieses Gewissen beleidigt oder grob verletzt.»5 Rihm hingegen konzentriert sich auf das, was die Musik sonst noch sagt. Das freilich macht er in einer bewundernswerten Sprache.

Dabei ist Rihm Kind seiner Zeit. Seit den 70er Jahren gibt es keinen Anlass zur prinzipiellen Sorge – dieses Jahrzehnt führte die Bundesrepublik in eine nicht zuletzt sexuell aufgeklärte Zivilgesellschaft, die 80er Jahre bescherten uns mit der Postmoderne die Entbindung von Verbindlichem, die 90er Jahre schließlich machten die Reichen noch reicher. Nur ein totaler Kollaps der Weltwirtschaft könnte uns wirklich erschüttern. Aber selbst Klimawandel, Börsenkrise, Irakkrieg und Terror im heiligen Land dürften das Empire, von dem Hardt und Negri sprechen, nicht zum Einsturz bringen. Warum also politisch sein? Für die Generation der heute Fünfzigjährigen gibt es hierfür keinen existenziellen Grund. Sie nimmt die Position jenes Thomas Mann zwischen den Weltkriegen ein.

Rihms Welt ist dreigeteilt: einmal er selbst – als Genius und Schöpfer –, dann eine geradezu enzyklopädische Gebildetheit, welche die Zentrierung auf das sehr wohl zentrierte Subjekt ausgleicht; schließlich seine Sozialkontakte, also die Menschen, mit denen er zu tun hat, und zu diesen sucht er – sofern es geht – einen freundschaftlichen Kontakt. In gewisser Hinsicht ist er Habermasianer, es geht ihm um verständnisorientierte Kommunikation, nicht um strategische. Die Kategorie des Gegners, des Widersachers, des Unsympathischen, des Mit-dem-kann-ich-nicht, scheint es nicht zu geben. Rihm ist somit zu etwas in der Lage, was es nach der Sozialtheorie Luhmanns, des Anti-Habermas, nicht geben kann: zu zwischenmenschlicher Kommunikation diesseits gesellschaftlicher Funktionalität. Oder aber, wenn man Luhmann recht gibt (wozu ich tendiere): Rihm entzieht sich erfolgreich der Gesellschaft – eine Option, die wir aus feudalen Strukturen kennen, die freilich einen stärkeren rituellen Charakter aufweist, als man heute von einem Künstler, dem Inbegriff des Originellen, erwartet. Rihm kennt, will man Hegels Begriffe bemühen, das Objektive aus Büchern und den Kunstwerken – eine sehr künstlerische Lebenssituation.

Rihm ähnelt den beiden deutschen Kanzlern nach Helmut Schmidt. Er ist Mitte und dabei kein protestantisches Arbeitstier. Er vereint die feine Lebensart mit dem consensus der westdeutschen Gesellschaft nach dem Niedergang der studentischen Revolte und der intellektuellen Erneuerung. Seine Modernität ist moderat. Er verzichtet im Gegensatz zu Nono und unendlich vielen anderen auf Live-Elektronik; die recherche, die ricerca – in Frankreich und Italien selbstverständlich – widerspräche seinem primären Fokus auf die Unmittelbarkeit des Schreibens; das Material ist zurückhaltend – Spuren des Lachenmann’schen Negativismus, des französischen Spektralismus, des polyphon verdichteten Komplexismus oder der objektivierenden Kompositionsstrategien im Anschluss an die computerunterstützten Technologien sind bei ihm vergeblich zu suchen; ein Moderner, ja ein Avantgardist kann er nicht genannt werden. Seine harmonische Sprache ist henzeisch, und das Bedürfnis, Opernhäuser in die Luft zu sprengen, hat ihn noch nicht ereilt. Umgekehrt könnte er, der fanatische Präsenzästhetiker, Postmodernist genannt werden. Doch auch das überzeugt nicht: Weder liegt ihm die pseudoklassizistische Glätte eines Philip Glass oder das Hochglanzdesign eines Kyburz, noch ist seine fragmentästhetische Rhetorik zufällig (auch wenn das «Fragment», das als Trademark seines 50. Geburtstags einsetzt, mit allergrößter Vorsicht zu gebrauchen ist; vergessen wir nicht, dass Rihms Musik mit dem uralten Problem der Nachkriegs-Neue-Musik ringt, dass nämlich die Stücke dazu tendieren, zu lang, also das Gegenteil vom Fragment, zu sein). Während nun teutonische Konsenstheoretiker dafür plädieren dürften, Rihm die Synthese von Moderne und Postmoderne zu nennen, bin ich umgekehrt der Auffassung, dass Rihms Position weder modern noch postmodern ist. Rihm entzieht sich genau dieser Distinktion – und das ist schon eine Leistung.

Warum ist das so, warum ist Rihm weder antimodern noch modern noch postmodern? Warum wollen diese Begriffe, die bei Penderecki, Xenakis und Ligeti sitzen, nicht auf ihn passen? Ich vermute, dass es daran liegt, dass Rihm etwas – und zwar glaubwürdig – verkörpert, das es strengen Sinnes in der hochkomplexen Gesellschaft von heute, der polymorph perversen Kultur von heute, der Aporetik der modernen Welt von heute, nicht mehr geben kann, nämlich die Fähigkeit zur enzyklopädischen Umfassung des Kulturellen insgesamt. Vergessen wir nicht, dass Rihm alle musikalischen Gattungen abdeckt, sich in allen thematischen Aufgabenstellungen einzurichten vermag – auch in einem Unding wie einer Bach-Passion im Jahre 2000 –, sich empathisch auf nahezu jeden Gesprächs- und Arbeitspartner einstellen kann, über eine genialische Intuition dem Atmosphärischen gegenüber verfügt und stets mehr an Öffnung und Verflüssigung als an der stoßfesten Fixierung von Problemlösungen interessiert ist. Er ist dabei eher ein Klassizist als ein Renaissancekünstler. Diese das Kontingente und Ephemere transzendierende Gabe rechtfertigt sozusagen auch die «unpolitische» Einstellung, da man glaubt, dass der Weltgeist – überzeitlich und der aktualen Widersprüche enthoben – einen durchweht. (Darin ähnelt Rihm übrigens dem großen Zeitgenossen Schillers, der noch einmal die Welt zusammenfassen konnte, ohne sich wie Kleist in jungen Jahren das Leben nehmen zu müssen oder wie Hölderlin an der Welt irre zu werden.) Solch eine Seinsgewissheit widerspricht aller Erfahrung, der täglichen, sozusagen tagespolitischen genauso wie der Jahrhunderterfahrung. Und trotzdem gibt es diesen Rihm, und er ist dabei keine Simulation, die sich ohnehin nur kurz hielte. Dass Rihms Dasein sich des Seins sicher ist, das kann man auch an seinem modernistischen Vokabular ablesen. Ambivalenz, Zweifel, Bruch, «offene Enden» sind durchaus gängige Gedankenfiguren, nicht aber Dialektik, Antagonismus, Aporie, Kontradiktion, Scheitern, Destruktion. Und dieser Rihm’sche holistische Humanismus trifft sich mit Deutschland, dem einzigen sozialistischen Staat der Welt, in dem das Bedürfnis nach universaler Versöhnung besonders stark ausgeprägt ist (weswegen auch im Ausland die Rihm-Euphorie hierzulande nicht nachvollzogen werden kann). Insofern ist Rihm übrigens in Gefahr, zu einem Nationalkomponisten gemacht zu werden.

Dass Rihm die alles überragende Komponistenpersönlichkeit der Generation der heute Fünfzigjährigen ist, also derer, die in den 70er Jahren begannen, liegt daran, dass er unter denen, die die Neue Unmittelbarkeit – man nannte sie auch Neue Einfachheit – lauthals propagierten (so von Bose, von Schweinitz, Trojahn, von Dadelsen), der einzige ist, der das hat, was man von einem großen Komponisten erwartet: Erneuerungsfähigkeit und weiten Atem, die Authentizität des musikalischen Urgesteins und die Souveränität, neben sich auch andere Meinungen zu dulden. Dabei ist zu fragen, warum aus dieser Gruppe nur einer von Renommee, von wirklicher Klasse übrigblieb, denkt man doch an die Populationsdichte Deutschlands und an seine große musikalische Tradition. Schaut man beispielsweise nach Frankreich in die gleiche Zeit, so zählt man mehr als einen. Grisey, Murail, Levinas, Dufourt und Hurel sind respektable und international geschätzte Gestalten. Deutschland hingegen leidet unter dem radikalen Schwund großer Komponisten. Immerhin gibt es keinen jüngeren seit Rihm (der letztentdeckte, Lachenmann, ist bekanntlich älter). Ich bin davon überzeugt, dass der Aderlass, den der Kulturbruch des 20. Jahrhunderts, von Deutschen und im Namen ihrer Kultur angezettelt, hinterließ, an der Komponistenszene nicht spurlos vorübergeht. Das sagt nichts über Rihm, aber darüber, wie mit ihm umgegangen wird. Der monopolistische Karajaneffekt, der sich Rihms, sakrosankt und geradezu überzeitlich, zunehmend, wie die Hausse der späten 90er Jahre an der Wall Street, bemächtigt, ist auch Ausdruck der verzweifelten Sehnsucht, dass wir wenigstens einen ganz großen Komponisten haben mögen, nachdem Stockhausen, mit dessen früherer Popularität die Rihms einzig verglichen werden kann, seit den frühen 70er Jahren alles unternimmt, um Sympathien abzubauen. Hinzu kommt Rihms musikalische Breite, die möglichst vielen Phänomenen Gerechtigkeit widerfahren lassen möchte anstatt auszuschließen, was gerade nicht in den künstlerischen Weg passt. Rihms offene Ohren machen ihn zu einem Integrationsästhetiker; und dabei übersteigt er Henze und Hindemith, mit denen er oft in eine Reihe gestellt wird, die das Heterogene in dieser Weise nicht zu integrieren verstanden und überdies gar nicht über das modernistische Problembewusstsein eines Rihm verfügten (ich erwähne hier nur einen ausgesprochen progressiven Text über das Musiktheater aus dem Jahre 19866).

In einem Interview der 80er Jahre bezeichnete Dahlhaus Rihm als Irrationalisten. Das ist nicht falsch; Rihm ist, wie gesagt, fest von der Unbeschreibbarkeit und damit prinzipiellen Unerklärbarkeit von Musik überzeugt (was nicht mit der allseits anerkannten Unerforschlichkeit von Musik zu verwechseln ist); er betreibt keine Theorie wie der frühe Boulez, keine pseudowissenschaftliche Selbsterklärung wie der frühe Stockhausen und keine essayistische Selbstaufklärung wie der mittlere Ferneyhough; betreibt auch keine Musiktheorie wie die so unterschiedlichen Schönberg und Hindemith. Rihm misstraut den Kategorisierungen, weil sie Verdinglichungen, ein Verbrechen in Sachen Kunst, bedeuten könnten. Aber Rihm ist kein Mystizist. Rihm spricht klar über die Dinge und mit gesundem Menschenverstand, den so mancher seiner Kollegen mit steigendem Erfolg ja verlor. Dies zeigt sich vor allem im ruhigen und unbeobachteten Zweiergespräch, dort, wo Rihm, der Freund, sich öffnet.

Rihm bildet eine Gegenposition zur Trias Schönberg-Adorno-Nono. Er handelt nicht, als müsse er ein Programm verwirklichen, und schon gar nicht in messianischer, kritischer oder revolutionärer Absicht. Rihm, dabei das romantische Genie bleibend, sucht den Ausgleich, und zwar mit möglichst vielen kulturellen Phänomenen. Dass ihm das gelingt, ohne sich zu verleugnen, dass er im Gegenteil sogar daran wächst, ist seine genuine Leistung und Begabung. Rihm ist weniger ein Kind und Zögling der Postmoderne mit ihrer Hochphase der 80er Jahre – er entzog sich schnell der Kategoriendistinktion jener Debatte genauso wie der totalen Verwischung begrifflicher Gegensätze, die es damals sehr wohl auch gab –, er ist vielmehr ein Mann des Medienzeitalters. Das erwartet – zumindest im Bereich der Musik, der konservativsten und rückwärtsgewandtesten der Künste – das kompositorische Genie, das zwar nicht weiß, was und wie es etwas tut, das aber, vielleicht eben darum, zu exorbitanten Ergebnissen gelangt. Zugleich vermag er mit den Medien zu spielen, er steht über ihnen, ohne die Verschmitztheit eines Harald Schmidt an den Tag zu legen. Er entzieht sich dem Sog der Medien, anders als sein Freund Sloterdjik, der sich als einsamer Seher und Künder der Masse überlegen glaubt, sich aber eben der Massendemokratie, metaskandalisierend oder als Talkmaster, verdankt. Noch ist Rihm kein Gast im talkenden Geschäft, und ich wünsche ihm die Kraft, dem weiterhin zu widerstehen.

Rihm ist ein Mann der Gegenwart und der Unmittelbarkeit. Er komponiert nicht für die Zukunft, für ein post-mortem, er betrachtet seine Produktion nicht sub specie aeternitatis. Vielleicht vermag er deswegen so gekonnt auf pragmatische Anlässe und Situationen, auf soziale Kontexte hinzuarbeiten. (Das teilt er mit Schostakowitsch.) Einen Begriff eines Andersseins, das sich, wenn es glückt, erst in der Zukunft enthüllt, scheut er. Er schreibt keine Flaschenpost. In dieser Hinsicht steht er fern von zwei Komponisten, denen er sich genealogisch und freundschaftlich so verbunden fühlt: Schönberg und Nono. Schönberg hatte die Utopie einer ganz anderen Musik – einer wirklich neuen, bisher nie gehörten –, er ist es gewesen, der die jüdische Dimension musikalischer Messianizität, die bei Mahler bereits gärte, in die europäische Musikgeschichte einführte, jene Dimension, welcher der ironischerweise deutsche Kulturbruch den Garaus machte. Nono, wie kein anderer, verband das Komponieren mit der sozialen Revolution, ging, was den Begriff von Musik anbetrifft, über den letztlich elitistischen Schönberg hinaus. Schönberg brach mit dem bürgerlichen Konzertleben und ging ins Bohemientum, Nono setzte sich in Opposition zu den Gewinnern, die den Kapitalismus weltweit zum Sieg führen. An solchen Entgegensetzungen, solchen kategorialen Antagonismen ist Rihm nicht interessiert. Er ist eben anders.

Die Unterschiede zu Adorno, zu dem sich Rihm gleichwohl hingezogen fühlt, sind gleichfalls groß, und das stellt sich nicht nur einem Spahlinger dar, der die Adaption der negativen Dialektik auf die Musik für sich reklamiert. Adorno plädierte für eine konstruktive Verdichtung struktureller Eigenschaften, nicht für das Loslassen und Sichgehenlassen; für das Komponieren exemplarischer Werke und nicht für eine laufende Produktion. Rihm gilt nicht ohne weiteres als höchster Stand der Materialentwicklung. Adornos musique informelle sollte eine konkrete Negation des Serialismus sein; Rihm hat aber, technisch, wenig Bezug zum Serialismus. Rihm schreibt keine Beckett’sche Musik, die Adorno sich erhoffte. Und für Adorno ist Neue Musik nicht nur philosophisch-allgemein eine Antithesis zur Gesellschaft. Das Entscheidende ist aber, dass Rihm das Gegenteil zum geschichtsphilosophischen Ansatz Adornos darstellt. Der Gegensatz könnte nicht größer sein: Während dieser davon ausgeht, dass zu einer bestimmten Zeit gerade nicht jeder Ausdruck wahrheitsfähig ist, plädiert Rihm für eine Freiheit des subjektiven Akts, für die er steht und die ihm seinen Platz in der Geschichte sichert. Diese inklusive Form von Freiheit war aber exakt das, was Adorno zugunsten einer dialektisch und historisch vermittelten exkludierenden bekämpfte. Zu spekulieren, was Adorno, hätte er länger gelebt, zu Rihm gesagt hätte, ist Ausdruck der Nostalgie, der große Philosoph von ehedem könnte posthum unsere Helden heiligen; ich vermute, er hätte sich, wie einst bei Henze, zurückgehalten. Und wenn ein Heinz-Klaus Metzger in seinen späten Jahren in Rihm den Gegenwartskomponisten hört,7 dann beweist dies nur, was wir immer schon wussten, dass das mit Cage nie ernst gemeint war.

Was Adorno betrifft, so zeigt sich eine Differenz zwischen Rihm und mir: Beide sind wir auch Erben der deutschen Musikkultur, aber auf ganz unterschiedliche Weise. Adorno ist uns beiden wichtig; aber die Konsequenzen sind ganz andere. Rihm fühlt sich als faktisches Erbe, als Verkörperung der Tradition, einer Kontinuität; ich sehe hingegen nichts als den radikalen historischen Riss, der das 20. Jahrhundert durchzieht, und daher die Notwendigkeit einer lebenslangen Rekonstruktion, die, echt benjaminisch, nur eine Destruktion sein kann. Das Unmögliche, das Utopische, ja – je mehr ich über das abgeschnittene jüdische Erbe nachdenke – auch das Messianische ist nicht Rihms Sache; er lässt sich auf die Welt, wie sie ist, ein. Er komponiert soziale – oder allgemeiner: kulturelle – Kontexte aus. Ob die Welt sich ändere und wie, ist nicht Teil seines künstlerischen Selbstverständnisses. Die transzendentale Dimension, die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von Musik und von anderer Musik, ist Jüngeren, von der Abwesenheit des Erfolgs Geprägten vorbehalten.

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