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Vorwort

Pünktlich zum Gedenkjahr an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges schwoll im Westen die lange vorhandene russophobe Grundstimmung zu manifestem Russenhass an. Ende 2013 eskalierte die Ukrainekrise, kurz darauf war zwischen Washington, Brüssel und Berlin die Feindortung erfolgt. Die trans­atlantische Gemeinschaft nahm Moskau ins Visier, erließ Einreiseverbote gegen Diplomaten, verhängte Sanktionen, sperrte Konten, schloss Russland aus Gremien aus, boykottierte politische, kulturelle und sportliche Groß­ereignisse und mobbte sogenannte »Russlandversteher« in den eigenen Reihen. Stellvertreterkriege in der Ukraine und in Syrien verfestigten das gegenseitige Misstrauen. Ein altes Feindbild war neu erstanden.

Feindbilder – das wissen wir bereits aus der Friedensforschung der späten 1960er Jahre1 – begleiten militärische Aggressionen oder gehen diesen voraus bzw. bereiten das Publikum an der Heimatfront auf entsprechende Maßnahmen vor. Sie sind Instrumente einer »psychischen Herrschaftssicherung zur Herstellung einer Massenloyalität«,2 wie es der Soziologe Hans Nicklas auf den Punkt bringt.

»Auf der Basis von Feindbildern«, so der Friedensforscher Dieter Senghaas, »läßt sich jegliche Verteidigungsmaßnahme potentiell rechtfertigen«. Ihre Propagierung bestimmt »das Spektrum möglicher Konflikterwartungen.«3 Was Senghaas im Kontext der NATO-Aufrüstungspolitik in Zeiten des Kalten Krieges analysiert, kann mühelos auf andersgeartete geopolitische Konfliktfelder übertragen werden. Die EU-Osterweiterung von NATO und Europäischer Union seit den 1990er Jahren stellt dafür ein beredtes Zeugnis aus. Solange diese in ihren Anfängen nicht auf Widerstand in Moskau stieß und in der Person des damaligen Präsidenten Boris Jelzin sogar einen indirekten Unterstützer fand, war vom »bösen Russen« im Westen nichts zu hören. Erst als sich das Land unter Wladimir Putin nach dem Jahr 2000 zu konsolidieren begann, schlug die westliche Freude über das Ende der kommunistischen Epoche in Skepsis um, der die Feindbildkonstruktion folgte.

Auch die Suche nach den historischen Wurzeln des scheinbar ewigen negativen Russlandbildes bestätigt den Zusammenhang zwischen geopolitischem Konflikt, hinter dem in aller Regel wirtschaftliche Interessen stehen, und der Herstellung eines Feindbildes. Das westliche Klischee vom »barbarischen, asiatischen Russen« taucht zum ersten Mal Ende des 15. Jahrhunderts beim Krakauer Philosophen Jan z Głogowa (Johannes von Glogau) auf, just in jenen Jahren, als der Deutsche Orden gegen den erstarkenden Moskauer Zaren Iwan III. Krieg führt.

Über 500 Jahre lang wechseln einander seither positive und negative Zuordnungen zu Russland und den Russen ab, wobei die negativen im Zeitenlauf deutlich überwiegen. Diese Tatsache hat mich auch dazu gebracht, das Buch »Feindbild Russland« zu nennen, wohl wissend, dass es Epochen gegeben hat, in denen dieses Bild nicht oder nur für einen Teil der Gesellschaften in Westeuropa Gültigkeit in Anspruch nehmen kann.

Zur Zeit der Drucklegung dieses Buches Anfang 2016 beherrscht die Lage im Nahen Osten die außenpolitische Diskussion. Ob das militärische Eingreifen Moskaus in den Konflikt seit Ende September 2015 die Kräfteverhältnisse wesentlich verschiebt, ist nicht absehbar, noch weniger eine ernst gemeinte Allianz für eine friedliche Lösung. Anstatt des Abbaus bestehender Feindbilder steht deren Multiplizierung an. Maßgebliche Stimmen wie jene von Papst Franziskus warnen bereits vor einem sich schleichend breitmachenden dritten Weltkrieg. Für das Verhältnis des Westens zu Russland stehen die Zeichen weiter auf Konfrontation.

Um ein Buch wie das vorliegende zu schreiben, bedarf es neben dem Studium möglichst mannigfaltiger Lektüre und dem Sammeln von Informationen aller Art vor allem auch ständiger Diskussionen mit Kennerinnen und Kennern historischer und aktueller Zusammenhänge. Stellvertretend für eine Vielzahl von Kol­legIn­nen und FreundIn­nen, die meine Arbeit auf solch diskursive Weise begleitet und damit erst möglich gemacht haben, möchte ich an dieser Stelle meiner Lebensgefährtin Andrea Komlosy danken. Ihre wirtschafts- und sozialhistorische Expertise ebenso wie die Aufmerksamkeit, mit der sie aktuelle Ereignisse verfolgt, sind in den Text eingegangen.

Hannes Hofbauer

Wien, im Februar 2016

1 Vgl. Dieter Senghaas, Aggressivität und Gewalt. Thesen zur Abschreckung. In: Herbert Marcuse u. a. (Hg.), Aggression und Anpassung in der Industriegesellschaft. Frankfurt/Main 1968, S. 128ff. Zit in: Imad Mustafa, Feindbild Islam. Die politische Instrumentierung »orientalischer Feindbilder« in den Medien, Frankfurt/Main 2008 (Magister­arbeit), S. 7

2 Hans Nicklas, Die politische Funktion von Feindbildern. Thesen zum subjektiven Faktor in der Politik. In: Gert Sommer/Johannes Becker (Hg.), Feindbilder im Dienste der Aufrüstung. Beiträge aus Psychologie und anderen Humanwissenschaften. Marburg 1992, S. 34. Zit. in: Mustafa 2008, S. 18

3 Dieter Senghaas, Zur Analyse von Drohpolitik in den Internationalen Beziehungen. In: ders. (Hg.), Rüstung und Militarismus. Frankfurt/Main 1972, S. 42