fleurs – die Blumen, die Blüten, sie geben diesem Buch seinen Titel, lassen an Frühling denken, an laue Lüfte und flatternde Bänder. Doch wer sich auf diese Spur locken lässt, landet nicht auf der lieblichen Blumenwiese, sondern im steinigen und steilen Gelände: »agnus dei die Füszchen zusammengebunden, 1 Büschel weiszer Blumen im Mund«. Das ist der Mayröcker-Sound, wie er ein Dichterleben lang tönt – unsentimental, glasklar, nichts anderem verpflichtet als einer Poesie, die immer nur das Eine will: Bilder von bezwingender Kraft und Anschaulichkeit und eine Sprache, so frei, kühn und unverbraucht, als wäre sie für dieses eine Buch neu erfunden.

fleurs ist der letzte Teil von Friederike Mayröckers Trilogie, die mit études und cahier ihren Anfang nahm. fleurs ist Erinnerung und Bilanz, ist Protest und Beschwörung. Und hält fest, was am Ende als Einziges zählt und bleibt – das Ritual, die Lebensversicherung des Schreibens: »Einfach so hinsetzen an die Maschine am Morgen bei wölfischem Heulen, nicht wahr«.

Friederike Mayröcker wurde 1924 in Wien geboren. Seit 1956 veröffentlicht sie Gedichte, Prosa, Hörspiele und Kinderbücher. Für ihr Werk erhielt sie zahlreiche Preise, u.a. den Georg-Büchner-Preis (2001), den Hermann-Lenz-Preis (2009), den Peter-Huchel-Preis (2010) und den Bremer Literaturpreis 2011.

Friederike
Mayröcker

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Suhrkamp

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2016

Der vorliegende Text folgt der Ausgabe:

Erste Auflage 2016

© Suhrkamp Verlag Berlin 2016

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Umschlaggestaltung: Hermann Michels und Regina Göllner

eISBN 978-3-518-74483-3

www.suhrkamp.de

für Edith S.

solch Vortrefflichkeit dasz du’s Fingerchen
mir demonstrierest wenn wir über die Gasse …

»pierre ist der Stein, und »was ich geschrieben habe habe ich geschrieben«, eines Regentropfen’s Zöpfchen ja du liest richtig : »Zöpfchen«, von Firmament in deine offenen Arme liebster Freund, dieses Ästchen nämlich des Frühling’s, biszchen Tau an den Tannen, Forst’ens Flüstern, bin aus allen Äthiopien-Wolken gefallen, Hauch des Morgens, indes, Ästchen am Firmament kratzend Veilchen Erinnerung, fruchtbaren Halbmond, Schmerz der nicht endet, ach Transparenz deiner Poren aber mit Händen voller Blumen. Nämlich die exzerpierten Absätze um 1 weniges ändern dasz man ihre Abkunft = ihr Original nicht mehr erkennen kann und Jean sagte, ich hatte den Drang abzumähen die Sträusze der Wiese, oder mich selbst zu verschlingen, weiszt du, in einer Ahnung von Zärtlichkeit ……..«

24.3.14

»auf Kirschenboden / zu LECHZEN : Max Ernst’s »la fête du mimosa« (mit Wurzeln im Mund) usw., jg.Katze in Goldlack-Garten, was da alles umherwimmelt : zerdrücke Ungeziefer an der Wand dasz 1 Blutstropfen, alles eher aufgebauscht …….. exzellentes Abendrot / exaltierter Frühling diese 1 wenig Vorliebe für Diminutive (Ästchen Stimmchen Blättchen Väterchen) ist vielleicht Verlangen nach Welt-Zärtlichkeit, Anspruch auf Ähnlichkeit einer PUPPE mit einer wirklichen männlichen Person etc., der rosige Morgen nämlich, die ernsthaften Tiere, die Anatomie des Zimmers, etwa habe ich heute morgen deine mir so vertraute Stimme über die Wunderkammern gehört und sogleich die Tränen …….. kollerten ach das Atmen der Worte : dein Stimmchen dein Geistlein sehr aus deinen Augen flieszend tropfend (zerrissenes Näglein Schneelocken-wärts) also werden wir einander bald wiedersehen im Café, habe gewildert im Internet = vergessene Gefühle etc., rufe dich am Morgen nicht an weil du da sinnest sinnierst ebenfalls ich selbst am Küchentisch sinnend sinnierend : und werde es nicht vergessen am Attersee damals als die AUFGESPANNTEN (Pflanzen) während Kind mit Ball und wir den Rosensteig abwärts zum spiegelnden Wasser oder wir uns immens verknallten, dem Stil der Sprache uns ergebend eine Verwunderung etwa. Ich war baff ich war ganz baff als du sagtest »wenn du dich mit ihm einläszt muszt du dich versichern dasz er nicht krank ist« = zerrann die Liebschaft hinter der weiszen Rose deines Ohr’s (bin Kindchen von Jesus habe Federkleid) usw.«

26.3.14

»eben da ich. Meinen Finger auf den Knopf des CD-Players also Gupf der Bläue des Zenits wirst du zwischen Himmel und Erde (wer weisz), tippe ich – oh Veilchen der Seele (sag an!) : Halskettchen an deinem sausenden Nacken, Vielliebchen, du, ist Leben’s Zeit meszbar sind Mond’es Fittiche untergetaucht. Mond’es Fittiche = Tränen im Azur, schreibe ich an dich, Holztreppe zur Balustrade wo die Wolke sich ans Fenster preszt usw., ach garçon : du Meeresspiegel (Z. verträgt Blumenduft sehr schlecht : eines Tages findet sie ihr Verlobter halb ohnmächtig und umgeben von stark riechenden Blumen während die Dornen also des Leib’es Schmerzen …….. diese Blumen hat W. morgens auf dem Blumenmarkt gekauft und an seine Brust gedrückt ehe er sie Z. zu Füszen nicht wahr) : nach Hugo v.Hofmannsthal’s »Andreas«. 1 garçon 1 Morgenstrahl du hast mich nicht eingelassen, doch in der Dämmerung glitzerten deine Augen, bin 1 Schreiender, weiszt du, schreie in 1 Bouquet, leergefegte Amsel in NY usw., in unserem Garten in D. küszte ich die weiszen Lilien welche so hoch wie ich oder höher, reinen Herzen’s dieser Katarakt v.weiszen Blüten in beseelter Ecke spürten wir alle = im Bauch des Berges = den Todeshauch. Während der abnehmende Mond über die Hügel glitt, damals in Bad Ischl. Du kennst mich besser als ich mich selbst kenne, die Verbrüsselungen z.B. die in Scharlach gekleideten Völker, dasz ich die Wörter neu erfinden könne. »Hören und Sehen auf Schneelosigkeit«, sage ich, »Figur und Schildkröte« von Andreas Grunert, »Wenn ich alt bin« Tusche auf Papier, deine Verheiszungen, sage ich, las dann dein Angesicht dieses im Wald zu lechzendes,«

29.3.14

»dieser Abend diese Blumen-Brosche des Lenz diese zerrissenen Näglein = Nelken mit den zerrissenen Blütenrändern dieses gelbe Licht beim Erwachen – und beim Erwachen die Erinnerung an jene Fotografie wo du aus halboffener Zimmertür GUCKST 1 wenig gebückt oder fraglich während der Wind bläst durch das nur angelehnte Fenster ach diese ahnende Erscheinung, da diese ahnende Erfahrung auflodert in mir, weiszt du nämlich Durst am Morgen zu stillen wollend. Abermals jenes Schneeglöckchen-Gefild in dessen Morgenlicht …….. hatte ich die Chiffonhose übergezogen hatte ich die Heizung eingeschaltet ich hatte keinerlei Erinnerung, die Physiotherapeutin schien gebettet in Moos schön gebettet Erich Fromm Tablette in Herzform = Concor 5 mg, vor 14 Jahren hängt der April ich meine seit 14 Jahren hängt der April des Kalenders 2000 an der Zimmerwand : es war 1 fluoreszierender April mit Oleanderblüten und Mohn, Zwillingskirschen wie Notenköpfe = »Musik« von Andreas Grunert, Tusche und Acryl auf Papier 66 × 46 cm, an einem blanken Tisch 2008 umschwirrt von Notenköpfchen, kollerten orangefarbene Tränen. Nun ja im Dämmerschlaf geliebte Groszmutter mit wildem Kropf usw., 1 Sausen 1 Samariter mit Haschisch = Halstuch im kl.Café während die holzgeschnitzte Wiege im Schlafzimmer der Eltern immer bereit für neuen DÄUMELING …….. wie bangt mir oft nach dir mein liebster Freund (da war doch etwas mit einem Regenschirm zu Füszen des Morzinplatzes?), Religionen v.Schwalben auf Goldpapier, usw. Ich meine man musz warten können bis es einschnappt, Schwäne v.Frühling,«

30.3.14

»forte am Morgen, saus’ ich in dein Geblüt, stürzen die Beine. Da, auf diesem Foto war ich 2 Jahre jünger als jetzt indem ich Alexandra umarmte sah es aus als sei ihre schwarze Locke meine moustache, 1 Tag ohne dich bereitet mir Qual ich meine fleur oder Unverblümtheit Gürtel des Orion, diese vernichtenden Nächte so exaltiert dieser Frühling das Abendland …….. schwanen-tüchtig o du mein Osterlamm, Goethe’s Brosamen, blühender Kirschenzweig, Phantom oder Zeitungsfoto : wenn man es verkehrt herum betrachtet sieht man bengalischen Kopf oder Akelei usw., bist ja auch englisch, sage ich, »requiem for a pink moon« – mühte mich mit dem Büchlein bis ans Lebensende den kahlen verschwitzten Kopf umschlungen haltend (1 Bündel Spitzwegerich 1 Hund, kratzt an der Tür usw.), mein Fichtenbäumchen hat genadelt, sie stand mit einem blühenden Kirschenzweig vor der Tür (ich meine es tollte der Text usw.), gottbefohlen küszte er meine Füsze, im Galerien-Wäldchen, weiszt du, jetzt möchte ich lieber den ganzen Tag lesen statt schreiben, herbeigehuscht. »Inbrünstig Mützchen ade und dergleichen ……..« (natürlich haben die Interpunktionen in Saus und Braus ihre Majestät, sage ich, es war so dasz ich im gröszten effort gewesen = mit Franz Liszt aus dem GRAMMO dasz mich jemand mit blühendem Kirschenzweig in der Hand sehr polyphon, ach und 1 wenig Veilchen,«

1.4.14

»bist Bäumchen weisz blühendes Bäumchen bist Kirschblütenzweig bist Fink bist 1.Schwalbe bei verhangenem Himmel bist Gedicht : Fusz und Hand des Gedichts bist Leib des Gedichts und Mund des Gedichts und was spricht der Mund des Gedichts und was enthüllt der Leib des Gedichts und wohin flieht der Fusz des Gedichts …….. ach Schwäne des Himmels«

2.4.14

»grasgrüne Luft es ist 1 Aufregung und jede Nachtstunde lese ich die Uhr ab, der Morgenhimmel ein lichtblaues Wasser, da fällt 1 Sperling vom Dach, bist 1 Fink(lein) bist 1.Schwalbe. Ach der Kirschblütenzweig den du mir geschenkt hast ist längst verblüht, hochtrabt der Berg und grüne Wipfel, um 15 Uhr duzen wir uns …….. nur wenn du auf Trip bist scheinen dir meine Augen Vergiszmeinnicht-blau, erwanderten die Berge um den Gosausee, sagst du. Dein Doktorvater, sage ich, zur Firmungszeit ganz weisz die Stadt, rauchte er eine Pfeife und ich fragte ihn ob er glaube dasz wir einander noch 1 × sehen würden? Er glaube es und es sei vor 20 Jahren gewesen, aber tatsächlich hatte ich ihn nie wieder gesehen, ganz weisz die Firmungszeit ganz weisz war die Stadt ganz grün die Pfötchen der Stadt usw. Wenn ich schläferte, heillos durchs Quartier, die SWATCH tickt noch immer an seinem Handgelenk in seinem Grab, wird nie enden : 1 schwermütiger Gedanke. Du liebes Lamm du verlassene Welt, bis zum Wahnsinn liebe ich dich …….. dieser unsägliche Ort das zarte Wallen des Fliederwäldchens (pustend von Frühsommer). Andreas Grunert’s »Arbeiten auf Goldpapier« : »Hören und Sehen« 2007 Acryl auf Papier 70 × 100 cm : nicht spucken nicht sputen nur Herzeleid!, habe LÖFFEL anstatt OHREN verwendet, Goethe, hat in seinen Schriften oftmals die Abkürzungen abgeküszt usw. verwelkt im cahier und fummelnd, in Waldluft nämlich an der Tür zur Tapisserie hingen abwechselnd die Holztäfelchen »ouvert« und »fermé«. Ach die Elster! als der Wind blies! : was für 1 himmlisches Wort ……..«

8.4.14

»in der Tiefe des Herzens schalmeiend nämlich dieser Duft der Madonnenlilien in den Bahnhöfen des Landes (Bahnhofshalle v.Bregenz ich erinnere mich : 1 Strausz weiszer Lilien welche ihren innersten Duft ausstrahlend wie mit Flügelchen flatternd Duft-Flügelchen in einer Vase auf einer der Bänke der Bahnhofshalle v.Bregenz, ihren Duft im Wuchern einer Blumenwiese welche ich ans Herz usw., deine Füsze zu küssend welche wie weisze Lilien, drückend und weinend ans Herz) Mondrian’s Tableau No. IV Rautenform mit rot blau gelb und schwarz nämlich pustend 1924 / 25 usw., Goethe hat auch abgeküszt Madonnenlilie = Paradiesvogel fliegt auch im Schlafe = nach naturkundlichen Erkenntnissen nicht zu akzeptieren, weiszt du, ich denke immerfort an dich und freue mich wenn wir uns im Café wiedersehen du bist der Allerliebste, im Lichte des aufgehenden Mondes circa 1805, du kannst die Welt nicht retten (»dufte!«) ich möchte mit Jean Paul spazierengehen …….. das Rad war immer zwischen uns es trennte uns er schwang sich dann aufs Rad und er entschwand im Morgennebel, immer öfter von Verstorbenen träumen(d), am Morgen im Fenster 1 dunkelblaues Fahnentuch quer über den Himmel gespannt, nicht wahr, später 1 wenig, GELIEBTER v.Sonnenschein, in der »gloire« 1 Widerschein der Vergiszmeinnicht-Sträusze in deinen Augen, ach unerfindliche Wege : Goldspange der Verheiszungen, der geliebte Hase als Sternbild am Julihimmel, Gürtel des Orion, gottbefohlen die kl.pinkfarbene Gieszkanne in der Küche, möcht’ ins schwindelige weiterdichten (als Clivia), dies im Walde z.B. lechzen …….. dein Ohrläppchen, reinen Herzens dieser, Katarakt, von weiszen Blüten, in D. nämlich damals war ich so grosz wie die Madonnenlilien im Garten, in D. küszte ich in unserem Garten die weiszen Lilien sie waren so grosz wie ich, als die weisze LILIEN-TASSE zu Boden fiel und zersprang, zerscherbte Glocke, ich war baff ich war ganz baff dasz die weisze Lilie deines Ohr’s,«

10.4.14

»dein Vorschlag, meine schmalen Schriften = diese halluzinatorischen Stücke von Poesie als »Kurzgeschichten« zu bezeichnen, nimmt mich wunder, ich halte mir die Hände vors Gesicht wie ich weine. In meinem Kämmerchen, SW-Seite, schiefer Maschinenschreibtisch, »hermes baby« zu Klaviermusik von Franz Liszt heilige Morgenstunde. Drauszen Frühling Ende März ich sehe dasz der Flieder sprieszt, manchmal schreibe ich von meinen Träumen ab, ich empfange Verbalträume. Ich sitze gebückt fast kniend (wie Glenn Gould beim rasenden Spiel), man musz warten können bis es einschnappt, ich brauche eine hohe Zimmertemperatur und elektrisches Licht auch wenn die Sonne hereinscheint. Es ist eine grosze Aufregung so dasz mein Blutdruckwert aufs höchste, etc. Bin sehr beherzt und danke dem heiligen Geist für seine Verheiszungen ……..«

neue Version am 13.4.14

»Sonatenklang da du mich herzest Geste der Glorie = gloire ich bin beim Schreiben hingerissen, Andreas Grunert hat so 1 Jenseitsbild gemalt und ihm den Titel WENN ICH ALT BIN gegeben, wenn ich alt bin sitze ich im Schatten eines Lorbeerbaums wenn ich alt bin musz ich lange weinen circa die Sonne aufgeht ich wunderte mich dasz ich so wenig Emmerich usw., wenn ich alt bin nämlich die Titten du sagst die Morgendepression eben Stirnlock’ Geste der Glorie = ich will meine Seele tauchen, Liszt aus dem GRAMMO weiszt du, du bist kein böser Mensch und doch hattest du böse Gedanken wenn ich alt bin sitze ich in deinem Garten in welchem die Zedern Schatten geben, wenn ich alt bin : die Raben die zu dir rufen die deine Füsze tupfen, ’s gibt Schnee wie Wolle, obwohl der Frühling eingezogen ist, ist in den Bergen Schnee gefallen. Wenn ich alt bin werde ich sitzen auf einem Bühel Schnee und meine Hände werden schmerzen meine Füsze schwellen, Hölderlin’s Hymne an die Freiheit sage ich auf, während des Wanderns um den Bodensee …….. ach die drinks! die 7 Schnauzen an der hohen Lampe