|3| OPERNFÜHRER KOMPAKT

ROBERT MASCHKA

Mozart

Die Zauberflöte

|2| Robert Maschka ist Musikschriftsteller. Er verfasste zahlreiche Musikkritiken, Booklets für CDs, Texte für Programmhefte renommierter Orchester, Konzertreihen, Musikfestivals, Opernhäuser etc. Gemeinsam mit Silke Leopold veröffentlichte er das Opernfigurenlexikon Who’s who in der Oper, außerdem schrieb er das kleine Kompendium Wagners Ring kurz und bündig und den Band über Fidelio und Tristan und Isolde in der Reihe Opernführer kompakt. Er ist Mitautor des Handbuchs der Oper (mit Rudolf Kloiber und Wulf Konold).

Weitere Bände der Reihe OPERNFÜHRER  KOMPAKT:

Daniel Brandenburg Verdi Rigoletto

Michael Horst Puccini Tosca

Michael Horst Puccini Turandot

Detlef Giese Verdi Aida

Malte Krasting Mozart Così fan tutte

Silke Leopold Verdi La Traviata

Robert Maschka Beethoven Fidelio

Robert Maschka Wagner Tristan und Isolde

Volker Mertens Wagner Der Ring des Nibelungen

Clemens Prokop Mozart Don Giovanni

Olaf Matthias Roth Donizetti Lucia di Lammermoor

Olaf Matthias Roth Puccini La Bohème

Marianne Zelger-Vogt und Heinz Kern Strauss Der Rosenkavalier

Wolfgang Jansen Gregor Herzfeld Bernstein West Side Story

|4| Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

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eBook-Version 2016

© 2015 Bärenreiter-Verlag Karl Vötterle GmbH & Co. KG, Kassel

Gemeinschaftsausgabe der Verlage Bärenreiter, Kassel, und Seemann Henschel GmbH & Co. KG, Leipzig

Umschlaggestaltung: Carmen Klaucke unter Verwendung eines Fotos von den Salzburger Festspielen 1997 (Matthias Goerne und Sylvia McNair)

© akg-images/​Marion Kalter

Lektorat: Jutta Schmoll-Barthel

Korrektur: Daniel Lettgen, Köln

Notensatz: Tatjana Waßmann, Winnigstedt

ISBN 978-3-7618-7022-8

DBV 112 - 08

www.baerenreiter.com

www.henschel-verlag.de

eBook-Produktion: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt

|5| Inhalt

Cover

Titel

Der Autor

Impressum

Zwischen »Fledermaus« und »Parsifal«: Ein Stück für Kinder, Erwachsene und Philosophen

Mozart und Schikaneder: Zwei Selfmademen ziehen an einem Strang

Komponist und Librettist: Zwei reisende Selbstdarsteller machen sich auf den Weg

Historische, biografische und werkspezifische Daten

Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft in Salzburg

Teamwork im Freihaus und Epilog

Die Stoffgeschichte und das Sujet

Ein Quellen-Potpourri aus dem Märchen- und Mythensteinbruch

Die Handlung

Das Handlungsschema

Die dramaturgische und die musikalische Gestaltung

Werkübergreifende Strategien in Text und Musik

Die Nummernfolge

Nichts ist, wie es scheint: Die Ouvertüre – eine Musik der Verwandlung

Spaziergang durch das Werk

Essay: Die Macht der »lieblichen Gefühle«

Die Rezeptions- und Inszenierungsgeschichte eines Dauerbrenners

Das Werk zu Mozarts Lebzeiten und im 19. Jahrhundert

Literarisch-philosophische Diskussionen und die »Zauberflöte« als Subtext bis ins 20. Jahrhundert

Inszenierungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Inszenierungen seit der Nachkriegszeit

Die »Zauberflöte« im Schallplattendschungel

Andere Formate: Die »Zauberflöte« als Film, als Puppentheater oder als Show

Anhang

Glossar

Zitierte und empfohlene Literatur

Abbildungsnachweis

|7| Zwischen »Fledermaus« und »Parsifal«: Ein Stück für Kinder, Erwachsene und Philosophen

Mozarts »Zauberflöte« ist ein multimedialer Dauerbrenner – nicht zuletzt wegen des liebenswerten Antihelden Papageno. Ins Briefmarkenformat gelangte er, als die Österreichische Post 2013 dem Salzburger Marionettentheater zum 100. Geburtstag gratulierte. Seit 1952 treibt die Papageno-Puppe dort ihre Späße.

»Die Zauberflöte gehört zu den Stücken, die ebenso ein Kind entzücken wie den Erfahrensten der Menschen zu Tränen rühren, den Weisesten erheben können. Jeder einzelne und jede Generation findet etwas anderes darin, und nur dem lediglich ›Gebildeten‹ oder dem reinen Barbaren sagt sie nichts.« Alfred Einsteins berühmtes Diktum über Mozarts letzte Oper entstammt seiner nicht minder berühmten Biografie Mozart. Sein CharakterSein Werk, die der aus Deutschland wegen seiner jüdischen Herkunft verjagte Wissenschaftler im Kriegsjahr 1942 im US-amerikanischen Exil vollendete. Von Einsteins Buch wurde ich als Siebzehnjähriger erstmals zum Nachdenken über Mozart angeleitet; seitdem schlummerten diese schönen Sätze über die Zauberflöte in meinem Gedächtnis. Sie brachten mich auf die Idee, in einer Art Feldforschung heutige Liebhaber des Stücks über ihre Zauberflöten-Faszination zu befragen, um einen Überblick darüber zu gewinnen, was Menschen verschiedener Lebensalter und Berufe an Mozarts letzter Oper wichtig ist.

|8| Wenn nun meine Interviewpartner zu Wort kommen, so fast durchweg in einer aufsteigenden Altersreihe und mit dem Geburtsjahr in Klammern. Demgemäß soll die jüngste Zauberflöten-Kennerin unserer Umfrage den Reigen eröffnen: die Schülerin und Geigerin Amrei Schick (2007). Amrei fasziniert an ihrer »Lieblingsoper«, dass sie »so fantasievoll ist. Und die Königin der Nacht finde ich nicht böse, sie will nur ihre Tochter wiederhaben. Ich finde den Sarastro eher böse. Am liebsten habe ich Papagena, weil sie so bunt und schlau ist.« Der Blick auf die Figuren lässt also bereits ein kleines Mädchen darüber nachdenken, wie es um Gut und Böse in dieser Oper eigentlich bestellt ist. Für die Abiturientin Lisa Maier (1996) ist das Stück ein »jung gebliebener Klassiker«, und sie hebt auf Mozarts Kunst der Personencharakterisierung ab: »Die Zauberflöte kann zu jeder Zeit auf jegliche Gesellschaft übertragen werden, weil sich jeder darin in irgendeiner Form wiederfinden kann. So ist für jeden etwas dabei: der lustige, aber etwas naive Papageno mit einfachen Strophenliedern, wie auch die Königin der Nacht mit ihren anspruchsvollen Koloraturarien.« Auch der Musikwissenschaftler Patrick Klingenschmitt (1985) betont die Zeitlosigkeit der Zauberflöte, sie sei »ein in jeder Hinsicht revolutionäres Werk, inhaltlich kontrovers angelegt, mit keinem geringeren Ziel als einer durch und durch humanistischen Utopie. Auch nach über 220 Jahren Rezeptionsgeschichte bleibt sie zeitlos subversiv und von beeindruckender Überzeugungskraft.« So gesehen, gründet die Klassizität des Stücks auf seinem Unruhepotenzial und gerade nicht auf einer Bestätigung überkommener Normen. Das sieht der Komponist Anno Schreier (1979) ähnlich, doch argumentiert er mit der unkonventionellen Formgebung des Werks: »Die Zauberflöte könnte für uns heute ein Vorbild sein zur Erneuerung des Musiktheaters: weg von der Oper als vollendetem ›Meisterwerk‹, hin zur Oper als heterogenem ›Machwerk‹; ein Neben- und Durcheinander von hohem Ton und populärem Spiel, von Ernst und Klamauk, von Strenge und Über-die-Stränge-Schlagen.«

Und was sagen Interpreten unserer Zeit zur Zauberflöte? Die Sopranistin Julia Kleiter (1980), die gegenwärtig als die Fachfrau für die Rolle der Pamina gelten kann, räumt ein, eher ein »Rigoletto- als ein Zauberflötenkind gewesen zu sein.« Sie sieht das Stück zwischen Realität und Märchen changieren und macht auf dessen Ernst aufmerksam: »Denn viele Märchen sind ja ernst.« Der Tamino-Darsteller Daniel Behle (1974) wiederum bewundert an der »gut gealterten« Zauberflöten-Musik, dass sie »jedes Mal den richtigen Ton zur richtigen Zeit trifft und ihre Klangfarben mitunter bereits auf die Romantik vorausweisen.« Der Dirigent Marc Piollet (1962) rückt die Komposition vollends in den Vordergrund |9| und letztlich vor das Drama. Wenn er sich auf eine neue Zauberflöten-Produktion einlasse, sei das wie »ein Comeback zur reinen Musik«. Letztlich habe die Zauberflöte eine schwer nachvollziehbare Dramaturgie, »die Irrläufe der Menschen auf der Bühne« würden vielmehr durch die Musik dank ihrer »poetischen Reinheit aufgehoben«. Und so lautet Piollets Fazit: »Andere Stücke sind viel konkreter.«

Ein klassischer Generationenkonflikt: Die Königin der Nacht (Diana Damrau) im Streit mit ihrer Tochter Pamina (Genia Kühmeier) in Pierre Audis »Zauberflöten«-Inszenierung der Salzburger Festspiele 2006.

Das sieht die Buchkünstlerin Caroline Saltzwedel (1957) ähnlich: »Wahn, Traum, Poesie … Die Zauberflöte ist ein endloses Rätsel, das durch die Fülle seiner Melodien mich immer wieder entzückt. Richard Wagner ging es offenbar nicht anders: Tannhäusers Heilsruf ›Elisabeth!‹ scheint mir ein Echo auf den Anfang von Taminos Bildnis-Arie.« Auch einem altgedienten Musikwissenschaftler wie Volker Scherliess (1945) ist die Beschäftigung mit der Zauberflöte nach wie vor »höchstes Musik-Glück«, nicht zuletzt, weil man sich keinen abschließenden Reim auf das Werk machen kann: »Altvertraut und geheimnisvoll, von höchster Popularität und doch in ihren geistigen Dimensionen unauslotbar: die Zauberflöte. Wer sich ihr nähert, auf welchem Wege auch immer, wird beglückt, muss aber zugleich erschrecken, denn sie sprengt alle Begriffe – nicht zuletzt |10| den der musikalischen Gattungen. Wie einmal gesagt wurde: Hier sind Fledermaus und Parsifal noch zusammen …«

Der Theaterverleger Karlheinz Braun (1932) hingegen nähert sich dem Stück als Bühnenpraktiker, wenn er fragt: »Kann es einen wirkungsvolleren Anfang einer Oper geben als den der Zauberflöte? Der Angriff einer mythengesättigten Schlange auf einen Jüngling zu einem überaus gestischen Allegro in c-Moll. ›Zu Hilfe! zu Hilfe! sonst bin ich verloren‹, ruft dieser Tamino und fällt in Ohnmacht. Doch schon erscheinen drei verschleierte Damen und erledigen in hoffnungsvollem As-Dur das Ungeheuer. ›Triumph! Triumph! Sie ist vollbracht die Heldentat!‹, jubeln sie darauf in Es-Dur und bestaunen in unverhohlenem erotischen Interesse den schönen Jüngling.« Weiter amüsiert sich Karlheinz Braun über das »Zickenterzett« der um die Gunst des ohnmächtigen Tamino streitenden Damen, nach deren Verschwinden und Taminos Erwachen »nur der Kadaver einer Schlange von der überstandenen Gefahr« zeugt. Damit biete »bereits die erste Szene der Oper genügend Material für ein psychoanalytisches Seminar.«

Welch ein anregendes Durcheinander bereits in dieser kleinen Zauberflöten-Vorschau: Da treffen sich Jung und Alt, indem sie die Protagonisten beobachten, während andere die reine Musik in den Vordergrund rücken. Oder es wird versucht, den spezifischen Charakter des Stücks auf den Punkt zu bringen und seine Schönheit zu beschreiben, außerdem wird seine historische Einordnung, Zukunftsfähigkeit und Inspirationskraft diskutiert. Hierbei gilt für die Laien ebenso wie für die Fachleute und Praktiker: Alle haben ihre eigene Version von der Zauberflöte im Kopf. Auch scheint für niemanden die persönliche Aneignung des als Rätsel begriffenen Werks abgeschlossen zu sein. Abgehakt hat es also niemand. Wie aber lässt sich größere Einsicht in die Eigenart eines Werks gewinnen, das sich wie die Zauberflöte letztlich im Abseits gängiger Kategorien entfaltet? Vielleicht gelingt das ja über die Entstehungsgeschichte. Deshalb wollen wir uns nun den beiden Urhebern des Werks – dem Komponisten und dem Librettisten – zuwenden.

|11| Mozart und Schikaneder: Zwei Selfmademen ziehen an einem Strang

Joseph Langes Mozart-Porträt wohl von 1782 : 1789 sollte das Ölgemälde offenbar erweitert werden, um Mozart am Klavier sitzend zu zeigen.

»Eine Oper, die ich mit dem seligen Mozart fleißig durchdachte«, so blickte Emanuel Schikaneder am 14. Juni 1795 auf die Zauberflöte zurück, als er seinem Libretto zu der heroisch-komischen Oper Der Spiegel von Arkadien eine Vorrede voranstellte. Mozart war damals bereits über dreieinhalb Jahre tot, verstorben neun Wochen nach der Uraufführung der Zauberflöte, die im Wiener Vorstadttheater auf der Wieden stattgefunden hatte. Schikaneder wiederum – nicht allein Direktor des Wiedner Theaters, sondern überdies Mozarts Librettist und Uraufführungs-Papageno – sieht sich inzwischen genötigt, mit dieser kurzen Bemerkung auf seinen Anteil am Dauererfolg der Zauberflöte, die bis zur Schließung des Hauses 1801 insgesamt 223 Mal gegeben werden sollte, hinzuweisen. Er reagiert damit auf eine Tendenz in den damaligen Journalen, zwar Mozarts Musik in den Himmel zu heben, um dafür desto härter mit der Textvorlage ins Gericht zu gehen. Man habe schließlich, so Schikaneder in seiner Verteidigungsrede, »Beyspiele genug, daß die besten Musiken bey schlechten Büchern gescheitert sind.« Das nun soll sagen: Hätte er, Schikaneder, mit dem Zauberflöten-Text nicht so gute Arbeit geleistet, hätte selbst ein Mozart mit der Komposition Schiffbruch erleiden können. Schikaneders Selbstlob mag uns heute überheblich scheinen, denn ohne |12| Mozarts Musik wäre von der Zauberflöte längst keine Rede mehr. Gleichwohl hat Schikaneder aus seinem zeitbefangenen Blickwinkel heraus recht: In der Tat war die Zauberflöte ein Gemeinschaftswerk vom Komponisten und seinem Textlieferanten. Das entsprach vollauf Mozarts Arbeitsweise: Bekanntlich pflegte er auch zu dem Librettisten Lorenzo Da Ponte ein enges Arbeitsverhältnis; warum dann nicht auch zu Schikaneder? Was also brachte diese beiden Männer zusammen? Warum konnten sie so gut miteinander? Daraufhin wollen wir nun ihre Biografien befragen und darauf schauen, wo sich Anknüpfungspunkte und Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zeigen.

|13| Jahr

Historische Daten

Daten zu Biografie und Werk

1756

1. Mai: Der Vertrag von Versailles führt mit dem Bündnis zwischen den französischen Bourbonen und den österreichischen Habsburgern zu einer Neuausrichtung der politischen Allianzen in Europa; 29. August: Beginn des Siebenjährigen Kriegs; Leopold Mozarts Versuch einer gründlichen Violinschule erscheint in Augsburg

27. Januar: Mozart wird als siebtes und letztes Kind des Salzburger Hofviolinisten Leopold Mozart und seiner Frau Anna Maria, geb. Pertl, geboren und am folgenden Tag im Salzburger Dom auf die Namen Joannes Chrysostomus Wolfgangus Theophilus getauft; er selbst wird in Italien mit Wolfgango Amadeo, ansonsten mit Wolfgang Amadé unterschreiben; zum Zeitpunkt seiner Geburt lebt von seinen Geschwistern nur noch Maria Anna (1751 – 1829), genannt Nannerl

1761

Joseph Haydn wird Kapellmeister in Esterháza

Beginn der musikalischen Ausbildung, erste Kompositionen

1762

Glucks Orfeo ed Euridice in Wien

Erste Konzertreisen nach München und Wien

1763

15. Februar: Der Frieden von Hubertusburg beendet den Siebenjährigen Krieg

9. Juni: Beginn der mehr als dreijährigen Europareise der Familie Mozart (Rückkehr nach Salzburg am 29. November 1766)

1769

Madame du Barry avanciert zur Mätresse des französischen Königs Ludwig XV.; Geburt Napoleon Bonapartes

Im November: Ernennung zum dritten Konzertmeister der Salzburger Hofkapelle; 13. Dezember: Aufbruch zur Italienreise, die bis Frühling 1771 dauern wird

1770

Heirat Maria Antonia von Habsburgs mit dem französischen Thronfolger und späteren König Ludwig XVI.

In Rom Aufnahme in den päpstlichen Orden vom Goldenen Sporn; Uraufführung von Mitridate, re di Ponto KV 87 in Mailand

1771

Tod des Salzburger Fürsterzbischofs Sigismund von Schrattenbach

Uraufführung von Ascanio in Alba KV 111 in Mailand

1772

14. März: Wahl von Hieronymus Graf Colloredo zum Salzburger Fürsterzbischof

Zur Inthronisierung von Fürsterzbischof Colloredo wird die Azione teatrale Il sogno di Scipione KV 126 aufgeführt

1775

Nach dem Tod seines Großvaters (1774) wird Ludwig XVI. zum König von Frankreich gekrönt

Uraufführung von La finta giardiniera KV 196 in München und von Il re pastore KV 208 in Salzburg; die Violinkonzerte KV 211, 216, 218 und 219 entstehen

1777

Gottfried van Swieten, der 1782 Mozart mit Werken von Händel und Bach bekanntmachen wird, wird Präfekt der Hofbibliothek in Wien; Geburt Heinrich von Kleists

Mozart reist mit der Mutter über Augsburg nach Mannheim; erste Kontakte zur Familie Weber; Josepha, die älteste Schwester seiner späteren Frau Constanze, wird die erste Königin der Nacht sein

|14| 1778

Eröffnung der Mailänder Scala mit Salieris L’Europa riconosciuta; Tod Voltaires und Rousseaus

Weiterreise nach Paris, wo am 3. Juli die Mutter stirbt; auch in geschäftlicher Hinsicht ist die Reise ein Fehlschlag

1779

Druckausgabe von Lessings Nathan der Weise

Nach der Rückkehr wird Mozart Hoforganist in Salzburg mit 450 Gulden Jahressalär

1780

Tod Maria Theresias

Erste Bekanntschaft mit Emanuel Schikaneder

1781

Als erstes Wiener Vorstadttheater eröffnet das Leopoldstädter Theater; Immanuel Kants Die Kritik der reinen Vernunft

Uraufführung des Idomeneo KV 366 in München; Bruch mit dem Salzburger Fürsterzbischof, Mozart lässt sich in Wien nieder

1782

Uraufführung von Friedrich Schillers Die Räuber in Mannheim; Giovanni Paisiellos Il barbiere di Siviglia in St. Petersburg

Uraufführung der Entführung aus dem Serail KV 384 in Wien; 4. August: Mozart heiratet trotz des Widerstands seines Vaters Constanze Weber

1783

Die Brüder Montgolfier sorgen in Paris mit ihren Heißluftballon-Experimenten für Furore

Ende Juli reist Mozart mit Constanze nach Salzburg, dort Aufführung der fragmentarischen c-Moll-Messe KV 427

1784

Tod Denis Diderots und Wilhelm Friedemann Bachs

14. Dezember: Eintritt in die Freimaurerloge Zur Wohltätigkeit

1786

Goethes Iphigenie auf Tauris in Weimar; Geburt Carl Maria von Webers; Tod Friedrichs II. von Preußen

Uraufführung des Schauspieldirektors KV 486 in Schönbrunn und von Le nozze di Figaro KV 492 im Wiener Burgtheater

1787

Schillers Don Carlos in Hamburg; Geburt Louis Daguerres; Tod Glucks

28. Mai: Tod Leopold Mozarts; Uraufführung des Don Giovanni KV 527 in Prag; 7. Dezember: Ernennung zum k. k. Kammermusicus

1788

Geburt Arthur Schopenhauers; Tod Carl Philipp Emanuel Bachs

Entstehung der letzten drei Sinfonien KV 543, 550 und 551 (Jupiter-Sinfonie)

1789

14. Juli: Der Sturm auf die Bastille markiert den Beginn der Französischen Revolution

Reise nach Prag, Dresden, Leipzig und Berlin

1790

Nach dem Tod Josephs II. wird dessen Bruder Leopold II. Kaiser; Haydn bricht nach London auf

Uraufführung von Così fan tutte KV 588 in Wien; Reise zur Kaiserkrönung nach Frankfurt

1791

14. September: Ludwig XVI. leistet den Eid auf die neue Verfassung, Frankreich wird konstitutionelle Monarchie; Geburt Franz Grillparzers und Giacomo Meyerbeers

6. September: Uraufführung von La clemenza di Tito KV 621 in Prag; 30. September: Uraufführung der Zauberflöte KV 620 in Wien; das Requiem KV 626 bleibt unvollendet; 5. Dezember: Mozart stirbt in Wien

Komponist und Librettist:
Zwei reisende Selbstdarsteller machen sich auf den Weg

Emanuel Schikaneder als Papageno in der Erstausgabe des »Zauberflöten«-Librettos von 1791.

In den Jahrzehnten vor Ausbruch der Französischen Revolution stechen uns höchst eigenwillige Lebenswege ins Auge, die sich in den Normen einer ständischen Gesellschaft immer weniger fassen lassen. Die Bindungen an Fürsten und Höfe, an weltliche und geistliche Landesherren, aber auch an die zunftmäßige Ordnung innerhalb der Städte erodieren nach und nach. Und so begegnen uns Leute meist bürgerlicher Herkunft von enorm kreativer oder künstlerischer Potenz, denen eines gemeinsam ist: ihre Mobilität. Geschäftssinn treibt diese Selfmademen durch Europa, und die Grenzen zwischen Scharlatanerie und echter Könnerschaft sind fließend: Windige Betrüger und Obskuranten wie Cagliostro, der der Alchemie frönende mysteriöse Graf von Saint Germain oder sein angeblicher Schüler, der mit Magnetsteinen hantierende Wunderheiler Franz Anton Mesmer, reisen durch die Lande – nach Aufmerksamkeit heischend und auf den Geldbeutel ihres Publikums schielend, das seinerseits auf Sensationen aus ist. Aber auch im Bereich der Künste agieren Selbstvermarkter ohne Netz und doppelten Boden, allen voran der Herzensbrecher und Schriftsteller Casanova oder |15| sein venezianischer Landsmann, der bereits erwähnte Mozart-Librettist Lorenzo Da Ponte, ein entlaufener Priester jüdischer Herkunft, den seine dichterischen Hervorbringungen einerseits, etliche Amouren andererseits in die absonderlichsten Verlegenheiten und Gefahren brachten.

Zwei Gruppen stehen in diesem europäischen Welttheater der Selbstdarsteller schon von Berufs wegen ganz vorne auf der Bühne: zum einen die Musiker, zum anderen das fahrende Volk der Schauspieler. Und nicht zuletzt in der Zauberflöte werden sie sich ein Stelldichein geben. Noch aber ist es nicht so weit. Die Voraussetzungen dafür müssen erst noch geschaffen werden – etwa durch die viel beschriebene Wunderkind-Karriere des jungen Mozart. Diese geniale PR-Tour in mehreren Reisen wurde vom Vater Leopold passgerecht auf die Unterhaltungsbedürfnisse einer meist höfischen Hörerschar zugeschnitten, die sich von dem kleinen Musikus in Begleitung seiner viereinhalb Jahre älteren Schwester Maria Anna, genannt Nannerl, bezaubern ließ. Leopold Mozarts Projekt der Eigenkindvermarktung mag heutzutage wie ein Ausbeutungsdelikt anmuten, gäbe es da nicht einen triftigen Einwand: die offensichtliche Freude der beiden Mozart-Kinder an diesen Reisen.

Hinzu kommt Vater Leopolds erzieherischer Eros. Von Drill und Einzelhaft am Klavier keine Spur. Spielerisch werden Nannerl und Wolfgang ans Musizieren herangeführt, das Geigespielen bringt sich der Knabe weitgehend selbst bei. Dass Reisen bildet, bestätigt sich bei Mozart in zweifacher Hinsicht: Die ihm in den fremden Ländern begegnenden Sprachen erlernt er mühelos, und weil er auf seinen Touren durch Europa und die deutschen Lande immer ein offenes Ohr für die Werke der vor Ort wirkenden Komponisten hat, eignet er sich frühzeitig eine breite musikalische Repertoirekenntnis an. Wie ein Schwamm scheint er diese vielfältigen Reiseklangeindrücke aufzusaugen, als er nach ersten Stückchen aus dem Jahre 1761 nach und nach ins Kompositionshandwerk hineinwächst. Daraus erklärt sich, dass ihm – wie wir nicht zuletzt an der Zauberflöte sehen werden – letztlich alle musikalischen Gattungen, Stile, Kompositionstechniken und Tonfälle, die seinerzeit gängig waren, zu Gebote standen.

Doch lassen wir zunächst ein paar Reisestationen des kleinen »Mozartl«, wie ihn sein Dienstherr, der Hochwürdigste Fürsterzbischof von Salzburg und Primas Germaniae Sigismund Christoph von Schrattenbach, nannte, Revue passieren: 1762 spielte der gerade sechsjährige Knabe am kurfürstlichen Hof zu München und sogar am kaiserlichen Hof zu Wien auf. 1763/​64 verschlägt es ihn nach Paris und Versailles sowie nach London; 1765 findet man ihn in den Niederlanden, ein Jahr später in Genf und Zürich, 1770/​71 in Rom, wo er in den päpstlichen Orden vom Goldenen |16| Sporn aufgenommen wird, und in Mailand. Die Kaiserin Maria Theresia freilich beeindruckt diese Ordensverleihung nicht, ausdrücklich rät sie ihrem in die Lombardei abkommandierten Sohn Ferdinand Karl davon ab, den »jeune salzburgois« in Dienst zu nehmen; man brauche bei Hofe keine Komponisten oder dergleichen »unnütze Leute«, auch würden die Mozarts »die Erde ablaufen wie die Bettler«. Auch wenn Mozart von der kaiserlichen Geringschätzung keine Ahnung hatte, so tut sich in dieser Äußerung eine aristokratentypische Arroganz kund, die Mozart zeit seines Lebens auf die Palme brachte.

Wie vergänglich der Nimbus des Wunderknaben indessen war, erfuhr Mozart 1777/​78, als er sich über Augsburg und Mannheim nach Paris begab, wo seine Reisebegleiterin, die Mutter, am 3. Juli 1778 starb. Weder brachte ihm die Reise, wie er erhofft hatte, einen Opernauftrag noch eine feste Anstellung ein. Denn der Heimatstadt war Mozart inzwischen längst überdrüssig, zumal dem seit 1772 amtierenden Fürsterzbischof Colloredo die Reiselust der Familie Mozart ein Dorn im Auge war. Immerhin gewährte Colloredo Mozart ab 1779 für die Position des Salzburger Hoforganisten ein Jahresgehalt von 450 Gulden. Der private Gewinn der Reise sollten indessen seine zum Missfallen des Vaters geknüpften Kontakte zur Familie Weber in Mannheim sein: In deren zweitälteste Tochter, die Sopranistin Aloisia, hatte sich Mozart damals unglücklich verliebt, die älteste Tochter Josepha sollte die erste Königin der Nacht und die drittjüngste der insgesamt vier Weber-Töchter, Constanze, dereinst Madame Mozart werden.

Blenden wir uns nun in die Kindheit Emanuel Schikaneders ein. Geboren am 1.  früh gefallen zu sein. So sehen wir ihn 1773 in Augsburg als Mitglied einer Wandertruppe erstmals auf der Bühne stehen, und im Jahr darauf ist er bereits am Hoftheater in Innsbruck engagiert. 1776 wird dort sein Erstling von weit über hundert folgenden Stücken erfolgreich aufgeführt: . Zum ersten und einzigen Mal in seiner Laufbahn ist Schikaneder hier sein eigener Komponist. Auch lernt er in der Truppe Eleonore Arth kennen; seit 1777 lebt sie mit Emanuel in einem recht freizügigen Ehedurcheinander, und wegen ihrer eigenen Affären ist es dann auch nicht immer ganz so wichtig, dass Schikaneder scharenweise Kinder mit wem auch immer in die Welt setzt. Vor allem aber sollte Schikaneder in seinem Schicksalsjahr 1777 seinen schauspielerischen Durchbruch haben: als gefeierter Hamlet in München.