Anja Lerz/Susanne Hübscher (Hrsg.)

BESSER WIRD’S
NICHT!

Ein charmanter Angriff
auf den
weiblichen Optimierungswahn

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

1. Digitale Auflage 2012 Zeilenwert GmbH
ISBN 9783865064165

© 2010 by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers
Einbandgestaltung: Brendow Verlag, Moers
Titelfoto: shutterstock
Satz: Satzstudio Winkens, Wegberg

www.brendow-verlag.de

Oskar macht sich trübe Gedanken

Annekatrin Warnke

Jaul! Ich mache mir nicht nur trübe Gedanken – sie sind rabenschwarz! Und glauben Sie bloß nicht, Hunde könnten nicht denken. Wir können das sogar sehr gut! Aber Menschen verstehen uns einfach nicht. Was wirklich nicht von eurer Intelligenz zeugt. Wir Hunde verstehen alles, was ihr sagt. Aber wenn wir euch dann erklären wollen, dass ihr mal wieder auf dem Holzweg seid, könnt ihr unsere Warnungen einfach nicht hören. Ihr hört nur ein Bellen, Winseln oder Kläffen und interpretiert etwas in unsere treuen Augen, was es da gar nicht zu sehen gibt. Meistens deutet ihr als Zustimmung, was ganz klar Ablehnung ist. So hat es jedenfalls mein Frauchen gemacht an jenem Abend vor ein paar Wochen, als sie mir ihren Entschluss unterbreitete.

Wie immer war Mareike nach Büroschluss mit der S-Bahn aus Hamburg gekommen. In Pinneberg hatte sie ihren Roller bestiegen und war damit die letzten fünf Kilometer bis in unser beschauliches Dorf gerollt. Dann hatte sie mich bei meiner Tagesmutter abgeholt. Frau Breuer ist eine ganz reizende alte Dame, die in der Nachbarschaft wohnt und mich tagsüber ausführt. Ich liebe den kleinen Wald mit dem großen Teich, denn dort darf ich immer ohne Leine laufen. Ja, Sie haben recht. Ich schweife ab. Aber wenn Sie wüssten, wie verführerisch es da überall riecht!

Mareike hatte mich also abgeholt, und ich freute mich schon auf unser Abendritual. Meistens schmiss Frauchen als Erstes ihre Aktentasche und die Jacke in eine Ecke und die Schuhe in eine andere. Dann zog sie sich einen Hausanzug und Pantoffeln an und ging in die Küche. Sie goss sich ein Glas Wein ein, schob entweder zwei Pizzen in den Ofen oder was Leckeres in die Mikrowelle. Kennen Sie zum Beispiel die Thaipfanne vom Eismann? Echt oberlecker, kann ich Ihnen nur sagen! Ich liebe Fastfood!

Mit dem Essen machten wir es uns immer vor dem Fernseher gemütlich. Ich bekam meine Pizza oder meine Mikrowellenherrlichkeit in den Fressnapf. Sie stellte ihren Teller auf den Couchtisch. Dann legte sie sich halbsitzend aufs Sofa, zappte durch die Kanäle, und wenn wir beide satt waren, kuschelten wir bei »Wer wird Millionär« oder so und rieten mit. Wir lieben Quizsendungen! Solche Abende sind einfach genial, kann ich Ihnen sagen!

Manchmal aßen wir auch nur schnell zwischen Tür und Angel in der Küche. Das waren die Abende, wo Pfadfindertreffen angesagt waren oder wo Frauchen ein Date mit ihren Freunden hatte. Die sind alle echt nett. Vor allem Ben hat es mir angetan. Er ist Anfang dreißig und arbeitet auch in Hamburg. Er hat ein Auto – und ist das Herrchen einer sehr süßen Retriever-Dame. Sie ist golden, super gebaut und riecht zum Anbeißen! Ben ist Bankkaufmann, aber in seiner Freizeit auch Jäger. Ab und an fuhren wir zu viert bei Vollmond in sein Jagdrevier in der Lüneburger Heide. Es war echt romantisch, wenn wir mit gespitzten Ohren zu Füßen von Frauchen und Herrchen ansaßen. Die zwei unterhielten sich dann flüsternd über alles Mögliche und übersahen sämtliche Wildschweine.

Mareike ist – oh nein! Ich muss ja sagen, sie war – leitende Mitarbeiterin in einem Pfadfinderstamm. Wir haben das beide total gerne gemacht! Das Zusammensein mit den Kindern, die Geschichten am Lagerfeuer, die Zeltlager … Das war ein richtig schönes Hundeleben mit so einem naturverbundenen Frauchen!

An jenem Abend vor ein paar Wochen allerdings, das war der Anfang vom Ende. Mareike hatte mich, wie gesagt, bei Frau Breuer abgeholt. Auf dem Weg nach Hause plauderte sie nicht wie gewohnt fröhlich mit mir, sondern schien irgendwie sehr nachdenklich. Ich hätte spätestens dann misstrauisch werden müssen, als sie ihre Jacke ordentlich auf einen Bügel hängte, ihre Schuhe auf das Schuhregal stellte und ihre Aktentasche neben ihrem Schreibtisch parkte. Aber ich war ja noch voller Vorfreude auf unser Fastfood. Das fiel allerdings komplett aus. Mareike beschäftigte sich stattdessen mit Plastiktüten in der Küche. Aus einer zog sie tatsächlich eine Schürze hervor und band sie um. Dann raschelte sie mit einer Packung Bio-Hundetrockenfutter und schüttete etwas davon in meinen Napf. Bäh! Ein Gestank, dass jedem richtigen Hund davon übel wird, kann ich Ihnen nur sagen. Als Nächstes hantierte sie mit grünem Salat, Tomaten, Zwiebeln, Essig und Öl und richtete alles in einer Schüssel an. Dazu röstete sie sich Vollkornbrot. Sie deckte sich den kleinen Tisch in der Küche, stellte Mineralwasser dazu und platzierte meinen Napf zu ihren Füßen.

»So, Oskar«, sagte sie, nachdem sie auf dem Küchenstuhl Platz genommen hatte. »Wie du siehst, wird ab heute manches anders. Gestern hat mir eine Kollegin ein Buch geliehen, guck hier.« Sie zeigte mir ein ziemlich dickes Taschenbuch. Lesen kann ich ja nicht. Aber ich konnte das Titelfoto erkennen. Die Köpfe von zwei dieser unsympathischen Großtiere, die in Wüsten herumlaufen, grinsten mich an. Offensichtlich handelte es sich um eines jener Bücher, die mit unterhaltsamem Witz werben. »Das ist ein wirklich flott geschriebener Ratgeber«, sagte Mareike auch prompt. »Er heißt: ›Die Kamel-Strategie – Schaukel dich in Balance‹. Witzig, aber trotzdem tiefsinnig. Ich habe gestern in der Bahn schon angefangen zu lesen. Und heute in der Mittagspause habe ich gleich meine ersten Einkäufe erledigt. Ich habe endlich verstanden, was sich in meinem Leben ändern muss.«

Frauchen philosophierte dann noch eine Weile. Darüber, dass sie bisher nur einseitig gelebt habe. Dabei stecke in ihr doch mehr als das chaotische Naturkind, das nicht gerne kocht. Das Buch habe ihr klar gemacht, worin der Grund für ihre Sprunghaftigkeit liege. Ihre Geschwisterkonstellation sei schuld. In ihr, dem Nesthäkchen, habe sich erwachsene Reife nie entfalten können. Nun aber könne sie selbst für den Ausgleich sorgen. Es sei an der Zeit, die disziplinierte Lady zum Vorschein kommen zu lassen. Dann würde sie auch endlich den Mann fürs Leben finden.

Ich winselte, ich jaulte, ich ließ meinen Schwanz hängen. Aber sie reagierte nicht. Der Mann fürs Leben war doch schon längst aufgetaucht! Merkte sie denn nicht, wie verliebt Ben sie oft anschaute? Er mag mein kleines, quirliges Frauchen, deren dunkle Locken immer so aussehen, als wäre sie gerade aus dem Bett gekommen. Er steht nicht auf Kostüme und Pumps und gehobene Küche. Er mag sie im Pfadfinderhemd, das noch heftig nach Lagerfeuer riecht. Ich mag sie so auch! Und bisher konnte sie sich so auch gut leiden.

Aber seit jener verhängnisvollen Begegnung mit der »Kamel-Strategie« verkleidet sie sich. Sie hat sich ein Glätteisen gekauft und trägt jetzt als Frisur einen Helm – so einen gezirkelten Bob. Viele T-Shirts und Jeans sind in der Altkleidersammlung gelandet, stattdessen hängen Hosenanzüge und Blusen in ihrem Schrank. Bei den Pfadfindern sucht sie eine Nachfolgerin, und Quizsendungen schauen wir auch nicht mehr. Dafür gibt es langweilige Politmagazine. Oder Kochsendungen. Wenn dieser ewig grinsende Lafer auf dem Bildschirm erscheint, zieh ich meinen Schwanz ein. Manchmal lässt Mareike mich jetzt auch über Nacht bei Frau Breuer, dann macht sie in Hamburg auf Kultur. Sie geht tatsächlich ins Ballett oder in die Oper! Die Jagdausflüge bei Vollmond dagegen wurden immer seltener. Es gab kaum noch inniges gemeinsames Wittern mit Miss Marple. So heißt sie nämlich, meine große Liebe. Was für ein netter Mensch, der sich so einen wunderbaren Namen für seinen Hund ausdenkt!

Inzwischen haben sich diese herrlichen Zeiten ganz erledigt. Seit dem letzten großen Streit ist es vorbei. Ben hatte sich bitter beklagt, dass Frauchen nicht mehr sie selbst sei. Er warf ihr Reizbarkeit und Unausgeglichenheit vor. Und er hat recht! Immer, wenn wir jetzt in Pinneberg bei Burger King vorbeikommen, zerrt Mareike mich grob weiter. Sie tut, als interessierten Burger sie nicht mehr, dabei läuft ihr genauso das Wasser im Mund zusammen wie mir. Aber wenn man sie auf diese Widersprüche aufmerksam macht, rastet sie aus. »Ich will nicht ausgeglichen sein, hörst du«, hatte sie den traurigen Ben bei diesem letzten Streit angeschrien, »alles, was ich will, ist ein Leben in Balance!«

Ben nimmt jetzt die Bäckerstochter zum Ansitzen mit. Die riecht zwar nicht nach Lagerfeuer, bloß nach Zigaretten, aber sie läuft gerne mit ihrem Collie durch den Wald. Das Vieh ist ziemlich mollig. Leider mag meine angebetete Retriever-Dame Speck auf Rüden-Rippen. Ich dagegen bin unterdessen der magerste Cockerspaniel in ganz Schleswig-Holstein. Kein Wunder, bei dem ätzenden Biotrockenfutter! Ohne Frau Breuers Fleischwürste wäre ich längst verhungert. Auch sonst sehe ich erbarmungswürdig aus. Das meinte Miss Marple bei unserm letzten Gebell. Sie hätte das neugierige Zucken meiner Schlappohren so gemocht, sagte sie. Jetzt hingen die immer nur noch schlaff runter. Und der Glanz in meinen schönen Augen sei auch verschwunden.

Glauben Sie, es gibt noch Hoffnung für mich? Kann es sein, dass Frauchen, wenn sie lange genug auf Kamel-Art geschaukelt hat, ihre echte Mitte findet? Ich erwarte ja gar nicht, dass es ganz genauso wird wie früher. Gerne kann sie zu einer ordentlichen Tiefkühlpizza einen Salat machen. Ich wäre auch schon zufrieden, wenn sie wenigstens Chappi für mich kaufen würde. Am meisten wünsche ich mir, dass sie wieder so fröhlich wird wie früher. Für ihr ansteckendes Lachen und ihr zärtliches Kuscheln würde ich mich vielleicht sogar an dieses Biozeug gewöhnen wollen.

Die Erfinder der »Kamel-Strategie« würde ich gerne kräftig in die Waden beißen. Oder ihnen wenigstens ans Bein pinkeln! Ist denen nicht klar gewesen, dass alle, die dranhängen, mitwackeln, wenn so ein Kamel anfängt, sich in Balance zu schaukeln? Jaul!

Annekatrin Warnke, geboren 1962 in Iserlohn, machte nach dem Abitur eine Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder. Sie schreibt für die Zeitschriften Ethos, Christsein heute oder JOYCE. Als Referentin, zum Beispiel für Frauenfrühstückstreffen, ist sie in ganz Deutschland unterwegs. Als Dozentin und Autorin unterstützt sie christliche Theaterarbeit. www.drama-ministry.de

Die wunderbare Welt
der Wonneproppen

Saskia Barthelmeß

»Gratuliere, Sie erwarten ein Kind!« Als ich diesen Satz vor fast sieben Jahren zum ersten Mal hörte, wusste ich noch nicht, was da zusammen mit meinem Kind – sozusagen als Gratis-Bonus – noch unterwegs zu mir war: Das »Ich-will-eine-perfekte-Mutter-sein-und-weiß-nicht-wie«-Paket! Dieses Paket hatte ich weder bestellt noch gewollt. Doch seit diesem Tag begleitet es mich treu. Und ich befürchte, dass es nicht mehr von meiner Seite weichen wird!

Natürlich freuten sich mein Mann und ich sehr, als wir erfuhren, dass wir Eltern würden. Doch uns war auch sehr bewusst, dass wir keine Ahnung davon hatten, wie man ein Kind bekommt, großzieht und lebenstüchtig macht. Deshalb deckten wir uns mit allem ein, was wir kriegen konnten: Babyzeitschriften, Stillbücher, Erziehungsratgeber. Ich las und las und las. Ich fragte bei erfahrenen Müttern nach. Wir diskutierten über die richtige Geburtsklinik, die richtigen Windeln, die richtigen Spielsachen. Schließlich wollte ich es als Mutter nicht nur gut machen, sondern perfekt! Und die vielen schönen Ratgeber, die sollten mir dabei helfen.

Aus sämtlichen Babyzeitschriften lächelten mir gut aussehende, schlanke und geschminkte Mamas entgegen, die ebenso wohlgeratene und fröhliche Babys im Arm hielten. Oh ja, das wollte ich auch! Stolz mein Baby herumzeigen und entzückten Komplimenten von Freunden und Verwandten lauschen. Ich freute mich auf dieses vollkommene Mutterglück, das nun in greifbarer Nähe vor mir lag. Mit jedem Zentimeter, den mein Bauch wuchs, fühlte ich mich ein wenig besser beraten und vorbereitet. Natürlich gab es auch Momente, in denen ich mich fragte, wie ich die Geburt und die durchwachten Nächte schaffen sollte. In denen die Angst in mir hochkroch: »Und was, wenn mit dem Baby etwas nicht in Ordnung ist?« Doch dann nahm ich noch eine Zeitschrift zur Hand und träumte mich in die wunderbare Welt des Mamaseins hinein. So viele gute Tipps, so lebensnahe Ratschläge – da konnte ja nichts mehr schiefgehen!

Dann ging sie los, die Geburt! Ich fühlte mich wie im Film – nur im falschen! In den langen Stunden im Kreißsaal suchte ich sie überall, die strahlende Mama. Doch sie war verschwunden! Nichts hatte mich auf die Schmerzen der Geburt vorbereitet. Kein Artikel, den ich gelesen hatte, hatte von diesem übermächtigen Gefühl des Ausgeliefertseins erzählt. Das Einzige, was mich durchhalten ließ, war der Gedanke an unser Baby. Nach einem ungeplanten Kaiserschnitt war er dann da – unser Sohn. Doch statt mich anzustrahlen, lag unser Kleiner apathisch in meinem Arm und wollte nicht trinken. Was die Ärzte anfangs noch als unbedenklich ansahen, veranlasste sie nach vier Tagen, unseren Sohn in die Kinderklinik zu überweisen. Dort begann ein Untersuchungs-Marathon. Jede Blutabnahme und jedes neue Arztgespräch gab mir einen Stich ins Herz. Hilflos saßen mein Mann und ich an Noahs Bett. Statt Glückwunschkarten zu lesen und die ersten Spaziergänge mit dem Kinderwagen zu unternehmen, blickten wir stundenlang auf Geräte, Schläuche, Überwachungsinstrumente. Und zwischen all den Apparaten unser Kind, so klein und so verletzlich. Ich hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Ich war müde. Ich war erschöpft. Ich fühlte mich betrogen. Wo war sie, die wunderbare Welt der Wonneproppen?

Nun, wahrscheinlich lag es an mir. Ich hatte versagt. Hatte es nicht geschafft, mein Baby auf natürliche Weise auf die Welt zu bringen. Statt es zu stillen, gab ich ihm die Milch durch eine Sonde und später in der Flasche. Viele verzweifelte Tränen weinte ich in dieser Zeit, Tränen der Wut und der Enttäuschung. So gerne hätte ich eine Super-Mama sein wollen. Warum hatte Gott es zugelassen, dass ich hier wie ein Häufchen Elend saß und nicht wusste, was ich mit diesem neuen Leben anfangen sollte, das sich so gar nicht strahlend anfühlte?

Die Geburt unseres Sohnes stürzte mich in eine Lebenskrise. Ich glaubte doch an Jesus. Ich wollte treu den Weg mit ihm gehen. Ich brachte mich in einer Gemeinde ein. Wir hatten von Anfang an für dieses Kind gebetet. Warum mutete Gott uns das zu? Schließlich hatte ich meinen Teil der Abmachung erfüllt, warum erfüllte Gott dann seinen nicht? Zu der Sorge um unser Baby und die zehrenden Stunden in der Klinik kamen all diese quälenden Fragen hinzu. Mein Herz fand keine Ruhe. Alles war auf den Modus »Funktionieren« eingestellt, innerlich war ich wie erfroren. War es denn zu viel, sich ein gesundes Kind zu wünschen? Hatten wir irgendetwas falsch gemacht? Warum nur war mir der Einlass in die schöne Welt der Super-Mamas verwehrt worden?

Stunde um Stunde verging, während ich am Bett unseres Kindes saß und nicht viel mehr tun konnte, als es zu streicheln und anzuschauen. Ganz langsam kam der Sturm in meinem Inneren zur Ruhe. Nach und nach konnten zwei kleine Pflänzchen in meinem Herzen wachsen: Die Liebe zu unserem Sohn. Und die Gewissheit, dass Jesus uns nicht allein gelassen hatte. Die Liebe wuchs schnell. Mit jedem Augenaufschlag von Noah. Wenn er nach meiner Hand griff oder einen Quietschlaut von sich gab. Das andere Pflänzchen brauchte viel, viel länger. Es wuchs ein Stück, wenn Freunde vorbeikamen und uns – inmitten der Verzweiflung – zum Lachen brachten. Wenn eine Krankenschwester sich über unsere aufopfernde Liebe zu unserem Kind freute. Es wuchs, wenn wir von den vielen Leuten hörten, die für uns und Noah beteten.

Anfangs hatte ich noch den Traum gehabt, dass die Zeit in der Kinderklinik nur ein Umweg zu unserem perfekten Elternglück gewesen war. Eine kleine Schleife sozusagen, bevor wir auf den richtigen Weg ins Wunderland einbogen. Doch auch dieser Traum zerplatzte. Bei Noah wurde eine genetische Muskelschwäche diagnostiziert, die sein ganzes Leben lang präsent sein wird. Jeden Entwicklungsschritt nimmt er viel später als andere Kinder, mit sehr viel mehr Mühe. Manche wird er vielleicht gar nicht nehmen. Wir wissen es nicht.

Die schwere Zeit nach Noahs Geburt hatte viel in unserem Leben verändert. Doch sie hatte mich nicht von meiner Sehnsucht nach dem Glück aus den Babyzeitschriften geheilt. Richtig bewusst wurde mir das allerdings erst, als ich – zwei Jahre später – mit unserem zweiten Kind schwanger war. Natürlich war mir inzwischen klar, dass beim Kinderkriegen nicht immer alles reibungslos abläuft. Trotzdem hoffte ich im Stillen, dass es dieses Mal näher am Perfekten dran sein würde.

Im Kreißsaal tauchte sie zwar wieder nicht auf, die strahlende Mama, aber – hurra – unsere Tochter wurde auf natürlichem Weg geboren. Sie schrie sofort, sie trank anstandslos. Wonneproppenwelt, lass dich umarmen! Äußerlich stimmte alles, doch meine Gefühle spielten verrückt. Es gab kaum einen Augenblick, in dem ich mich wie in einer Wunderwelt fühlte. Nicht beim endlosen Wickeln von zwei Kinderpopos. Nicht an den zahllosen Abenden, die ich auf einem großen Pezziball verbrachte, um Fiona zum Einschlafen zu bekommen. Und schon gar nicht, wenn mir im Spiegel eine Frau im Schlafanzug mit zerzausten Haaren und bleicher Gesichtsfarbe entgegenblickte, die keinerlei Ähnlichkeit mit einem Mama-Covergirl hatte.

Der Gedanke, so absurd er mir anfangs auch erschien, blitzte nun immer öfter in meinem Kopf auf: Könnte es vielleicht sein, dass die wunderbare Welt der lächelnden Mütter und ihrer süßen Babys nur in den Zeitschriften und Büchern existierte und rein gar nichts mit der Realität zu tun hatte? Eiferte ich etwa einem Phantom nach?

Nach fast sieben Jahren Mama-Sein und zahllosen Gesprächen mit anderen Müttern, weiß ich heute: Es gibt sie in Wirklichkeit nicht, die perfekte Mama. Ich habe sie noch nie getroffen und kenne auch niemanden, der sie persönlich kennt. Doch an einem Ort treibt sie dennoch ihr Unwesen: in meinem Kopf. Und da richtet sie jede Menge Schaden an. »Was? Du schaffst es nicht, dein Kind zu stillen? Minuspunkte!« – »Dein Baby hört nicht auf zu schreien? Du hast wirklich keine Ahnung!« – »Schon wieder hast du dein Kind angeschrien? Du bist eine miserable Mutter!«

Die Ratgeber-Mama wohnt in meinem Kopf, und sie ernährt sich von jedem neuen Artikel und jeder Fernsehsendung über die »richtige« Kindererziehung. Wenn ich sie füttere, wird sie in meinem Leben riesengroß. Jede andere Mutter, die scheinbar mühelos ihren Alltag bewältigt, ist dann eine Bedrohung für mich. Ich fühle mich ungenügend und habe Mitleid mit meinen Kindern. Nachdem ich viele (zu viele) Stunden mit solch zermürbenden Gedanken verbracht habe, ist mir eines Tages klar geworden: Es gibt nur einen Weg! Ich muss sie verhungern lassen, die Super-Mama! Statt mich mit anderen Müttern und ihren Kindern zu beschäftigen, schaue ich jetzt lieber auf meine Kids und meine Möglichkeiten. Und ich fülle mein Herz mit wahren Ratgeber-Worten – von Gott, meinem Mann und guten Freunden.