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Über den Autor

RAINER MARIA RILKE (1875–1926) war nur ein äußerst kurzes Leben vergönnt, denn er starb gerade einmal einundfünzigjährig an Leukämie. Umso beachtlicher ist der umfangreiche Nachlass, den er hinterließ und der neben zahlreichen Gedichtsammlungen auch dramatische Werke, Schriften zu Kunst und Literatur des 20. Jahrhunderts sowie einen umfangreichen Briefwechsel mit bedeutenden Denkern seiner Zeit umfasst.

Zum Buch

Rainer Maria Rilke war der prägende Poet des ausgehenden 20. Jahrhunderts und einer der bedeutendsten deutschen Lyriker überhaupt. Unerreicht sind seine eigenwilligen und faszinierend schönen Sprachbilder, in denen er das Leben als eine Erfahrung preist, die uns jeden Tag aufs Neue zum Kind werden lässt. Diese Erfahrung gelingt, wenn wir bereit sind, uns auf die beiden großen Fragen des Menschseins – die Liebe und den Tod – ganz einzulassen.

Die vorliegende Anthologie versammelt in Auswahl Gedichte aus Mir zur Feier, Das Stundenbuch, Neue Gedichte, Der Neuen Gedichte anderer Teil u.a.

Gravitätszentrum von Rilkes Gedichten ist ein Ich, das auf der Suche nach sich selbst ist. Mithilfe der Sprache erschafft es eine Welt von außerordentlicher poetischer Kraft und subtiler Psychologie, in der eine Gazelle, ein Schwan oder ein Panther, ja sogar eine Treppe, ein Ball und ein Balkon zu symbolischen Spiegelungen der Innenwelt werden. Einer Welt, deren Reiz darin gründet, dass sie der Realität ganz nah bleibt und dabei doch unvermutete, utopische Räume von berückender sprachlicher Schönheit schafft.

Rainer Maria Rilke

Du musst das Leben nicht verstehen

Rainer Maria Rilke

Du musst das
Leben nicht verstehen

Schöne Gedichte

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Alle Rechte vorbehalten

Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2012
Redaktion: Stefanie Evita Schaefer, marixverlag GmbH
Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH
Bildnachweis: Engel, Jugendstil-Illustration
eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

ISBN: 978-3-8438-0299-4

www.marixverlag.de

INHALT

Gedichte, die keine Überschrift haben, wurden mit ihrer ersten Verszeile in das Inhaltsverzeichnis aufgenommen. Diese dient in einigen Fällen gleichfalls als Rubriktitel einzelner, thematisch zusammengehörender Gedichte. In allen anderen Fällen ist die Quelle an der entsprechenden Stelle angegeben.

I. Mir zur Feier. Eine Auswahl (1897–1898)

»Du musst das Leben nicht verstehen«

Ich bin so jung

Ich will ein Garten sein

Ich will nicht langen nach dem lauten Leben

Und einmal lös ich in der Dämmerung

Du musst das Leben nicht verstehen

Ich möchte werden wie die ganz Geheimen

Vor lauter Lauschen und Staunen sei still

Träume, die in deinen Tiefen wallen

Engellieder

Ich ließ meinen Engel lange nicht los

Und ich ahne

Gehst du außen die Mauern entlang

Schau wie die Zypressen schwärzer werden

Erste Rosen erwachen

Im flachen Land war ein Erwarten

Lieder der Mädchen

Ihr Mädchen seid wie die Kähne

Eh der Garten ganz beginnt

Alle Straßen führen

Noch ahnst du nichts vom Herbst des Haines

Gebete der Mädchen zur Maria

Du wolltest wie die andern sein

Dein Garten wollt ich sein zuerst

Oh, dass wir so endlos werden mussten!

Mir wird mein helles Haar zur Last

Es ist noch Tag auf der Terrasse

Das sind die Stunden, da ich mich finde

Der Abend ist mein Buch

Oft fühl ich in scheuen Schauern

Und so ist unser erstes Schweigen

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort

Nenn ich dich Aufgang oder Untergang?

Senke dich, du langsame Serale

II. Das Stundenbuch. Eine Auswahl (1899–1903)

Erstes Buch. Das Buch vom mönchischen Leben (1899)

Da neigt sich die Stunde und rührt mich an

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen

Wir dürfen dich nicht eigenmächtig malen

Ich liebe meines Wesens Dunkelstunden

Wenn es nur einmal so ganz stille wäre

Ich lebe grad, da das Jahrhundert geht

Ich lese es heraus aus deinem Wort

Wer seines Lebens viele Widersinne versöhnt

Ich finde dich in allen diesen Dingen

Der Ast vom Baume Gott

Was wirst du tun, Gott, wenn ich sterbe?

Ich weiß: Du bist der Rätselhafte

Gott spricht zu jedem nur, eh er ihn macht

Zweites Buch. Das Buch von der Pilgerschaft (1901)

Ich bin derselbe noch

Lösch mir die Augen aus

Und doch, obwohl ein jeder von sich strebt

Alle, welche dich suchen, versuchen dich

Jetzt reifen schon die roten Berberitzen

Drittes Buch. Das Buch von der Armut und vom Tode (1903)

Oh Herr, gib jedem seinen eignen Tod

Du, der du weißt

Betrachte sie und sieh, was ihnen gliche

Sie sind so still

Und wenn sie schlafen

Oh wo ist der, der aus Besitz und Zeit zu seiner großen Armut so erstarkte

III. Das Buch der Bilder.
Eine Auswahl (1902 und 1906)

Des Ersten Buches Erster Teil

Eingang

Aus einem April

Von den Mädchen

Das Lied der Bildsäule

Die Liebende

Die Braut

Die Stille

Musik

Die Engel

Kindheit

Aus einer Kindheit

Des Ersten Buches Zweiter Teil

Initiale

Zum Einschlafen zu sagen

Menschen bei Nacht

Der Nachbar

Der Einsame

Bangnis

Einsamkeit

Herbsttag

Erinnerung

Ende des Herbstes

Herbst

Am Rande der Nacht

Fortschritt

Vorgefühl

Abend in Skåne

Abend

Des Zweiten Buches Erster Teil

Initiale

Verkündigung

Des Zweiten Buches Zweiter Teil

Von den Fontänen

Der Lesende

Der Schauende

Schlussstück

IV. Neue Gedichte. Eine Auswahl (1906–1907)

»Beginn immer von Neuem die nie zu erreichende Preisung«

Früher Apollo

Der Dichter

Der Tod des Dichters

Buddha

Kindheit

Die Erwachsene

Die Genesende

Liebes-Lied

Todes-Erfahrung

»Warum wird dieses Finden nicht geringer?«

Vor dem Sommerregen

Blaue Hortensie

Die Fensterrose

In einem fremden Park

Der Panther

Die Gazelle

Das Einhorn

Der Schwan

»Nirgends wird Welt sein, als innen«

Sankt Sebastian

Römische Sarkophage

Das Karussell

Die Treppe der Orangerie

Buddha

Römische Fontäne

Die Rosenschale

V. Der Neuen Gedichte anderer Teil. Eine Auswahl (1907–1908)

»Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang«

Archaïscher Torso Apollos

Venezianischer Morgen

Spätherbst in Venedig

San Marco

»Erst war es immer, und dann war es nicht«

Adam

Eva

Fremde Familie

Schlaflied

Der Tod der Geliebten

Begegnung in der Kastanien-Allee

»Mit allen Augen sieht die Kreatur das Offene«

Papageien-Park

Die Flamingos

Leda

Rosa Hortensie

Das Rosen-Innere

Der Käferstein

»Was bin ich unter diese Unendlichkeit gelegt?«

Der Blinde

Das Kind

Dame auf einem Balkon

Dame vor dem Spiegel

Übung am Klavier

Die Liebende

Der Leser

»Denn Bleiben ist nirgends«

Die Sonnenuhr

Der Balkon

Der Ball

Buddha in der Glorie

VI. Sammlung der verstreuten und nachgelassenen Gedichte aus den mittleren und späten Jahren (1906–1926)

»Wie hat uns der zu weite Raum verdünnt«. Liebesgedichte (1909–1924)

Liebesanfang

Vergiss

Gib mir Liebe

Wie hat uns der zu weite Raum verdünnt

Warst du’s, die ich im starken Traum umfing

Weißt du noch

Spiegelungen

Einmal nahm ich zwischen meine Hände dein Gesicht

Welt war in dem Antlitz der Geliebten

Heb mich aus meines Abfalls Finsternissen

Wie das Gestirn

Immer wieder

Lied

»Was sich ins Bleiben verschließt, schon ists das Erstarrte«. Wandlungsgedichte (1906–1924)

Indem das Leben nimmt und gibt und nimmt

Oh Leben Leben, wunderliche Zeit

… Und sagen sie das Leben sei ein Traum

Vorfrühling

Wilder Rosenbusch

Spaziergang

Oh sage, Dichter, was du tust?

Berühre ruhig mit dem Zauberstabe

Mein scheuer Mondschatten

Es winkt zu Fühlung fast aus allen Dingen

Empfange nun von manchem Zweig ein Winken

Irgendwo blüht die Blume des Abschieds

Sei allem Abschied voran

Öfter, fühlend

Auch noch Verlieren ist unser

Nachwort

I.

MIR ZUR FEIER

EINE AUSWAHL

(1897–1898)

»DU MUSST DAS LEBEN
NICHT VERSTEHEN
«

Das ist die Sehnsucht: wohnen im Gewoge
und keine Heimat haben in der Zeit.
Und das sind Wünsche: leise Dialoge
täglicher Stunden mit der Ewigkeit
.

Und das ist Leben. Bis aus einem Gestern
die einsamste von allen Stunden steigt,
die, anders lächelnd als die andern Schwestern,
dem Ewigen entgegenschweigt
.

ICH BIN SO JUNG

Ich bin so jung. Ich möchte jedem Klange,
der mir vorüberrauscht, mich schauernd schenken,
und willig in des Windes liebem Zwange,
wie Windendes über dem Gartengange,
will meine Sehnsucht ihre Ranken schwenken,

Und jeder Rüstung bar will ich mich brüsten,
solang ich fühle, wie die Brust sich breitet.
Denn es ist Zeit, sich reisig auszurüsten,
wenn aus der frühen Kühle dieser Küsten
der Tag mich in die Binnenlande leitet.

ICH WILL EIN GARTEN SEIN

Ich will ein Garten sein, an dessen Bronnen
die vielen Träume neue Blumen brächen,
die einen abgesondert und versonnen,
und die geeint in schweigsamen Gesprächen.

Und wo sie schreiten, über ihren Häupten
will ich mit Worten wie mit Wipfeln rauschen,
und wo sie ruhen, will ich den Betäubten
mit meinem Schweigen in den Schlummer lauschen.

ICH WILL NICHT LANGEN
NACH DEM LAUTEN
LEBEN

Ich will nicht langen nach dem lauten Leben
und keinen fragen nach dem fremden Tage:
Ich fühle, wie ich weiße Blüten trage,
die in der Kühle ihre Kelche heben.

Es drängen Viele aus den Frühlingserden,
darinnen ihre Wurzeln Tiefen trinken,
um nicht mehr könnend in die Knie zu sinken
vor Sommern, die sie niemals segnen werden.

UND EINMAL LÖS ICH IN
DER
DÄMMERUNG

Und einmal lös ich in der Dämmerung
der Pinien von Schulter und vom Schoß
mein dunkles Kleid wie eine Lüge los
und tauche in die Sonne bleich und bloß
und zeige meinem Meere: ich bin jung.

Dann wird die Brandung sein wie ein Empfang,
den mir die Wogen festlich vorbereiten.
Und eine jede zittert nach der zweiten, –
wie soll ich ganz allein entgegenschreiten:
das macht mich bang …
Ich weiß: die hellgesellten Wellen weben
mir einen Wind;
und wenn der erst beginnt,
so wird er wieder meine Arme heben –

DU MUSST DAS LEBEN
NICHT VERSTEHEN

Du musst das Leben nicht verstehen,
dann wird es werden wie ein Fest.
Und lass dir jeden Tag geschehen
so wie ein Kind im Weitergehen
von jedem Wehen
sich viele Blüten schenken lässt.

Sie aufzusammeln und zu sparen,
das kommt dem Kind nicht in den Sinn.
Es löst sie leise aus den Haaren,
drin sie so gern gefangen waren,
und hält den lieben jungen Jahren
nach neuen seine Hände hin.

ICH MÖCHTE WERDEN WIE
DIE GANZ
GEHEIMEN

Ich möchte werden wie die ganz Geheimen:
Nicht auf der Stirne die Gedanken denken,
nur eine Sehnsucht reichen in den Reimen,
mit allen Blicken nur ein leises Keimen,
mit meinem Schweigen nur ein Schauern schenken.

Nicht mehr verraten und mich ganz verschanzen
und einsam bleiben; denn so tun die Ganzen:
Erst wenn, wie hingefällt von lichten Lanzen,
die laute Menge tief ins Knieen glitt,
dann heben sie die Herzen wie Monstranzen
aus ihrer Brust und segnen sie damit.

VOR LAUTER LAUSCHEN
UND
STAUNEN SEI STILL

Vor lauter Lauschen und Staunen sei still,
du mein tieftiefes Leben;
dass du weißt, was der Wind dir will,
eh’ noch die Birken beben.

Und wenn dir einmal das Schweigen sprach,
lass deine Sinne besiegen.
Jedem Hauche gib dich, gib nach,
er wird dich lieben und wiegen.

Und dann meine Seele sei weit, sei weit,
dass dir das Leben gelinge,
breite dich wie ein Feierkleid
über die sinnenden Dinge.

TRÄUME, DIE IN DEINEN
TIEFEN WALLEN

Träume, die in deinen Tiefen wallen,
aus dem Dunkel lass sie alle los.
Wie Fontänen sind sie, und sie fallen
lichter und in Liederintervallen
ihren Schalen wieder in den Schoß.