Inhalt

Über den Autor

Zum Buch

Notiz

Brief eines ehemaligen Reisenden an einen sesshaften Freund

Erster Teil

I

II

III

IV

V

VI

VII

Zweiter Teil

I

II

III

IV Das Kloster der Inquisition

V

Dritter Teil

I

II

III

IV

V

Kontakt zum Verlag

Haupttitel

George Sand

Ein Winter auf Mallorca

Aus dem Französischen neu übersetzt
von Kerstin Adam
marixverlag
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.d-nb.de abrufbar.
 
Alle Rechte vorbehalten
 
Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2011
Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH
Bildnachweis: Johannes Vortmann, Gelsenkirchen
Lektorat: Dr. Bruno Kern, Mainz
eBook-Bearbeitung: Medienservice Feiß, Burgwitz
Gesetzt in der Palatino Ind Uni – untersteht der GPL v2 
ISBN: 978-3-8438-0002-0
 
www.marixverlag.de

Notiz

Dieses Buch trägt sein Entstehungsdatum in einem Widmungsbrief an meinen Freund François Rosina und den Grund seines Zustandekommens in den Betrachtungen zu Beginn des vierten Kapitels – ich kann sie nur wiederholen: »Warum reist man, wenn man nicht dazu gezwungen ist?« Heute, da ich von den gleichen Breitengraden zurückkomme, die ich an einem anderen Punkt Südeuropas überschritten habe, gebe ich mir dieselbe Antwort wie bei meiner Rückkehr von Mallorca: Es geht nicht so sehr ums Reisen als vielmehr ums Fortfahren. Wer von uns hat nie einen Schmerz gekannt, den es zu vertreiben galt, oder ein Joch, das abzuschütteln gewesen wäre?

Nohant, den 25. August 1855

George SAND

Brief eines ehemaligen Reisenden an einen sesshaften Freund

Du, der du sesshaft geworden bist aus Pflicht, mein lieber François, glaubst, dass ich, mitgerissen vom stolzen und launischen Zeitvertreib der Unabhängigkeit, in dieser Welt kein glühenderes Vergnügen erlebt habe, als Meere und Gebirge, Seen und Täler zu durchmessen. Und doch habe ich meine schönsten, meine angenehmsten Reisen an meinem Kamin gemacht, mit den Füßen am warmen Feuer und den Armen aufgestützt auf die abgewetzten Lehnen des Sessels meiner Großmutter. Ich bezweifle nicht, dass du ebenso angenehme und tausendmal poetischere Reisen unternimmst: Deswegen rate ich dir, nicht zu sehr der Zeit nachzutrauern, nicht den Anstrengungen, nicht deinem Schweiß, die du in den Tropen gelassen hast. Ebenso wenig deinen halb erfrorenen Füßen in den Ebenen des Pols, auch nicht den schrecklichen Stürmen auf dem Meer, nicht den Überfällen der Räuber sowie kleineren Gefahren, keine Erschöpfung die du jeden Abend aushalten musst, ohne deine Pantoffeln abzustreifen und ohne andere Beeinträchtigungen hinnehmen zu müssen als die Löcher, die dir die Zigarre ins Hemd brennt.

Um dich darüber hinwegzutrösten, dass du den wirklichen Raum und die körperliche Bewegung nicht erfährst, schicke ich dir den Bericht der letzten Reise, die ich außerhalb Frankreichs gemacht habe, damit du mich mehr bedauerst als du mich beneidest und damit du diese wenigen Momente der Bewunderung und Verzückung, die ich meinem Ungemach abgerungen habe, zu teuer bezahlt findest.

Dieser Bericht, den ich schon vor einem Jahr geschrieben habe, hat mir seitens der Bewohner Mallorcas außerordentlich fulminante und komische Diatriben eingebracht. Ich bedauere, dass sie zu lang sind, um als Anhang meiner Erzählung veröffentlicht zu werden. Der Ton, in dem sie nämlich verfasst sind, sowie die Art der an mich gerichteten Vorwürfe bestätigen nämlich meine Annahmen über die Gastfreundschaft, den Geschmack und die Zuvorkommenheit der Mallorquiner gegenüber Fremden. Dies wäre ein ziemlich seltsames Beweisstück: Allein, wer könnte es bis zum Ende lesen? Darüber hinaus: Wenn Eitelkeit und Dummheit darin liegt, Komplimente zu veröffentlichen, die man bekommen hat, läge nicht vielleicht noch mehr darin, heutzutage Aufhebens um Beleidigungen zu machen, deren Gegenstand man ist?

Ich erspare dir also dies alles und beschränke mich darauf, dir zu sagen, um die Einzelheiten, die ich dir über diese naive Bevölkerung Mallorcas schulde, zu vervollständigen, dass die geschicktesten Anwälte Palmas, vierzig an der Zahl, sich nachdem sie meinen Bericht gelesen hatten, versammelt haben, um mit vereinten Kräften ein schreckliches Schriftstück gegen den unmoralischen Schriftsteller aufzusetzen, der sich gestattet hatte, über ihre Habsucht und ihre Hingabe an die Schweineaufzucht zu lachen. Hier darf man ihnen wohl nachsagen, dass sie alle zusammen schlau wie zehn kleine Dörfer gewesen sind.

Aber lassen wir diese braven Leute in Frieden, die so aufgebracht gegen mich sind. Sie haben Zeit gehabt, sich zu beruhigen, und ich meinerseits hatte Zeit, ihre Handlungsweise und wie sie sprechen und schreiben zu vergessen. Ich erinnere mich unter den Insulanern dieses schönen Landes nur noch an fünf oder sechs Menschen, deren herzlicher Empfang und deren liebenswürdige Manieren immer als eine Entschädigung und eine Wohltat des Schicksals in meiner Erinnerung bleiben werden. Wenn ich sie nicht namentlich erwähnt habe, dann weil sie mich nicht für eine Persönlichkeit gehalten haben, die bedeutsam genug gewesen wäre, ihnen Ehre zu erweisen und sie durch meine Dankbarkeit auszuzeichnen; jedoch bin ich sicher (und ich glaube, es im Laufe meiner Erzählung erwähnt zu haben), dass sie mich ihrerseits in freundlichem Andenken behalten werden und sich durch meine respektlosen Spötteleien nicht gemeint fühlen werden und deshalb auch nicht an meiner Achtung für sie zweifeln werden.

Ich habe dir nichts von Barcelona erzählt, wo wir indes ein paar anstrengende Tage verbracht haben, bevor wir uns nach Mallorca eingeschifft haben. Es ist hinreißend, bei schönem Wetter und auf einem guten Dampfschiff von Port-Vendres nach Barcelona zu fahren. Wir begannen, an der Küste Kataloniens die Frühlingsluft wieder zu finden, die wir im November in Nîmes geatmet hatten, die uns aber nach Perpignan abhanden gekommen war; auf Mallorca wurden wir von Sommerhitze empfangen. In Barcelona machte eine frische Brise vom Meer die strahlende Sonne erträglich und fegte alle Wolken vom weiten Horizont, der in der Entfernung manchmal von schwarzen, kahlen, dann wieder von weiß verschneiten Gipfeln eingegrenzt war. Wir machten einen Ausflug aufs Land, nicht ohne dass die guten andalusischen Pferdchen, die uns zogen, ihren Hafer gefressen hatten, damit sie uns im Falle von unliebsamen Begegnungen wieder in die Mauern der Zitadelle bringen konnten.

Du weißt, dass damals (1838) überall in diesem Land Räuberbanden umherzogen, die einem den Weg versperrten, die in den Städten und Dörfern auftauchten und sogar den bescheidensten Behausungen etwas abpressten und sich in den Landhäusern einnisteten, die bis zu einer halben Meile vor der Stadt lagen, um dann, ohne dass man sich’s versah, hinter jedem Felsen hervorzuspringen um vom Reisenden das Geld oder Leben zu verlangen.

Wir jedoch wagten uns bis auf wenige Meilen ans Meer und trafen nur Delegationen von Christinos, die nach Barcelona unterwegs waren. Es hieß, dies seien die schönsten Truppen Spaniens; es waren ziemlich schöne Männer, nicht zu übel anzuschauen für Leute, die aus dem Felde kamen, aber Männer und Pferde waren so mager, die einen von einer solch gelblichen und blassen Gesichtsfarbe, die anderen mit solch hängenden Köpfen und mageren Flanken, dass man sie am Hunger leiden fühlte, sobald man ihrer ansichtig wurde.

Einen noch traurigeren Anblick boten die Mauern, die um die kleinsten Dörfer und die ärmlichsten Hütten herum errichtet worden waren: Ein kleiner Schutzwall aus groben Steinen – kein großer gezackter Turm –, der dick wie ein Kloß vor jeder Tür stand, oder niedrige Mäuerchen mit Schießscharten um jedes Dach zeugten davon, dass sich kein Bewohner dieser reichen Landschaft in Sicherheit wiegen konnte. An vielen Stellen trugen diese zerfallenen kleinen Schutzmauern jüngere Spuren von Angriffen und Verteidigungen.

Als wir durch die großartigen und gewaltigen Schutzmauern von Barcelona gekommen waren, durch ich weiß nicht wie viele Tore, über Zugbrücken, Thermen und Wälle, kündigte nichts mehr an, dass wir eine Stadt des Krieges betraten. Hinter einer dreifachen Reihe von Kanonen und durch Räubereien und den Bürgerkrieg vom Rest Spaniens abgeschnitten, ging die strahlende Jugend in der Sonne der Ramblas spazieren, einer langen Allee, die wie unsere Boulevards von Bäumen und Häusern gesäumt war: Die schönen Frauen waren graziös und kokett und ausschließlich mit dem Faltenwurf ihrer Mantillen und dem Spiel ihrer Fächer beschäftigt; die Männer kümmerten sich lachend, schwatzend und den Damen Blicke zuwerfend um ihre Zigarren, während sie sich über die italienische Oper unterhielten, und schienen sich nicht um das zu sorgen, was jenseits ihrer Mauern geschah. Aber wenn die Nacht hereingebrochen war, die Oper zu Ende und die Gitarren weit entfernt, wurde die Stadt den Wachgängen der Serenos übergeben, und man hörte, mitten im monotonen Rauschen des Meeres, nur noch die düsteren Rufe der Wachposten, Schüsse, die noch düsterer waren und in unregelmäßigen Abständen fielen, manchmal seltener, manchmal häufiger, von verschiedenen Orten aus, sei es ein Schusswechsel, seien sie vereinzelt, manchmal aus ziemlicher Entfernung, manchmal in der Nähe und stets bis zum frühen Morgengrauen. Dann kehrte über alle für ein oder zwei Stunden Stille ein, die Bürger schienen tief zu schlafen, während der Hafen erwachte und das Volk der Matrosen munter wurde.

Falls es einem während der vergnüglichen Stunden des Spaziergangs einfiel zu fragen, woher denn dieser seltsame und schreckliche Lärm des Nachts gekommen war, wurde einem lächelnd geantwortet, dies ginge niemanden etwas an, und es sei unvorsichtig, sich danach zu erkundigen.

Erster Teil

I

Zwei englische Touristen entdeckten vor ungefähr fünfzig Jahren, glaube ich, das Tal von Chamonix, so bezeugt es eine Inschrift, die in einen Felsbrocken am Eingang zum Gletscher Mer de glace gemeißelt ist.

Dies scheint ziemlich anmaßend, wenn man die geografische Position dieses Tages in Betracht zieht, aber bis zu einem gewissen Grad gerechtfertigt, wenn diese Touristen, deren Namen ich nicht behalten habe, die Ersten gewesen sind, welche die Dichter und Maler auf diesen romantischen Ort aufmerksam gemacht haben, wo Byron sein bewundernswertes Drama »Manfred« erträumt hat.

Man kann ganz allgemein sagen, indem man den modischen Standpunkt einnimmt, dass die Schweiz erst von der guten Gesellschaft und den Künstlern vor einem Jahrhundert entdeckt wurde. Jean-Jacques Rousseau ist der wirkliche Christopher Columbus der Alpendichtung und, wie Chateaubriand so treffend beobachtet hat, der Vater der Romantik in unserer Sprache.

Da ich nicht die gleichen Ansprüche auf Unsterblichkeit erheben kann wie Jean-Jacques und nun nach welchen suche, die ich haben könnte, wurde ich gewahr, dass ich mich vielleicht auf die gleiche Art und Weise wie die beiden Engländer dadurch auszeichnen könnte, nicht etwa das Tal von Chamonix, sondern die Insel Mallorca entdeckt zu haben. Aber die Welt ist heutzutage so anspruchsvoll geworden, dass es mir nicht genügen würde, meinen Namen in irgendeinen Felsen der Balearen meißeln zu lassen. Man hätte von mir eine ziemlich genaue Beschreibung verlangt, oder wenigstens einen ziemlich poetischen Bericht meiner Reise, um den Touristen das Verlangen zu vermitteln, sie auf mein Wort hin zu unternehmen; und da mich diese Gegend nicht in eine überschwängliche Geistesverfassung versetzt hatte, verzichtete ich auf den Ruhm meiner Entdeckung und habe sie weder auf dem Granit noch auf dem Papier verewigt.

Hätte ich unter dem Eindruck des Kummers und Ungemachs geschrieben, die ich damals zu gewärtigen hatte, nie hätte ich mich dieser Entdeckung rühmen können; denn jedermann hätte mir nach dem Lesen meiner Erzählung gesagt, dass hierzu kein Grund bestünde. Und doch gibt es einen solchen, dies wage ich heute zu sagen; für die Maler ist Mallorca tatsächlich eine der schönsten Gegenden der Welt und eine der unbekanntesten. Dort, wo es nur malerische Schönheit zu beschreiben gibt, ist die literarische Produktion so ärmlich und ungenügend, dass ich nicht einmal daran dachte, sie zu übernehmen. Es bedarf des Stiftes und Griffels eines Zeichners, um die Erhabenheit und Schönheit der Natur den Reisenden vor Augen zu führen.

Wenn ich also heute die Lethargie meiner Erinnerungen wachzurütteln versuche, so liegt das daran, dass ich unlängst eines Morgens auf meinem Tisch einen hübschen Band mit folgendem Titel gefunden habe: »Erinnerungen an eine Kunstreise auf die Insel Mallorca von J.-B. Laurens«.

Es war für mich eine wahre Freude, Mallorca und seine Palmen, seine Aloepflanzen, seine arabischen Monumente und seine griechischen Kostüme wieder zu finden. Ich erkannte alle Orte mit ihrer poetischen Farbe wieder und empfand aufs Neue die Eindrücke, die ich bereits für vergessen hielt. Es gab keine Hütte, kein Gesträuch, das in mir nicht eine Welt von Souvenirs, wie man heute sagt, wachgerufen hätte. Daraufhin fühlte ich mich in der Lage, wenn nicht meine Reise, so doch die Eindrücke des Herrn Laurens nachzuerzählen, eines intelligenten und fleißigen Künstlers, flink und gewissenhaft in der Ausführung seiner Werke, dem sicherlich die Ehre gebührt, die ich mir zuteil werden ließ, nämlich die Insel Mallorca entdeckt zu haben.

Diese Reise des Herrn Laurens durch das Mittelmeer und an dessen Ufern enträt bisweilen genauso wie seine Bewohner der Gastlichkeit und ist daher umso verdienstvoller als die Wanderung unserer beiden Engländer durch die Alpen. Dennoch wird Mallorca bald der Schweiz zum Nachteil gereichen, da unsere europäische Zivilisation es geschafft hat, weitestgehend Zöllner und Gendarmen, diese konkreten Verdeutlichungen des Misstrauens und der nationalen Antipathien, abzuschaffen und die Dampfschifffahrt direkt von unseren Küsten nach dorthin zu organisieren. Man wird nämlich in ebenso kurzer Zeit dorthin reisen können und gewiss ebenso gefällige Schönheit und fremde Größe und Erhabenheit vorfinden, die der Malerei zum neuen Gegenstand gereicht.

Heute kann ich ruhigen Gewissens diese Reise nur körperlich robusten Künstlern leidenschaftlichen Geistes empfehlen. Sicherlich wird eine Zeit kommen, da zartere Kunstliebhaber, vielleicht sogar hübsche Damen sich in Palma ohne mehr Anstrengungen als in Genf werden aufhalten können.

Herr Laurens, den man lange mit Herrn Taylor und seinen kunstvollen Arbeiten über die historischen Monumente Frankreichs in Verbindung brachte, und der nun auf sich gestellt ist, hatte sich letztes Jahr vorgenommenen, die Balearen, über die es so wenig Auskünfte gibt, zu besichtigen, und er gibt zu, klopfenden Herzens an Land gegangen zu sein, da ihn dort vielleicht zahlreiche Enttäuschungen erwarten würden als Antwort auf seine goldenen Träume. Aber was er dort suchte, sollte er finden, und alle seine Erwartungen wurden erfüllt, denn ich wiederhole es: Mallorca ist das Eldorado der Malerei. Alles dort ist malerisch, von der Bauernhütte, die bis in die kleinste Einzelheit die Tradition des arabischen Stils behalten hat, bis zum in Windeln gewickelten Kind, das in seiner grandiosen Unreinlichkeit triumphiert, wie Heinrich Heine es in Bezug auf die Frauen des Kräutermarktes von Verona ausgedrückt hat. Der Charakter der Landschaft, die an Vegetation reicher ist als diejenige Afrikas, hat im Allgemeinen ebenso viel Weite, Ruhe und Einfachheit. Es ist das grüne Helvetien unter dem Himmel Kalabriens mit der Feierlichkeit und Ruhe des Orients.

In der Schweiz verleihen der allgegenwärtige Sturzbach und die Wolken, die unaufhörlich vorüberziehen, den Anblicken eine Beweglichkeit der Farben und sozusagen eine ständige Unruhe, die mitunter schwierig in der Malerei wiederzugeben ist. Die Natur scheint hier mit dem Künstler ihr Spiel zu treiben. Auf Mallorca scheint sie ihn zu erwarten und einzuladen. Dort nimmt die Vegetation stolze und seltsame Formen an, aber sie entfaltet nicht jenen wilden Luxus, unter dem die Konturen der schweizerischen Landschaft zu oft verschwinden. Die Spitze eines Felsens zeichnet ihre kleineren Umrisse auf einen glitzernden Himmel, die Palme beugt sich von selbst über den Abgrund, ohne dass die launische Brise die Majestät ihres Schopfes in Unordnung bringt, und bis hin zum letzten kümmerlichen Kaktus am Wegesrand scheint alles aus Eitelkeit, wie zum Vergnügen des Betrachters, aufgestellt worden zu sein.

Zu allererst stellen wir in einer sehr kurzen Beschreibung die größte der Inseln vor, und dies in Form eines gewöhnlichen Artikels eines geografischen Lexikons. Dies ist nicht so einfach wie man annimmt, vor allem, wenn man versucht, Erkundigungen vor Ort einzuziehen. Die Vorsicht des Spaniers und das Misstrauen der Insulaner gehen hier so weit, dass ein Fremder nicht die harmloseste Frage stellen darf, ohne für einen politischen Agenten gehalten zu werden. Der gute Herr Laurens ist vom grimmigen Gouverneur verhaftet worden, während er die Skizze einer Burgruine anfertigte, und dies unter dem Verdacht, die Baupläne der Festung kopieren zu wollen. So hat unser Reisender, der nicht die Absicht hatte, sein Skizzenbuch in den Gefängnissen Mallorcas zu vervollständigen, darauf verzichtet, andere Erkundigungen als solche über die Gebirgspfade einzuziehen, und sich darauf beschränkt, als Dokumente die Steine der Ruinen zu konsultieren. Nachdem ich vier Monate auf Mallorca verbracht habe, wäre ich nicht weiter als er gewesen, hätte ich nicht Zugang gehabt zu den wenigen Informationen, die es über diese Gegend gibt. Und doch setzte da erneut meine Ungewissheit ein, denn diese Werke sind schon alt und voller Widersprüche. Wie es bei Reiseautoren üblich ist, stellen sie die Aussagen der anderen auf derart brillante Weise in Abrede, dass man sich wohl mit einigen Ungenauigkeiten abfinden muss und vermeiden sollte, viele weitere zu begehen. Hier jedoch mein Artikel des geografischen Lexikons und, um meine Rolle als Reisende nicht zu überschreiten, beginne ich damit, zu erklären, dass er zweifellos allen vorangehenden Artikeln überlegen ist.

II

Mallorca, das Herr Laurens Balearis Major nennt, wie die Römer es taten, und von dem Doktor Juan Dameto, der König der Historiker Mallorcas, sagt, dass es in früherer Zeit Clumba oder Columba hieß, nennt sich heute als Folge sprachlicher Vereinfachung Mallorca, und die Hauptstadt trug niemals diesen Namen, wie mehrere unserer Geografen zu behaupten beliebten, sondern hieß stets Palma.

Diese Insel ist die größte und die fruchtbarste des Archipels, Zeugin eines Kontinents, dessen Becken das Mittelmeer überspült haben muss und der mit Sicherheit Spanien und Afrika verband, und daher trifft man hier das Klima und die Erzeugnisse beider an. Sie liegt 25 Meilen südöstlich von Barcelona und 45 vom nächsten Punkt der afrikanischen Küste. Ferner glaube ich, dass sie sich 95 oder 100 Meilen von Toulon entfernt befindet. Ihre Fläche beträgt 1234 Quadratmeilen, ihr Umfang 143 und die breiteste Stelle 54, die schmalste 28. Die Bevölkerung belief sich im Jahre 1787 auf 136.000 Personen; heute sind es ungefähr 160.000. Von ihnen leben 36.000 in Palma, im Gegensatz zu den 32.000, die es damals waren.

Die Temperatur kann von Ort zu Ort sehr unterschiedlich sein. Der Sommer ist in der ganzen Ebene heiß, aber die Gebirgskette, die sich vom Nordosten bis zum Südwesten erstreckt, die durch ihre Ausrichtung auf die Ähnlichkeit zwischen spanischen und afrikanischen Landstrichen verweist und deren einander am nächsten liegende Punkte gleichzeitig die jeweils höchsten sind, beeinflusst das winterliche Klima stark. So berichtet Miguel de Vargas, dass in Palma während des schrecklichen Winters 1784 das Thermometer nur an einem einzigen Januartag auf sechs Grad unter dem Gefrierpunkt sank. An anderen Tagen stieg es auf sechzehn Grad und blieb meistens bei elf. Ungefähr diese Temperatur hatten wir einen gewöhnlichen Winter über in den Bergen von Valldemosa, das im Rufe steht, eine der kältesten Gegenden der Inseln zu sein. In den kältesten Nächten, als zwei Zoll Schnee lagen, war das Thermometer bloß bei sechs oder sieben Grad. Um acht Uhr morgens stieg es auf neun oder zehn, um mittags bei zwölf oder vierzehn Grad anzugelangen. Gewöhnlich fiel gegen drei Uhr, das heißt nach dem Sonnenuntergang hinter den Gipfeln der Berge, die uns umgaben, die Temperatur plötzlich auf neun und selbst acht Grad.

Der Nordwind weht hier oft mit Heftigkeit, und der Winterregen fällt mit einer Stärke und Dauerhaftigkeit, von der wir uns in Frankreich keine Vorstellung machen. Im Allgemeinen ist das Klima im ganzen südlichen Teil, der Afrika gegenüber liegt, gesund und zuträglich. Hier ist man vor den wilden Windstürmen des Nordens der Gebirgskette geschützt sowie vor den Zerklüftungen der Nordküste. Der Gesamtplan der Insel entspricht also einer von Nordwesten nach Südosten geneigten Fläche, und die Schifffahrt, die im Norden aufgrund der Beschaffenheit der Küste quasi unmöglich ist, gestaltet sich im Süden leicht und sicher.

Trotz seiner Wirbelstürme und Rauheit wurde Mallorca von den Alten zu Recht die goldene Insel genannt, denn es ist äußerst fruchtbar und seine Erzeugnisse sind von ausgezeichneter Qualität. Der Weizen ist hier so rein und so schön, dass die Bewohner ihn exportieren und er ausschließlich in Barcelona zur Herstellung eines hellen und leichten Gebäcks dient, das man Pan de Mallorca nennt. Die Bewohner lassen aus Galizien und der Biskaya gröberes Korn zu niedrigeren Preisen kommen, von dem sie sich ernähren. Dies führt dazu, dass man in dem Land, das an ausgezeichnetem Weizen am reichsten ist, widerwärtiges Brot essen muss. Ich weiß nicht, ob dies den Bewohnern zum Vorteil gereicht.

In den Provinzen der Mitte unseres Landes, wo die Landwirtschaft die wenigsten Fortschritte gemacht hat, beweisen die Gepflogenheiten der Landwirte lediglich ihre Sturheit und Unwissenheit. Dies trifft umso mehr auf Mallorca zu, wo die Landwirtschaft, obwohl man sich ihrer mit Hingabe widmet, noch in den Kinderschuhen steckt. Nirgendwo sonst habe ich gesehen, dass die Äcker so geduldig und träge bewirtschaftet wurden. Die einfachsten Maschinen sind unbekannt; die Arme der Menschen, im Vergleich zu den unsrigen sehr mager und unterentwickelt, müssen alles erledigen, aber mit unerhörter Langsamkeit. Es bedarf eines halben Tages, um weniger Erde umzugraben, als man bei uns in zwei Stunden schafft, und fünf oder sechs Männer sind nötig, um ein Ackergerät fortzubewegen, das der Schmächtigste unserer Gehilfen fröhlich auf den Schultern davontragen würde.

Trotz dieser Trägheit ist auf Mallorca alles beackert und dem Anschein nach gut beackert. Man sagt, dass diese Insulaner kein Elend kennen. Aber inmitten all dieser Naturschätze und unter dem denkbar schönsten Himmel ist das Leben rauer und auf traurige Weise kärglicher als das unserer Bauern.

Für gewöhnlich lassen sich die Reisenden über das Glück der Völker des Südens aus, deren Gesichter und malerische Gewandung ihnen wie die Sonntagssonne erscheint und deren mangelnde Vorstellungskraft und Voraussicht ihnen wie die ideale Gelassenheit des Landlebens vorkommt. Dies ist ein Irrtum, den ich selbst oft begangen habe, dessen ich mir aber durchaus bewusst geworden bin, besonders, seit ich Mallorca besucht habe.

Nichts auf der Welt ist so traurig und so arm wie dieser Bauer, der nur beten, singen und arbeiten kann und niemals nachdenkt. Sein Gebet ist eine stupide Formel, die in seinem Geiste keinerlei Sinn ergibt; seine Arbeit ist eine Anstrengung der Muskeln, die keine Anstrengung des Geistes ihm zu vereinfachen beibringt. Sein Gesang ist der Ausdruck dieser trüben Melancholie, die ihn niederdrückt, ohne dass er sich dessen bewusst wäre, und deren Poesie uns beeindruckt, während sie ihm verborgen bleibt. Würde ihn nicht dann und wann die Eitelkeit aus seiner Lethargie wecken und ihn zum Tanz gehen lassen, wären seine Feiertage nur dem Schlaf gewidmet.

Aber schon verlasse ich den Rahmen, den ich mir gesteckt hatte. Ich vergesse, dass ein geografischer Artikel im strengeren Wortsinn Ertragswirtschaft und Handel erwähnen muss, oder sich erst ganz zum Schluss, nach dem Getreide und dem Vieh, mit der Gattung Mensch zu beschäftigen hat.

In aller beschreibenden Geografie, die ich gelesen habe, habe ich im Artikel über die Balearen diesen kurzen Hinweis gefunden, den ich hier bestätige, auf den ich jedoch später mit Betrachtungen zurückkommen werde, die seinen Wahrheitsgehalt verringern: »Diese Insulaner sind sehr liebenswürdig (es ist bekannt, dass sich auf allen Inseln die menschliche Rasse in zwei Kategorien gliedert: die Menschenfresser und diejenigen, die sehr liebenswürdig sind). Sie sind sanft und gastfreundlich; es ist selten, dass sie Verbrechen begehen, und Diebstahl ist bei ihnen gleichsam unbekannt.« Auf diesen Text werde ich wahrlich zurückkommen.

Sprechen wir aber zunächst von den Erzeugnissen, denn ich glaube, dass in der Abgeordnetenkammer unlängst ein paar Worte (die zumindest unvorsichtig waren) über die mögliche Besetzung Mallorcas durch die Franzosen gefallen sind, und ich vermute, dass, falls dieses Schriftstück in die Hände eines unserer Abgeordneten gelangt, er sich sehr viel mehr für den Abschnitt über die Nahrungsmittel interessieren wird als für meine philosophischen Betrachtungen über die intellektuelle Lage der Bewohner.

Ich erwähnte, dass der Boden Mallorcas von einer bemerkenswerten Fruchtbarkeit ist und dass eine aktivere und klügere Bewirtschaftung seinen Ertrag verzehnfachen würde. Hauptsächlich werden Mandeln exportiert, sowie Orangen und Schweine. Oh schöne Äpfel der Hesperiden, die ihr von scheußlichen Drachen gehütet werdet, es ist nicht meine Schuld, wenn ich bei der Erinnerung an euch an jene schrecklichen Schweine denken muss, auf die man auf Mallorca neidischer und stolzer ist, als auf eure duftenden Blumen und goldenen Äpfel! Aber der Mallorquiner, der euch anpflanzt, ist nicht poetischer als der Abgeordnete, der meinen Text liest.

Ich komme also wieder auf meine Schweine zu sprechen. Diese Tiere, verehrter Leser, sind die Schönsten der Erde, und in naiver Bewunderung entwirft der Doktor Miguel Vargas das Porträt eines Schweins im zarten Alter von anderthalb Jahren, das 600 Pfund wog. Damals genoss die dortige Schweinezucht noch nicht den Ruf, den sie heute erlangt hat. Der Viehhandel wurde durch die Habgier der Assistentes oder Lieferanten behindert, denen ihn die spanische Regierung anvertraut hatte, das heißt, an welche sie das Versorgungsgeschäft übertragen hatte. Kraft ihrer Entscheidungsgewalt stellten sich diese Spekulanten jedwedem Viehexport entgegen und behielten sich die Möglichkeit eines unbegrenzten Imports vor.

Diese wucherische Praxis zog nach sich, dass die enttäuschten Viehzüchter sich nicht mehr um ihre Herden kümmern mochten. Das Fleisch wurde zu lächerlichen Preisen verkauft, und da der Außenhandel verboten war, blieb ihnen nur der Ruin oder die vollständige Aufgabe ihres Geschäfts. Die Auslöschung der Viehzucht ging schnell vonstatten. Der Historiker, den ich zitiere, bedauert, dass Mallorca zur Zeit der arabischen Besetzung und lediglich im Artagebirge mehr fruchtbare Kühe und edle Stiere zählte, als man heute in der gesamten Ebene Mallorcas zusammenbrächte.

Es war nicht diese Misswirtschaft allein, die das Land daran hinderte, seinen natürlichen Reichtum zu nutzen. Derselbe Schriftsteller berichtet, dass die Gebirge, besonders diejenigen von Torella und Galatzo, seinerzeit die schönsten Bäume der Welt besaßen. Gewisse Olivenbäume hatten zweiundzwanzig Fuß Umfang und vierzehn Durchmesser. Aber dieses herrliche Holz wurde von den Zimmerleuten der Marine zerstört, die anlässlich des spanischen Angriffs auf Algier aus ihm eine ganze Flotte von Kanonenbooten bauten. Die Erniedrigungen, denen die Waldbesitzer damals ausgesetzt waren, und der Geiz, mit dem sie entschädigt wurden, brachten die Mallorquiner dazu, ihr Holz gänzlich zu zerstören, anstatt seinen Anbau auszuweiten. Noch heute ist die Vegetation so üppig und so schön, dass es dem Reisenden gar nicht einfällt, der Vergangenheit nachzutrauern; aber heute wie damals und auf Mallorca wie in ganz Spanien, ist immer noch der Missbrauch die wichtigste Macht. Indes wird der Reisende niemals eine Beschwerde hören, weil der Schwache zu Beginn einer Unrechtsherrschaft aus Angst schweigt, und wenn sie erst einmal etabliert ist, schweigt er aus Gewohnheit.

Obwohl die Tyrannei der Assistentes aufgehört hat, geht es der Viehzucht nicht besser, und das wird auch nicht der Fall sein, solange sich die Exporterlaubnis auf den Handel mit Ferkeln beschränkt. Man sieht Rinder und Kühe in großer Zahl in der Ebene, aber nie im Gebirge. Das Fleisch ist mager und zäh. Die Schafe sind von schöner Rasse, aber schlecht gefüttert und ungepflegt; die Ziegen, die afrikanischen Ursprungs sind, geben nicht ein Zehntel der Milch von unseren.

Der Erde fehlt Dünger, und trotz aller Loblieder der Mallorquiner auf ihre Kunst, sie zu bestellen, glaube ich, dass die Algen, die sie benutzen, ein kärglicher Dung sind und die Felder weit davon entfernt, so viel abzuwerfen, wie sie es unter einem solchen Himmel eigentlich müssten. Ich betrachtete aufmerksam diesen Weizen, den zu essen sich die Bewohner nicht für würdig halten: Es ist genau derselbe wie in unseren zentralen Provinzen, unsere Bauern nennen ihn den weißen Weizen oder spanischen Weizen; bei uns ist er genauso schön, trotz des unterschiedlichen Klimas. Derjenige aus Mallorca müsste jedoch von höherer Qualität sein als der, den wir unseren so harten Wintern und wechselhaften Frühjahren abringen. Und dabei ist auch unsere Landwirtschaft noch recht barbarisch, wir haben in dieser Hinsicht noch viel zu lernen, aber der französische Landwirt ist von einer Ausdauer und Energie, auf die der Mallorquiner wie auf Hektik ohne Sinn und Verstand herabblicken würde.

Feigen, Oliven, Mandeln und Orangen gibt es auf Mallorca im Überfluss; mangels Wegen im Landesinneren ist dieser Handel allerdings weit davon entfernt, die nötige Ausweitung zu haben. Fünfhundert Orangen werden vor Ort für ungefähr drei Francs verkauft. Aber um diese sperrige Fracht von der Mitte des Landes mit Maultieren an die Küste zu bringen, muss man fast ebenso viel bezahlen wie für die Ware. In Anbetracht dieser Tatsache wird der Orangenanbau im Landesinneren vernachlässigt. Nur im Sollertal und in der Nähe der Buchten, wo unsere kleinen Boote Ladung aufnehmen, wachsen die Orangenbäume zuhauf. Das könnten sie jedoch überall, und in unserem Gebirge von Valldemosa, einer der kältesten Gegenden der Insel, haben wir wunderbare Zitronen und Orangen, auch wenn sie später kommen als diejenigen des Tals. In La Granja, einer anderen Berggegend, haben wir Limonen groß wie Köpfe geerntet. Es scheint mir, dass ganz Frankreich mit den herrlichen Früchten dieser Insel versorgt werden könnte, und dies zum gleichen Preis wie für die schrecklichen Orangen, die wir aus Hyères oder von der Küste bei Genua bekommen. Dieser Handel, der auf Mallorca so gerühmt wird, wird also wie auch das Übrige durch eine unglaubliche Nachlässigkeit verhindert.

Das Gleiche ließe sich über den unermesslichen Ertrag der Olivenbäume sagen, die sicherlich die Schönsten sind, die es auf der Welt gibt, und die die Mallorquiner dank der arabischen Traditionen perfekt anzubauen wissen. Leider verstehen sie von ihnen lediglich ein ranziges und Ekel erregendes Öl zu gewinnen, das wir abscheulich finden und das sie nie in großem Umfang nach Spanien werden exportieren können, wo auch der Geschmack dieses fürchterlichen Öls vorherrscht. Aber Spanien selbst ist an Olivenbäumen sehr reich, und wenn Mallorca dorthin Öl liefert, muss dies zu sehr niedrigen Preisen sein.