Gisela Hötker-Ponath

Trennung und Scheidung – Prozessbegleitende Interventionen in Beratung und Therapie

Leben Lernen

Impressum

Klett-Cotta

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© 2009 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

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Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-89237-6

E-Book: ISBN 978-3-608-10396-0

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Inhalt

Vorwort

1. Einführung

1.1 Scheidung – eine gesellschaftliche Realität

1.2 Entwicklungstendenzen innerhalb der Scheidungsforschung

2. Ausgewählte Ergebnisse der Scheidungsforschung

2.1 Scheidungsrisiken

2.1.1 Soziologische Faktoren

2.1.2 Psychologische Faktoren

2.2 Scheidungsfolgen und Bewältigungsanforderungen für die Erwachsenen

2.3 Scheidungsfolgen und Bewältigungsanforderungen für die Kinder

2.3.1 Bisherige Entwicklungserfahrungen des Kindes

2.3.2 Alter und Geschlecht

2.3.3 Persönlichkeitsfaktoren

2.3.4 Zeitlicher Verlauf

2.3.5 Familienklima und Erziehungskompetenz der Eltern

2.3.6 Geschwisterbeziehungen

2.3.7 Sozioökonomische Rahmenbedingungen

3. Schutzfaktoren für die Kinder

3.1 Beziehungsgestaltung

3.2 Bindungsqualität

3.3 Triangulierung und Bedeutung des Vaters

3.4 Widerstandsfähigkeit des Kindes

3.5 Sozioökonomische Ressourcen

4. Formen und Intentionen der Trennungs- und Scheidungsberatung

4.1 Zielvorstellungen

4.2 Abgrenzung zur Beratung hochstrittiger Trennungspaare

4.3 Kompetenz und Motivation des Beraters oder Therapeuten

4.3.1 Voraussetzungen

4.3.2 Fragen zur Selbstreflexion

4.4 Vielfalt im Setting

4.4.1 Einzelsetting

4.4.2 Paarsetting

4.4.3 Familiensetting

4.4.4 Gruppensetting

5. Trennung und Scheidung als Prozess

6. Vorscheidungsphase: von der Ambivalenz zur Trennung

6.1 Psychische Dynamik der betroffenen Erwachsenen

6.2 Beziehungsdynamik des Paares

6.3 Familiendynamik und Erleben der Kinder

7. Konsequenzen für die Beratung

7.1 Paarberatung

7.2 Einzelberatung

7.3 Interventionen

7.4 Familienberatung

7.5 Interventionen

8. Scheidungsphase – von der Trennung zur Scheidung

8.1 Psychische Dynamik der Erwachsenen

8.1.1 Trennungsschmerz

8.1.2 Trauer

8.1.3 Schuld und Schuldgefühle

8.1.4 Der Trennungsaktive (›Verlassende‹)

8.1.5 Der Trennungspassive (›Verlassene‹)

8.2 Beziehungsdynamik

8.3 Familiendynamik und das Erleben der Kinder

8.3.1 Trauer

8.3.2 Schuldgefühle

8.3.3 Loyalitätskonflikte

8.3.4 Zusammenfassung

9. Konsequenzen für die Beratung

9.1 Einzelberatung

9.1.1 Verleugnungen achtsam begegnen

9.1.2 ›Aufbrechende Emotionen‹ begleiten

9.1.3 Depressive Entwicklungen beachten

9.1.4 Trauerarbeit fördern

9.1.5 Ressourcen aktivieren

9.1.6 Selbstwert stärken

9.1.7 Beziehungskonstanz anbieten

9.2 Interventionen

9.3 Paarberatung

9.4 Eltern- und Familienberatung

9.4.1 Elternsitzungen

9.4.2 Familiensitzungen

9.5 Interventionen

10. Arbeit im Gruppensetting

10.1 Gruppenphasen

10.2 Trennungs- und Scheidungsgruppe

10.2.1 Einführende Bemerkungen

10.2.2 Rahmenbedingungen für die Trennungs- und Scheidungsgruppe

10.3 Interventionen

11. Nachscheidungsphase – von der Scheidung zur neuen Lebensform

11.1 Psychische Bewältigung des Abschieds und Anpassung an die neue Lebenssituation

11.1.1 Für die Erwachsenen

11.1.2 Für die getrennte Familie

11.2 Konsequenzen für die Beratung

11.3 Übergangsgestaltung und Rituale

11.4 Intervention

12. Nachwort

Anhänge

A Anhang 1

A Anhang 2

A Anhang 3

A Anhang 4

A Anhang 5

Dank

Literatur

Vorwort

Die Idee zu diesem Buch entstand aus einer Suche nach einem umfassenden Fachbuch zum Thema ›Trennungs- und Scheidungsberatung‹. Das gesuchte Buch sollte theoretisch fundiert und praxisnah sein und das Familien- und Gruppensetting mit einschließen. Meine Recherche blieb unzureichend, da ich die gefundenen Exemplare entweder zu theoretisch oder zu ›praktisch‹ in Richtung Ratgeber empfand. Während meiner Suche entwickelte sich in mir die Idee, dass ich das, was ich suche, bereits in mir tragen könnte. So entstand aus meiner Suche eine Idee, aus der Idee ein Vorhaben und aus dem Vorhaben dieses Buch. Es beinhaltet theoretisches Grundwissen zum Thema Trennung und Scheidung und Beispiele aus der praktischen Arbeit mit Einzelnen, Paaren, Familien und Gruppen. Was kann ich als Beraterin/Therapeutin konkret tun? Diese Frage wird durch zahlreiche dargestellte Interventionen beantwortet. Sie dienen als Anregung für die Praxis und können situationsangemessen oder kreativ verändert eingesetzt werden.

Unzertrennlich sind:

Mutter und Kind,

solange das Kind noch im Bauch ist.

Vater und Kind,

sobald ihre Beziehung geglückt ist.

Gertrud und Wilhelm,

weil Gertrud nicht loslässt.

Körper und Seele,

ein Menschenleben lang.

Enge Bande lassen sich nur unter Verlusten trennen.

Eleni Adamidu

1. Einführung

»Trennung ist beides: Sie ist ein Verhängnis, ein unfaires Schicksal, gegen das wir vital aufbegehren oder in das wir uns apathisch ergeben. Und sie ist eine Lebensregel, ein kreatorisches Prinzip, eine Bedingung für Wachstum, Entfaltung und Reife« (Schultz 1984, S. 9).

Die Urerfahrungen von Trennung sind Geburt und Tod. Im Verlauf seines Lebens wird der Mensch mit weiteren unvermeidbaren Trennungserfahrungen konfrontiert. So gelten auch Trennung und Scheidung im Leben vieler Menschen als ein bereits erlebtes oder ›mitgedachtes‹ Lebensereignis. Gehen wir heutzutage von der Ehe als Liebesgemeinschaft aus, liegt der Schluss nahe, dass die Auflösung einer Ehe zu einer seelischen Krise führt, dessen Intensität mit der Bedeutung der gefühlsmäßigen Bindung zusammenhängt. »Das Abbrechen einer Beziehung, ohne dass der Partner stirbt, kann ähnliche Verzweiflung auslösen, kann ähnlich unser Selbsterleben erschüttern wie der reale Tod« (Kast 1982, S. 142). Deswegen spricht man bei Trennung und Scheidung auch von einem kritischen Lebensereignis.

Scheidung basiert auf Entscheidungen. Das griechische Wort für Entscheidung bedeutet ›Krisis‹. Krisen sind somit Entscheidungszeiten, die genutzt oder vertan werden können – so wie in jeder Paarbeziehung. Duss-von Wert (1984) weist darauf hin, dass sich Paare auch deswegen trennen, weil fällige Entscheidungen (innere Scheidungen), das heißt notwendige Veränderungen während der Ehe, nicht passiert sind. Eine Trennung ist gut und schlimm zugleich – Lebenskrise und Entwicklungschance. Trennung hat immer etwas mit Enttäuschung, Scheitern und Schuld, aber auch mit Selbstfürsorge, Veränderungssehnsucht und Risikobereitschaft zu tun. Jellouschek (2006) meint, dass Trennung nicht unbedingt ein Scheitern, sondern das Ergebnis sehr unterschiedlicher Entwicklung ist und die Beziehung dann aufgegeben werden muss.

Trennungsgründe gibt es viele: Bindungsängste, enttäuschte oder zu hohe Beziehungserwartungen, einschneidende Kränkungserlebnisse (die nicht verzeih- oder bearbeitbar waren), dauerhafter ungelöster Alltagsstress, fehlende gegenseitige Unterstützung, zu unterschiedliche Wertvorstellungen, länger anhaltende sexuelle Probleme, Vertrauensbrüche, aufgedeckte und nicht aufgedeckte Außenbeziehungen, ungelöste Bindungen zu den eigenen Eltern, schwere Erkrankungen oder Schicksalsschläge, mangelhafte Kommunikation, psychische oder körperliche Gewalt, Sucht, Entfremdung, zu viel Nähe oder zu viel Distanz, mangelnde Wertschätzung und Gleichwertigkeit, ungewollte Kinderlosigkeit, zu große kulturelle oder religiöse Unterschiede …

A 1

Wie unterschiedlich Trennung auch begründet wird, so steht am Ende die Aufgabe der Beziehung. »Das Sterben einer Beziehung ist die erste Stufe in einem Prozess, in dem der Tod festgestellt, die Beziehung dann beweint und zu Grabe getragen wird, um der Selbsterneuerung den Weg zu bahnen« (Krantzler 1984, S. 23). Eine Trennung stößt die Betroffenen von den eingefahrenen Gleisen ihres bisherigen Lebens. Die neuen Lebensumstände zwingen sie heraus aus der täglichen Routine und verlangen neue Verhaltensweisen und Rollenveränderungen. Wie die Trennung verlaufen wird, hat etwas mit dem vorherigen Beziehungsstil, mit den Trennungsgründen, mit der Art und Weise, wie die Trennung passiert (mit Vorbereitungszeit oder aus heiterem Himmel), der psychischen Stabilität, den existenziellen Ängsten, der Fähigkeit zur Selbstverantwortlichkeit, den Selbstheilungskräften (Resilienz), dem Potenzial an persönlichen Ressourcen, den sozioökonomischen Bedingungen und den vorhandenen Unterstützungssystemen zu tun.

Trennung und Scheidung sind demnach einschneidende Lebensereignisse für Paare, Eltern und deren Kinder – oft genug auch für die Großeltern. Fast jeder hat Verwandte oder Freunde, die geschieden sind. Auch ältere Paare scheuen heutzutage nicht mehr davor zurück, ihre Ehe zu beenden. Obwohl ein alltägliches Geschehen, löst die Ankündigung einer Scheidung immer noch hohe Betroffenheit aus, besonders dann, wenn minderjährige Kinder im ›Spiel‹ sind. Scheidung gilt statistisch gesehen als ein immer wahrscheinlicher werdendes biografisches Ereignis (life-event). Auch der Gesetzgeber reagierte bereits 1998 mit dem neuen Kindschaftsrecht auf die Zunahme der Scheidungen und die Veränderungen innerhalb von Gesellschaft und Familie. Eine bedeutsame Erneuerung im Kindschaftsrecht ist der Grundsatz, dass beide Eltern bei einer Scheidung sorgeberechtigt bleiben (§ 1687 BGB). Nur auf Antrag eines Elternteils entscheidet das Familiengericht, ob eine alleinige elterliche Sorge zum Wohl des Kindes ist (§ 1671 Abs.1 BGB). Das Gesetz macht deutlich, dass bei Trennung und Scheidung der Umgang mit beiden Elternteilen grundsätzlich zum Wohl des Kindes ist. »Gleiches gilt für den Umgang mit Personen, zu denen das Kind Bindungen besitzt, wenn ihre Aufrechterhaltung für seine Entwicklung förderlich ist« (§ 1626 Abs. 3 BGB). Gemeint sind alle Bezugspersonen, die im Leben des Kindes bisher eine Rolle gespielt haben wie Geschwister, Großeltern, Pflegeeltern (§ 1685 BGB). Der Gesetzgeber hebt hervor, dass Kinder ein eigenes Recht auf Umgang mit jedem Elternteil haben. Vater und Mutter sind zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt (§ 1684 Abs. 1 BGB). Während für die Eltern der Pflichtcharakter an die erste Stelle gerückt ist, gibt es für das Kind lediglich ein Recht, aber keine Pflicht zum Umgang mit dem getrennt lebenden Elternteil. Im § 1684 Abs. 2 BGB wird deutlich benannt, dass beide Eltern alles unterlassen sollen, was das Verhältnis zwischen dem Kind und dem anderen Elternteil belastet oder was die Erziehung des Kindes erschwert.

Diese kurze Ausführung zum Sorgerecht soll deutlich machen, wie auch der Gesetzgeber das Verbleiben der gemeinsamen elterlichen Verantwortung nach Trennung und Scheidung hervorhebt und bestehende Bindungen schützt. So wie frühere, in der Kernfamilie entstandene Bindungen und Beziehungen über die Trennung hinaus wirken, setzen sich häufig auch die ursprünglichen Konflikte des Paares auf der Elternebene fort. Eine misslingende Neudefinition der Beziehung zwischen den Eltern und eine als negativ erlebte Beziehung zum Vater sind besondere Risikofaktoren für Trennungskinder. So zeigen Kinder aus hochstrittigen Trennungsfamilien noch nach sechs Jahren Verhaltensauffälligkeiten (Schmidt-Denter 2001). Die überwiegende Zahl der Trennungseltern nimmt jedoch die gemeinsame Elternschaft verantwortungsvoll und kompetent wahr (Proksch 2003).

Immer mehr Trennungseltern nutzen Beratungsangebote freier, kirchlicher und öffentlicher Träger, um sich im Sinne des § 17 KJHG Unterstützung zu holen. Gerade in der ersten Phase der Trennung sind Eltern sehr belastet und suchen professionelle Unterstützung zur Klärung der anstehenden Probleme. Auch in späteren Krisenzeiten – etwa im Zusammenhang mit Wiederverheiratung oder Geburt von Stiefkindern – ist eine kompetente Beratung oder Therapie hilfreich. »Vor allem jedoch sind Beratungsangebote nötig, die es den Eltern ermöglichen, zu einem fairen Umgang miteinander zu finden und so den Kindern den unbelasteten Kontakt zu beiden Eltern zu ermöglichen. Auch wenn dies nicht in allen Fällen möglich sein wird, gilt es, die elterlichen Kompetenzen nicht nur im Umgang mit dem Kind, sondern auch im Umgang mit dem Ex-Partner zu stärken, um langfristig das Kindeswohl zu sichern« (Walper & Gerhard 2003, S. 116). Solche Konzepte dürfen allerdings nicht statisch verfasst sein, sondern müssen der Entwicklungsdynamik der jeweiligen Trennungsfamilie entsprechen.

Auch mir ist es in meiner Arbeit mit Trennungsfamilien ein besonderes Anliegen, einen Beitrag für den Erhalt der gemeinsamen Erziehungsverantwortung zu leisten. Ich möchte Berater, Therapeuten und Fachkollegen ermuntern, trennungsbetroffene Einzelne, Paare und Familien in dieser schwierigen Lebensphase zu begleiten. Trennungs- und Scheidungsfamilien brauchen Unterstützung, um ihre vielfältigen Ressourcen wahrzunehmen und zu nutzen. Zahlreiche Aufgaben müssen geleistet werden: die äußeren räumlichen Veränderungen, die Umorganisation der Eltern-Kind-Beziehung, die notwendige Erweiterung des Rollenrepertoires, die Aktivierung persönlicher Ressourcen, die Stabilisierung im Selbsterleben und emotionalen Gleichgewicht bis zum Aufbau eines neuen Beziehungs- und Lebenskonzeptes. So wird deutlich, dass die Erwachsenen hinreichend mit der Bewältigung der inneren und äußeren Trennungsfolgen beschäftigt sind. Mein besonderer Respekt gilt den Trennungsfamilien, die das alles, oft genug unter schwierigen persönlichen und ökonomischen Bedingungen, zu leisten haben. Trotz guter Absicht und Bemühungen der Eltern bleiben die Kinder zeitweise oder länger auf der Strecke. Ähnlich wie in anderen familialen Krisen- oder Umbruchzeiten (Krankheit, Arbeitslosigkeit, Tod in der Familie) geraten die Kinder aus dem Blick, da die elterliche Fürsorge eingeschränkt ist. Eltern und BeraterInnen müssen das realistisch betrachten, ohne es zu bewerten oder zu verurteilen. BeraterInnen und Eltern hilft es, informiert zu sein über die psychischen Risiken einer elterlichen Trennung für die Kinder, aber auch zu wissen, dass es Bedingungen und Schutzfaktoren gibt, die die Bewältigung erleichtern. Damit geht der Blick nicht nur in Richtung einer Symptomentwicklung, sondern auch dahin, wie die kindlichen Grundbedürfnisse wieder mehr wahrgenommen werden und welche Unterstützungssysteme hilfreich sein können.

Die in diesem Buch dargestellten Angebote zur Aufarbeitung von Trennung und Scheidung dienen nicht nur der Bewältigung, sondern auch der Prävention. So können durch eine konstruktive Verarbeitung der Lebenskrise ›Trennung‹ Wiederholungen in der Partnerwahl und in der Gestaltung von Folgebeziehungen schneller erkannt und möglicherweise vermieden werden. Längerfristige Folgen einer unverarbeiteten Trennung (wie auch bei Tod eines geliebten Menschen) können sich bei Erwachsenen in neurotischer oder psychosomatischer Konfliktverarbeitung, bei Kindern in chronifizierten Verhaltensauffälligkeiten niederschlagen und weitreichende Folgen über das Trennungsgeschehen hinaus haben. Eine erfolgreiche psychische Verarbeitung des Trennungsgeschehens und der damit verbundenen Verletzungen erhöht die Chance, neue familiale Beziehungen nach der Trennung erfolgreich zu gestalten. Nur wer sich nach der Scheidung als Person wieder ganz fühlt, kann auch als Vater oder Mutter ganz da sein. So ist die therapeutische Arbeit mit den Erwachsenen auch für die Kinder entlastend und förderlich.

Im Sinne meiner Erfahrungen mit Trennungspaaren und -familien geht es in diesem Buch eher um die ›normalen‹ als um die pathologischen Folgeerscheinungen im Trennungs- und Scheidungsprozess, d. h., es werden weder Trennungen in gewalttätigen, noch in hochstrittigen Beziehungen behandelt. Auch binationale und gleichgeschlechtliche Trennungspaare werden in ihrer Besonderheit nicht ausdrücklich dargestellt. Vieles lässt sich jedoch übertragen. Die juristischen Folgen mögen die Leser an fachkundiger Stelle nachlesen. Hier geht es hauptsächlich um Scheidungs- und Trennungssituationen solcher Ehen und Partnerschaften, in denen die gegenseitige Beziehung für die Partner bedeutungsvoll war und bei denen Kinder mit im Spiel sind.

Diejenigen Leser, die schwerpunktmäßig mit Erwachsenen und Eltern arbeiten, sind oft auf der Suche nach mehr Wissen und Techniken im Umgang mit Kindern. Das Gleiche gilt für diejenigen, die verstärkt mit Kindern arbeiten und den Blick mehr auf das Verstehen und den Umgang mit den Erwachsenen richten wollen.

Die in diesem Buch vorgestellten Formen von Trennungsbegleitung umfassen die Einzel-, Paar- und Familienberatung und die Arbeit mit Trennungsgruppen. Beispiele aus der praktischen Arbeit erweitern das Verständnis. Die konkret dargestellten Interventionen dienen der Anwendung und Erweiterung des eigenen Repertoires. Die Mehrzahl der beschriebenen Interventionen können sowohl im Einzelsetting als auch leicht verändert im Gruppensetting angewendet werden (und umgekehrt). Somit findet der Leser/die Leserin reichhaltig Anregungen für die Praxis. Spezielle Interventionen oder Methoden sind wichtige ergänzende Möglichkeiten, den therapeutischen Prozess zu unterstützen, zu vertiefen oder auch zu erweitern. Sie ersetzen niemals die Basis einer Therapie/Beratung: ein profundes Fachwissen und die Fähigkeit, eine gute, tragfähige therapeutische Beziehung herstellen zu können.

Vom therapeutisch-beraterischen Wissens-, Ausbildungs- und Erfahrungshintergrund her fühle ich mich einem integrativen Ansatz verbunden. Damit meine ich schulenübergreifendes (tiefenpsychologisches, systemisches und familientherapeutisches) Wissen und therapeutisches ›Handwerkszeug‹. Der Einsatz psychodramatischer, imaginativer, körperbezogener und kreativer Techniken bereichert meine Arbeit und findet in diesem Buch ausreichend Raum. Die Aussage von Bodenmann hat mich zusätzlich zu dieser Veröffentlichung bestärkt: »Dagegen stellt man im Anwendungsbereich erstaunlicherweise eine große Lücke bei sekundären Präventionsangeboten für Geschiedene fest. Während es Präventionsprogramme für Kinder, die von der Scheidung ihrer Eltern betroffen sind, gibt (vgl. Fthenakis et al. 1995), fehlen bisher weitgehend wissenschaftlich fundierte Programme für Geschiedene. Bedenkt man die hohen Scheidungsraten in den westlichen Industrieländern und die Tatsache, dass Folgeehen in der Regel eine noch höhere Scheidungswahrscheinlichkeit aufweisen, wird deutlich, wie wichtig solche Initiativen sein könnten« (Bodenmann 2006, S. 163).

In meinen Ausführungen spreche ich grundsätzlich von Trennung und Scheidung; auch, wenn ich nicht immer beide Formen benutze, da die psychologischen Folgen eher ähnlich als unterschiedlich sind. Zum vereinfachten Schreiben und Lesen benutze ich sowohl die männliche als auch die weibliche Schreibweise. Die Begriffe TherapeutInnen und BeraterInnen verwende ich in Zusammenhang dieser Arbeit synonym.

1.1 Scheidung – eine gesellschaftliche Realität

In unserer westlichen Gesellschaft können die Menschen ihren individuellen Lebensentwurf weitgehend selbst gestalten. Diese Chance birgt zugleich das Risiko des Scheiterns in sich (Beck, Beck-Gernsheim 1994). So wird heute Ehe und Familie zwar als emotionaler Schutzraum wertgeschätzt, aber gleichzeitig nicht als zwingende Lebensform angesehen. Mit dem Statusverlust der traditionellen Kernfamilie und der Konkurrenz durch andere alternative Beziehungsformen werden Beziehungen heute schneller beendet als früher. Angestrebt werden individuelles Glück und Intimität in einer gleichwertigen Beziehung. Dazu besteht der Anspruch als Eltern, die Kinder partnerschaftlich zu erziehen und die kindliche Autonomie zu achten. Dieser Wertewandel hin zur partnerschaftlichen Erziehung ist für viele Eltern eine große Herausforderung. So wie Kinder einerseits das Scheidungsrisiko reduzieren, bedeuten sie andererseits eine Belastung für die Partnerschaft, denn die Partnerschaftszufriedenheit verschlechtert sich beim ersten Kind und noch stärker nach der Geburt des zweiten Kindes. Gerade in dieser Zeit passieren erhebliche Veränderungen, die von einer Verringerung von Sexualität und Zärtlichkeit bis zu einer Traditionalisierung der familiären Arbeitsteilung reichen (Heinrichs et al. 2008). Mit höheren Erziehungsanforderungen, anspruchsvollen Beziehungserwartungen und der Bewältigung normativer Entwicklungsaufgaben sowie nicht normative Lebensereignisse sind Paare und Familien in der heutigen Zeit stark gefordert und oft genug überfordert. Zwar verändern Mann und Frau immer wieder ihre Lebensentwürfe und ihre Rollen als Mutter und Vater, auch als Großmutter und Großvater, doch bei all ihrer Flexibilität und Veränderungsbereitschaft geben nur wenige den Mythos einer glücklichen Ehe und Familie auf. »Es ist auch nicht abzusehen, welche Hoffnung an seine Stelle gesetzt werden könnte. Für viele, die sich trennen, liegt deshalb die Deutung nahe, nicht das Ideal einer glücklichen Ehe oder Partnerschaft und nicht das Ideal der Familie, sondern der konkrete Partner sei zu revidieren. Mit einem neuen Partner oder einer neuen Partnerin sei der Wunsch nach einer glücklichen Intimbeziehung und einem glücklichen Familienleben vielleicht doch noch zu erfüllen« (Sieder 2008, S. 18).

In den letzten 50 Jahren ist die Scheidungsrate in allen westlichen Industrienationen kontinuierlich gestiegen. Ein Blick in die Vergangenheit verdeutlicht, dass vor hundert Jahren jede dritte Ehe nicht durch Scheidung, sondern bereits nach zwanzig Jahren durch den Tod eines Ehegatten gelöst wurde. Heute dauert eine Ehe, die im Alter von 25 Jahren geschlossen und nicht geschieden wird, in den europäischen Ländern je nach Sterbeverhältnissen ca. 40 – 50 Jahre (Höhn 1989). Es ist davon auszugehen, dass sich statistisch die Dauer der Ehe weiterhin verlängern wird. Gleichzeitig ist die Scheidungshäufigkeit auch in Deutschland seit 1988 (seitdem liegen Daten vor) ständig gestiegen (Peuckert 2005, S. 175). Im Jahr 2005 lag das Scheidungsrisiko laut Bundesamt für Statistik in Deutschland bei 54 % (Heinrichs u. a. 2008). International verglichen hält Peuckert eine Dramatisierung der Scheidungszahlen für nicht angebracht, denn in den meisten europäischen Ländern hat sich die Scheidungsrate seit 1970 verdoppelt und verdreifacht. In Großstädten wird bei uns bereits jede zweite Ehe geschieden, die Trennungen in Lebenspartnerschaften nicht mitgerechnet. Dobritz und Gärtner (1998) haben schon damals prognostiziert, dass sich die Scheidungsrate in Deutschland in den folgenden Jahren auf die Verhältnisse der skandinavischen Länder von 40 – 50 % einpendeln wird. Dieses ist eingetroffen und begründet sich im Anstieg der Scheidungsrate in den neuen Bundesländern (seit 1990) in der Zunahme von späten Scheidungen nach 20 Ehejahren, in der größeren Instabilität von Zweit- oder Drittehen, in der gestiegenen Anzahl kinderloser Ehen, in der sogenannten ›Vererbung von Scheidung‹ (Kettenbiografien) und in den internationalen Trends, dass ein einmal verzeichnetes hohes Scheidungsniveau selten wieder absinkt. Andererseits gibt es auch Meinungen, dass sich die steigende Scheidungsneigung wieder abschwächen könnte u. a. dadurch, dass die Eltern-Kind-Beziehung emotionalisierter geworden ist und dass es deswegen den Eltern schwerer fällt, ihren Kindern eine Scheidung zuzumuten.

Die Prognosen der ständigen Steigerung der Scheidungsraten von Dobritz und Gärtner (1998) bestätigen sich nicht ganz, denn laut Statistischem Bundesamt 2016 (www.destatis.de) wurden zum Beispiel im Jahr 2016 entgegen der Prognosen mit 162397 Ehescheidungen 0,6% weniger Paare geschieden als im Vorjahr. Die Ehen hielten durchschnittlich 15 Jahre bis zur Scheidung. Etwa jede sechste Scheidung erfolgte nach mehr als 25 gemeinsamen Jahren. Gut die Hälfte der geschiedenen Paare (50,5%) hatte minderjährige Kinder. Insgesamt waren knapp 132000 Kinder unter 18 Jahren betroffen. Die überwiegende Anzahl der Scheidungen wurde weiterhin mit 50,3% von Frauen eingereicht. Es bleibt langfristig abzuwarten, ob das neue Unterhaltsrecht (geltend seit dem 1. 1. 2008) mit der Schwächung des Ehegattenunterhalts zugunsten des Kindesunterhalts eine Auswirkung auf die Scheidungsrate haben wird. Anders als früher richtet sich jetzt die Unterhaltszahlung des Mannes im Falle einer Trennung nicht mehr nach dem bisherigen Familieneinkommen. Nach dem neuen Recht wird auch berücksichtigt, welchen Beruf die Frau vor der Kinderpause ausgeübt hat, und wie viel sie heute verdienen ›könnte‹. Außerdem müssen heute geschiedene Ehefrauen hinter einer neuen Lebenspartnerin zurückstehen, wenn diese mit dem Ex-Mann kleine Kinder hat und das Geld nicht für alle reicht.

1.2 Entwicklungstendenzen innerhalb der Scheidungsforschung

Mit den gesellschaftlichen Veränderungen und dem Wertewandel hat sich das Verständnis von Ehe und Familie und damit auch von Trennung und Scheidung verändert. Dieses lässt sich gut anhand der veränderten Modelle in der Scheidungsforschung darstellen (Weinmann-Lutz 2006). In der Zeit um den Zweiten Weltkrieg herum wurde Scheidung moralisch und psychologisch als mangelhaft bewertet. Demzufolge wurde in der Scheidungsforschung vorwiegend eine sozialpathologische Perspektive eingenommen und Ursachenforschung betrieben. In den 50er-Jahren nahm man eine mildere Sichtweise ein und sprach vom ›Trauma der geschiedenen Frauen‹. Unter der Prämisse der negativen Folgen einer Scheidung wurden später die Väter und Kinder mit in den Blick genommen. In den 70er-Jahren wurden in den USA die ersten Längsschnittuntersuchungen von Scheidungsfamilien durchgeführt (Wallerstein u. Kelly). Als Wegbereiter für ein moderneres Konzept von Trennung und Scheidung sind Rice & Rice (1986) zu nennen. Sie verlassen das sogenannte Defizit- und Desorganisationsmodell von Scheidung hin zum Reorganisationsmodell. In den letzten Jahren ging es mehr um die langfristigen Anpassungs- und Bewältigungsmuster für die Betroffenen. In der neueren Scheidungsforschung wird Scheidung nicht mehr als ›normwidriges Ereignis‹ oder biografischer Defekt im Leben, sondern als eine mögliche Übergangsphase im Familienentwicklungsprozess verstanden. Es wird weniger eine Defizit- als verstärkt eine Resilienzperspektive eingenommen. Scheidung wird heute prozesshaft und als ein komplexes Geschehen verstanden, als eine Chance zur psychischen und sozialen Reorganisation, in der sich neue Gestaltungsmöglichkeiten ergeben (Fthenakis 1995), aber auch die Möglichkeit des Scheiterns im Sinne einer pathogenen Reaktion möglich ist. Aus der systemischen Perspektive (Schmidt-Denter 1988) löst sich die Familie nicht auf, sondern bildet sich lediglich um, denn die familiären Beziehungen hören nicht auf. Das Motto könnte lauten: »Das Paar kann sich trennen, nicht aber die Eltern« oder »Kinder lassen sich nicht scheiden«. In der modernen Entwicklungspsychologie betrachtet man die Scheidung als ein kritisches Lebensereignis innerhalb der lebenslangen Entwicklung.

In der Praxis ist es selten, dass Scheidungsbetroffene die veränderte Lebenssituation entweder nur als Scheitern und ›biografischen Defekt‹ oder nur als Entwicklungschance begreifen. Beide Aspekte spielen eine große Rolle, und es gilt herauszufinden, welche psychologischen Herausforderungen im Umgang mit Scheitern und welche Anpassungsleistungen im Umgang mit Veränderungen notwendig sind. Besonders Kinder erleben die Scheidung ihrer Eltern selten als Chance für einen Neubeginn, sondern reagieren – besonders am Anfang – mit diversen Belastungssymptomen, die sich je nach Gelingen der Trennungsbewältigung nach zwei Jahren deutlich verändern (Figdor 1991, Schmidt-Denter u. a. 1991, Osthoff 1997, Hetherington 2003).

2. Ausgewählte Ergebnisse der Scheidungsforschung

2.1 Scheidungsrisiken

Heutige, auf Dauer angelegte Zweierbeziehungen sind von hohen Glückserwartungen und gleichzeitig von großer Instabilität geprägt. Während die meisten Paare in der Hoffnung heiraten, lebenslang zusammenzubleiben, tragen sie doch die Trennungsidee als eine reale Möglichkeit in sich. Die Wertschätzung von Ehe und Familie ist jedoch trotz steigender Scheidungszahlen ungebrochen. Subjektiv bedeutsam ist die Qualität der Beziehung. Der emotionale Beziehungscharakter zeichnet sich durch Kommunikationsbereitschaft, Vertrauen, Erotik und Sexualität, gegenseitige Wertschätzung, Unterstützung und Empathie aus. »Gerade weil die Beziehung zum Partner so bedeutsam geworden ist und gerade weil man die Hoffnung auf Erfüllung einer idealen Partnerschaft nicht aufgibt, löst man die gegebene Beziehung – wenn sie konfliktreich und unharmonisch ist – auf. Der zeitgeschichtliche Anstieg der Ehescheidungen ist also kein Zeichen für einen ›Verfall‹ oder eine ›Krise‹ der Ehe, sondern für eine enorme psychische Bedeutung für den Einzelnen« (Nave-Herz u. a. 1990, S. 65). Trennung und Scheidung sind fast schon zu einer neuen sozialen Norm geworden. So bewegen wir uns »von einem Heiratssystem, das von den Individuen verlangte, auch dann verheiratet zu bleiben, wenn sie sich nicht länger liebten, zu einem System, das sie im Grund zur Auflösung ihrer Beziehungen aufforderte, sobald sie nicht mehr im starken Maße emotional beteiligt waren« (Furstenberg 1987, S. 30). Das bedeutet, dass traditionelle Scheidungsgründe wie Gewalt, Sucht, Untreue oder finanzielle Schwierigkeiten rückläufig sind.

Heute oft genannte Trennungsgründe sind Entfremdungsgefühle, unterschiedliche Entwicklungen oder das Gefühl, nicht mehr wertgeschätzt und geliebt zu sein. Die zusammengefassten Forschungsergebnisse (Kröger 2006) machen deutlich, dass eine dauerhaft unglückliche und disharmonische Partnerschaft eine erhebliche Quelle von Belastung für die Kinder und Erwachsenen ist. So gibt es einen Zusammenhang zwischen schlechter Partnerschaftsqualität und einem erhöhten Krankheits- und Depressionsrisiko. Defizite in der Paarkommunikation gelten als eine der Hauptfaktoren für eheliche Unzufriedenheit und späteres Scheitern der Beziehung (Gottmann 1994, Hahlweg 1986). Für die Kinder bedeutet das wiederholte Erleben feindseliger und aggressiver ungelöster Konflikte der Eltern, besonders wenn es um Erziehungsfragen geht, eine enorme Stressbelastung.

Auf der Basis älterer und neuerer Scheidungsforschungen von Bodenmann u. a. (2002), Rosenkranz & Rost (1998) – zusammengefasst in Peuckert (2005) und Heinrichs u. a. (2008) – sowie weiteren im Text genannten Forschern, lassen sich folgende Scheidungsrisiken nennen:

2.1.1 Soziologische Faktoren

2.1.2 Psychologische Faktoren

A 2

2.2 Scheidungsfolgen und Bewältigungsanforderungen für die Erwachsenen