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Das Telefon klingelt, und eins hat er ihr immer eingebläut: Wenn es klingelt, bin ich tot, und du musst verschwinden, sonst liegst du morgen neben anderen Leichen in der mexikanischen Wüste … Teresa Mendoza stopft ein Bündel Scheine und ihre Knarre in die Handtasche und begibt sich auf die Flucht, an deren Ende nur eines stehen kann: Rache.

Königin des Südens ist ein temporeicher Thriller über den Aufstieg einer kompromisslosen Frau. Auf überwältigende Weise lässt Arturo Pérez-Reverte die dunkle Wirklichkeit Mexikos lebendig werden und erzählt von Gewalt, Sehnsucht und Verrat im gefährlichsten Geschäft der Welt.

 

Arturo Pérez-Reverte, geboren 1951 im spanischen Cartagena, ist einer der erfolgreichsten Autoren Spaniens. Sein Werk wurde in 41 Sprachen übersetzt, sein Roman Der Club Dumas ist ein Weltbestseller und wurde von Roman Polanski mit Johnny Depp in der Hauptrolle unter dem Titel Die neun Pforten verfilmt. Arturo Pérez-Reverte arbeitete 21 Jahre als Kriegsreporter. Seit 2003 ist er Mitglied der Real Academia Española.

 

 

Arturo Pérez-Reverte

Königin des Südens

Thriller

Aus dem Spanischen von
Angelica Ammar

Suhrkamp

 

 

Die Originalausgabe erschien 2002 unter dem Titel La reina del sur bei Círculo de Lectores, Barcelona.

Die vorliegende Übersetzung erschien erstmals 2003 im List Verlag.

 

 

 

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2016

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuchs 4658

Deutsche Erstausgabe

© Suhrkamp Verlag Berlin 2016

© 2002 by Arturo Pérez-Reverte

Suhrkamp Taschenbuch Verlag

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Satz: Satz-Offizin Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn

Umschlagabbildung: Uygar Ozel / Getty Images

Umschlaggestaltung: Werbeagentur ZERO, München

 

eISBN 978-3-518-74276-1

www.suhrkamp.de

Königin des Südens

 

 

Für Élmer Mendoza, Julio Bernal
und César Batman Güemes.
Für die Freundschaft.
Für den Corrido.

Als das Telefon klingelte, war ihr klar, dass sie in tödlicher Gefahr schwebte. Es war so eindeutig, dass sie mit der Rasierklinge in der Hand erstarrte; die Haare klebten ihr am Gesicht, im Dampf des heißen Wassers, das an den Fliesen heruntertropfte. Biep-biep. Sie blieb ganz ruhig und hielt den Atem an, als könnten ihre Regungslosigkeit oder ihr Stillsein den Lauf des bereits Geschehenen noch ändern. Biep-biep. Bis zur Taille saß sie im schaumigen Wasser der Badewanne, war gerade dabei, sich den rechten Unterschenkel zu rasieren; ihre freiliegenden Körperpartien bekamen eine Gänsehaut, als hätte sie den Kaltwasserhahn aufgedreht. Biep-biep. Aus der Stereoanlage im Schlafzimmer erklangen die Tigres del Norte mit ihren Geschichten von Camelia der Texanerin. Verrat und Schmuggelei, hieß es dort gerade, vertragen sich nicht. Sie hatte immer befürchtet, dass diese Lieder schlechte Vorzeichen waren, und plötzlich verwandelten sie sich in finstere, bedrohliche Wirklichkeit. Der Güero hatte sich darüber lustig gemacht; aber diese Melodie gab ihr recht und bereitete der Überlegenheit vom Güero ein Ende. Seiner Überlegenheit und noch einigem mehr. Biep-biep. Sie ließ den Rasierer fallen, stieg langsam aus der Badewanne und ging noch tropfend ins Schlafzimmer. Das Telefon lag auf dem Bett, klein, schwarz und unheilvoll. Sie blickte darauf, ohne es anzurühren. Biep-biep. Voller Entsetzen. Biep-biep. Biep-biep. Sein Klingeln vermischte sich mit dem Liedtext, als gehörte es dazu. Denn Schmuggler, sangen die Tigres, kennen kein Pardon. Der Güero hatte dieselben Worte benutzt, lachend, wie es seine Art war, während er ihr den Nacken kraulte und mit dem Telefon über ihren Rock strich. Wenn es irgendwann einmal klingelt, heißt das, ich bin tot. Dann lauf los. So schnell du kannst, mein Kätzchen. Lauf, und bleib nicht stehen, denn ich werde nicht mehr da sein, um dir zu helfen. Und wenn du irgendwo lebendig ankommst, dann trink einen Tequila auf mich. Auf die guten alten Zeiten, meine Schöne. So verantwortungslos und so draufgängerisch war der Güero Dávila. Der Meister der Cessna. König der kurzen Pisten nannten ihn seine Freunde und auch Don Epifanio Vargas. Er konnte Kleinflugzeuge in dreihundert Metern in die Luft kriegen, mit Paketen voller Koks und Gras hinten drin, und in stockdunklen Nächten knapp über dem Wasser fliegen, hin und her über die Grenze, unbemerkt von den Radaren der Militärpolizei und den Geiern der amerikanischen Drogenbehörde. Und er konnte auf Messers Schneide leben, hinter dem Rücken der Bosse seine eigenen Trümpfe ausspielen. Aber er konnte auch verlieren.

Das Wasser rann an ihr herunter und bildete eine Pfütze zu ihren Füßen. Das Telefon klingelte immer noch. Sie wusste, es war nicht nötig, abzuheben und sich bestätigen zu lassen, dass den Güero sein Glück verlassen hatte. Das Klingeln allein musste genügen, um seine Anweisungen zu befolgen und wegzulaufen; aber man akzeptiert nicht so leicht, dass ein einfaches Klingeln das Leben so vollständig verändern können soll. Also griff sie schließlich nach dem Telefon, drückte auf die Taste und horchte.

»Den Güero hat es erwischt, Teresa.«

Sie erkannte die Stimme nicht. Der Güero hatte Freunde, einige davon auch treu, dem Ehrenkodex jener Zeit verpflichtet, in der sie Marihuana und Päckchen mit Schnee in Reifenfelgen über El Paso in die Vereinigten Staaten transportiert hatten. Es konnte jeder von ihnen sein, vielleicht Neto Rosas oder Ramiro Vázquez. Sie erkannte den Anrufer nicht, aber das war völlig egal, denn die Botschaft war eindeutig. Den Güero hat es erwischt, wiederholte die Stimme. Sie haben ihn erledigt, zusammen mit seinem Vetter. Jetzt ist die Familie von seinem Vetter dran und dann du. Also lauf, so schnell du kannst. Lauf und bleib nicht stehen. Dann wurde das Gespräch unterbrochen, sie starrte auf ihre nassen Füße und merkte, dass sie vor Angst und Kälte zitterte; sie dachte, dass, wer auch immer der Übermittler gewesen sein mochte, er die Worte vom Güero wiederholt hatte. Sie sah den Typen vor sich, wie er in einer verqualmten Cantina über die Gläser hinweg aufmerksam nickte, ihm gegenüber der Güero, einen Joint rauchend, die Beine unterm Tisch über Kreuz, wie er immer dasaß, mit seinen spitzen Cowboystiefeln aus Schlangenleder, dem Tuch um den Hemdkragen, der Fliegerjacke über der Stuhllehne, den raspelkurzen blonden Haaren und dem schmalen, selbstsicheren Lächeln. Wenn sie mir das Genick brechen, wirst du das für mich tun, Kumpel. Du musst ihr sagen, sie soll laufen und bloß nicht stehen bleiben, weil sie ihr sonst auch den Hals umdrehen werden.

Plötzlich überkam sie eine Panik, die nichts mehr mit dem kalten Entsetzen zu tun hatte, das sie zunächst empfunden hatte. Jetzt brachen Ungewissheit und Wahnsinn über sie herein, entrissen ihr einen kurzen trockenen Schrei, während sie die Hände vors Gesicht schlug. Die Beine gaben unter ihr nach; sie setzte sich aufs Bett und sah sich um. Die weißgoldenen Streben des Kopfendes, an den Wänden die Bilder mit den romantischen Landschaften und Pärchen, die durch Sonnenuntergänge schlenderten, die kleinen Porzellanfiguren, die sie für die Konsole gesammelt hatte, um ihnen ein hübsches, behagliches Heim zu schaffen. Sie wusste, dass es schon jetzt kein Heim mehr war, dass es sich in wenigen Minuten in eine Falle verwandeln würde. Sie betrachtete sich im großen Spiegel des Wandschranks. Nackt, noch feucht, zwischen den dunklen Haarsträhnen, die ihr am Gesicht klebten, ihre schwarzen Augen, weit aufgerissen, blank vor Entsetzen. Lauf und bleib nicht stehen, hatten sie gesagt, der Güero und die Stimme, die seine Worte wiederholt hatte. Dann lief sie los.