Cover

Warrior Cats - Der Ursprung der Clans. Der erste Kampf

WARRIOR CATS

Staffel I

In die Wildnis (Bd. 1)

Feuer und Eis (Bd. 2)

Geheimnis des Waldes (Bd. 3)

Vor dem Sturm (Bd. 4)

Gefährliche Spuren (Bd. 5)

Stunde der Finsternis (Bd. 6)

Staffel II – Die neue Prophezeiung

Mitternacht (Bd. 1)

Mondschein (Bd. 2)

Morgenröte (Bd. 3)

Sternenglanz (Bd. 4)

Dämmerung (Bd. 5)

Sonnenuntergang (Bd. 6)

Staffel III – Die Macht der drei

Der geheime Blick (Bd. 1)

Fluss der Finsternis (Bd. 2)

Verbannt (Bd. 3)

Zeit der Dunkelheit (Bd. 4)

Lange Schatten (Bd. 5)

Sonnenaufgang (Bd. 6)

Staffel IV – Zeichen der Sterne

Der vierte Schüler (Bd. 1)

Fernes Echo (Bd. 2)

Stimmen der Nacht (Bd. 3)

Spur des Mondes (Bd. 4)

Der verschollene Krieger (Bd. 5)

Die letzte Hoffnung (Bd. 6)

Staffel V – Der Ursprung der Clans

Der Sonnenpfad (Bd. 1)

Donnerschlag (Bd. 2)

Der erste Kampf (Bd. 3)

Der Leuchtende Stern (Bd. 4)

Der geteilte Wald (Bd. 5)

Der Sternenpfad (Bd. 6)

Staffel VI – Vision von Schatten

Die Mission des Schülers (Bd. 1)

Donner und Schatten (Bd. 2)

Zerrissene Wolken (Bd. 3)

Dunkelste Nacht (Bd. 4)

Fluss aus Feuer (Bd. 5)

Wütender Sturm (Bd. 6)

Special Adventure

Feuersterns Mission

Das Schicksal des WolkenClans

Blausterns Prophezeiung

Streifensterns Bestimmung

Gelbzahns Geheimnis

Riesensterns Rache

Brombeersterns Aufstieg

Mottenflugs Vision

Habichtschwinges Reise

Short Adventure

Wolkensterns Reise

Distelblatts Geschichte

Nebelsterns Omen

Taubenflugs Schicksal

Die Welt der Clans

Das Gesetz der Krieger

Die letzten Geheimnisse

Von Helden und Verrätern

Alle Abenteuer auch als Printausgaben bei Beltz & Gelberg

www.warriorcats.de

Hinter dem Namen Erin Hunter verbirgt sich ein ganzes Team von Autorinnen. Gemeinsam konzipieren und schreiben sie die erfolgreichen Tierfantasy-Reihen WARRIOR CATS, SEEKERS, SURVIVOR DOGS und BRAVELANDS.

Besonderen Dank an Cherith Baldry

Für Josh, meinen Sohn (danke für die zahlreichen Teestunden)

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DIE HIERARCHIE DER KATZEN

WOLKENHIMMELS LAGER

GROSSER SCHATTENS LAGER

STREUNER

HAUSKÄTZCHEN

PROLOG

Wasser stürzte vor dem Höhleneingang hinab. Ein grauer Kater sah zu, wie es abwärtsrauschte. Es dämpfte das Geräusch des Windes und ließ die gezackten Gipfel in der Ferne weicher erscheinen, bevor es tief unten in einem Regenbogen aus Gischt verschwand.

Katzen tappten dahinter durch ihre Höhle, kaum mehr als Schatten im gesprenkelten Licht. Sehnsucht schimmerte in den Augen des grauen Katers. Mit zuckenden Ohren lauschte er den leisen Gesprächen. »Steine in meinem Nest!«, krächzte eine Älteste verärgert. »Immer hab ich Steine in meinem Nest.«

»Ich such sie dir raus.« Winzige Pfoten huschten durch die Höhle.

»Komm zurück, Häherfrost«, rief eine Königin verängstigt. »Deine Pfoten sind zu empfindlich für spitze Steine.«

»Irgendwann müssen sie schließlich abgehärtet werden«, murrte die Älteste.

Der graue Kater wandte sich um, sein Pelz kribbelte.

»Die ist für dich, Trübes Wasser.« Ein alter, roter Kater schob der Kätzin mit dem matten Pelz eine magere Maus zu.

Trübes Wasser beäugte die Beute auf dem unebenen Höhlenboden vor ihrem Nest. »Gib sie einer jüngeren Katze.« Sie nickte Häherfrost zu, der das Nest der Ältesten von kleinen Kieseln befreite.

»Du musst essen«, drängte Brüllender Löwe.

»Es ist das letzte Beutestück«, protestierte die Kätzin.

»Die Jäger sind doch sicher bald zurück. Vielleicht haben sie etwas gefangen«, rief ihnen ein brauner Kater zu, der sich am Rand der Höhle mit einer weißen Kätzin die Zunge gab.

Der graue Kater spitzte glücklich die Ohren. »Gebrochener Zweig! Schneehase!« Er tappte zu den beiden hinüber und fuhr erstaunt zurück, als vier Junge seinen Weg kreuzten.

»Hier wird nicht getobt!« Ihre Mutter eilte hinter ihnen her.

Tau auf Blatt. Der Kater sah die Kätzin mit leuchtenden Augen an. Deine Jungen sind gesund zur Welt gekommen! Das freut mich sehr. Er schnurrte kurz und verstummte. »Wenn Mondschatten wegen seiner Jungen geblieben wäre, würde er jetzt vielleicht auch noch leben«, flüsterte er.

»Grauer Flug?«

Ein heiseres Miauen riss ihn aus seinen Gedanken. Eine alte Kätzin kam aus den Schatten der Höhle getappt.

»Steinsagerin!« Grauer Flug eilte zu ihr. »Du kannst mich sehen?«

»Natürlich.« Sie reckte ihre Nase, um ihn zu begrüßen. »Wir träumen denselben Traum.«

Er berührte ihre Schnauze und erschrak, als er spürte, wie kalt sie war. Er lebte jetzt schon seit so vielen Monden auf dem Moor, dass er vergessen hatte, wie unerbittlich die Kälte in den Bergen war, die nie wirklich ihre Macht verlor.

Er blickte sich in der Höhle nach seinen alten Stammesgefährten um. »Können sie uns sehen?«

»Wir können aus unserem Traum hinausschauen«, erklärte die Steinsagerin. »Aber sie nicht herein.«

Grauer Flug blinzelte. »Bin ich hier oder träume ich in meinem Nest auf dem Moor?«

»Beides.« Die Augen der Steinsagerin blitzten belustigt auf, für einen Moment leuchteten sie hell und jung. »Vorerst geht es aber nur um diesen Ort.«

Grauer Flug erstarrte, als er den getupften Pelz einer grauen Kätzin erblickte. »Sanfter Regen.« Seine Brust schnürte sich zu, als er seine Mutter zusammengerollt in ihrer Schlafkuhle liegen sah. Ihre traurigen, sanften Augen verfolgten das Spiel des Lichts auf den Höhlenwänden. »Geht es ihr gut?«, fragte er die Steinsagerin.

»Sie ist gesund«, versicherte die Steinsagerin.

»Wenn ich ihr doch nur sagen könnte, dass wir die Reise gut überstanden haben, dass es Wolkenhimmel gut geht – und Zackiger Berg auch, trotz seiner Behinderung. Sie war so besorgt, als wir fortgezogen sind – und hat uns trotzdem ermutigt.«

»Sie wird es erfahren«, versprach die Steinsagerin.

Grauer Flug hörte sie kaum. Zackiger Berg und Wolkenhimmel geht es gut. Es war nur die halbe Wahrheit und der Kummer um dieses Wissen bohrte sich wie ein Eiszapfen in sein Herz. Sollte er gestehen, dass Zackiger Berg inzwischen hinkte, weil nach einem Sturz vom Baum eines seiner Hinterbeine steif geblieben war? Ich habe geschworen, dass ich ihn beschützen werde.

Und Wolkenhimmel? Seinem Wurfgefährten war zwar nichts zugestoßen, aber er hatte sich so verändert, dass Sanfter Regen ihren Erstgeborenen wohl kaum wiedererkennen würde. Sie hatten das beutereiche Land, auf das sie gehofft hatten, zwar gefunden, aber die Katzen, die so einträchtig durch die Berge gezogen waren, hatten sich in zwei Gruppen aufgeteilt, nachdem sie die warmen Wiesen und Wälder ihres neuen Zuhauses erreicht hatten. Wolkenhimmel hatte mit einem Teil seiner alten Stammesgefährten den Wald in Besitz genommmen. Es schmerzte Grauer Flug, dass er sogar sich selbst eingestehen musste, auf welch grausame Weise sein Bruder seinen Teil am Überfluss der Beute verteidigte.

Grauer Flug brannte vor Scham unter seinem Pelz. Ich habe versagt – bei meinen Wurfgefährten und vor meiner Mutter.

Er spürte, dass ihm die Steinsagerin in die Augen sehen wollte, doch er konnte ihrem Blick nicht begegnen.

»Es ist nicht deine Schuld, Grauer Flug.« Sie deutete mit der Schnauze auf ihre mageren Stammeskatzen. »Wenn Katzen wenig haben, teilen sie gern.« Sie berührte ihn sacht mit der Schnauze an der Schulter. »Der Überfluss macht uns gierig.«

Grauer Flugs Kopf schnellte hoch. Wusste sie, was er dachte? Wolkenhimmel war einmal sein bester Freund gewesen. Jetzt standen sie sich wie Rivalen gegenüber.

»Ich habe in meinem Leben viel gesehen.« Die Steinsagerin neigte den Kopf. »Ich will dich warnen: Gier ist erst der Anfang.« Ihre Augen wurden düster. »Es wird Krieg geben.«

Grauer Flug schluckte. »Gegen Wolkenhimmel?«

»Hab keine Angst«, tröstete die Steinsagerin.

Grauer Flug hob seinen Kopf. »Ich habe keine Angst!« Trotzdem schlug sein Herz schneller. Wie soll ich gegen meinen eigenen Bruder kämpfen? »Denk daran, wie viele Katzen dich lieben und dir vertrauen«, flüsterte die Steinsagerin. »Du hast dich zwar mit Wolkenhimmel entzweit, aber Zackiger Berg ist dir geblieben.«

Mit einem warmen Gefühl in der Brust erinnerte sich Grauer Flug an den Mut und die Treue seines kleinen Bruders.

»Und Schildkrötenschwanz?« Die Steinsagerin sah ihn mit großen Augen neugierig an. »Wie geht es ihr?«

»Sie ist glücklich.« Ein liebevolles Schnurren dämpfte Grauer Flugs Miauen.

»Dann hast du schließlich doch erkannt, wie sehr sie dich liebt.« Die Augen der Steinsagerin leuchteten. »Das freut mich.«

Grauer Flug trat von einer Pfote auf die andere. Jetzt sah er Schildkrötenschwanz vor sich, wie sie neben ihm schlief, während er durch seine Träume wanderte. Kieselherz, Eulenauge und Sperlingfell, ihre Jungen, die mit jedem Tag größer wurden, kuschelten sich an ihren Bauch. Obwohl ihr leiblicher Vater ein Hauskätzchen war, liebte er sie wie seine eigenen, und sie liebten ihn, genau wie Schildkrötenschwanz.

Ein Schmerz durchzuckte sein Herz. Sie fehlten ihm, obwohl er wusste, dass er sie mit dem Pelz berührte, weit weg auf dem Moor. Wieso? Sein Verstand wurde allmählich wirr, und so zwang er sich, mit seinen Gedanken in die Höhle zurückzukehren. Vorerst geht es nur um diesen Ort.

Wehmütig sah er die Steinsagerin an, aber ihr Blick ruhte auf dem Wasserfall, schwaches Mondlicht beleuchtete ihr Gesicht.

Sie schloss die Augen. »Warum bist du hergekommen?«

Habe ich mir diesen Traum ausgesucht? Sein Pelz kribbelte unbehaglich. Etwas hatte seine tiefen Erinnerungen geweckt. Aber was? Plötzlich nagten Schuldgefühle in seinem Bauch. Seit die Katzen aus den Bergen auf dem Moor angekommen waren, hatten sie so viel Tod gesehen. Grauer Flug erstarrte unwillkürlich, wenn er an Fuchs dachte, den Streuner, der bei einem Grenzstreit versehentlich durch seine eigenen Pfoten gestorben war. »Wir haben den Tod mitgebracht.«

»Ihr habt Veränderung mitgebracht«, tröstete die Steinsagerin.

»Aber muss Veränderung immer in Blut geboren werden?« Ich wollte doch nur, dass meinen Freunden nichts zustößt.

»Wir werden alle in Blut geboren«, miaute die Steinsagerin leise. »Aber es kennzeichnet den Anfang, nicht das Ende.«

Den Anfang? Würde noch mehr Blut vergossen werden?

Nebel wallte zum Höhleneingang herein, verschluckte die Stammeskatzen und umhüllte die Steinsagerin, bis er sie nicht mehr sehen konnte.

»Steinsagerin!« Der dichte Schleier erstickte seinen Schrei. »Geh nicht!« Traurigkeit schnürte ihm den Hals zu. Er wollte seine alten Freunde nicht wieder verlieren.

»Ich glaube an dich, Grauer Flug«, hallte das Miauen der Steinsagerin durch den Dunst. »Immer.«

Der Nebel nahm Grauer Flug die Sicht, drang in seine Kehle. Er rang nach Luft, ihm schwindelte und seine Gedanken wurden wirr, dann nahm ihn die Dunkelheit auf.

1. KAPITEL

Wolkenhimmel kniff die Augen zusammen. Er sah Donner mit seinem leuchtend roten Pelz durch den Farn stapfen. Sein Sohn kletterte den Moorhügel hinauf, verließ mit Frost den Wald.

Wahrscheinlich kann er gar nicht anders. Wolkenhimmel versuchte, den nagenden Kummer in seinem Bauch zu ignorieren. Über ihm flüsterte eine sanfte Brise in den Blättern. Warmes Sonnenlicht betupfte seinen Pelz. Hinter ihm knarrten die knorrigen Äste der alten Bäume. Wo eine dicke Laubschicht den Boden bedeckte, sammelten sich Modergerüche um seine Pfoten. Das hier war sein Territorium. Wenn Donner nicht hier leben wollte, dann sollte er doch gehen. Frost musste gehen, aber Donner hatte sich freiwillig dafür entschieden. Frost war verletzt – seine Wunde heilte nicht und konnte schlimmer werden. Eine infizierte Katze durfte nicht in seinem Lager bleiben. Ihre Schwäche würde die Waldkatzen belasten. Warum sieht Donner das nicht ein? Enttäuscht bohrte er seine Krallen in die Erde. Warum verstanden ihn die meisten Katzen nicht? Er wollte doch nur seinen Waldstamm beschützen – etwas anderes hatte er nie gewollt, seit sie sich hier niedergelassen hatten. Aber wegen seiner Fürsorge hatte ihn sein eigener Sohn Monster genannt. Nun, dann muss er eben gehen. Ich kann nicht erlauben, dass meine Autorität untergraben wird. Wolkenhimmel musste sich das nur immer wieder sagen, dann würde das nagende Gefühl in seinem Bauch verschwinden …

Waldstamm! Das Wort schallte wie der Ruf einer Amsel durch Wolkenhimmels Kopf. Zum ersten Mal hatte er die Waldkatzen als Stamm bezeichnet. Nein! Energisch schob er den Gedanken beiseite. Wir sind kein Stamm! Nach Monden mit reicher Beute waren die Waldkatzen geschmeidiger und wohlgenährter als die armseligen Hungerleider, die in den Bergen geblieben waren. Unter der richtigen Führung würden sie im üppigen Wald gut gedeihen. Sie würden stärker als alle Bergkatzen werden. Kälte und Hunger sollten sie nie mehr erleiden.

Mit einem Schwanzschnippen kehrte Wolkenhimmel um und lief in den Wald zurück.

Ein weißer Pelz blitzte am Rand seines Blickfeldes auf. Fallende Feder schlich am Waldrand durch das hohe Gras.

Wenn Wolkenhimmel an die letzten Worte dachte, mit denen Fallende Feder Donner verabschiedet hatte, sträubte sich vor Wut sein Rückenfell. Am liebsten würde ich mitkommen. Donner hatte die weiße Kätzin überreden wollen, dass sie mit ihm ging. Und sie hatte tatsächlich darüber nachgedacht!

Wolkenhimmel ließ die Krallen ausfahren. »Fallende Feder!«

Ihr Kopf schnellte hoch. »Wolkenhimmel?« Sie schien überrascht.

»Ich will mit dir reden.«

Sie blinzelte ihn über das Gras hinweg an. »Worum geht es denn?«

Wolkenhimmel kniff die Augen zusammen. Wusste sie nicht, dass er alles mitgehört hatte? »Mir ist nicht entgangen, wie du dich von Donner und Frost verabschiedet hast.«

»Ach ja?«

Sie tat so, als wüsste sie nicht, was er meinte, aber er sah ihr das schlechte Gewissen am gekräuselten Pelz im Nacken an. »Komm zu mir.« Er machte ein finsteres Gesicht. »Nun?«

»Ich habe ihnen nur alles Gute gewünscht, sonst nichts.« Sie lief durch das hohe Gras auf ihn zu.

»Donner hat dich gefragt, ob du mitkommen willst.« Er starrte sie vorwurfsvoll an.

Sie sprang aus dem Gras und landete eine Schwanzlänge entfernt auf dem laubbedeckten Boden. »Ich hab Nein gesagt.«

»Du hast gesagt, du würdest am liebsten mitgehen.« Er umkreiste sie, seine Schwanzspitze zuckte verärgert. Sie schien sich keiner Schuld bewusst.

»Und doch bin ich geblieben.« Ihr Blick wurde strenger. »Und was geht dich das an? Ich kann gehen, wohin ich will.«

Wolkenhimmel verzog die Lippen. Was für eine dumme Katze! Sah sie denn nicht, wie sehr sie seinen Schutz und seine Führung brauchte? »Du gehörst jetzt zu meinem Stamm. Wenn ich mich nicht auf deine Loyalität verlassen kann, dann solltest du vielleicht wirklich besser gehen.«

»Stamm?« Fallende Feder riss erstaunt die Augen auf. »Wir sind kein Stamm. Die Hälfte von uns lebt in den Bergen. Und die Hälfte der Katzen, die mit uns gereist sind, lebt auf dem Moor. Wir haben keinen Steinsager, der uns leitet.«

Wolkenhimmel wurde es heiß unter seinem Pelz. Das Wort war ihm versehentlich herausgerutscht. Musste sie ihn unbedingt beleidigen? »Gut, dann sind wir eben kein Stamm«, blaffte er. »Wir sind besser als ein Stamm. Wer braucht einen Steinsager? Ihr habt mich.« Er peitschte mit dem Schwanz. »Jetzt führe ich euch an. Ich habe ein Lager für uns ausgesucht. Ich lege unsere Grenzen fest. Du solltest mir dankbar sein. Denn ich sorge dafür, dass ihr nie mehr Hunger leiden oder frieren werdet.«

»Du?« Fallende Feder schnaubte. »Du tust gerade so, als hättest du uns hierhergebracht! Hast du vergessen, dass wir die Reise aus den Bergen gemeinsam zurückgelegt haben? Und wer hat Flinkes Wasser vor dem Ertrinken gerettet? Das war ich! Wer hat Zackiger Berg vor dem Adler gerettet? Das war Grauer Flug. Wir beschützen uns gegenseitig. Alle Katzen sind gleichwertig – abgesehen von der Steinsagerin. Sie spricht mit den Ahnen. So klug wie sie wirst du niemals sein!«

Wolkenhimmel kochte vor Wut. »Schau dich doch um!« Er deutete mit dem Schwanz auf die Bäume. Vögel sangen in den Zweigen. Beute wuselte zwischen den Wurzeln. »Wenn sie so klug ist, warum ist sie dann in den Bergen geblieben, wo sie verhungern wird?«

Fallende Feder stieß ihm ihre Schnauze ins Gesicht. »Sie hat für ihre Katzen gesorgt!«

»Das tue ich auch!« Wolkenhimmel war empört. Wie konnte Fallende Feder nur so undankbar sein? »Durch mich bist du in Sicherheit und hast genug zu essen.«

»Es ist der Wald, der uns ernährt«, widersprach Fallende Feder missbilligend.

»Und wer sorgt dafür, dass uns niemand den Wald wegnimmt?« Wolkenhimmel riss seinen Kopf zu den Grenzmarkierungen am Waldrand herum.

»Du interessierst dich nur noch für Grenzen«, erklärte Fallende Feder vorwurfsvoll. »Sobald sich die Gelegenheit bietet, dehnst du sie weiter aus. Dabei gibt es im Leben auch noch was anderes als Territorien!«

»Ach, wirklich?«, fauchte Wolkenhimmel. »Willst du unsere Beute mit jedem dahergelaufenen Streuner teilen?«

»Es gibt genug Beute für alle im Wald!«

»Aber wir haben jetzt Junge! Hast du Birke und Erle vergessen?« Wolkenhimmel konnte nicht glauben, dass sie so kurzsichtig war. »Eines Tages wird es mehr Junge geben und immer mehr! Willst du, dass sie verhungern wie Flatternder Vogel?« Die Trauer um seine kleine Schwester, die in den Bergen gestorben war, kehrte zurück. Schuldgefühle trübten seine Erinnerung. Würde sie noch leben, wenn ich mich beim Jagen mehr angestrengt hätte? »Ich will nie mehr erleben, dass ein Junges verhungert.«

»Glaubst du vielleicht, ich würde das wollen?«, fauchte Fallende Feder ihn an. »Hör auf, so zu tun, als ob du die Grenzen nur für uns immer weiter ziehst. Dabei tust du es nur aus Gier!«

Wut rauschte in seinen Ohren. Schnell wie eine Schlange zog ihr Wolkenhimmel seine Krallen über die Schnauze.

Fallende Feder fuhr erschrocken zusammen und starrte ihn an, als würde sie ihn kaum wiedererkennen.

Er bleckte die Zähne. »Alles, was ich tue, nützt uns allen«, knurrte er.

Fallende Feder wich zurück, auf ihrer Nase blutete eine Schramme. »Wie du meinst«, miaute sie heiser.

»Es tut mir leid, dass ich dich verletzt habe«, sagte Wolkenhimmel, »aber wenn die kalte Zeit kommt und es neue Junge im Lager gibt, wirst du verstehen, was ich jetzt schon weiß: Jede Katze, die meine Loyalität infrage stellt, bringt uns alle in Gefahr.« Mit einem Schwanzschnippen kehrte er um und lief in den Wald hinein.

Der Geruch nach verkohltem Holz hing immer noch in der Luft, als sie schweigend durch den Wald wanderten, obwohl das große Feuer bereits mehrere Monde hinter ihnen lag. Im Lager angekommen, kletterte Wolkenhimmel den steilen Hang an der einen Seite hinauf und beobachtete Fallende Feder, die über die Lichtung zu den knorrigen Wurzeln einer Eiche huschte. Dort ließ sie sich allein nieder und leckte hastig über den blutenden Kratzer auf ihrer Schnauze. Flinkes Wasser eilte zu ihr und die beiden Kätzinnen steckten tuschelnd die Köpfe zusammen.

Wolkenhimmel trat von einer Pfote auf die andere. Schwatzten sie über ihn? Beschwerte sich Fallende Feder, weil er ihr die Schnauze zerkratzt hatte? Er fragte sich, ob er einschreiten sollte. Er mochte es nicht, wenn Katzen hinter seinem Rücken über ihn redeten. Andererseits würde er vielleicht alles nur noch schlimmer machen, wenn er die Aufmerksamkeit auf das Gejammer von Fallende Feder lenkte. Sein Pelz kribbelte unbehaglich, aber er hielt seine Zunge im Zaum.

Sein Blick fiel auf Tannenzapfen und Nessel. Die beiden jungen Kater waren erst vor Kurzem zu ihnen in das Waldlager gestoßen. Ihre Loyalität war immer noch so brüchig wie trockenes Laub. Sie hatten Donner überredet, Wolkenhimmels Entscheidung wegen der zu erweiternden Waldgrenzen infrage zu stellen.

Ein Knurren stieg in Wolkenhimmels Kehle auf. Er musste sie fester an sich binden. Und ihnen ihre Feigheit austreiben! Mutige Katzen hätten ihre Kritik selbst vorgebracht.

Er richtete sich auf, sprang den Hang hinab und tappte zur Mitte der Lichtung.

Blatt, ein grau-weißer Kater, der sich ganz hinten auf der Lichtung am Fuß eines glatten Steins den Pelz putzte, blickte auf. Er sah Wolkenhimmel in die Augen. »Will Donner uns wirklich verlassen?«

»Er ist schon weg.« Wolkenhimmel peitschte mit dem Schwanz. Er wollte nicht über die Vergangenheit nachdenken. Allein die Zukunft zählte. »Kommt her und hört, was ich zu sagen habe.« Sein Blick schweifte über die Waldkatzen.

Flinkes Wasser tappte zu ihm, Fallende Feder folgte ihr. Nessel und Tannenzapfen gingen um ihn herum und blieben eine Schwanzlänge entfernt stehen. Blatt schüttelte den Pelz, trat zu Nessel und sah den jungen Streuner fragend an.

Ein gelbes Gesicht spähte unter einer ausladenden Eibe hervor. »Gibt es eine Versammlung?«

Wolkenhimmel winkte die Katze mit dem Schwanz herbei. »Ja, Blume. Komm bitte zu uns.«

Als die Kätzin mit dem goldenen Pelz unter den dunkelgrünen Zweigen hervorschlüpfte, spähten zwei Junge mit leuchtenden, großen Augen hinter ihr her.

»Keine Sorge, Birke.« Blume drehte sich um und beruhigte den jungen Kater. Sie nickte auch seiner Schwester zu, die neben ihm hockte. »Erle, bleib wo du bist. Und achte darauf, dass Birke nicht wegläuft.«

Mit einem liebevollen Schwanzschnippen scheuchte sie die beiden in die Schatten zurück und überquerte die Lichtung.

»Was gibt es?« Sie gesellte sich zu Fallende Feder.

Wolkenhimmel achtete nicht auf sie. Er musterte Birke und Erle, die unter der Eibe hervorspähten. Blume war nicht ihre Mutter. Sie kümmerte sich seit dem Tod ihrer Mutter um die beiden.

Nachdem ich ihre Mutter getötet habe.

Die Worte dröhnten ungebeten in seinem Kopf. Schuldgefühle krochen wie Würmer durch seinen Pelz. Er knurrte tief in seiner Kehle. Nein! Sie hat uns angegriffen! Ich habe nur meine Katzen verteidigt.

Sie hat nur ihre Jungen verteidigt.

Er ignorierte den Einwand, der in seinen Ohren hallte, und konnte seine zitternden Pfoten nur mühsam zur Ruhe bringen. Ich muss stark bleiben, wenn ich meine Katzen durch die kalte Zeit bringen will. Noch grünte der Wald, bevor nach der warmen Zeit die Hitze Einzug halten würde. Aber es blieb niemals warm. Viel zu schnell würde der Frost in den Wald zurückkehren. Dann verkroch sich die Beute im Boden, und der Hunger lauerte den Katzen so gnadenlos auf wie ein Fuchs, genau wie in den Bergen.

»Wolkenhimmel?« Blumes Miauen riss ihn aus seinen Gedanken.

Er schnippte mit dem Schwanz und sprang an Blatt vorbei auf den Stein.

Seine Katzen wandten sich ihm zu.

»Donner und Frost sind gegangen und werden nicht zurückkehren.« Nessel und Tannenzapfen wechselten vielsagende Blicke.

»Katzen, die nicht loyal sind, haben im Wald nichts zu suchen.« Sein Kopf fuhr zu Fallende Feder herum.

Sie richtete sich auf. »Ich bin …«

Er schnitt ihr das Wort ab.

»Fallende Feder hat daran gedacht, mit ihnen zu gehen.«

»Nur für einen kurzen Moment!«, protestierte Fallende Feder.

Mit Genugtuung sah er ihre großen, grünen Augen schuldbewusst aufblitzen. Ängstlich blickte sie sich nach den anderen Katzen um. Wolkenhimmel hoffte, dass sie den schuldbewussten Blick ebenfalls bemerkt hatten. Dann würden sie verstehen, was er vorhatte. »Ein kurzer Moment ist schon zu viel«, knurrte er. »Wenn wir die kalte Zeit überstehen wollen, müssen wir jetzt starke Grenzen errichten und für rückhaltlose Loyalität sorgen.« Er stolzierte zum Rand des Steins und funkelte Fallende Feder an. »In harten Zeiten muss ich mich auf dich verlassen können.«

Flinkes Wasser hob die Schnauze. »Du kennst Fallende Feder, seit du ein Junges warst«, rief sie zu ihm hinauf. »Natürlich kannst du dich auf sie verlassen.«

Blatts Augen schweiften zu Fallende Feder. »Und was ist mit uns, die wir nicht in den Bergen geboren sind? Können wir uns auf sie verlassen?«

Wolkenhimmel musterte die Gesichter der Katzen eindringlich. Gab es noch weitere Katzen, die wie Blatt zweifelten?

»Natürlich!« Flinkes Wasser starrte Blatt wütend an.

Blume kniff die Augen zusammen. »Wolkenhimmel hat recht«, miaute sie. »Wir müssen uns aufeinander verlassen können, auch wenn die Zeiten hart sind. Wenn wir wie Streuner leben wollten, wären wir Streuner geblieben. Aber wir haben uns Wolkenhimmel angeschlossen, weil wir ihm glauben, dass er uns ein besseres Leben bieten kann.«

»Ganz genau!« Wolkenhimmel reckte triumphierend den Schwanz in die Luft. »Wie schön, dass zumindest du mich verstehst, Blume. Ich will nur das Beste. Loyalität wird uns stark machen. Dann können wir einander vertrauen. Nur dann sind wir sicher.« Sein Blick kehrte zu Fallende Feder zurück. »Und deshalb muss sie bestraft werden.«

Das Fell auf dem schneeweißen Rücken der Kätzin richtete sich auf. »Bestraft?« Ihr Miauen war kaum zu hören.

Wolkenhimmel musterte die übrigen Katzen. »Wenn irgendwelche Zweifel an ihrer Loyalität aufkommen, ist mir das sofort zu berichten. Unverzüglich!« Er wartete, bis Blume nickte und Blatt zustimmend blinzelte.

Tannenzapfen und Nessel scharrten unbehaglich mit den Pfoten.

»Unverzüglich!« Wolkenhimmel zeigte die Zähne.

Sie nickten hastig.

»Flinkes Wasser?« Wolkenhimmel funkelte die grau-weiße Kätzin an.

»Ich werde nichts über sie zu berichten haben.« Sie funkelte zurück. »Fallende Feder würde niemals Zweifel an ihrer Loyalität aufkommen lassen.«

Er kniff die Augen zusammen. »Jede Katze darf Fallende Feder Befehle erteilen. Jede Katze darf ihr Beute wegnehmen, wenn sie das will. Sie ist geringer als eine Schlange, bis sie unser Vertrauen zurückgewonnen hat.«

Fallende Feder war zutiefst gekränkt, was man an ihren glänzenden Augen sah, aber sie wehrte sich nicht.

Wolkenhimmel wechselte das Thema. »Doch da sind wichtigere Dinge zu besprechen.« Er blickte auf Tannenzapfen und Nessel hinab. »Es gibt Katzen, die an meiner Entscheidung zweifeln, dass wir unsere Grenzen erweitern müssen.« Er sah, dass Nessel die Krallen ausfahren ließ. Seine Warnung war angekommen. Zufrieden milderte er seinen Ton. »Ich will es euch erklären«, miaute er freundlich. »Es ist zu eurem eigenen Besten. Versteht ihr das?« Mit einem Kopfnicken deutete er auf die vielen Bäume im Lager. Überall dazwischen zeigten sich geschwärzte Stämme. »Das Feuer hat in unserem Territorium viel zerstört, und es wird lange dauern, bis sich der Wald erholt und die Beute zurückkehrt. Bis dahin brauchen wir ein größeres Gebiet zum Jagen. Und da Donner und Frost gegangen sind und kleine Mäuler gestopft werden müssen …« Er blickte zur Eibe. Birke war aus den Schatten gekrochen und sah zu ihm auf, Erle hatte ihn mit den Zähnen beim Schwanz gepackt und versuchte, ihn unter die Zweige zurückzuzerren. Wolkenhimmel fuhr fort. »Wir müssen so viel Territorium wie möglich erobern.«

Blatt machte ein finsteres Gesicht. »Territorium erobern ist eine Sache«, rief er. »Aber wie sollen wir es sichern

Wolkenhimmel ließ die Krallen spielen. »Wir patrouillieren an den Grenzen und verjagen jede Katze, die sie übertritt.«

»Auch Grauer Flug?« Flinkes Wasser legte den Kopf schief. »Schließlich ist er dein Bruder.«

Wolkenhimmel wurde wütend. »Er hat mich angegriffen! Er hat behauptet, ich hätte das Hauskätzchen Hummel getötet!« Sein Pelz sträubte sich vor Entrüstung. »Ich soll ein Hauskätzchen getötet haben?« Mit einem Schwanzschnippen deutete er auf Birke und Erle. »Ich rette Katzen. Ich töte sie nicht.« Dann wechselte er schnell das Thema, bevor ihn eine Katze daran erinnern konnte, wie die beiden ihre Mutter verloren hatten. »Es sind finstere Zeiten und die Zeit der Kälte steht unmittelbar bevor. Wir alle zusammen müssen daran arbeiten, unser Zuhause stark und sicher zu machen!«

»Alle zusammen! Alle zusammen!«, miaute Blume eifrig.

»Alle zusammen!« Blatt fiel ein.

Tannenzapfen schloss sich dem grau-weißen Kater an. »Alle zusammen!«

Wolkenhimmels Brust schwoll vor Stolz, als die Katzen begeistert ihre Zustimmung jaulten. Sogar Flinkes Wasser und Fallende Feder fielen ein, allerdings mit misstrauischen Seitenblicken auf ihre neuen Gefährten. Na und? Er wusste, dass Loyalität und Vertrauen unter seinen Katzen erst wachsen mussten. Aber es würde sich lohnen. Bis zur nächsten Zeit der Wärme würde der Wald ihnen gehören und sie ernähren und schützen. Wir müssen stark sein. Wolkenhimmel hob das Kinn. »Lasst uns trainieren, damit uns keine Katze mehr besiegen kann!«

»Trainieren?« Blatt riss die Augen auf, die übrigen Katzen verstummten.

»Wir werden Kampftechniken üben, bis wir besser sind als alle Streuner und Moorkatzen!« Begeisterung loderte in ihm auf und seine Gedanken rasten. Wenn wir unsere Fertigkeiten und Stärken vereinen, können wir unser Territorium verteidigen. »Nessel!« Wolkenhimmel sprang vom Stein und umkreiste den grauen Kater. »Du trainierst mit Tannenzapfen.« Er tappte zu Tannenzapfen und knuffte ihn in die schildpattfarbene Schulter. »Mach schon«, drängte er. »Greif ihn an!«

»Ich will meinen Freund aber nicht verletzten!«, warf Nessel ein.

»Dann zieh die Krallen ein«, befahl Wolkenhimmel. »Ich will nur, dass ihr uns eure Kampftechniken zeigt.« Er nickte Blatt und Blume zu. »Wir beobachten euch.« Mit der Schwanzspitze winkte er Flinkes Wasser und Fallende Feder heran. »Wir lernen eure Fertigkeiten, dann zeigen wir euch, was wir können.«

Blatt nickte. »Großartige Idee, Wolkenhimmel. Wir kennen bestimmt nur einen Teil ihrer Techniken.«

Blume beugte sich vor. »Und ich kann ihnen auch was zeigen.«

»Danach darfst du kämpfen«, versprach Wolkenhimmel beschwingt, weil seine Katzen so wissbegierig waren. Er blinzelte Tannenzapfen zu. »Bist du bereit?«

Tannenzapfen nickte, seine Bernsteinaugen leuchteten. »Ich bin bereit.«

»Ich auch.« Nessel peitschte mit dem Schwanz und duckte sich.

Tannenzapfen kniff die Augen zusammen und baute sich vor seinem Freund auf.

Wolkenhimmel tappte über die Lichtung und schob Blatt, Blume, Fallende Feder und Flinkes Wasser zurück, bis er einen großen Kreis für die beiden jungen Kater frei geräumt hatte.

»Dürfen wir zusehen?« Birke versuchte, seinen Schwanz von Erle loszureißen, weil sie immer noch daran zog.

»Natürlich«, schnurrte Wolkenhimmel nachsichtig. »Ihr könnt gar nicht früh genug anfangen zu lernen.«

Flinkes Wasser funkelte ihn missbilligend an. Er ignorierte sie. Wenn die beiden dann zu furchtlosen, geschickten Kämpfern heranwuchsen, würde sie ihre Meinung hoffentlich ändern.

Er trat beiseite, als Birke und Erle so schnell angesaust kamen, dass sie Blume fast umgerannt hätten.

Mit dem Schwanz hinter sich über den Boden peitschend, ließ Tannenzapfen Nessel nicht aus den Augen.

Nessel starrte finster zurück, die Muskeln spielten unter seinem Pelz.

Tannenzapfen sprang. Nessel stieg auf die Hinterläufe und wehrte ihn in der Luft ab. Ihr Zusammenprall hallte dumpf durch das Lager. Beide stürzten. Nessel landete auf Tannenzapfen, hob die Vorderpfoten und stemmte sich damit auf die Schultern des Freundes. Tannenzapfen bekam keine Luft mehr. Er rollte herum, zog die Hinterläufe an, und als Nessel noch einmal ausholte, trat er zu. Er traf Nessel mit den Hinterpfoten am Unterkiefer und schleuderte ihn gewaltsam von sich.

Blume sauste aus dem Weg. Erle und Birke hatten die Augen weit aufgerissen und rührten sich nicht von der Stelle, als der riesige Kater auf sie zugeflogen kam.

»Weg da!«, befahl Blume.

Wie Mäuse huschten sie kreischend davon und entkamen gerade noch, bevor Nessel schwer am Boden landete, wo sie gestanden hatten.

»Mach ihn fertig, Tannenzapfen!«, rief Wolkenhimmel.

Tannenzapfen war bereits auf die Pfoten gesprungen, Wut brannte in seinen Augen. Er hatte offensichtlich nicht damit gerechnet, dass Nessel ihn so energisch angreifen würde. Fauchend stürzte er sich auf den Freund.

Nessel wappnete sich zu spät. Tannenzapfen traf ihn mit Wucht und warf ihn zu Boden. Knurrend zog sich Nessel zusammen und schnappte nach den Pfoten des Freundes, als der gefleckte Kater auf die Hinterläufe stieg. Er biss Tannenzapfen ins Bein, zog daran, worauf sein Freund taumelte und fiel. »Mich macht niemand fertig!« Fauchend sprang Nessel mit gefletschten Zähnen auf Tannenzapfens Kehle zu.

»Genug!« Wolkenhimmel schoss vor, packte Nessel beim Nackenfell und zog ihn zurück. »Es wird niemand verletzt.«

»Er wollte mich verletzen.« Nessel funkelte Tannenzapfen an.

»Ich habe mich nur verteidigt!«, fauchte Tannenzapfen.

»Ihr habt beide gut gekämpft«, lobte Wolkenhimmel. Die Wildheit der Kämpfer hatte ihm gefallen. Wenn sie unter Freunden schon so viel Einsatz zeigten, wie würden sie dann mit Feinden umgehen? »Das war ein gelungener Zug, Nessel.« Er nickte dem grauen Kater anerkennend zu. »Tannenzapfen war nicht darauf vorbereitet, dass du nach seinen Hinterläufen schnappst.« Er wandte sich an Tannenzapfen. »Und du hast dich beim Springen bewährt. Du musst uns allen zeigen, wie du diese Drehung hingekriegt hast.«

»Das mach ich mit dem Schwanz«, erklärte Tannenzapfen.

Blatt legte neugierig den Kopf schief. »Wie denn?«

»Ich zeige es euch.« Tannenzapfen duckte sich. »Wenn du springst, musst du die Drehung mit der Schwanzspitze einleiten. Wenn du richtig schnippst, bekommst du genug Schwung.« Er sprang, drehte sich in der Luft und landete elegant auf den Pfoten.

Nessel beugte sich vor. Die Neugier hatte seine Wut verdrängt. »Ich wusste gar nicht, dass du das kannst.«

»Versuch’s mal«, spornte der Freund ihn eifrig an.

Wolkenhimmel setzte sich. Die Wut der beiden war bereits vergessen. Sie wollten nur noch besser kämpfen lernen. Ein warmes Gefühl der Befriedigung kroch durch seinen Pelz. Beide waren talentierte Katzen. Und mit dem richtigen Training wären sie tödlich.

2. KAPITEL

»Wir müssen ihn zur Rede stellen und bereit sein, zu kämpfen.«

Grauer Flug sah, wie Windläufer auf der Lichtung hin und her lief. Ihr brauner Pelz kräuselte sich vor Nervosität.

Mit peitschendem Schwanz fuhr sie fort: »Je eher wir Widerstand leisten, desto schneller wird er begreifen.«

Die drahtige Streunerin war kräftiger geworden, seit sie sich ihnen angeschlossen hatte. Es bekommt ihr gut, dass sie regelmäßig frisst.