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Dritte unveränderte Auflage 2015.

(Erste Auflage 2008.)

ISBN-13: 978-3-939562-26-9

2015

Lichtschlag Buchverlag

Natalia Lichtschlag Buchverlag und Büroservice

Malvenweg 24, 41516 Grevenbroich

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INHALT

EINLEITUNG

Die Verlockung des Vergessens und Verdrängens ist sehr groß. Doch wir werden ihr nicht erliegen.

(SPD-Bundeskanzler Schröder)1

„Jeder fünfte Gewerkschafter steht rechts“. So die Zusammenfassung2 einer noch relativ jungen Studie über das als „rechts“ angesprochene „rechtsextreme Potential“ in den bundesdeutschen Gewerkschaften. Danach3 sind 19,1 Prozent der gewerkschaftlich Organisierten „rechtsextrem“ orientiert, worunter wohl so etwas wie „nationalsozialistisch“ gemeint sein dürfte. „Gewerkschaftsmitglieder aus der Mittelschicht, die die Hälfte aller Mitglieder ausmachen, sind anderthalb Mal so häufig rechtsextrem eingestellt wie Nichtmitglieder aus dieser Schicht“. Dies ist deshalb gewichtig, weil 43 Prozent der Gewerkschaftsfunktionäre dieser Schicht angehören. Insgesamt bedeutet dies bei ca. 7,5 Millionen Mitgliedern der DGB-Gewerkschaften etwa 1,5 Miollionen gewerkschaftliche Rechtsextremisten, was die Mitgliederzahl sämtlicher amtlich in „Verfassungsschutzberichten“ als „rechtsextrem“ eingestuften Parteien weit übertrifft! Bekanntlich ist die politische Partei, die den Gewerkschaften zumindest bislang am nächsten steht, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD). Deren Parteifunktionäre gefallen sich zunehmend darin, die „Gefahr des Vergessens und Verdrängens“ zu beschwören. Dabei ist nicht gemeint, es könnte die Tatsache vergessen werden, dass Hitler zu Beginn seiner politischen Karriere als Sympathisant der Sozialdemokratie galt4 und sich in seinen mehr privaten Ausführungen, verglichen mit seinen Einschätzungen zu sonstigen konkurrierenden Parteien und Strömungen, fast nur positiv zur SPD geäußert hat. Politisch und ideologisch ist es Hitler denn auch erkennbar darum gegangen, die SPD-Wähler anzusprechen und sie in sein Regime zu integrieren, was ihm mit seiner sozial-staatlich-sozialistischen Wirtschaftspolitik so weitgehend gelungen ist, dass auch die Exil-SPD (Sopade) schon 1934 feststellen musste, dass sich das Hitler-Regime hauptsächlich auf die Arbeiterschaft und damit wesentlich auf ehemalige SPDWähler stützen konnte. Ja mehr noch: Die gewollte Integration der ehemaligen SPD-Wähler in das NS-Regime ist in einem Ausmaß gelungen, dass man sogar von „so etwas wie eine(r) Affinität sozialdemokratischer Arbeiter zu Hitler“ sprechen konnte, „die auch umgekehrt zutraf.“5

Diese Tatsache wollen die bundesdeutschen SPD-Ideologen, die angesichts des weltweiten Scheiterns sozialistischer wirtschaftspolitischer Konzepte, unter Einschluss „gemäßigter“, ihren spezifischen sozialdemokratischen Daseinszweck6 zunehmend im „Kampf gegen Rechts“ sehen, sehr wohl und dies sogar nachhaltig „vergessen und verdrängen“. Mit ihrer Politik des „Vergessens und Verdrängens“ ist dabei die SPD sicherlich die erfolgreichste Partei Deutschlands; denn wer denkt heute schon an „SPD“, wenn das Stichwort „Rassenhygiene“ fällt? Obwohl der Komplex, der unter „Eugenik“ läuft, sehr wohl ein zentrales Anliegen der SPD von etwa 1900 bis in die 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts dargestellt hat. Dabei gab es auch sozialdemokratische Befürworter der Euthanasie, also der staatlichen Menschentötung zur sozialpolitischen Kostensenkung und als Beitrag zur Veredelung der menschlichen Rasse. Selbst die SPDler, die davor zurückgeschreckt sind, „Menschenvernichtung“ zu propagieren, haben instinktiv erkannt, dass diese in der Konsequenz demokratiefördernder Menschheitsverbesserung läge, deren Ziel in der Schaffung eines germanenhaften Zukunftsmenschen lag, von dem der seinerzeit für die gesamte SPD-Programmatik maßgebliche Parteiideologe Karl Kautsky schwärmte. Dass sich bei Verwirklichung des Sozialismus auch das Verschwinden des Judentums ergeben sollte, hat Kautsky ausdrücklich postuliert, wenngleich er dies sicherlich anders meinte als es später vom Nationalsozialismus verwirklicht werden sollte. Die bundesdeutsche sozialdemokratische Kampfformel gegen „Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ (oder „Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit“ oder noch intelligenter: „Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus“), die ausgestattet mit SPD-kontrolliertem „Verfassungsschutz“, SPD-Parteiverbotsforderung gegenüber konkurrierenden Parteien, SPD-Diskriminierungspolitik gegenüber nicht-sozialdemokratischen Beamten und dergleichen, sich zunehmend zu einer bundesdeutschen Unterdrückungsformel gegen politische Gegner der SPD entwickelt, verdrängt völlig, dass der Antisemitismus des Nationalsozialismus, der im Zentrum sozialdemokratischer Bewältigungsaufforderungen an die politische Konkurrenz steht, sich sehr wohl aus der sozialistischen Tradition ergibt, mit der die Sozialdemokratie erkennbar im Zusammenhang steht. Damit wird auch deutlich, dass die zivilreligiösen Bewältigungsaufforderungen der SPD sich als durchaus heuchlerisch darstellen, was in diesem Charakter wohl noch übertroffen wird von der Bewältigungspolitik der nunmehr auch in der Sozialdemokratie fest etablierten 68er, die einst nicht davor zurückgeschreckt waren, unter dem Poster eines chinesischen Nationalsozialisten zu marschieren und damit überdeutlich machen, dass gerade sie am wenigsten „aus der Geschichte gelernt“ haben. Dies dürfte anzeigen, dass an der üblichen „Bewältigung“ etwas grundlegend falsch sein muss, wenn sie vor allem „gegen rechts“ hetzt. Unter „rechts“ ist dabei im Zweifel etwas gemeint, bei dem Hitler gegen Ende seiner Karriere bedauert hat, dies nicht selbst nachhaltig bekämpft zu haben!

Als politisches und weltanschauliches Phänomen des 20. Jahrhunderts, dessen Neuartigkeit sich in dem in Deutschland völlig traditionsfremden Swastika-Zeichen manifestiert, hatte der Nationalsozialismus (NS) sicherlich auch eine konservative und sogar auch liberale Vorgeschichte. Die „Bewältigung“ lediglich dieser partiellen Vorgeschichte als (angebliche) Nachgeschichte haben SPD-„Moralisten“ im Sinn, wenn sie von „der Gefahr des Vergessens und Verdrängens“ schwadronieren. Dabei hat sich der NS selbst nur in einem äußerst beschränkten Sinne, soweit dies gerade noch mit „national“ abgedeckt werden konnte, in die konservative und liberale Traditionslinie eingeordnet. Was sich aber eigentlich als offensichtlich darstellt, ist die selbstgewählte Einordnung in die sozialistische Traditionslinie, weil sich der NS sonst nicht als „national-sozialistisch“, sondern allenfalls als „sozial-nationalistisch“ und dergleichen bezeichnet hätte: Mit der Namensgebung Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) liegt erkennbar ein Aufgreifen, wenngleich auch eine charakteristische Modifizierung der Bezeichnung Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (S(A)PD) vor, wie sich die SPD kurzfristig nach ihrem Gothaer Einigungsparteitag, bei dem sich die Anhänger Lassalles mit denen von Marx/Engels zusammenfanden, von 1875 bis 1890 genannt hatte. Die „Bewältigung“ dieser wohl zentralen sozialistischen Traditionslinie des Nationalsozialismus steht in einer mehr systemischen Weise trotz mittlerweile guter Vorarbeiten immer noch aus. Diese Bewältigung der Vergangenheit erscheint jedoch im Interesse der Gegenwarts- und Zukunftsbewältigung dringend erforderlich, wie das offensichtlich vorhandene „rechtsextremistische Potential“ bei den sozialdemokratischen und post(?)kommunistischen Gewerkschaften der Bundesrepublik Deutschland anzeigt, das man aufgrund der sozialistischen Ausrichtung der Gewerkschaften dann wohl nicht anders denn als national-sozialistisch wird ansprechen können. Sollte der Sozialismus, das Unheil, das sich im 20. Jahrhundert in unterschiedlicher, aber doch typischer Weise eingestellt hat, im 21. Jahrhundert noch eine Chance haben, sich erfolgreich durchzusetzen, dann kaum als International-, sondern schon viel eher als National-Sozialismus, schon weil das ideologisch zentrale sozialistische Gleichheitsversprechen nur bei begrenzten Kollektiven7 nachvollziehbar zu realisieren ist, während dieses bezogen auf ein internationales Kollektiv wie „Menschheit“ oder (internationale) „Arbeiterklasse“ im Ergebnis doch sehr utopisch bleibt. Deshalb galt auch schon in der Vergangenheit, dass der Nationalsozialismus immerhin einigermaßen demokratisch an die Macht kommen konnte und damit eine aus demokratischer Sicht bei weitem größere Legitimität aufwies, während der International-Sozialismus von vornherein nur durch Terror, Staatsstreich und Interventionskrieg („Revolution“) eine Chance hatte, an die Macht zu gelangen. Aufgrund der heuchlerischen „Vergangenheitsbewältigung“ als zivilreligiöser Veranstaltung der Bundesrepublik ist sicherlich gewährleistet – und dies ist vielleicht ihr einziger, wenngleich aus mehreren Gründen fragwürdiger Erfolg! –, dass der NS nicht unter dieser Bezeichnung Einfluss erhalten wird, sondern – wie bereits im Zusammenhang mit den bundesdeutschen 68ern geschehen – unter ganz anderen Bezeichnungen wie etwa „Antifaschismus“ auftreten wird, wobei nur den intelligenteren Vertretern dieser Strömungen klar sein dürfte, in welcher Kontinuität sie stehen. Mit einiger Wahrscheinlichkeit kann gesagt werden, dass es das Phänomen „68er“ in der Weise wie es insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland in Erscheinung getreten ist, nämlich mit terroristischen Auswirkungen und Pol-Pot-Unterstützung oder auch nur als Politisierung der Sexualität, nicht gegeben hätte, wenn auch der zentrale sozialistische Aspekt des Nationalsozialismus „bewältigt“ gewesen wäre.

Nun kann natürlich grundsätzlich eingewandt werden, dass „Vergangenheitsbewältigung“ als kollektivistische politische Aufgabe selbst schon ein beinahe nationalsozialistisch zu nennendes Unding ist, zumal selbst Individuen eine derartige „Bewältigung“ kaum gelingt. Die rechtsstaatliche Alternative zu National- oder auch International-Sozialismus bestünde in der Tat nicht in der Begründung einer amtlichen Gegenideologie, die sich notwendigerweise als so etwas wie „NS-inversus“ darstellt, und dementsprechend sollten die (national-) sozialistischen Züge, die etwa dem bundesdeutschen politischen Strafrecht8 und sonstigen Staatsschutzrecht immer noch anhaften, nicht verwundern. Deshalb wäre eigentlich zu fordern, dass die „Vergangenheitsbewältigung“ zumindest als staatliche und damit notwendigerweise zivilreligiös-kollektivistische Veranstaltung aufhört. Dieses rechtsstaatliche gebotene Ziel der Abschaffung der staatlichen Vergangenheitsbewältigung erscheint jedoch angesichts der Tatsache, dass treibendes Motiv der „Bewältigung“ das – unverdiente – moralische Machtprivileg für die politische Linke im weitesten Sinne darstellt, politisch nur erreichbar, indem aus den immerhin bedenkenswerten Ausführungen eines unorthodoxen marxistischen Denkers9 die angemessenen Folgerungen gezogen werden: „Das Phänomen des ´Dritten Reiches´ kann nur aus der Entwicklung der ganzen deutschen Gesellschaft seit der Jahrhundertwende, vor allem seit 1914, erklärt werden. Es gibt keinen Teil des deutschen Volkes, der im Laufe des ersten Vierteljahrhunderts keinen Anteil an seiner Entstehung genommen hätte und an seiner weiteren ideologischen und organisatorischen Ausbildung völlig unschuldig wäre. Dies gilt sogar für das deutsche Judentum,10 das im ´Dritten Reich´ fast ausgerottet worden ist ... So hat es nicht nur manche Juden, sondern auch zahlreiche Sozialdemokraten gegeben, welche nur durch ihre ´Rasse´ oder durch ihre sonstige Untragbarkeit für die NSDAP daran gehindert worden sind, zu Hitler überzugehen. Ebensowenig wie das deutsche Judentum kann also die deutsche Sozialdemokratie ohne weiteres von der Mitschuld an der Entstehung und Entwicklung des Nationalsozialismus freigesprochen werden, ja sie – im Hinblick auf ihren lassalleanischen und späteren ´mehrheits-sozialdemokratischen´ Flügel – sogar am allerwenigsten. Die deutsche Sozialdemokratie hätte also gut daran getan, nach 1945 ihre eigene Vergangenheit selbstkritisch zu untersuchen, nicht nur im Hinblick auf jene politischen Fehler, welche die Machtergreifung der NSDAP erst ermöglicht haben, sondern vor allem in Bezugnahme auf jene theoretischen Positionen, welche dem Nationalsozialismus ideologisch Vorschub leisten mussten.“

Im vorliegenden Werk geht es schwerpunktmäßig um diesen primär sozialdemokratischen bzw. (international-)sozialistischen Kontext der nationalsozialistischen Ideologie und die zumindest kongeniale Fortsetzung derselben in der Nachkriegszeit im Drittwelt-Sozialismus und der sog. 68er-Generation. Selbstverständlich ist dem Verfasser – schon aufgrund der einschlägigen bundesdeutschen verbalen Staatsrituale – bewusst, dass der Nationalsozialismus noch andere Aspekte aufwies, worauf sicherlich auch eingegangen werden muss. Der Gesamtkomplex ist vielleicht angemessen wie folgt11 zusammengefasst: „Die meisten, die sich auf den Nationalsozialismus einließen, taten das wegen eines der verwaschenen Programmpunkte. Die einen folgten der NSDAP, weil es gegen den Erbfeind Frankreich ging, die anderen, weil die Staatsjugend massiv mit den überkommenen Moralvorstellungen brach; katholische Geistliche segneten die Waffen für den Kreuzzug gegen den gottlosen Bolschewismus ...; dagegen begeisterten sich sozialistisch vorgeprägte Volksgenossen für die antiklerikalen und antielitären Züge des nationalen Sozialismus.“ Während man nicht Sozialist sein musste, um gegen Frankreich oder gegen den Bolschewismus zu sein, die so motivierte NS-Unterstützung erscheint wohl abgesehen von den Methoden eher akzidentiell, musste man fast notwendigerweise Sozialist sein, um die Abwendung von der traditionellen (Sexual-)Moral gut zu finden, und vor allem musste man Sozialist sein, um vom sozialen Gleichheitsversprechen besonders angetan zu sein, allerdings von einer „sozialen Gleichheit, die auf die Rechtsgleichheit des Menschen pfeift“.12 Und genau dieser Aspekt ist in erster Linie bewältigungsbedürftig, da ein verwandter Komplex innerhalb der bundesdeutschen Gewerkschaften bereits bei den letzten Bundestagswahlen zu einer Stärkung des Postkommunismus durch Hinzufügen von „Elementen des Konzepts ´nationaler Sozialismus´“13 geführt hat. Dies bedroht dann in der Tat zumindest ideologisch-konzeptionell die als „liberal“ eingeschätzte Verfassungsordnung der Bundesrepublik, weil dieser Komplex auf eine stillschweigende Umwertung des Gleichheitsund Freiheitskonzepts hinausläuft, die sozialistisch gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet ist; die Freiheitsrechte werden hierbei nämlich kollektivistisch entwertet: Die SPD-BRD und die Spät-68er, zu denen sich die Verwalter des ehemaligen „allgemeinen sozialistischen Zuchthauses“ (Bismarck zu den Folgen der Umsetzung der zeitgenössischen SPD-Programmatik) gesellen, diskriminieren zunehmend Leute, die nicht gleich denken, das heißt nicht der „demokratisch“ gebotenen Einheitsmeinung oder ihren Paraphrasen folgen, die der SPD-Verfassungsschutz, insbesondere auch hinsichtlich des Vergangenheitsverständnisses, noch „tolerieren“ kann. Dies macht wiederum die Bewältigungsbedürftigkeit des Sozialismus deutlich. Die Bundesrepublik Deutschland wird erst dann eine normale liberale Demokratie sein, wenn die staatliche Bewältigung bewältigt ist. Kern der Bewältigung dieser Bewältigung ist die Bewältigung des Sozialismus. Diesem Vorhaben fühlt sich das vorliegende Buch im Interesse einer liberalen Gesellschaftsordnung verpflichtet.

1 S. FAZ vom 26.01.2005: Die Verlockung des Verdrängens ist sehr groß. Berlin gedenkt der Auschwitz-Opfer / Schröder: Widerliche Hetze der Neonazis / Die NPD.

2 S. spiegel-online vom 28. Juni 2005; mit „rechts“ ist dabei die Ideologievokabel „rechtsextrem“ gemeint.

3 So der Kommentar von Hans-Ulrich Jörges, Die Gewerkschaftspartei, in: Stern 37/2005, S. 154.

4 S. Höhne, a. a. O., S. 41 f. m. w. N.

5 S. Höhne, a. a. O., S. 360.

6 Zur SPD s. umfassend auch die Ausführungen des Verfassers: Diskussion über Verbot der SPD? - Würdigung der Sozialdemokratie nach VS-Methodik, in: Schüßlburner / Knütter, a. a. O., S. 475 ff.

7 So die zutreffende Erklärung des „rechtsextremistischen“ Potentials bei den DGB-Gewerkschaften von Götz Aly im Interview mit dem Handelsblatt vom 10.08.2005, S. 5: Elemente des nationalen Sozialismus.

8 S. dazu Gerhard Wolf, a. a. O.

9 S. Willy Huhn, a. a. O., S. 27 f. (Hervorhebungen vom Original übernommen).

10 Was damit gemeint ist, hat wahrscheinlich der liberale Nobelpreisträger F.A. v. Hayek in seinem einschlägigen Werk besser als Huhn zum Ausdruck gebracht, wenn er ausführt (s. a. a. O., S. 230): „Wir sollten niemals vergessen, dass durch den Hitlerschen Antisemitismus viele aus Deutschland vertrieben worden oder zu seinen Feinden geworden sind, die in jeder Beziehung überzeugte Totalitäre der deutschen Spielart gewesen sind“, um in der einschlägigen Anmerkung fortzufahren: „Besonders wenn wir den Prozentsatz ehemaliger Sozialisten betrachten, die Nationalsozialisten geworden sind, muss man bedenken, dass wir über die wahre Bedeutung dieses Verhältnisses erst Aufschluss erhalten, wenn wir es nicht zur Gesamtzahl der ehemaligen Sozialisten in Beziehung setzen, sondern zu der Zahl derjenigen, deren Bekehrung unter keinen Umständen durch ihre Abstammung verhindert worden wäre. Eine der überraschendsten Seiten der politischen Emigration aus Deutschland ist die verhältnismäßig kleine Zahl von Flüchtlingen der Linken, die nicht „Juden“ im deutschen Sinne sind. – Wie oft hören wir nicht Lobreden auf das deutsche System, die so anfangen, wie kürzlich in einem Vortrag eine Aufzählung der des Nachdenkens werten Seiten der totalitären Technik „der Wirtschaftsmobilisierung“ eingeleitet wurde: ‘Hitler ist alles andere als mein Ideal. Ich habe zwingende persönliche Gründe dafür, warum er es nicht ist, aber ...’“.

11 S. Götz Aly, Hitlers Volksstaat, S. 355 f.

12 So zu Recht Aly, im angeführten Handelsblattinterview.

13 So Aly, ebenda, hinsichtlich der Wahlpropaganda des ehemaligen SPD-Vorsitzenden und SPD-Kanzlerkandidaten und nunmehrigen DDR-Verharmlosers der WASG-PDS / Linkspartei Lafontaine, nunmehr: Die Linke.

1. KAPITEL „NATIONALSOZIALISMUS ALS KONSEQUENTERE SOZIALDEMOKRATIE“

Der ganze Reformismus lebt davon, dass er sich um die wichtigen Fragen drückt. Wo der Reformismus ... sie entscheidet, da tut er ... dies konform mit der Logik der Nazis

(Wolfgang Pohrt) 1

Hitler ist keineswegs so leicht als extrem rechts im politischen Spektrum einzuordnen, wie viele Leute zu tun gewohnt sind

(Sebastian Haffner) 2

In seinem bekanntesten Buch Auf dem Weg zur Knechtschaft, 3 also zum Sozialismus, hat der liberale Wirtschaftsnobelpreisträger v. Hayek ein Kapitel aufgenommen, das dem Thema gewidmet ist: Die sozialistische Wurzel des Nationalsozialismus. Angesichts dieser Feststellung müsste der Gelehrte von Hayek in der Bundesrepublik Deutschland der „Verfassungsfeindlichkeit“ verdächtigt werden: „Für die SPD gehören auch die Meinungen, ´die nicht davor zurückschrecken, den Sozialismus in die Nähe des Nationalsozialismus zu rücken´ zur Grauzone demokratiebedrohender Mentalitäten.“4 Dies macht deutlich, dass durch die Frage nach dem möglichen Zusammenhang zwischen Nationalsozialismus und Sozialismus, die sich wohl schon aus sprachlichen Gründen aufdrängt, die in der BRD mittlerweile ideologiepolitisch maßgebliche SPD sich in die Defensive gedrängt sieht. Bekanntermaßen hat sie doch selbst mit Sozialismus etwas zu tun, was je nach zeitgeistbedingter Wahlkampfopportunität in den Hintergrund geschoben, dann aber wieder hervorgehoben wird.

a) Hitler - ein Rechtsextremist?

Die SPD begnügt sich jedoch nicht damit, die für sie anscheinend peinliche Fragestellung zu tabuisieren, sondern macht staatliche Ideologiepolitik, indem sie über ihr Personal bei den öffentlich in Erscheinung tretenden Inlandsgeheimdiensten, dem sogenannten „Verfassungsschutz“, für den „mündigen Bürger“ verbindlich den Nationalsozialismus (NS) amtlich als „rechtsextrem“ einordnen lässt, womit er mit dem üblicherweise als „links“ verstandenen Sozialismus nichts zu tun haben kann. Es handelt sich bei dieser ideologiepolitischen Begrifflichkeit naturgemäß um keine rechtsstaatlich operable Begriffsbildung, sondern um eine staatlich-ideologische Diffamierungskategorie5, wie schon einer jüngsten Parteiverbotsbegründung des Bundesrates entnommen werden kann, die nach Ansicht von „Experten“ die bislang beste Definition gebracht habe. Man schwankt dabei zwischen einer weiten Rechtsextremismusdefinition, die auf die Elemente Nationalismus und Rassismus setzt, und einer engen, die klassische Elemente des Hitlerismus wie Antisemitismus und Sozialdarwinismus integriert, aber immerhin kommt man zu der Feststellung, dass die rechtsextreme Szene in sich sehr differenziert ist und daher zwar „alle Neonazis Rechtsextremisten, aber nicht alle Rechtsextremisten Neonazis seien.“6 Als eindeutig „rechtsextrem“ gilt der gewissermaßen klassische NS. Wer hier Zweifel äußert oder anderer Ansicht ist, läuft angesichts der durch „Verfassungsschutz“ verwalteten Staatsorthodoxie Gefahr, in der „freiheitlichen“ BRD, deren „Verfassungsschutz“ einen im Widerspruch zur westlichen Demokratiekonzeption stehenden Demokratie-Sonderweg7 darstellt, diskriminiert zu werden; es besteht nämlich durchaus die Gefahr, amtlich diffamierend als „Rechtsextremist“ (oder als jemand, bei dem „Anzeichen des Verdachts“ dafür bestünden) eingeordnet zu werden, auch wenn man kein „Nazi“ ist. Eigentlich müsste dann auch v. Hayek der „Verfassungsfeindlichkeit“ verdächtigt werden!

Der geheimdienstlich geschützten bundesdeutschen Staatsdogmatik soll folgende Frage entgegengehalten werden: Um welche Person der Zeitgeschichte wird es sich wohl handeln, die gegen Ende des Berufslebens als Grund des Scheiterns eines weitreichend angelegten politischen Vorhabens resigniert feststellte, beim Kampf gegen die linken Klassenkämpfer vergessen zu haben, „auch den Schlag gegen rechts zu führen“? Sprach so etwa gar der Präsident einer bundesdeutschen Verfassungsschutzbehörde in der Endphase der bundesdeutschen Kommunistenverfolgung? Oder handelt es sich um den Vorsitzenden einer der demokratischen Parteien nach einer vernichtenden Wahlniederlage? Nein! Die Wahrheit ist viel furchtbarer: Es geht um Hitler höchstselbst, der diesen Ausspruch nach Mitteilung seines Adjutanten v. Below8 auf einer Tagung der Reichs- und Gauleiter am 24. Februar 1945 tat. Nun könnte man denken, dass hier ein „besonders Rechter“, also ein „Rechtsextremist“, gegen gemäßigte Rechte vorgehen wollte. Dieser Einschätzung widerspricht jedoch die Bewertung des sicherlich unverdächtigen Sebastian Haffner, der darauf hinwies, die einzige Opposition, die Hitler wirklich gefährlich werden konnte – die Militäropposition –, sei von rechts gekommen: „Von ihr aus gesehen stand Hitler links. Das gibt zu denken. Hitler ist keineswegs so leicht als extrem rechts im politischen Spektrum einzuordnen, wie viele Leute zu tun gewohnt sind“.9 Wenn aber Hitler entgegen der bundesdeutschen ideologiepolitischen Staatsbegrifflichkeit kein Rechtsextremist war, da sonst die Verschwörer von 1944, die „rechts von Hitler“ standen, als „Ultrarechtsextremisten“ einzustufen wären – womit den dem „Kampf gegen Rechts“ verpflichteten „demokratischen“ Politikern der Bundesrepublik jegliches Gedenken am 20. Juli verwehrt sein müsste –, war er dann politisch links stehend und – als Verfassungsfeind – gar ein Linksextremist? Hitler selbst hat sich wie bundesdeutsche Politiker häufig auch ideologisch „jenseits von links und rechts“ verortet, jedoch bei genauerer Betrachtung seiner diesbezüglichen Abgrenzung gegenüber dem deutschen Bürgertum und den – traditionell als mehr oder weniger „rechts“ eingestuften – bürgerlichen Parteien Deutschlands deutlich, dass er sich im Zweifel in der Tat eher der politischen Linken zugeordnet hat: „Ich verstehe jeden Sozialdemokraten und Kommunisten in seinem inneren Abscheu vor bürgerlichen Parteien“ und, so fügte Hitler in einer Rede am 20.11.1929 hinzu, „wäre ich nicht Nationalsozialist, so könnte ich, da ich Marxist nicht zu sein vermag, überhaupt keiner Partei angehören“. Hätte sich Hitler eher der traditionellen Rechten zugeordnet und sich Wählerzulauf aus deren Kreisen erhofft, dann hätte die entsprechende Aussage etwa lauten müssen: Er könne die innere Abscheu der bürgerlichen Kreise vor den Sozialisten verstehen, und wäre er nicht Nationalsozialist, könne er überhaupt keiner Partei angehören, da er kein Monarchist zu sein vermöge (was die Anhänger der bürgerlichen Parteien der Weimarer Republik im Zweifel waren, und was die verfassungspolitische Alternativposition beschreibt, die sich damals noch zu stellen schien). So sprach Hitler jedoch gerade nicht, vielmehr war er der SPD dankbar, dass sie in der Novemberrevolution die Monarchie beseitigt hatte10 und er deshalb, anders als der Faschist Mussolini in Italien, nicht gezwungen war, weitgehende Kompromisse mit der „Reaktion“, also mit Kirche, Königshaus und royalistischer Armee einzugehen. Insofern sind Berichte11 glaubhaft, wonach Hitler vor der Niederwerfung der Räte 1919 in München vergeblich versucht habe, sich sowohl der USPD als auch den Kommunisten anzuschließen. Dementsprechend galt Hitler zu Beginn seiner politischen Tätigkeit als SPD-Sympathisant.12 „Jedenfalls wurde er im Februar 1919 zum Vertrauensmann des Demobilisierungsbataillons des 2. Infanterie-Regiments gewählt, der seine Aufträge und auch Schulungen von der Propagandaabteilung der Mehrheitssozialdemokraten erhielt ... Hitlers damalige Annäherung an die regierende SPD ist durch verschiedene Quellen, auch Zeitungsberichte, belegt.“13

Nun könnte man natürlich einwenden, dass Hitler danach, aus welchen Gründen auch immer, einen politisch-weltanschaulichen Positionswechsel vollzogen haben muss. Er wird sich dann als Führer der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) halt nach „rechts“ orientiert haben und ist „rechtsextrem“ geworden, was durch die amtliche Einordnung der BRDInlandsgeheimdienste bestätigt wird. Und wenn die unter dem hehren Titel „Verfassungsschutz“ öffentlich in Erscheinung tretenden bundesdeutschen Geheimdienste mit ihrem Geheimwissen eine derartige Einordnung vornehmen, dann muss dies für den mündigen Bürger der freiheitlichen Bundesrepublik schon als verbindlich angesehen werden, was immer dazu ein liberaler Nobelpreisträger ausgeführt haben mag. Für diese gehorsamst für bundesdeutsche „Demokraten“ verbindliche amtliche Einordnung könnte allerdings sprechen, dass Hitler – was unbestreitbar ist – Sozialdemokraten und Kommunisten (zumindest vor Juli 1944) entschiedener bekämpfte als politische Gegner aus dem bürgerlichen Lager. Dies hängt allerdings damit zusammen, dass Hitler viel größeren Respekt und damit Furcht vor der klassischen deutschen Linken hatte als vor der bürgerlichen Rechten, von der er von vornherein annahm, sie könne ihm nicht gefährlich werden. Genauso wenig wie etwa die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) deshalb als „Rechtspartei“ einzustufen ist, weil sie unter dem Schlagwort „Sozialfaschismus“ in den 1930er Jahren vor allem die SPD bekämpfte, kann die NSDAP allein deshalb als „rechts“ angesehen werden, weil sie KPD und SPD härter als das bürgerliche Lager bekämpft hat. Zu berücksichtigen ist dabei, dass Hitler sich bei Bekundung seiner wahren Absichten eigentlich – abgesehen von der „jüdischen Führungsschicht“ – immer positiv zur SPD geäußert hat.14 Diese Sympathie für die Sozialdemokratie blieb nicht nur bloße nach außen eher verschleierte Mentalreservation bei seinen während der „Systemzeit“ gegen diese Partei gerichteten Wahlkampfreden, sondern es ist Hitler nach der „Machtergreifung“ entschieden um die Integration des sozialdemokratischen Arbeiters in sein „Drittes Reich“ gegangen. Dies ist ihm durch seine sozialpolitischen Maßnahmen derart weitgehend gelungen, dass man schließlich sogar von „so etwas wie eine(r) Affinität sozialdemokratischer Arbeiter zu Hitler“15 sprechen konnte, „die auch umgekehrt zutraf“. Dementsprechend musste die Exil-SPD (Sopade) schon 1934 erkennen: „Stimmungsmäßig verfügt die Regierung über den meisten Anhang in der Arbeiterschaft“. Gerade „das Verhalten der Arbeiter“ gestatte es „dem Faschismus ..., sich immer mehr auf sie zu stützen.“16 Dies hatte sich schon in der „Systemzeit“ abgezeichnet, wo man beobachten konnte, dass die Nationalsozialisten in wirtschaftlichen Fragen häufig mit Sozialdemokraten und Kommunisten stimmten: „Bei 241 namentlichen Abstimmungen im Reichstag und im Preußischen Landtag stimmten zwischen 1929 und Ende 1932 KPD und NSDAP in 140 Fällen gleich. In der 5. Wahlperiode waren sich die beiden extremistischen Parteien sogar nur in acht von 102 Abstimmungen uneins.“17 Dies wurde durchaus von konservativer Seite erkannt und hatte dazu geführt, dass die NSDAP als „links“ eingestuft wurde. So kritisierte eine Zeitschrift des Arbeitgeberverbandes die NSDAP am Vorabend der Reichstagswahlen von 1930 wegen ihrer „aggressiven Unternehmerfeindlichkeit“ und warnte, der NS gehöre zu den verschwörerischen, demagogischen und terroristischen Elementen des zeitgenössischen Sozialismus. Schließlich waren für die deutsche Militäropposition von 1944, die sich vorwiegend aus der politisch sicherlich rechts einzustufenden preußisch-deutschen Oberschicht rekrutierte, NS und Bolschewismus nicht im Sinne der späteren Totalitarismustheorie gleichwertige Extreme der jeweiligen politischen Richtung, sondern in ihrem linken Charakter identisch. Allenfalls graduelle Unterschiede im Linkscharakter wollte etwa Adam von Trott zu Solz erkennen – der Bolschewismus mit seiner „asiatischen Härte und Brutalität“ galt als schlimmer –, und Ulrich von Hassell befürchtete, dass der „Sozialismus in Hitlerscher Form“ unvermeidlich auf dem Wege „innerer Bolschewisierung“ das Zerbrechen der Oberschichten zum Ziele habe.18

Diese Befürchtung kann sich durch die Tatsache bestätigt sehen, dass nach Hitlers eigener Einschätzung die überwiegende Mehrheit der NSDAP-Aktivisten aus „Links-Leuten“ bestand: „Meine damalige Partei war doch zu neunzig Prozent aus Links-Leuten zusammengesetzt. Ich habe nur Leute brauchen können, die geprügelt haben“,19 was unbestreitbar – wie man noch in der BRD beobachten kann – links besser beherrscht als das, was als rechts angesehen wird. Unter diesen „Linksleuten“ ragt vor allem die NS-Ikone Horst Wessel hervor. Dieser könnte allerdings prima facie als Beleg angeführt werden, den NS als „rechts“ einzustufen: Horst Wessel20 entstammte nämlich einem konservativen protestantischen Pfarrhaus und schloss sich nationalistischen Wehrverbänden an, die (insofern liegt die bundesdeutsche Staatsorthodoxie richtig) als „rechts“, genauer als „rechtsradikal“ oder „rechtsextrem“ einzustufen sind. Wessel fand in diesen Verbänden jedoch keine Befriedigung seiner politischen Leidenschaften und trat deshalb 1926 in die SA der NSDAP ein. Als Beweggrund für diesen Positionswechsel vertraute er seinem Tagebuch an, dass die Nationalsozialisten keine rechtsradikale völkische Gruppe sei, sondern nationale Sozialisten. Dabei begriff er, dass die Kommunisten ihm in gewisser Weise näher standen als die Deutschnationalen, von denen er kam. „Eine Erkenntnis vor allem war mir sehr wohl wertvoll: ich versuchte jede politische Richtung zu verstehen, und dabei kam ich dahinter, dass es im roten Lager ebenso viele, vielleicht noch mehr fanatische opferbereite Idealisten gibt als auf der Gegenseite ... Ich war eben Sozialist geworden. Nicht Sozialist aus Gefühl, wie so mancher im bürgerlichen Lager, sondern vor allem Sozialist aus Vernunft. Im Verhältnis mit den früheren Organisationen, denen ich angehörte, war die Partei grundverschieden ... Die Schwungkraft der jungen Bewegung war ungeheuer. Am besten lässt sich das an den Übertritten aus dem marxistischen Lager ermessen.“21

Um diese Selbsteinschätzung einer maßgeblichen NS-Größe zu erläutern: Hier bekennt ein bisheriger ausgewiesener Rechtsradikaler seine bewusste („aus Vernunft“) und nicht nur gefühlsmäßige politische Konversion zu einem Sozialisten. Allerdings schließt er sich daraufhin weder der SPD noch der KPD an, sondern bewusst der NSDAP, die er gegenüber den rechten Gruppierungen, denen er bis dahin angehört hatte, als andersartig, eben als „links“ erkennt; diese Einstufung sieht er wiederum dadurch bestätigt, dass Übertritte zur NSDAP aus dem „marxistischen Lager“ – wohl überwiegend von Kommunisten, aber auch aus der Sozialdemokratie – erfolgten, wobei diesen Übertritten erkennbar keine umgekehrte politische Konversion vom linken ins rechte Lager unterstellt wird. Diese Selbstverortung ist deshalb bedeutsam, weil Horst Wessel als „Märtyrer der Bewegung“ eine zentrale Kultfigur der NSDAP darstellen sollte und daher als repräsentativ für das Selbstverständnis der maßgeblichen NS-Parteikader eingestuft werden kann. Diese Selbsteinstufung eines prominenten NS-Anhängers als „links“ wird etwa bestätigt durch einen anderen Aktivisten, der in der Endphase der Weimarer Republik mit nicht wenigen anderen der späteren NS-Aktivisten kommunistisch-sozialistische Erfahrungen gesammelt hatte, nämlich Adolf Eichmann. Dieser später maßgebliche Organisator des NS-Judenmords sollte in seinen Memoiren mehrfach betonen: „Meine gefühlsmäßigen politischen Empfindungen lagen links, das Sozialistische mindestens ebenso betonend wie das Nationalistische.“22 Er und seine Freunde haben während der „Kampfzeit“ Nationalsozialismus und Kommunismus als „eine Art Geschwisterkinder“ angesehen. Die sicherlich maßgeblichste Selbsteinschätzung stammt aber vom NS-Chefpropagandisten Goebbels,23 der 1931 für den NS ausdrücklich in Anspruch nahm: „Der Idee der NSDAP entsprechend sind wir die deutsche Linke!“, um sich dabei im selben Atemzug „gegen rechts“ wie folgt abzugrenzen: „Nichts ist uns verhasster als der rechtsstehende nationale Besitzbürgerblock.“24 Immerhin hat der später als Willy Brandt bekanntgewordene bundesdeutsche Politiker seinerzeit diesen sozialistischen und damit nach Selbsteinstufung linken Anspruch insofern akzeptiert, als er seine Genossen von der SPDLinksabspaltung Sozialistische Arbeiterpartei (SAP) aufforderte, das „sozialistische Element“ an der Basis des NS zu erkennen: „Das sozialistische Element im Nationalsozialismus, im Denken seiner Gefolgsleute, das subjektiv Revolutionäre an der Basis muss von uns erkannt werden.“25 In Anbetracht dieser Einschätzung und Selbsteinschätzung wird es zumindest Zeit, der historischen Wirklichkeit entsprechend das grundsätzliche Anliegen des Nationalsozialismus – unabhängig davon, ob man dies für sinnvoll oder gar begrüßenswert hält – als solches anzuerkennen, das in der selbst gewählten Bezeichnung zum Ausdruck kam, nämlich eine Verschmelzung von Sozialismus und Nationalismus herbeizuführen: Rücksichtslose Interessenvertretung des Volkes nach innen gemäß dem Grundsatz „Gemeinnutz vor Eigennutz“ ist dabei der sozialistische Anteil, rücksichtslose Vertretung der Volksinteressen nach außen der nationalistische. Der Nationalsozialismus hat damit ein Anliegen aufgegriffen und zur zentralen Ideologie gemacht, das in der Sozialdemokratie schon lange virulent war und insbesondere von einer Richtung vertreten wurde, die in einer jüngsten Abhandlung26 als „sozialdemokratische Junge Rechte“ bezeichnet wird. Diese Einordnung entspricht dabei aber weder dem Selbstverständnis27 dieser Richtung noch der zeitgenössischen Einordnung, die von einem „Linkssozialismus mit nationalen Vorzeichen“28 sprach. Hier verfehlt die wohl ohnehin abwegige geheimdienstliche Ideologiebegrifflichkeit der bundesdeutschen „Bewältigung“ und insbesondere deren Rückprojektion auf vergangene Epochen völlig die einigermaßen objektive Bewertung eines Phänomens, das den „Teil eines ideologischen Kontinuums darstellt, das von liberalen und sozialistischen bis zu neokonservativen und faschistischen Vorstellungen reicht.“29 Dabei können sich – entgegen der bundesdeutschen Bewältigungsprämissen – insbesondere „die Übergänge zwischen sozialistischen und faschistischen Ideologien“ als „fließend“30 darstellen.

b) „Ist der Sozialismus links?“

Die Frage ist dann allerdings, ob Kombinationen wie der innerhalb der SPD vertretene „nationale Sozialismus“ und der außerhalb und gegen die SPD vertretene National-Sozialismus als „links“ eingestuft werden können oder nicht doch eher als „rechts“ oder „rechtsextrem“. Als „rechts“ könnte etwa der NS vielleicht dann eingestuft werden, wenn der Nationalismus als „rechts“ einzustufen wäre und sich gegenüber dem Sozialismus als das maßgebliche Element erweist. Allerdings könnte die Klärung dieser Frage dahingestellt bleiben, wenn schon der Sozialismus gar nicht als „links“ einzustufen wäre. Die Frage wiederum, ob generell der „Sozialismus links“ sei, ist in einer Veröffentlichung eines britischen liberalen think tank31 ausdrücklich gestellt worden. Wäre die Frage zu verneinen, dann würde auch nichts gegen die Einordnung des NS als „rechts“ sprechen, aber man könnte ihm dann ebenfalls nicht den sozialistischen Charakter absprechen! Die Frage, ob Sozialismus „links“ sei, wird dabei aus einer liberalen Position gestellt, die sich in der Anfangszeit dieser politischen Begriffsbildung, nämlich dem späten 18. Jahrhundert verortet, als der Liberalismus sicherlich als links eingestuft werden konnte. Daraus erklärt sich, dass mit dem Begriff „links“ immer noch letztlich liberale Forderungen nach Menschenrechten, Freiheit, Gleichheit und Demokratie assoziiert werden. Diese Prinzipien sind erkennbar – beschränkt man sich auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg – am stärksten in Staaten infrage gestellt worden, die sich offiziell als „sozialistisch“ verstanden haben, so dass die naheliegende Schlussfolgerung wäre, dass es sich etwa beim Sowjetkommunismus nicht um ein linkes, sondern um ein eher rechtes Regime gehandelt haben müsste. Die selbsterklärte politische Linke hat denn auch insbesondere in der Zeit von Sowjetführer Gorbatschow, als sich das Ende des Sowjetkommunismus abzeichnete, weltweit die Sprachregel durchgesetzt, die radikal-marxistischen Gegenspieler von Gorbatschow als „konservativ“ zu bezeichnen. In den von der politischen Linken dominierten Organen der sozialisierten Meinungsfreiheit, also den sogenannten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten des Westens, war daher vom „konservativen Putsch gegen Gorbatschow“ die Rede, als zuletzt eine dem sowjetischen Staatsapparat verbundene radikal-marxistische Gruppierung einen Staatsstreich versuchte, um den Untergang der für „Sozialismus“ stehenden Sowjetunion aufzuhalten und damit die befürchtete Einführung des vom Kommunismus bis dahin entschieden als „rechts“ bekämpften Kapitalismus zu verhindern. Diese ideologie-politische Sprachregelung ist zumindest formal nicht ganz falsch, da es diesen – nach Selbstverständnis linken – Marxisten selbstverständlich darum gegangen ist, etwas zu bewahren, nämlich das Sowjetregime zu „konservieren“. Da aber „konservativ“ traditionell und im Kontext des 18. Jahrhunderts, wo Konservativismus die Gegenbewegung gegen den Liberalismus gewesen ist, in völlig zutreffender Weise für „rechts“ steht, ist mit der Sprachregelung: „konservative Gegner Gorbatschows“ aber gleichzeitig suggeriert worden, der Sowjetkommunismus basiere auf einer „rechten“ Ideologie und die Sowjetunion und dementsprechend auch die DDR stellten eigentlich „rechte“ Regime dar. Dies ist nach dem Untergang dieser Regime in der linken Sprachregelung noch weiter spezifiziert worden, wenn etwa in der ideologie-politischen Weise der amtlichen Sprachregelung der „freiheitlichen“ Bundesrepublik erklärt wird, warum „im Osten“ die als „rechts“ eingeordnete „Fremdenfeindlichkeit“ so groß sei: Dies wird dann auf die DDR-Diktatur zurückgeführt, die als Diktatur, so wird weiter suggeriert, nur „rechts“ sein könne, da sich ja „links“ und „Diktatur“ – trotz des offensichtlich doch irgendwie ärgerlichen Konzepts der „Diktatur des Proletariats“ – eigentlich ausschließen sollten.

Hier wird eine ideologie-politische Anordnung, die zur Zeit der Entstehung dieser politischen Terminologie, nämlich infolge der Französischen Revolution, anerkanntermaßen inhaltlich einen Sinn hatte, formal auf eine ganz anders geartete Situation übertragen und damit grundlegend – man darf wohl sagen: vorsätzlich – verfälscht: Die große Kompromisslösung, die sich schon in dieser Revolution abzeichnete, dort verworfen wurde, um sich dann in der einen oder anderen Variante in Europa mit der sogenannten Restauration bis zum Ende des Ersten Weltkriegs durchzusetzen, bestand in der konstitutionellen oder parlamentarischen Monarchie. Dieses Regierungssystem stellte für die traditionelle Rechte, also für die Konservativen im klassischen Sinne, eine Machtprämie aus und „rechts“ hatte daher ein Interesse, im Konfliktfall die Belange der Regierung bzw. des Staates zu vertreten. „Rechte“ fühlten sich daher naturgemäß veranlasst, grundsätzlich, wenn nicht gar generell, die Grenzen der Freiheit zugunsten der Staatsautorität zu betonen. Dagegen konnte die – in der Regel oppositionelle – Linke aus natürlichem Eigeninteresse für die Freiheit und Demokratie bzw. Demokratisierung eintreten. Aus dieser Konstellation, die von der politischen Lage und Auseinandersetzung des späten 18. Jahrhunderts vorgeprägt wird, ergibt sich die ideologie-politisch noch immer wirksame Assoziation von „links“ mit „demokratisch“ und damit „frei“ oder – bundesdeutsch – „freiheitlich“. Die linke Weltdeutung, die derzeit vor allem durch die durch die Institutionen gelangten 68er formuliert wird, hat darauf basierend eine umfassende, in der BRD teilweise geheimdienstlich verwaltete Geschichtstheologie geschmiedet, die im Ergebnis besagt, dass die bösen politischen Kräfte, die natürlich rechts stehen, Unterdrückung, Kolonialismus, Krieg, Rassismus und was es sonst noch Schlimmes gibt, veranstaltet hätten, was dann von den guten Kräften, die natürlich links stehen, bekämpft und schließlich überwunden worden sei. Allerdings sei dieser Fortschritt, der natürlich links steht, immer wieder bedroht von den bösen Kräften von rechts, also von der rückwärtsgewandten, ewiggestrigen „Reaktion“. Dieses heilsgeschichtlich Böse hat man seit einer unter Stalin ausgebrüteten Sprachregelung, die mittlerweile auch das bundesdeutsche Geheimdienstvokabular prägt, unter der Kampfformel „Faschismus“ zusammengefasst. Was umgekehrt bedeutet, dass die Linke und damit der Sozialismus in seiner unverfälschten (also in nicht wohl irgendwie von „rechts“ manipulierten) Form den demokratischen Fortschritt „verteidigt“: also – man entkommt der Logik dann doch nicht – eine notwendigerweise konservative, wenngleich linke Funktion wahrnimmt, die ihn dann doch als „rechts“ kennzeichnen müsste.

Dem Anspruch des Sozialismus, in dem aus dem späten 18. Jahrhundert transponierten Sinne „links“ zu sein, ist jedoch von liberaler Seite, nicht nur unter Hinweis auf die maßgeblichen totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts widersprochen worden, die sich allerdings selbst nachhaltig als links eingeordnet haben, sondern unter Bezugnahme auf von sich als links verstehenden Positionen im Westen, wo der Sozialismus ja auch noch nach dem Ersten Weltkrieg überwiegend die traditionell gewordene Funktion einer (strukturellen) Opposition einnahm, deren machtpolitisches Argumentationsmittel systemkonform die Berufung auf Freiheit und Demokratie darstellt. Bei dieser liberalen Kritik werden die in Großbritannien relativ unbedeutend gebliebenen kommunistischen Stimmen gänzlich vernachlässigt. Vielmehr interessieren die Aussagen aus dem Bereich der Labour Party, also der – weitgehend nicht-marxistischen – britischen Sozialdemokratie. Diese Stimmen sind auch deshalb bedeutsam, weil der Sozialismus als solcher begrifflich im Westen, also im postrevolutionären Frankreich, entstanden ist, um sich im viktorianischen Großbritannien zu institutionalisieren, wenn er auch vor allem in Deutschland bis zum Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Marxismus und verwandten Phänomenen wie der Ideologie von Lassalle gewissermaßen seine theoretische und vor allem organisatorische Endform erhalten sollte: Dies machte die deutsche Sozialdemokratie im Kontext der Weltgeltung der deutschen Kultur und auch der Macht des Kaiserreichs zum Vorbild für entsprechende Parteien der ganzen europäisch-westlichen Welt und wirkte auch darüber hinausgehend inspirierend. Was nun etwa den Anspruch des Sozialismus fragwürdig erscheinen lässt, das unter anderem als anti-rassistisch verstandene Gleichheitsprinzip zu vertreten, kann unter Hinweis auf den nach dem Ehepaar Webb wohl drittwichtigsten Theoretiker des britischen Sozialismus George Wells aufgezeigt werden, der in seinem grundlegenden Werk von 1902, Anticipation,