cover

Alan Bangs

Übersetzung aus dem Englischen von

Pociao & Roberto de Hollanda

NIGHTFLIGHTS

Das Tagebuch eines Dee Jay

FUEGO

Über dieses Buch

Ob FAZ („Warten auf die fällige Medienpalastrevolution“) oder Hamburger Morgenpost („Alan Bangs gefeuert - demnächst Sendung vom Nordkap“): ein Dee Jay (Discjockey) bewegte den deutschen Medienwald, als er im Krach aus dem Rockpalast, der TV-Sendung, die für Millionen Musikfreaks in ganz Europa zwischen Mitternacht und 5.00 Uhr morgens einst Pflichtprogramm war, ausstieg.

Der populäre Engländer erzählt in diesem Buch warum, aber auch über seine Begegnungen mit Stars (u.a. Mick Jagger, Scott Walker, John Cale, David Sylvian), er reflektiert über Musik, ihre Macher und Zuhörer - ohne Polemik, aber mit viel Liebe zu einer Sache, die wesentlicher Bestandteil unserer heutigen Kultur ist.

Wie schrieb ein Kritiker über Alan Bangs: "Da lobe ich mir doch das freche Grinsen, die süffisante Lautmalerei und die genialischen Fragen eines Alan Bangs, der mit gezupften Haaren mehr Souveränität ausstrahlt als die gesammelte Bande bundesdeutscher Musik-Verwalter in den Funk- und Fernsehanstalten.“

»Man kann alles erzählen, nur nicht sein wirkliches Leben; - diese Unmöglichkeit ist es, was uns verurteilt zu bleiben, wie unsere Gefährten uns sehen und spiegeln, sie, die vorgeben, mich zu kennen, sie die sich als eine Freunde bezeichnen und nimmer gestatten, dass ich mich wandle, und jedes Wunder (was ich nicht erzählen kann, das Unaussprechliche, was ich nicht beweisen kann) zuschanden machen – nur um sagen zu können: ›Ich kenne dich.‹«

Max Frisch, Stiller

Vorwort zur digitalen Wiederveröffentlichung

Ich habe das nun hier als eBook wieder erschienene Buch 1984 geschrieben. Ein Lektor aus einem Verlag hatte mir das Angebot gemacht, meine Erlebnisse beim Radio und Fernsehen zu veröffentlichen.

Eigentlich wollte ich so etwas schon immer niederschreiben, doch ich wusste, ohne Deadline, ohne zu wissen, es muss bis zu einem bestimmten Termin fertig sein, würde es Jahre dauern, bis ich es zu Ende bringe. Und es war auch so, dass ich über Monate vieles als Manuskript in einer Rohfassung schrieb, damit aber nie ganz zufrieden war und es immer wieder verworfen habe. Im Herbst wurde mir klar, ich muss bis Ende des Jahres fertig sein, der Druck wird stärker und dann habe ich wirklich konzentriert daran gearbeitet. Das Beste war letztendlich, was ich ohne lange zu überlegen, aufgeschrieben habe.

1984 war für mich ein ereignisreiches Jahr. Ich bin unter anderem beim Rockpalast rausgeflogen, ich hatte eine Musiksendung beim Musik Convoi, experimentierte mit Flashbacks, die ich in meine Radiomoderationen einbaute - mir fällt etwas ein, das erinnert mich an etwas anderes. Man fängt bei Punkt A an, und landet bei Punkt C, aber vergisst machmal Punkt B, weil dieser Weg ein ganz anderer ist. Und dieses Buchprojekt gab mir dabei die Möglichkeit, von Punkt A bis Punkt Z zu gehen. Dinge, die ich beinahe vergessen hätte, sind mir plötzlich wieder eingefallen.

Lange hatte ich überlegt, ob ich das Buch direkt auf Deutsch schreiben soll, doch das hätte einfach zu lange gedauert und so entstand das Manuskript auf englisch. Es wurde von einer Freundin übersetzt, Pociao, die mich sehr gut kennt, einen kleinen Verlag in Bonn hat und viele literarische Übersetzungen gemacht hat. Und nun ist es, nachdem es über Jahre vergriffen war, in zeitgemäßer, digitaler Form über Fuego wieder erhältlich ist.

Seit der Zeit, die im Buch beschrieben ist, habe ich einige schöne Sachen gemacht und natürlich auch einige Tiefs gehabt. Öffentlich war ich sehr wenig präsent. Es lag teilweise an mir selbst, weil ich nicht der Mensch bin, der sehr frei auf Leute zugeht und solange ich über die Runden komme, bin ich auch zufrieden. Ich habe öfters Musiker gefragt - was kann man für Geld kaufen - weil ich nie viel Geld hatte. Diese Frage hat mich immer interessiert. Die meisten haben immer gesagt, ich kann mehr Gitarren kaufen und ich kann mir ein eigenes Studio bauen. Aber ich bekam nie die Antwort, die ich eigentlich hören wollte. Ich bin der Meinung, Geld kann dir Zeit kaufen und zweitens, Geld gibt dir die Möglichkeit, nein zu sagen. Man kann also Sachen ablehnen. Wenn man unbedingt die Miete bezahlen muss, dann muss man halt machen, was ansteht, weil man das Geld braucht. Ich hatte Gott sei Dank gerade noch genug, dass ich es mir leisten konnte, für bestimmte Zeiten nicht so viel zu machen. Ich habe in dieser Zeit viel gelesen und alles, was ich gelesen habe, fließt mit ein in das, was ich jetzt aktuell mache. Also diese Zwischenzeit, in der ich nicht so oft im Fernsehen zu sehen war, wo ich selten im Radio zu hören war, diese Zeit habe ich als eine Art Vorbereitung benutzt, auf das, was ich jetzt mache.

Seit 2010 habe ich wieder eine Sendung namens „Nightflight“ für den Internetsender D-Radio Wissen. Vor Jahren hatte ich bereits eine Sendung mit dem gleichen Namen beim BFBS hier in Deutschland und das vorliegende Buch ist ja auch danach benannt. Als ich das Angebot erhielt, wollte ich zuerst einen neuen Namen für die Sendung zu wählen. Doch eigentlich soll das, was ich jetzt mache, eine zeitgemäße Fortsetzung von dem sein, was ich früher gemacht habe. Es dauerte einige Sendungen, bis ich genau wusste, welche Möglichkeiten ich heute habe und wohin sich dies entwickelt. Ich stelle die Musik auf meinem Computer zusammen, mische oft bis zur drei, vier Songs der unterschiedlichsten Stile ineinander und dabei entsteht eine einmalige, in der Form nicht wiederholbare Songcollage und dann erst überlege ich, was ich hier und da sagen will. Oft entsteht dabei die Moderation aus der Stimmung. Diese Möglichkeit ist mir erst durch den Computer gegeben und dass ich heute so arbeiten kann, dafür bin ich sehr dankbar. In dieser Stunde, die immer Sonntagabend um 23:00 Uhr läuft, gibt es von der ersten Minute an ununterbrochen Musik. Ich würde mich freuen, wenn du einmal Zeit findest, die Sendung zu hören.

Köln im Frühjahr 2012 - Alan Bangs,

Eine Sendung, eine Absicht, ein Gefühl, ein Buch

NIGHT FLIGHT - so heißt die Radiosendung, die ich einmal in der Woche für den BFBS (British Forces Broadcasting Service) moderiere. Ich entschied mich damals für diesen Namen, nicht nur weil mir der Gleichklang der beiden Worte gefiel, sondern auch, weil sie mir das zu vermitteln schienen, was ich mir für diese Sendung vorstellte. Ich wollte meine Hörer mit auf die Reise nehmen; sie würden mitten in der Nacht starten und irgendwo landen, wo sie noch nie zuvor gewesen waren. Ich wollte, dass das Ziel beim Abflug noch nicht feststand. Aber ich wünschte mir auch, dass unser Flug ruhig verlief, mit so wenig Turbulenzen wie möglich.

Mit solchen Vorstellungen im Kopf verbrachte ich Stunden, manchmal auch Tage oder sogar Wochen damit, die Reihenfolge eines Programms auszutüfteln und die einzelnen Musikstücke darin so aufeinander abzustimmen, dass oft schwer zu sagen war, wo ein Stück aufhörte und das nächste anfing. Der innere Zusammenhang eines Programms wurde mehr als nur die Summe seiner Teile. Ich versuchte die Stücke so zu kombinieren, dass sie sich wie eine Art Kommentar gegenseitig ergänzten, so dass sich jede weitere Bemerkung von mir erübrigte. Ich wollte mich durch die Musik ausdrücken, sie für das sprechen lassen, was ich oft selbst nicht in Worte fassen konnte. Aber dennoch blieb die Präsentation des Programms ein integraler Bestandteil des Ganzen. Sie war dazu da, die Richtung vorzugeben und Höhe sowie Geschwindigkeit unseres Fluges zu bestimmen.

Die Art von Moderation, die mir schon immer am meisten zugesagt hat, kann am besten mit dem Begriff »indirekt« umschrieben werden, anders gesagt, sie konzentriert sich weniger auf die Musik an sich, sondern versucht statt dessen, einen Kontext zu schaffen, der sie indirekt von ihrer alten Rolle befreit.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das zu erreichen. Die einfachste ist vielleicht die, die Umstände zu beschreiben, unter denen man ein bestimmtes Musikstück zum ersten Mal gehört hat. Wenn diese Beschreibung präzise ist, kann sie einem Hörer ganz neue Wege für das Verständnis eines Songs bieten, selbst, wenn er es schon tausendmal gehört hat. Für mich hat es noch nie gereicht, zu wissen, dass eine Platte neu ist: Sie muss mir zuallererst etwas bedeuten. Ich muss wissen können, warum ich sie spiele - entweder im Kopf oder im Bauch. Andererseits fällt meine Entscheidung ziemlich oft auch rein intuitiv aus: Dann weiß ich schon, warum ich sie spiele, auch wenn ich die Gründe dafür nicht in Worte fassen kann. Es ist eher eine Sache des Gefühls als des Verstandes.

Da wir gerade dabei sind, kann ich ja auch gleich darauf hinweisen, dass ich meistens zu viel von mir erwarte und dann ziemlich frustriert bin, wenn das »Gefühl« mich im Stich lässt. Andererseits bin ich realistisch genug, um einzusehen, dass man nun mal nicht jede Sendung mit der gleichen Intensität machen kann. Selbst wenn das möglich wäre - ich wäre der letzte, der sich darüber freuen könnte, ich habe nämlich keinen Bock auf eine solche »Harmonie«, jedenfalls nicht, solange ich noch einmal in der Woche eine Sendung mache und nicht einmal im Jahr. Ich lege es natürlich nicht gerade drauf an, meinen Hörern schlechte Programme vorzusetzen, (und ich habe es oft genug erlebt, um zu wissen, wovon ich spreche).

Ich versuche eher, solche Situationen zu akzeptieren (was mir gewöhnlich nicht gelingt), indem ich mir bei jedem Schnitzer resigniert vornehme, es beim nächsten Mal besser zu machen (oder auch beim übernächsten Mal).

Es gibt jedoch auch subtilere Methoden, mehr zu sagen, als es scheint - man muss nicht unbedingt über die Situation sprechen, in der man eine bestimmte Platte zum ersten Mal hörte. Joseph Conrad, der als Kind zuerst Polnisch und dann Französisch lernte, hat einmal gesagt, dass er vielleicht nie Schriftsteller geworden wäre, wenn er nicht irgendwann dann auch die englische Sprache entdeckt hätte. Er fand, dass die Unbestimmtheiten des Englischen, seine Vagheiten, dieser Sprache eine immense Macht zur bloßen Andeutung verleihen, und meinte damit, dass es genau diese Unbestimmtheit ist, die sie so beschwörend wirken lässt. Wenn man etwas Englisches liest, sagte er, kann man nie ganz sicher sein, ob man verstanden hat, was der Autor eigentlich meint, denn die simpelsten Begriffe können in der englischen Sprache auf hunderterlei Arten benutzt werden und jedes Mal eine andere Bedeutung haben. Man muss also beim Lesen jedem Wort die Möglichkeit geben zu »vibrieren«, bis die Bedeutung, die es in dem jeweiligen Zusammenhang hat, klar wird. Conrad war davon überzeugt, dass Englisch sich perfekt dafür eignet, beispielsweise einen Dschungel zu beschreiben, wo nichts jemals das ist, als was es erscheint, und alles permanenter Veränderung durch Licht und Hitze unterworfen ist.

Genauso ist es möglich, auch im Radio zu sprechen - Vibrationen auszusenden, ohne sie beim Namen zu nennen, sich unvollständig oder vage auszudrücken, ohne genau zu sagen (oder auch zu wissen), was man meint. Am Ende hängt alles davon ab, ob man es schafft, eine Spannung zu erzeugen - Spannung zwischen dem, was gesagt und was gemeint ist, Spannung zwischen der Präsentation und der Musik und natürlich auch Spannung zwischen den einzelnen Musikstücken. Um das zu verdeutlichen, möchte ich ein Beispiel aus der Malerei benutzen. In seinem Buch »Ways of Seeing« demonstriert John Berger an van Goghs berühmtem Gemälde »Weizenfeld mit Krähen«, wie uns Sprache, oder auch wissen, beim Betrachten eines Bildes beeinflussen kann.

Das Bild »Weizenfeld mit Krähen« ist bei Berger auf einer rechten Seite unten abgedruckt. Darüber steht: »Dies ist die Ansicht eines Kornfeldes mit Vögeln, die aus ihm herausfliegen. Schauen Sie es sich in Ruhe an. Dann blättern Sie um.« Wenn man weiterblättert, erscheint das Bild noch einmal, diesmal aber mit folgendem Text: »Dies ist das letzte Bild, das van Gogh malte, ehe er Selbstmord beging.« Die Wirkung dieses Textes ist geradezu unheimlich. Wie Berger selbst sagt: »Es ist nicht leicht, genau zu definieren, wie die Worte das Bild verändert haben, aber sie haben es verändert. Nun illustriert das Bild den Satz.«

Wenn man van Gogh durch Johnny Ace und sein Bild »Weizenfeld mit Krähen« durch Aces Song »Pledging My Love« ersetzt, kann man fast die gleiche Wirkung erzielen. Dies ist der letzte Song, den Johnny Ace aufnahm, ehe er am Weihnachtsabend 1954 in Houston, Texas, russisches Roulette spielte und dabei umkam. Auch hier erhellt der Song das Gesagte. Es ist jedoch immer noch eine vergleichsweise direkte Form der Präsentation, die sich auf den Menschen, und nicht auf die Platte, gründet.

Ich möchte jetzt ein Beispiel für verstecktere Zusammenhänge erzählen. Als ich zum ersten Mal John Fantes Roman »Ask The Dust« las, war ich sehr beeindruckt. Mir gefiel die Story und die einfache, unverfälschte Form des Romans. Eines Nachts nahm ich das Buch mit ins BFBS-Studio und beschloss so ziemlich gegen Ende der Sendung, als ich schon eine Platte von Rupert Hine auf dem Plattenteller liegen hatte, einen Abschnitt daraus vorzulesen. Da ich nichts vorbereitet hatte, blätterte ich einfach so lange, bis ich an eine Stelle kam, die mir geeignet erschien. Sie handelte von Leuten, die nach Kalifornien kommen, auf der Suche nach dem »amerikanischen Traum«, und schließlich als Benzinzapfer in irgendeiner gottverlassenen Tankstelle enden. Sie »sind dazu bestimmt, in der Sonne zu sterben, mit ein paar Dollars auf der hohen Kante, einem Abonnement der Los Angeles Times und genug Illusionen, um sich vorzumachen, dass das das Paradies war und ihre kleinen Häuschen aus Pappmache Schlösser...«

Wenn ich besser vorbereitet gewesen wäre, hätte ich danach wahrscheinlich Steve Forberts Song »It Isn‘t Gonna Be That Way« gespielt. So aber hatte ich schon eine Platte aufliegen, die ich dann auch einfach spielte: die Rückseite einer Single von Rupert Hine mit dem Titel »Scratching At Success«. Um es noch einmal mit Berger zu sagen: Der Song war eine Illustration des Buches. Dies ist im wesentlichen das, was ich im Radio erreichen will - eine Synthese meiner eigenen und fremder Erfahrungen, von Leuten, mit denen ich in irgendeiner Form Kontakt habe, sei es persönlich oder durch Bücher beziehungsweise Schallplatten.

Dieses Ziel spiegelt sich auch im Titel meiner neuen Radiosendung, die ich seit Januar dieses Jahres einmal in der Woche für den WDR II mache. Sie heißt CONNECTION und wird jeden Dienstag zwischen halb elf und Mitternacht live gesendet. NIGHT FLIGHT begann dagegen am 25. Mai 1975, einem Sonntag, und seitdem habe ich mehr als vierhundert-fünfundsiebzig Sendungen für den BFBS gemacht.

Der Titel dieses Buches hat also mit dieser Sendung zu tun, obgleich die Absicht, die dahintersteckt, hier eine andere ist. Ursprünglich hatte ich vor, ein Tagebuch für das Jahr 1984 zu schreiben. So wie es jetzt aussieht, ist es sowohl mehr als auch weniger als das geworden. Vieles entstand spät abends, und wenn ich diese nächtlichen Sitzungen auch meistens damit anfing, dass ich mir Notizen zu dem machte, was tagsüber geschehen war, so ertappte ich mich doch oft dabei, dass ich abschweifte und von etwas ganz anderem erzählte. Wenn ich sage »ertappte ich mich dabei«, dann durchaus mit Absicht: Ich hatte eine vage Vorstellung von dem, was ich schreiben wollte, aber ich war nie ganz sicher, welche Form es annehmen würde, bis ich mich an die Maschine setzte und anfing, meine Gedanken zu ordnen. In diesem Sinne könnte man meine Vorgehensweise damit vergleichen, wie ich normalerweise NIGHT FLIGHT konzipiere. Wenn ich versucht hätte, alles aufzuschreiben, was mir 1984 passiert ist, wäre ich vermutlich nie fertig geworden. Ich war also mehr oder weniger gezwungen, mindestens ebenso viel auszulassen, wie ich reingenommen habe.

NIGHT FLIGHT ist eine Mischung aus Reportage und persönlichen Erfahrungen. Ich hatte das Glück, im Lauf der Zeit eine Menge Leute kennenzulernen, die in irgendeiner Form mit dem Musikbusiness zu tun haben. Ein paar davon kenne ich mittlerweile so gut, dass ich sie als Freunde bezeichnen kann, andere traf ich nur flüchtig. Einige dieser Begegnungen sind in diesem Buch beschrieben, sehr persönlich zwar, aber, wie ich hoffe, nicht allzu langatmig.

Bei Wolfgang Drescher möchte ich mich dafür bedanken, dass er mit der Idee, dieses Buch zu machen, an mich herangetreten ist. Ohne seine Initiative und seinen unerschütterlichen Glauben an dieses Projekt hätte das Buch vielleicht niemals vollendet werden können.

Bei Pociao und Roberto, meinen geduldigen Übersetzern, möchte ich mich dafür bedanken, dass sie mein mehrmaliges plötzliches Verschwinden und meine gelegentliche Orientierungslosigkeit auf sich genommen haben.

Vor allem möchte ich mich aber bei meiner Freundin Elisabeth bedanken, und zwar dafür, dass sie nie aufgehört hat, an mich zu glauben, selbst dann nicht, wenn ich angefangen habe, an mir zu zweifeln. Ohne sie würde ich nicht da sein, wo ich jetzt bin. Sie hat es - mehr als jede andere Person - geschafft, mich immer wieder zum Weitermachen zu bewegen.

Bild

Foto: Manfred Becker

Termine 1984 Unvollständige Auswahl

9.1. Rockpalast/Studio C/8.30-17.30

Moderation: Jack Bruce/Telephone/Alexis Korner

10.1. Rockpalast/Studio C/8.30-13.00

Moderation: John Hiatt/Nick Lowe/Paul Carrack

12.1. WWF-Pressekonferenz

Manfred Schmidt‘s Birthday Party

16.1. Musik-Convoy/O-Sendung 20. 1. WWF-Club/Vorstellung von Musik-Convoy

23.1. Musik-Convoy/Wesseling

Thompson Twins/Udo Lindenberg/Howard Jones/Arno Steffen

24.1. Köln-Nizza-Cannes

26.1. Rockpalast in Cannes

Richard Thompson/Van Morrison

27.1. Cannes-Nizza-Rom

29.1. Rom-Frankfurt-Köln

30.1. Musik-Convoy/Zülpich

Wolf Maahn/Twelve Drummers Drumming/Marius Müller-Westernhagen/John Cale

31.3. Zeche/Bochum/John Cale/

2. 2. Gastspiel als Dee Jay/Jara/Dortmund

4.2. Night Flight mit John Cale

5.2. Köln/Wartesaal/John Cale/

6.2. Musik-Convoy/Solingen

Alphaville/The Violent Femmes/Ulla Meinecke/The Ace Cats

9.2. Rockpalast Radio Show

10.2. Rockpalast/Studio E/l 1.00

Moderation: Chris Rea/T-Bone Burnett

11.2. Night Flight mit The Violent Femmes

12.2. Köln/Luxor/The Violent Femmes/

13.2. Nijmegen/Holland/John Cale

14.2. Düsseldorf/Philipshalle/Van Morrison

15.2. Köln/Peppermint Lounge/Interview mit Manfred Mann

19.2. Düsseldorf/Philipshalle/The Clash

21.2. Köln-London

25. 2. London-Köln

8. 3. Rockpalast Radio Show

12.3. Musik-Convoy/Haltern

Herwig Mitteregger/Kajagoogo/X/Re-Flex

13.3. Interview mit Yello: Dieter Meier/Boris Blank

19.3. Musik-Convoy/Iserlohn

David Knopfler/Roger Chapman/Spider Murphy Gang/Kowalski

21.3. Köln/Wartesaal/Thomas Dolby

25.3. Köln/Wartesaal/Gil Scott-Heron

26.3. Musik-Convoy/Viersen

Chris Rea/David Thomas/Mathilde Santing/Thomas Dolby

27.3. Rockpalast/Studio E/8.30

Presse Vorschau/Silkwood/11.00 Freur/Köln/Wartesaal

28.3. Dinner mit Scott Walker

29.3. Night-Out mit Warren Cann & Billie Currie von Ultravox

30.3. Bonn/Rheinterrassen/Chalice

31.3. BFBS/12.00/Interview mit New Order

31.3. Night Flight mit Scott Walker

2.4. Musik-Convoy/Hiddenhausen

The Style Council/Intaferon/Chalice/ Barbara Gaskin & Dave Stewart

5.4. Rockpalast Radio Show/Telefonat mit David Lindley in Los Angeles

6.4. Düsseldorf/Philipshalle/Simple Minds

14.4. Night Flight mit Bob Giddens von Surplus Stock

15.4. Köln/Luxor/R.E.M.

16.4. Köln/Luxor/Surplus Stock

18.4. Pre-record Night Flight

19.4. Köln-Frankfurt-Rom

24.4. Rom-Frankfurt-Köln

25.4.Köln/Sporthalle/ Joe Cocker

3.5. Rockpalast Radio Show

4.5. Rockpalast/Hamburg/Markthalle/The Smiths/Live-Übertragung

5.5. Rockpalast/Hamburg/Markthalle/Haindling

6.5. Rockpalast/Hamburg/Markthalle/Jason & The Scorchers/

The Meteors

7.5. Rockpalast/Hamburg/Markthalle/The Europeans

8.5. Rockpalast/Hamburg/Markthalle/INXS

9.5. Rockpalast/Hamburg/Markthalle/The Alarm

10.5. Rockpalast/Hamburg/Markthalle/Edoardo Bennato

11.5. Rockpalast/Hamburg/Markthalle/Carmel/Live-Übertragung

15.5. Rockpalast/Studio C/21.00-23.45/Moderation

17.5. Rockpalast/Studio C/8.30-14.00/Moderation

21.5. Musik-Convoy/Brüggen

Camel/Richard T. Bear/Dr. Feelgood/The Fleshtones

22.5. Rockpalast/Studio Bonn/10.OO/Moderation

24.5. Rockpalast/Studio C/21.00-23.45/Moderation

25.5. Köln/Inter-Conti/Interview mit Bob Geldof

28.5. Musik-Convoy/Arnsberg

The Alarm/Unknown Cases/Climax Blues Band/Zoff

30.5. Köln/Cafe Lilac/Lunch mit Stefan Remmler (Trio)

31.5. Rockpalast Radio Show

1.6. Rockpalast/Düsseldorf/Philipshalle

Twelve Drummers Drumming/Prince Charles & The City Beat Band/Chalice/Jimmy Cliff & Oneness

4.6. Musik-Convoy/Brühl

Real Life/Annabel Lamb/Indochine/George Kranz

6.6. Rockpalast/Studio E /8.30-14.OO/Moderation

Extra edition of Night Shift/BFBS

8.6. Köln/Sartory Saal/Mink de Ville

8.6. Rockpalast/Billy Joel Extra edition of Night Shift/BFBS

10.6. 450th edition of Night Flight/33rd Birthday/

12.6. Rockpalast/Studio E/8.30-14.00/Moderation

19.6. Rockpalast/Studio C/21.00-23.45/Moderation

25.6. Die letzte Sendung von Night Shift/BFBS

25.6. Musik-Convoy/Alsdorf

Howard Jones/Matt Bianco/Lita Ford/The Chameleons/ Alphaville

26.6. Rockpalast/Studio E/21.45-23.30/Moderation

28.6. Rockpalast Radio Show mit David Knopfler

30.6. Night Flight mit David Sylvian

2.7. Musik-Convoy/Elspe

Andy Fraser/Re-Flex/Night Wing/Billy Bragg (live)/Mitch Ryder (live)

with original Detroit Wheels

7.7. Night Flight mit Büly Bragg

9.7. Musik-Convoy/Telgte

Telephone (live)/Marillion/Nona Hendryx/999

12.7. Rockpalast Radio Show

21.7. WDR/Rotlicht/Schulfunk/14.30-15.00/Live/WDR II

30.7. Musik-Convoy/Höxter

The Ace Cats/Gary Glitter/Nick Heyward/Bronski Beat/Die Ärzte (live)/Roger McGuinn (live)

31.7. Rockpalast/Studio C/12.00-17.00/Moderation

7.8. Rockpalast/Studio Bonn/17.00-23.00/Moderation

13.8. Musik-Convoy/Geldern

Sade/Powerplay/Alaska/Anne Clark

18.8. Night Flight mit Jeremy‘s Secret

20.8. Musik-Convoy/Erkelenz

Alison Moyet/Ivan Opium/Palais Schaumburg/Jeremy‘s Secret

22.8. Köln - Loreley - Köln

27.8. Musik-Convoy/Bad Berleburg

Dave Stewart & Barbara Gaskin/The Cult/Kevin Coyne/The Name/ Vitesse (live)

2.9. Presentation of Rock Festival in Marl

The Cure/Fad Gadget/Spear of Destiny/u. a.

5.9. Brussels/Interview mit Frank Zappa

6.9. Rockpalast/Studio Bonn/16.00-18.00/Moderation

10.9. Musik-Convoy/Lemgo

Johnny & The Drivers/The Hollies/X-Mal Deutschland/Level 42

17.9. Musik-Convoy/Greven

Charlelie Couture/Aztec Camera/Be-Bop/The Nightingales

20.9. Bochum/Zeche/The Dream Syndicate

23.9. Köln/Wartesaal/John Cale

24.9. Bochum/Zeche/John Cale

27.9. BFBS/11.30/Interview mit Laurie Anderson

27.9. BFBS/23.30/Interview mit UK Decay (later Shass)

29.9. Night Flight mit The Dream Syndicate

1.10. Musik-Convoy/Paderborn

The Gun Club/The Dream Syndicate/Pete Shelley/Jethro Tull

15.10. Musik-Convoy/Düsseldorf

Gina X/Savage Progress/Meat Loaf/Ray Parker, Jr.

22.10. Musik-Convoy/Nettersheim

The Beat Rodeo/Slickaphonics/Heinz-Rudolf Kunze/The Skeleton Crew/Silent Running

29.10. Musik-Convoy/Soest

Helen Terry/Edo Zanki/The Go-Betweens/Miharu Koshi Subway/Köln/lst Recording/21.00 Didier Lockwood/Philip Catherine/Christian Escoude

30.10. Köln/Luxor/The Go-Betweens

31.10. Köln/Luxor/Johnny & The Drivers

5.11. Musik-Convoy/Dülmen

Osibisa/Los Lobos/Lloyd Cole & The Commotions/Zazou-Bikaye Los Lobos/Köln/Luxor

6.11. Subway/Richie Cole

8.11. Köln - Hamburg/NDR/Bearbeitung von Zappa-Sendung

10.11. Night Flight mit Tom Robinson

12.11. Musik-Convoy/Wesel

Big Country/Tom Robinson/Kim Wilde/Linton Kwesi Johnson/ Spliff

13.11. Köln/Luxor/Sisters of Mercy

14.11. Köln/Luxor/Linton Kwesi Johnson

15.11. Düsseldorf/ECON-Vertreter-Tag

19.11. Musik-Convoy/Gevelsberg

The Stranglers/Floy Joy/Bogart/Rickey & The Frog

21.11. Düsseldorf/Philipshalle/Big Country

23.11. Köln - Hamburg/NDR

24.11. Köln/Stollwerck/Holger Czukay/Jaki Liebezeit/Michael Karoli/Jah Wobble

26.11. Musik-Convoy/Ibbenbüren

Vanity/Twenty Colours/Wolf Maahn/Shass

30.11. WWF-Club

3.12. Musik-Convoy/Ahlen

Wishbone Ash/The Group/Troy Tate/Hubert Kah

4.12. Köln/Luxor/Troy Tate

5.12. Düsseldorf/Philipshalle/Lou Reed

10.12. Musik-Convoy/Lüdenscheid

Marius Müller-Westernhagen/Flucht Nach Vorn/Charon/ Short Romans

17.12. Musik-Convoy/Nümbrecht

Sideway Look/Alison Moyet/Belfegore/Johnny Thunders & Cosa Nostra

21.12. Musik-Convoy/Düsseldorf/Philipshalle/Das Fest Belfegore/Johnny Thunders & Cosa Nostra/The Fixx/Billy Bragg/The Stranglers/ Nona Hendryx/Marc Almond & The Willing Sinners

27.12. Musik-Convoy

1. Januar: Sylvester, Paddy und ein Selbstmörder

Ich schätze, wir hätten gestern Abend doch ausgehen sollen. Wir dachten zwar dran, und wir redeten auch ziemlich lange drüber, wohin wir gehen sollten, aber als wir uns am Ende dann geeinigt hatten, zu Hause zu bleiben, war es sowieso schon zu spät.

Das letzte Mal, dass ich Sylvester aus war, war vor zwei Jahren in London. Ich traf mich mit ein paar Freunden, und wir gingen in Soho chinesisch essen. Wir besuchten ein Restaurant, das uns von jemand empfohlen worden war, der anscheinend seit mindestens dreißig Jahren nicht mehr da gewesen war. Die erste Überraschung bestand darin, dass das Ding keine Konzession für Alkohol hatte. Das hieß aber nun beileibe nicht, dass man dort nicht trinken durfte (wenn es auch keine Getränke zu kaufen gab), es bedeutete nur, dass man sich seine eigenen Drinks mitbringen musste. Dummerweise hatte unser Gewährsmann das mit keinem Wort erwähnt. So bot sich uns, als wir so dasaßen und an unserem Jasmintee nippten, der unvergleichliche Anblick lauter fröhlicher Geschöpfe, die unermüdlich Berge von exotischen Leckereien in sich reinstopften. Offensichtlich hatten sie einen Bärenhunger entwickelt, nachdem sie aus allen Ecken und Enden der Stadt kistenweise Bier, Wein und Champagner in dieses Etablissement geschleppt hatten, das sie - anders als wir - offensichtlich schon einmal besucht haben mussten.

Wir wollten uns natürlich nicht lumpen lassen und beschlossen, zum Ausgleich etwas ganz Besonderes zu bestellen, ein Gericht, das - schwer zu erraten - von der Person, die uns das Lokal empfohlen hatte, über den grünen Klee gelobt worden war. Der Name des Gerichts ist mir leider mittlerweile entfallen, nicht, weil es mir schwerfällt, chinesische Namen zu behalten, sondern weil dieses Gericht auf deutsch kurz und bündig »Frühstück« bedeutete - nicht gerade ein erlesenes Menü für den Silvesterabend, vor allem, weil es nur vormittags serviert wurde. Ratlos mussten wir zur Speisekarte greifen. Aber keiner wollte sich mit »Entenschwimmhäuten und Fischlippen« oder ähnlichem anfreunden - obwohl ich es im Nachhinein bedaure, es nicht wenigstens bestellt zu haben. Ich glaube kaum, dass ich davon gegessen hätte, aber vielleicht wäre ich durch den Anblick etwas klüger geworden. Es passiert mir nämlich ab und zu, dass ich nachts aufwache, weil ich von einem Fischmaul geträumt habe, das einsam und verlassen auf einem leeren Teller lag und versuchte, mir etwas ins Ohr zu flüstern - etwas, was ich lieber gar nicht erst wissen wollte.

Als wir unseren Hunger notdürftig gestillt hatten, verließen wir das Restaurant (wo es mittlerweile zuging wie in einem Fellini-Film und die Gäste die Kellner aufforderten, die mitgebrachten Getränke mit ihnen zu teilen) und machten uns auf den Weg zum Trafalgar Square. Auf den Straßen war es nicht viel anders. Überall lungerten Gestalten herum, die aussahen wie Komparsen, für die in dem Fellini-Streifen, der in unserem chinesischen Lokal inszeniert wurde, kein Platz mehr war. Wohin man auch schaute, es gab nur Betrunkene, und jedermann versuchte krampfhaft, bloß nicht geradeaus zu gehen, dabei war es bei so vielen Menschen schon schwer genug, sich überhaupt auf den Beinen zu halten, geschweige denn vorwärts zu kommen oder gar gegen den Strom zu schwimmen. Wir wussten nicht, was wir tun sollten, und blieben stehen, um zu überlegen, was wir tun sollten. Aber es gab keine Zeit für eine Verschnaufpause: Der Versuch, auf unsere Individualität zu pochen, blieb unbemerkt: Jetzt wurden wir erst recht vom Sog der Strömung mitgerissen. Die Masse ergoss sich durch die Shaftesbury Avenue, bog um die Ecke in die Charing Cross Road und stampfte unaufhaltsam auf den Trafalgar Square zu. Irgendwann machte jemand hinter meinem linken Ohr eine Bierdose auf. Mir kam es vor, als hätte er mir den Kopf weggeblasen. Der Schaum sprudelte wie Schrapnelle auf mich herunter, und ich musste an eine Begebenheit denken, die sich vor Jahren in einem Vorort von Syracuse in Upper New York State ereignet hatte.

Syracuse ist eine Universitätsstadt. Lou Reed hat dort studiert, was ich allerdings erst entdeckte, als ich wieder in Europa war - und wenn schon. Es ist keine allzu große Stadt, hat aber trotzdem seine guten und schlechten Seiten. Die schlechte sollte man möglichst schnell in einem gepanzerten Wagen mit geschlossenen Fenstern passieren, nicht etwa, weil dann das Air-Conditioning besser funktioniert, sondern weil so verhindert wird, dass die Bewohner einem Molotowcocktails in den Wagen schmeißen, wenn man an einer roten Ampel hält. Das wurde mir erklärt, als wir in einem roten Kabrio durch besagten Stadtteil sausten.

Ich war nach Syracuse gekommen, um an einem Sommerkurs für Medienforschung teilzunehmen, und war einer von zehn Studenten eines Austauschprogramms, das von Paddy Scannell, einem leicht exzentrischen Dozenten für englische Literatur, mitorganisiert wurde.

Paddy tauchte eines Tages in einem wahrhaft furchterregenden Zustand in der Uni auf - mit zerfetzten Kleidern, kaputten Fingernägeln und blutunterlaufenen Augen - und verkündete, dass er die Nacht in einer Betonmischmaschine verbracht hatte. Dann fuhr er - als wäre das das Selbstverständlichste der Welt - mit einer Vorlesung über Tolstois Einstellung zur Ehe am Beispiel der Kreutzersonate fort. In Syracuse war Paddy die Unschuld in Person. Er weigerte sich, sich von den schrecklichen Stories, die über die Stadt erzählt wurden, einschüchtern zu lassen - vielleicht, weil das, was sich auf dem Unigelände abspielte, schon grausig genug war. Das Gebäude, in dem wir unsere Vorlesungen hörten, lag auf einem kleinen Hügel, und die Kids machten sich einen Jux daraus, die Autos, die auf der Anhöhe parkten, zu knacken - nicht, das muss ich noch hinzufügen, um sie zu klauen, sondern einfach nur, um die Handbremse zu lösen und seelenruhig zuzuschauen, wie die Autos rückwärts den Hügel runterrollten und gegen andere Autos prallten. Ich verbrachte einige Nachmittage damit, mir dieses eigenartige Schauspiel anzusehen, aber dann nutzte sich der Reiz des Neuen ab, und ich wandte mich wieder meinen Studien zu.

Mittlerweile machte der unverwüstliche Paddy die Stadt unsicher. Obwohl durch seine Größe und durch eine gewisse Weltfremdheit einigermaßen gehandicapt, war er trotz allem ein Mensch, der keine Gefahr scheute. Er war ein unerschrockener Entdecker und furchtloser Bergsteiger. Und er hatte ein Techtelmechtel mit einer seiner Studentinnen; es war kein Geheimnis, und keiner machte einen Hehl daraus - nur die Zöllner vom Kennedy-Airport waren über die Sache nicht im Bilde. Jane teilte Paddys Interesse für Literatur, aber von der Bergsteigerei wollte sie nichts wissen. Das war auch nicht weiter schlimm, denn man konnte sich kaum vorstellen, wie Jane auf Händen und Füßen zwischen den engen Spalten der Eiger-Nordwand und dem Abgrund balancierte. Dazu war sie eine viel zu feine Dame, und außerdem trug sie sowieso nur Röcke (und Kaschmirpullis). Trotzdem, als der Zöllner eines Tages am Kennedy-Airport ihren Koffer aufmachte, enthielt er kein einziges Kleidungsstück - nur Seile und Steigeisen. Es gibt Leute, die behaupten, dieser Vorfall hätte Chris Rea zu dem Song »Love‘s Strange Ways« inspiriert - immerhin ist er, wie Paddy, im Norden Englands geboren. Aber Nordengland ist eben nicht Nordamerika, das Land des Automobils.

In Amerika gibt das Auto den Ton an, und wenn es sich »zu Wort« meldet, springt man besser zur Seite. Was anderes blieb Paddy letztlich auch nicht übrig: Eines Morgens war er zeitig aus dem Haus gegangen. Die Straßen waren wie ausgestorben, als er sich, unbewaffnet und ohne jede Begleitung, durch den »bösen« Teil der Stadt bewegte. Nach einer Weile hörte er Schritte hinter sich. Er warf einen Blick über die Schulter und sah, dass ihm ein schwarzer Typ in einem maßgeschneiderten Anzug folgte. Vielleicht fiel dem Schwarzen dabei auf, dass Paddy, trotz der schweren Bergstiefel, die ertrug, eine gewisse Ähnlichkeit mit Woody Allen hatte. Andererseits mag sich Paddy gedacht haben, dass der Schwarze O. J. Simpson ähnlich sah, dem berühmten Quarterback, der in letzter Zeit jeden Abend in einem TV-Werbespot für Orangensaft zu bewundern war. Aber O. J. Simpson war ein viel zu anständiger Kerl, um mit diesem hier verwechselt zu werden. Der Typ hinter ihm war allem Anschein nach ein »schwerer Bursche«. Und so ein Kerl hatte garantiert eine Knarre bei sich, speziell, wenn er allein war, und würde bestimmt nur eine passende Gelegenheit abwarten, um ihn damit zwischen den Schulterblättern zu kitzeln. Während Paddys Phantasie mit ihm durchging, und noch ehe ihm der Schweiß vom Nacken den Rücken herunterlaufen konnte, knallte es auch schon. Wie vom Blitz getroffen blieb Paddy stehen und hob beide Hände über den Kopf. Er flehte den Kerl an, um Gottes willen nicht zu schießen, er könne sich ja nehmen, was er wolle (der andere hatte eine Schuhgröße, die mindestens sechs Nummern größer war als seine - seine Stiefel waren ihm also wenigstens sicher und viel mehr hatte er eh nicht zu verlieren). Doch der Schwarze antwortete nicht, sondern kam immer näher. Schließlich holte er Paddy ein, drehte sich kurz zur Seite, um auf ihn herabzusehen (spätestens hier muss ihm die Ähnlichkeit mit Woody Allen aufgefallen sein), und sagte immer noch nichts. Er schüttelte nur ein paarmal den Kopf und ging seines Weges. Ein paar Meter weiter die Straße herunter bog der Wagen, aus dessen Auspuff es gerade geknallt hatte, um die Ecke und »feuerte« noch mal.

Manchmal versperren einem die Sachen, an die man fest glaubt, den Blick für das, was tatsächlich läuft; und manchmal tut man auch gut daran, das, woran man glaubt, lieber nicht in Frage zu stellen, weil es sich ganz zufällig mit der Realität decken könnte.

Als ich das erste Mal nach New York kam, wohnte ich in einem Hotel neben dem Empire State Building. Die Klimaanlage in meinem Zimmer tat‘s nicht richtig, und die heiße Feuchtigkeit war kaum noch zu ertragen. Sobald man sich irgendwo hinsetzte, wurde es fast unmöglich, wieder aufzustehen, nicht physisch, sondern psychisch. Die Kraft, die man aufwenden musste, um darüber nachzudenken, ob man aufstehen sollte oder nicht, war reine Verschwendung, denn schon der Gedanke allein nahm einen so mit, dass man nicht mehr die Energie hatte, ihn in die Tat umzusetzen. Also war es klüger, da zu bleiben, wo man war. Es kam mir vor, als könnte man die Luft wie einen Schwamm zusammendrücken und die Feuchtigkeit auspressen. Also saß ich da, vom Zeitunterschied noch ganz fertig, schloss die Augen und lauschte dem Air-Conditioner, der nicht ganz so laut war, um das Heulen der Polizeisirenen draußen zu übertönen, und mehr Hitze ins Zimmer wälzte, als für Kühlung sorgte. Schließlich schläferte mich der Rhythmus der Stadt ein, der sich im Geräusch des Ventilators zu bündeln schien.

Am nächsten Tag schlenderte ich mit ein paar Freunden zum Times Square. Wir waren vielleicht zu sieben oder acht, als wir den ziemlich breiten Bürgersteig entlangspazierten und uns die Neonreklamen in den spiegelnden Schaufenstern ansahen. Plötzlich kam ein Kerl ganz langsam auf uns zu und blieb genau vor uns stehen. Er schaute nicht auf und sagte, dass wir ihm im Weg stünden. Das war ziemlich an den Haaren herbeigezogen, denn um uns herum gab es eine Menge Platz, und wenn er gewollt hätte, hätte er, ohne den Bürgersteig verlassen zu müssen, bequem an uns vorbei gekonnt. Einer von uns fragte ihn, was das sollte: »Was meinst du, wir sind dir im Weg?« Der andere reagierte nicht und ließ keinen Zweifel daran, dass er nicht die geringste Lust hatte, sich auf eine Diskussion einzulassen. »Also pass auf, Mann«, sagte er noch einmal, »du bist mir im Weg.« Wir schauten uns an, und dann wieder ihn. Wir spürten alle, wie die Spannung wuchs und sich die Sache zuspitzte. Nach kurzem Zögern traten wir beiseite und machten ihm Platz. Er bewegte sich vorwärts, ging weiter, ohne auch nur ein Wort zu sagen oder sich auch nur noch einmal umzudrehen.

Als ich noch in England lebte, kannte ich zwei Drehbuchautoren, Sid und Dick. Sie waren mit meinen Eltern befreundet und schrieben Komödien. Ihre Stücke liefen oft im Fernsehen und waren sehr komisch. Kein Wunder, dass sie mit der Zeit immer bekannter wurden. Sie schrieben für Morecambe und Wise, die damals die wahrscheinlich erfolgreichsten Komiker Großbritanniens waren. Alle vier machten jede Menge Kohle, aber mit der Zeit wurde ihnen England zu klein: Sie fühlten sich nicht länger gefordert. Also trennten sie sich. Morecambe und Wise blieben in England, und Sid und Dick gingen nach Amerika, nach Los Angeles. Sie schrieben für Flip Wilson und andere, die nicht so bekannt waren oder früher mal bekannt gewesen waren, allmählich aber vom Publikum vergessen wurden. Sie schrieben und schrieben, aber der Erfolg blieb aus. Dann schrieben sie einen Sketch für Phil Silvers, den er auch bringen wollte, aber die Fernsehgesellschaft, für die er arbeitete, war nicht damit einverstanden. Die Handlung wäre zu langatmig, meinten sie. Und das Ganze wäre nicht witzig genug. Und das war der Anfang vom Ende.

Der abgelehnte Sketch:

Ein Mann betritt eine U-Bahn-Station. Er geht die Treppe herunter und kommt auf den Bahnsteig. Der Bahnsteig ist, abgesehen von einer einsamen Gestalt am Ende des Ganges, menschenleer. Der Mann geht langsam auf die Gestalt zu und fragt sie sehr höflich, ob sie nicht irgendwo anders warten könne. Der andere Mann ist völlig verdattert und macht sich nicht einmal die Mühe, darauf einzugehen. Darauf wiederholt der erste seine Aufforderung. Der andere, der sich mittlerweile wieder gefasst hat, geht auf Nummer Sicher und versucht, vernünftig zu argumentieren. Er weist den anderen daraufhin, dass abgesehen von ihnen beiden sich kein Mensch auf dem ganzen Bahnsteig befindet. »Man wird doch wohl noch stehen können, wo man will«, sagt er. »Was ist denn schon groß dabei, wenn ich hier stehe? Wieso können Sie denn nicht woandershin? Warum wollen Sie denn unbedingt hierhin?« Der erste bleibt weiterhin höflich, in der Hoffnung, dass sein Wunsch erfüllt wird, und erklärt ihm, dass er sich entschlossen habe, Selbstmord zu begehen. Wie auch immer, es stellt sich heraus, dass er keine Schmerzen ertragen kann und beim Sterben sowenig wie möglich leiden will. Deshalb hat er die Geschwindigkeit des Zuges berechnet und ist zu dem Schluss gekommen, dass der Zug an der Stelle, genau an der Stelle, wo der andere Mann steht, die höchste Geschwindigkeit haben wird, ehe er den Bremsvorgang einleitet. Und deshalb will er sich von dieser Stelle aus auf die Schienen werfen, sobald sich der Zug nähert ...

Vielleicht hatte der Typ am Times Square auch seine Gründe, warum er unbedingt da durch wollte, wo wir standen. Wenn er aufgeschaut hätte - ob ich dann das Gesicht eines Drehbuchautors erkannt hätte?

23. Januar: Ein kaltes Bad, Udo Lindenbergs Ausrutscher und Musik-Convoy

Wohl das wichtigste Ereignis der vierten Woche von 1984 war für mich der Versuch, fast ganz ohne Schlaf auszukommen. Leider und wider mein besseres wissen war es ein Reinfall. Mein Körper war zwar gut genug trainiert, um lange aufzubleiben, aber total überfordert, wenn es ums frühe Aufstehen ging.

Der Montag begann wie üblich um Mitternacht mit der BFBS-Sendung Night Shift. Später, als ich wieder zu Hause war und nicht schlafen konnte, setzte ich mich in die Küche und blätterte in Musikzeitschriften. Gegen halb vier ging ich ins Bett, nur um zwei Stunden später vom Rappeln des Weckers aus den Träumen gerissen zu werden.

Ich beschloss, mich endlich wieder mal auf Vordermann zu bringen. Kleider machen Leute, sagte ich mir, aber das Problem bestand darin, dass ich die richtigen nicht finden konnte. Eigentlich war das nichts Neues und deshalb auch kein Grund

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(Foto: Manfred Becker)