Schmutztitel

Ann-Katrin Heger

Titel

Gorilla in Not

Kosmos

Umschlagillustration Ina Biber, Gilching

Umschlaggestaltung von Friedhelm Steinen-Broo, eSTUDIO CALAMAR

Grundlayout: Doppelpunkt, Stuttgart

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© 2016, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-440-15106-8

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

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Eine Rosskur für Kim

»Puh, wie das staubt!« Marie wandte ihr Gesicht von Tinka ab und streckte den Arm weit von sich. In der Hand hatte sie einen Pferde-Striegel, den sie mit gerümpfter Nase am Holzzaun der Koppel ausklopfte. »Und du machst das jeden Tag?« Sie musterte ihre Freundin Franzi und dann unglücklich ihre manikürten Fingernägel. Erst gestern hatte sie sich French Nails machen lassen. Das Besondere an diesen Nägeln waren die blütenweißen Nagelspitzen, die jetzt allerdings eher schwarz und schmierig aussahen.

»Ja, auch wenn du es sicher nicht glauben kannst: Ich liebe es, Tinka zu striegeln und ihr die Hufe auszukratzen«, antwortete Franzi.

Liebevoll streichelte sie über das schwarze, seidige Fell der Ponystute.

»Du hast wenigstens nur einen Trauerrand unter den Nägeln«, meinte Kim, die mit zusammengesunkenem Rücken auf dem obersten Balken des Zauns saß. »Den kriegst du leicht wieder weg. Ich aber habe einen Trauerrand um mein Herz. Und der wird immer breiter und breiter.«

Kims Lippen begannen zu zittern und ihre Augen brannten. Schnell wischte sie mit dem Handrücken übers Gesicht, damit ihr die aufsteigenden Tränen nicht über die Wangen liefen.

»Es tut mir leid«, sagte Marie und nahm Kim fest in den Arm. »Das war echt unsensibel von mir. Du hast so schlimmen Liebeskummer und ich habe nur meine Fingernägel im Kopf.«

»Schon gut«, schniefte Kim und legte ihren Kopf dankbar an Maries Schulter. »Mich nervt doch selbst, dass mich die Trennung von Michi so fertigmacht. Immerhin ist es ja schon ein paar Wochen her.« Sie verstummte für einen Augenblick und kramte in der Hosentasche nach einem Taschentuch. »Karfreitag«, fuhr sie düster fort. »Dieser Tag hat sich in meine Seele für immer eingebrannt. Der schwärzeste Tag in meinem bisherigen Leben.«

Jeder konnte in Kims Gesicht sehen, dass sie immer noch trauerte, weil Michi kurz vor Ostern mit ihr Schluss gemacht hatte. Deswegen hatte Franzi Marie und Kim heute überredet, nach ihrem Detektivclub-Treffen im Pferdeschuppen eine Runde reiten zu gehen. Für Franzi gab es nichts, was tröstlicher war: auf Tinkas warmem Rücken zu sitzen, ihren würzigen Duft einzuatmen und mit ihren sanften, schaukelnden Bewegungen zu verschmelzen. Probleme, die zuvor wie reißende Tiger in ihrem Kopf gewütet hatten, schienen sich dann in zahme Kätzchen zu verwandeln. Tinka stupste die Probleme jedes Mal mit ihrem weichen Maul auf und davon, so, als wären sie nie da gewesen. Vielleicht klappte das auch bei Kim?

Franzi trat zu ihrer Freundin, die traurig ins Nirgendwo starrte, und strich ihr sanft über den Rücken. »Mach dir keine Gedanken. Wir sind immer für dich da. Du brauchst Zeit, alles in Ruhe zu verarbeiten. Schließlich war Michi deine erste große Liebe.«

Nun konnte sich Kim nicht mehr zusammennehmen. Alle Tränen, die sie in den letzten Wochen zurückgehalten hatte, quollen nun auf einmal heraus und tropften auf Maries neuen rosa Kuschelpullover. Sie klammerte sich an Marie, als wollte sie sie nie mehr loslassen, und stieß einen lang gezogenen Klagelaut aus, der Franzi durch Mark und Bein ging.

Dann flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme: »Das Schlimme ist: Er war nicht meine große Liebe, sondern er ist es noch! Es tut so weh, wenn ich an ihn denke. Als wäre Stacheldraht um mein Herz gewickelt, und immer wenn es schlägt, piksen die Dornen von allen Seiten. Das ist so fies. Michi hat gesagt, er muss kaum noch an mich denken. Und ich? Ich krieg ihn überhaupt nicht aus meinem Kopf …« Sie trommelte mit den Fingerspitzen gegen die Schläfen, als ob sie hoffte, dass Michi auf diese Art und Weise für immer aus ihren Gedanken verschwinden würde.

Franzi sah ihre Freundin erschrocken an. So hatte sie Kim noch nie erlebt. Sie war sonst immer diejenige, die sich nicht so schnell von ihren Gefühlen davontragen ließ. Die, die jeden noch so komplizierten Fall mit ihrem messerscharfen Verstand durchleuchtete. Die, die immer einen Rat wusste. So konnte das nicht weitergehen. Sie musste Kim helfen. Oder es zumindest versuchen. Franzi nahm Tinka beim Zügel und flüsterte der Stute ins Ohr: »Was meinst du, wollen wir Kim ein wenig aufmuntern?«

Tinka senkte den Kopf, als würde sie nicken, und wieherte leise.

Franzi lächelte. »Das denk ich doch auch«, sagte sie zufrieden und führte Tinka zu Kim.

Das Pony stupste Kim mit seinem weichen Maul am Arm. Kim blickte auf und streichelte Tinkas Hals.

»Ich glaube, da wartet jemand darauf, dass du auf seinen Rücken kletterst«, sagte Franzi. »Komm, ich helfe dir hinauf.«

»Gleich«, schniefte Kim und zerrte ein Taschentuch aus ihrer Hosentasche. Sie schnäuzte sich lautstark und sprang vom Holzbalken der Koppel.

Franzi faltete die Hände zu einer Räuberleiter. Kim stellte ihr linkes Bein hinein und schwang sich mit dem rechten in den Sattel.

»Fühlt sich wackelig an«, meinte sie. »Und irgendwie Cowboy-beinig.«

»Warte ab«, antwortete Franzi und nahm Tinka an die Longe. »Und: Sche-ritt.« Tinka begann, langsam im Kreis zu laufen.

»Lege deinen Oberkörper jetzt nach vorne. Halte dich einfach an Tinkas Mähne fest«, erklärte Franzi. Vorsichtig kippte Kim nach vorn und kuschelte sich an das Pony.

Franzi merkte, wie Kims Muskeln sich entspannten. Sogar das regelmäßige Schluchzen wurde weniger. Die Maisonne schien warm auf die drei Detektivinnen und Franzi hatte das Gefühl, als wäre die Luft aus Honig. Alles geschah ein wenig langsamer, fast wie in Zeitlupe. Sie lauschte. Nur Tinkas Hufe im Sand und ihr schnaubender Atem waren zu hören. Knips! Dieses Bild wollte sie unbedingt in ihrem inneren Fotoalbum speichern.

Nach ein paar Runden richtete Kim ihren Oberkörper wieder auf. »Du hattest recht«, meinte sie. »Das tut wirklich gut. Tinka ist irgendwie …«

»… wie ein großes galoppierendes Trostpflaster?«, schlug Marie vor.

Franzi kicherte. »Guter Vergleich«, sagte sie.

Sogar Kim musste grinsen.

In diesem Augenblick steuerte Karl Winkler, Franzis Vater, auf die drei !!! zu. »Franzi, du glaubst nicht, wer mich gerade angerufen hat!«, rief er laut und beschleunigte seinen Schritt.

»Will Micky Maus sich bei dir in der Praxis durchchecken lassen?«, fragte Franzi. »Oder braucht Benjamin Blümchen, der sprechende Zooelefant, einen neuen Personal Trainer?«

»Haha, sehr witzig, liebe Tochter. Aber mit Benjamin Blümchen lagst du gar nicht so falsch. Es geht tatsächlich um den Zoo. Übrigens: Hallo, Kim, hallo, Marie!«

Die beiden winkten Franzis Papa zu.

»Mach es nicht so spannend, Papa. Also, wer hat angerufen?«

»Erinnerst du dich an Wolf Taler? Als du noch kleiner warst, waren er und ich gute Freunde und wir haben viel zusammen unternommen.«

»Das ist doch der Zoodirektor, oder? Na klar erinnere ich mich. Ich war damals immer gerne bei ihm. Er hatte so viele Tierbücher und gruselige Gläser mit eingelegten Schlangen und so was.«

Herr Winkler lachte. »Ja, genau der. Eigentlich weiß ich gar nicht genau, warum der Kontakt zu Wolf abgebrochen ist. Wahrscheinlich haben wir alle in den letzten Jahren zu viel gearbeitet.«

Franzi legte den Kopf schief. »Jetzt wissen wir zwar, wer angerufen hat, aber immer noch nicht, was er wollte. Es bleibt also spannend.«

Herr Winkler guckte einen Moment verdutzt. »Äh … ach so … ja. Ihr wisst doch, dass es im Zoo ein Waisenhaus für Baby-Gorillas gibt?«

»Ich habe erst vor Kurzem einen Bericht darüber gelesen«, meinte Kim. »Es ist ganz neu gebaut. Die vielen Baby-Gorillas, die man da beobachten kann, sind total süß. Aber ist es natürlich auch ziemlich traurig.«

»Wieso denn traurig?«, fragte Marie erstaunt.

»Alle Gorillas, die in dieser Gruppe leben, sind Waisen«, erklärte Herr Winkler. »Ihre Mütter sind entweder gestorben oder sie haben ihren Nachwuchs verstoßen. Die Kleinen dort haben aber Glück im Unglück. Die Pfleger im Gorilla-Kindergarten kümmern sich rund um die Uhr um sie. Sie bringen den Babys alles bei, was ein Gorilla können muss. Und wenn sie es gelernt haben, kann man sie in eine bestehende Gorilla-Gruppe eingewöhnen.«

»Hast du nicht während deines Studiums ganz viel über Berggorillas geforscht?«, fragte Franzi.

Herr Winkler nickte. »Deswegen hat Wolf mich auch angerufen. Der Tierarzt, der die kleinen Gorillas normalerweise betreut, ist krank geworden. Und weil er weiß, dass ich mich mit den Tieren auskenne, hat er gefragt, ob ich mich eine Zeit lang um die medizinische Versorgung der Tiere kümmern möchte. Ich habe natürlich sofort zugesagt.«

»Das ist ja toll!« Franzi strahlte ihren Vater an. »Und wann hast du deinen ersten Einsatz?«

»Jetzt. Ich sitze praktisch schon im Auto. Habt ihr drei Lust mitzukommen?«

Eine Viertelstunde später saßen die drei !!! auf der Rückbank des alten Kombis der Familie Winkler. Herr Winkler drehte vorsichtig den Zündschlüssel um. Mit lautem Knattern und einem merkwürdigen Gurgeln sprang das Auto an. Franzis Papa klopfte sacht auf das Armaturenbrett. »Gut gemacht, mein Freund. Du musst nämlich noch ein wenig durchhalten, weißt du.«

Kim blickte Franzi fragend an.

»Das Auto will nicht mehr richtig. In letzter Zeit hat es tausend Macken. Und es fährt nicht mehr so richtig schnell. Aber mein Vater kann sich einfach nicht von ihm trennen«, erklärte sie.

Marie hörte gar nicht richtig zu. Sie hatte die Finger gespreizt und besah sich entsetzt ihre Nägel. Seufzend beugte sie sich nach vorne, kramte in ihrer Tasche und zog eine Nagelfeile heraus. Sie hielt sie wie eine Lanze nach oben und rief: »Hiermit sage ich dem Dreck unter meinen Fingernägeln den Kampf an.« Dabei machte sie ein Gesicht, als stünde sie auf einer Bühne vor tausenden von Zuschauern. Plötzlich kräuselte sie ihre Nase. »Sagt mal, riecht ihr das auch?«, fragte sie.

»Nö, ich rieche nichts«, meinte Kim.

Marie schnupperte erst an Franzi, dann an Kim. »Ihr seid es schon mal nicht«, stellte sie fest. Dabei fielen ihre langen, blonden Haare nach vorne. »Ahhhh«, rief sie entsetzt. »Meine Haare! Das ist ja widerlich!« Sie schüttelte sich. »Der schöne Apfelstrudelduft …«

»Habe ich das gerade richtig verstanden? Du benutzt ein Shampoo mit Apfelstrudelduft?«, fragte Franzi.

»Klar, das ist der neueste Hit von Schaumischaum.« Marie ließ sich genervt nach hinten fallen. »So lecker! Aber jetzt ist es eher … Pferdeapfel-Strudel!«

»Ein Glück, dass wir auf dem Weg in den Zoo sind, da fällst du sicher nicht unangenehm auf«, sagte Herr Winkler und tuckerte gemächlich die Landstraße entlang. »Im Gegenteil. Ich könnte mir vorstellen, dass die Affen diese Kombination sehr zu schätzen wissen und dich interessant finden werden.«

Franzi musste innerlich lachen, als sie Maries Gesicht sah. Ihr Papa hatte ihre Freundin mit seiner Bemerkung beruhigen wollen, aber Maries düsterem Blick nach zu urteilen, hatte er damit wohl kaum Erfolg gehabt.

Franzi blickte aus dem Fenster und betrachtete die vorbeiziehenden Felder. Der Mai war bisher sonnig gewesen und Raps und Getreide wuchsen üppig. Sie mochte den Anblick der sich im Wind wiegenden Halme und Blumen. Und wieder einmal war sie froh, ein wenig außerhalb der Stadt zu wohnen. Das alte Bauernhaus, in dem sie mit ihrer Familie lebte, war gemütlich und hatte genug Platz, um alle möglichen Tiere zu beherbergen. Nicht zuletzt ihr Pony Tinka und ihr Huhn Polly. Außerdem hatten sie sich mit Kim und Marie im alten Pferdeschuppen das Hauptquartier für den Detektivclub Die drei !!! eingerichtet. Franzi lächelte, als sie an die Anfänge ihrer Detektivarbeit dachte. Wer hätte damals geahnt, dass sie weit über fünfzig Fälle erfolgreich lösen würden?

Hinter ihnen hupte es mehrere Male ungeduldig und das riss Franzi aus ihren Gedanken. Sie blickte sich um. Durch die Heckscheibe sah sie ein klobiges schwarzes Luxusauto. Der Fahrer hatte die Arme nach oben gerissen und fuchtelte wild herum.

»Was ist denn mit dem los?«, fragte Kim. »Der ist ja völlig außer sich.«

»Dem sind wir wohl ein wenig zu langsam«, meinte Herr Winkler. »Aber hier darf man nicht überholen. Tja, das wird er wohl aushalten müssen. Schneller fährt unser Auto einfach nicht mehr. Und außerdem sind wir sowieso gleich beim Zoo. Wir müssen nur noch am Golfplatz vorbei.«

Unbeirrt fuhr er in seinem Tempo weiter, ohne sich von seinem Hintermann aus der Ruhe bringen zu lassen. Der war nun dazu übergegangen, sich erst ein wenig zurückfallen zu lassen, um dann in rasantem Tempo so dicht aufzufahren, dass sich die Stoßstangen berührten.

»Der Typ ist gemeingefährlich«, rief Marie. »Der spinnt doch komplett!«

Kim holte ihr Detektivtagebuch und notierte sich das Kennzeichen. »Nur zur Sicherheit«, sagte sie. »Vielleicht entdecken wir später eine neue Delle im Heck.«

»Keine Frage, ihr seid gute Detektivinnen«, antwortete Herr Winkler amüsiert. »Aber herauszufinden, welche der hundertunddrei Dellen neu ist, dürfte sogar euch schwerfallen.«

Er bog in die recht befahrene Straße ein, in der sich der Zoologische Garten befand.

Der Fahrer hinter ihnen hatte mittlerweile sein Hupkonzert fortgesetzt. Diesmal blieb er nicht bei den kurzen Abständen, sondern ließ die Hand auf der Hupe: MÖÖÖÖÖÖÖÖÖP. Dann raste er auf die Gegenspur, auf der in nicht allzu weiter Entfernung ein Lastwagen entgegenkam, überholte mit röhrendem Motor, zog nur Zentimeter vor dem Kombi wieder auf die rechte Straßenseite und bog mit quietschenden Reifen auf den Parkplatz des Golfclubs ein.

Herr Winkler trat mit ganzer Kraft auf die Bremse. Die Reifen blockierten und nach ein paar Metern kam das Auto zum Stehen. Die drei !!! und Herr Winkler wurden erst nach vorn geschleudert und dann von den Gurten in die Sitze gedrückt. Keiner sagte ein Wort. Alle waren wie erstarrt.

Herr Winkler startete das Auto erneut und rollte langsam an den Fahrbahnrand.

»Alles in Ordnung, Papa?«, fragte Franzi. Sie sah, dass ihr Vater am ganzen Körper zitterte.

»Ich glaube … schon«, sagte er gedehnt. »Und ihr?«

Franzi suchte den Blick von Kim und Marie. »Alles okay.«

»Puh, das war knapp«, stöhnte Kim. »Dieser Spinner hat uns in Lebensgefahr gebracht! Ich fass es nicht. Wollen Sie ihm nicht nachfahren, Herr Winkler? Wir müssen ihn zur Rede stellen!«

»Du hast recht, Kim«, sagte Herr Winkler nachdenklich. »Aber ich glaube, so zittrig, wie ich gerade bin, würde das nichts bringen. Der freut sich wahrscheinlich sogar noch, dass er uns so erschreckt hat. Ich parke jetzt und wir gehen zum Zoo. Und dann sehen wir weiter.«

»Kein Problem, ich habe mir ja sein Kennzeichen notiert«, antwortete Kim und klopfte auf ihr Detektivtagebuch. »Der entkommt uns nicht.«

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Im Gorilla-Kindergarten

»Karl! Wie schön, dass du es einrichten konntest.« Ein großer, sportlicher Mann um die fünfzig kam mit ausgebreiteten Armen auf Herrn Winkler zu und umarmte ihn fest. Dabei fiel sein Blick auf Franzi. Er löste die Umarmung und musterte sie von oben bis unten. »Mir liegt der ganze Erwachsenenkram auf der Zunge«, sagte er. »Aber dass du groß geworden bist, weißt du ja selbst. Doch in deinem Gesicht sehe ich immer noch das dreijährige Mädchen, das sich die Nase an meinen Terrarien platt gedrückt hat.«

»Hallo, Wolf«, sagte Franzi und streckte dem Zoodirektor die Hand hin. Es war ihr unangenehm, den alten Freund ihres Vater so rührselig zu erleben. Deswegen versuchte sie schnell auf ein anderes Thema zu kommen und sagte: »Ich kann mich sogar noch an die Namen deiner Vogelspinnen erinnern. Halli und Galli – weil sie so schnell rennen konnten.«

»Halli und Galli. Jaja, das waren zwei süße Mädels«, schwärmte Wolf Taler. »Man durfte sie nur nicht zusammenlassen, haha. Sonst gab es Gerangel.«

Uffz. Franzi war erleichtert. Mission erfüllt. Ihr Ablenkungsmanöver war erfolgreich gewesen.

Wolf Taler begleitete Herrn Winkler und die drei !!! in das Gorilla-Haus. Alles war bunt und hell. Selbst der Besucherraum mit seinen regenbogenfarbenen Stühlen lud dazu ein, sich hier ein wenig mehr Zeit zu nehmen als vor den anderen Tiergehegen. Allerdings waren kaum Besucher da. Komisch, dachte Franzi. Denn das, was sie hinter der langen Glaswand sah, war einfach zu niedlich.

Drei Babygorillas spielten Fangen und bewarfen sich mit den Kuscheltieren, die auf dem Boden lagen. Von den Decken hingen lange Seile, und die Kleinen schwangen sich kreuz und quer durch den Raum und quiekten vergnügt.

»Das hier ist unser Gorilla-Kindergarten«, erklärte Wolf Taler. »Hier lernen die Tiere alles, was sie später im Familienverband wissen müssen: Spielen, Kämpfen, Füreinandersorgen und so weiter.«

Der Zoodirektor ging zu einer Tür, die in den hinteren Bereich des Gorilla-Hauses führte, öffnete sie und rief: »Annette, darf ich dir ganz besonders lieben Besuch hereinschicken? Ich bin dann mal mit dem neuen Tierarzt unterwegs und zeige ihm alles.«

»Alles klar, Wolf. Ich schnipple gerade Obst für die ganze Affenbande. Besuch stört überhaupt nicht«, hörten die drei !!! eine helle Frauenstimme sagen.

Neugierig traten die drei ein. Eine junge Frau mit einer grünen Latzhose saß an einem Holztisch und zerteilte Bananen. Ein kleiner Gorilla mit einer zerfransten Plüschgiraffe in der Hand guckte sie mit großen Augen an, kletterte Annette ängstlich auf den Schoß und umklammerte sie fest.

»Schon gut, Sunima. Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte sie und kraulte dem Gorillamädchen den Rücken. Dann stand sie auf und streckte den drei !!! die freie Hand entgegen. »Ich bin Annette. Tierpflegerin bei den Menschenaffen. Gerade allerdings ausschließlich die Pflegemutter Sunimas und der drei anderen Racker dort draußen. Die brauchen nämlich Rundumbetreuung. Und wer seid ihr?«

Die drei !!! stellten sich vor. Franzi bemerkte, dass die kleine Sunima immer wieder einen scheuen, aber interessierten Blick auf Marie warf. Schließlich sprang sie von Annettes Arm und kletterte auf ein halbhohes Regal, das neben dem Küchentisch stand. Langsam, aber stetig pirschte sie sich in die Nähe von Marie. Dabei starrte das Gorilla-Baby unverwandt auf Maries silbernen Glitzergürtel. Offensichtlich überlegte es, wie es am besten an dieses Wunderdings herankommen konnte. Es sah seine Plüschgiraffe fragend an und tippte dann mit dem Zeigefinger auf die glänzenden Pailletten.

»Ja, mein Mädchen, das ist toll, nicht wahr?«, sagte Annette lachend. »Die Neugier siegt zum Glück immer über die Angst.«

Sunima machte einen zustimmenden Quietschlaut und gab ihrer Plüschgiraffe mehrere Küsse.

»Sunima ist noch nicht lange hier«, erklärte Annette. »Sie braucht sehr viel Nähe, deswegen habe ich sie mit in die Küche genommen. Aber sie hat sich den Umständen entsprechend gut eingelebt und macht auch schon ziemlich viel Quatsch und Unfug, wie ihr seht.«

»Ist ihre Mutter gestorben?«, fragte Kim.

Annette nickte. »Ja, leider. Zum Glück wurde Sunima gefunden und ist jetzt hier.«

Das Gorillamädchen hatte verstanden, dass über es geredet worden war. Jetzt sah sie Franzi mit ernsten Augen an.

Franzi ging in die Hocke, streckte dem Gorillababy ihre Hand entgegen und flüsterte: »Kleine Sunima, jetzt bist du zum Glück hier. Annette kümmert sich um dich und du hast hier drei wilde Stiefgeschwister, mit denen du raufen und toben kannst.«

Sunima lief wackelnd zu Franzi und legte ihre kleine schwarze Hand auf ihre Wange, als wollte sie ihr sagen, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauche. Dann kletterte sie auf ihren Arm, kuschelte sich an ihren Oberkörper und steckte den Daumen in den Mund.

»Das ist total niedlich«, sagte Kim. »Sunima ist fast wie ein Menschenbaby. Und sie scheint dir zu vertrauen, Franzi. Vorhin war sie noch so ängstlich und jetzt guck mal, wie sie sich an dich klammert.«