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Über dieses Buch

Willkommen in deinen Träumen!

Der Wunschelberg ist ein magischer Ort. Bunte Buden und herrliche Süßigkeiten gibt es hier. Träume verselbstständigen sich und wenn der Magische Gustav zaubert, verwandeln sich Steine in lebendige Vögel. Emma, Mo und Jule sind begeistert. Doch nach und nach kommen ihnen Zweifel an dem lustigen Treiben. Warum sind die Erwachsenen manchmal so leer und erschöpft? Und was hat es mit den grellen Lichtern in der Nacht auf sich? Die drei machen sich auf die Suche nach der Wahrheit …

Für Jule, Emma,
den großen und den kleinen Moritz

Inhaltsverzeichnis

Sterne hinter Stacheldraht machen Zufälle verdächtig

Zwischen Felsenohren begegnen sich fremde Freunde

Rätselhaftes Wiedersehen im verstaubten Zauber

Wo Unkraut blüht, wuchern böse Träume

In dunklen Spiegeln leuchtet ein Lächeln

Geheimnisse wiegen schwer, wo Steinen Flügel wachsen

Erinnerungen drehen sich zu verwunschenen Klängen

In der fremden Stille tragen Vertraute Masken

Der Berg erwacht im Sternentanz

Unter der Schwere des Himmels liegen vergessene Worte

Nicht nur in dunklen Gängen kann man sich verlieren

Doppeltes Spiel mit gefangenen Seelen

Die Splitter der Vergangenheit warten auf der anderen Seite

Gefangene befreien sich aus dunklen Spiegeln

Der Schein fällt mit einem Lächeln

Unter Freunden ist das Ende ein Anfang

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Mo

Fumpp!

»Au«, murmelte Mo. So langsam wie eine sehr, sehr müde Schildkröte öffnete er ein Auge. Boah, war das hell!

Auge schnell wieder zu.

Und dann:

Boff!

»Autsch!«

Mo rieb sich mit geschlossenen Augen die Stirn.

Als er allerdings – puff! – zum dritten Mal gegen die Scheibe donnerte, war es mit seinem Nickerchen endgültig vorbei.

»Was ’n los? Autobahn mit Schlaglöchern?«

Blinzelnd lugte er zwischen den Sitzen nach vorne.

»Nur eine etwas unebene Bergstraße«, erwiderte Antonio, sein Vater.

»Wir sin’ schon da?« Mo tippte auf sein Handy, die Anzeige leuchtete auf. »Sind doch gerade mal ’ne Stunde unterwegs?«

»Wir legen einen kurzen Zwischenstopp ein«, erklärte ihm seine Mutter Loretta.

»Der steht gar nicht im Zeitplan!« Wieder tippte Mo auf seinem Handy herum. Genauer gesagt: auf der Tabelle, die ihm sein Vater geschickt hatte. Abfahrt, Pipi-Pausen und genaue Ankunft an der Berghütte. Alles mit Uhrzeit. In seinen dreizehn Lebensjahren hatte Mo gelernt, seinen Blasendruck den Vorgaben anzupassen.

»Überraschung!«, verkündete Antonio.

»Über… Hä? Was?«

Dieses Wort aus dem Mund seiner Eltern zu hören, war so wahrscheinlich wie ein Dromedar, das verkündete, es wolle Wellenreiten lernen. Oder wie ein Roboter, der auf Liebesschnulzen stand. Oder wie Weihnachten im Juli. Der Alltag seiner Familie fügte sich immer in eine ordentliche Tabelle.

»Wieso Zwischenstopp? Wo sind ’n wir?«

Das Auto tuckerte in holprigen Schleifen einen Berg hinauf. Und ziemlich sicher nicht den Berg, auf dem Mo ab morgen mit seinen Eltern wie jede Sommerferien den immer gleichen Wanderurlaub verbringen sollte.

»Ooch, ist einfach nett hier!«, sagte Loretta.

»Ein sehr willkommener Zufall, der uns hierherführt!«, fügte Antonio hinzu und kratzte sich seinen millimetergenau gestutzten Kinnbart.

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Emma

Emma stieg über den Stacheldraht, vorbei am »Betreten verboten«-Schild. Sie folgte dem Trampelpfad durch die Brennnesseln und umrundete die dichten Sträucher. Dann ein Blick über die Schulter.

Keiner da. Niemand verirrte sich an diesen ungewöhnlichen Ort.

Von den drei rostigen Wohnwagen hier oben hatte sie sich den blauen ausgesucht. Blau mit silbernen Sternen. Verblasste, bröckelige Sterne, aber das fand Emma viel schöner, als wenn sie nigelnagelneu geleuchtet hätten. So hatten sie viel mehr zu erzählen.

»Zum Beispiel von damals, als der Wagen noch jung war und sich unsterblich in ein rostiges Fahrrad verliebte«, kicherte Emma, während sie die knarzende Tür aufschob. Das Geräusch machte ihr wohlig-vorfreudige Gänsehaut.

»Oder von der Reise durch die Südsee, als er mit einem urlaubsdampfergroßen Blauwal um die Wette geschnorchelt ist«, flüsterte sie und trat auf die erste Stufe der Schwelle.

»Oder die Geschichte, als im Wagen ein Zauberer wohnte, der wegen eines magischen Schluckaufs ein Riesenschlamassel veranstaltete«, murmelte sie bei der zweiten Stufe.

Dann stutzte sie.

Moment mal! Einer der Sterne war gar nicht mehr verblasst und bröckelig! Er sah aus wie eben erst darübergepinselt! Emma hielt die Luft an. War etwa jemand da gewesen? Oder sogar noch da drin? Vorsichtig lugte sie zur Tür hinein.

»Puh«, schnaubte sie erleichtert. Nichts und niemand! Alles sah genauso aus wie gestern. Und vorgestern. Und vorvorgestern.

»Seltsam.«

Vorsichtig berührte sie den leuchtenden Stern mit der Fingerspitze. Die Farbe war trocken. Frisch gestrichen war das nicht.

»Sehr, sehr, sehr seltsam!«

Oder hatte sie sich getäuscht und dieser eine Stern war schon immer schöner gewesen als die anderen?

Mit einem Schulterzucken trat Emma ein und zog die Tür hinter sich zu. Sie öffnete den Rucksack und legte ihre Bücher auf den holzwurmdurchlöcherten Tisch. Ein Krimi, ein Abenteuerroman, eine Fantasiegeschichte. Für jede Stimmung etwas.

Ehe sie sich für eins entscheiden und es sich damit auf dem herrlich muffig-zerschlissenen Sessel gemütlich machen konnte, klingelte ihr Handy.

Mama leuchtete auf dem Display auf, aber das hätte Emma auch so gewusst. Äußerst selten erschienen dort andere Buchstaben.

»Liebes!«, begann ihre Mutter in einem extrasanften Säuselton. Schlechtes-Gewissen-säuselsüß. »Alles klar? Was macht ihr denn gerade Schönes?«

»Wir packen unsere Sachen zusammen und radeln dann an den See.« Während Emma an einer Hand zwei Finger kreuzte, notierte sie in Gedanken: Bloß nicht vergessen: Badeanzug unter den Wasserhahn halten!

»Schön! Aber lass dir von Jenny den Rücken ordentlich eincremen. Und schwimmt nicht zu weit raus! Wenn kein Notfall dazwischenkommt, sind wir gegen fünf zu Hause, dann kochen wir was Leckeres!«

»Prima! Bis dann!«

»Bis dann, Liebes. Und grüß Jenny!«

»Klar doch!«

Sicherheitshalber überkreuzte Emma auch noch die Finger an der anderen Hand.

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Jule

»Hörst du das auch?«, fragte Jule.

Tante Silvie schüttelte den Kopf. Ihr knallrot gefärbtes Knäuel Ringellocken wackelte mit. »Was denn?«

»Klingt, als ob ein Hubschrauber über uns hinwegfliegt. Oder ist das etwa der Motor? Auweia!« Jule setzte sich in ihrer Schlafkoje auf. »Herr Rost? Alles gut bei dir?«

Silvie sah ihre Nichte durch den Rückspiegel an. »Also, ich höre nichts.«

»Aber da ist es wieder«, beharrte Jule und lauschte. Bis sie sich mit der Hand gegen die Stirn schlug. »Jetzt weiß ich! Das ist mein Magen! Der knurrt wie ein Säbelzahntiger, weil ich seit gestern Abend nichts gegessen hab!«

»Hinten in der Kiste sind kiloweise gebrannte Mandeln. Popcorn gibt es auch noch. Und Geléebananen.«

Jule verschränkte die Arme. »Können wir nicht irgendwo stoppen und essen? Was Richtiges?«

»Zu teuer! Und wir sind spät dran. Viel zu spät.« Zur Bestätigung ließ Silvie Herrn Rosts Motor aufheulen. Aber viel schneller kam der Bus mit dem Anhänger hintendran trotzdem nicht den Berg hoch.

Seufzend wühlte Jule in ihrem Rucksack. Sie zog ein Stück altes Knäckebrot und einen runzeligen Apfel hervor. Da man angeblich schon vom Kauen satt wurde, knurpste sie jeden Bissen Knäcke etwa hundertmal. »Und was ist das jetzt gleich für ein Rummel?« Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete sie die braunen Stellen am Apfel.

Ihre Tante sah auf einmal ganz sehnsüchtig aus. So, wie wenn Jule an eine riesige Portion Grünkohl-Sauerkraut-Eintopf dachte. »Ach, es ist ein zauberhafter Ort. Mit ein bisschen Magie, Geheimnissen und …«

»Magie, aber klar doch.« Jule runzelte die Stirn.

Silvie lachte laut und etwas schrill auf und bog scharf in einen schmalen Holperweg ein. »Das war natürlich nur ein Scherz. Aber ehe ich dir alles erkläre – wir sind gleich da!«

Der Berg, den es nun hinaufging, war so steil, dass es Jule fest an die Rückenlehne drückte. Herr Rost ächzte und stöhnte.

»Hoffentlich rutschen wir nicht gleich wieder rückwärts runter!« Jule drehte sich um. Immerhin hatte sich der Anhänger (bis unter die Decke voll mit Süßkram) noch nicht selbstständig gemacht, sondern zockelte nach wie vor brav hinter Herrn Rost her. Rauch war auch keiner zu sehen. Es wäre bei der Hitze nicht überraschend gewesen, wenn der alte Bus ins Dampfen geraten wäre.

Sie zog die Beine an den Bauch und musterte ihre Tante von der Seite. Was wollte die ausgerechnet auf diesem ollen Felshaufen?

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Emma legte ihr Buch beiseite und griff nach dem Handy. Komisch, keine SMS von Mama. Aber was hatte denn dann so gebrummt? Kam das etwa von draußen?

Sie schob die staubigen Vorhänge beiseite – und erstarrte. Ein Auto! Nur ein paar Meter entfernt! Und jetzt? Wie sollte sie unbemerkt rauskommen? Sie durfte sich nicht erwischen lassen. Auf keinen Fall! Wie war das? Eltern haften für ihre Kinder? Wenn ihre Eltern eine Strafe aufgebrummt bekamen, weil sie hier verbotenerweise herumstreunte, würde alles auffliegen!

Eine Autotür knallte und Emma zuckte zusammen. Dann noch eine – und eine dritte. Ganz vorsichtig lugte sie zwischen den Vorhängen nach draußen.

Ein Mann und eine Frau standen vor dem grauen Kombi. Sie sahen genauso farblos aus wie das Auto. Der Mann im Anzug, die Frau trug ein Kostüm. Sie unterhielten sich, aber Emma konnte nicht verstehen, was sie redeten. Die Frau zupfte an ihrem Rock herum und der Mann fuhr sich ständig über den Bart. Sie wirkten beide nervös.

»Ach du …« Emma verkniff sich einen Schreckenslaut, als jemand direkt an ihrem Fenster vorbeiging. Ein Junge. Typ unsportlich, kinnlange Chaos-Frisur, Brille mit Rand und Blick suchend nach unten gerichtet. Dann war er auch schon aus der Bildfläche verschwunden. Es folgte ein leiser, dumpfer Schlag und der Junge fluchte. Als Nächstes erklang ein merkwürdiges Pochen. Erst kam es vom Rand des Wohnwagens – und plötzlich war es über ihr! Kletterte der etwa auf dem Dach herum?

Emma steckte eilig und sehr, sehr leise ihre Bücher ein und verzog sich mit dem Rucksack in den Schrank. Natürlich bekam sie in dem dunklen Loch sofort Staub in die Nase. Emma drückte sie mit den Fingern zu, um sich ein Niesen zu verkneifen.

Wenn sie den Jungen dort oben hören konnte, war das auch umgekehrt so!

Einatmen, ausatmen, ganz langsam, sagte sich Emma. Nur nicht niesen. Bitte nicht.

Und dann:

Düdeludeldüüü-düdelüdeldüüü!

Mama stand auf dem Display.

Schon wieder.

Emma drückte den Anruf schnell weg.

»Ich war auf dem Klo, ganz einfach. Da muss man nicht rangehen«, flüsterte sie.

Sie hielt die Luft an und machte die Augen zu. Obwohl sie natürlich lange nicht mehr daran glaubte, dass man unsichtbar wurde, wenn man selbst nichts mehr sah.

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»Tataa!«, jubilierte Silvie, als Jule aus Herrn Rosts Bauch geklettert war.

Dabei machte sie mit ausgebreiteten Armen eine Drehung um sich selbst, als ob sie ihrer Nichte ein Überraschungspäckchen vom Umfang eines Südseedampfers präsentierte. Aber alles, was Jule sah, waren Unkraut, Geröll und ein paar wackelige, windschiefe, schmuddelige Wohnwagen. Dazu ein etwas pummeliger Junge, der auf einem davon herumturnte und fluchend einen Arm samt Handy in den Himmel reckte. Da musste Jule sogar ein bisschen grinsen. Gleich darauf wechselte sie wieder zu einem grabentiefen Stirnrunzeln. Nämlich, als Silvie rief: »Antonio! Loretta! Seid ihr das wirklich?«

Die exotischen Namen gehörten zu zwei völlig unauffälligen Leuten. Absolut grauen Mäusen. Silvie stürmte auf die beiden zu, dass ihr regenbogenfarben gepunktetes Sommerkleid nur so flatterte. Nacheinander drückte sie die Leute an sich – und die ließen das steif über sich ergehen.

»Süße, komm doch mal!«

Mit langsamen Schritten folgte Jule der Aufforderung. Sie fühlte sich gerade gar nicht süß. Eher magenteebitter. Wo hatte Silvie sie nur hinverschleppt? Das war der reinste Schrottplatz hier!

»Das ist Jule. Meine Nichte. Also, eigentlich kennt ihr sie, aber ist ja eine Weile …«

Loretta riss die Augen auf. »Das ist Jule? Mädchen, bist du groß geworden!« Sie pfiff in Richtung eines der Wohnwagen. Dem mit dem Jungen auf dem Dach. »Moritz! Kommst du?«

»Ich hab kein Netz. Nicht mal hier oben!«, rief dieser Moritz zurück. Er klang schwer verzweifelt. »Können wir dann bitte schnell weiterfahren?«

Loretta lächelte etwas angestrengt. »Mos Handy ist überlebenswichtig für ihn. Da drin stecken seine Freunde … also, ihr wisst schon.«

Jule stellte sich vor, wie ein Haufen winziger Brillentypen in dem kleinen Handykasten nebeneinander kauerte. Sie musste schmunzeln.

Silvie schüttelte den Kopf. »Damals ging mir Moritz gerade mal bis zum Knie!«

Der Junge kletterte vom Dach herunter – wobei er mit seiner Hose an einem Nagel oder irgendwas hängen blieb und den letzten halben Meter unsanft auf seinen Hintern krachte.

»Zum Glück ist der hintenrum gut gepolstert!« Jule traf ein vorwurfsvoller Blick von Loretta. »Hallo? Stimmt doch! Ist ja wohl eine Tatsache, dass euer Sohn leichtes Übergewicht hat.«

Ehe seine Eltern dazu etwas sagen konnten (Mo hatte gar nicht hingehört), knackte es im Gebüsch. Die Erwachsenen folgten dem Geräusch mit forschenden und etwas kritischen Blicken, aber es war nichts zu erkennen.

Jule kniff die Augen zusammen. »Gibt es in dieser Einöde etwa auch noch wilde Tiere?«

Sie konnte ja schlecht wissen, dass ein paar Meter weiter ein zwölfjähriges Mädchen hockte, das sich gerade heimlich verdünnisierte.

»Hast du Empfang?« Mo starrte auf sein Handydisplay, sodass er von Jule nur im Augenwinkel die ausgelatschten Turnschuhe sah. Natürlich wusste er noch nicht, dass das zu den Schuhen gehörige Mädchen Jule hieß. Weil er nicht unhöflich sein wollte, blickte er schließlich doch hoch. Nun bemerkte er auch ihre Jeanslatzhose und wie sie sich etwas genervt in den Pony pustete.

»Keine Ahnung.«

»Aber dein Handy hat vorhin geklingelt!«

»Bestimmt nicht.«

»Schau doch mal nach! Bitte!« Mo nickte ihr aufmunternd zu.

»Geht nicht.«

»Wieso?«

»Mein Handy ist noch in der Fabrik. In seinen tausend Einzelteilen.«

Mo kratzte sich an der Nase. »Runtergefallen? Mist!«

»Nee.«

»Sondern …?«

»Noch nicht hergestellt! Ich brauch so ein Ding nicht. Ist doch total nervig, wenn man überall und ständig erreichbar ist.«

»Rein theoretisch überall erreichbar.« Mo schüttelte sein Telefon. »Praktisch is’ gerade jeder Regenwurm besser vernetzt. Ach ja, Mo – ’tschuldigung.« Er streckte eine Hand aus.

»Gesundheit«, erwiderte Jule.

»Das ist sein Name!«, warf Antonio ein. »Eigentlich Moritz. Unser Sohnemann geht sehr sparsam mit Buchstaben um.«

»Ich hab ein E, ein U, ein J und ein L«, erwiderte Jule. »Hoffe, das ist noch im Rahmen.«

Mo war nicht der Typ, der sich von seltsamen Manieren beeindrucken ließ. Er war eher der Typ, der sich von gar nichts beeindrucken ließ. Allerhöchstens von einem Funkloch. So zuckte er bloß mit den Schultern und ließ seine Hand wieder sinken.

»Also, ich bin Silvie, Jules Tante!« Silvie quetschte sich dazwischen und entschädigte für Jules Muffellaune mit einem herzlichen Lächeln.

Mo grinste zurück. Angesichts der Farbenpracht musste er etwas blinzeln. Wenn sie ein Schmetterling wäre, gingen seine Eltern gerade mal als Kellerasseln durch. Deshalb sah er diese nun auch ziemlich fragend an. »Und woher kennt ihr euch?«

»Ehemalige Kollegen«, erwiderte Antonio.

»Alte Freunde«, sagte Silvie gleichzeitig.

»Ist wohl Ansichtssache«, murmelte Jule.

Mo sah seine Eltern noch verwirrter an.

»Und ihr trefft euch zufällig auf ’nem Unkrauthügel am Ende der Welt?«

»Wer redet denn hier von Zufall?«, wunderte sich Silvie.

Mo streckte den Zeigefinger aus und deutete auf seine Eltern.

»Äh na ja, also …«, begann Antonio.

»Ihr seid doch bestimmt hungrig! Wir haben die ganze Tasche voller Schnittchen!«, fiel Loretta ihm ins Wort. Nach einem kurzen Blick auf die entsprechende Tabelle wusste sie auch: »Noch vierzehn Stück. Sieben mit Käse, drei mit Marmelade und vier mit Linsenpaste.«

Einen Moment lang staunte Jule über diese Präzision. Dann winkte sie schnell ab, ehe Silvie ihr dazwischenkam. »Nein, kein Hunger.« Sie wollte auf keinen Fall auch nur eine Sekunde länger als nötig an diesem seltsamen Ort bleiben.

Allerdings antwortete ihr Magen zeitgleich. Mit einem eindringlichen Rooooaaaahr!

»Wenn der Körper Signale sendet, sollte man sie beachten!« Mit diesen Worten zog Loretta die Kühltasche aus dem Kofferraum.

Mit vollem Bauch hatte Jule gleich bessere Laune. Okay, dieser Pummel mit dem Handy-Tick war ziemlich schräg. Und seine Eltern auch. Aber die drei war sie ja bald wieder los. Schließlich würde Silvie Herrn Rost und sie bald zu einem richtigen Rummel fahren.

Nach dem Essen (vier Schnittchen: zweimal Käse, einmal Linsenpaste und zum Nachtisch Marmelade) schaute sie sich auf diesem seltsamen Hügel ein wenig genauer um. So entging sie nicht nur den langweiligen Erwachsenengesprächen, sondern auch Mo und seinem Handy.

»Aber nur bis zum oberen Plateau! Bleib von den Bergspitzen weg, das ist zu gefährlich!«, hatte Silvie gesagt. Als ob Jule groß Lust darauf hätte, Bergsteiger zu spielen.

»Falls hier einmal ein Jahrmarkt war«, murmelte sie, nachdem sie die drei verrosteten Wohnwagen inspiziert hatte, »ist das mindestens hundert Jahre her.«