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Inhalt

Einführung

Das Volk, das aus dem Kessel kam

Am Anfang standen Schamaninnen

Das Kerngehäuse des Apfels

Rhiannon, Taranis und andere Götter

Am Grab des Taliesin

Der Runde Tisch Myrddins

Das schöne Antlitz der Hagazussa

Die Bestiensäule und der Mönch

Avalon – ein Tor zur Anderswelt

Rettung durch das Große Wissen

Ausgewählte Literatur

Manfred Böckl

Die Botschaft der

Druiden

Heimkehr ins Heidentum

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Vor 2500 Jahren vermochten die Druiden das »Tor in die Anderswelt« sowohl geistig als auch real zu öffnen. Ziel dieses Überschreitens der »Brücke von Avalon« war das Erkennen einer vierten Dimension, die mit den drei bekannten unsichtbar und dennoch greifbar verflochten ist.

So schufen die weisen Frauen und Männer der Kelten eine Kosmologie, die Mensch, Natur und Weltall harmonisch in Einklang bringt. Brutal wurde dieses »Große Wissen« später von Rom unterdrückt. Doch verborgen lebte die Botschaft der Druiden weiter – und kann nach ihrer Wiederentdeckung zum Ausweg aus dem gegenwärtigen Dilemma der Menschheit werden.

Denn im politischen Bereich bietet die Weisheit der Druiden zukunftsweisende Lösungen an – und in religiöser Hinsicht schenkt die Heimkehr ins Heidentum beglückende spirituelle Geborgenheit.

Einführung

AUF DEM HEILIGEN HÜGEL VON AVALON schufen sie vor zweieinhalb Jahrtausenden eine Brücke in die Anderswelt, die sowohl spirituell als auch körperlich bis heute begehbar ist. Vor den Küsten Britanniens erkannten sie »Gläserne Inseln« als Tore zur vierten Dimension und durchschritten sie. In ihren über halb Europa verstreuten und von Baumreihen umfriedeten Hainen, den Nemetons, nutzten sie geophysikalische Kräfte zur Erweiterung ihres Bewusstseins. Mit beiden Beinen auf der Erde stehend und im Einklang mit der mütterlichen Natur hinausgreifend in die Unendlichkeit des Alls, formulierten sie eine Kosmologie, die menschliches Leben in vollkommene Harmonie mit dem Universum bringt.

Die keltischen Dru Wid oder Druiden – gleichermaßen Frauen und Männer – waren die Großen Wissenden der abendländischen Antike. Während der letzten vorchristlichen Jahrhunderte machten diese Philosophen, Poeten, Ärzte, Lehrer, Astronomen und Sensitiven dem Kontinent ein faszinierendes geistiges und gesellschaftliches Angebot. Ihr Entwurf einer umfassenden Zivilisation des Miteinander stellte die Vollendung einer langen, eher »weiblich« als »männlich« geprägten Linie der Menschheitsgeschichte dar. Für eine kurze Epoche verflocht das von ihnen geknüpfte Band der keltischen Kultur das alltägliche, politische und metaphysische Leben zahlreicher Völker von Irland bis Kleinasien auf sehr positive Weise. Hätten die Druiden ihr Werk vollenden können, wäre in Europa ein langes Goldenes Zeitalter Realität geworden.

Im Übergang vom Sternzeichen des »Widders« zu dem der »Fische« jedoch wurde die Welt des La-Tène brutal zerschlagen und das Abendland damit in eine zweitausendjährige Ära der Finsternis gestürzt. Zunächst griff Cäsar, der in seiner hemmungslosen Herrschsucht auch die römische Republik zerstörte, die iberischen, helvetischen, gallischen und britannischen Kelten an, führte eine Reihe grausamer Kriege gegen sie und schreckte dabei selbst vor Genoziden nicht zurück. Die Kaiser Caligula, Claudius und Vespasian versklavten anschließend die Reste der großen keltischen Populationen; lediglich da und dort in Germanien, im Böhmischen Kessel sowie in den westlichen Randregionen Europas vermochten sich kleinere Völker und Stämme zu behaupten. Das menschenverachtende System des römischen Imperiums hatte über die ungleich humaner angelegte Zivilisation der geistig von den Druiden geführten Völker gesiegt; zentral gesteuerte Machtausübung über die Philosophie des Miteinander im Rahmen der toleranten keltischen Föderation triumphiert.

Diese erste Katastrophe mündete direkt in eine zweite ein: den moralischen und metaphysischen Absturz, der im Gefolge der Zwangschristianisierung Europas zu beklagen ist. Was vom keltischen Pantheismus – der in seiner eingängigen Metaphorik stets auch Hinführung zur naturphilosophischen Kosmologie der Druiden gewesen war – noch überlebt hatte, wurde nun von der römischen Kirche mit äußerstem Hass verfolgt und dämonisiert. An die Stelle der heidnischen Spiritualität, die jedem Individuum auch den individuellen Weg bei der Suche nach dem Göttlichen und dem Einswerden mit ihm zugestanden hatte, trat jetzt dumpfer Dogmatismus. Zudem warfen sich die christlichen Priester zu vorgeblichen Vermittlern zwischen Diesseits und »Jenseits« auf, ohne freilich das Prinzip der Anderswelt überhaupt begriffen zu haben. Sie verbauten ihren Gläubigen damit den natürlichen, in jedem Menschen angelegten Erkenntnispfad, der allerdings nur in völliger geistiger Freiheit und eben nicht unter dem Diktat irgendwelcher Dogmen beschritten werden kann.

Römisches Reich und römisch-katholische Kirche – von imperialem Denken und dem Drang zur Unterwerfung alles Andersartigen getrieben – vernichteten das alte heidnische Europa, das in reicher Vielfalt aus seiner Liberalität und Toleranz heraus gelebt hatte. Um dies zu erreichen, musste, nachdem die griechische Philosophie bereits zuvor an den Rand gedrängt worden war, vor allem das Druidentum ausgerottet werden. Schon in der Mitte des letzten vorchristlichen Jahrhunderts hatte Cäsar die Großen Wissenden, die aus sehr guten Gründen zum Widerstand gegen ihn und das von ihm verkörperte System aufriefen, verfolgen und hinmorden lassen. Im Jahr 61 nunmehr christlicher Zeitrechnung wurde die in ganz Europa berühmte Druidenschule auf der britischen Insel Mona (Anglesey) zerstört und die dortigen Dru Wid zu Hunderten niedergemetzelt. Während der späteren Jahrhunderte des vom römischen Papsttum dominierten, durch endlose Kriege gequälten Mittelalters und der folgenden Epochen konnten die wenigen Eingeweihten, die noch immer druidisches Wissen bewahrten, angesichts der Ketzer- und Hexenverfolgungen da und dort lediglich versteckt überleben.

Gerade diese den alten Göttern treu gebliebenen Menschen aber – zum Beispiel die als »Teufelsbuhlinnen« diskriminierten Hagazussa (»Zaunreiter«), die nach wie vor auf der Grenze zwischen Diesseits- und Anderswelt zu »fliegen« vermochten – retteten in den Zeiten der blutigen Unterdrückung des Heidentums zumindest einen Funken der faszinierenden vorchristlichen Weisheit in die Neuzeit herüber. Sie waren es, die unter extremen Gefahren eine Brücke von der europäischen Antike zur Moderne schlugen, so dass die Erinnerung an das Druidentum besonders in abgelegenen Gegenden bewahrt blieb und in unseren Tagen ein Anknüpfen an das ehrwürdige Wissen möglich wird. Speziell heute – im Übergang vom zweiten zum dritten Jahrtausend und gleichzeitig vom Sternzeichen der »Fische« zu dem des »Wassermannes« –ist diese Rückbesinnung auf das vorchristliche Abendland hochaktuell. Denn mit ihrer Hilfe könnte aus noch immer außerordentlich tragfähigem Wurzelwerk heraus ein neues Aufblühen Europas sowohl in geistiger als auch politischer und sozialer Hinsicht erfolgen.

Sehr viele Menschen, die sich auf der Suche nach ihrem wahren metaphysischen Ursprung befinden, haben mittlerweile erkannt, dass im Zeitalter der Renaissance zwar ein erster wichtiger Schritt getan wurde, dass die Wiederentdeckung der antiken Welt im 15. und 16. Jahrhundert aber leider auf halben Wege steckenblieb, weil sie sich auf den östlichen Mittelmeerraum beschränkte. Im Grunde war das, was wir heute unter Renaissance verstehen, lediglich ein Anfang, der trotzdem einen ganz erstaunlichen zivilisatorischen Aufschwung bewirkte. Denn das Aufkommen des Humanismus nach eineinhalb Jahrtausenden der Dunkelheit stand in unmittelbarem Zusammenhang mit der Rückbesinnung auf die Philosophie vor allem des griechischen Heidentums. Nachdem sich aber nun schon jene »rudimentäre Renaissance« so vorteilhaft auswirkte, kann daraus geschlossen werden, dass ihre Vollendung noch ungleich positivere Resultate zeitigen würde.

Um das zu erreichen, muss freilich im Bewusstsein moderner Europäer neben der mediterranen heidnischen Welt auch wieder diejenige der Slawen, Germanen und Kelten lebendig werden – und der Weg dorthin führt vor allem über das Begreifen des Druidentums. Denn die Kosmologie der Großen Wissenden beinhaltete die Summe sämtlicher wertvoller Erkenntnisse der abendländischen Antike, und diese umfassende Lehre war zudem so praxisnah angelegt, dass sie nicht nur einer naturwissenschaftlich-philosophisch geschulten Elite, sondern allen Menschen zugute kommen konnte.

Ziel dieses Buches ist es also, das Denken und die Metaphysik der Dru Wid wieder nachvollziehbar zu machen. Diese Botschaft der Druiden kann allerdings nicht einfach aus einigen Dutzend anderer einschlägiger Werke herausgefiltert werden, denn sie wurde von den Großen Wissenden des letzten vorchristlichen Jahrtausenden niemals schriftlich niedergelegt. Es existieren lediglich zeitgenössische griechische und römische Quellen, die – zumeist unter Vorbehalten – als Sekundärliteratur verwendet werden können. Außerdem haben sich »Märchen«, »Sagen« und »Gedichte« aus dem la-tène-zeitlichen Westeuropa erhalten, die im Mittelalter von christlichen Mönchen gesammelt und niedergeschrieben wurden, wobei es allerdings oft zu entsprechenden »Übertünchungen« kam. Aufgrund der insgesamt sehr spärlichen Quellenlage scheiterten bisher alle Versuche, die Kosmologie der Druiden gültig zu rekonstruieren. Mit Sicherheit war dies aber auch deshalb unmöglich, weil der Zugang allein mit den Methoden der Literatur- oder historischen Wissenschaft von Haus aus nicht greifen kann, da selbst bei sehr großem Fachwissen noch immer der eigentliche Schlüssel – das keltische Bewusstsein – fehlt.

Dieser Celtic Spirit nämlich ist in der Hektik der Universitäten kaum zu finden; man muss ihm vielmehr dort nachspüren, wo er allen Verfolgungen zum Trotz im verborgenen zu überdauern vermochte: in den Randregionen Westeuropas und bei den sogenannten einfachen Menschen dort. In der Bretagne, in Irland oder Cornwall, vor allem aber in Schottland und mehr noch in Wales, in welchen beiden Ländern das Keltentum derzeit seine eigene Renaissance erfährt, kommen auch jene uralten und oft insgeheim gehüteten Überlieferungen wieder ans Tageslicht, die den Geist der Druiden ungebrochen bewahrt haben. Gewinnt man hier das Vertrauen der Einheimischen, der innig mit ihrem Land vertrauten Bauern, Fischer und anderen unverbildeten Leute, dann beginnt die scheinbar versiegte Quelle neuerlich zu sprudeln.

Unversehens steht man dann vor einem kimmrischen Maen, einer bereits von den walisischen Druiden genutzten Steinsetzung, und entdeckt darauf das Symbol des Pentagramms. Oder man findet sich plötzlich auf der nach außen hin so unscheinbar wirkenden Hügelkuppe von Dinas Emrys wieder, der Festung des Ambrosius der Arthur-Sage, wo Merlin seine Prophezeiung vom Roten und Weißen Drachen abgab, und dort wird man dann womöglich auch die tiefere Bedeutung dieser Fabeltier- und Farbensymbolik begreifen. Ebenso kann es geschehen, dass man in den Wochen nach dem ersten August (dem keltischen »Erntedankfest« Lugnasad) in einer eineinhalb Jahrtausende alten und zwischen Dünen versteckten Kapelle auf berauschend duftende Kräuter und dazwischen liegende Totenschädel aus Brotteig stößt, aus deren Scheitel Getreideähren sprießen. Und die »zufällig« hereinkommende alte Frau, die eben noch bei einer nahen Quelle weilte und nun leise vom jungen Leben spricht, das wieder und wieder aus dem Verwelken eines vorhergegangenen entsteht, drückt damit druidisches Wissen aus: die so außerordentlich tröstliche Lehre von der Umwandlung der Materie mit jedem Tod und dem damit eng verflochtenen Geheimnis der Wiedergeburt, respektive der Seelenwanderung.

Ganz konkrete Begegnungen mit »überlebenden« Kelten also waren für den Autor in dreißig Jahren des Lernens ausgesprochen hilfreich, wenn es darum ging, die antiken und mittelalterlichen Texte, in denen Informationen über die Dru Wid verborgen sein konnten, kritisch abzuklopfen, um sie sodann entweder zu verwerfen oder als schlüssig zu akzeptieren. Gleichzeitig bildete sich während der Aufenthalte in den keltischen Randregionen Europas mehr und mehr eine intuitive Empfänglichkeit für den Celtic Spirit aus, was letztlich einer geistigen Heimkehr ins Keltentum gleichkam. Dadurch wurde es möglich, die in druidischen Symbolen und keltischen Steinsetzungen oder Bauwerken enthaltenen verschlüsselten Botschaften zu »lesen« und ihre »geheimen« Aussagen zu begreifen. Schließlich folgte die Entdeckung einer weiteren Region, wo sich Erinnerungen an das Druidentum bis in die Gegenwart herauf erhalten haben: des Bayerischen- und des Böhmerwaldes sowie des angrenzenden österreichischen Waldviertels. An den Stalltüren mancher Bauernhöfe werden hier noch immer Pentagramme eingeritzt, und es sind auch andere Bräuche bewahrt geblieben, die im Vergleich mit westeuropäischen Überlieferungen unschwer als keltisch zu erkennen und in ihrem ursprünglichen heiligen Sinngehalt zu begreifen sind.

In gewissen Familien, die seit vielen Jahrhunderten im großen mitteleuropäischen Waldgebirge ansässig sind, wurden die ehrwürdigen Riten der Hagazussa, die ihrerseits auf druidische Praktiken zurückgehen, in sehr langer Generationenfolge zumeist von den Großmüttern an die Enkelinnen weitergegeben. Vor allem Frauen, manchmal aber auch Männer, die sich heute mutig wieder als »Hexen« bezeichnen, obwohl sie auch in der demokratischen Gesellschaft Gefahr laufen, deshalb diskriminiert zu werden, verfügen damit glücklicherweise nach wie vor über naturphilosophisches und metaphysisches Wissen der Kelten. Der unvoreingenommene Kontakt mit solchen Menschen, welche derzeit die Tradition der Dru Wid hüten, kann also sehr hilfreich sein, wenn es darum geht, den Celtic Spirit wiederzufinden – wie der Verfasser dieses Buches aufgrund persönlicher Erfahrung weiß und dankbar bekennt.

Darüber hinaus führten drei Jahrzehnte des vom Verstand und gleichermaßen vom Instinkt geleiteten Lernens dazu, dass dem Autor sehr persönliche »Rückerinnerungen« weit über sein gegenwärtiges Leben hinaus zuteil wurden. Auslöser waren dabei in jedem Fall solche Orte, die historisch beweisbar schon von den vorchristlichen Druiden genutzt wurden und daher innerhalb des Keltentums besondere spirituelle Bedeutung hatten. Diese »Rückführungen« waren freilich niemals spektakulär etwa in dem Sinne, dass der Autor Vercingetorix, Morgana, Arthur, Gwynhwyfara oder Merlin begegnet wäre. Vielmehr handelte es sich bei diesen außerordentlich erfüllten Momenten und manchmal sogar Stunden um eine Art von Geborgensein in einer völlig anderen Welt als der des 20. Jahrhunderts. Es schien dann zu einer unendlich beglückenden Vereinigung zum Beispiel mit einer bestimmten »wiedergefundenen« Insel oder einfach der »Stimmung« eines Platzes zu kommen; es wurden – sehr schwer zu beschreibende – Empfindungen ausgelöst, wie sie bereits vor sehr langer Zeit ähnlich vertraut gewesen waren.

Zugegeben, dies mag im ersten Moment abwegig klingen, doch das vorliegende Buch gibt jedem Leser die Möglichkeit, den sowohl informativen als auch intuitiven Erkenntnispfad, den der Autor mit dem Ziel der Wiederentdeckung des druidischen Weltbildes eingeschlagen hat, selbst auf seine Tragfähigkeit hin zu überprüfen. Jeder möge sich sein eigenes Urteil darüber bilden, ob es auf die oben skizzierte Weise tatsächlich gelingen kann, die Schleier, die sich über das wahre Wesen der Großen Wissenden gelegt haben – oder auch ganz gezielt darüber gebreitet wurden – wieder zu lüften. Ehe jedoch der Versuch dazu gemacht wird, ist es nötig, die historische Herkunft und das Aufblühen des Keltentums im letzten vorchristlichen Jahrtausend zu beleuchten.

2. Auflage 2015

Manfred Böckl
Die Botschaft der Druiden

© Neue Erde 2015
Alle Rechte vorbehalten.

Titelseite:
Foto: Christy Nicholas/shutterstock.com
Die Titelabbildung zeigt den Poulnabrone Dolmen, der sich im Burren,
County Clare, Irland, befindet und in der Jungsteinzeit, wahrscheinlich
zwischen 3.800 und 3.200 v. Chr., errichtet wurde.
Gestaltung: Dragon Design, GB

Satz und Gestaltung:
Dragon Design, GB
Gesetzt aus der Rotis Serif

eISBN 978-3-89060-176-2
ISBN 978-3-89060-663-7

Neue Erde GmbH
Cecilienstr. 29 . 66111 Saarbrücken . Deutschland . Planet Erde
www.neue-erde.de

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DAS VOLK, DAS AUS DEM KESSEL KAM

WEICHER MÄRZWIND PLUDERT über das unscheinbare Feld in der Nähe des niederbayerischen Marktfleckens Aufhausen. Ungefähr dreißig Kilometer nördlich dehnt sich unter verhangenem Horizont die Silhouette des Bayerischen Waldes. Langsam wandere ich über den Acker, suche meinen Weg zwischen den flachen Gruben der Ausgrabung, die hier seit Mitte der 90er Jahre von einem mit mir befreundeten Archäologen durchgeführt wird.

An einer bestimmten Stelle erinnere ich mich an einen brütend heißen Sommertag im Juni 1996, als auf diesem flachen Hang über dem Flüsschen Vils das erstaunlich gut erhaltene Skelett eines jungen Mannes der Glockenbecherperiode aus der Erde kam. Circa 4200 Jahre hatte der etwa Sechzehnjährige in seinem jungsteinzeitlichen, mit Getreidebeigaben in zwei Tonkrügen versehenen Grab geruht; ähnlich einem Embryo in Seitenlage zusammengekauert und mit nach Norden ausgerichtetem Kopf gen Osten blickend: der aufgehenden neuen Sonne entgegen. Weibliche Skelette in anderen Gräbern waren in der gleichen Körperhaltung gefunden worden, sie jedoch lagen mit dem Schädel nach Süden.

Instinktiv hatte ich damals die Zuordnung von Frauen oder Männern zur »warmen«, beziehungsweise »kalten« Himmelsrichtung assoziiert. Ebenso hatte ich mich daran erinnert, dass auch im viel späteren keltischen Denken die Göttin Beltane für Frühling und Sommer stand, ihr sie ergänzender Gefährte Samhain aber für Herbst und Winter. Mein Freund, der Archäologe, hatte dazu geäußert, diese Gedankenverbindung von den Glockenbecherleuten zu den Menschen des La-Tène sei durchaus gerechtfertigt, denn die Metaphysik der Druiden sei ja letztendlich aus den vorangegangenen neolithischen und bronzezeitlichen Vorstellungen erwachsen. Dann hatte er mir eine andere Stelle auf dem Grabungsareal gezeigt, wo er über den genannten prähistorischen Schichten keltische Siedlungsspuren – unter anderem ein Ofenzentrum mit Eisenschlacke – entdeckt hatte.

Als ich im März 1998 wiederum dort stehe, wird mir erneut diese unglaubliche Kontinuität bewusst: Rund fünf vorchristliche Jahrtausende lang – vom Neolithikum bis zur Römerzeit, als die La-Tène-Kultur brutal zerschlagen wurde – lebten hier, eine um die andere, verschiedene Zivilisationen in friedlichem Einklang mit der Natur. Sie wurden geboren, blühten auf, kamen zur Reife und vergingen, um in anderer Form wieder neu zu entstehen. Der Kern ihres geistigen Erbes jedoch überdauerte alle diese Umwandlungen, bis er schließlich mit keltischem Denken verschmolz und von den Großen Wissenden in das Gedankengebäude ihrer allumfassenden Kosmologie eingearbeitet wurde.

Während mir dies durch den Kopf geht, kauere ich mich nieder; ich möchte die Erde berühren, über die hier einst bestimmt auch der eine oder andere Dru Wid schritt. Plötzlich weckt etwas im bröckeligen Lehm meine Aufmerksamkeit. Ich scharre ein wenig, im nächsten Moment halte ich eine Keramikscherbe in der Hand, die ich als la-tène-zeitliches Relikt erkenne. Der Krümmung nach zu urteilen, muss sie von einem ziemlich großen Gefäß stammen. Auffallend ist der hohe Graphitgehalt des Tons, und ich bin mir deshalb sehr sicher, dass der Krug etwa zwei Tagesmärsche weiter nördlich im Bayerischen Wald gebrannt wurde, wo das genannte Mineral im einzigen Graphitbergwerk Mitteleuropas noch bis zum Zweiten Weltkrieg abgebaut wurde.

Damit aber kam das Gefäß, das vor rund 2500 Jahren wahrscheinlich zur Aufbewahrung von Getreide diente, vom Rand jenes »Kessels«, der als die Geburtsstätte des Keltentums gilt: der böhmischen Senke, die von den Gebirgszügen der Sudeten, des Erzgebirges und eben des Bayerischen- und Böhmerwaldes sowie des österreichischen Waldviertels begrenzt wird. Die dunkle Scherbe in meiner Hand stellt die Verbindung ganz unvermittelt schier greifbar her – und während ich sie nun sorgfältig vom anhaftenden Schmutz reinige, versuche ich mir vorzustellen, wie es gewesen sein könnte, als sich die ersten keltischen Zivilisationsinseln in jener Region bildeten, wo heute Prag steht …

***

Die Frage, wann genau diese Entwicklung einsetzte, ist ausgesprochen schwierig zu beantworten. Denn die geheimnisvollen Völker, die auf dem Höhepunkt ihrer kulturellen Entwicklung das Druidentum hervorbrachten, tauchten nicht plötzlich in der Geschichte auf, sondern wuchsen allmählich aus dem prähistorischen Halbdunkel im Übergang vom vorletzten zum letzten vorchristlichen Jahrtausend heraus.

In Mitteleuropa und damit auch im Böhmischen Kessel existierte damals die sogenannte Urnenfelderkultur (ca. 1300 - 750 v. d. Z.), die sich ihrerseits wieder aus einer Vermischung eingesessener Populationen der Glockenbecherleute mit indogermanischen Stämmen entwickelt hatte, die aus den Steppen um den Kaukasus zugewandert waren. Mit der gegenseitigen Durchdringung dieser Völker waren offenbar auch europäische und asiatische Glaubensvorstellungen miteinander verschmolzen, so dass daraus – nach einer Übergangsperiode, die als Aunjetitzer Kultur bezeichnet wird – jene gemeinsame Zivilisation hatte entstehen können, die durch das Anlegen von großen Friedhöfen mit Brandbestattungen in Keramikgefäßen – eben den Urnenfeldern – gekennzeichnet ist. Diese Symbiose aber stellt einen hochinteressanten Abschnitt der abendländischen Vorgeschichte dar, denn in jener Zeit wurde scheinbar Widersprüchliches weitgehend friedlich miteinander vereint.

Während die im mitteleuropäischen Raum bereits ansässige Bevölkerung ursprünglich rein matriarchal organisiert gewesen war, erdorientierte Fruchtbarkeitskulte praktizierte und ihre Toten in Hockergräbern wie demjenigen von Aufhausen beisetzte, hatten die Neuankömmlinge aus Osten vaterrechtliche Vorstellungen, die Verehrung einer Sonnengottheit sowie die Fertigkeit des Grabhügelbaues mitgebracht. Um diese auf den ersten Blick gegensätzlichen Weltanschauungen nun aber miteinander zu verknüpfen, musste quasi ein verbindendes geistiges Dach über beiden metaphysischen und damit auch gesellschaftlichen Ausrichtungen erbaut werden. Diejenigen, welche das ermöglichten, waren vermutlich die weiblichen und männlichen Schamanen einerseits der Glockenbecherleute und andererseits der Indogermanen, die aus der Steppe gekommen waren. Sie errichteten jenes religiöse und soziale Gebäude, das über die bisherigen, engeren Horizonte ihrer jeweiligen Völker hinausgriff und so deren relativ problemlose Symbiose ermöglichte. Damit jedoch war für Europa ein Prinzip geboren worden, das man in gewisser Weise bereits als keltisch bezeichnen könnte, weil es nicht auf Unterdrückung des Andersartigen, sondern auf gegenseitige Befruchtung und von daher auf kulturellen Aufstieg setzte.

Diese Vorgehensweise wird sehr real greifbar, wenn man den Wandel bei den Begräbnissitten nach der Verschmelzung von Glockenbecherleuten und Indogermanen im Hinblick auf den eben genannten speziellen geistigen Hintergrund betrachtet. Die Glockenbecherleute hatten ihre Toten in der Körperhaltung von Embryos und mit Blickrichtung zur aufgehenden Sonne beigesetzt und keine Hügel über den Grabstätten errichtet; es genügte ihnen offenbar, ihre Lieben im Schoß der Erdmutter geborgen zu wissen. Die zugewanderten Steppenvölker wiederum, die wahrscheinlich dem Ahnenkult anhingen, hatten Tumuli erbaut, um das Andenken an ihre Verstorbenen damit auch optisch wachzuhalten. In der Symbiose der Urnenfelderzeit führte man nun die Brandbestattung in einem bauchigen Tongefäß ein – und auf diese Weise wurden beide Arten von Begräbnisriten auf beinahe schon geniale Weise miteinander verknüpft.

Denn der Keramikkrug, der die Asche eines Toten enthielt, konnte gleichermaßen als symbolischer Grabhügel wie auch als Schoß der Erdmutter gesehen werden, wodurch die ehemals unterschiedlichen metaphysischen Vorstellungen zu einer neuen und breiteren religiösen Idee verschmolzen. In einer ähnlichen Metamorphose wurde die göttliche Kraft der Sonnenstrahlen, die einst die Grabhügel der indogermanischen Zuwanderer geheiligt hatten, durch das Ritual der Feuerbestattung ersetzt. Gleichzeitig wurde das Wissen um die Wiedergeburt oder auch um die Präsenz der Ahnen noch lange nach ihrem Tod, das vordem ganz konkret durch die besondere Körperhaltung der Verstorbenen in den Hockergräbern, beziehungsweise die weithin sichtbaren Tumuli ausgedrückt worden war, jetzt nicht länger konkret demonstriert, sondern auf eine höhere Bewusstseinsebene gehoben, die keine äußerlichen Symbole mehr benötigte.

All dies zusammengenommen, waren die spirituellen und rituellen Voraussetzungen gegeben, um dann eben im Verlauf der Urnenfelderepoche einen höheren Zivilisationsgrad insgesamt zu erreichen. Dies freilich konnte nur geschehen, weil die Schamanen, die den Vereinigungsprozess gelenkt hatten, auf das Prinzip der Toleranz und des Miteinander gesetzt hatten, statt ihre jeweiligen bisherigen Weltbilder dogmatisch gegen die neuen zu verteidigen. Nachdem aber dank dieser – quasi »urkeltischen« –Einsicht nichts unterdrückt und nichts Früheres als wertlos verworfen worden war, vermochten die neuen gemischten Populationen zusätzliche metaphysische Potenz zu gewinnen, wodurch wiederum die Basis für einen weiteren kulturellen Aufschwung gelegt wurde.

Ungefähr um 1300 v. d. Z. setzte dieser Prozess ein; es war jene Epoche, da die Menschen bei der Verarbeitung der Bronze ihre Meisterschaft erreichten und jene bestechend schönen Gerätschaften, Waffen und Schmuckstücke schufen, die heute in den vorgeschichtlichen Museen so große Bewunderung hervorrufen. Im Lauf der folgenden Jahrhunderte, als weitere Wanderstämme Mitteleuropa und vor allem den geographisch besonders günstig gelegenen Böhmischen Kessel erreichten, kam es zu zusätzlichen positiven Umformungen der dort bereits etablierten Zivilisation, die dadurch in verschiedenen Schritten und auf die eben beschriebene Art noch einmal bereichert wurde. Zu Beginn des letzten vorchristlichen Jahrtausends schließlich, als die Urnenfelderzeit allmählich endete und sich in die Hallstattkultur umwandelte, war jener historische Punkt erreicht, an dem die Kelten in der sanften Hügellandschaft zwischen Sudeten, Erzgebirge und Böhmerwald zum ersten Mal konkret greifbar werden.

Dass diese frühen Stämme der Keltoi, wie sie ab dem siebten vorchristlichen Jahrhundert von griechischen Geschichtsschreibern genannt wurden, nicht rassisch definiert werden können, ist nach dem eben Gesagten klar. Es handelte sich bei ihnen vielmehr um Angehörige sowohl europäischer als auch asiatischer Völker, die im Verlauf eines langen und vielfältigen Entwicklungsprozesses unter dem Dach einer gemeinsamen liberalen Weltanschauung eine eigenständige, vorerst noch regional begrenzte Zivilisation herausgebildet hatten. Der »Schmelztiegel« des Böhmischen Kessels, welcher an einem Knotenpunkt der schon damals existierenden großen Wander- und Handelswege lag, war dafür der ideale geographische Raum gewesen. Und hier entstand nun ab etwa 750 v. d. Z. jene unverwechselbare frühkeltische Kultur, die während der folgenden Jahrhunderte rasch aufblühte, bis ca. 500 v. d. Z. dauerte und heute als Hallstattepoche bekannt ist.

Kennzeichnend für diese Ära sind die von der Archäologie vielfach nachgewiesenen Fürstensitze, die zunächst in Böhmen, dann auch in Mähren, Bayern, Österreich und Slowenien entstanden, um sich wenig später bis Südwestdeutschland, die Schweiz und Ostfrankreich auszubreiten. Fast immer lagen diese mit Palisaden bewehrten Ringwallanlagen auf exponierten Bergkuppen und bildeten den Mittelpunkt eines begrenzten, gut überschaubaren Gebietes: eines Kleinkönigtums, das im Regelfall ungefähr die Ausdehnung eines heutigen Landkreises besaß. Freilich dürfen diese Herrschaftssitze nicht mit den Zwingburgen der mittelalterlichen Feudalzeit verwechselt werden, denn der Geist, der in den keltischen Fürstenhallen herrschte, war keineswegs auf Unterdrückung der umwohnenden Bevölkerung ausgerichtet.

Kein Regionaladliger der Hallstattzeit regierte nämlich selbstherrlich, sondern diese Fürsten waren demokratisch gewählt und wurden zudem von einem vielköpfigen Parlament – dem Nemeton, das in den ebenfalls so bezeichneten Hainen zusammentrat – kontrolliert. Man könnte also von einer konstitutionellen Adelsherrschaft sprechen. Die wiederum beruhte aber nun zusätzlich auf einem Prinzip, wie es anderswo zwar ebenfalls gelegentlich angestrebt, jedoch allein bei den Kelten verwirklicht wurde. Denn in voller Gleichberechtigung mit den politischen Herrschern saßen bei den Ratsversammlungen die geistigen Führer der Gesellschaft auf der Regierungsbank: die Druiden, die sogar noch vor dem Fürsten das Wort zu ergreifen pflegten und damit vor jeder wichtigen Entscheidung quasi ein moralisch-philosophisches Fundament legten, das etwa reine Machtpolitik, die dem Wohl des Volkes nicht gedient hätte, unmöglich machte.

Dieses ganz erstaunliche Regierungssystem zeitigte nun in der Hallstattepoche und mehr noch in der anschließenden La-Tène-Zeit, wo es weiter vervollkommnet und auch in größerem staatlichen Rahmen genutzt wurde, sehr positive Ergebnisse. Von Mitteleuropa ausgehend, bauten die keltischen Stämme ein Gemeinwesen auf, das nicht nur im ideellen, sondern auch im pragmatischen Sinne auf das bereits in der Vorgeschichte der Keltoi bewährte und von den Dru Wid gelehrte Miteinander setzte. Die Fürstensitze waren vor allem Zentren einer hochstehenden Handwerkskunst und von daher auch Handelsmittelpunkte. Jede Ringwallanlage stand mit den benachbarten in intensiven wirtschaftlichen Beziehungen, und in ihrem Zusammenwirken waren diese Zivilisationskerne fähig, lukrativen Handel mit einer ganzen Reihe anderer abendländischer Völker zu treiben.

Da die Kelten Meister der Metallverarbeitung waren, konnten sie große Mengen an Schmuck, Waffen und Werkzeugen aus Gold, Silber, Bronze und Eisen exportieren. Hinzu kam das Salz, das sie dank ihrer hochentwickelten Bergwerkstechnik in der Gegend von Hallstatt abbauten (nach welchem Ort im Salzkammergut, wo die Archäologen besonders reiche Funde machten, auch die entsprechende Epoche benannt ist). Diese Waren gingen im Tausch gegen Bernstein von der Ostsee, Glas aus dem nordafrikanischen Phönizien, Zinn aus Britannien oder Wein von den Hängen Etruriens, beziehungsweise Griechenlands bis an die Grenzen der antiken Welt. Aufgrund dieser friedlichen Kontakte mit ihren Handelspartnern gelangten aber auch wertvolle geistige Anregungen nach Mitteleuropa, von denen die frühen Kelten, die in ihrer Toleranz allem Neuen gegenüber äußerst aufgeschlossen waren, ebenfalls profitierten.

Ihre Druiden wiederum, deren schamanische »Vorfahren« bereits Jahrhunderte zuvor die so fruchtbare Symbiose zwischen Glockenbecherleuten und Indogermanen ermöglicht hatten, sorgten auch jetzt wieder dafür, dass die wertvollen unter den neuen Einflüssen in die keltische Weltanschauung integriert wurden. An erster Stelle stand hier wohl der Dialog mit den Griechen und besonders Athen, wo im siebten vorchristlichen Jahrhundert durch den Fürsten Drakon eine ähnlich konstituierte Gesellschaft wie die keltische geschaffen worden war und der »Staatsrechtler« Kleisthenes um 500 v.d.Z. mit Hilfe seiner Verfassungsreform eine demokratische Gesellschaft begründet hatte. Ebenfalls im siebten Jahrhundert schrieb der böotische Dichter Hesiod, der als Hirte und Bauer lebte, seine »Theogonie« nieder, in denen er die Götter nicht länger als Personen, sondern als erhabene Mächte darstellte; im sechsten Jahrhundert sodann tauchten Philosophen wie Thales von Milet auf, die sich bemühten, die verborgenen Gesetze des Daseins mit Hilfe der sichtbaren Naturerscheinungen zu erklären.

Damit hatte das Griechenland jener Epoche einen ähnlich hohen geistigen und gesellschaftlichen Entwicklungsstand erreicht wie das hallstattzeitliche Keltentum; sowohl im Südosten Europas als auch in seiner Mitte hatten sich zwei in etwa gleichrangige Zivilisationen herausgebildet. Die oft geäußerte These jedoch, wonach die frühe keltische Kultur lediglich ein »Absprengsel« der antiken griechischen gewesen wäre, ist nicht stichhaltig und beruht auf der Überbewertung alles Mediterranen aufgrund der christlichen Prägung des Abendlandes. Tatsache ist vielmehr, dass beide Zivilisationen zunächst unabhängig voneinander entstanden und sich anschließend auf durchaus gleichberechtigte Weise untereinander sowie mit weiteren Kulturen austauschten, wodurch sich ihr jeweiliger Horizont noch einmal erweiterte.

Als wegweisende Elite traten dabei in Hellas die Staatstheoretiker, Dichter und Philosophen auf; in der keltischen Welt wurde die gleiche bahnbrechende geistige Arbeit von den Druiden geleistet, die ebenfalls in etwa die genannten und zusätzlich noch eine Reihe weiterer Funktionen erfüllten. Im Gegensatz zu Griechenland jedoch, wo sich die eben noch hochstehende Zivilisation schon bald wieder zerrieb, weil Stadtstaaten mit hegemonistischen Bestrebungen und schließlich reine Despoten die Macht errangen, schaffte die Hallstattkultur es in der Mitte des fünften vorchristlichen Jahrhunderts, sich selbst noch einmal zu überhöhen. Gleichzeitig dehnte sie sich in ihrer neuen Form auf ganz erstaunliche Weise aus, so dass innerhalb weniger Generationen jener faszinierende Zivilisationsgürtel geschaffen wurde, der sich schließlich von Irland und Britannien über Spanien, Frankreich, die Schweiz, Süddeutschland, Böhmen, Ungarn, Nordjugoslawien, Rumänien und Bulgarien bis an den Bosporus erstreckte, wo die Kelten als Galatoi noch in den Galaterbriefen des Paulus auftauchen.

Mit diesem weiteren Entwicklungssprung aber, der den Beginn der La-Tène-Epoche (ca. 450 - 15 v. d. Z.) kennzeichnet, war nun auch der Punkt erreicht, von dem an das Druidentum zu seiner einzigartigen Blüte aufwuchs. Mehr noch: Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass es gerade die Großen Wissenden waren, welche diese beinahe unglaubliche Ausbreitung des Keltentums überhaupt erst ermöglichten – und dass sich genau darin ihr grandioses politisches und kulturelles Angebot an Europa äußerte. Mit bloßer Waffengewalt nämlich, wie die meisten Geschichtsbücher es darstellen, wäre die »Keltisierung« des halben Kontinents, noch dazu in dermaßen kurzer Zeit, auf gar keinen Fall möglich gewesen. Hätten die (eher kleinen) Streitscharen aus den Ringwallanlagen dies versucht, wäre ihr Scheitern nach allen militärischen Gesetzen vorprogrammiert gewesen. Es muss sich also kurz nach der Mitte des letzten vorchristlichen Jahrtausends eine Expansion ganz anderer Art ereignet haben, und die einzige Erklärung dafür liegt nun tatsächlich bei den Druiden; beziehungsweise in dem, was hier zunächst einmal als die ganz besondere Ausstrahlung der Dru Wid bezeichnet werden soll.