Cover

Lama Ole Nydahl

Buddha und die Liebe

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Lama Ole Nydahl

Lama Ole Nydahl ist einer der bekanntesten Buddhisten des Westens und wurde 1972 vom Karmapa, dem Oberhaupt der tibetischen Karma-Kagyü-Schule, als buddhistischer Lehrer nach Europa geschickt. Nur wenige Jahre später wurde er zum Lama ernannt. Seitdem bereist er die Welt, um Vorträge zu halten, Meditationskurse zu leiten und Zentren zu gründen – mittlerweile über 600 in Europa, Amerika und Australien; davon über 150 allein im deutschsprachigen Raum.

Über dieses Buch

Gibt es eine intensivere Erfahrung als Liebe? Im Buddhismus werden Liebe und Partnerschaft als Grundlage für persönliches Wachstum und ein erfülltes Leben angesehen.

Lama Ole Nydahl beschreibt eindrucksvoll, was Buddha empfahl, um eine Partnerschaft so zu leben, dass sowohl das Paar als auch dessen Umfeld in einen Bereich des Glücks eintreten.

Das Buch zeigt anschaulich, wie man das erreicht, wovon viele träumen: eine harmonische Beziehung und ein dauerhaft glückliches Leben.

Impressum

eBook-Ausgabe 2012

Knaur eBook

© 2005 Knaur Verlag

Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt

Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Redaktion, Recherche, Konzeption und Sprache: Catrin Hartung, Maike und Pit Weigelt, Michael Fuchs, Claudia Balara.

Glossar: Manfred Seegers, Axel Waltl

Abbildungen: © Buddhismus-Stiftung der Karma-Kagyü-Linie

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: Lama Ole Nydahl und Photonica

ISBN 978-3-426-41499-6

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Fußnoten

1

Siehe Glossar am Ende des Buches. Jedes im Glossar erklärte Wort wird beim ersten Vorkommen im Buchtext kursiv gesetzt.

2

Siehe zum Beispiel die Zehn Nützlichen Handlungen im Abschnitt »Wie Partnerschaft gelingt« des 2. Kapitels.

3

Dieser Zwischenzustand, im Tibetischen »Bardo« genannt, gestaltet sich je nach den im Leben gespeicherten Eindrücken angenehm oder unangenehm. Man kann jedoch keinen Einfluss auf diesen Zwischenzustand nehmen, es sei denn, man beherrscht besondere Meditationen. Auch wenn dieser Bereich im alltäglichen Leben keine besondere Rolle spielt, ist er doch hier der Vollständigkeit halber erwähnt.

4

Das ist oft schon früh bei Säuglingen und Kleinkindern zu beobachten. Mögen sie andere? Sind sie geduldig und zufrieden oder schreckhaft? Schreien sie bei jeder Kleinigkeit?

5

In Klammern stehend jeweils das Verhalten, welches zu vermeiden ist.

6

Siehe auch Kapitel »Die Liebe im Alltag«, Abschnitt »Familie«.

7

Ausführliche Erklärungen finden sich in Kapitel 7.

8

Kurse werden jährlich in den deutschsprachigen Ländern und vielen anderen Teilen der Welt gegeben. Informationen unter www.diamantweg.de, www.international-summercourse.org und www.diamondway-buddhism.org.

9

Gemeint ist hier der südliche Buddhismus (Theravada).

10

Ein Beispiel ist die Atem-Meditation am Ende des 3. Kapitels.

11

Weitere Erklärungen zum Mantra und zur Meditation auf »Liebevolle Augen« finden sich im 5. Kapitel.

12

Siehe den Abschnitt »Wie Partnerschaft gelingt« im 2. Kapitel.

13

Die Zeiten ohne Körper, in denen der Geist nach jedem Tod durch die gespeicherten Eindrücke zum nächsten Leben geführt wird – siehe auch 2. Kapitel.

14

Eine ausführliche Beschreibung der fünf Buddhafamilien findet sich auf Seite 112–113 in »Raum & Freude«, Buddhistischer Verlag, Wuppertal 2003, Herausgeber: Diamantweg-Stiftung, Darmstadt.

15

Ausführlichere Erklärungen zu den drei Wegen finden sich in: Lama Ole Nydahl, »Wie die Dinge sind«. Knaur, München 2004.

16

So, wie Liebevolle Augen eine Ausstrahlung vom Buddha des Grenzenlosen Lichtes ist, drückt Diamantgeist den tatkräftigen Aspekt von Der Unerschütterliche aus.

17

Quelle: She dja Kün kyab dzö/The Treasury Encompassing all Objects of Knowledge, Gangtok 1983 (Der Schatz des Wissens), Band 2, 2. Abschnitt, Seite 290ff.; hier finden sich die verschiedenen Erklärungen über die perfekte Erleuchtung des Buddha.

Unserer freudvollen Zusammenarbeit im Diamantweg gewidmet

Vorwort

Nirgendwo anders wird gleichzeitig so viel Glück, aber auch Leid erfahren wie in der Liebe. Deshalb sind Buddhas[1] Lehren, die ausschließlich auf die Vervollkommnung des Menschen zielen, in diesem Bereich besonders wertvoll. Weltliche, alltägliche Liebe, die durch die Dauer des Zusammenseins oftmals abgeschliffen wird und sich mehr zu einem kleinen, privaten Familien- oder Beziehungsunternehmen entwickelt, ist damit verglichen eigentlich Zeitverschwendung. Mit jedem Tag, mit jedem Monat und mit jedem Jahr sollte für die Partner eine Entwicklung verbunden sein, die sowohl die Liebe als auch ihre Umgebung stärkt. Entsteht aus einer kraftvollen Verbindung zwischen Mann und Frau ein Vorbild, so wird Freude und Glück sowohl nach innen als auch nach außen strahlen.

Dieses Buch enthält, was ich als Lama und Vermittler von Buddhas höchsten Lehren aus der ganzen Breite seiner 84000, in 108 Büchern zusammengetragenen Ratschläge und Erkenntnisse für eine erfüllende, sinnvolle Liebe als hilfreich erachte. Seit über 2550 Jahren haben die stets auf Lösungen eingestellten Belehrungen ihre Wirksamkeit bewiesen, liegen damit jenseits allen Zeitgeistes und nutzen den Menschen.

In freien Kulturen, in denen nicht jedes Verhalten durch religiösen, kulturellen oder moralischen Druck festgeschrieben wird, wirken die Sichtweisen des Diamantweges, also Buddhas unübertreffliche Lehren, zugleich erfrischend und befreiend. Sie bedeuten vor allem in ausgebildeten westlichen Gesellschaften eine riesige Bereicherung für diejenigen Menschen, die mutig ihre eigene Zukunft gestalten wollen. Dauerhaftes Glück bleibt auf diese Weise für Paare kein Traum mehr, sondern ist möglich!

Die fortgeschrittensten Lehren, die zum »Großen Siegel«, sind der Grund, dass die erleuchtete Sichtweise vom Geist als furchtlose Eingebung, selbst entstandene Freude und tatkräftige, vorausschauende Liebe mitunter auch dort im Buch durchblitzt, wo eigentlich »bravere« Themen behandelt werden. Der Lama hatte hier wenig Wahl. Ist sie einem erst in die Knochen gegangen, kann man nicht anders! Meine Frau Hannah und ich hatten das große Glück, von 1968 bis 1972 von den hoch verwirklichten Lamas der Karma-Kagyü-Schule ausgebildet zu werden und seither ständig von ihnen weiterlernen zu können.

Anlass für die Anregungen und Empfehlungen zum Thema Liebe und Partnerschaft in diesem Buch wurde der weltweite Aufbau von bisher über 460 Diamantweg-Meditationszentren für Menschen, für die die Liebe ein selbstverständlicher Teil des Lebens ist. Hier haben ständige Reisen, bunte Interviews und Fragen bei Vorträgen zum Bereich der Liebe viel Erfahrung gebracht. Meine Vertraute Caty, unsere flotten Mitarbeiter am Buch und ich möchten hier gerne dieses Wissen bestmöglich vermitteln.

Unsere Wünsche als Buddhisten sind, dass alle Wesen die höchste und unzerstörbare Verwirklichung erfahren mögen, die dem Geist eines jeden innewohnt. Möge ihnen dabei die Liebe ein befreiender Spiegel werden.

 

Mit Blick in die Weite auf Sardinien im April 2005, im Segensfeld der Schützerin Weißer Schirm, am Tag von Schwarzer Mantel.

 

Lama Ole Nydahl

Der Wunsch nach Glück

Der Zauber der Liebe

Der Wunsch nach Glück ist der Antrieb allen Tuns. Jedes noch so kleine Lebewesen wünscht sich, Glück zu haben und Leid zu vermeiden. Glück, dieser wunderbare Zustand, in dem man vor überschäumender Freude kaum weiß, wo oben und wo unten ist, ein strahlendes, lachendes Gesicht, der Körper geladen mit freudiger Kraft, im Geist der Wunsch, die ganze Welt zu umarmen – das stellen sich viele unter diesem begeisterten Zustand vor. Diese Art von Spitzenerlebnis zu erfahren, wenn möglich gerne öfter, am besten aber ständig, bestimmt das Leben der meisten Menschen.

Frisch Verliebte kommen dem Zustand des großen Glücks sehr nahe. Die erste Zeit herrscht oft unverfälschte Wonne. Der geliebte Mensch geht einem nicht mehr aus dem Sinn: Man erinnert sich an all die Vollkommenheiten, will mit ihm jede Freude teilen und entdeckt ständig Dinge, die man ihm schenken möchte. Kein Stück Papier bleibt unbekritzelt, weil man unbedingt etwas mitteilen muss; man zieht an, was ihm gefallen könnte, und vergisst die Welt vor lauter Freuden. Geistig wie körperlich kennen nur wenige eine größere Erfüllung, als Begehrtes zu erwerben, durch andere geliebt zu werden, selbst Liebe zu verschenken und diesen Reichtum in die Welt hinausstrahlen zu können.

Das berauschende Glück zu Beginn einer neuen Beziehung entsteht aus dem tiefen Wunsch nach Liebe, trotz ihres überraschenden, unsteten Wesens. Gerade weil man um ihre Wechselhaftigkeit schon weiß, dürfte man eigentlich über das kommende, sich häufig ablösende Auf und Ab nicht überrascht sein. Doch es ist jedes Mal höchst verblüffend und schmerzhaft, wenn die geschätzten Quellen der Freude verschwinden, der Geliebte weggeht und einsame Nächte drohen.

Was Glück tatsächlich ist und insbesondere wie man diesen Zustand dauerhaft halten kann, darüber finden sich nur wenige gültige Aussagen. Obwohl es allseits bekannt ist, dass »gute Mädchen in den Himmel kommen« und im Märchen die Liebespaare es stets schaffen, glücklich bis ans Ende ihrer Tage zu leben, sind etliche auf diesem alles entscheidenden Gebiet entweder durch den Strudel der Gefühle blind geworden oder haben unklare Vorstellungen davon, wie der gemeinsame Weg zu bewerkstelligen ist.

Die meisten Menschen sind der Meinung, sie könnten das Glück irgendwo außerhalb von sich selbst finden und es dann festhalten. Die Verbrauchergesellschaft hilft bei dieser Fehleinschätzung fröhlich mit, indem sie einem dauernd weismacht, dass eine Reise an diesen oder jenen Ort einen glücklich machen wird oder dass dieser angestrebte Zustand sich einstellt, wenn man gewisse Dinge kauft. Andere versprechen dasselbe Ergebnis bei der Wahl einer Partei oder indem man sich besonders ernährt. So setzen die Menschen, in der Hoffnung auf das vermeintliche Glück, ihre Kraft sowie die kostbaren Stunden und Jahre ihres Lebens für die Suche danach ein, ohne dabei zu wissen, wie es festzuhalten wäre, falls sie es erleben sollten. Urlaubsorte werden überflutet, Frauen oder Männer brennen kurz vor dem Standesamt mit jemand anderem durch, hart erkämpfte Anerkennung im Beruf kann schon nach kürzester Zeit in üble Nachrede umschlagen, weil die Kollegen einen nicht mögen, die geliebten Kinder entwickeln ein Eigenleben, zu dem man keinen Zugang mehr bekommt, der Familienvater stirbt plötzlich, Renten, in die man ein Leben lang eingezahlt hat, werden gekürzt und für die Ewigkeit bestimmte Diamantringe gehen verloren.

Der Grund dafür ist klar: Entsteht das Glück aus vergänglichen Ursachen, kann es nur so lange anhalten, wie die äußeren und inneren Bedingungen dafür bestehen bleiben. Fallen diese weg, verschwindet dieses bedingte Glück so schnell, wie es gekommen ist. Wie schon vor 2500 Jahren der große griechische Philosoph Heraklit sagte: »Alles fließt.«

Trotzdem bleibt der Wunsch nach Glück der wichtigste Antrieb aller Wesen. Einige denken bei der Suche nur an sich selbst, den meisten ist das aber zu wenig und geistig wie körperlich zu unbefriedigend. Da vielen im Allgemeinen das »Alleinschlafen« schwer fällt, suchen sie die Nähe eines Geliebten, um in seinen Armen das fehlende Glück zu finden und zu teilen. Weder schrecken hohe Scheidungsraten Menschen von diesem Bestreben ab, noch stört sie offensichtlich das Wissen, dass Liebe nur in sehr wenigen Fällen dauerhaft bleibt.

Auch in der Partnerschaft bekommt man nichts einfach so geschenkt. Die rosa Liebeswolken leuchten nur so lange, wie man sich um sie bemüht und ihnen genügend Aufmerksamkeit widmet. Nach der ersten Zeit des Sich-kennen-Lernens muss man sich im täglichen Leben auf das Glück des Partners und das eigene bereicherte Innenleben einstellen. Schaut man auf die Werkzeuge, über die man für diese Aufgabe verfügt, stellt man fest, dass sie oftmals nicht wirklich ausreichen beziehungsweise man in ihrem Umgang nicht geübt ist.

Ein Blick auf Buddhas Belehrungen kann helfen. Sie zeigen, wie man dauerhaft und unabhängig von allen äußeren Umständen nicht nur glücklich, sondern selbst eine Quelle von Glück und Liebe wird. Buddhas Mittel haben nur dieses Ziel. Natürlich kann man sich fragen, was Buddha über Liebe und Partnerschaft und die darin liegenden Möglichkeiten sagen konnte, da er doch selbst Mönch und hauptsächlich von seinesgleichen umgeben war. So einseitig ging es aber nicht zu. Die meisten Buddhisten sowohl früher als auch heute stehen mitten im Leben und haben Beruf und Familie. Sie werden als Laien bezeichnet. Als der historische Buddha von seinen Schülern um Belehrungen zum alltäglichen Leben gebeten wurde und ihm Fragen über die Liebe gestellt wurden, gab er entsprechend ihrer Fähigkeiten und Lebensumstände Antworten, mit denen sie arbeiten und woraus sie Nutzen ziehen konnten. Auch hatte Buddha ein reiches Liebesleben, bevor er sich auf den Weg machte, um ein Glück zu finden, das nicht durch Krankheit, Alter und Tod zerstört werden konnte.

Besonders die buddhistischen Belehrungen zu Ursache und Wirkung (sanskr. Karma), die er nach seiner Erleuchtung vermittelte, können jedem helfen, denn sie ermöglichen ein tiefes Verständnis der Lebenszusammenhänge. Ohne moralischen Zeigefinger machen sie einem klar, welche Gedanken, Worte und Taten künftig welche Ergebnisse bewirken. Durch dieses Wissen bekommt der Mensch die Möglichkeit, seine Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Sein Werkzeugkasten wird bis zum Rand gefüllt, um tatkräftig das Richtige zu tun und Freude bei sich und anderen auszulösen. Karma bedeutet demnach auf keinen Fall »Schicksal«, sondern schenkt einem die einzigartige und riesige Freiheit, laufend die richtigen Samen zu legen für die Früchte, die man später ernten möchte. Dementsprechend pflanzt man ständig die Ursachen für das Gelingen oder Scheitern einer Partnerschaft und ist mitverantwortlich für das Glück oder Leid nahe stehender Menschen, die sich einem geöffnet haben. Aufgrund der verstärkten menschlichen Offenheit reifen sowohl gute wie schlechte Eindrücke besonders schnell in einer Beziehung heran.

Die Art und die Ebenen der Glück verheißenden Ziele sind dabei höchst bedeutend. Hat man das Einfamilienhaus schon geschafft, fährt seit langem zweimal im Jahr in den Urlaub, wird die Frau bereits jeden Monat im Frisiersalon »gepudelt«, lockt das gemütliche Leben auf dem Sofa zwischen Salzstangen und Bier vor dem Fernseher schon weniger. In diesem Fall kann die Kraft, die einen bis dahin brachte, sinnvoller für überpersönliche Ziele eingesetzt werden. Für eine Entwicklung in Richtung dauerhaftes Glück – allein, zu zweit, als Familie oder in der Gruppe – ist die bereits gewonnene Lebenserfahrung eine wichtige Grundlage. Sie erlaubt den Einsatz von Kraft, Überschuss, Freude, Liebe, eine bewusst hochgehaltene Meinung vom Partner und der Umgebung sowie das Erforschen neuer, oft zwar anstrengender, aber spannender Möglichkeiten. So bleibt nicht nur die Liebe lange Zeit frisch, auch die Enge im Geist und die festgefahrenen Gewohnheiten nehmen ab. Persönliche Grenzen lösen sich entweder von selbst auf oder werden zu einer Herausforderung, die man besonders gern meistert. Mit dieser Einstellung wird jede Erfahrung zu einem Schritt auf dem gemeinsamen Weg zu dauerhaftem Glück.

Zwei Arten von Liebe

Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Vorstellungen von dem, was durch das sehr dehnbare Wort »Liebe« bezeichnet wird. Die allgemein verbreitete Auffassung ist eine erwartende oder nehmende Haltung von Liebe, während die andere Auslegung ein befreiendes und gebendes Verhalten zeigt. Die »nehmende Liebe« ist vertraut mit Begriffen wie Anhaftung, Eifersucht, Zorn und Selbstsucht, die »gebende Liebe« wird gestützt durch buddhistisches Gedankengut und umfasst den ganzen Bereich von Liebe, Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut.

Bei der allgemeinen ichbezogenen Liebe wird der Raum sehr klein und arm. Alles ist eng, man lebt in Vergangenheit oder Zukunft und im Mittelpunkt steht nur das, was kommt und geht. Man steckt Kraft in Zustände und Gefühle, die einmal freudvoll, ein anderes Mal leidvoll sind und letztendlich nichts dauerhaft Sinnvolles bieten können. In einer Gefühlswelt voller Erwartungen und Befürchtungen verweilt man niemals in dem, was gerade geschieht, und kann folglich das Glück weder erfassen noch genießen. Stattdessen beschäftigt man sich mit dem, was war oder hätte sein können, oder erhofft Dinge, die geschehen sollen. Man vertraut dem Augenblick nicht und will auch im täglichen Leben ständig Sicherheiten und Versprechen, selbst wenn das den Fluss des »Hier und Jetzt« zum Versiegen bringt. Das zwingt verunsicherte Beteiligte zu Unwahrheiten, weil sie die Zukunft nicht überschauen können oder die Fragenden schützen wollen. Mit einer Einstellung, die den anderen besitzen will, fühlt man sich zwar in einer Beziehung vorübergehend sicher, setzt aber keine dauerhaften Ursachen für echtes Glück und bietet vor allem kein geistiges Wachstum. Stattdessen verwirrt die übermäßige Anhaftung an den Partner einen selbst mehr und mehr und bringt beide vom eigentlichen Ziel, der gemeinsamen Entwicklung, ab.

Eine Beziehung wird schwierig, wenn man vom Partner erwartet, glücklich gemacht zu werden. Man denkt nur an sich, alles im Alltag fühlt sich irgendwie unfrei und klebrig an und führt zu einer Ausschließlichkeit in der Paarliebe, die wenig Zugang für andere ermöglicht. Langfristig zerstört dies den vertrauten Austausch miteinander und der Spaß ist schnell vorbei. Echtes Glück entsteht immer als ein Geschenk. Eine berechnende Einstellung verringert hingegen die Möglichkeit, dass Gutes in einer Beziehung entsteht. In einer derartigen Erwartungswelt wird man unausweichlich immer schwieriger und will alles für sich behalten. Folglich wird jede Störung eines natürlichen Austausches mit der Welt und jeder Mangel an grundlegendem Vertrauen ein ernstes Hindernis auf dem Weg zur menschlichen Erfüllung. Selbst das beste Verhältnis verschlechtert sich zusehends, wenn immer mehr von »woanders« gebraucht wird, um zufrieden zu sein. Genügt ein Paar sich nicht weitgehend selbst, sondern wird von äußeren Reizen oder Gütern abhängig, ist das ein wirklicher Verlust. Das Leben ist einfach zu kurz für oberflächliche Beziehungen, die es nutzlos vergeuden. Ist man nicht durch Kinder gebunden, sollten in diesem Fall beide gegebenenfalls nach geeigneteren Partnern Ausschau halten, die sie für das lieben, was sie bieten und sind.

Doch es geht auch anders. Wie unzählige glückliche Verbindungen bezeugen, kann man sich gegenseitig riesig bereichern und gemeinsam wachsen. Mit dem Augenblick, in dem sich Mann und Frau das erste Mal anschauen, fallen – meistens unbewusst – zahlreiche Entscheidungen. Obwohl der allererste Gedanke häufig »Was für eine schöne Frau! Die schnapp ich mir!« oder »Was für ein Mann! Der gehört in meine Sammlung!« ist, entsteht zugleich ein erster Wunsch nach Nähe, aus dem eine heiße Liebe werden kann. Ist die körperliche Anziehung am Anfang geringer, aber man mag sich auf anderen Gebieten sehr, kann trotzdem noch eine klare und erfüllende Beziehung entstehen. Bedeutsam ist, dass man nach Geben, Teilen und Zusammensein strebt.

Von Anfang an ist es aus diesem Grund wichtig zu schauen, welche Art der Liebe sich abzeichnet. Man fragt sich: »Was könnte sich aus uns entwickeln? Stimmen Werte, Weltsicht, Kultur und Hintergründe? Verstehen wir uns wirklich oder bin ich nur von etwas Fremdem angezogen? Werden wir uns – auch längerfristig – Freude und Freiheit schenken können und durch die Beziehung auch anderen Glück bringen? Begegnen wir uns wirklich als die Menschen, die wir sind, oder spielen wir die Rollen, die gerade »in« sind und dem Zeitgeist entsprechen? Obwohl sich selbstverständlich jeder gerne so gut wie möglich verkauft: Gibt es dahinter einen dauerhaften Kern, auf den Verlass ist? Ist bei vielen dieser Fragen die Antwort »Nein«, spricht kein Gesetz dagegen, dennoch das schöne Gesicht oder den starken Körper – wenn gesund – zu genießen, möglichst aber ohne viel Zeit, Mitte und Freiheit zu verlieren.

Passen dagegen die Partner gut zusammen, bringt die Begegnung Überschuss, den man teilen und verschenken möchte. Aus der starken gegenseitigen Anziehung entsteht die unmittelbare Erfahrung und bildet eine beglückende Brücke. Dauerhaft erfüllende Freude entsteht durch das Verschmelzen von »Ich« und »Du« zu einem »Wir«. Bei der Ergänzung und Einswerdung in der Liebe blüht alles auf, man steht zueinander und tritt füreinander ein. Mit Überschuss bringt man selbsttätig seine Kraft in die Welt und spürt erfüllt, wie andere gleichermaßen an der Entfaltung teilhaben möchten. So wird allmählich alles im Leben zu einem Schritt auf dem Weg. Es macht einen sowohl mit der äußeren wie auch der eigenen inneren Welt vertraut, und weil Beziehungen so tief gehen und so starke Gefühle erzeugen, gibt es keinen umfassenderen Spiegel, um sich selbst besser kennen zu lernen und entwickeln zu können.

Eine gelungene Beziehung kennt kaum Dramen. Man wächst in ihr schlicht auf drei Ebenen zusammen. Auf der körperlichen, die Liebe und Schutz gibt, auf der inneren, die die Grundlage für Entwicklung liefert, und auf einer tief liegenden, geheimen Ebene, auf der man zunehmend eins wird, was bei wirklich ausgeglichenen Paaren wahrnehmbar ist. Auch deren Kinder tragen dieses Vertrauen als einen steten Segen in sich und sind deswegen ungewöhnlich selbstsicher und gelassen.

Eine gelungene Partnerschaft beginnt in dem Moment, wenn beiden das Wohl des anderen bedeutender ist als das eigene Vorwärtskommen. Freut man sich darauf, aus der Frau eine Königin und aus dem Mann einen König zu machen, hat die gemeinsame Entwicklung kaum Grenzen. Mit dieser reich machenden Einstellung entsteht eine lebendige, sich ergänzende Liebe.

Eins und eins ist mehr als zwei

Die gebende Liebe, im Paarverhältnis der Leim, der alles zusammenhält, hat das gemeinsame Glück und das des anderen zum Ziel. Wie viele aus den großen Augenblicken ihres Lebens wissen, sind die Zustände einer nicht trennenden Liebe viel ehrlicher und überzeugender als alles, was man für sich selbst tun könnte. Es ist, als würde man aus einem Gefängnis ausbrechen: Der befreiende Rausch, mit allem eins zu werden und für alle da zu sein, erfüllt einen mit tiefem Glück. Am Anfang einer Beziehung ist meistens die Anziehung ausschlaggebend. Dies bleibt in guten Beziehungen auch so, denn man hat schlichtweg Freude am Freudeschenken. Sollen aber Dauerhaftigkeit und Entwicklung entstehen, müssen auf alle Fälle auch wirkliche Achtung und Vertrauen dem Partner gegenüber vorhanden sein. Alle erfahrenen Liebespaare zeichnen sich dadurch aus.

Wer im Überschuss ist, kann Schönes nicht nur besser annehmen, sondern auch geben! Wenn es beiden – sowohl allein wie auch zusammen – gut geht, eröffnen sich neue Ebenen von Sinn und Freude. Schöne Paare sind ein Geschenk für die Welt. Dies gelingt jedoch nicht allzu häufig und deshalb sind gute Voraussetzungen, die man sich jederzeit durch freundliche Gedanken, Worte und Taten selbst schaffen kann, höchst kostbar. Die darauf aufbauende und stetig zunehmende Freude sprengt in einer länger andauernden Beziehung alle Grenzen eines »Ich-Du-Verhältnisses« und strahlt immer stärker nach außen.

Die Begegnung zweier reifer, glücklicher Menschen belebt die Umgebung und viele können dadurch gewinnen. Man bekommt den Eindruck, dass die Welt sich selbst beschenkt und die Summe der Bedingungen mehr ist als die Teile, die die Geliebten zusammen beisteuern. Der Mann bringt ein Drittel der menschlichen Möglichkeiten und die Frau das zweite, das letzte Drittel entsteht »einfach so«. Das vertrauensvolle Spannungsfeld zwischen ihnen macht offensichtlich den Raum selbst »schwanger«. Einerseits spürt man in der Entfaltung der Liebe immer öfter und über weite Entfernung, wie es dem Geliebten gerade geht, und andererseits scheinen durch die menschliche Nähe Wünsche leichter in Erfüllung zu gehen und an Kraft zu gewinnen. Es werden unerwartete Möglichkeiten der Ergänzung und Bereicherung aus dem Raum selbst lebendig und sowohl die Beteiligten als auch ihr Umfeld gewinnen dadurch etwas, was neu, aber dennoch wohl bekannt ist. Bei echter Liebe wächst die Ganzheit über die eingebrachten Teile weit hinaus; dies ist eines ihrer deutlichsten Merkmale und wirkt immer wieder bezaubernd.

Was geschieht eigentlich, wenn sich zwei Menschen mit Vertrauen aufeinander einlassen? Wenn sie das Ziel haben, zu geben und miteinander glücklich zu werden? Zunächst ist allein diese Einstellung beachtenswert und klug, denn wer gibt, verliert nie! Es geschieht immer Neues und man wird allmählich zu einem bewussten Kanal, durch den Reichtum wie Notwendiges die Wesen erreicht. Wenn beide in einer Beziehung diese Einstellung haben, entstehen ständig Gelegenheiten, Gutes ins Leben einzubringen. Unzählige menschliche Eigenschaften wie Großzügigkeit, Geduld und Freude, die teilweise unerkannt allen innewohnen, entfalten sich selbsttätig, sobald sich Liebende auf das Glück aller ausrichten. Sie entstehen, wenn man »sich selbst vergisst«, während man dem anderen Aufmerksamkeit schenkt. Durch das freudvolle Teilen der Erfahrungen von Körper, Rede und Geist zeigen sich laufend neue, ganzheitliche Erfahrungsbereiche und sinnvolle Eingebungen, die als höchst Glück bringend erlebt werden. So entdeckt man auf einmal neue Welten. Diese »selbstentstandenen Reichtümer« und die Frische des Augenblicks erlebt ein geistig verwirklichter Mensch durch die innere Ergänzung aller Gegensätze ununterbrochen.

Wie drückt sich dieses Erlebnis von Einheit im Rahmen des heutigen Alltags in den menschenfreundlichen Kulturen des Westens aus? Es ist vergleichbar mit einem Treffen von Freunden, die gemeinsam ein Haus bauen wollen. Sie werfen ihre gesamten Fähigkeiten in einen Topf und jeder gibt sein Bestes. Ein paar haben Geld, einer kann gut mauern, der Nächste hat schon Rohre verlegt, wieder ein anderer kennt sich mit Elektrizität aus und ein weiterer holt das Bier. Freunden mit einem gemeinsamen nützlichen Ziel gelingt der Austausch. Man unterstützt sich gegenseitig, lernt und lehrt, und scheinbar nicht zusammengehörende Teile werden allmählich zu einem Gebäude, das ein Mehr an Möglichkeiten aufweist als die eingebrachten Arbeiten und Fähigkeiten.

In einer ausgeglichenen Partnerschaft geschieht Ähnliches. Nur werden hier viel tiefere Ebenen berührt, denn es geht um die Entfaltung der menschlichen Ganzheit. Werfen beide ihre Liebe, ihre Fähigkeiten und Eigenschaften in das Glücksrad der Beziehung, ergibt sich daraus nicht nur ein einfacher Hauptgewinn, sondern beide besitzen hinterher das Kasino! Geht es einem tatsächlich um das Wohl des anderen, denkt man: »Was dir Glück bringt, das wünsche ich dir.« Diese Einstellung schafft Raum, der für die Verbindung mit anderen genutzt wird. So wird aus der kleinen »Ich-und-du-Liebe« eine »Wir-Liebe«, die zunehmend überpersönlich auf unser ganzes Leben hinausstrahlt. Ab da muss man nichts mehr beweisen, keine Spiele spielen, sondern erlebt es als Reichtum, dass der Partner und alle anderen Menschen unterschiedliche Voraussetzungen und Vorstellungen haben und sich in so vielen Weisen ergänzen können.

Wie schafft man es nun, diese Liebe, die voller Bewunderung für den anderen ist und in der man stets einen guten Stil bewahrt, zu entwickeln?

Buddha stellt dazu viele Wege und Lösungen bereit. Man merkt schnell, dass Paare, die heute nach dem Wissen und den Ratschlägen Buddhas oder eines buddhistischen Lehrers leben, glücklicher, freud- und kraftvoller sind und gleichzeitig weniger Erwartungen an ihre Lebensgefährten haben. Selbst Trennungen oder schmerzhafte Erfahrungen wie der Tod des Geliebten werden durch den geübt athletischen und geschmeidigen Geist besser verarbeitet als üblich. Eine solche Haltung wirft bei Nichtbuddhisten die Frage auf: Wie kann man sich in so angenehmer Weise trennen und gleichzeitig Freunde bleiben? Die Antwort ist leicht: Buddhisten versuchen immer, das Gute in allem zu sehen, weil sie damit ihrer Überzeugung nach der Wahrheit näher sind, als wenn sie sich auf schwierige Denkweisen einlassen. Da man sich selbst seine Welt schafft, ist es sehr hilfreich, die Dinge so zu betrachten. In der englischen Sprache gibt es das feine Wort »to ennoble«: veredeln, hoch stellen, in seiner Schönheit bestätigen. Für die Glück bringende Entwicklung sowohl einer Partnerschaft als auch des Geistes allgemein ist diese Denkweise, alles auf der höchstmöglichen Ebene zu sehen, grundlegend. Um sich wirklich öffnen zu können, muss die Frau als Ausdruck aller weiblichen Vollkommenheiten erlebt und verehrt werden, ebenso wie der Mann als die Ausstrahlung der männlichen Kraft und Tat. Kann diese buddhistische Grundeinstellung dauerhaft gehalten werden, werden die Liebe, die Welt und das gesamte Leben ein Geschenk. Mit Entstehen dieser Einstellung passt wirklich alles.

Die Liebe ist kein Zufall