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Michael Knox

Operation Göring

Der Anti-Nazi-Thriller aus F'hain


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At first...

 Michael Knox

“Operation Göring”

 

Der Anti-Nazi-Thriller aus Berlin F’hain

 

Dank an Matthias, Rudi, Steffi und Timur. 

Copyright (Text, Cover, Bilder) Michael Knox, Berlin 2013

DDR, Brandenburg, Schorfheide – November 1989

Es war kalt. Es war windig. Es regnete. Und es war Nacht. Ein Diesel-Generator röhrte gegen den Wind an. Sie standen inmitten von Sanddünen, Heidekraut und Kiefern. Die vier Palästinenser, die sie ihm zugeteilt hatten, legten ihre Spaten ab. Den Mini-Bagger hatte sie nur zu Beginn des Aushubs nutzen können. Der Wind peitschte das Wasser in ihre erhitzten Gesichter. Unter ihren schwarzen Regen-Capes lief der Schweiß in Strömen. Zigaretten wurden umständlich angezündet. Gemeinsam begutachteten sie die Grube: etwa vier mal vier mal vier Meter – ein Würfelloch. Seit Einbruch der Dunkelheit schaufelten sie sich bereits durch den lehmigen Sandboden des nun ehemaligen Truppenübungsgeländes. Die Sonne war gegen 16 Uhr 45 untergegangen. Nun war es nach Mitternacht. Sie waren gut vorangekommen. Er hatte selbst mit Hand angelegt. Die PLO-Männer waren kräftig und diszipliniert. Keine Arier, aber immerhin Antisemiten. Sie hatten zügig, schweigsam gearbeitet. Die Verständigung lief auf Englisch. Der Großteil der Arbeit war erledigt. Er begann sich zu entspannen. Der Rest war Kür.

Die Führung der NVA hatte ihm den Auftrag gegeben. Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit seinen letzten. Auch diesen führte er gewissenhaft aus. Wie immer. Höchste Sicherheitsstufe. Sondereinsatz. Er war zu allem legitimiert. Innerhalb der Militärischen Aufklärung war er der Mann fürs Grobe. Dann, wenn sich keiner die Finger schmutzig machen wollte oder durfte. Wenn Befehle mündlich, ohne schriftlichen Beleg ausgegeben wurden, war er zur Stelle. Seine Aktionen durften offiziell nicht existieren. Keine Spuren. Kein Schriftverkehr. Chiffrierte Telefonanrufe. Treffen im Park. Spaziergänge, Instruktionen. Vorbereitung und Recherche. Szenarien entwerfen und Eventualitäten ermitteln. Training bis zum Exzess. Auftrag ausführen. Präzise ohne Komplikationen. Erfolgsquote: 100 Prozent. Er war der Beste in diesem beschissenen System. Seinem System. Noch. Er genoss dadurch einige Privilegien. Durfte Wohnungen im Ausland und verschiedene Identitäten nutzen. Bekam ausreichend Devisen und führte alles in allem ein Leben, das der gehobenen Mittelschicht eines West- Europäers entsprach.

Er blickte in das Loch hinab und stieß den Rauch seiner Zigarette in den Wind. Ohne Nikotin hätte er die Wut und Enttäuschung über diese schwache, morsche Volksgemeinschaft nicht ertragen können. Die DDR – der letzte deutsche Nationalstaat. Rein, völkisch erneuert, das legitime Erbe des Dritten Reiches. Und diese Mumien im Zentral-Komitee hatten alles versaut… Diese jahrzehntelange Unterwürfigkeit vor dem jüdisch bolschewistischen Bruderstaat – ekelhaft. Egal – er stand vor diesem Scheiß-Loch und würde auch diesen Auftrag erfüllen. Wie alle zuvor. Gewissenhaft. Korrekt. Diskret. Scheinwerfer strahlten jeden Winkel der Grube aus. Das Brummen des Dieselgenerators wurde durch das Getöse von Wind und Regen beinahe übertönt. Ein verschissenes Loch. Sein letzter Auftrag. Und dann? Gestern war die Mauer gefallen. 9. November. Immer der 9. November. Scheidemann ruft 1918 die Republik aus. Reichskristallnacht 1938. Mauerfall 1989. Der 9.11. hatte es in sich. Ein deutsches Datum. Wie sollte man in Zukunft all diese Gedenktage nur unter einen Hut bringen. Er lächelte. Im Zeitraffer spulte er sein Leben in diesem Deutschland ab. Sein Schädel dröhnte lauter als Wind, Regen und Generator zusammen: 1952 bis 1973 West-Berlin – erst RAF, dann NPD; Übertritt Ost-Berlin – 1975 NVA, 1977 bis 1980 Studium in Moskau – dann Ausbildung NVA Militärischer Nachrichtendienst – seit 1982 Spezialeinheit Bersarin, Aufträge, exotische Auslandseinsätze, Liquidierungen, ein gefälliges, beinahe luxuriöses Leben – und 1990? 1991? Was würde kommen? Er würde ein neues System aufbauen. Sein System. Langsam. Geduldig.

Er hatte genug Geld zur Seite geschafft. Er würde sich die passende Identität zurechtlegen. Er lief die 10.000 Meter immer noch unter 32 Minuten. Er war im Nahkampf und in Guerilla-Taktiken ausgebildet. Er hatte kein Gewissen. Glaubte an Deutschland. Aber er würde auch ohne diesen bieder pseudo-ideologischen Arbeiter- und Bauernstaat zurechtkommen. Er blickte auf die Halbprofile der Palästinenser und schüttelte den Kopf. Den Nasen nach hätten seine Leute auch Juden-Karikaturen aus Streichers Stürmer entspringen können. Der Nahe Osten war ihm ein Widerspruch in sich geblieben.

„OK! Come on!“ schrie er die anderen durch den Wind an. Die vier Palästinenser zuckten zusammen, warfen ihre Kippen in die Grube und liefen zu einem der zwei P3, die bei der NVA als Standard-Geländewagen im Einsatz waren. Gemeinsam wuchteten sie die sechs Quadratmeter große Plastik-Plane mit Bleifüllung von der Ladefläche und zerrten die gut vier Zentner zum Rand der Grube. Als ob die Plane tatsächlich Schutz bieten würde – pah! Typisch DDR… Zwei der PLO-Leute kletterten über die an einem der P3 befestigte Strickleiter hinunter und nahmen die Plane in Empfang, die die beiden anderen hinunterwarfen. Zu viert breiteten sie sie am Boden der Grube sorgfältig aus. Das Ergebnis war die zweidimensionale Oberfläche eines Würfels. „Perfect!“ schrie er in die Grube hinunter. „Now, last step!“ Die vier kamen einer nach dem anderen die Strickleiter hoch und trabten brav zum anderen P3. Vorsichtig manövrierten sie den ein Kubikmeter großen Tresor auf den märkischen Sandboden und schleppten den Stahl-Kubus mit Tragebändern wie Möbelpacker zur Grube. „And now: Kick down this shit!“

Der Tresor landete auf dem Boden der Grube. Der Inhalt schien unempfindlich gegen Erschütterungen zu sein. Die vier wieder hinunter. Tresor in die Mitte auf die Plane. Dann legten sie die Plane um den Tresor und verschnürten alles mehrfach mit Stacheldraht. Kurz nach ein Uhr. Die vier wieder hoch. Einer kippte das Loch mit dem Mini-Bagger wieder zu. Die anderen halfen mangels anderweitiger Beschäftigung mit Schaufeln mit. Er stand da und rauchte Kette. 1990??? Gegen vier war das Loch wieder zu. Die Ketten des kleinen Baggers drückten die Erde schön platt. Bisschen Sand drüber. In ein paar Wochen hätte die Natur alles eingeebnet und weitgehend der Umgebung wieder angepasst. Und wann würde sich dann der neue Gesamtdeutsche auf diesen Flecken Erde vorwagen? Alles wird gut.

Wieder wurden Zigaretten angezündet. Wieder betrachtete man das gemeinsame Werk. Dieser Staat war zum Untergang verurteilt. Auferstanden aus Ruinen, abgelegt als Ruine. Abgewrackt. Der letzte Auftrag. Alle vier PLO-Schergen standen rauchend im Regen und glotzten auf das Areal, das sie eben zugeschüttet und planiert hatten. Perfekt. Adrenalinstoß. So liebte er es. Er zog und entsicherte seine Makarov und trat mit drei kurzen Schritten von hinten an die PLO-Kameraden heran. Genickschuss eins. Genickschuss zwei. Hinrichtung. Die ersten zwei fielen wie nasse Säcke in den Sand. Die beiden anderen drehten sich um. Er sah die Überraschung, die Angst, den Tod in ihren Gesichtern und drückte nochmal ab und nochmal. Weg. Tot. Erledigt. Liquidiert, so wie beauftragt. Zuverlässig. Ohne Komplikationen. Das Adrenalin stieg immer noch an. Das Herz raste und er fühlte sich wie immer gut. Sehr gut. Macht. Totale Macht. Befriedigung. Das letzte Mal? Das letzte Mal. Mal sehen… Er genoss den Augenblick. Zündete sich noch eine Zigarette an, zog tief ein und stand drei Minuten da und betrachtete nun seinerseits stolz sein Werk.

Halb fünf. Er schnippte die Kippe in den Wind. Die vier hatten keine Ausweise, Dokumente oder sonst was bei sich. Profis. Nacheinander hievte er sie in den nächst gelegenen P3. Fuhr fünf Kilometer durch die Heide. Stoppte. Benzin-Kanister. Farewell, my lovely. Durchatmen. Laufen. Kurz nach fünf. Auf den Mini-Bagger. Ein Kilometer nordöstlich. Sand-Düne. Unterstand. Benzinkanister. Weg mit dem Scheiß. Durchatmen. Laufen. Sechs Uhr 35. Es dämmerte. Er war fertig. Zu viele Zigaretten. Seine Kondition ließ nach. Scheiß drauf. Es war sein letzter Auftrag für diesen verschissenen, verlogenen Drecksstaat. Nationale Gesinnung hatte hier nie gezählt. Anti-jüdische Gesinnung wurde nur verhalten gezeigt. Nationaler Sozialismus hatte sich zwar in der SED weiter entwickeln können, wurde aber aus taktischen Gründen gegenüber dem bolschewistischen Bruderstaat klein gehalten. Verlogenes Pack… Er zündete sich eine Zigarette an. Sog den nikotingeladenen Rauch ein, hielt ihn lange in der pumpenden Lunge und stieß ihn hasserfüllt aus. „War das Deutschland???!!!“ brüllte er in die vergehende Nacht hinaus. „Scheiß drauf…“ Warf seine Zigarette in den Sand. Stieg in den verbliebenen P3 und fuhr die 50 Kilometer zum Treptower Park in knapp 45 Minuten. Handbremse. „Das war‘s DDR! Fick dich, Idiotenstaat!“