Cover

INHALT

Schweden – viel Platz zum Leben
Glanzlichter der Geschichte
Chronik Schwedens: Daten zur Landesgeschichte
Die schönsten Reiseregionen Schwedens
toc1 Stockholm und Umgebung
Eine Hauptstadt zwischen Wald und Wasser
toc2 Der Süden
Goldgelbe Äcker, kleine Wälder, schöne Strände und eine lange Geschichte
toc2 Göteborg und die Westküste
Die Badewanne der Nation
toc2 Die Inseln
Mediterranes Flair und mittelalterliche Mauern inmitten der Ostsee
toc2 Die großen Seen
Im Kernland Schwedens zwischen Vänern, Vättern und Mälaren
toc2 Småland
Vom Glasreich in Astrid Lindgrens Welt
toc2 Die Mitte
Entlang der Küste oder durch endlose Nadelwälder gen Norden
toc2 Der Norden
Laponia – die größte Wildnis Europas im Licht der Mitternachtssonne
Unterkünfte: Hotels, Bed & Breakfasts, Camping, Jugendherbergen und Pensionen
Service von A bis Z
Orts- und Sachregister
Namenregister
Bildnachweis
Impressum
Zeichenerklärung
Image

Reiseführer mit topaktuellen Tipps, Fotos und Karten

Über Schweden

Es fällt leicht, sich in Schweden zu verlieben, denn das weite Land im Norden ist erstaunlich vielfältig: Im Süden empfangen einen goldgelbe Äcker, die sich sanft in einer leichten Meeresbrise bewegen. Im Westen lockt die Küste mit langen Sandstränden und traditionsreichen Badeorten. Oder soll es doch lieber ein kleines Ferienhaus auf einer der zahlreichen Schäreninseln sein? Schweden, das Land der Wälder und Seen, auch das gibt es natürlich. Vor allem in der Mitte des langgestreckten Landes sind die Wälder schier endlos. Wer die Einsamkeit sucht, den zieht es weiter gen Norden, wo es mehr Rentiere und Elche als Menschen gibt: Fjälls mit kahlen, schneebedeckten Bergen, Gletscher, einsame Hochebenen, endlose Wälder, Moore, Seen und glasklare Flüsse bieten Naturerlebnisse im Überfluss.

Jenseits des Polarkreises liegt Laponia, ein über 9000 Quadratkilometer umfassendes Schutzgebiet, zu dem vier Nationalparks gehören. Hier kann man tage- und wochenlang im Licht der Mitternachtssonne wandern und sich fast wie in Kanada fühlen. Aber Schweden ist beileibe nicht nur etwas für Zivilisationsflüchtlinge und Einsamkeitsfanatiker. Wer in Stockholm und Göteborg Station macht, erlebt zwei moderne, quirlige Städte, wer Malmö, Falun oder Lund vorzieht, entdeckt Kleinstädte mit typisch schwedischem Flair.

Über das Buch

Auf einer Entdeckungstour durch Schweden ist dieser Reiseführer ein idealer Begleiter. Im ersten Teil erfährt man nach einer Einleitung und der Chronik Wissenswertes über acht Reiseregionen und deren landschaftliche, kulturelle und historische Besonderheiten. Der Autor beschreibt Städte, Dörfer, Fischerorte und Ausflugsziele, wie Inseln und Halbinseln sowie Nationalparks, Wälder und Strände. Unter »Service & Tipps« finden sich zu jedem Ort die Adressen und Öffnungszeiten von Sehenswürdigkeiten, Restaurants, Bars usw.

Porträts über Land und Leute sowie Themenessays ergänzen die Fakten und Informationen. Das Kapitel »Unterkünfte« nennt alphabetisch nach Orten sortiert Hotels und Gästehäuser, und der »Service von A bis Z« liefert wichtige Informationen von Anreise bis Zoll sowie einen Sprachführer.

Über den Autor

Christian Nowak, 1954 in Berlin geboren, veröffentlicht seit 1984 Reportagen und Fotos. Außerdem sind von ihm bisher mehr als 30 Reiseführer und Bildbände erschienen. Seine Schwerpunkte liegen in Skandinavien und im Baltikum.

Schweden

halftitle
red left arrow Eine Übersichtskarte mit den eingezeichneten Routenvorschlägen finden Sie in der vorderen Umschlagklappe.
title

Schweden – viel Platz zum Leben

Fragt man nach typisch Schwedischem, fällt wahrscheinlich jedem etwas ein. Für manche sind es die roten Holzhäuser, andere denken sofort an das von Ingvar Kamprad gegründete Möbelhaus oder an leckeres Knäckebrot. Auch so unterschiedliche Dinge wie Elche, Pipi Langstrumpf, ABBA oder den Nobelpreis bringt man sofort mit Schweden in Verbindung. Und wer konnte sich schon dem Medienhype um die Traumhochzeit von Kronprinzessin Victoria mit ihrem Daniel entziehen?

Es fällt leicht, sich in Schweden zu verlieben, denn das weite Land im Norden ist erstaunlich vielfältig, so dass jeder bestimmt sein Lieblingsplätzchen findet. Im Süden empfangen einen goldgelbe Äcker, die sich sanft in einer leichten Meeresbrise bewegen. Im Westen lockt die Küste mit langen Sandstränden und traditionsreichen Badeorten. Oder soll es doch lieber ein kleines Ferienhaus auf einer der unzähligen Schäreninseln sein? Wem der Sinn danach steht, der kann hier sogar Robinson spielen und sich für eine Weile auf sein eigenes winziges Eiland zurückziehen, auf dem nur ein einziges Häuschen steht.

Image

An der Küste mit langen sandigen Ufern locken hübsche Strandhütten

Das Schweden der Bäume und Seen gibt es vor allem in der Mitte des lang gestreckten Landes. Dort sind die Wälder schier endlos. Wer die Einsamkeit sucht, den zieht es weiter gen Norden, wo es mehr Rentiere und Elche als Menschen gibt. Auch hier ist die Wildnis zwar nicht mehr unberührt, trotzdem ist die Natur fast grenzenlos. Fjälls (Gebirge) mit kahlen, schneebedeckten Bergen, Gletscher, einsame Hochebenen, endlose Wälder, Moore, Seen und glasklare Flüsse bieten Naturerlebnisse im Überfluss.

Jenseits des Polarkreises liegt Laponia, ein über 9000 Quadratkilometer umfassendes Schutzgebiet, zu dem die vier Nationalparks – Muddus, Sarek, Padjelanta und Stora Sjöfallet – gehören. Hier kann man tage- und wochenlang im Licht der Mitternachtssonne wandern und sich fast wie in Kanada fühlen.

Image

Ein Braunbär in der fast grenzenlosen Wildnis Mittelschwedens

Aber Schweden ist beileibe nicht nur etwas für Zivilisationsflüchtlinge und Einsamkeitsfanatiker. Wer in Stockholm und Göteborg Station macht, erlebt zwei moderne, quirlige Städte, die zum Shoppen, Schlemmen und Feiern einladen. Wer es allerdings etwas ruhiger und idyllischer mag, dem bieten sich Malmö, Falun oder Lund an, Kleinstädte mit typisch schwedischem Flair.

Välkommen til Sverige!

Image

Sommerliche Seenlandschaft in Schwedens Südwesten

Geografische Lage

Bis vor rund 10 000 Jahren war der Norden Europas von einer bis zu drei Kilometer dicken Eisdecke überzogen. Gewaltige Gletscher haben sich bei ihrem wiederholten Vorrücken und Zurückweichen als Landschaftsgestalter betätigt und wie riesige Hobel auch das härteste Gestein abgetragen. Als das Eis endgültig von Süden her abschmolz, blieben u-förmige Täler, Moränenhügel und Kiesaufschüttungen zurück. Das sanft gewellte Hügelland im Süden, die vielen Seen und Moore und auch die Sandstrände, sie alle haben ihren Ursprung in der Vergletscherung. Der Eispanzer hatte ein solch gewaltiges Gewicht, dass er die Erdkruste um mehrere Hundert Meter niederdrückte. Als das Land nach dem Abtauen des Eises von der ungeheuren Last befreit war, hob es sich ganz allmählich wieder. In Nordschweden war diese Landhebung in den letzten Jahrtausenden mit fast 300 Metern so ausgeprägt, dass die Menschen dem zurückweichenden Meer hinterherziehen mussten, weil die Häfen unbrauchbar geworden waren. Auch heute ist dieser Prozess noch nicht völlig zum Stillstand gekommen und an einigen Stellen hebt sich Schweden noch um ungefähr einen Meter pro Jahrhundert. Der Mälarsee westlich von Stockholm verdankt seine Entstehung dieser Landhebung. Noch zum Ende der Wikingerzeit hatte er eine Verbindung zur Ostsee.

Image

Schweden ist blau, rot und grün

Das Rückgrat der skandinavischen Halbinsel bildet das Skanden-Gebirge, das an der Grenze zu Norwegen seine größte Höhe erreicht. Der höchste Berg auf schwedischem Boden ist das Kebnekaisemassiv, ein schroffer Gipfel von gut 2100 Metern Höhe, der während der letzten Eiszeit nicht vergletschert war und deshalb auch nicht vom Eis abgeschliffen wurde.

Die mehr als 7000 Kilometer lange Küste an Kattegat und Skagerrak, entlang der Ostsee und am Bottnischen Meerbusen gibt großen Teilen Schwedens einen maritimen Charakter. Einmalig sind die labyrinthartigen Schärengärten mit Zehntausenden kleiner Inseln und Holmen vor den Küsten. Die vom Eis oft blank polierten Eilande sind beliebte Naherholungs- und Urlaubsgebiete und ein wahres Paradies für Wasserratten. Im Binnenland ist es nie weit bis zu einem der rund 100 000 Seen. Einer der größten, der Vänern, wirkt mit einer Fläche von gut 5000 Quadratkilometern wie ein Binnenmeer. Insgesamt besitzt das Land einen unerschöpflichen Wasservorrat und verdankt den vielen großen Flüssen, die im Gebirge entspringen und in den Bottnischen Meerbusen münden, einen Großteil seiner elektrischen Energie.

Image

Trekking-Zelten in der kargen schönen Landschaft Lapplands

Neben dem Wasserreichtum sind die ausgedehnten Nadelwälder, die mehr als die Hälfte der Landesfläche bedecken, ein Wahrzeichen Schwedens. Die Landwirtschaft spielt nur eine untergeordnete Rolle, wenngleich man im Süden manchmal den Eindruck hat, ganz Schweden bestünde aus Äckern und Wiesen. Obwohl die Wälder von jeher einen wichtigen Wirtschaftsfaktor darstellen und deshalb regelmäßig abgeholzt werden und viele der nordschwedischen Flüsse mittlerweile zur Energiegewinnung gezähmt wurden, ist die über weite Strecken noch relativ intakte Natur das wichtigste Kapital des Landes. Im hohen Norden liegt mit den Nationalparks Sarek, Padjelanta und Stora Sjöfallet die größte Wildnis Europas.

Klima

Fragt man die Schweden nach dem Wetter, hört man immer wieder, dass vielen die Winter zu lang und dunkel stopind und dass es zu viel regnet. Für jemanden, der das ganze Jahr in Schweden lebt, mag diese Einschätzung stimmen. Touristen, die fast ausschließlich während des Sommers in den Norden reisen, zeigt sich das Wetter dagegen oft von seiner schönen Seite. Die Tage sind länger als bei uns, jenseits des Polarkreises erlebt man die faszinierende Mitternachtssonne und das Thermometer kann während einiger Wochen durchaus hochsommerliche Werte erreichen. Nach längeren Sonnenscheinperioden haben die Gewässer sogar eine Temperatur, die zum Baden einlädt.

Eigentlich ist das milde Klima erstaunlich, denn Stockholm liegt immerhin nur ein paar Breitengrade südlicher als die Spitze Grönlands. Verantwortlich ist der Golfstrom, der zwar hauptsächlich die norwegische Küste wärmt, aber auch dem Rest Skandinaviens noch relativ milde Temperaturen bringt. Den Süden und den Westen Schwedens zeichnet ein fast schon maritimes Klima mit angenehmen Sommern und milden Wintern aus, während im Osten und Norden eher kontinentale Bedingungen herrschen. Die Winter sind hier teilweise sehr kalt, doch im Sommer können die Temperaturen durchaus 25 °C erreichen. In dieser Jahreszeit sind die Temperaturunterschiede zwischen Nord- und Südschweden geringer, als man auf Grund der großen Entfernung vermuten würde, allerdings ist der Sommer im Norden viel kürzer. Die extrem lange Sonneneinstrahlung zur Zeit der Mitternachtssonne heizt Land und Wasser so weit auf, dass man sich an einem schönen Sandstrand in Höhe des Polarkreises manchmal einige tausend Kilometer weiter südlich wähnt.

Der größte Teil Schwedens liegt wegen der vorherrschenden Westwinde im Regenschatten des lang gestreckten Gebirges. So bekommt Norwegen den größten Teil des schlechten Wetters ab, mit dem erfreulichen Nebeneffekt, dass die durchschnittliche Jahresniederschlagsmenge in den meisten Landesteilen Schwedens geringer ist als in Deutschland. Auch bei den Sonnenstunden fällt der Vergleich zu Gunsten der Skandinavier aus. Ein besonderes Erlebnis ist die Mitternachtssonne.

Schon in Stockholm wird es im Sommer kaum noch dunkel und nördlich des Polarkreises verschwindet die Sonne sogar wochenlang nicht mehr hinter dem Horizont. Während dieser langen Tage blühen die Schweden auf, das Leben spielt sich überwiegend im Freien ab und überall werden Feste gefeiert. Das Lebenselixier Licht genießen nicht nur die Bewohner des Nordens. Auch als Tourist kann man sich der Faszination der hellen Nächte nicht entziehen.

Elche – Wappentiere und Landplage

Die Schweden haben ein zwiespältiges Verhältnis zu ihrem Wappentier. Zum einen ärgert sie der Koloss mit der äußerst beweglichen Oberlippe und den mächtigen Schaufeln, weil er im Straßenverkehr stur auf seiner Vorfahrt beharrt, zum anderen zollen sie ihm als Symbol des Nordens und Wappentier des Landes durchaus einen gewissen Respekt. Elche (schwedisch älgar) sind scheu und man kann drei Wochen kreuz und quer durch das Land fahren, ohne eines der Tiere zu Gesicht zu bekommen. Taucht aber doch ein Elch am Straßenrand auf, sind Einheimische und Touristen nicht mehr zu halten: Jeder möchte ihn streicheln, füttern und fotografieren. Die Liebe zum Elch treibt allerdings noch weit seltsamere Blüten. Jedes Jahr verschwinden Hunderte von Straßenschildern, die vor einer gefährlichen Begegnung warnen sollen. Besonders deutsche Touristen haben es auf diese Souvenirs abgesehen und Imitate aus Andenkenläden sind anscheinend kein Ersatz für das Original. Die Straßenbauverwaltung kämpft tapfer gegen den Schwund der Elchschilder an, Schraubenköpfe werden rund gefeilt, die Schilder am Pfosten fest geschweißt oder mit der Bohrmaschine durchlöchert – ohne großen Erfolg.

Image

Elche haben kein Verständnis für Verkehrsregeln, sie beharren meist auf ihre Vorfahrt

Wenn im Herbst der Jagdtrieb erwacht, sind Elche nicht mehr nur begehrtes Fotomotiv, sondern Objekt waidmännischer Begierden. Die ganze Nation – einschließlich seiner königlichen Majestät – geht auf die Jagd. Eine Lizenz zum Abschuss ist billig und so eint der Volkssport die ganze Nation. Das Heer der Hobbyjäger erlegt in einem kollektiven Rausch innerhalb kürzester Zeit 100 000 Elche, um die Kühltruhen mit bestem Fleisch zu füllen und die Gourmets mit frischen Elchsteaks zu erfreuen. Dieser gewaltige jährliche Aderlass macht den Elch aber noch lange nicht zur bedrohten Tierart, weil der unerschöpfliche Nachschub junger Kiefernnadeln in den aufgeforsteten Waldgebieten ihn prächtig gedeihen lässt. Der König der Wälder lebt durch die moderne Waldwirtschaft in einem wahren Schlaraffenland, denn Elche lieben frische grüne Triebe, die gerade in aufgeforsteten Jungwäldern im Überschuss zu finden sind. Sie sind eine eiweißreiche Kraftnahrung, die die Tiere stark und gesund hält und sich positiv auf ihre Vermehrung auswirkt. War einst der Elch noch von der Ausrottung bedroht, sehen heute viele in dem gegenwärtigen Bestand von rund 350000 Tieren eine Landplage und fordern eine deutliche Erhöhung der jährlichen Abschussquote.

Europäische Elche sind zwar nur die kleinen Brüder ihrer in Nordamerika lebenden Verwandten, aber ihr Steckbrief ist trotzdem imposant: Bei einer Schulterhöhe von 2,20 Metern bringen die Bullen rund 500 Kilogramm auf die Waage. Kein Wunder, dass die schwedischen Autofahrer viel Respekt vor dem Waldbewohner haben, denn die gutmütigen Tiere haben überhaupt kein Verständnis für den modernen Autoverkehr. Sie überqueren die Straßen bevorzugt während der Dämmerung und immer dann, wenn sie es für richtig halten. Diese Unachtsamkeit endet für beide Seiten unheilvoll und jedes Jahr kostet der Zusammenstoß mit einer halben Tonne Elch einigen Autofahrern das Leben. Deshalb wurden mit hohem Aufwand Hunderte von Kilometern Wildschutzzäune entlang den Hauptstraßen errichtet, die die Unfallbilanz zumindest etwas verbessern dürften.

Jede Jahreszeit hat ihren Reiz. Der Frühling weckt Ende April die Menschen aus dem langen Winterschlaf. Endlich werden die Tage wieder länger und heller. Wann kann man das erste Bier, die erste Tasse Kaffee unter freiem Himmel trinken? Die Rapsfelder im Süden überziehen die Landschaft mit gelben Teppichen, nur im Gebirge und im Norden tut sich der Frühling schwer, die letzten Schneefelder zum Schmelzen zu bringen.

Der Sommer kündigt sich mit immer kürzeren Nächten an. Wenn sich die Dunkelheit nur noch zaghaft um Mitternacht herum für ein, zwei Stunden zeigt, beginnt die schönste Zeit des Jahres. Die langen Tage sind die Belohnung für das Ausharren während der dunklen Wintermonate. Wann immer möglich, verbringt man nun Zeit draußen in der Natur, im Garten, am Strand, im Sommerhaus. Das Boot wird klar gemacht, das Rad aus dem Schuppen geholt, alle freuen sich aufs Angeln, Wandern, Segeln, Surfen, Radfahren, Paddeln oder Schwimmen. Doch der Sommer ist kurz.

Image

Der Luchs – Europas größte Raubkatze – ist ein Einzelgänger

Wenn die Beeren reifen, beginnt die Zeit des Sammelns: Blaubeeren, Preiselbeeren und Moltebeeren werden zu Marmelade gekocht oder wandern in die Tiefkühltruhe. Die Vorratshaltung, die jahrhundertelang überlebenswichtig war, steckt eben noch in vielen Köpfen.

Elchjagd, Bodenfrost, Nebel, Regen, bunte Wälder und immer kürzere Tage lassen Melancholie aufkommen, denn plötzlich hat der Herbst den Sommer abgelöst.

Der Winter bringt meistens ab November klirrenden Frost und manchmal auch viel Schnee. Wenn dann die tiefstehende Sonne und kristallklare Luft für märchenhafte Lichtstimmungen sorgen, kann man sich keine schönere Jahreszeit als den Winter vorstellen – er sollte nur nicht so lang sein, denn mit jedem Tag wächst das Verlangen nach mehr Helligkeit. Egal zu welcher Jahreszeit man nach Schweden kommt und wohin man fährt, das Land strahlt eine gelassene Ruhe aus. Ideal für einen Urlaub zum Auftanken und Durchatmen. Schon Tucholsky kannte dieses Gefühl und beschrieb es meisterhaft in einem einzigen Satz: »Wir lagen auf der Wiese und baumelten mit der Seele.«

Tierwelt

Rentiere leben überwiegend in Lappland. Sie sind zwar domestiziert, streifen aber fast das ganze Jahr über frei herum. Oft stehen sie am Straßenrand oder sogar mitten auf der Straße und lassen sich auch von Autos nicht aus der Ruhe bringen. Elche haben ebenfalls kein Verständnis für die Regeln des Straßenverkehrs, was jedes Jahr zu mehreren Tausend Unfällen führt (vgl. Kasten S. 9).

In Schweden gibt es außerdem Braunbären (schwedisch björnar). Von Värmland und Dalarna bis in den hohen Norden sind sie in den Wäldern unterwegs. Sie ernähren sich von Kräutern, Gras, Beeren (besonders Blau- und Preiselbeeren) und anderen Pflanzen. Sollten Sie einem der scheuen Tiere begegnen, machen Sie auf sich aufmerksam, indem Sie laut reden und sich zeigen. Bewegen Sie ruhig die Arme. Schleichen Sie nicht und verstecken Sie sich nicht! Das ist einer von zehn Ratschlägen aus der Broschüre der Naturvårdsverket (Naturwacht). Auch wenn es mittlerweile wieder einige Hundert Braunbären in Schweden gibt, wird man kaum eines der bis zu 250 Kilogramm schweren Tiere in freier Wildbahn zu Gesicht bekommen. Die äußerst feine Bärennase wittert Menschen schon aus großer Entfernung, so dass sich der Braunbär rechtzeitig aus dem Staub machen kann. Das letzte Mal wurde 1902 ein Mensch in Schweden Opfer eines Bären – ein angeschossenes Tier tötete damals seinen Jäger. Aufmerksame Wanderer entdecken manchmal Bärenspuren: Umgegrabene Ameisenhaufen, zerkratzte Bäume, gerissene Ren- oder Elchkälber und Bärenlosung sind eindeutige Zeichen.

Image

Die Artenfülle der Vogelwelt freut auch den Steinadler

Sehr unwahrscheinlich sind Begegnungen mit Wölfen (schwedisch vargar) und Vielfraßen (järvar). Wölfe sind fast vollständig ausgerottet, selbst wenn einzelne Tiere immer wieder mal für Schlagzeilen sorgen. Auch der Vielfraß konnte in Schweden nur durch konsequente Schutzmaßnahmen vor dem Aussterben bewahrt werden. Für seine Beutezüge braucht das äußerst clevere Tier ein sehr großes Revier. Besonders die Rentierzüchter hassen Wölfe und Vielfraße und machten lange Zeit bedingungslos Jagd auf sie.

Image

Auch in Schweden sind Wölfe bis auf wenige Exemplare ausgerottet

Der Luchs ist ein Einzelgänger, der ebenfalls ein großes Revier benötigt und Rentiere jagt. Bei vielen Rentierzüchtern steht die nachtaktive Raubkatze mit den Pinselohren immer noch in dem Ruf, mehr Tiere zu reißen, als sie wirklich frisst.

Lemminge (fjällämmlar), die an Meerschweinchen erinnern, sind dafür bekannt, dass ihre Population in einem Rhythmus von mehreren Jahren schwankt. In den sogenannten Lemmingjahren wimmelt es von den kleinen Nagetieren, die sich wegen der Überbevölkerung dann zwar nicht von der nächsten Klippe stürzen, aber auf Wanderung gehen und überall im Gebirge anzutreffen sind.

Von großer Artenvielfalt zeigt sich die Vogelwelt Schwedens, besonders wegen der vielen Zugvögel, die hier Rast machen. Das beeindruckendste Schauspiel bieten dabei die Kraniche am Hornborgasjön.

Image

Abschied! Auf nach Amerika, Göteborg 1905

Bewohner

Die ersten Menschen kamen wahrscheinlich schon unmittelbar nach dem Abschmelzen des Eises von Süden her nach Skandinavien. Nur ein kleiner Teil, hauptsächlich Samen, stammt wohl aus dem Osten. Erst vor etwa 1000 Jahren bildete sich so etwas wie ein Staat heraus, dessen Zentrum sich in der landwirtschaftlich gut nutzbaren Gegend um den Mälarsee befand. Noch Mitte des 18. Jahrhunderts lebten nicht einmal zwei Millionen Menschen in dem riesigen Land.

Historisch gliedert sich Schweden in drei Teile: Götaland bedeutet »Land der Göten«. Sie lebten ursprünglich südlich von Vänersee und Vättersee. In Svealand waren früher die Svear heimisch, ihr Siedlungsgebiet reichte bis nördlich des Siljansees und der Stadt Falun. Der große Rest des Landes wurde Norrland genannt.

Image

Bereits seit 6000 Jahren gibt es die Kolts, die blauen Trachten der Samen

Image

Sommerferien – ein Kindheitstraum

Wenn man von Blekinge, Bohuslän, Halland oder Uppland spricht, meint man die Bezeichnungen der alten Landschaften, von denen es insgesamt 25 gibt: vom südschwedischen Skåne bis hinauf nach Lappland. Verwaltungstechnisch ist Schweden heute hingegegen in Regierungsbezirke, sogenannte Län, eingeteilt, deren Grenzen nur selten mit der alten Gliederung übereinstimmen. Obwohl die Landschaftsnamen keinerlei Bedeutung mehr besitzen, halten viele Schweden traditionell noch an ihnen fest. Auch die geografisch gegliederten Kapitel dieses Buches orientieren sich daher an diesen Grenzen.

Eine zunehmende Diskrepanz zwischen Arm und Reich, der geringe Bedarf an Arbeitskräften sowie Hungersnöte, Missernten und eine eingeschränkte Religionsfreiheit waren die Ursachen der ersten großen Auswanderungswelle Mitte des 19. Jahrhunderts. Etwa 10 000 Schweden emigrierten damals nach Nordamerika. Kurze Zeit nahm die Zahl der Auswanderer wegen der dortigen Wirtschaftskrise und Jahren des inländischen Aufschwungs ab, dann verließen die Menschen erneut massenhaft ihr Land – insgesamt gingen fast 1,5 Millionen.

Auch die Einwanderung nach Schweden hat eine lange Tradition. Finnische Pioniere kamen während des 16. und 18. Jahrhunderts ins Land, wallonische Schmiede und holländische Kauflaute siedelten sich im 17. und 18. Jahrhundert an. Die Einwanderer gaben der Industrie zwar neue Impulse, doch ihre Zahl war gering. So war Schweden über Jahrhunderte ein ethnisch sehr homogenes Land, fast die gesamte Bevölkerung sprach Schwedisch als Muttersprache und rund 90 Prozent gehörten der lutherisch-schwedischen Staatskirche an. Erst im Jahr 2000 wurde die schwedische Kirche vom Staat unabhängig und mit anderen Glaubensgemeinschaften gleichgestellt. Austritte sind auch heute noch selten, wenngleich die sonntäglichen Gottesdienste nur spärlich besucht werden. An Feiertagen oder zur Taufe, Hochzeit und Beerdigung ist der kirchliche Segen aber immer noch gefragt.

Image

Die Moltebeere ist das Wahrzeichen Lapplands und lecker noch dazu

Bis zum Zweiten Weltkrieg waren die Samen im Norden und die Finnen entlang der Nordostgrenze die einzigen Minderheiten im Land. Erst durch stark anschwellende Flüchtlingsströme während des Zweiten Weltkrieges und der Nachkriegszeit änderte sich die Zusammensetzung der Bevölkerung merklich. Der hohe Bedarf an Arbeitskräften in der Industrie führte zu einer weiteren Einwanderungswelle, die die Bevölkerungsstruktur nachhaltig veränderte. Heute haben rund 20 Prozent der Schweden ihre Wurzeln im Ausland, weil sie entweder selbst im Ausland geboren sind oder wenigstens ein Elternteil dorther stammt. Die multikulturelle Gesellschaft ist mittlerweile auch im Norden Realität. Die meisten Einwanderer kommen aus den benachbarten nordischen Ländern, mit denen Schweden einen gemeinsamen Arbeitsmarkt hat. Aber auch bei politischen Krisen im Ausland öffnet das Land für Flüchtlinge seine Grenzen.

Noch Mitte des 19. Jahrhunderts gehörte Schweden zu den ärmsten Staaten Europas und die Mehrheit der Bevölkerung arbeitete in der Landwirtschaft. Nur gut 100 Jahre später war es eines der reichsten und am stärksten industrialisierten Länder der Welt: ein märchenhafter Aufstieg, der mit gravierenden Veränderungen einherging. Nach dem Zweiten Weltkrieg boomte die schwedische Wirtschaft, der Wohlstand stieg und das Land konnte sich einen weltweit einmaligen Wohlfahrtsstaat leisten, der seinen Bürgern von der Geburt bis zum Tod großzügige Unterstützung gewährte.

Doch Anfang der 1990er Jahre geriet Schwedens Wirtschaft in Turbulenzen, das Bruttosozialprodukt sank, gleichzeitig schnellten Staatsverschuldung und Arbeitslosenzahlen in die Höhe, die schwedische Krone verlor an Wert und Schwedens Position in der internationalen Wohlstandsliga verschlechterte sich. In einer konzertierten Aktion sanierte man daraufhin sehr effektiv und konsequent den Staat und die sozialen Leistungen wurden auf ein finanzierbares Maß reduziert.

Würde man die gesamte Landesfläche gleichmäßig auf die Bevölkerung verteilen, könnte sich jeder Schwede über ein stattliches Grundstück von mehr als 50000 Quadratmetern freuen. Statistisch betrachtet, teilen sich rund 20 Einwohner einen Quadratkilometer. Vielleicht ist dieser großzügig bemessene Lebensraum ein Grund dafür, dass die rund neun Millionen Schweden mit sich und der Welt relativ zufrieden sind. Die Bevölkerung ist allerdings nicht homogen über das Land verteilt, denn 85 Prozent leben im Süden und drängen sich in den drei Ballungsgebieten Stockholm, Göteborg und Malmö.

Freizeit

Die Natur Schwedens lädt zu einer Vielzahl von Freiluftaktivitäten ein: Wandern und Angeln, Paddeln und Radfahren, Segeln und Surfen, Pilze- und Beerensammeln und im Winter natürlich Skilaufen. Eine Reise bietet aber auch viele kulturelle Höhepunkte: rätselhafte Felsritzungen aus der Bronzezeit, Schiffssetzungen, Runensteine und Grabfelder der Wikinger sowie Schlösser und Herrensitze aus der Großmachtzeit. Dabei vermischt sich oft die Geschichte mit dem modernen Schweden, das beileibe nicht nur aus verträumten Dörfern besteht. Lebhafte Großstädte wie Stockholm, Göteborg und Malmö sind Zentren von Hochtechnologie und Forschung und bieten Besuchern moderne Shoppingmeilen und eine Vielzahl von Museen und Kulturveranstaltungen. Bei den Mittsommerfeiern am Siljansee ist dagegen Tradition Trumpf: Für den Tanz um die majstång holen die Menschen die Trachten aus dem Schrank und Spielmänner begleiten das bunte Treiben mit ihren Fiedeln – so wie es schon immer war.

Image

Herrensitze aus der Großmachtzeit Schwedens zieren die Landschaft – hier Schloss Läckö

Glanzlichter der Geschichte

Die Geschichte Schwedens ist geprägt von mehreren Phasen wirtschaftlicher und politischer Macht, in deren Verlauf die Grenzen weit nach Europa vorgeschoben wurden und das Land eine zunehmend gewichtige Rolle im Norden spielte. Dazwischen musste Schweden aber auch immer wieder Rückschläge hinnehmen, denn lang währende und nicht immer erfolgreiche Kriege führten zu Hunger, Elend und massenhafter Auswanderung. So war Schweden noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein armes und rückständiges Agrarland, das sich jedoch innerhalb weniger Jahrzehnte zu einer Industrienation mit beispielhaftem Sozialstaat und hohem Lebensstandard entwickelte.

Image

Beispiel für ein Wikingerdorf in der Nähe von Stockholm

Die ersten Siedler

Die Besiedlung Skandinaviens begann am Ende der letzten Eiszeit, als der dicke Eispanzer im Verlauf mehrerer Tausend Jahre langsam abschmolz, das Klima sich verbesserte und so Pflanzen, Tieren und Menschen eine Lebensgrundlage bot. Die ältesten Siedlungsspuren im südlichen Schweden stammen aus der Zeit um 10000 v. Chr. Nach und nach wurde dann das ganze Land von Stämmen besiedelt, die von Jagd und Fischfang lebten und einfache Geräte aus Stein benutzten. Aus zahlreichen Gräbern und Siedlungsresten wissen wir, dass im Laufe der Steinzeit die Geräte immer weiter verfeinert wurden, bis um 1800 v. Chr. die Bronze in den Norden gelangte.

Steingeräte hat man zwar weiterhin für die Alltagsarbeiten verwendet, doch Waffen und Kultgegenstände fertigten die Menschen zunehmend aus Metall. Die eindrucksvollsten Relikte dieser frühen Bewohner sind Felsritzungen, die hällristningar, die häufig in der Nähe der Küsten zu finden sind. Sie zeigen Jagdszenen, Schiffe und Symbole, deren Bedeutung bis heute unbekannt ist. Beeindruckende Zeugen der Bronzezeit sind auch große Hügelgräber wie das in Kivik in der Region Österlen. Gegenstände aus dieser Zeit, etwa Grabbeigaben aus Bronze, hat man allerdings nur selten gefunden, wahrscheinlich, weil nur wenig des kostbaren Metalls aus dem Süden importiert wurde.

Image

Missionsbischof Ansgar

Ab 500 v. Chr. setzte sich das Eisen immer mehr durch. Während der Völkerwanderung und der frühen Eisenzeit wurden die Menschen endgültig sesshaft und der Ackerbau bildete neben der Fischerei eine wichtige Lebensgrundlage. Aus dieser Epoche stammen auch die ersten bekannten Runenzeichnungen. Die Schriftzeichen gelangten wahrscheinlich aus dem germanischen Raum nach Norden und sind heute auf rund 3000 Runensteinen in Schweden erhalten.

Im fruchtbaren Mälartal ließ sich der Stamm der Svear nieder und begründete im Mittelalter ein bedeutendes Machtzentrum. Ihr Königreich, das Svea Rike, versuchte in endlosen Kleinkriegen seine Nachbarn zu unterwerfen und gab dem Land seinen heutigen Namen: Sverige.

Die Zeit der Wikinger

Um die Mitte des 8. Jahrhunderts betraten die Wikinger mit ihren dramatischen Raubzügen, aber auch mit weiten Handelsreisen die Bühne und drückten für rund 300 Jahre der Geschichte ihren Stempel auf. Während die nordischen Krieger aus dem heutigen Norwegen, Dänemark und Südschweden westwärts aufbrachen und bis nach Frankreich, England, Grönland und Amerika kamen, zogen die Wikinger aus Ostschweden und Gotland eher in Richtung Osten. In einer Mischung aus Raubzügen und Handelsexpeditionen gelangten diese Seekrieger bis ins heutige Russland, wo sie Handelsstationen und kurzlebige Reiche gründeten. Sie zogen weiter bis zum Schwarzen und Kaspischen Meer und trieben Geschäfte mit Byzanz und der arabischen Welt.

Die Wikinger

Am 8. Juni 793 verwüsteten die Wikinger das Kloster Lindisfarne auf einer Insel im Nordosten Englands. Es war wahrscheinlich nicht der erste Überfall nordischer Seefahrer, aber er ging als Beginn der Wikingerzeit in die Geschichtsbücher ein. Damit hatten die Krieger in den Drachenbooten ihren Ruf als mordende und plündernde Horde weg. Dieser Eindruck sollte ihnen lange anhaften, doch heute wissen wir, dass das Bild von mordenden Barbaren nur teilweise richtig ist. Sie waren nämlich auch geniale Schiffsbauer, verstanden viel von Navigation und fertigten kunstvollen Schmuck. Die meiste Zeit lebten sie zudem als friedliche Bauern in Dörfern mit mehreren Gehöften, in deren Zentrum jeweils ein bis zu 30 Meter langes Haupthaus stand. Eine Hälfte bewohnten die Menschen, die andere das Vieh. Gegen Ende der Wikingerzeit wurden die Höfe immer größer und hatten bis zu 50 Meter lange Haupthäuser ohne Stall.

Aus den Handelsplätzen der Wikinger entwickelten sich die ersten Städte Skandinaviens. Ihr wichtigstes Handelszentrum wurde Haithabu in der Nähe des heutigen Schleswig. Von dort organisierten sie ihren Handel mit ganz Skandinavien und den Ländern Europas. Obwohl die einstige Wikingerhochburg später vollständig zerstört wurde, umschließt der halbkreisförmige Wall noch heute das ehemalige Stadtgebiet. Der Handel wurde hauptsächlich auf dem Seeweg abgewickelt, denn die Frachtschiffe waren ein ideales Beförderungsmittel für die kostbaren Waren.

Rund 300 Jahre lang, von 750–1050 n. Chr., dauerte das Zeitalter der Wikinger. In dieser relativ kurzen Zeit unternahmen sie unzählige Reisen – als Kaufleute, Plünderer oder Kolonisatoren. Grönland, Island, Amerika, England, Irland, Spanien, Portugal, Nordafrika, Italien, Byzanz und das Kaspische Meer waren Ziele ihrer Reiselust. Ihre schnellen, hochseetüchtigen Schiffe waren damals konkurrenzlos. Manchmal kamen die Angreifer mit einer ganzen Flotte, oft aber auch nur mit einem Schiff, und ehe sich Widerstand formieren konnte, waren sie schon wieder auf hoher See. Im Jahr 810 plünderten sie Friesland, 35 Jahre später fielen sie über Hamburg her und zu Ostern des selben Jahres eroberten sie Paris. Der Bericht eines französischen Mönchs aus dem Jahr 860 zeichnet ein Bild des Schreckens: »Der endlose Strom der Wikinger nimmt kein Ende. Überall fallen Christen Massakern, Bränden und Plünderungen zum Opfer. Die Wikinger erobern alles auf ihrem Weg. Niemand kommt gegen sie an. Sie haben Bordeaux, Perigeux, Limoges, Angoulème, und Toulouse erobert. Angers, Tours und Orléans sind zerstört. Eine gewaltige Flotte fährt flussaufwärts, das Böse verbreitet sich im ganzen Lande. Rouen liegt zerstört da, ist verwüstet, niedergebrannt. Paris, Beauvais und Meaux sind erobert, die starke Festung von Melun dem Erdboden gleichgemacht, Chartres besetzt, alle Städte belagert.«

Seit Beginn ihrer Eroberungsfahrten wurden die Wikinger in fernen Ländern sesshaft. In Frankreich besiedelten sie die Normandie, sie gründeten Dublin, und auch auf den menschenleeren Inseln Island und Grönland entstanden Wikingersiedlungen. Ihre Abenteuerlust führte sie sogar bis nach Nordamerika, wo sie zumindest zeitweise Ansiedlungen unterhielten. In ganz Nordeuropa haben sie unzählige Spuren hinterlassen. Kein Wunder, dass keine Epoche die Skandinavier mehr bewegt als die Zeit der wilden Rotbärte.

Viel Interessantes über die Wikinger ist in unterhaltsamer Form in dem Roman »Die Abenteuer des Röde Orm« (1941/45) von Frans Bengtsson nachzulesen. Wie so viele zieht Röde Orm um das Jahr 1000 durch die Welt, von England bis ans Schwarze Meer. Der Autor erzählt spannend von Überfällen, Handel, Festen und Königen (dtv Taschenbuch).

Die Anfänge des Christentums und des schwedischen Staates

Annähernd gleichzeitig mit den Wikingern erreichte das Christentum Schweden, und zwar mit dem Mönch Ansgar, der im 9. Jahrhundert aus dem Frankenreich kam. Doch die Christianisierung schritt nur langsam voran und noch bis weit ins 12. Jahrhundert hinein behaupteten sich Heidentum und alte nordische Götterlehre. Erst im Jahre 1164 erhielt Schweden einen eigenen Erzbischof. Die Expansion nach Osten während des 12. und 13. Jahrhunderts führte schließlich nach mehreren Kreuzzügen zur Angliederung Finnlands an das schwedische Reich.

Um das Jahr 1000 schlossen sich die früher selbstständigen Landschaften zusammen und die wichtigsten Ansiedlungen entstanden in Väster- und Östergötland sowie in den Mälarprovinzen mit Uppland als Zentrum. Ganz allmählich nahm ein vereinigtes schwedisches Reich Gestalt an, doch durch die großen Entfernungen und die spärliche Besiedlung waren die Grenzen noch nicht klar umrissen. Ab der Mitte des 12. Jahrhunderts tobte zwischen den Geschlechtern Sverkers und Eriks, die damals abwechselnd die Königsmacht innehatten, der Kampf um die weltliche Macht in diesem Reich. Zu dieser Zeit hatten die einzelnen Landschaften noch ein jeweils eigenes Thing (Gericht) und eigene Gesetze, denn erst in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts sollte der König für das ganze Reich gültige Gesetze durchsetzen. Im Jahr 1280 erließ Magnus Ladulås ein Dekret, das die Entstehung eines weltlichen Adelsstandes sowie die Organisation der Gesellschaft nach feudalem Muster ermöglichte. Der König bekam damals einen Rat aus Vertretern der Aristokratie und der Kirche zur Seite gestellt.

Image

Seit Ende des 8. Jahrhunderts versetzten die räuberischen Ausflüge der Wikinger Europa in Angst und Schrecken (Teppich von Bayeux, 11. Jh.)

Image

Einflussbereich der Hanse um 1400

Hanse und Kalmarer Union

Im 14. Jahrhundert florierte der Handel vor allem mit den deutschen Städten, die sich unter der Führung Lübecks in der Hanse zusammengeschlossen hatten. Während der folgenden 200 Jahre beherrschte sie den Handel in Schweden und gründete eine Vielzahl von Städten, bis schließlich die Pest, die das Land 1350 erreichte, wegen des starken Bevölkerungsrückgangs und der vielen verwaisten Höfe zu einer schweren wirtschaftlichen Krise führte. Erst als die Eisenhütten Mittelschwedens in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine immer größere Bedeutung für die Wirtschaft bekamen, erholte sich das Land allmählich.

Von 1389 bis 1521 waren alle skandinavischen Länder in der Kalmarer Union vereinigt. Schweden hatte sich Finnland einverleibt und wurde zusammen mit Norwegen und Dänemark u.a. von der dänischen Königin Margarethe regiert. Obwohl die nordischen Länder alle eine gemeinsame Sprach- und Kulturgrundlage besitzen, prägten zahlreiche Konflikte und Kämpfe zwischen königlicher Zentralmacht und Hochadel einerseits und aufständischen Bauern und Bürgern andererseits die Unionszeit. Diese Differenzen, die häufig ihre Ursache in den Bestrebungen zur nationalen Einheit Schwedens hatten, gipfelten schließlich im Stockholmer Blutbad von 1520. Auf dem zentralen Marktplatz der Altstadt ließ der dänische Unionskönig Christian II. rund 100 Männer köpfen, die zum Großteil dem schwedischen Adel angehörten. Dieses Massaker war letztendlich der Auslöser für den Aufstand, der ein Jahr später zur Absetzung des Königs führte. Die entscheidende Rolle spielte dabei der schwedische Adlige Gustav Eriksson, dessen Vater und einige weitere Mitglieder seiner Familie beim Stockholmer Blutbad ums Leben gekommen waren und der den Widerstand gegen den dänischen König organisierte. In Dalarna konnte er die Menschen zuerst von seinen Ideen überzeugen und zum Kampf motivieren. Der alljährliche Wasalauf von Sälen nach Mora erinnert noch heute an diese dramatischen Ereignisse.

Die Wasazeit

1523 waren die Dänen geschlagen und Gustav Eriksson wurde unter dem Namen Gustav I. Wasa zum König des befreiten Schweden gewählt. Seine Regierungszeit (1523–60) legte den Grundstein des schwedischen Nationalstaats. Die Kirche wurde nationalisiert und Schritt für Schritt protestantisch reformiert. Der Staat übernahm ihre Güter. Gleichzeitig wurde die Verwaltung nach deutschem Vorbild organisiert und die Macht auf den König konzentriert. Statt der bis dahin geltenden Wahlmonarchie, die der Aristokratie ermöglichte, bei jedem Thronwechsel ihren Einfluss geltend zu machen, wurde die Erbmonarchie durchgesetzt. Trotz der Versuche des Adels, die Macht des Reichsrates wiederherzustellen, festigten die nachfolgenden Könige ihre Stellung.

Image

Aus Gustav Eriksson wurde 1542 König Gustav I. Wasa

Anfang und Ende der Großmachtzeit

Außenpolitisch hatte Schweden seit dem Bruch der Union mit Dänemark und Norwegen darauf hingearbeitet, die Vorherrschaft im Ostseeraum zu erlangen. Aus diesem Machtstreben erwuchsen seit Mitte des 16. Jahrhunderts wiederholt Kriege mit Dänemark. Nachdem Schweden 1630 mit großem Erfolg auf Seiten der Protestanten in den Dreißigjährigen Krieg eingegriffen hatte und Gustav II. Adolf zu einem der führenden Monarchen in Europa geworden war, wurde Dänemark in zwei Kriegen besiegt. Dadurch fielen Skåne, Halland, Blekinge und Gotland, die früher zu Dänemark gehört hatten, an Schweden. Norwegen eroberte Bohuslän, Jämtland und Härjedalen. Da Schweden außerdem Finnland sowie eine Reihe von Provinzen auf dem Baltikum und in Norddeutschland besaß, war es nach dem Westfälischen Frieden von 1648 und dem Frieden von Roskilde 1658 zur führenden Großmacht im nördlichen Europa aufgestiegen.

Image

Das Kriegsschiff »Vasa« segelte wegen einer konstruktionsbedingten Schlagseite nur 1300 Meter bis es sank, 50 Seeleute kamen dabei um

Image

Stich einer Schlacht im »Großen Nordischen Krieg« 1705

Dem Agrarland Schweden fehlte jedoch die Wirtschaftskraft, um die Provinzen dauerhaft halten zu können, und so schrumpfte es nach den Niederlagen im Großen Nordischen Krieg (1700–21) gegen Dänemark, Polen und Russland weitgehend auf das Gebiet der heutigen Staaten Schweden und Finnland. Während der Napoleonischen Kriege musste es schließlich Finnland abgeben (an Russland) und auch die letzten Besitzungen in Norddeutschland – Vorpommern und Rügen – gingen verloren. Als Ersatz für diese Verluste gelang es dem 1810 von Karl XIII. adoptierten und zum Thronfolger gewählten Jean-Baptiste Bernadotte, dem späteren König Karl XIV. Johann, Norwegen 1814 zu einer Union zu zwingen. Trotz vieler innerer Konflikte hielt diese Verbindung bis 1905, als sie friedlich aufgelöst wurde.

Allianzfrei und neutral

Nach einer kurzen militärischen Auseinandersetzung mit Norwegen im Zusammenhang mit der Entstehung der Union 1814 hat Schweden bis heute fast 200 Jahre lang an keinem Krieg mehr teilgenommen. Seit dem Ersten Weltkrieg verfolgt das Land die außenpolitische Linie, im Frieden allianzfrei und im Krieg neutral zu bleiben. 1920 schloss es sich dem Völkerbund und 1946 den Vereinten Nationen an und hat sich mit diesen Organisationen an verschiedenen internationalen Aktionen zur Friedenssicherung beteiligt. Im Juli 1991 beantragte Schweden die Vollmitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft und trat nach einer Volksabstimmung im November 1994, bei der gut 52 Prozent der Bevölkerung mit Ja stimmten, am 1. Januar 1995 der Europäischen Union bei. Auch als EU-Mitglied hält Schweden an seiner militärischen Bündnisfreiheit fest. Am 1. Januar 1999 wurde der Euro als gemeinsame Währung in elf EU-Mitgliedstaaten eingeführt, doch etwa ein Jahr zuvor, im Dezember 1997, hatte das schwedische Parlament bereits eine Erklärung verabschiedet, wonach Schweden nicht von Anfang an den Euro einführen werde. Als Begründung wurde die mangelnde Unterstützung in der Bevölkerung angeführt.

Image

Auch das ist Schweden; Europäische Union: Ja! Den Euro irgendwann? Militärische Bündnisse: Nein!

2003 lehnten die Schweden in einer Volksabstimmung mit 56,2 zu 41,8 Prozent den Beitritt zur Europäischen Währungsunion ab. Wenige Tage vor dem Referendum wurde die schwedische Außenministerin Anna Lindh ermordet, was das Land in einen ähnlichen Schockzustand wie nach dem Mord an Ministerpräsident Olof Palme im Jahr 1986 versetzte. Anna Lindh galt als entschiedene Befürworterin des Euro, doch viele gehen davon aus, dass das Attentat keinen Einfluss auf den Ausgang des Volksentscheids hatte.

Laut Schwedens Beitrittsvertrag zur EU muss das Land den Euro einführen und hat demnach im Gegensatz zu Großbritannien und Dänemark keine Wahlmöglichkeit. Wann dies jedoch geschehen wird, ist ungewiss.

Image

Die Djurgårdsbron (Tiergartenbrücke) verbindet den Stadtteil Östermalm der schwedischen Hauptstadt mit der Insel Djurgården

Chronik Schwedens
Daten zur Landesgeschichte

Image

Gotländische Axtköpfe aus der Bronzezeit

10000 v. Chr.
Ende der Eiszeit, das Inlandeis zieht sich langsam zurück.

8000–4000 v. Chr.
Das Klima wird wärmer. Nomadisierende Jäger und Fischer der Altsteinzeit streifen durch das Land und dringen bis in den Norden vor.

2500 v. Chr.
Erste Spuren von Ackerbau und Viehzucht.

1800–500 v. Chr.
Die Bronze gelangt nach Skandinavien. Felsritzungen und Waffenfunde sind Spuren aus dieser Zeit.

600 v. Chr.–500 n. Chr.
Eisenzeit. Die Menschen im Norden erlernen die Eisenverhüttung. Zahlreiche Handelskontakte. Der Geschichtsschreiber Tacitus erwähnt 98 n. Chr. das Reich der Svear am Mälarsee.

750–1050
Wikingerzeit. Mit ihren schnellen Langschiffen treiben die Wikinger erfolgreich Handel bis nach Russland und Byzanz, verbreiten auf ihren Raubzügen aber auch Angst und Schrecken.

Image

Satellitenaufnahme der Erde: Der Pfeil deutet auf die Landmasse von Schweden

1164
Schweden wird Erzbistum und Uppsala Sitz des Erzbischofs.

1252
Birger Jarl gründet Stockholm.

1397
Beginn der Kalmarer Union. Die dänische Königin Margarethe I. herrscht über Schweden, Norwegen und Dänemark.

1520
Stockholmer Blutbad. König Christian II. von Dänemark lässt auf dem Stortorget fast hundert oppositionelle Adlige hinrichten.

1523
Schweden wird unter König Gustav I. Wasa, vormals Gustav Eriksson, wieder selbstständig.

1628
Das königliche Kriegsschiff »Vasa« sinkt auf der Jungfernfahrt im Stockholmer Hafen.

1630
König Gustav II. Adolf greift in den Dreißigjährigen Krieg ein und verhindert damit die Niederlage der Protestanten.

1658
Frieden von Roskilde. Schweden ist auf der Höhe der Macht und erhält von Dänemark die Provinzen Skåne und Bohuslän.

1700–18
Der Große Nordische Krieg unter Führung von König Karl XII.beendet die Vormachtstellung Schwedens. Der Feldzug gegen Russland endet mit einer vernichtenden Niederlage.

1718–72
Während der sogenannten Freiheitszeit schwindet der Einfluss des Königs, politisch gewinnt der Reichstag an Bedeutung.

1792
Gustav III. wird in der Stockholmer Oper ermordet.

1814
Ende der Napoleonischen Kriege. Schweden verliert Finnland, bekommt von Dänemark aber Norwegen zugesprochen.

1818
Der ehemalige Marschall Napoleons, Jean-Baptiste Bernadotte, wird vom Reichstag zum neuen König Karl XIV. Johann gewählt, da Karl XIII. ohne Thronfolger geblieben ist.

Image

Der ehemalige Marschall Napoleons Jean-Baptiste Bernadotte wird 1818 König von Schweden (Karl XIV. Johann)

1850–1930
Rund ein Viertel der Bevölkerung wandert nach Amerika aus.

1901
Der Nobelpreis wird erstmals verliehen.

1905
Die Union mit Norwegen wird friedlich aufgelöst.

1914–45
In beiden Weltkriegen bleibt Schweden neutral.

1969
Der Sozialdemokrat Olof Palme wird Ministerpräsident.

1973
König Carl XVI. Gustaf wird König.

1975
Durch die neue Verfassung wird die Macht des Königs beschnitten.

1979
In einer weiteren Verfassungsreform wird die weibliche Thronfolge eingeführt. Prinzessin Victoria ist nun Thronfolgerin.

1986
Olof Palme wird Opfer eines Attentats. Das Verbrechen wird nie zweifelsfrei aufgeklärt. Schweden leidet besonders stark unter der radioaktiven Wolke aus Tschernobyl.

1994
Während eines Sturms sinkt die Fähre »Estonia« in der Ostsee. 852 Passagiere ertrinken, darunter 551 Schweden.

1995
Schweden wird Mitglied der Europäischen Union.

2000
Eröffnung der Öresundbrücke zwischen Kopenhagen und Malmö.

Image

Die 7845 Meter lange Öresundbrücke verbindet Kopenhagen und Malmö

Image

Das Kronprinzenpaar Victoria und Daniel von Schweden nach ihrer Hochzeit (19. Juni 2010)

2001
Das Parlament stimmt mit großer Mehrheit gegen die Abschaffung der Monarchie.

2003
Die sozialdemokratische Außenministerin Anna Lindh wird Opfer eines Attentats.

2005
Der Tag der schwedischen Flagge am 6. Juni wird zum Nationalfeiertag, der nun auch arbeitsfrei ist.

2006
Im traditionell sozialdemokratisch regierten Schweden übernimmt eine Mitte-Rechts-Regierung unter dem konservativen Parteichef Fredrik Reinfeldt die Regierung. Reinfeldt kann die Macht bei den Wahlen 2010 verteidigen.

2011
Nach einer Reihe von Peinlichkeiten und Skandalen um König Carl Gustaf erreicht die Zustimmung seiner Untertanen einen Tiefpunkt: Nur noch 44 Prozent der Schweden möchten ihn als König behalten, 41 Prozent der Befragten würden einen Rücktritt zugunsten von Kronprinzessin Victoria begrüßen.

2012
Am 23. Februar bringt Kronprinzessin Victoria eine Tochter, Estelle Silvia Ewa Mary, Herzogin von Östergötland, zur Welt.

2013
Tagelange Unruhen und Straßenschlachten erschüttern vor allem den Stockholmer Vorort Husby, in dem überwiegend Menschen mit Migrationshintergrund leben. Auch Schweden hat ein Integrationsproblem.

2014