INHALT

Vorwort

Einleitung

Anmerkungen

I. ETHIK & GESCHICHTE

Was, wenn der Fahrcomputer sich verselbstständigt? Ethik, Philosophie und Geschichte des autonomen Fahrens

II. MOBILITÄT & VERÄNDERUNG

Wann werden wir autonom fahren? Drei Szenarien für den Übergang zum selbstfahrenden Auto

III. STADTENTWICKLUNG & VERKEHR

Können autonome Autos den Verkehrskollaps beseitigen? Grün- statt Fahrstreifen und die neue Lust an der Stadt

IV. SICHERHEIT & HAFTUNG

Was nehmen Maschinen wahr? Sicherheitskonzepte, Haftungsfragen, Datenschutz und Freigabeprozesse

V. AKZEPTANZ & AUSBLICK

Und wie finden Sie das autonome Fahren? Von der Umfrage über die Risikoabschätzung zur Markteinführung

VORWORT

Es ist keine Frage mehr des Ob, sondern des Wie: In nicht allzu ferner Zukunft werden autonome Fahrzeuge unsere Straßen bevölkern. Sämtliche Automobilkonzerne, und nicht nur sie, arbeiten intensiv an dieser Entwicklung. Bereits heute ermöglichen „smarte“ Assistenzsysteme das fahrerlose Einparken. Spurassistenten erleichtern die Fahrt auf der Autobahn oder im Stau. Sensoren und Kameras erfassen immer mehr Daten und tauschen sie in Echtzeit mit anderen Fahrzeugen und Leitzentralen aus. Fahren wird so immer sicherer – bis irgendwann der Fahrer selbst vom Fahrroboter ersetzt wird.

Das autonome Fahren ist nach der Erfindung des Automobils die wohl weitreichendste Revolution in der dynamischen Mobilitätsgeschichte des Menschen. Doch auf dem Weg dahin sind noch zahlreiche Fragen zu erörtern. Nicht nur technische, sondern vor allem gesellschaftliche, ethische und politische: Wie entscheidet der Computer in Konfliktsituationen? Was geschieht mit all den Daten, die von den Assistenzsystemen erhoben und gespeichert werden? Dürfen oder müssen wir Regeln aufstellen, die auch grenzüberschreitend gelten? Wer haftet, wenn der Fahrroboter doch mal einen Unfall verursacht oder zumindest daran beteiligt ist? Und schließlich: Wer programmiert diese Computer wie? Und was, wenn sie sich den Menschen als so überlegen erweisen, dass wir selbst womöglich als eine schwer hinnehmbare Gefahr am Steuer anzusehen wären?

Diese gesellschaftlichen Veränderungen sind ebenso bedeutend wie die technologischen. Wir müssen sie so umfassend und so früh wie möglich erkennen und analysieren, um das innovative Potenzial des autonomen Fahrens gefahrlos realisieren zu können.

Um die ethischen, sozialen, juristischen, psychologischen oder verkehrstechnischen Rahmenbedingungen dieses Prozesses auszuleuchten, hat die Daimler und Benz Stiftung Wissenschaftlern aus einschlägigen Fachgebieten ermöglicht, sich in einem Forschungsverbund des Themas anzunehmen. Über rund zwei Jahre haben mehr als dreißig Experten aus der ganzen Welt in einem Projekt gemeinsam den Stand und die Perspektiven des autonomen Fahrens systematisch ermittelt und ausgewertet. Im Frühjahr 2015 stellten sie ihre Ergebnisse in dem Forschungsbericht „Autonomes Fahren“ (Springer Vieweg, Heidelberg) vor.

Die Daimler und Benz Stiftung möchte diese Diskussion um die Mobilität der Zukunft zugleich fachlich fundiert wie sprachlich verständlich in die Öffentlichkeit tragen. Sie hat sich deshalb entschlossen, auf Grundlage des Fachbuchs einen weiteren Band für die breite Öffentlichkeit herauszubringen. Sein Ziel ist es, die wissenschaftliche Debatte in den bereits bestehenden Diskurs einzubringen und möglichst vielen Interessierten zugänglich zu machen.

Schon heute fahren Dutzende von autonomen Autos und auch Lastwagen im Testbetrieb auf europäischen und amerikanischen Straßen. Noch aber können sich jenseits eines doch recht engen Experten- und Entwicklerkreises nur wenige der potenziellen Nutzer vorstellen, was diese neue Technik für sie persönlich zu leisten vermag – und was eher nicht. Deshalb war es uns wichtig, neben den theoretischen Überlegungen der Experten anschaulich zu schildern, was auf unseren Straßen möglich ist.

In der weiteren Diskussion treten dabei drei Punkte besonders hervor: ethische Fragestellungen, die Leistungsfähigkeit der maschinellen Wahrnehmung sowie die Veränderungen in der Infrastruktur. Die ethische Debatte ist zweifellos grundlegend, denn ohne sie wird es keine autonome Mobilität geben können. Menschen müssen die Fahrroboter programmieren. Doch wie sie dies tun, das muss zuallererst in einer breiten, umfassenden und auch globalen Diskussion aller Stakeholder entschieden werden. Besonders schwierig sind dabei die so genannten Dilemma-Situationen: Wen schützt der Computer, wenn es zu unabwendbaren Kollisionen kommt? Und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Straßenverkehrsordnung beziehungsweise die Verkehrsgesetzgebung?

Viele offene Fragen stellen sich des Weiteren in Bezug auf die Leistungsfähigkeit der maschinellen Wahrnehmung. Welche Folgen wären zu erwarten, falls Sensoren, Kameras oder zusammengesetzte Komponenten im Laufe der Zeit an Leistungsfähigkeit einbüßen und weniger zuverlässig würden? Wie definieren wir also den sicheren Zustand einer autonomen Maschine in allen möglichen Situationen? Was muss ein Fahrroboter leisten können?

Wenn Autos irgendwann einmal ohne Menschen selbst fahren können, wird dies in viele Lebensbereiche des Alltags eingreifen. Und deshalb muss die Diskussion darüber heute beginnen und alle Betroffenen und Beteiligten miteinbeziehen.

Fahrcomputer können Älteren ermöglichen, länger mobil zu sein. Was aber, wenn das für Jüngere bedeutet, dass das Büro nun auch ins Auto verlagert wird? Ändern würde sich auch der Parksuchverkehr, er könnte sogar gänzlich verschwinden. Aber werden die Städte dann noch zersiedelter, wenn Staus verschwinden und wir bequem gefahren werden? Die Infrastrukturfragen sind grundsätzlicher Natur und sie werden unsere Innenstädte erheblich verändern und wohl auch die Vorstädte.

Mit dieser Publikation wollen wir im Sinne unseres Stiftungszwecks die notwendige Debatte anregen und bereichern. Es geht uns darum, einen gesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen. Mit dieser ersten umfassenden Darstellung der Chancen, aber auch der Herausforderungen des autonomen Fahrens möchten wir allen Interessierten aus der Politik und der Wirtschaft, den Medien und der Wissenschaft sowie der Öffentlichkeit einen Überblick über den Stand der Forschung geben. Dieses Buch soll dazu dienen, eine umfassende und zielführende Diskussion über sämtliche Aspekte des autonomen Fahrens zu führen. Denn es gilt, die Chancen der neuen Technologie zu nutzen – und sich dabei ihren Herausforderungen zu stellen. Nur so werden wir alle davon profitieren.

Prof. Dr. Eckard Minx

Vorsitzender des Vorstands

Prof. Dr. Rainer Dietrich

Mitglied des Vorstands

EINLEITUNG

Wer zur Consumer Electronics Show (CES) nach Las Vegas fährt, will normalerweise die neueste Konsumelektronik sehen. Doch im Januar 2015 waren nicht smarte Armbanduhren und sprechende Kühlschränke die Hauptattraktion, sondern selbstfahrende Autos: Audi ließ einen A7 eigenständig 900 Kilometer von der Stanford University in San Francisco auf die Bühne nach Las Vegas fahren. Mercedes-Benz präsentierte den eigens für die Ausstellung als Weltpremiere gebauten F 015 „Luxury in Motion“ mit Brennstoffzelle und Elektromotor. Das Auto ist vollkommen selbstständig: Es kann über Lichtsignale mit der Umgebung kommunizieren, schafft bis zu 200 Kilometer in der Stunde und lässt sich auch mit Gesten steuern. BMW zeigte ein i3-Modell, das autonom einparkte und sich über eine Smartwatch wieder an die Ausfahrt des Parkplatzes bestellen ließ.

Noch handelt es sich bei diesen Autos um Prototypen. Und doch gibt es keinen Autohersteller weltweit, der sich nicht mit Hochdruck um die Entwicklung selbstfahrender Autos kümmert. Hinzu kommen Branchenfremde wie das Internetunternehmen Google, dessen selbstfahrende Autos bereits 1,6 Millionen Kilometer1 auf US-amerikanischen Straßen hinter sich gebracht haben.

Schon wetteifern Städte, Regionen und Staaten um Pionierprojekte in Sachen autonomes Fahren. Im britischen Milton Keynes wurden Anfang 2015 selbstfahrende Shuttlebusse in Betrieb genommen, die Passagiere vom Bahnhof in die Innenstadt befördern. Im schwedischen Göteborg will Volvo ab 2017 hundert Autos im Rahmen seines „Drive Me“-Projektes verleasen, um Erfahrungen mit selbstfahrenden Autos zu sammeln.

Die Messegesellschaft in Dubai hat eine Studie in Auftrag gegeben, wie die Gäste der Expo 2020 dort möglichst weitgehend in selbstfahrenden Autos und Bussen transportiert werden können. Und in Deutschland hat Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) bekannt gegeben, dass ein Stück der Autobahn A9 für den selbstfahrenden Verkehr aufgerüstet werden und damit im wahrsten Sinne des Wortes zur „Datenautobahn“ (Dobrindt) werden soll.

Autonomes Fahren hat das Potenzial, unsere Mobilität grundlegend zu verändern. Gerade deshalb muss es in seinen Wirkungen frühzeitig in einer breiten Öffentlichkeit debattiert werden. Viele Fragen müssen geklärt werden.

Da sind zum einen die überragend wichtigen ethischen Fragen: Menschen entscheiden in Notfallsituationen in Zehntelsekunden oft richtig und manchmal leider auch falsch. Maschinen müssen dafür programmiert werden. Wen sollten sie beim drohenden Unfall schützen? Die Insassen? Die Menschen in der Umgebung? Was, wenn eine Entscheidung zwischen einem Kind und einem alten Menschen getroffen werden muss? Es gibt viele dieser Dilemma-Situationen, auf die die anstehende Ethik-Debatte Antworten finden muss.

Fragen der persönlichen Freiheit müssen diskutiert werden: Wie gehen wir mit den Daten um, die im Zuge der weiteren Technisierung des Autos in Hülle und Fülle produziert werden? Wie haften Versicherungen, was liegt in der Verantwortung der Hersteller? Wenn Fahrroboter nachweislich sicherer sind, dürfen Menschen dann überhaupt weiter ans Steuer gelassen werden?

Keineswegs trivial sind auch alle technischen Aspekte, zuvorderst die Leistungsfähigkeit der maschinellen Wahrnehmung. Selbstfahrende Autos sind mit Sensoren, Kameras und weiteren Geräten zur Datenerfassung und Datenverarbeitung ausgestattet. Doch wie alle Maschinen büßen auch diese Geräte im Laufe der Zeit an Leistungsfähigkeit ein. Was, wenn sie ausfallen? Natürlich müssen beim autonomen Auto Redundanzen eingebaut werden, die dann übernehmen. Dennoch bleiben Restunsicherheiten: Können Ausfälle rechtzeitig prognostiziert werden? Was überhaupt ist der „sichere“ Zustand einer Maschine?

Ein weites Debattenfeld öffnet sich auch mit der Frage, wie autonome Mobilität unser Fahrverhalten und im Zusammenspiel auch unsere Städte verändern wird. Unter welchen Bedingungen nutzen Menschen die selbstfahrenden Autos, wann fühlen sie sich darin sicher? Lässt sich das oft geäußerte Versprechen einlösen, dass die Kapazität von Straßen und Autobahnen durch Fahrroboter deutlich erhöht wird? Wenn Autos künftig selbst zu Parksilos fahren, kann der so gewonnene Parkraum neu genutzt werden, vielleicht sogar das städtische Umfeld beleben und attraktiver machen? Was bedeutet das alles für die Stadtentwicklung der nächsten Jahrzehnte?

Die Daimler und Benz Stiftung hat Wissenschaftler der verschiedensten Disziplinen gebeten, sich diesen Fragen zu stellen. In dem knapp zweijährigen Projekt „Autonomes Fahren – Villa Ladenburg“ ist so ein interdisziplinäres Wissensnetzwerk entstanden, das in dieser Breite und Tiefe seinesgleichen sucht. So war es möglich, alle Facetten des Themas umfassend zu beleuchten. Die Debattenbeiträge der Wissenschaftler wurden 2015 in einem Fachbuch veröffentlicht und sind Grundlage dieses Bandes. Sein Ziel ist es, als Standardwerk alle wichtigen Aspekte des autonomen Fahrens zu beleuchten, die entscheidenden Fragen zu stellen und zu den notwendigen Diskussionen anzuregen.

Dazu ist dieses Buch in fünf Kapitel gegliedert. Ethik, Philosophie und Geschichte des autonomen Fahrens finden sich im ersten Kapitel „Und was, wenn der Fahrcomputer sich verselbstständigt?“. Autonomes Fahren stellt die Menschheit vor elementare Fragen: Wie programmieren wir die Maschinen in Dilemma-Situationen? Natürlich müssen auch Menschen am Steuer diese Entscheidung in kritischen Situationen treffen. Sie war bislang und wird auch künftig jedoch immer situativ, mal richtig, mal falsch sein. Dem Computer werden wir diese Varianz nicht zugestehen. Somit beginnt mit der Debatte um „Autonomes Fahren“ auch eine ethische Diskussion über unsere Werte.

Anhand einer Reihe von Fallbeispielen und Gedankenexperimenten werden diese Fragen ebenso wie mögliche Lösungsansätze vorgestellt. Ein weiterer Aspekt der notwendigen Debatte wird mit der Geschichte des autonomen Fahrens präsentiert. Das Interesse an fahrerlosen Automobilen wird Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA unter anderem durch die hohen Unfallzahlen ausgelöst. Allein in den ersten vier Jahren nach dem Ersten Weltkrieg sind mehr US-Amerikaner bei Autounfällen getötet worden als zuvor im Kriegseinsatz in Frankreich. Technische Neuerungen wie der Autopilot im Flugzeug und die Fernsteuerung führten zum ersten fahrerlosen Mobil, das 1921 vorgestellt wurde. 1925 fuhr dann erstmals ein ferngesteuertes Auto namens „American Wonder“ über den Broadway in New York.

Sehr schnell nahm sich Hollywood des Themas an und produzierte eine Reihe von Filmen, die unsere Vorstellungen über autonomes Fahren über Jahrzehnte prägten: Das Spannungsfeld reichte von Disney-Komödien wie „Herbie, The Love Bug“ (1968), wo ein VW-Käfer als freundlicher, wenn auch eigensinniger Helfer des Menschen die Hauptrolle hat, bis zur Furcht einflößenden, Menschen gefährdenden Maschine, die der Regisseur Steven Spielberg in seinem allerersten Film „Duell“ (1972) geschaffen hat. Dabei handelt es sich um einen Tanklastwagen, der einen Handelsvertreter durch die Berge der kalifornischen Wüste jagt. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich die Darstellung autonomer Autos im Kino und Fernsehen noch heute.

Wie sich das autonome Fahren in der Wirklichkeit entwickeln könnte, ist Thema des zweiten Kapitels „Wann werden wir autonom fahren?“. Mithilfe von drei Szenarien werden verschiedene Entwicklungspfade vorgestellt: die Evolution der Fahrerassistenzsysteme durch die etablierte Automobilindustrie, die Revolution der Individualmobilität durch automobilfremde Technologiefirmen und das Zusammenwachsen der Individualmobilität mit der öffentlichen Personenbeförderung.

Es ist wichtig, diese unterschiedlichen Wege zum autonomen Fahren klar zu definieren und zu beschreiben. Denn je nach Szenario unterscheiden sich die Wege bis zum Endzustand autonomes Fahren erheblich. Das bezieht sich auf ihre Wirkung auf die etablierte Automobilindustrie, den Beschäftigungsgrad der Branche und die Auswirkungen auf die Stadtlandschaft, die im nächsten Kapitel beschrieben wird.

Stadtentwicklung, Infrastruktur und Verkehr sind der Inhalt des dritten Kapitels „Können autonome Autos den Verkehrskollaps beseitigen?“. Auch hier wird die Szenario-Technik genutzt, um verschiedene Entwicklungsvarianten zu beschreiben.

Da ist zum einen die regenerative und intelligente Stadt, deren Bewohner nachhaltigen Konsum und verantwortlichen Umgang mit Ressourcen wünschen statt wie früher einen ständigen Zuwachs an ökonomischem Wohlstand. Energie wird dezentral und ökologisch korrekt erzeugt, Mobilität über intelligente Steuerungsmechanismen multimodal ermöglicht.

Alles ist vernetzt, technische Systeme werden für die Steuerung akzeptiert. Vollautonomes Fahren ist in diesem Szenario hoch erwünscht, weil die Autos so von der Straße in Parksilos verschwinden können und städtischen Raum freigeben.

In der hypermobilen Stadt ist der Entwicklungspfad noch stärker darauf ausgerichtet, den kompletten Verkehr zu vernetzen und zu automatisieren. Hier geht es vor allem darum, dass die Nutzer in jeder Situation online sein können, also auch im Auto und in allen anderen Verkehrsmitteln. Das Netzwerk kalkuliert für jeden die optimale Route, Massentaxis ersetzen Busse und bringen die Nutzer zum nächsten Transportmittel für weitere Wege, also beispielsweise zum Zug oder zum Flugzeug.

Umfassende Vernetzung und Optimierung kennzeichnen dieses Szenario, Umweltgesichtspunkte sind nachrangig. Dafür werden Fragen der Datensicherheit bedeutender. Neben stark verdichteten Städten wird auch das Wohnen im Umland wieder attraktiver, weil Pendeln in autonomen Fahrzeugen und optimierten teil- oder vollautomatisierten Transportsystemen wie Massentaxis angenehmer wird.

Als drittes Szenario entsteht die „endlose Stadt“, im Prinzip eine Weiterführung der Zersiedelung im Umfeld vieler globaler Megacitys. Hier setzt sich die oben beschriebene Steuerungstechnik nur teilweise oder nur sehr langsam durch, auch bleibt die Verhaltensänderung im Szenario der regenerativen und/oder intelligenten Stadt aus.

Eine der Grundannahmen von autonomem Fahren ist, dass sich die Kapazität der Straßen dadurch erhöht: Im städtischen Verkehr könnte beispielsweise der Park-Such-Verkehr entfallen, wenn selbstfahrende Autos ihre Nutzer einfach abholen, wieder absetzen und dann entweder den nächsten Nutzer transportieren oder sich selbst zu Parksilos bewegen. Auch Ampelsituationen verändern sich durch autonomes Fahren. Im Fernverkehr hingegen könnten selbstfahrende Autos und Lastkraftwagen zum einen in engeren Abständen fahren, zum anderen mit Staus anders umgehen.

Wie stark vollautomatisierte Systeme das heutige Verkehrsaufkommen in den Innenstädten reduzieren könnten, zeigen Simulationen. So könnte der Bestand an privaten Pkw in Singapur auf ein Drittel reduziert werden, wenn sie vollautomatisch fahren würden – ohne dass die Nutzer in ihrer Mobilität in irgendeiner Form eingeschränkt werden würden. In New York City könnte die Taxiflotte auf 70 Prozent reduziert werden, ebenfalls ohne Komforteinbußen.

Diese Ergebnisse sind auch deshalb so interessant, weil die Megacitys dieser Welt in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weiter sehr stark wachsen werden. Bis zum Jahr 2030 werden wohl 60 Prozent der Menschheit in Städten leben. Schon heute stehen sie dort Millionen von Stunden im Stau, der komplette Verkehrskollaps ist absehbar.

Für die USA gibt es dazu konkrete Zahlen: Staus beraubten die Menschen um 5,5 Milliarden Stunden Lebenszeit und reduzierten das Bruttosozialprodukt der USA um immerhin ein Prozent. Bis zum Jahr 2020 wird erwartet, dass sich beide Werte verdoppeln.

Der Einsatz von selbstfahrenden Autos in unseren Städten würde voraussichtlich auch die Fahrzeugtypen verändern. Neben vielen technischen Fragen, die noch gelöst werden müssen, sind Probleme mit Sicherheit, Datenschutz, Haftung und Freigabeprozessen des autonomen Fahrens zentral. Sie sind das Thema von Kapitel IV „Was nehmen Maschinen wahr?“.

Die maschinelle Wahrnehmung erfolgt über die im Auto verbauten Sensoren wie Kameras und Radarsensoren im Zusammenspiel mit digitalen Karten und anderen in Echtzeit verfügbaren Informationen, beispielsweise über die Kommunikation zwischen Maschinen. Die Wissenschaftler sprechen dabei von einer „Sensordatenfusion“. Doch wäh rend Menschen sehr schnell und fehlerfrei visuellen Wahrnehmungen auch semantische Bedeutung zuordnen können, ist dies für die maschinelle Wahrnehmung nach dem heutigen Stand der Technik noch eine vergleichsweise schwierige Aufgabe.

Viele ungelöste Fragen bietet auch die Datenschutzdebatte, die vor allem für den Übergang zum vollautonomen Fahren besonders wichtig ist. Wenn einmal komplett selbstfahrende Autos im Einsatz sind, sind die Persönlichkeitsmerkmale der damit transportierten Menschen eigentlich irrelevant.

Natürlich aber ist diese Übergangszeit eher in Jahrzehnten als Jahren zu messen und so stellt sich die Datenschutz-Diskussion in voller Schärfe. Welche Daten also werden gesammelt, an wen werden sie wie weitergegeben?

Aus Sicht vieler Experten ist es absolut grundlegend, dass alle Beteiligten den Datenschutz ernst nehmen. Sie sehen darin ein potenzielles Alleinstellungsmerkmal für die etablierte Autoindustrie und vor allem für Premium-Hersteller und -Marken: Sie sollten nicht einfach dem Trend der Internetunternehmen folgen und Informationen überallhin fließen lassen, bis man vom Regulator oder empörten Kunden gestoppt wird.

Das gilt auch für Haftungsfragen und bedeutet vor allem eine breite öffentliche Diskussion vor Einführung der Systeme. Denn die für europäische Verhältnisse großen Entschädigungssummen im US-System sind oft auch dem Eindruck von Richtern oder Jurys geschuldet, dass sich Hersteller aus Kostengründen vor umfassenden Sicherheitsmaßnahmen drücken oder nach entstandenem Schaden diesen herunterzuspielen versuchen, statt offensiv nach den Gründen zu suchen.

Weil die Technik des autonomen Fahrens ganz neu ist, ist diese proaktive Vorgehensweise noch wichtiger. Das zeigt auch die Debatte über „Akzeptanz, Risikolandschaften, Markteinführung und Zusammenfassung“ in Kapitel V: „Und wie finden Sie das autonome Fahren?“.

Kommentare auf Webseiten zeigen, dass die Deutschen keineswegs technikfeindlich sind, wie ihnen oft unterstellt wird. Aber es zeigt sich auch eine Ambivalenz gegenüber selbstfahrenden Autos, die ernst genommen werden muss. Dazu stellen Wissenschaftler Risikokonstellationen zusammen, die den Weg zum autonomen Fahren erschweren. Sie reichen von den Unfallszenarien über Störungen am Verkehrssystem beispielsweise durch Hackerangriffe, unzureichende Investitionen, Umbrüche am Arbeitsmarkt durch wegfallende Jobs bis hin zu Fragen der Zugangsgerechtigkeit, Privatheit und Abhängigkeit von technischen Systemen.

Eine Bewertung dieser unterschiedlichen Risiken zeigt, dass Menschen dann bereit sind, sie einzugehen, wenn der Nutzen erkennbar groß ist. Die Dimension des individuellen Nutzens ist also zentral in der zu führenden Debatte.

Rita Cyganski vom Institut für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt hat dazu eine repräsentative Online-Befragung ausgewertet, bei der im Juni 2014 tausend Privatpersonen zu ihrem Nutzungsverhalten in Sachen Mobilität befragt wurden.2 Im Gegensatz zu einer Vielzahl anderer Befragungen wurde hier erstmals spezifisch nach vier Nutzungsmöglichkeiten des autonomen Fahrens gefragt: dem Autobahnpiloten, dem Valet-Parken, dem vollautomatisierten Fahrzeug und dem Vehicle-on-Demand.

Das erwies sich als sehr wichtig, da unterschiedliche Nutzergruppen unterschiedliche Nutzungsideen für das autonome Fahren hatten. Wie viele ihrer Kollegen rät Cyganski deshalb dringend dazu, bei künftigen Studien auf diese unterschiedlichen Nutzergruppen einzugehen.

So konnten sich etwas über 40 Prozent der Befragten grundsätzlich vorstellen, ihr bisheriges bevorzugtes Verkehrsmittel durch ein autonomes Fahrzeug zu ersetzen. Als sie dann aber zu den vier vorgestellten Einsatzmöglichkeiten befragt wurden, nahm diese Bereitschaft in allen Fällen wieder ab.

Am unbeliebtesten war dabei das Vehicle-on-Demand, also ein Fahrzeug, das nicht mehr im Eigenbesitz ist, sondern individuell angefordert werden kann. Im Prinzip ermögliche es die „individuelle, unabhängige Mobilität auch für Personen ohne Führerschein und eigenen Pkw: Kinder, Alte, Mobilitätseingeschränkte, sensorisch Beeinträchtigte“, schreibt Cyganski. Damit ist diese Form des autonomen Fahrens eigentlich die mit dem größten Nutzerversprechen – doch es ist auch die, die noch am weitesten in der Zukunft liegt. Möglicherweise sprengt sie einfach die Vorstellungskraft vieler Befragter.

Am besten schnitt das autonome Fahrzeug mit Autobahnpilot ab: Hier können die Menschen die Fahraufgabe auf langen Überlandstrecken abgeben. Dies ist zum einen vorstellbar, zum anderen ist der Nutzen offensichtlich. Beim Valet-Parken, also einem selbstständig einparkenden Auto, gilt das ebenso: Hier steigt der Fahrer am Zielort aus, das Auto sucht sich dann selbst einen Parkplatz. Insbesondere im städtischen Kontext und bei Transportaufgaben können sich die Befragten die Nutzung vorstellen.

Um die Nutzerwünsche noch besser identifizieren zu können, wurden die Studienteilnehmer danach befragt, was sie heute im Auto und im öffentlichen Verkehr vor allem tun – und was für sie den besonderen Vorteil eines vollautomatisierten Fahrzeugs darstellen würde. Denn die „Möglichkeit, während der Fahrt einer anderen Betätigung nachgehen zu können, zählt zu den hauptsächlichen Eigenschaften des automatisierten Fahrens aus Nutzungssicht“, wie Cyganski argumentiert.

Fast alle der befragten Nutzer der öffentlichen Verkehrsmittel schauen sich die Landschaft an, unterhalten sich, hören Musik oder lesen. Nur zwischen sechs und acht Prozent arbeiten „häufig oder immer“. Hier zeigen sich ganz deutliche Unterschiede bei den Nutzergruppen: Je mehr jemand verdient, desto stärker seine oder ihre Neigung, im Zug oder Bus zu arbeiten.

Dementsprechend ist die Anzahl derer, die autonomes Fahren dafür schätzen, künftig im Auto arbeiten zu können, relativ gering. Nur ein Viertel nennt das als Vorteil des autonomen Fahrens. Fast 70 Prozent sagen, der besondere Vorteil sei der Genuss der Landschaft, etwas über 60 Prozent, dass sie sich während der Fahrt mit anderen Insassen unterhalten könnten.

Neue Aktivitäten wie Filme sehen, entspannen und schlafen oder seine Kontakte über das Internet zu pflegen, werden ebenfalls nur in eher geringem Umfang als Vorteile des autonomen Fahrens gesehen.

Es gilt also, sowohl die unterschiedlichen Ausprägungen des autonomen Fahrens als auch die unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten für unterschiedliche Gruppen künftig stärker in den Fokus zu rücken.

 

Umfrage: Was bringt mir persönlich der Fahrroboter?

Antwort: Der besondere Vorteil eines vollautomatisierten Fahrzeugs ist, dass ich während der Fahrt …

Von Seiten der Industrie kommt ein weiteres Argument hinzu: Autonomes Fahren wird als deutlich sicherer eingestuft. „Derzeit sind etwa 90 Prozent aller Verkehrsunfälle durch menschliches Fehlverhalten bestimmt, nur zehn Prozent durch technische Fehler“, zitiert die „Automobilwoche“ Allianz-Vorstand Alexander Vollert3. Chris Urmson4, der die Entwicklung der autonomen Fahrzeuge beim Internetkonzern Google leitet, sagte kürzlich, dass noch immer weltweit 1,2 Millionen Menschen pro Jahr bei Verkehrsunfällen sterben. Allein in den USA seien es 33.000 (zum Vergleich in Deutschland: rund 3.000). Das sei so, als wenn eine Boeing 737 „jeden Arbeitstag vom Himmel stürzt“.

Auch für den Zeitgewinn, der durch autonomes Fahren möglich wird, hat Urmson drastische Vergleiche parat: Weltweit würden die Menschen pro Tag sechs Milliarden Minuten mit Pendeln zubringen. Wenn man das durch ihre persönliche Lebenserwartung teilen würde, zeige sich, „dass jeden Tag 162 Menschenleben nur damit vergeudet werden, von A nach B zu kommen“.

Als stärkstes Motiv für das autonome Fahren nennt der Roboterexperte aber ein persönliches: In Amerika ist Fahren ab 16 erlaubt und sein Sohn sei jetzt elfeinhalb Jahre alt. In viereinhalb Jahren könne er also den Führerschein machen: „Mein Team und ich sind wildentschlossen, alles dafür zu tun, dass das nicht passieren wird.“

Tatsächlich hat Google im Frühsommer 2015 angekündigt, hundert selbstfahrende Autos für einen Großversuch zu bauen. Der Elektroauto-Pionier Tesla will seine Autos nach und nach mit immer mehr Assistenzsystemen für autonomes Fahren ausstatten. Welt Online5 zitiert dazu den Continental-Manager Ralf Lenninger: „Automatisiertes Fahren steckt zwar noch in den Kinderschuhen, wird jedoch unserer Einschätzung nach sehr zügig den Weg in die Serie finden.“

Auch die großen Automobilkonzerne arbeiten allesamt mit Hochdruck an der Entwicklung. Zwar unterscheiden sie sich in ihren Zeitschätzungen für die Einführung des autonomen Fahrens, doch an der Einführung selbst zweifelt keiner. Für die Fragen, die bis dahin noch zu lösen sind, soll der vorliegende Band ein zentraler Wegbegleiter sein.