Redaktion: Karen Guckes-Kühl, Ulrich Pramann

Umschlaggestaltung: Georg Feigl

Umschlagfoto vorne: Markus Tedeskino

Fotografie: Sammy Minkoff, weitere siehe Bildnachweis

Layout: Eva Pramann, Georg Feigl

Herstellung: Karin Kotzur, Peter Karg-Cordes

Lithografie: Jan Russok

Druck und Bindung:

Mohn Media Mohndruck GmbH, Gütersloh

eBook Produktion: rombach digitale manufaktur, Freiburg i. Br.

© ZS Verlag Zabert Sandmann GmbH

1. Auflage 2013

ISBN 978-3-89883-392-9

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung durch Film, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Bildträger, Bild-/Tonträger sowie Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

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Inhalt

Vorworte Sven Hannawald, Ulrich Pramann

Zwischen Himmel und Hölle

Der »allseitige Normerfüller«

Regina Hannawald über den Charakter ihres Sohns Sven

Eine ehemalige Vereinskameradin über Sven

Der erste Trainer über Sven

Meine Jahre in der »Kaderschmiede«

KJS-Trainer Uwe Schuricht über Sven

Trainingsdokumente aus der KJS

Andreas Hannawald über seinen Sohn

Als Ossi im Westen

Trainer Wolfgang Steiert über die Stärken von Sven Hannawald

Die Entwicklung des Sprungstils

Der Preis des Erfolgs

Unter Strom: zweimal im Jahr zur Leistungsdiagnose

Diskussionsstoff Gewichtsmanagement

Mein Durchbruch in die Weltspitze

Teamkollege Martin Schmitt über Sven

Hannimania

Bundestrainer Reinhard Heß über seinen Star

»Sportler des Jahres« 2002

Der Absturz

Burn-out

Interview mit der Psychotherapeutin Nora Maasberg

Zurück im Leben

Meine Regeln: Was ich über Burn-out gelernt habe und für mein Leben beachten werde

Die Geschichte des Skispringens

Weiterführende Literatur

Die Autoren

Bildnachweis

Vorworte Sven Hannawald, Ulrich Pramann

Liebe Leserin, lieber Leser,

»Svenomenal«, »Hannawald, der Überflieger«, »Flüge in die Unsterblichkeit«, »Sven Hannawald Superstar« – mit solchen Schlagzeilen wurde ich nach meinem Vierfachtriumph bei der Vierschanzentournee 2001/2002 gefeiert. Danach stürmte unglaublich viel auf mich ein. Unter anderem gab es auch mehrere Buchangebote. Damals lehnte ich dankend ab. Was hätte ich schon groß erzählen sollen, wenn das Buch mit den Siegen bei der Vierschanzentournee endet? Wie ich zur Skispringer-Legende wurde? Der Stoff erschien mir damals zu dünn und war durch die Presse ja ohnehin bekannt.

Auch vor fünf Jahren wäre dieses Buch, das Sie jetzt in den Händen halten, noch nicht reif gewesen. Damals hätte es mit meinem Burn-out geendet. Denn der Preis für meine Erfolge war sehr, sehr hoch. Ich musste meinen Totaleinsatz als Leistungssportler teuer bezahlen. Die unglaublich hohen Erwartungen, die auf mir lasteten, haben mich überfordert. Es war ein schleichender, gefährlicher Prozess, bei dem die Psyche schließlich meinen Körper stilllegte. Ich landete im Nirgendwo – sportlich und privat. Aber mit meinem trostlosen Absturz sollte das Buch auch nicht enden.

Jetzt stehe ich wieder auf festem Fundament. Ich habe mein Burn-out überwunden. Und auch das war ein langer, mühseliger Prozess. Mit der Hilfe einer Therapeutin habe ich es geschafft, mich von meiner Erkrankung zu befreien – und ich habe daraus fürs Leben gelernt. Vielleicht kann mein Beispiel jenen Menschen ein wenig Mut machen, die in ähnlicher Bedrängnis waren oder befürchten müssen, in ein Burn-out zu geraten. Deswegen sehe ich jetzt den richtigen Zeitpunkt für dieses Buch, das ich zusammen mit meinem Coautor Ulrich Pramann geschrieben habe.

Ich glaube daran, dass uns das Leben in wichtigen Momenten die »richtigen« Menschen schickt. Menschen, die es gut mit dir meinen. Menschen, die besondere Fähigkeiten haben. Menschen, die uns weiterbringen. Ich bin meinem Verleger Friedrich-Karl Sandmann begegnet, der mir als Coautor den Journalisten Ulrich Pramann vorgeschlagen hat – für mich ein Glücksfall.

Wenn ein Buch wie dieses gelingen soll, muss die Chemie zwischen dem, der sein Leben erzählt, und dem Coautor, der dieses Leben zu einem authentischen und spannenden Buch verdichten soll, natürlich stimmen. Uli und ich haben uns in den letzten Monaten sehr häufig getroffen, und ich habe ihn und seine herausragenden Qualitäten als sensiblen Interviewer und Autor schätzen gelernt. Ich konnte ihm voll vertrauen, als wir auf den Spuren meines Lebens reisten.

Es waren spannende und sehr bewegende Recherchereisen, die manche Gefühle, die ich längst verschollen glaubte, neu in mir weckten. Es kamen Kindheitserinnerungen hoch, schöne und auch traurige, die ich jahrelang wohl verdrängt oder auch vergessen hatte. Und deswegen bin ich sehr dankbar dafür, wie dieses Buch entstanden ist. Es gab ein paar wichtige Fragen, die in meinem Leben noch offen waren. Die Antworten darauf habe ich für mich gefunden, während dieses Buch entstanden ist.

Wir sind tief in meine Vergangenheit eingetaucht. Uli und ich waren in Johanngeorgenstadt im Erzgebirge, wo ich aufgewachsen bin. Dort besuchten wir meinen ersten Trainer, den ich fast 20 Jahre nicht mehr gesehen hatte. In Klingenthal standen wir vor der ehemaligen »Kinder- und Jugendsportschule«, jener Kaderschmiede des DDR-Sports, in die ich als zwölfjähriges Talent einrückte, und trafen einen meiner alten Trainer. Und im Schwarzwald gab es ein Wiedersehen mit meinem alten Freund Martin Schmitt und meinem Heimtrainer Wolfi Steiert, der später Bundestrainer wurde, meinen Absturz hilflos miterlebte und sich herzlich freute, dass ich jetzt eine sichere Landung im Leben geschafft habe.

Dies habe ich vor allem auch meiner Therapeutin Nora Maasberg zu verdanken. Jetzt, neun Jahre nach meinem Burn-out, erklärt und erhellt sie in einem langen Interview mit Uli die Geschichte meines Burn-outs und den komplizierten Prozess der Genesung.

Als dieses Buch fast fertig war, schickte uns Nora noch ein paar wertvolle Gedanken, die ich dem Leser hier gerne vorstelle. Nora schreibt: »Ich habe mir immer wieder vorgestellt, wie es für einen Skispringer sein muss, sich in die Tiefe zu stürzen. Wird die Luft ihn freundlich tragen? Macht er einen lächerlichen Sprung, wird er zerschmettert? Auf jeden Fall gehört dazu sehr viel Mut. Als Sven am Anfang der Behandlung vor mir saß, schien von seiner Courage alles aufgebraucht. Um seine Ängste und Un-sicherheiten kennenzulernen, benötigte er eine neue Sorte Mut.

Sven war anfangs ja verständlicherweise beschämt über seinen ›Fall‹. Er wollte sich mit seinen Schwierigkeiten nicht selbstmitleidig erhöhen oder gar seinen Ruhm fördern. Am liebsten wäre er eine Weile auf einer Insel verschwunden und wäre danach als strahlender Held zurückgekehrt.

Es ist Teil seiner Geschichte, dass er anderen zuliebe so tat, als wäre alles beim Alten – wie ein schlechter Schauspieler. Er nahm wahr, dass er dann ganz den Kontakt zu sich verlor. Und so war dieses allmähliche Annehmen seiner Krise und das öffentliche Dazustehen ein sehr mutiger Schritt, er machte sich dadurch verletzlich. Diese Verletzlichkeit authentisch zu zeigen und zu erleben, dass menschliche Anteilnahme, ja neues, tieferes Interesse aufkommt, das ist heilsam. So konnte Sven ein gesünderes Selbstvertrauen entwickeln und die Sinnhaftigkeit seiner Krise erkennen.

Es geht ja vielen Menschen ähnlich, und sein Beispiel könnte anderen helfen.«

Genau deshalb haben wir dieses Buch geschrieben.

Herzlichst, Sven Hannawald

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Ich bin sehr dankbar dafür, dass und wie dieses Buch entstanden ist. Bei den Recherchen habe ich für mich viele Antworten auf bislang offene Fragen gefunden.

Liebe Leserin, lieber Leser,

tief in das Leben eines anderen eintauchen zu dürfen und die Zeit zu bekommen, diesen Menschen wirklich kennenzulernen – dafür ist jeder Autor dankbar. Besonders natürlich, wenn es um einen so außergewöhnlichen Sportler geht, dessen Leben scheinbar allgemein bekannt ist.

Die menschlichen Dramen von Sieg und Niederlage werden im Sport häufig noch deutlicher als im richtigen Leben, weil wir glauben, dass uns die Spielregeln und die Sportler vertraut sind.

Die Eckdaten von Sven Hannawalds Sportlerleben, seine grandiosen Erfolge und das Schicksal seines Burn-outs kannte ich natürlich schon. Eine bewegende Geschichte. Gerade zeigte aber eine Studie der Deutschen Sporthochschule Köln (von der Stiftung Deutsche Sporthilfe in Auftrag gegeben), dass nicht nur er, sondern über 40 Prozent der deutschen Kader-Athleten für ihren Sport »bewusst gesundheitliche Risiken« in Kauf nehmen. Fast jeder Sechste hat Existenzängste. 11 Prozent leiden unter dem Burn-out-Syndrom.

Sven machte sein Burn-out als einer der wenigen öffentlich. Warum konnte er dem Druck am Ende nicht mehr standhalten? Wie erlebte er, ein typisches Kind des perfekt durchorganisierten Sportsystems der DDR, seinen Alltag? Was macht seine Sportart Skispringen so unglaublich fordernd? Heikle Themen. Sven, als Typ ohnehin sympathisch und zuverlässig, tat alles dafür, dass die Arbeit an diesem eher ernsten Buch eine Freude war.

Und ich glaube, am Ende ist dieses Buch doch noch die Geschichte eines ziemlich glücklichen Menschen geworden.

Viel Lesespaß wünscht Ihnen

Ulrich Pramann


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Am Ende ist dieses Buch doch noch die Geschichte eines ziemlich glücklichen Menschen geworden.

Zwischen Himmel und Hölle

Magische Momente und bleierne Zeit:

wie ich den größten Triumph meines Lebens erlebte und in welchem Zustand ich mich 841 Tage später wiederfand – ganz unten

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Der Augenblick der Befreiung. Ich jubele, weil die große Anspannung rausmuss und weil ich weiß, dass auch dieser letzte Sprung richtig gut war. Aber was ich gerade geschafft hatte – einen Erfolg für die Ewigkeit –, das war mir noch gar nicht bewusst.

In diesem Moment schauten Millionen auf mich. Wie ich mich da oben auf den Anlaufbalken setzte, in meinem silbernen Sprunganzug. Ich, die Startnummer 50. Wie ich sichtlich nervös hin und her rutschte, vor diesem letzten Sprung im Wettbewerb: die Vierschanzentournee 2001/2002. Die Entscheidung. Alle warteten auf diesen finalen Sprung. Meinen. Mit dem könnte ich der Meister meines Sports werden.

Es war ein sonniger, aber kalter Sonntagnachmittag im Tennengebirge, ein Bilderbuchjanuartag in der kleinen Gemeinde Bischofshofen im Salzburger Land. Mit 0,8 Metern pro Sekunde wehte nur ein ganz minimaler Rückenwind in die Arena. Also perfekte Bedingungen. Es ging um entscheidende 12 Sekunden.

Sekunden für die Ewigkeit?

Allein in Deutschland saßen 14,89 Millionen Menschen vor dem Fernseher. Als ich mich da oben vom Balken abstieß, um auf 91,9 Kilometer pro Stunde zu beschleunigen, war es genau 15 Uhr 56 und 25 Sekunden, und der RTL-Kommentator Tom Bartels sagte mit einer Stimme, die das Dramatische der Situation bestens transportierte: »Jetzt die Befreiung. Auf gehtʹs, Sven Hannawald. Er kann den Jubel hören.«

Aber in diesem Moment hörte ich keinen Jubel von den Zuschauern. Ich hörte nur mein Herz pochen. Sonst nichts. Ich sah die Anlaufspur vor mir, sonst nichts. Ich war jetzt in einem Tunnel.

Momente für die Ewigkeit

In diesem Moment schwenkten Tausende ihre Fahnen an der Paul-Ausserleitner-Schanze, die nach einem einheimischen Skispringer benannt ist, der hier vor genau 50 Jahren beim Training schwer stürzte und nach vier Tagen seinen Verletzungen erlag. An diesem Dreikönigstag tröteten die Zuschauer ausgelassen, sie schrien begeistert meinen Namen, sie produzierten unglaublichen Lärm. Unter ihnen auch meine Eltern und meine Schwester Jeannette. Gleich würden sie wieder diese Holzrassel Marke Eigenbau bedienen, in die Papa die Eckdaten meiner größten Erfolge geritzt hatte.

Aber auch meine Familie war jetzt weit weg. In diesem Moment nahm ich wie durch Watte wahr, was sich um mich herum abspielte. Ich befand mich in einem Tunnel.

In diesem Moment dachte ich – an gar nichts.

»Hanni – ziiiiieeeeehhhhh«

In diesem Moment hatte Wolfi Steiert einen gefühlten Puls von 200 und schaute gebannt zu mir auf den Anlaufturm. Ebenso wie Reinhard Heß, unser Bundestrainer. Der hielt seine kleine Fahne in den Deutschlandfarben in der rechten Hand, um mich gleich abzuwinken. Servicemann Peter Lange, der sich um meine Skier gekümmert hatte, schlug die Hände vors Gesicht. Er war zu aufgeregt, konnte einfach nicht auf den Monitor schauen. Er drückte sein Funkgerät fest vors Ohr.

In diesem Moment schaute auch Rosi Kenzler zu mir hoch. Meine Ersatzmama. Aus Hinterzarten im Schwarzwald war sie angereist, zusammen mit einer ganzen Busladung, darunter auch eine Musikkapelle. Und sie würde gleich wieder meine »Luftfahrt« mit einem leidenschaftlichen »Hanni – ziiiiieeeeehhhhh« unterstützen.

In diesem Moment saß in Johanngeorgenstadt im Erzgebirge auch Erich Hilbig vor dem Fernseher, um seinen »jungen Hüpfer«, dem er das Springen beigebracht hatte, zu sehen.

Und Nora Maasberg drückte mir in Untermaiselstein im Allgäu die Daumen. Sie konnte in diesem Moment ebenso wenig wie ich ahnen, dass ich 841 Tage später vor ihr sitzen würde. Als Patient. Für eine Anamnese. Also um über mich einen psychopathologischen Befund zu erstellen.

In diesem Moment fühlte ich – gar nichts.

Dieser Moment, dieser alles entscheidende Moment – wie hätte er sich anfühlen sollen? Es gibt ja große Momente im Sport, die bleiben. Etwa der mit Helmut Rahn im WM-Finale. Als er an einem regennassen Julitag 1954 im Berner Wankdorfstadion in der 85. Spielminute den Ball von Hans Schäfer vor die Füße gespielt bekam, während er 17 Meter vor dem ungarischen Tor lauerte. Es stand noch 2 : 2 für die Underdogs aus Deutschland – bis dahin ein erstaunliches Resultat. Rahn nahm den Ball an, lief mit ihm zwei Schritt nach links, lief und zog dann ab. Eine Sekunde später, als Schütze des dritten Tores, war er unsterblich geworden.

Ich weiß nicht, was Rahn damals vor seinem alles entscheidenden Torschuss durch den Kopf ging. Ich dachte jetzt an gar nichts. Auch in den Tagen davor sperrte ich alle Gedanken aus, von der viele in meiner Umgebung elektrisiert schienen: Da würde ein Skispringer für einen großen, für einen sporthistorischen Moment sorgen können. Und dieser Athlet war ich. Aber ich fühlte die Größe der Chance, Sportgeschichte zu schreiben, nicht.

Ich fühlte – gar nichts.

»Physisch ist Hannawald eigentlich nichts Besonderes, aber er hat eine brillante Sprungtechnik.« So schrieb die finnische Zeitschrift »Ilta-Sanomat«.

Es kommt auf Millisekunden an

Ich weiß nicht, woran der damals 17-jährige Boris Becker dachte, als er am 5. Juli 1985 im Finale von Wimbledon auf dem Center Court stand und im vierten Satz bei 5 : 3 und 40 : 15 seinen ersten Matchball gegen Kevin Curren hatte. Ein großer Moment. Auf ihn schauten damals Millionen Menschen. Wie auf mich jetzt. Sie hielten den Atem an, drückten dem jungen Rotschopf aus dem badischen Leimen die Daumen. Erster Aufschlag. Ins Aus. Zweiter Aufschlag. Doppelfehler. Nur noch 40 : 30. Aber bei diesem Stand hatte Becker ja noch einen weiteren Matchball.

Nein, für mich würde es keine zweite Chance geben. Beim Skispringen sind zwar zwei Durchgänge vorgesehen. Aber bei jedem dieser beiden Sprünge hast du immer nur diese eine Chance.

Gerade 12 Sekunden – 6 Sekunden Anlauf, 6 Sekunden Flug – in denen sich alles entscheidet. Nein, streng genommen sind es von diesen 6 Sekunden ja nur 0,3 Sekunden, von denen alles abhängt. Die Millisekunden, die für die komplizierte Phase des Absprungs bleiben. Monatelang, jahrelang, mein ganzes Leben lang hatte ich trainiert, um explosive Sprungkraft aufzubauen und das muskuläre Zusammenspiel in der alles entscheidenden Millisekunde perfekt abrufen zu können – keine Millisekunde zu früh und keine Millisekunde zu spät.

Die Faszination des Skispringens

Skispringen ist eines der kürzesten und heftigsten sportlichen Abenteuer. In 11, 12 Sekunden ist alles vorbei, von der Anfahrt zum Absprung bis zur Landung. Es sind nur 5, maximal 6 Sekunden, die der menschliche Körper durch die Lüfte segelt. Aber was sind das für Sekunden. Lange Sekunden, bange Sekunden, euphorische Sekunden. Ein Journalist fand dafür mal große Worte: »Berauschend wie eine bayerische Bauernhochzeit, beseeligend wie ein Bach-Konzert, beklemmend wie ein Hitchcock.«

Wir Skispringer sind besessen. Wir sind alle nervös. Wir lieben diese Momente in der Luft. Sie sollen natürlich möglichst lang sein. Und wenn wir wieder gelandet sind, fällt uns allen eine schwere Last von der Seele. Die meisten haben kaum Worte für diese magischen Momente, diese Faszination des Skispringens. Vielleicht ein paar Gesten des Triumphes und einen Glücksschimmer in den Augen, wenn alles gut gegangen ist.

Was macht den Reiz aus? Es kommt dem Fliegen nahe. Das Schwerelose in der Luft ist für mich so faszinierend. Du spürst die Schwerkraft nicht mehr und glaubst, du schwebst. Beim Skifliegen ist das noch geiler. Aber es ist immer eine Gratwanderung. Wenn es gut geht, ist es super, und wenn es nicht gut geht, kann es schlimme Konsequenzen haben.

Der Mythos der Vierschanzentournee

Es gibt in der Welt des Sports Grenzen, die sich im Laufe der Jahre zu Mythen auftürmen. Auch die Vierschanzentournee hatte ihren Mythos. In 49 Jahren war es noch keinem Athleten gelungen, alle vier Wettbewerbe zu gewinnen. Sieben Skispringer hatten immerhin schon bereits drei Siege im Gepäck, als sie nach Bischofshofen anreisten. Doch dann scheiterten sie an dem psychischen Druck, der Paul-Ausserleitner-Schanze oder einfach an einem Konkurrenten, der am letzten Tourneetag stärker war und den Vierfachtriumph kaputt machte. So war das zuletzt bei der Tournee 1997/1998 bei dem Japaner Kazuyoshi Funaki. Er hatte in Oberstdorf gewonnen, ebenso in Garmisch-Partenkirchen und Innsbruck. In Bischofshofen musste er sich von einem Springer geschlagen geben. Von mir. Es wurde mein erster großer Sieg.

Ich hatte vor neun Tagen das Springen in Oberstdorf gewonnen. Ich hatte am Neujahrstag in Garmisch-Partenkirchen gewonnen. Und ich hatte in Innsbruck gewonnen. Hier in Bischofshofen lag ich nach dem ersten Durchgang in Führung, hatte mit meinem Sprung sogar einen neuen Schanzenrekord aufgestellt. 139 Meter. RTL-Kommentator Tom Bartels bejubelte die Leistung mit der Aufforderung: »Flieg den Sieg nach Hause, Sven Hannawald.«

Im Countdown für dieses Sportereignis und schon die ganzen letzten Tage hatte der Fernsehsender RTL seine Zuschauer mit einem griffigen Slogan auf die brisante Konstellation und auf mich, die Hauptfigur in diesem spannenden Drama, heißgemacht: »Sprung für die Ewigkeit«.

»Der Mythos wird immer stärker, je weniger Chancen ich noch habe. Die Tournee war bisher eine Knacknuss für mich.« Simon Ammann, vierfacher Olympiasieger

Ich musste nur noch mein Zeug machen

Jeder vor dem Fernseher und jeder an der Schanze in Bischofshofen wusste in diesem Moment, um was es ging. Auch ich wusste das natürlich. Aber ich wusste auch: In Bischofshofen kann ich – trotz des großen Vorsprungs – nicht auf Sicherheit springen. Das geht in die Hose. Ich wollte voll angreifen. Und ich hatte volles Vertrauen in meine Möglichkeiten. Ich wusste ja: Diese Schanze liegt mir.

Ich musste jetzt nur noch mein Zeug machen. Nur noch einmal.»Mein Zeug machen« – wie oft hatte ich in den letzten Monaten und besonders in den letzten Tagen davon gesprochen. Und wie oft wurde dieser Satz in den Medien zitiert.

Mein Zeug machen. Nichts weiter. Keine Ablenkungen zulassen. Mich nur auf mich konzentrieren. Den nächsten Sprung noch mal im Detail im Kopf durchspielen. Den Anlauf, die Anfahrtshocke. Der explosive Absprung. Das geile Gefühl des Fliegens. Und dann die Landung.

Um 13.49 Uhr hatte das Ritual der Vorbereitung begonnen. Leichte Auflockerungsübungen im Cateringzelt, der einzige Ort für mich noch ohne Kameras im Rücken. Nach 8 Minuten ging ich beschwingt in den Teamcontainer. Peter Lange war noch mit letzten Vorbereitungen an den Skisprunglatten beschäftigt. Und dann der erste Durchgang, der perfekt passte.

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Die letzten Schritte vor der Entscheidung: Der Weg hinauf zum Anlaufturm ist fast erholsam, weil endlich mal keine Fernsehkameras stören. Ich bin ganz bei mir, bevor ich oben auf der Schanze den letzten Sprung in meinem Kopf ablaufen lasse.

Ich tauchte in meinen Tunnel ein

Und dann ein ganz ähnliches Ritual vor dem zweiten Durchgang. Wieder auflockern, am Material herumfummeln. Keine Interviews, auch nicht mit RTL, die zig Millionen für Übertragungsrechte gezahlt hätten und mich erst gebeten, dann bekniet hatten, wenigstens ein kurzes Statement zu geben.

Auch meine Familie wollte ich jetzt nicht sehen. Meine Mama Regina zitterte vor Nervosität. Mein Papa Andreas wäre jetzt am liebsten, so sagte er einem Journalisten, »zwei Stunden älter«, um meinen Sprung, der noch ausstand, vielleicht schon als Siegsprung zu kennen. Und meine Schwester Jeannette hoffte auf die beruhigende Wirkung von Johanniskraut und Baldrian.

Nein, ich wusste, dass mich jede kleine Ablenkung jetzt viel Konzentration und Kraft kosten würde. Ich wollte einfach nur noch mein Zeug machen.

Schließlich der Gang hinauf zur Schanze, auf den 52 Meter hohen Anlaufturm. Später sah ich auf Bildern, dass ich unterwegs lächelte. Und Journalisten mutmaßten: War es ein Bluff, wie ich meine Anspannung überspielte? Oder war es der Spiegel meines neu gewonnenen Selbstbewusstseins?

Ich weiß es nicht. Mit festem Schritt ging ich die paar Hundert Schritte hinauf zum Absprungturm, die 2,68 Meter langen Sprungskier auf meiner Schulter. Es gelang mir, unterwegs in diesen Tunnel einzutauchen, in dem du nichts mehr hörst, nichts mehr wahrnimmst, nichts mehr denkst. Das ganze dröhnende Chaos um mich herum, der Beifall, der Jubel, die Erwartungen – nichts davon erreichte mich mehr.

Ich hörte nur noch mein Herz pochen.

»Richtig geile Bombe«

Und dann dieser Sprung für die Ewigkeit, den ich heute noch präsent habe, den ich, wenn ich die Augen schließe, wie einen Film ablaufen lassen kann, in Zeitlupe und in Farbe, der aber in meiner Erinnerung dennoch ewig weit weg erscheint.

Die 6 Sekunden unterwegs in der 118,5 Meter langen Anlaufspur. Die 6 Sekunden Fliegen. Die 131,5 Meter. Die angedeutete Telemark-Landung. Die Jubelpose. Dann stütze ich die Hände auf die Knie. Schüttele den Kopf. War es der Moment, der mich beugte? Er war gewaltig groß, dieser Moment, viel zu groß, um ihn sofort begreifen zu können.

Meine Schwester war am schnellsten. Kaum hatte ich meine Skier abgeschnallt, war Jeannette schon da und fiel mir um den Hals. Die Mama war etwas langsamer, der Vater landete im geschlagenen Feld. Er nannte mich vor den Fernsehkameras eine »Wildsau«, weil ich mit diesem übermenschlichen Druck so cool, so souverän umgegangen wäre.

»Ich kapiere das alles gar nicht«

Meine Trainer mussten erst vom Schanzentisch hinunter in den Auslauf. Bundestrainer Reinhard Heß kam strahlend auf mich zu, zog seine Kappe und verneigte sich vor mir. Er und Cotrainer Wolfi Steiert schulterten mich und trugen mich durch die Arena. Von da oben erlebte ich, wie die meisten der 30.000 Zuschauer sangen: »Oh, wie ist das schön, oh, wie ist das schön.«

Ich weiß nicht mehr, was ich nach meinem Triumph zu Günther Jauch, dem Moderator, gesagt habe. Aber man kann es ja jederzeit bei YouTube abrufen. »Jetzt bin ich wirklich froh, dass es vorbei ist«, habe ich also gesagt. »Noch einen Tag länger, dann wäre ich gestorben oder hätte übermorgen eine Glatze. Die zehn Tage, die wir jetzt unterwegs waren, waren so extrem.«

Ich wurde auf der anschließenden Pressekonferenz gefragt: »Was haben Sie vor dem letzten Sprung gegen die Aufregung gemacht, Herr Hannawald?«

Und ich antwortete nur: »Die Nervosität war extrem katastrophal.«

Und dann sprach ich noch von einer »richtig geilen Bombe«, die mir auch zuletzt noch mal gelungen war. »Das ist sensationell. Ich kapiere das alles gar nicht. Trotz des ganzen Nervendrucks gelingen mir einfach phänomenale Sachen.«

Tatsächlich war ich völlig fertig. Total leer. Ich hatte die letzten Nächte kaum mehr ein Auge zugekriegt. War wie ein aufgedrehter Freak immer wieder durchs dunkle Hotelzimmer getigert. Dabei hätte ich doch Schlaf so dringend gebraucht, um regenerieren zu können. Um neue Energie zu gewinnen.

Ich war leer. Meine Akkus waren ohne Saft. Es war mir alles zu viel geworden. Es war mir alles total egal. Bitte lasst es endlich vorbei sein, bitte erlöst mich, so dachte ich am Morgen dieses Tages in Bischofshofen, der dann am Nachmittag kurz vor vier diesen goldenen Glanz bekam.

Dass ich geschafft habe, woran sich ganze Generationen von Skispringern die Zähne ausgebissen haben, machte mich unheimlich stolz. Ich hatte einen Mythos geknackt und alle vier Springen innerhalb einer Vierschanzentournee gewonnen.

»Sven Hannawald hat Sporthistorie geschrieben! Er gehört jetzt dazu – zu den großen Olympiasiegern, Wimbledon-Champions und Tour de France-Gewinnern. Hut ab.« Frankfurter Allgemeine Zeitung

»Svenomenal«, »Svensationell«

Im improvisierten RTL-Fernsehstudio durfte ich dann ein ganz spezielles Fax vorlesen, das schon vor meinem letzten Sprung eingegangen war: »Lieber Sven Hannawald, mit 8 Sprüngen haben Sie Sportgeschichte geschrieben. Es war die Hannawald-Tournee. Sie wird immer mit Ihrem Namen verbunden bleiben. Ich gratuliere Ihnen von Herzen. Ihr Gerhard Schröder, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland.«

Anderntags titelten die Medien: »Sven Hannawald landet im Himmel« (Die Welt), »Flüge in die Unsterblichkeit« (Südwest Presse), »Historischer Hannawald mit dem Grand Slam des Skispringens« (Le Figaro), »Mythos, Legende, Wahnsinn – Hannawald hat den Grand Slam« (Der Standard/Wien), »Svenomenal« (Berliner Morgenpost), »Svensationell« (B.Z.), »Eine neue Legende geboren« (La Gazetta dello Sport/Italien), »Hannawald wird zum Superstar« (Focus).

841 Tage später. Ich saß auf einer Bank im Park. Eine schöne Kulisse. Vögel, die zwitscherten. Blumen, die zaghaft zu blühen begannen. Bäume, die ihre ersten Blätter entwickelten. Die Aprilsonne, die ihre ersten warmen Strahlen schickte. Doch fühlte ich mich gefangen in einem grauen Schleier. Ich nahm die Blumen und die Bäume nicht wahr. Ich hörte keine Vögel zwitschern. Ich konnte mich nicht über die Sonne freuen, sie wärmte mich auch nicht.

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Siegerpose: Drei Dutzend Fotografen bestürmen mich, sie wollen den sporthistorischen Moment festhalten. Jetzt dämmert es mir allmählich, was ich da geschafft habe.

Ich fröstelte. Meine Hände, meine Füße – sie waren ständig kalt. In mir war eine Unruhe, die ich manchmal sogar in Form von Panik erlebte. Alles fühlte sich unheimlich schwer an, mein Körper, meine Gedanken. Dabei war mein Körper völlig abgemagert und mein Kopf leer. Mir fielen die Haare aus. Ich spürte seit Wochen weder Hunger noch Appetit. Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ich fühlte mich elend. Lustlos. Traurig. Total schlapp. Verzweifelt. Vollkommen allein. Vollkommen hoffnungslos.

Ich saß auf dieser Parkbank in Bad Grönenbach. Ich stierte vor mich hin. Ich war hier und ich war doch nicht da. Ich hatte mich verloren.

Kurz vorher hatte ich auf einem Stuhl gehockt und Fragen zu meinen aktuellen Beschwerden, meinen Lebensumständen und meiner gesundheitlichen Vorgeschichte beantwortet. Was ich über meinen körperlichen und seelischen Zustand in den letzten Tagen, Wochen, Monaten sagen könnte. Wie ich meinen Alltag organisiert und erlebt hätte. Welche Medikamente ich nähme.

Es war Nora Maasberg, die mit mir alles behutsam durchging. Sie drängte mich nicht. Ich antwortete, so gut ich konnte. Die Frau, die mir gegenübersaß, wirkte irgendwie wohltuend mütterlich auf mich. Sie war mir sofort sympathisch. Sie war leitende Ärztin der Privatstation für Burn-out-Erkrankte in Bad Grönenbach im Allgäu und führte mit mir eine systematische Befragung durch, die als Fachbegriff »Anamnese« heißt.

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Ich hatte mich verloren: vor der Klinik für Psychosomatische Medizin in Bad Grönenbach im Allgäu.

»Beschwerdebild bei Aufnahme«

Das, was sie über mich in diesem ersten Gespräch erfahren hatte, fasste sie in einem »Psychotherapiebericht« zusammen und tippte als »Beschwerdebild bei Aufnahme« in ihren Computer:

»Herr H. kommt auf Empfehlung des Sportarztes in die stationäre Behandlung. Er suche Ruhe und Erholung, brauche Abstand von den Angehörigen und der Öffentlichkeit. Seit einem Jahr fühle er sich depressiv – nach einem intensiven Konditionstraining im Juli 2003 habe er sich völlig erschöpft gefühlt, habe an nichts mehr Freude gehabt – auch ein Urlaub habe da nicht mehr geholfen. Er fühle sich entscheidungsunfähig – jede Entscheidung, die er treffe, verursache ein ›flaues Gefühl im Bauch‹. Ratschläge könne er aber auch nicht annehmen. Er zweifle vieles an, was ihm (z. B. vom Trainer) vorgegeben werde, sei wie in einer ›Trotzphase‹. Er fühle sich zunehmend schlapp, gleichzeitig unruhig, fast wie in ›Torschlusspanik‹. Der Erfolgsdruck mache ihn fertig.

Das körperliche und seelische Tief sei durch die Misserfolge natürlich noch verstärkt worden. Die Vorstellung, die Karriere aufzugeben, löse Angst und Unruhe aus. Obwohl er sich schon seit geraumer Zeit ein ›normales Leben‹ wünsche mit Haus und Familie, beunruhige ihn diese Vorstellung derzeit.

Er beklagt, auch seiner Partnerin nichts geben zu können, er kreise nur um sich, sein Kopf ›platze‹ fast. Er habe schlecht ein- und durchschlafen können, habe nicht tief geschlafen. Dabei sei der Schlaf für ihn ein ganz wichtiger Regenerationsfaktor. Er könne sich derzeit schlecht konzentrieren, könne kaum etwas lesen.

»Ausgeprägtes Burn-out-Syndrom«

Seit Jahren achtete Herr H. stark auf das Essen, versuchte über spezielle Diäten zum einen sein Idealgewicht zu halten, zum anderen seine Leistungsfähigkeit zu verbessern. Sein niedrigstes Gewicht sei 60 Kilo gewesen (bei einer Körpergröße von 1,85 Metern entspricht das einem BMI von 18). Derzeit wiege er 64 Kilo. Im Spiegel sehe er aufgeschwemmt aus, das Essen liege ihm im Magen. Gleichzeitig denke er permanent an das Essen – im Sinne von: ›was vertrage ich, was tut mir gut.‹«

Die Diagnose lautete: »schwere depressive Episode mit somatischem Syndrom«; »atypische Anorexia nervosa«; »ausgeprägtes Burn-out-Syndrom«.

War diese trostlose Zustandsbeschreibung die Quittung für mein bisheriges Leben?

Der »allseitige Normerfüller«

Meine Kindheit in Johanngeorgenstadt im Erzgebirge: wie ich Teil des erfolgreichen DDR-Sportsystems wurde und im Bezirkstrainingszentrum ausgebildet wurde

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Als Elfjähriger bei einem Nachwuchs-wettkampf in Johanngeorgenstadt. Schon damals (1985) wollte ich immer am weitesten springen.

Es wurde eine denkwürdige Zeitreise. Wann war ich das letzte Mal hier? Stimmt, vor drei Jahren, als Oma Anita ihren Achtzigsten feierte. Gerade ein einziges Mal in den letzten 22 Jahren bin ich noch kurz in meinem Heimatort Johanngeorgenstadt gewesen. Ich kann es selbst kaum glauben.

Jetzt war ich wirklich gespannt: Was erwartet mich wohl bei diesem Trip in meine Vergangenheit? Ist mir die kleine Welt, die so lange mein Universum gewesen ist, noch vertraut, ein wenig wenigstens, oder ist mir inzwischen alles völlig fremd?

Seltsam, seit ich weg bin, habe ich nur selten an die alten Zeiten in Johanngeorgenstadt gedacht, diese Kleinstadt im Erzgebirge, die direkt an der Grenze zu Tschechien liegt. Obwohl ich hier meine Wurzeln habe. Obwohl mich die ersten Jahre natürlich sehr geprägt haben.

Ich bin ein Kind der DDR

Auch wenn die meisten Menschen wohl glauben, ich wäre ein »Schwarzwälder Bub«, weil es die Medien so transportiert haben, auch wenn ich inzwischen tatsächlich die meiste Zeit meines Lebens in Furtwangen und in Hinterzarten und kurz in Berlin gelebt habe und seit fünf Jahren in München wohne – ich bin ein Kind der DDR.

Wie fast alle Kinder dort kam ich schon mit sechs Monaten in einen Hort, dann in den Kindergarten und wurde auf die Mitgliedschaft bei den Jungen Pionieren vorbereitet, die dann nach Eintritt in die Schule durch ein feierliches Gelöbnis bekräftigt wurde. Mit sechs Jahren geriet ich in das perfekt durchorganisierte Sportsystem der DDR, nachdem man mich vermessen, untersucht und getestet hatte. Meine Daten wurden in »Erhebungs- und Leistungskontrollbögen« der ESA (einheitliche Sichtung und Auswahl für die Trainingszentren und Trainingsstützpunkte des DTSB) eingetragen und ausgewertet – ich war fürs TZ (Trainingszentrum) geeignet.