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Benedikt Sturzenhecker, Moritz Schwerthelm

Gesellschaftliches Engagement von Benachteiligten fördern – Band 2

Methodische Anregungen und Praxisbeispiele
für die Offene Kinder- und Jugendarbeit

 

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet unter http://dnb.dnb.de abrufbar.

 

© 2015 Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh

Verantwortlich: Sigrid Meinhold-Henschel

Lektorat: Heike Herrberg, Bielefeld

Herstellung: Sabine Reimann

Illustrationen: Matthias Berghahn, Bielefeld

Umschlagabbildung und -gestaltung: Elisabeth Menke

Gestaltung, Layout und Satz: werkzwei, Detmold

Druck: Hans Kock Buch- und Offsetdruck GmbH, Bielefeld

ISBN 978-3-86793-636-1 (Print)

ISBN 978-3-86793-708-5 (E-Book PDF)

ISBN 978-3-86793-709-2 (E-Book EPUB)

www.bertelsmann-stiftung.de/verlag

Inhalt

Vorwort

Leseanleitung

A | Einleitung

Das Projekt GEBe – Gesellschaftliches Engagement Benachteiligter in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit fördern

Die beteiligten Jugendlichen

Porträts der beteiligten Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit

B | Arbeitsprinzipien und Methoden der Förderung gesellschaftlichen Engagements in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit

Warum und wie man gesellschaftliches Engagement in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit fördert – kurze Einführung

Methodischer Weg 1: Von der Beobachtung des Handelns der Kinder und Jugendlichen zu Projekten gesellschaftlichen Engagements

1. Beobachtung: Das Handeln von Kindern und Jugendlichen wahrnehmen

2. Auswertung: Im beobachteten Handeln Angebote und Themen der Kinder und Jugendlichen erkennen

3. Dialogische Klärung: Die Themen gesellschaftlichen Engagements mit den Kindern und Jugendlichen aushandeln

4. Ein Projekt gesellschaftlichen Engagements gestalten: Sich und seine Sachen öffentlich einbringen

Methodischer Weg 2: Sozialpädagogische Fachkräfte bringen Themen und Arbeitsweisen gesellschaftlichen Engagements selbst ein

Sammlung beispielhafter Arbeitsmaterialien aus dem Projekt GEBe

Literatur

C | Erweiterung: Praktische Anregungen aus anderen Projekten

Bildung auf dem KLO. Ein Playing-Arts-Projekt in einem evangelischen Jugendhaus
Nicole Röhrig, Benedikt Sturzenhecker

Literatur

„Wir haben was zu sagen“ – Jugendliche diskutieren mit Verantwortlichen
Heike Schlottau

Autorinnen und Autoren

Inhalt Band 1

Abstract

Vorwort

Junge Menschen zur Selbstbestimmung sowie zu gesellschaftlicher Mitverantwortung zu befähigen und zu sozialem Engagement anzuregen – das ist der gesetzliche Auftrag der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Die Förderung von Engagement, Partizipation und Demokratiebildung ist damit ein zentrales Handlungsfeld von Jugendeinrichtungen.

Im Hinblick auf benachteiligte Kinder und Jugendliche entziehen sich Wissenschaft und Praxis jedoch oft dieser Aufgabe. Argumentiert wird, dass problembeladene Heranwachsende wenig bis kein Interesse hätten, ihr gesellschaftliches Umfeld mitzugestalten.

Das Projekt „jungbewegt – Dein Einsatz zählt.“ der Bertelsmann Stiftung hat in den vergangenen vier Jahren gezeigt, wie Kinder und Jugendliche Zugang zu gemeinwohlorientiertem, demokratischem Handeln finden können und ihre Anliegen Gewicht bekommen.

Dabei war es uns besonders wichtig, ein praxistaugliches Konzept zur Unterstützung von benachteiligten jungen Menschen zu entwickeln.

Unter wissenschaftlicher Federführung von Professor Dr. Benedikt Sturzenhecker (Universität Hamburg) ist der Baustein „Gesellschaftliches Engagement Benachteiligter in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit fördern“ (GEBe) entwickelt, erprobt und evaluiert worden.

Nicht das unterstellte Desinteresse der Kinder und Jugendlichen behindert ihre Entwicklung zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern, sondern ihre Mehrfachausgrenzung in gesellschaftlichen Handlungsfeldern: Armut, Schulversagen und soziale Desintegration kennzeichnen vielfach ihre Lebensumstände. Hinzu kommen häufig eine Politik und Pädagogik, die sich nur noch auf die Defizite dieser Adressaten fokussieren.

In dieser Situation darf die Frage nicht lauten, ob es Erfolg versprechend ist, mit diesen Jugendlichen zu arbeiten. Vielmehr muss ein Weg gefunden werden, wie gesellschaftspolitische Bildung unter schwierigen Bedingungen gelingen kann. Nur so kann verhindert werden, dass sich Benachteiligungen und auch die oft mit ihnen verbundenen sozialen, gesellschaftlichen und politischen (Selbst-) Ausgrenzungen zunehmend auf die Zukunft der jungen Menschen auswirken.

Zusammen mit sieben Jugendeinrichtungen wurde das Konzept in den Jahren 2012/2013 erprobt.

Ein erster Transferschritt konnte im vergangenen Jahr mit der Ausbildung von rund 30 Multiplikatoren gemacht werden. Der Ansatz, stets die Anliegen der Heranwachsenden in den Mittelpunkt zu stellen und sich damit auf die anerkannten pädagogischen Arbeitsprinzipien der Jugendarbeit zu beziehen, hat sich als Erfolgsschlüssel erwiesen.

Unsere Erfahrung: Wenn es um ihre eigenen Themen geht und sie ihre kulturellen Handlungsstile einbringen können, sind benachteiligte Jugendliche sehr wohl für Engagement und Partizipation zu gewinnen.

Konzeptionelle Grundlagen und methodische Anregungen werden mit dieser zweibändigen Publikation nun allen Interessierten zur Verfügung gestellt. Herausragende Praxisbeispiele sind in beiden Bänden zu lesen und zeigen die Potenziale der Offenen Kinder- und Jugendarbeit auf.

Unser Dank gilt allen, die an der Entwicklung, Durchführung und Auswertung des GEBe-Konzepts mitgewirkt haben. Besonders danken möchten wir Professor Dr. Benedikt Sturzenhecker für seinen großen persönlichen Einsatz. Wir danken auch dem Nachwuchswissenschaftler Moritz Schwerthelm, der den Diskussionen, insbesondere durch die Evaluation des Modellvorhabens, wichtige Impulse gegeben hat. Ebenso gilt unser Dank Ariane Hoppler (Learning & Development Consultant, Norfolk County Council) und Heike Schlottau (ehemals Landesjugendpfarramt der Nordkirche) für die kompetente Begleitung der Jugendeinrichtungen.

Wir hoffen, dass die Aufbereitung der Handlungsansätze des GEBe-Konzepts hilfreich für Ihre Arbeit ist, und ermutigen Sie, die Förderung der Stärken und Potenziale von benachteiligten Jugendlichen zum Ausgangspunkt Ihres pädagogischen Handelns zu machen.

Brigitte Mohn Sigrid Meinhold-Henschel
Mitglied des Vorstands der Senior Project Manager
Bertelsmann Stiftung Projektleitung „jungbewegt“
  Bertelsmann Stiftung

Leseanleitung

Dieses Buch wendet sich vor allem an Fachkräfte aus der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Es möchte die Praktikerinnen und Praktiker anregen, die hier vorgeschlagenen Methoden zu nutzen.

Deshalb gibt es im Hauptteil des Buches sofort die Anleitungen zu den Methoden. Dieser Teil beinhaltet die detaillierte Beschreibung von Arbeitsprinzipien und methodischen Schritten der Förderung gesellschaftlichen Engagements von benachteiligten Kindern und Jugendlichen in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit.

Der Hauptteil wird gerahmt durch die Schilderung des Modellprojekts, in dem diese Arbeitsweisen entstanden sind, und durch ergänzende Aufsätze zum Thema der Förderung von gesellschaftlichem Engagement benachteiligter Kinder und Jugendlicher.

Wer schnell wissen will, wie es geht, nimmt sich sofort den Hauptteil mit den Schilderungen der Methoden vor. Wer sich aneignen will, wie man gesellschaftliches Engagement ausgehend von der Beobachtung der Themen der Kinder und Jugendlichen im Alltag der Offenen Kinder- und Jugendarbeit entwickelt, studiert zunächst den Methodischen Weg 1.

Dieser wird durch eine kurze Zusammenfassung des Konzepts eingeleitet. Dann folgen detaillierte Beschreibungen der einzelnen methodischen Schritte.

image In diesem Methodenteil finden die Leserinnen und Leser sogenannte Shortcuts: einleitende Texte, die sie schnell orientieren und zu Anleitungen und Arbeitshilfen führen.
image In die Arbeitshilfen eingestreut finden sich sogenannte Extended Versions. Diese ausführlicheren Versionen vertiefen den konzeptionellen Hintergrund der Methoden und bieten Begründungen und Details zu einzelnen Arbeitsweisen. Wer es also genauer wissen will, kann sich hier informieren.

Beispiele für die Umsetzung methodischer Schritte finden sich in blauen Kästen.

Detaillierte Anleitungen zu den Methoden stehen in roten Infokästen.

Wer wissen will, wie man mit vorgegebenen Projektinhalten und didaktisch geplantem Vorgehen startet, geht zunächst zum Methodischen Weg 2. Dort finden sich Entwürfe zu einzelnen Projekten.

Sehr konkrete, modellhafte Arbeitsansätze gibt es auch in der Sammlung der Arbeitsmaterialien, die von den einzelnen Einrichtungen im Projekt GEBe entwickelt und erprobt wurden.

Stärker vertiefen kann man die Methoden zur Förderung gesellschaftlichen Engagements im Kapitel „Erweiterung: Praktische Anregungen aus anderen Projekten“.

Wer sich theoretisch fundierter über die Grundannahmen des hier vertretenen methodischen Konzepts informieren möchte, sei auf Band 1 aufmerksam gemacht: „Gesellschaftliches Engagement von Benachteiligten fördern – Band 1. Konzeptionelle Grundlagen für die Offene Kinder- und Jugendarbeit“ (Sturzenhecker 2015). Dort werden die fachwissenschaftlichen Hintergründe des Projekts und seiner Arbeitsweisen detailliert aufgeschlüsselt. Es wird gezeigt, dass die Förderung gesellschaftlichen Engagements die Kernaufgabe Offener Kinder- und Jugendarbeit ist. Dabei beziehen wir uns nicht nur auf die gesetzlichen Vorschriften, sondern auch auf die theoretische Debatte der Kinder- und Jugendarbeit.

Um genauer zu erläutern, was unter gesellschaftlichem Engagement verstanden wird, gehen wir auf den Zusammenhang von Subjekt und Gesellschaft ein. Darauf aufbauend stellen wir eine Analyse der aktuellen gesellschaftlichen Situation von Kindern und Jugendlichen (besonders mit Blick auf Benachteiligungen) vor. Es wird geklärt, wie Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit als „Gesellschaft im Kleinen“ gesellschaftliches Engagement in den Jugendhäusern, aber auch darüber hinaus in der Kommune und der gesamten Gesellschaft ermöglichen können. Ein Inhaltsverzeichnis dieses Bandes findet sich auf Seite 346.

A | Einleitung

Das Projekt GEBe – Gesellschaftliches Engagement Benachteiligter in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit fördern

Moritz Schwerthelm, Benedikt Sturzenhecker

„Gefällt den Jugendlichen dein Angebot nicht, stimmen sie mit den Füßen ab. Sie kommen nicht mehr“, sagte eine Fachkraft aus der Offenen Kinder- und Jugendarbeit1 im Projekt „GEBe – Gesellschaftliches Engagement Benachteiligter in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit fördern“. Und da die Teilnahme an Angeboten Offener Kinder- und Jugendarbeit freiwillig ist, haben die Kinder und Jugendlichen auch das Recht, „nicht mehr zu kommen“. Die Aussage der Fachkraft verdeutlicht aber auch, dass die Kinder oder Jugendlichen ihre Meinung bekunden, indem sie wegbleiben: Sie „stimmen (mit den Füßen) ab“. Sie drücken dadurch aus, dass das Angebot nicht zu ihnen passt, es nicht das ist, was sie brauchen, oder es sie nicht interessiert.

Für Fachkräfte der außerschulischen Jugendbildung ist es allerdings oft nicht leicht herauszubekommen, was die Besucherinnen und Besucher eigentlich suchen oder wollen. Viele Kinder oder Jugendliche, die Einrichtungen der Jugendarbeit besuchen, fallen den Fachkräften zuerst eher durch ein Handeln auf, das als abweichend, uninteressiert, defizitär und oft auch als nervig empfunden wird. Sie hängen im Jugendhaus herum, spielen mit ihren Handys oder Gameboys, hören Musik, beschimpfen sich und andere Kids und sind aggressiv. Dies gelte besonders für jene Jugendlichen, die als bildungs- und politikfern beschrieben werden. An Angeboten, gerade der politischen Bildung und des gesellschaftlichen Engagements, würden sie nur sehr begrenzt teilnehmen. Auch hier scheinen die Angebote nicht zu ihnen zu passen – es ist nicht das, was sie brauchen. Das bedeutet aber, es „fehlen zeitgemäße Engagementmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche. Die traditionellen Formen des Engagements scheinen nicht mehr den Interessen von Kindern und Jugendlichen zu entsprechen“ (Bertelsmann Stiftung 2011: 4). Dies deutet darauf hin, dass die unterstellte Bildungs- bzw. Politik„ferne“ nicht den Jugendlichen zuzuschreiben ist, sondern Einrichtungen der Jugendarbeit nur zu selten herausfinden, was diese Jugendlichen benötigen, was sie interessiert und wie genau daraus Ansätze gesellschaftlichen Engagements werden könnten. Sind dann vielleicht eher die Einrichtungen den Jugendlichen fern und nicht diese einer politischen Selbstbildung (vgl. Bremer und Kleemann-Göhring 2010)? Und wie können Fachkräfte dann Arbeitsweisen konzipieren, an denen die Jugendlichen Interesse haben, die den Jugendlichen also näher sind, und aus denen sich Potenziale gesellschaftlich-politischen Engagements dieser Kids entfalten würden? Woran haben benachteiligte Kinder und Jugendliche überhaupt Interesse, wofür würden sie sich engagieren, was also ist ihnen wichtig und wie finden Fachkräfte das heraus?

Diese Fragen und Anforderungen waren der Ausgangspunkt für das Projekt „GEBeGesellschaftliches Engagement Benachteiligter in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit fördern“.

GEBe im Projekt „jungbewegt – Dein Einsatz zählt.“

GEBe ist Teil des Projekts „jungbewegt – Dein Einsatz zählt.“ der Bertelsmann Stiftung. „jungbewegt“ ist in den Arbeitsfeldern Kita, Schule und außerschulische Jugendbildung in Kooperation mit den Bundesländern Berlin, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt umgesetzt worden, wobei sich das Teilprojekt „GEBe“ auf das Arbeitsfeld der außerschulischen Offenen Kinder- und Jugendarbeit konzentrierte.

Das Gesamtprojekt „jungbewegt – Dein Einsatz zählt.“ hat das Ziel, dass „gesellschaftliches Engagement von jungen Menschen zu einem politischen Schwerpunkt in Bund, Ländern und Kommunen wird, sich Kindertagesstätten und Schulen zu Orten der Engagementförderung entwickeln, Jugendliche auch außerhalb der Schule attraktive Möglichkeiten finden, um sich freiwillig zu engagieren, [und] in Kommunen gemeinnütziges Engagement anerkannt und langfristig gefördert wird“ (Bertelsmann Stiftung 2011: 2). Das Gesamtprojekt arbeitet darauf hin, dass Kinder- und Jugendbeteiligung politisch stärker unterstützt wird und mehr außerschulische Angebote für Kinder und Jugendliche entstehen; „jungbewegt“ setzt sich also für eine Offene Kinder- und Jugendarbeit ein, deren Auftrag zur Demokratiebildung, zur Aneignung von gesellschaftlicher Mitverantwortung und sozialem Engagement (vgl. § 11 SGB VIII) stärker realisiert und politisch deutlicher gefördert werden soll.

Arbeitsweisen und Arbeitsprozess im Projekt GEBe

Das Teilprojekt „GEBe – Gesellschaftliches Engagement Benachteiligter in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit fördern“ startete im Herbst 2012 mit sieben Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit aus den Kommunen Mainz, Berlin, Magdeburg und Halberstadt. Sie wollten neue Arbeitsweisen und Methoden zur Förderung gesellschaftlichen Engagements entwickeln und erproben, die eben jene Jugendlichen erreichen, die im Alltag des Jugendhauses, aber auch allgemein, nur selten die Chance bekommen, etwas mitzubestimmen und mitzugestalten. Solche benachteiligten Kinder und Jugendlichen haben nur sehr begrenzt die Möglichkeit, sich überhaupt mit ihren Meinungen und Anliegen öffentlich zu zeigen. Wenn sie sich zeigen und ihre Stimme erheben, wird das von Teilen der Gesellschaft oft als abweichend wahrgenommen.

Die beteiligten Einrichtungen wollten den Kids (wieder) näherkommen und sie dabei unterstützen, neue Handlungsweisen zu entdecken, um in der Gesellschaft mitbestimmen und mitgestalten zu können. Das entspricht genau dem Auftrag der Kinder- und Jugendarbeit nach § 11 SGB VIII, der als Ziel setzt, dass sich die Kinder und Jugendlichen in der Jugendarbeit Selbstbestimmung, gesellschaftliche Mitverantwortung und soziales Engagement aneignen. Das Teilprojekt GEBe von „jungbewegt“ richtet sich also auf die Kernaufgabe Offene Kinder- und Jugendarbeit: Sie soll für (benachteiligte) Kinder und Jugendliche gesellschaftliches Engagement ermöglichen.

Über einen Zeitraum von 1,5 Jahren entwickelten und erprobten die beteiligten Fachkräfte pädagogische Handlungsansätze, Methoden und Arbeitsmaterialien zur Förderung gesellschaftlichen Engagements. Dabei wurden sie von einem Beratungsteam unter der Leitung von Prof. Dr. Benedikt Sturzenhecker (Universität Hamburg) und unter Mitarbeit von Heike Schlottau, Ariane Hoppler und Moritz Schwerthelm unterstützt. Je zwei Fachkräfte aus allen beteiligten Einrichtungen dokumentierten regelmäßig (etwa zwei Arbeitsstunden pro Woche) ihren Arbeitsprozess und luden die Berichte auf eine Online-Plattform hoch, wo sie von dem Beratungsteam Kommentare und Anregungen erhielten. Die Berichte wurden auch von den anderen beteiligten Fachkräften gelesen und kommentiert, wodurch diese ebenfalls Einblicke in die Arbeitsweisen und Herangehensweisen der anderen Einrichtungen bekamen.

Ein regelmäßiger Austausch und die damit verbundene Reflexion der pädagogischen Arbeit wurden also durch Online-Beratungen ermöglicht sowie eine Online-Materialiensammlung: verschiedenste sozialpädagogische Fachliteratur, Methoden und Übungen zu den Themen gesellschaftliches Engagement, Partizipation und Demokratiebildung, die sukzessiv (orientiert am Arbeitsprozess der Fachkräfte) erweitert wurden. Ergänzend fanden drei ganztägige Treffen aller Beteiligten statt, bei denen aus den Projekten der einzelnen Einrichtungen berichtet wurde, gemeinsam beraten wurde und das Beratungsteam neue methodische Vorschläge machte. Außerdem wurden zur Unterstützung der einzelnen Teams oder Fachkräfte Telefonkonferenzen abgehalten.

Zu Beginn des Projekts hatten die Fachkräfte eine längere Beobachtungsphase, in der sie zunächst genau hinschauen sollten, was ihre Besucherinnen und Besucher beschäftigt und was deren Themen und Anliegen sind. Diese Phase war entscheidend für die weiteren Entwicklungen im Projekt, denn die Anliegen der Jugendlichen wurden zum Ausgangspunkt für Ansätze gesellschaftlichen Engagements. Die unterschiedlichen und vielseitigen Angebote wurden im Dialog gemeinsam mit den Jugendlichen entwickelt und durchgeführt. Dabei ging es nicht um spektakuläre Großprojekte politischer Bildung, sondern darum, das Gesellschaftliche im alltäglichen Handeln der Kinder und Jugendlichen im Jugendhaus und in der Kommune zu entdecken. So konnten auch ganz kleine, doch hoch relevante alltägliche Formen und Themen gesellschaftlichen Engagements entdeckt und realisiert werden.

Sowohl die Fachkräfte und Beraterinnen/Berater als auch die Kinder und Jugendlichen haben dabei wichtige Erfahrungen zur Förderung gesellschaftlichen Engagements gesammelt. Gemeinsam haben sie Handlungsweisen entwickelt, die den Jugendlichen Mitbestimmung und Mitgestaltung ermöglichen, sie bei ihrer Selbstbildung unterstützen, indem sie Selbstwirksamkeit erfahren und Selbstbestimmung entwickeln und so ihr gesellschaftliches Engagement gefördert wird.

Dokumentation und Arbeitshilfe

In diesem Zusammenhang ist das vorliegende Praxisbuch entstanden. Es greift die Projekterfahrungen auf, um sie für interessierte Pädagoginnen und Pädagogen, für andere Projekte sowie für den Fachdiskurs zur politischen Bildung und Förderung gesellschaftlichen Engagements mit benachteiligten Jugendlichen zugänglich und nutzbar zu machen. Dabei wird deutlich, dass alle entwickelten methodischen Herangehensweisen und Arbeitsmaterialien in den Projekten sowie die dabei gesammelten Erfahrungen in GEBe bereits bekannte Arbeitsweisen der Jugendarbeit beinhalten. Diese werden allerdings neu kombiniert und aktualisiert.

Das Rad ist hier nicht neu erfunden worden – manchmal erscheinen die Projektinhalte unspektakulär und bescheiden. Das war so beabsichtigt, denn die Themen der Kinder und Jugendlichen im Alltag der Jugendarbeit führen zurück auf die grundsätzlichen Aufgaben Offener Jugendarbeit: die Förderung von Selbstbestimmung und gesellschaftlich-demokratischem Engagement. Das beginnt oft mit kleinen Schritten. Aber die Projektergebnisse zeigen deutlich, dass solche Schritte der Aneignung von Gesellschaft und Demokratie für die Kinder und Jugendlichen wichtig und förderlich sind. Damit wird auch bestätigt, dass die klassische Offene Kinder- und Jugendarbeit einen unverzichtbaren non-formellen Bildungsort für Kinder und Jugendliche schafft.

Dieses Buch vermittelt methodische Arbeitsprinzipien und führt in die konzeptionellen Grundlagen für die Förderung gesellschaftlichen Engagements von Kindern und Jugendlichen in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit ein. Es zeigt anhand von methodischen Vorschlägen und Arbeitsmaterialien, wie man es praktisch umsetzen kann.

Inhalt und Aufbau dieses Buches

Der erste Beitrag in diesem Praxisbuch über die Jugendlichen im Projekt zeigt, mit welchen Adressatinnen und Adressaten die Fachkräfte gearbeitet und welche Kinder bzw. Jugendlichen sich in den Projekten beteiligt haben. Was zeichnet diese Jugendlichen aus? Durch welche Handlungsweisen machen sie sich im Jugendhaus bemerkbar? Was finden sie gut, was nicht? Und vor allem: Wie werden sie von den Fachkräften im Alltag des Jugendhauses wahrgenommen? Um diese Fragen zu beantworten, greifen wir auch auf die Beobachtungen der Fachkräfte zurück und geben erste Hinweise darauf, wie die Fachkräfte aus dem beobachteten Handeln der Jugendlichen deren Themen und Interessen ableiten können.

Danach werden die beteiligten Einrichtungen und Fachkräfte der Offenen Kinder- und Jugendarbeit vorgestellt. Die Einrichtungsporträts sind aus einer breit angelegten Dokumentation der Online-Berichte und -Beratungen sowie aus Interviews mit den beteiligten Fachkräften und Jugendlichen entstanden. In insgesamt elf Interviews (7 mit Fachkräften, 4 Gruppeninterviews mit Jugendlichen) wurden die Beteiligten nach ihren Erwartungen an GEBe befragt, welche Projekte wie entstanden sind, was die Einrichtung verändert hat und welches ihrer Meinung nach die wichtigsten Erfahrungen in GEBe waren. Die Porträts geben Einblicke in die Projekte, Arbeitsprozesse und Erfahrungen der Einrichtungen und illustrieren beispielhaft die Herangehensweisen in GEBe.

Der dann folgende Hauptteil des Buches stellt Arbeitsprinzipien und Methoden zur Förderung gesellschaftlichen Engagements in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit vor. Das beginnt mit einer kurzen Zusammenfassung der konzeptionellen Grundannahmen der hier vorgeschlagenen Arbeitsweisen. Dann folgen zwei methodische Wege, wie Fachkräfte in der Praxis sehr konkret solche Mitwirkung der Kinder und Jugendlichen fördern können:

Der Methodische Weg 1 verdeutlicht, wie man ausgehend von der Beobachtung der Kinder und Jugendlichen ihre Themen gesellschaftlichen Engagements erkennt und sie dann dialogisch zusammen mit ihnen entfaltet.

Der Methodische Weg 2 verdeutlicht, wie man auch durch Vorgabe von Themen und geplanten Projekten gesellschaftliches Engagement stärken kann.

Beide Wege ruhen aber auf der Grundannahme, dass Offene Kinder- und Jugendarbeit nur gelingen kann, wenn sie (wie gesetzlich vorgeschrieben) die Interessen der Kinder und Jugendlichen aufnimmt und von diesen mitbestimmt und mitgestaltet wird.

Im nachstehenden Kapitel finden sich eine Sammlung und Erläuterungen aller Arbeitsmaterialien aus dem Projekt sowie entsprechende Anleitungen. Diese Materialien wurden meist von den Beraterinnen und Beratern in Anlehnung an die Berichte der Fachkräfte entwickelt und den pädagogischen Fachkräften zur Unterstützung der Weiterarbeit vorgeschlagen. Hier finden sich also Beispiele, wie die im Hauptteil des Buches geschilderten Methoden im Projekt konkret realisiert wurden. Um nachvollziehbar zu machen, wie diese Arbeitsweisen und Materialien entstanden sind, wird über eine exemplarische Beratungssituation aus dem Projekt berichtet. Dieses Beispiel zeigt außerdem, wie die Beraterinnen und Berater in den Online-Beratungen vorgegangen sind und die Fachkräfte durch wissenschaftliche Hinweise, angeleitete Reflexion und praktische, machbare Vorschläge unterstützt haben.

Abschließend sind als Erweiterung zwei Texte abgedruckt, die zeitlich vor dem Projekt entstanden sind und wichtige Anregungen für GEBe waren. Dabei werden Praxiserfahrungen und Methoden verwandter Projekte erläutert.

Dank

Wir danken zunächst der Bertelsmann Stiftung und den verantwortlichen Kolleginnen im Projekt „jungbewegt“: Sigrid Meinhold-Henschel, Nicole Henrichfreise und Ina Bömelburg. Sie haben das Projekt GEBe sehr kollegial-kooperativ und außerordentlich engagiert ermöglicht und befördert. Wir danken der Bertelsmann Stiftung dafür, dass sie die großen Potenziale der Offenen Kinder- und Jugendarbeit für eine Ermöglichung demokratischen Mitentscheidens und Mithandelns der (benachteiligten) Kinder und Jugendlichen (an)erkennt und fördert. Das ist angesichts der vielerorts anzutreffenden Bestrebungen, diese Form der Kinder- und Jugendarbeit aufzulösen und an Schule oder in Hilfen zur Erziehung zu verlagern, eine wichtige Unterstützung für den Erhalt dieses chancenreichen Handlungsfeldes.

Ein ganz herzlicher Dank geht an die Kolleginnen Ariane Hoppler und Heike Schlottau, die das Modellprojekt GEBe durch die Konzeptentwicklung und Beratung mit den Fachkräften und Einrichtungen entscheidend qualifiziert haben. Ihr konzeptionelles Wissen, ihre genaue Kenntnis der Praxis, ihre breiten methodischen Erfahrungen und ihr Engagement für benachteiligte Kinder und Jugendliche haben das Projekt außerordentlich bereichert. Benedikt Sturzenhecker dankt besonders Raingard Knauer, Sigrid Meinhold-Henschel und Heike Schlottau für ihre kritischen und konstruktiven Rückmeldungen zum Entwurf des Manuskripts.

Das gesamte Projekt hätte nicht stattfinden können ohne die Fachkräfte in den sieben Einrichtungen, die es gewagt haben, ihren anforderungsreichen und anstrengenden Alltag reflexiv zu befragen, aus Routinen auszusteigen und sich die vorgeschlagenen Methoden anzueignen. Dabei hat uns besonders gefreut, dass sie damit oft ihnen eigentlich schon bekannte und geschätzte Arbeitsprinzipien wiederentdeckt haben. Die Fachkräfte haben erneut die Erfahrung gemacht, dass die Kinder und Jugendlichen „richtig aus dem Quark kommen“, wenn man ihre Themen ernst nimmt. Dann macht die pädagogische Arbeit (wieder) Freude und ist erfolgreich.

Wir danken den Jugendbehörden der beteiligten Bundesländer, den Leitungen in lokalen Jugendämtern und bei den beteiligten Trägern für die Ermöglichung des Projekts und für die Unterstützung der Einrichtungen vor Ort.

Die wichtigste Gruppe, der Dank gebührt, sind die beteiligten Kinder und Jugendlichen. Sie haben erneut gezeigt, dass die oft verbreiteten Vorurteile über ihre „Bildungsferne und Politikdistanz“ falsch sind. Das Gegenteil ist richtig: Die (benachteiligten) Kinder und Jugendlichen sind stark engagiert, wenn es um die für sie wichtigen Themen und Probleme ihres Alltags und Lebens geht. Sie betreiben aktiv ihre Selbstbildung und bringen sich in die Polis, das heißt in die kleinen Gemeinschaften der Jugendhäuser, der Nachbarschaften, der Stadtteile und der Kommune ein. Trotz vieler Erfahrungen von Abwertung und Beschämung ringen sie darum, ihre Stimme zu erheben und sich gesellschaftlich einzumischen. Sie sind solidarisch, sozial engagiert und konstruktiv.

Zusammen mit den Fachkräften haben diese Kinder und Jugendlichen kleinere und größere Schritte gesellschaftlichen Engagements getan. Sie haben sich und der Gesellschaft gezeigt, dass sie nicht auf die Probleme und Defizite reduziert werden können. Solche Schwierigkeiten haben sie zwar oft auch, aber trotzdem darf man nicht verkennen, dass sie berechtigte und aktive Bürgerinnen und Bürger dieser Gesellschaft sind und demokratisch mitbestimmen und mitverantworten wollen und können.

Die beteiligten Jugendlichen

Moritz Schwerthelm

Im Projekt „GEBe – Gesellschaftliches Engagement Benachteiligter in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit fördern“ war eine Kerngruppe von rund 70 Jugendlichen beteiligt. Das Alter der Jugendlichen variierte zwischen zehn und 21 Jahren und das Geschlechterverhältnis war so gut wie ausgewogen. Alle an GEBe beteiligten Jugendlichen können als „benachteiligt“ beschrieben werden. Folgt man dem Ansatz des Projekts, so ist es wichtig, die einzelnen Jugendlichen und ihr Handeln differenziert zu beobachten, um die Themen und Interessen ihrer Selbstbildung (einzeln und in ihren Gruppen) zu erkennen. Eine rein quantifizierende Darstellung der Jugendlichen würde Gefahr laufen, dass man ihnen als Personen, ihren Eigenarten, ihren Fähigkeiten und ihrem Handeln nicht gerecht würde. Eine Beschreibung der Jugendlichen als homogene Gruppe würde zudem die Projektwirklichkeit verfehlen und eventuell eine Defizitbeschreibung als „bildungsfern“, „politikfern“ und „unengagiert“ hervorrufen. Wie auch im Projekt, wird hier deshalb auf die Beobachtungen der Fachkräfte eingegangen.

Um den Leserinnen und Lesern einen Eindruck von den Wahrnehmungen der Fachkräfte zu vermitteln und darzustellen, mit welchen Jugendlichen die Pädagoginnen und Pädagogen in GEBe gearbeitet haben und wessen gesellschaftliches Engagement sie fördern wollten, folgen hier drei Porträts, die auf der Grundlage der in der Methodensammlung vorgestellten „Beschreibung der Besucherinnen und Besucher“ und „Beschreibung der Cliquen“ entstanden sind. Das heißt auch, dass alle Angaben von den Jugendlichen selbst bestätigt wurden. Die Cliquenporträts verdeutlichen, dass die beteiligten Jugendlichen typische Handlungsweisen zeigen, wie sie viele pädagogische Fachkräfte in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit bei ihren Adressatinnen und Adressaten beobachten können. Die Herausforderung für die Fachkräfte in GEBe bestand darin, diese „normalen“ alltäglichen Beobachtungen zu interpretieren und mögliche Bildungsthemen und -potenziale gesellschaftlichen Engagements im Handeln der Jugendlichen zu erkennen. Wie das geht, wird in diesem Buch beschrieben.

Die erste Clique eines Jugendhauses in GEBe bestand aus etwa zehn Mädchen und Jungen zwischen elf und zwölf Jahren, wobei es einen festen Kern von sechs Jugendlichen gab und die anderen vier nur gelegentlich dazustießen. Sie besuchten die Einrichtung an vier bis fünf Tagen pro Woche und blieben dann für etwa drei Stunden dort. Wenn sie nicht im Jugendhaus waren, hielten sie sich oft in einer nahe gelegenen Einkaufsstraße auf, trafen sich mit Freunden, „chillten“ oder liefen durch die Geschäfte. Gut fanden sie „Musik“, „Smartphones“, „Facebook“, „Zocken“, „Tanzen“, „Klamotten“ und „Schminken“. Fragte man die Fachkräfte nach den Lieblingssprüchen der Jugendlichen, nannten sie folgende: „Is’ mir egal!“, „Lass mich“, „Das ist doch alles schwul hier“, „Nö, das mach’ ich nicht“ und „Mir ist soooo langweilig!“ Die Jugendlichen bestätigten, dass an der Wahrnehmung der Fachkräfte etwas Wahres dran sei. Die Mädchen trugen schicke und neonfarbene Klamotten, schminkten sich, trugen ab und zu hohe Schuhe und Markenkleidung. Die Jungs trugen meist Hip-Hop-Klamotten, Basecaps und ebenfalls vereinzelt Markenkleidung. Die Marken wurden von diesen Jugendlichen bewusst getragen und zur Schau gestellt.

Am wenigsten mochte die Clique nach eigenen Angaben die jüngeren Besucherinnen und Besucher der Einrichtung. Von diesen versuchte sie sich demonstrativ abzugrenzen, indem sie auf den Sofas abhing, sich gegenseitig Musik und Videos auf ihren Handys zeigte und im eigenen Jugendraum Zeit verbrachte, um ungestört von den Jüngeren und den Fachkräften zu sein. Damit zusammenhängend war für die Mitglieder der Clique der begrenzte Platz in der Einrichtung ein Problem, weil sie sich eigentlich gern noch mehr von den „Kleinen“ hätten abgrenzen wollen. Zu Streitereien untereinander kam es vor allem aufgrund mehrerer Pärchen innerhalb der Clique, der damit verbundenen Eifersucht und der häufigen „Schlussmachszenen“.

Die Beziehungen zu den Fachkräften waren sehr unterschiedlich. Einige Jugendliche kamen nur, wenn sie etwas brauchten, sich zum Beispiel einen Ball ausleihen wollten. Andere Jugendliche vertrauten den Fachkräften auch schulische und familiäre Probleme an. Einige hatten in der Schule Schwierigkeiten. Genervt waren die Jugendlichen laut den Fachkräften, wenn sie nicht in Ruhe gelassen wurden oder Ärger mit den Pädagoginnen und Pädagogen bekamen. Die Fachkräfte wiederum waren genervt von der Unverbindlichkeit der Jugendlichen und ihrem Umgang mit dem Mobiliar der Einrichtung. Fragte man die Jugendlichen jedoch, was sie gern in dem Jugendhaus machen würden, sagten sie, dass sie ihren eigenen Raum gestalten, diesen als Rückzugsmöglichkeit nutzen und ihre eigenen Gruppen (z. B. Tanzgruppen und Zirkusgruppen) leiten wollten. Besonders gut konnten sie aus ihrer Sicht: Tanzen, Singen, Fußball und mit dem Handy spielen.

Schon diese kurze Darstellung zeigt, dass diese Clique auf den ersten Blick uninteressiert wirkt und eigentlich nur ihre Ruhe haben will. Forscht man als Fachkraft aber nach, stößt man auf potenzielle Engagementthemen wie die Gestaltung eigener Räume und die Leitung von themenbezogenen Jugendgruppen.

Eine weitere Gruppe Jugendlicher besuchte seit etwa drei Jahren eines der beteiligten Jugendhäuser. Der Jüngste der Gruppe war 13 Jahre alt, der Älteste 21 Jahre. Die Clique bestand aus etwa 15 Jugendlichen, wobei es auch dort einen harten Kern von sechs Jungen und Mädchen gab. Die Fachkräfte beobachteten, dass die Clique wenig unternahm, aber über Langeweile klagte. Im Jugendhaus beschäftigten sie sich hauptsächlich damit, Musik zu hören und soziale Netzwerke zu nutzen. Punktuell wurden Tischtennis und Computerspiele gespielt. In den Sommermonaten wurde auch der Fußballplatz intensiver genutzt. Hielten sie sich nicht im Jugendhaus auf, so verbrachten sie ihre Freizeit vor dem nahe gelegenen Supermarkt oder in den Wohnungen der Eltern bzw., falls vorhanden, in den eigenen Wohnungen.

Die Jugendlichen dieser Clique trugen überwiegend Kleidung von Hip-Hop-Marken. Der Konsum von legalen und illegalen Drogen, vor allem Cannabis und Tabak, war in allen Altersgruppen dieser Clique zu beobachten. Der Konsum von Alkohol spielte eine etwas untergeordnete Rolle, nahm in letzter Zeit jedoch bei einigen zu. Wie in der ersten Gruppe waren auch bei dieser Clique wechselnde Beziehungen zwischen den Kids zu beobachten. Da die Jugendlichen in dieser Gruppe älter als die der anderen Cliquen waren, ergaben sich aus diesen Beziehungen in den letzten Jahren auch mehrere Schwangerschaften. Die wenigsten der Jugendlichen hatten einen Schulabschluss oder Ausbildungsplatz. „Andere schlecht zu machen“, finden sie gar nicht gut, so die Jugendlichen. Dies verdeutlicht den Zusammenhalt untereinander.

Die Beziehung zwischen Fachkräften und Jugendlichen war generell gut. Die Kids öffneten sich bei Nachfragen zu aktuellen Problemen, aber auch gelegentlich ohne gezieltes Nachfragen. Spaß und Ernst standen in einem ausgewogenen Verhältnis, so die Pädagoginnen und Pädagogen. Punktuell unterstützten sie die Fachkräfte im Jugendhaus. Vor allem bei Streitereien zwischen Jugendlichen bzw. zwischen Jugendlichen und Fachkräften versuchten sie vermittelnde Positionen einzunehmen. Fragte man die Mitglieder der Clique, was sie gern machen wollen, kamen zunächst wenige Antworten. Freizeitangebote der Fachkräfte wurden selten angenommen oder umgesetzt. Von der Clique selbst kamen keine konkreten umsetzbaren Vorschläge zur Freizeitgestaltung. Sie waren aber interessiert, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen, was sich an ihren Vermittlertätigkeiten bei Streitereien zeigte. Sie waren auch daran interessiert, den Jugendbereich selbst zu gestalten und dort mehr Verantwortung zu übernehmen.

So zeigt auch diese Beschreibung, dass die Jugendlichen im Projekt zwar in erster Linie den Eindruck machen, unengagiert, wenig eigeninitiativ und aktiv zu sein, doch wenn es um die gemeinsame Gestaltung der Einrichtung und der Angebote geht, sie durchaus ein Interesse daran haben, sich zu engagieren – wenn sie einen eigenen Sinn dahinter erkennen, ihr Handeln also einen Sinn hat und sie bzw. Freundinnen und Freunde oder Bekannte betrifft.

Eine dritte Clique, die sich in GEBe beteiligte, bestand aus einem Kern von vier Jugendlichen: zwei Mädchen und zwei Jungen. Sie kamen manchmal bis zu sechs Tage die Woche in das Jugendhaus und verbrachten dort durchschnittlich vier Stunden täglich. Ihr Alter war – zwischen sieben und 14 Jahren – sehr unterschiedlich, wobei der Jüngste oft von den Älteren ausgegrenzt wurde. Er wiederholte die erste Klasse und erlebte laut den Fachkräften zu Hause „schwierige Verhältnisse“. Die Älteren waren oft genervt, weil er „so frech und laut“ war. Aber auch bei den anderen Kids vermuteten oder wussten die Fachkräfte, dass ihre Eltern oft überfordert waren. Einer der Jungen kam oft mit zu großen Schuhen in die Einrichtung, eines der Mädchen versuchte so viel Essen wie möglich mit nach Hause zu nehmen.

Ihre Freizeitgestaltung im Jugendhaus war sehr abwechslungsreich: Oft nutzten sie die Computer der Einrichtung, mal bastelten sie, mal spielten sie gemeinsam, manche fuhren Go-Kart, mal spielte der Jüngere im Sand und baute Hütten und manchmal spielten sie Fußball. Einige konsumierten auffällig viel Alkohol, wenn sie nicht in der Einrichtung waren. Typische Sprüche der Jugendlichen waren laut dem pädagogischen Team „Kacke!“ oder „Ihr habt wohl ’n Vogel!“. Die Beziehung untereinander änderte sich nach Angaben der Fachkräfte täglich. Immer wieder gab es Streitereien, wobei auch hier die wechselnden Beziehungen häufiges Streitthema waren.

Fragte man diese Clique, was ihr im Jugendhaus fehlt, fielen auch dort die Antworten sehr unterschiedlich aus. Ein Mädchen hatte dazu keine Idee, das andere Mädchen hätte gern mehr Zeit für ihre Altersgruppe am Billardtisch gehabt, der Siebenjährige hätte gern eine Hütte auf dem Gelände der Einrichtung gebaut und der zweite Junge sagte, dass es ihm an nichts fehle. Diese Antworten lassen schwer erkennen, ob die Jugendlichen gern ihre Einrichtung aktiv mitgestalten wollen. In erster Linie vermitteln sie einen uninteressierten Eindruck. Wie die Jugendlichen in den anderen Gruppen, haben aber auch diese Jugendlichen Interessen und Engagementpotenziale. Diese konnten in GEBe durch die Beobachtungen der Pädagoginnen und Pädagogen entdeckt und gemeinsam mit den Jugendlichen bearbeitet werden. Dadurch entstanden mehrere Engagementprojekte mit Jugendlichen, denen bis dahin immer unterstellt wurde, uninteressiert an ihrer Umwelt zu sein und kein Interesse daran zu haben, die Jugendeinrichtung mitzugestalten und bei sie betreffenden Fragen mitzubestimmen.

Die Einrichtungsporträts im folgenden Kapitel skizzieren prozesshaft die Entwicklung mehrerer Projekte in den beteiligten Einrichtungen und beschreiben die Erfolge der Fachkräfte und der Jugendlichen, gesellschaftliches Engagement in diesen Projekten zu fördern.

Porträts der beteiligten Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit

Moritz Schwerthelm

Im Projekt „GEBe – Gesellschaftliches Engagement Benachteiligter in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit fördern“ waren insgesamt sieben Einrichtungen aus Mainz, Berlin, Magdeburg und Halberstadt beteiligt. Für jede dieser Einrichtungen ist ein Porträt2 entstanden, um Außenstehenden zu verdeutlichen, welche Projekte und Entwicklungen dort jeweils durch GEBe angestoßen und weiterentwickelt wurden. Dafür haben wir einerseits auf die im gesamten Projektverlauf dokumentierten Beratungen zurückgegriffen. Zum anderen wurden in jeder Einrichtung Interviews mit den Fachkräften und teilweise auch mit den beteiligten Jugendlichen geführt und mit Blick auf fünf Schwerpunkte ausgewertet:

Unter „Ziele und Schwerpunkte der Einrichtung“ beschreiben wir, mit welchen Hoffnungen und Wünschen, aber auch Voraussetzungen und Rahmenbedingungen die einzelnen Einrichtungen in das Projekt gegangen sind und was sie zur Beteiligung an GEBe motiviert hat.

Im Absatz „Die Projekte in GEBe“ geht es um die Entwicklungsprozesse der Aktionen und Projekte zur Förderung gesellschaftlichen Engagements in der jeweiligen Einrichtung. Prozesshaft wird geschildert, wie die Aktionen und Projekte entstanden, welche Entwicklungen sich aus ihnen ergeben haben, was die Jugendlichen mitentscheiden und mitbestimmen durften und wie es für die Einrichtung hinsichtlich der Förderung gesellschaftlichen Engagements weitergehen soll.

In einem nächsten Abschnitt wird jeweils berichtet, was die Einrichtung verändert hat. Dabei wird vor allem auf die Aussagen der Jugendlichen und Fachkräfte aus den Interviews zurückgegriffen und geschildert, wodurch ihrer Meinung nach positive Entwicklungen in Gang gebracht wurden.

Auch die wichtigsten Erfahrungen der Fachkräfte und Jugendlichen wurden aus den Interviews gewonnen. Hier wird berichtet, welche Erfahrungen Jugendliche und Fachkräfte in GEBe gemacht haben und inwieweit diese Erkenntnisse wichtig bei der Förderung gesellschaftlichen Engagements benachteiligter Jugendlicher sind.

„Ausgezeichnet!“ In diesem letzten Abschnitt wird auf die sechs Qualitätsbereiche (vgl. Bertelsmann Stiftung 2009) für eine gute Praxis zur Förderung gesellschaftlichen Engagements zurückgegriffen und aufgezeigt, welche wichtigen Schritte die jeweiligen Einrichtungen hierbei gemacht haben.

Somit zeigen die Porträts die Entwicklungsprozesse in den Einrichtungen und in GEBe insgesamt. Sie beginnen mit den Zielen, Schwerpunkten und Hoffnungen, die die Einrichtungen mit der Teilnahme am Projekt verknüpft haben, zeigen auf, wie die Projekte entstanden sind und sich weiterentwickelt haben, wie die neuen Vorgehensweisen die Einrichtungen verändert haben und welche wichtigen Erfahrungen die Fachkräfte und die Jugendlichen dabei gemacht haben.

Kinder-, Jugend- und Kulturzentren Hechtsheim/Ebersheim

Leitung: Sevgi Mala-Caliskan

beteiligte Fachkräfte: Sevgi Mala-Caliskan, Laura Umsonst, Claudia Dittrich, Felix Platz

Träger: Landeshauptstadt Mainz

Anzahl der Besucher/-innen: durchschnittlich 35 pro Woche

Engagementprojekt: Kochgruppe, Thekenverwaltung, Demenzcafé

Adressen: Hechtsheim: Am Heuergrund (im Bürgerhaus), 55129 Mainz

Ebersheim: Feldgartenstraße 1, 55129 Mainz

Ziele und Schwerpunkte der Einrichtung

Die Jugendzentren Hechtsheim und Ebersheim wurden 2001 zu einem Regionalverbund zusammengelegt. Beide Einrichtungen haben die Ziele ihrer pädagogischen Arbeit an den Aufgabenbeschreibungen für Jugendarbeit nach § 11 des SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) ausgerichtet. Laut den Konzepten der Einrichtungen zielt die pädagogische Arbeit sowohl auf die „Förderung der Selbstständigkeit, des Selbstbewusstseins und des Selbstwertgefühls“ als auch auf die „Hinführung zu sozialem Engagement und gesellschaftlicher Mitverantwortung“. Die erfolgreiche Beteiligung und die positiven Erfahrungen der Fachkräfte und der Jugendlichen im Projekt „jungbewegt – Dein Einsatz zählt.“ motivierten die Einrichtung, an GEBe teilzunehmen. Dabei sei besonders für das JUZ Ebersheim die Projektzielgruppe der benachteiligten Jugendlichen wichtig gewesen, da diese dort zur primären Zielgruppe gehörten.

Die Projekte in GEBe

Die Herangehensweise des JUZ Ebersheim unterscheidet sich von denen der anderen in GEBe beteiligten Einrichtungen. Im Gegensatz zu den anderen Jugendhäusern besprachen die Fachkräfte die Teilnahme hier offen mit den Jugendlichen. Zu Beginn war es daher nötig, zusammen mit den Jugendlichen den Begriff „Engagement“ zu klären, um so eine Orientierung für die Arbeit im Projekt zu schaffen. Dabei entstanden bereits erste konkrete Ideen mit einer Gruppe von drei Mädchen, die von den Fachkräften als neugierig und interessiert wahrgenommen wurden.

So äußerten die Kids in einem Brainstorming, dass sie „Kindern in Not“ oder obdachlosen Menschen helfen wollten, indem sie Essen oder Kleidung verteilen. Eine andere Idee war die Hilfe für Tiere durch die Eröffnung eines Platzes für Streuner oder das Verteilen von Futter. Auch auf einen Namen für ihre Gruppe hatten die Jugendlichen sich schnell geeinigt. Sie wollten sich die „Junior-Sozialarbeiter“ nennen. Dies stieß anfangs auf den Widerstand einzelner Fachkräfte, die kritisierten, dass sie für den Titel des Sozialarbeiters/der Sozialarbeiterin studiert hätten und die Jugendlichen darum diesen Titel nicht annehmen könnten. So kam es zwischen Jugendlichen und pädagogischen Fachkräften zu ersten kleinen Rollenkonflikten und Machtkämpfen, die aber in Gesprächen geklärt werden konnten.

Die Motivation der Mädchen, sich zu engagieren, sei vor allem auf eigene Erfahrungen mit Armut und Krankheit zurückzuführen, interpretierten die Fachkräfte die Berichte der Jugendlichen. Förderlich sei auch gewesen, dass die Kids in Ebersheim das in „jungbewegt“ entstandene Demenzcafé in Hechtsheim wahrgenommen hätten. Dies habe sie motiviert, sich ähnlich zu engagieren. Während die Fachkräfte mit den Jugendlichen das Projekt zum sozialen Engagement planten, übernahmen diese aus eigenem Antrieb bereits einzelne Aufgaben im JUZ, um die zeitlich stark belasteten Fachkräfte zu entlasten. Dabei stießen auch einige Jungs zu der Gruppe. „Ohne uns wärt ihr aber heute voll aufgeschmissen gewesen!“, sagte eine Jugendliche zu den Fachkräften.

Die positiven Erfahrungen mit ihrem Engagement innerhalb der Einrichtung führten zu dem Wunsch der Jugendlichen, erst mal ein Projekt in diesem geschützten Rahmen durchzuführen und nicht gleich ein großes Projekt in der Öffentlichkeit anzugehen. So entstand nach dem langen, aber hilfreichen Klärungsdialog zwischen Jugendlichen und Fachkräften ein Projekt, in dem die Jugendlichen mit und für andere Jugendliche in der Einrichtung gemeinsam kochen wollten. Diese Kochaktionen wurden mehrmals erfolgreich durchgeführt. Das nahmen auch jüngere Besucherinnen und Besucher der Einrichtung wahr, die daraufhin ebenfalls Mitbestimmung und Mitgestaltung im JUZ einforderten. Das pädagogische Team eröffnete den Kids darum die Möglichkeit, den Thekendienst zu übernehmen. Der Thekendienst wurde mit den Jugendlichen organisiert, das heißt, es wurden zusammen Regeln, Abläufe und Einkäufe besprochen und die Jugendlichen übernahmen Dienste, bei denen sie Bestellungen entgegennahmen, die Sandwiches vorbereiteten und Getränke holten. Für die Zukunft ist geplant, dass die Jugendlichen auch Verantwortung für die Kasse übernehmen.

Im JUZ Hechtsheim wurde das Demenzcafé erfolgreich weitergeführt. Hier organisieren Jugendliche selbstständig gemeinsame Nachmittage mit demenzerkrankten Menschen aus dem Stadtteil. Während der wöchentlichen Treffen trinken sie zusammen Kaffee, essen Kuchen, singen, spielen und planen einmalige Aktionen wie das Erdbeerpflücken.3 Die Jugendlichen übernehmen hier Verantwortung für ihr Handeln und für andere Menschen. Die Übernahme von Verantwortung und Selbstbestimmung ist bereits so weit fortgeschritten, dass die Jugendlichen sich auch verstärkt mit ihrem Engagement in der Öffentlichkeit zeigen wollen und andere Jugendliche dazu bewegen möchten, sich ebenfalls zu engagieren. Angedacht ist auch, dass die Jugendlichen einen Schlüssel für die Räumlichkeiten der Einrichtung bekommen.

Was die Einrichtung verändert hat