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William Stillman

AUTISMUS
UND DIE VERBUNDENHEIT
MIT GOTT

Erkenntnisse über die hohe Spiritualität
von Menschen mit Autismus

Aus dem Amerikanischen
von Rita Höner

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Titel der amerikanischen Originalausgabe:
AUTISM AND THE GOD CONNECTION
Redefining the Autistic Experience Through Extraordinary
Accounts of Spiritual Giftedness

Deutsche Ausgabe:
Copyright © 2009 by AMRA Verlag
Auf der Reitbahn 8, D-63452 Hanau
Telefon: + 49 (0) 61 81–18 93 92
Kontakt: info@amraverlag.de

Published by Arrangement with
Sourcebooks Inc., Naperville, IL, USA.
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur
Thomas Schlück GmbH, D-30827 Garbsen.

Herausgeber & Lektor

Michael Nagula

Umschlag & Satz

Günter Treppte

Druck

CPI Moravia Books s.r.o.

ISBN 978-3-939373-14-8

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen
und sonstige Kommunikationsmittel, fotomechanische oder
vertonte Wiedergabe sowie des auszugsweisen Nachdrucks
der Übersetzung, vorbehalten.

Für Frank und Nora,
denen ich auf ewig zu Dank verpflichtet bin,
und für all jene,
die ihre Überzeugung und Unterstützung bewiesen
und so zu diesem Buch beigetragen haben –
ich danke euch
.

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INHALT

Einführung

TEIL I – EIN WEG ZUR CHANCE

1    Wunder wirken

2    Sich dem glücklichen Zufall fügen

TEIL II – GÖTTLICHE ERFAHRUNGEN

3    Ohne Worte sprechen

4    Spirituelle Beschützer

5    Engel um uns herum

TEIL III – BESTÄTIGUNGEN

6    Izzy

7    Gespenster im »Labor«

8    Die Marienkäfergeschichte

9    Der Kreis schließt sich

Danksagung

Über den Autor

Anhang A: Bibliografie

Anhang B: Nützliche Adressen

Der Mensch ist ein Teil jenes Ganzen, das wir
»Universum« nennen, ein Teil, der in Zeit und
Raum begrenzt ist. Er erlebt sich selbst, seine
Gedanken und Gefühle, als etwas vom Rest
Getrenntes, als eine Art optische Täuschung …
des Bewusstseins.
Diese Täuschung ist für uns eine Art Gefängnis,
das uns auf unsere persönlichen Wünsche und
die Zuneigung zu ein paar Personen begrenzt,
die uns am nächsten sind. Es ist unsere Aufgabe,
uns aus diesem Gefängnis zu befreien, indem
wir den Kreis unseres Mitgefühls so ausdehnen,
dass er alle lebenden Geschöpfe und die gesamte
Natur in all ihrer Schönheit umfasst. Niemandem
gelingt das ganz, aber schon das Anstreben dieses
Ziels ist Teil der Befreiung und eine Grundlage
für unsere innere Sicherheit
.

Albert Einstein

EINFÜHRUNG

Wenn Sie das vorliegende Buch lesen, gehören Sie offenbar zu jenen Menschen, die daran interessiert sind, mehr über Autismus zu erfahren. In den USA sind das laut einer Umfrage aus dem Jahr 2003 immerhin 71 Prozent. Wahrscheinlich haben Sie aber auch die sich häufenden Nachrichten gesehen oder gehört, die sich auf das Thema beziehen oder es sogar groß herausstellen. Vielleicht kennen Sie auch jemanden, der ein Kind mit Autismus hat – ein Freund, eine Kollegin, eine Bekannte, Sie selbst.

Wenn der Titel Ihre Aufmerksamkeit erregt hat, werden Sie mehr über Autismus und seine starken spirituellen Bezüge erfahren wollen. Vielleicht haben Sie diese göttliche Verbundenheit auch schon aus erster Hand erlebt? Oder Sie sind so aufgeschlossen, dass Sie aus einer ganz einmaligen Perspektive mehr über Autismus erfahren möchten. So ist es mir ergangen. Trotzdem war die Verinnerlichung des Ganzen eine überraschende Reise, die mich zu beruflichen und persönlichen Offenbarungen geführt hat.

Falls Sie mit Autismus nicht vertraut sind: Aus klinischer Sicht handelt es sich um eine neurologische Abweichung in der Vernetzung des Gehirns. Es ist nicht bekannt, dass es eine einzelne Ursache gäbe, wohl aber gibt es zahlreiche Theorien; die aktuelle Forschung konzentriert sich auf genetische und umweltspezifische Faktoren. (Noch 1997 präsentierte ein Lehrbuch zur Krankenpflege das alte Klischee, gleichgültige, »kalte« Mütter wären für die autistische Dissoziation ihrer Kinder verantwortlich!)

Autismus beeinträchtigt vor allem die Fähigkeit, effizient, verlässlich und universell verständlich zu kommunizieren. Das bedeutet, dass viele Betroffene entweder gar nicht sprechen oder ihre sprachlichen Fähigkeiten begrenzt sind. Das macht es ihnen schwer, die eigenen Wünsche, Bedürfnisse, Gedanken und Sehnsüchte zu äußern – was sich unweigerlich auf die Qualität der sozialen Beziehungen auswirkt. Die Schwierigkeit, soziale Beziehungen aufrechtzuerhalten, ist ein weiteres Kennzeichen der Diagnose »Autismus«.

Autismus wird auch diagnostiziert, wenn ausgeprägte Abweichungen der fein- und grobmotorischen Fertigkeiten vorliegen. Dazu gehören stereotype Verhaltensweisen, etwa das Vor- und Zurückwiegen des Körpers, das Kreisenlassen einer Stück Schnur, das ständige Aus- und Anknipsen eines Lichtschalters oder einfach die Unfähigkeit, sich koordiniert und geschickt zu bewegen. (Einige Personen mit Autismus haben vorgebracht, dass gewisse körperliche Auffälligkeiten nicht ihrem Willen unterliegen, wie anhaltendes unwillkürliches Zittern, Niesen oder Zucken.)

Autismus ist eine lebenslange Erfahrung und weder ansteckend noch heilbar. Er gehört ganz natürlich zum Wesen eines Menschen, genau wie seine Haarfarbe, die Pigmentierung seiner Haut und Eigenschaften, die er von seinen Ahnen vererbt bekam – Autismus ist so spezifisch und individuell wie jeder einzelne Mensch. Er spielt sich in einem breiten, sehr bunten Spektrum ab, das von Menschen, die scheinbar beträchtliche Handicaps aufweisen, bis zu solchen mit äußerst leichten Ausprägungen reicht.

Ich beispielsweise erkenne mich im Asperger-Syndrom wieder, vor allem wenn ich an meine Kindheit, meine Jugend und mein frühes Erwachsenenleben denke. Das Asperger-Syndrom wird in diesem breiten Spektrum derzeit als einer der »Vettern« des Autismus betrachtet. Es gilt als eine leichtere, hochfunktionale Form dieses Erlebens, und ich kann mich gut in Menschen mit dieser Diagnose einfühlen.

Alles, was ich bin

Für mich bedeutet Asperger die lebenslange Unfähigkeit, viele soziale Konventionen und Interaktionen auf die übliche Weise zu interpretieren, zum Beispiel Humor und versteckte Anspielungen in einem Gespräch. Ich interpretiere eher wörtlich und konkret. Manchmal gleicht das Ergebnis dem klassischen »Who’s on First?«-Sketch des amerikanischen Komiker-Duos Abbott und Costello.

Hotelangestellte an der Rezeption beim Check-in:

»Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt, Mr. Stillman.

Ihr Zimmer ist hier – gleich neben mir, den Flur hinunter.«

Stillman (ungläubig):

»Sie meinen, Sie wohnen ebenfalls hier?«

Asperger bedeutet für mich auch, dass ich Themen, die mich persönlich begeistern, Beziehungen zu Menschen vorziehe. »Menschen« waren für mich immer so etwas wie eine Fremdsprache, die ich wie ein Tourist gerade so gut beherrschte, dass ich damit durchkam. (Wenn Sie beispielsweise, nachdem Ihnen jemand ein Glas H2O gereicht hat, bemerken: »Sie machen gutes Wasser!«, bringt Ihnen das fast immer einen Lacher oder zumindest ein Lächeln ein.) Entsprechend haben mich andere oft übersehen, abgewertet oder missachtet, und bis zu einem gewissen Grad ist das heute noch der Fall.

Und letzten Endes ist – wie bei meinen Brüdern und Schwestern mit Autismus – mein gesamtes Nervensystem so feinfühlig, dass meine Emotionen und Sinne in einer Frequenz »schwingen«, die sich von jener der meisten anderen Menschen unterscheidet. Zum Beispiel war ich als Kind außergewöhnlich sensibel – extrem emotional. Ein melancholischer Liedtext wie der von Puff the Magic Dragon oder praktisch alles, was Peter, Paul & Mary sangen, konnte bei mir abgrundtiefe Depressionen auslösen.

Am Deutlichsten erinnere ich mich an ein entsprechendes und sehr befreiendes Kindheitserlebnis. Ich wurde in der episkopalen Kirche groß und im Alter von sechs Jahren einmal aus meiner Kirchenbank entfernt, weil ich unkontrolliert weinte. Ich hatte, von niemandem bemerkt, ein großartiges, herrliches Buntglasfenster mit der Kreuzigung angestarrt, und der Schmerz, den Christus durchgemacht haben muss, erfüllte mich mit tiefer Traurigkeit. Das fesselnde Mosaik dieses tristen Bildes prägte sich mir unauslöschlich ein. Und trotzdem kam es an einem bestimmten Punkt emotional und empathisch zu einer Loslösung.

Als kleiner Junge hatte ich oft das Gefühl eines Déjà-vu. Es drückte sich in der jähen Erkenntnis aus, dass ich das, was gerade geschah, genau so schon einmal erlebt hatte. Ich nahm auch aus den Augenwinkeln Bewegungen wahr und hatte prophetische Träume; einmal sah ich im Traum, wie ich zahllose Pennys vom Rasen vor unserem Haus aufhob, und am nächsten Tag tat ich genau das – und fragte mich dabei, wie um alles in der Welt die Münzen dorthin gekommen waren. Aber damals stand meine Familie unerklärlichen Möglichkeiten und Ereignissen bereits aufgeschlossen gegenüber.

Ich kann mich nicht an eine Zeit erinnern, in der mich die fantastische Handlung des Zauberers von Oz nicht unendlich fasziniert hätte, und so wurde dieses Musical auch zu meiner ersten großen Leidenschaft. Andere kindliche »Sub-Leidenschaften« tendierten zu ungewöhnlichen oder mystischen Themen, die auf Künftiges verwiesen. Zum Beispiel faszinierten mich die Wasserspeier an Kirchen und Kathedralen, die griechische Mythologie, besonders Perseus und Medusa, angeblich »echte« Monster wie der dem Yeti vergleichbare Bigfoot, Außerirdische und das Ungeheuer von Loch Ness oder Wonder Woman aus der beliebten gleichnamigen TV-Serie der Siebzigerjahre. Anders als die meisten Teenager meiner Zeit interessierte mich Krieg der Sterne kein bisschen, statt dessen zog mich der Realismus von Unheimliche Begegnung der dritten Art an. Auch Geschichten über Gespenster und das, was damals »das Okkulte« genannt wurde, faszinierten mich. Kompliziert wurde die Angelegenheit dadurch, dass in meiner Lektüre über ungewöhnliche Phänomene wie etwa außersinnliche Wahrnehmung nirgends auf Spiritualität oder einen wohlmeinenden Schöpfer Bezug genommen wurde. Das bestärkte mich in meiner Überzeugung, dass der Ursprung all dieser »Kräfte« unrein wäre.

Ich hatte immer das Gefühl, dass etwas oder jemand über mich wachte und mich beschützte, wenn es angebracht war. Ich sage, »wenn es angebracht war«, weil ich sicher nicht vor allen schädlichen oder betrüblichen Umständen in meinem Leben gefeit war und wegen meiner Andersartigkeit von klein auf tagtäglich Demütigungen durch meine Altersgenossen über mich ergehen lassen musste – in unterschiedlicher Form, verbal und physisch. Diese schlechte Behandlung hielt über weite Strecken meiner schulischen Laufbahn hinweg an. Heute weiß ich, dass meine »Erlösung« von solchen Erfahrungen den notwendigen Prozess verhindert hätte, aus diesen Erlebnissen zu lernen und durch sie zu wachsen. Letztlich machten sie mich stark.

Aber angesichts eines Selbstwertgefühls, das sich damals schnell in Luft auflöste, konnte ich die Lernchancen nicht erkennen, die sich hinter Häme und Schmutz verbargen. Als ich in diese trübe Phase eintauchte, war jede spirituelle Anbindung gestört, und ich verwarf genau das, was mich schützte.

Rückblickend war es ein ewiger Kampf zwischen einer »leichten«, guten, sprich spirituellen Seite und einer »dunklen«, bedrohlichen Seite, die sich aus Selbsthass speiste. Zum Glück hatte ich immer ein angeborenes Gefühl dafür, dass mein Leben einen Sinn hat – eine Vorahnung der Erkenntnis, dass ich der Welt etwas zu geben habe. Irgend etwas in mir sagte mir, dass alles irgendwie, irgendwann besser werden würde, wenn ich nur die schweren Zeiten überstand. Und als ich in meiner dunkelsten Stunde ein scharfes Rasiermesser betrachtete, verhinderte diese beschützende innere Stimme, dass ich mir mit sechzehn Jahren das Leben nahm.

Es ist tatsächlich nicht weiter ungewöhnlich, dass junge Erwachsene mit Autismus oder dem Asperger-Syndrom diesen finsteren Ort erreichen und Selbstmordgedanken hegen. Andere betäuben ihren Schmerz mit Drogen, Nikotin oder Alkohol. Eltern und Betreuer sollten deshalb sehr genau auf alle Symptome einer Depression und einer posttraumatischen Belastungsstörung achten.

Eine solide spirituelle Basis kann für jeden, der sich durch solche Zeiten kämpft, eine große Hilfe sein, aber als ich diesen riskanten Punkt erreichte, hatte ich praktisch keine Verbundenheit mit der Spiritualität. Das blieb auch meine ganze Jugend über und bis weit ins Erwachsenenalter hinein so – erst dann brachte ich mich bewusst in Harmonie mit einer authentischen Quelle. Ich entwickelte mich zur hellen Seite hin und ging gestärkt und siegreich aus diesem Prozess hervor. Dabei rechne ich es anderen Menschen mit Autismus hoch an, dass sie mir die Nahrung gaben, die mir Mut machte und Auftrieb verlieh. Doch darüber später mehr.

Spiritualität in der Gemeinschaft
von Menschen mit Autismus

Ich berate jetzt schon seit Jahren speziell Teams, die vor der Herausforderung stehen, Menschen, die anders sind, beispielsweise Autisten, zu verstehen. Ich hatte bereits mit vielen autistischen Menschen zu tun, die spirituell brillant sind und eine Schönheit besitzen, die von innen heraus strahlt – es war, wenn Sie so wollen, ein gegenseitiges »Erkennen«.

Einige dieser Personen oder ihre Familien haben meine sofortige Wahrnehmung einer spirituellen Angebundenheit bestätigt. Ihre Geschichten haben unterstrichen, dass viele Personen mit Autismus eine gesteigerte Bewusstheit, eine angeborene Sanftheit und äußerste Sensibilität besitzen – sie haben die Fähigkeit, alles Sichtbare und Unsichtbare wahrzunehmen. Bei manchen nehmen diese Segnungen die Form »medialer Begabungen« an wie solcher, die ich als Kind durch eigene Erlebnisse und meine Lektüren kennen gelernt hatte oder für die ich offen war. Mir wurde von Fällen berichtet, bei denen der oder die Betreffende wusste, was jemand dachte, noch ehe es ausgesprochen wurde, oder es wurden zukünftige Ereignisse vorhergesagt, die tatsächlich eintraten, oder jemand hatte eine besondere, wortlos sich zeigende Verbundenheit mit Tieren. Wieder andere hatten Visionen von ihren Großeltern oder anderen geliebten Menschen, oder sie kommunizierten mit Engeln – Fähigkeiten, die scheinbar Heiligen und Propheten der Alten Welt vorbehalten waren.

Wenn ich so darüber nachdenke, stimmt diese Befähigung der Sinne zu einer höheren Schwingung mit der prägnanten, oft überwältigenden autistischen Sensibilität für das überein, was man sieht, riecht, schmeckt, berührt oder hört. Manche Personen mit Autismus reagieren sogar auf wetterbedingte Veränderungen der Anzahl positiver Ionen – ein Vorgang, der als Serotonin-Stress-Reaktion bezeichnet wird und das Nervensystem des oder der Betreffenden völlig durcheinanderbringen kann. 2002 berichtete die amerikanische Academy of Neurology über Forschungen von Wissenschaftlern des Medical College in Georgia, der University of South Carolina und des Downtown VA Medical Center in Augusta/Georgia. Sie hatten computergenerierte Bilder des Gehirns von Menschen mit Autismus untersucht und festgestellt, dass kleinere, sich aber überdurchschnittlich reproduzierende Minikolumnen – eine Basiseinheit der Hirnzellenorganisation – jenem chronischen Übererregungszustand entsprachen, der vermutlich die Fähigkeit beeinträchtigt, zwischen konkurrierenden sensorischen Informationen zu unterscheiden.

Gleichzeitig mit der Wiederentdeckung meiner eigenen Spiritualität und kurz vor der 2002 erfolgten Veröffentlichung meines ersten Buches über das autistische Erleben fühlte ich mich gedrängt – oder besser, ich ergab mich dem »Sog« –, ein weiteres Buch in Angriff zu nehmen. Das neue Projekt sollte jene wenig bekannte Facette des Autismus zum Thema haben, die bisher weitgehend unter Verschluss gehalten, tot geschwiegen oder schlichtweg abgelehnt worden war. Herausgekommen ist das vorliegende Buch, das ausschließlich informieren und keine neuen Programme, Methoden oder Vermittlungsversuche propagieren will. Allerdings lädt es den Leser ein, alternative Möglichkeiten zu erwägen, denn es betrachtet Autismus auf vollkommen neue Weise.

Die klinische Autismus-Definition wird weder den Familien noch den Betroffenen gerecht. Leider verweist sie oft eher auf die Defizite, die man an sich wahrnimmt, als auf die eigenen Stärken, Begabungen und Fähigkeiten. Viele Eltern sagten mir, es wäre ein »Todesurteil« für sie, wenn ihr Kind die Diagnose »Autismus« erhielte. Einige sind extrem verbittert oder ärgern sich maßlos über den Autismus ihres Kindes und die verwirrenden und manchmal gewalttätigen Verhaltensweisen, die das nach sich ziehen kann. Dieser Bereich ist sehr verworren. Sehr häufig liegt der Schwerpunkt darauf, wie man Menschen mit Autismus in Hinblick auf Konformität und »Normalität« am besten »managt« und steuert, sodass das Offensichtliche häufig vergessen wird: die ungewöhnlichen und kolossalen Gaben von Menschen, die von Natur aus zart und ausnehmend feinfühlig sind.

Vor allem müssen wir das Klischee erschüttern, Menschen mit Autismus wären zwangsläufig intellektuell beeinträchtigt (das heißt, in ihrer geistigen Entwicklung zurückgeblieben), eben weil sie autistisch sind. Sollten Sie dieser Meinung sein, möchte ich Sie höflichst bitten, Ihre diesbezüglichen Vorbehalte abzulegen. Mein Mantra lautet: »Unterstellen Sie immer Intelligenz.« Ich möchte Sie auch ermutigen, sich intensiv um ein Verständnis des Autismus zu bemühen, und dazu auf mein Buch Demystifying the Autistic Experience verweisen. (Dieses Buch enthält auch weitere autobiographische Informationen für diejenigen unter Ihnen, die sich für meine Geschichte interessieren.)

Wenn man davon ausgeht, dass unsere Seelen auf der Reise zur spirituellen Vollkommenheit einen Weg des ewigen Lernens durchlaufen, mag es aus theologischer Sicht zutreffen, dass die Menschen, die in ihrem Leben vor den größten Herausforderungen stehen, zu den fortgeschrittensten Seelen zählen.

Angela, ein recht junges Mädchen mit autistischen Eigenschaften, bemerkte:

Ich bete darum, dass der Himmel einen Plan für mein Leben hat.
Gott liebt Menschen, die ein Leben führen wie ich.

Spirituell erhabene Seelen wie die von Angela haben es sich ausgesucht, in Zusammenarbeit mit einer Höheren Macht so gefordert zu werden. (Kein Wunder, dass Menschen mit Autismus oft die Analogie verwenden, sie würden sich wie Fremde auf einem unbekannten Planeten fühlen – der Abstand zwischen ihrem spirituellen Niveau und unserer irdischen Ebene ist riesig.)

Betrachten Sie einmal, auch wenn es sich nicht um Menschen mit Autismus handelt, die Triumphe von Helen Keller oder des jungen Matthew Stepanek, die sich über enorme Widrigkeiten hinwegsetzten. Die eine, 1880 geboren, seit ihrem zweiten Lebensjahr taub und blind, lernte mehrere Fremdsprachen, setzte sich – als Schriftstellerin und Rednerin – für die Rechte der Schwarzen ein und erhielt später mehrere Ehrendoktor-Würden, unter anderem der Harvard University, der andere litt seit seiner Geburt an einer seltenen Form der Muskeldystrophie und wurde noch vor seinem Tod mit dreizehn Jahren im Jahre 2004 zu einem der erfolgreichsten amerikanischen Lyriker. Seine Heartsongs-Gedichtbände sind Ausdruck einer inneren Stimme, die liebevoll und sanft Matthews Wunsch nach Hoffnung und Frieden formuliert.

Auch wenn bei diesen beiden großartigen Menschen so viele Facetten menschlicher Geduld und Ausdauer gefordert waren, hatten ihre Seelen »das schon durchgemacht, das bereits erlebt«. Dr. Michael Newton erhärtet diese Behauptung in seinem Buch Die Reisen der Seele, indem er schreibt: »Weit fortgeschrittene Seelen findet man auf der Erde oft in einfachen Umständen.«

Ich vermute, dass viele solcher Menschen durch göttliche Eingriffe sehr beschützt sind, wenn sie uns hier auf der Erde belehren und beraten. Aber bitte missverstehen Sie mich nicht. Ich behaupte nicht, dass alle Personen mit Autismus multisensorische Fähigkeiten besitzen. Ich weiß nicht, ob es so ist. Allerdings habe ich die Erfahrung gemacht, dass dieses Thema überwältigend vielen dieser Menschen gemeinsam ist. Mit Blick auf Dr. Newtons Forschungen meine ich außerdem, dass das auch für zahlreiche Menschen gelten könnte, die in anderer Hinsicht stark gefordert sind. Wenn Sie das vorliegende Buch lesen, können Sie das Wort »Autismus« durch alle möglichen anderen entwicklungsmäßigen Unterschiede ersetzen, ohne dadurch seine Botschaft zu verändern. Es ist nur einfach so, dass ich das Augenmerk hier auf Autismus richte.

Bedeutet das, dass alle Menschen mit Autismus eine »engelhafte« Vollkommenheit besitzen und nichts Böses tun können? Natürlich nicht. Aber viele kommunizieren lediglich auf eine Weise, die wir nicht verstehen, weshalb wir ihre Äußerungen irrtümlich als schwerwiegendes »Fehlverhalten« deuten und abstempeln. Dabei sind wir alle schwache und mit Fehlern behaftete Menschen, die den Auftrag haben, das Beste aus unserem Leben zu machen und dabei zu lernen, mit anderen in Verbindung zu treten und sie emotional zu berühren. Die Fähigkeit zu dieser inneren Verbindung, das Vorhandensein einer solchen Verbundenheit, ist in jedem von uns fest verankert. In seinem Artikel »Fools of God« (»Die Narren Gottes«) ist Nick Pentzell Anwalt in eigener Sache und unerbittlich, wenn er die folgende Unterscheidung trifft und die Glorifizierung durch Gutmenschen ebenso ablehnt wie jede Form der Diffamierung oder des prätenziösen Mitleids:

Die Art, wie Menschen in meiner Gegenwart reagieren, zeigt oft etwas von ihrer religiösen Einstellung zu Behinderungen. Am negativen Ende des Spektrums sehen Leute, die meine Art zu kommunizieren nicht verstehen, mich als Strafe Gottes an, als Kanal für etwas Dämonisches oder Übernatürliches, als Last, die den Glauben meiner Betreuer prüfen soll, oder als eine Seele, die aus früheren Leben schlechtes Karma übernommen hat und jetzt an Autismus leidet. Die positiven Auffassungen sind genauso absurd: Ich wäre eine Emanation Christi, ein Engel, ein Wunder, ein heiliger Unschuldiger und ein Narr Gottes.

Pentzells Sichtweise, die eine Überprüfung der Realität fordert, mäßigt unseren Übereifer und erlegt unserem Impuls, uns künstlich lieb Kind zu machen, Grenzen auf.

Meine Kritiker werden meine Nachweise zu entwerten versuchen und mich beschuldigen, die empfindlichen Gefühle von Familien auszunutzen, die sich verzweifelt nach einer positiven Erklärung für den Autismus ihres Kindes sehnen. Aber absolut nichts von dem, was ich hier vorlege, ist Menschen mit Autismus, ihren Familien, Freunden und Angehörigen nicht bereits bekannt – wenn auch nur im Kontext heimlicher Gespräche. Auf meinen Reisen habe ich das Publikum meiner Autismus-Vorträge immer gebeten, anschließend noch eine Weile zu bleiben und sich an einer Diskussion über Autismus und Spiritualität zu beteiligen; und es blieb immer etwa ein Dutzend Leute. Ich werde nie enttäuscht, wenn Eltern und Betreuer in einer geschützten und angenehmen Umgebung, in der sie offen sprechen können, den Mut fassen, erstaunliche und erfreuliche Geschichten mitzuteilen, von denen sie immer glauben, nur sie allein hätten so etwas erlebt.

Eine derartige Geschichte erzählte mir Carol aus Indiana:

Als am 11. September 2001 die Türme des World Trade Centers einstürzten, ging ich entsetzt, ängstlich und wütend zu Bett. Dann fiel mir ein, dass Steven seine Gebete noch nicht gesprochen hatte. Mein Sohn war damals erst neun Jahre alt und hat hochfunktionalen Autismus.

Stevens Gebet erschütterte mich bis ins Mark. Er spulte seine übliche Litanei an Segenswünschen für die Familie ab, und dann bat er Gott, Osama bin Laden zu vergeben, dass er Menschen getötet hatte! Ich war sprachlos. Dieser kleine Junge, der so hart gekämpft hatte, sah das Herz Gottes und wie traurig Gott war, dass so viele Leben vernichtet worden waren. Mein Glaube wurde dadurch erneuert, besonders mein Glaube an den erstaunlichen Geist meines kleinen Jungen.

Solche Bestätigungen bekomme ich unabhängig davon, wo ich mich aufhalte.

Ich muss Ihnen sagen, dass selbst Menschen mit derart großen Gaben mich gewarnt haben, dieses Thema weiterzuverfolgen. Ein lieber Freund mit Autismus meinte sogar, es wäre für ihn und andere besser, davon zu schweigen. Er wolle nicht das Risiko eingehen, irgendwelche Leute, die womöglich vorgefasste Meinungen mitbringen, gegen sich aufzubringen und Klischees über »autistisches Verhalten« zu bedienen, die dann als Wahnvorstellungen oder psychotische Episoden wegerklärt und medikamentös entsprechend behandelt werden.

Aber denjenigen unter Ihnen, die das, was sie in Bezug auf psychische Krankheiten nicht ohne Weiteres erklären können, gerne unter Generalverdacht stellen, möchte ich sagen, dass Autismus einen Menschen nicht automatisch psychisch krank macht. Psychische Krankheiten müssen anhand von Symptombündeln diagnostiziert werden, die für diese Person unüblich sind – nicht anhand isolierter oder sporadischer Vorfälle.

Autismus selbst ist keine psychische Krankheit. Vielmehr ist es so, dass bei Menschen, die bereits verletzlich und zu äußerster Feinfühligkeit und angeborener Zartheit prädisponiert sind, eine psychische Krankheit eine reale Möglichkeit ist, die mit dem Autismus nichts zu tun hat. Bevor Sie sich zu übereilten und gefährlichen Schlüssen verleiten lassen, sollten Sie sich über die häufigsten Symptome psychischer Gesundheitsprobleme bei Menschen mit Autismus informieren: Depressionen, bipolare Störungen, Ängstlichkeit und posttraumatische Belastungsstörungen. (Ich lasse Zwangsstörungen hier weg, weil ich der Meinung bin, dass sie missverstanden und zu oft diagnostiziert werden. Manche Menschen wiederholen Handlungen oder Formulierungen ganz bewusst als Reaktion auf schmerzliche Reizauslöser und andere Reize aus der Umgebung, die bei neurotypischen Menschen auf natürliche Weise herausgefiltert werden.)

Andere Menschen mit Autismus haben das Vorhandensein ihrer spirituellen Begabungen eingestanden, sind aber verständlicherweise dem Thema gegenüber gleichgültig oder nicht besonders daran interessiert, es an die Öffentlichkeit zu bringen. Es existiert, ist jedoch nicht übermäßig wichtig im Vergleich mit vorrangigeren Problemen wie der Vertretung eigener Interessen, der Durchsetzung von Grundrechten und dem unermüdlichen Bemühen um die Anerkennung durch die Allgemeinheit.

Mein Ziel bei der Beschäftigung mit diesem Thema besteht darin, andere über eine einmalige und wundervolle Facette des autistischen Erlebens aufzuklären. Damit folge ich einer langen Tradition, in der wir uns immer kollektiv bemüht haben, Mythen und Klischees zu erschüttern, die solche Erlebnisse einer intellektuellen Behinderung oder psychischen Krankheit zuschreiben. Und ich spreche damit den Grundsatz an, dass Menschen, die anders sind, oft unsere Lehrer sind – sie sind hier, damit wir Mitgefühl, Sensibilität und bedingungslose Liebe besser verstehen, also die wichtigsten Lektionen des Menschseins.

Viele sind im Besitz einer spirituellen Verbundenheit, und wir müssen endlich so aufgeschlossen sein, etwas über sie erfahren zu wollen. Es ist an der Zeit.

Andrew Bloomfield, ein kanadischer Dichter mit Autismus, fasst es folgendermaßen zusammen:

Ich glaube, Menschen lieben ist dasselbe wie Gott lieben. Ich möchte anderen etwas beibringen können, aber kein Versuchskaninchen sein. Ich würde andere gern inspirieren.

Ich habe mich bemüht, auch sehr heikle Informationen korrekt und wahrheitsgemäß zu präsentieren. Persönliche Geschichten habe ich immer äußerst gewissenhaft und behutsam wiedergegeben und parallel dazu Bestätigungen angeboten. Viele Betroffene haben sich entschieden, ein Pseudonym oder nur den Vornamen zu verwenden, um sich zu schützen.

Trotzdem haben wir keinen Grund zu der Annahme, ihre Geschichten wären nicht authentisch. Fürsprecher in eigener Sache, Eltern und Betreuer von Menschen mit Autismus können ein sehr komplexes Leben haben.

Ich glaube nicht einen Augenblick lang, dass irgendeiner der guten Menschen, die ich getroffen und interviewt habe, oder die per E-Mail oder Telefon Kontakt mit mir aufgenommen haben, mir seine kostbare Zeit aus Eigennutz geschenkt oder mich absichtlich in die Irre geführt hat. Jeder von ihnen war so mutig, private Zeugnisse zum Nutzen von uns allen mitzuteilen. Unser Ziel ist erreicht, wenn ihre Geschichten glaubhaft klingen und das bestätigen, was Eltern, Betreuer und andere als segensreiche Eigenschaften ihrer lieben Menschen erkannt haben.

Ich bringe in das Thema als meinen Hintergrund mit ein, dass ich seit 1987 Menschen mit anderer Seinsweise unterstütze. Beim Schreiben dieses Buchs bin ich intensiv in die Forschung eingetaucht, auch in die unschätzbar wertvollen Erläuterungen der namhaftesten und verehrungswürdigsten spirituellen Führer und Visionäre. Ihre Schriften haben meine Arbeit entweder bestätigt oder mich mit Konzepten versorgt, die mir Hoffnung machen. Alle enthalten die gleiche universelle Botschaft: Lebe, um zu lieben.

Mir ist klar, dass die spirituelle Begabung von Menschen mit Autismus ein heikles und umstrittenes Thema ist. Wenn wir diese Möglichkeit jedoch aus einer globalen Perspektive betrachten, schaffen wir eine Grundlage, von der aus Wachstum und Veränderung möglich sind – sofern wir offen dafür sind.

Oft hindert die Angst vor dem Unbekannten uns daran, etwas zu akzeptieren, was auf den ersten Blick nicht erkennbar ist. Trotzdem bezweifeln wir nicht, dass wir Liebe geben und annehmen können, und wir lieben, ohne dass die Existenz der Liebe sich effektiv beweisen lässt. Wir können das Vorhandensein des Gehirns beweisen, aber nicht das der menschlichen Psyche. Gleiches ließe sich über unsere heiligsten religiösen Überzeugungen sagen; Ungläubige wollen konkrete Beweise. Auch die multisensorischen Gaben eines Menschen mit Autismus sollten nicht einfach deshalb beiläufig wegerklärt werden, weil die herkömmliche Wissenschaft sie nicht messen kann.

Der Maßstab für diese himmlischen Gaben ist nämlich ausschließlich das Herz.

Teil I

Ein Weg zur Chance

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WUNDER WIRKEN

Wenn eine Familie für ihren Sohn oder ihre Tochter die Diagnose »Autismus« erhält, findet für manche ein Tod statt. Dieser Tod ist der Verlust des Menschen, der das Kind sein sollte. Manche Ärzte gehen beim Überbringen der Diagnose nicht gerade hilfsbereit, behutsam oder sensibel vor, was bei den Familien das Verlustgefühl verstärkt. Die Diagnose ist vielleicht eine erleichternde Bestätigung für Vermutungen über das Wachstum und die Entwicklung des Kindes und seine Interaktion mit anderen. Oder die Diagnose wird von einem verwirrenden klinischen Fachjargon begleitet, von aus Unwissenheit lückenhaften Informationen über die vermuteten Einschränkungen der intellektuellen Leistungen und Fähigkeiten des Kindes – und von einer hoffnungslosen Prognose für die Zukunft.

Nun setzt möglicherweise ein Trauerprozess ein, bei dem der Traum, zu wem das Kind heranwachsen sollte, Ängsten und Sorgen in Bezug auf sein Leben und die Verantwortung für eine lebenslange Betreuung weicht. Dabei muss der Traum nicht gänzlich aufgegeben werden. Er muss nur modifiziert werden, damit den einmaligen Persönlichkeitsmerkmalen und Fähigkeiten des Menschen mit Autismus besser entsprochen wird. Durch die Neudefinition des Traums bekommt dieser Mensch mit Sicherheit unerwartete, überraschende Facetten, die sich als erfüllend und bereichernd erweisen. Viele Eltern und Betreuer erkennen, dass ihr Leben auf tiefgreifende, liebevolle Weise verändert wurde; sie sind den Menschen mit Autismus andere, ja bessere Eltern.

Manche meinen, dass viele Menschen, die anders sind, in erster Linie schlicht wären, einfach in ihrer Seinsweise. Einige Personen mit Autismus haben ihren Körper nicht vollständig in Besitz genommen, und man vermutet, dass es eine Kompensation gibt, die eine besondere Ausrichtung auf ihr Unterbewusstsein oder ihr spirituelles Selbst erzeugt. Diese Fähigkeit, auf einen endlosen Strom des Geistigen zuzugreifen, kann eine mentale Abtrennung vom physischen Körper bewirken, eine neurologische motorische und räumliche Entkoppelung. Daraus ergibt sich ein Paradoxon, das Ästhetik und Gedankliches höher bewertet als die Körperlichkeit – das Gegenteil unserer Konformitätsnorm. Diese andere Ausrichtung kann Menschen mit Autismus zu einer spirituellen Verbundenheit, einer Bewusstheit und einer Sensibilität befähigen, die weit über das hinausgeht, was als typisch gilt. Diese Fähigkeiten sind Begabungen und Geschenke des Himmels.

Cathy Boyle aus Winchester/Massachusetts ist Mutter eines Sohnes, Terry, und hat den wahrscheinlich ersten von der katholischen Religion geprägten Erziehungskurs für Kinder mit Autismus entwickelt. Er beruht auf ihrer Überzeugung, dass die Kinder »die Vorstellung von einem Gott intuitiv verstehen und die Zugehörigkeit zu einer spirituellen Gemeinschaft ihnen gut tut«. Und wirklich geschieht im Plan des Schöpfers nichts zufällig. Die Weitergabe unausgesprochener Gedanken, das Vorhersehen spezifischer Umstände oder sogar die Kommunikation mit der geistigen Welt sind dann bloße Erweiterungen dieser spirituellen Verbundenheit und weder Zufall noch Folge einer überaktiven Fantasie. All das ist natürlich, nicht übernatürlich.

Zum Beweis braucht man sich nur die veröffentlichten Arbeiten des jungen Marshall Ball anzusehen, eines Kindes, das nicht spricht und sich dadurch ausdrückt, dass es seine erstaunlich umwerfenden Gedanken und Gedichte über Gott, das Leben und die Menschen, die ihm am liebsten sind, auf einer Tastatur tippt. Marshall schreibt mit einem weisen Verständnis, das Lichtjahre von seinem biologischen Alter entfernt ist. Mehr als ein dankbarer Bewunderer von Marshall hat bemerkt, er wäre sicherlich eine »alte Seele«, die das Talent hat, die Welt zu erziehen.

Der siebenunddreißigjährige kanadische Dichter Andrew Bloomfield machte seine Familie mit seinem Interesse an Gott und seiner Auffassung von dessen Gegenwart bekannt, obwohl ihm »ausgeprägter Autismus« bescheinigt worden war. Andrews überraschte Mutter kommentierte:

Für uns ist interessant, dass wir über all das nie gesprochen haben, als er heranwuchs, und er ist nie zum Katechismusunterricht oder überhaupt in die Kirche gegangen. Es war Andrew, der angefangen hat, die Begriffe »Spiritualität« und »Seele« zu verwenden.

Als ich dieses Buch vorbereitete, schickte eine Mutter namens Teri mir aufschlussreiche Informationen über ihren Sohn, die den obigen Gedanken erhärten:

Mein Sohn Jarrod ist autistisch und zehn Jahre alt. Er hat sehr wenig formale religiöse Ausbildung bekommen, aber sein Gottesbegriff ist klarer als der der meisten Menschen, die ich kenne. Er fordert uns spontan auf zu beten und hat meinem Mann (auf seine Weise) einen Vortrag gehalten über das Beten, den Kirchgang und das Bibellesen.

Er »begreift« einfach den gesamten Gottesbegriff und integriert ihn in sein Leben, ohne dass er früher oder jetzt dazu aufgefordert worden wäre.

Renée, eine andere Mutter, gab ähnliche Eindrücke wieder, als sie über ihren sechsjährigen Sohn Gabriel schrieb:

Als Dreijähriger berührte er oft Menschen am Kopf und »segnete« sie. Ich habe ein Bild von ihm, wie er mit zwei Jahren vor einer Statue der Jungfrau Maria steht. Er sieht die Statue an, als wäre sie Wirklichkeit … Manchmal zieht er mein Nachthemd an und sagt Dinge wie »Maria, geh nach Jerusalem«. Er tut so, als wäre er ein Pastor. Es wäre merkwürdig, wenn ein Kind mit ausgeprägtem Autismus solche Dinge vortäuschen würde. Worum geht es hier wirklich? Ich glaube, dass er zur Spiritualität berufen und in irgendeinem Bereich begabt ist. In der Kirche ist er immer sehr still und mit seinen Augen und Ohren ganz beim Pastor.

Mary bejahte die Berufung ihres Sohnes zur Spiritualität, als sie ihre erstaunliche Geschichte mitteilte. Sie und ihr Mann waren nie tief religiös gewesen und haderten mit Gott, weil er sie mit einem alles andere als perfekten Kind »gestraft« hatte. Jetzt erkennt die Familie, dass der sechzehnjährige Andrew ein Geschenk des Himmels ist. Durch ihn haben sie ihren Glauben auf einer Ebene gefunden, die vorher unerreichbar für sie war.

Im Herbst 1997 fing Andrew an, das zu sehen, was wir den »katholischen Sender« nennen. Nach der Schule stellte er den Rosenkranz an, morgens hörte er einem Franziskanermönch zu, der über die Apostel sprach, und wann immer es ihm möglich war, nahm er an einem Gottesdienst teil, egal, ob auf Englisch oder Latein. Anfangs dachten wir nicht großartig darüber nach, das kam erst später.

Andrew spricht selten in Sätzen mit mehr als drei Worten, und wenn doch, fragt er im Allgemeinen nach Saft oder einem Snack. Im Spätherbst fing er an, uns zu bitten, beim Abendessen zu beten, und eines Abends, als wir in seinem Lieblingsrestaurant waren, bat er uns, einander an den Händen zu fassen, während er das ganze Vaterunser aufsagte. Wir hatten das Vaterunser nie mit ihm aufgesagt. Bei anderen Gelegenheiten kam er zu mir und sagte: »Mami, möge die Gnade unseres Herrn Jesus Christus immer bei dir sein.«

Eines Morgens, als ich mich oben für die Arbeit fertig machte und im Fernsehen die Nachrichten hörte, kam Andrew herauf und wechselte zu einem Sender, in dem ein Mönch vom heiligen Andreas erzählte. Der Mönch sprach davon, dass der heilige Andreas der »stille« Heilige war, der erste, der Jesus begegnete und andere zu ihm brachte – dass der heilige Andreas immer still im Hintergrund daran arbeitete, andere zum Glauben zu bringen. Beim Zuhören fiel mir ein, dass ich, als ich mit Andrew schwanger war, sofort wusste, dass es für unser Baby keinen anderen Namen gab als Andrew.

Es fiel mir schwer, einen Mädchennamen auch nur in Betracht zu ziehen.

Die Medien, Zyniker und Wissenschaftler werden einen Zusammenhang zwischen spiritueller Begabung und Menschen mit Autismus kritisieren oder ablehnen – Menschen, die, wie manche es formulieren, »unglücklich Leidende sind, die von einer verheerenden Störung betroffen sind«.

Manche Vorurteile und autoritäre Argumente stammen von Vergleichen der Lebensqualität, wobei das, was als »normal« und neurotypisch betrachtet wird, als Maßstab für ein erfülltes Menschsein gilt. Wer die Empfänger spiritueller Gaben gerne klinisch untersuchen, analysieren, sezieren und disqualifizieren würde, legt dem Glauben und den Überzeugungen der Autismus-Gemeinde Hindernisse in den Weg.

Aber wie soll etwas, was unerwartet und spontan geschieht, überhaupt gemessen werden? Devlyn Lighthawk, Dichterin, Großmutter und Mensch mit autistischem Erleben, teilte ihre Gedanken über dieses Ringen mit:

Ja, es ist eine spirituelle Gabe, aber wer die Wahrheit von »spirituell« nicht versteht, kann die Wahrheit von »uns« kaum sehen – oder wissen, dass Telepathie genauso wie Reden ist, nur jenseits der Worte. Noch schwieriger ist es, diese Einsicht in die Köpfe von »Wissenschaft«, »Technologie«, »industrialisierten«, »gebildeten« Interagierenden des Säkularen hineinzubekommen. [Sie] können nicht sehen oder glauben, dass zwischen Sand und Meer unbekannte und unsichtbare Welten und Zeiten liegen.

In seinem herausragenden Buch Die Spur zur Seele widmet der Autor Gary Zukav ein Kapitel dem Thema Ehrfurcht, die er als eine Seinsweise, eine Seelenwahrnehmung und als »natürlichen Aspekt authentischer Kraft [definiert], weil die Seele das ganze Leben verehrt«. Zukavs weitere Erörterung der Ehrfurcht entspricht meiner persönlichen Wahrnehmung von Menschen mit Autismus und ihrer Interpretation der Welt. Er schreibt:

Die Atmosphäre, die Umgebung, in der die multisensorische Persönlichkeit sich entwickelt, ist eine Haltung von Ehrfurcht. Bei ihr handelt es sich um ein Gefühl für den Reichtum, die Fülle und die Intimität des Seins. Sie führt zu Mitgefühl und guten Taten. Ohne Ehrfurcht, ohne die Wahrnehmung, dass alle Dinge heilig sind, wird die Welt kalt und öde, mechanisch und beliebig zugleich, und dies erzeugt Entfremdungserfahrungen und Gewalttätigkeit. Es ist nicht natürlich für uns, ohne Ehrfurcht zu leben, denn das trennt uns von der Urenergie der Seele.

Und mit dem folgenden Satz bringt Zukav seine Erörterung auf den Punkt:

Eine Haltung der Ehrfurcht erleichtert den Übergang von der Logik und Einsicht des Fünf-Sinne-Menschen zur höheren Ebene der Logik und Einsicht des multisensorischen Menschen, denn … diese höhere Ebene der Logik und Einsicht hat ihren Ursprung im Herzen.

Seine Worte führten bei mir zu einem persönlichen Widerhall. Sobald ich meinen angeborenen Fehlern und Schwächen ins Auge sah, begann ich einer höheren Ebene der Logik und Einsicht entgegenzuwachsen. Das wiederum begann sich im Außen zu zeigen – mit glänzenden Ergebnissen. Die meisten lieben Freunde von mir, die äußerst feinfühlige Wesen sind, haben diese höhere Ebene ebenfalls eingenommen. Trotz anhaltender Nöte und Hindernisse legen sie eine natürliche Ehrfurcht an den Tag.

Die Herausforderung besteht darin, dieses Konzept anzuerkennen und zu verinnerlichen. Viele Eltern, Betreuer und Erzieher tun das bereits. Sie schätzen das Mitgefühl und Verständnis, das ihre lieben Menschen einfach dadurch verschenken, dass sie da sind; sie erkennen an, dass viele, die anders sind, unsere Lehrer sind.

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