Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?

von

Charlotte Schmitt-Leonardy

 

 

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eine Marke der Verlagsgruppe Hüthig Jehle Rehm GmbH

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Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht? › Herausgeber

Schriften zum Wirtschaftsstrafrecht

 

Herausgegeben von

Prof. Dr. Mark Deiters, Münster

Prof. Dr. Thomas Rotsch, Gießen

Prof. Dr. Mark Zöller, Trier

Impressum

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Zugl.: Saarbrücken Univ., Diss., 2010

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Vorwort

Diese Arbeit wurde im WS 2009/2010 von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität des Saarlandes als Dissertationsschrift angenommen. Sie ist bis Drucklegung gründlich überarbeitet und – soweit möglich – auf den aktuellen Diskussionsstand gebracht worden.

An erster Stelle danke ich Prof. Dr. Carsten Momsen für alle gewährte Unterstützung und die langjährige Förderung als Mitarbeiterin seines Lehrstuhls. Ich wurde hier ermutigt, eine eigene wissenschaftliche Herausforderung zu finden, der ich mich mit umfassendem geistigem Freiraum stellen durfte. Prof. Dr. Heinz Koriath danke ich sehr für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und sein Engagement für meine berufliche Entwicklung an der Universität des Saarlandes.

Dank gilt auch Prof. Dr. Dr. h. c. Heike Jung, der diese Arbeit ohne jegliche formale Verpflichtung las und wertvolle Hinweise gab. Des Weiteren danke ich Prof. Dr. Carl-Friedrich Stuckenberg für alles, was ich in der Zeit der Mitarbeit an seinem Lehrstuhl lernen durfte. Schließlich gebührt Prof. Dr. Klaus Lüderssen herzlicher Dank für den inspirierenden gedanklichen Austausch und seinen wegweisenden Rat.

So viele wundervolle Menschen – Kollegen und Freunde – haben mich durch diese Zeit begleitet und diese Arbeit damit erst ermöglicht. Namentlich können nicht alle sichtbar gemacht werden, also explizit nur jene, denen dieses Buch danken würde, wenn es könnte: Christian Hartz, Laura Kapust, Martin Kerz und Elke Völker – ohne sie würden aus verschiedensten Gründen viele Buchstaben nicht am richtigen Platz stehen. Weiterhin Caroline Jung und Christian Schmauch – ihrer Hilfsbereitschaft hat dieses Buch das meiste zu verdanken und die Verfasserin mehr, als in ein Vorwort passt.

Ein unermesslich großer Dank gebührt meiner Familie, die ich zum Teil erst „unterwegs“ traf – dieser kleinen, bunten Sippe, von der ich immer glauben will, dass ich sie zusammenhalte und die in Wahrheit mich zusammenhielt in einer Zeit, die so viel mehr beinhaltete als diese Arbeit.

An herausragender Stelle danke ich aber meinem Ehemann Wolfram, für dessen Bedeutung und Wichtigkeit Worte erfunden werden müssten! Ohne ihn wäre (das) alles nichts.

München, im März 2013

Charlotte Schmitt-Leonardy

 

 

 

 

 

 

 

But, as all personal rights die with the person; and, as the necessary forms of investing a series of individuals, one after another, with the same identical rights, would be inconvenient, if not impracticable; it has been found necessary, when it is for the advantage of the public to have any particular rights kept on foot and continued, to constitute artificial persons, who maintain a perpetual succession, and enjoy a kind of legal immortality. These artificial persons are called bodies politic, bodies corporate (corpora corporata), or corporations: of which there is a great variety subsisting, for the advancement of religion, of learning, and of commerce; in order to preserve entire and for ever those rights and immunities, which, if they were granted only to those individuals of which the body corporate is composed, would upon their death be utterly lost and extinct.[1]

William Blackstone

Anmerkungen

[1]

Blackstone Commentary on the Laws of England, S. 455 (Band I, Kapitel XVIII).

Inhaltsverzeichnis

 Vorwort

Teil 1Interdisziplinäre Grundlagen der Unternehmenskriminalität

 A.Einführung

 B.„Unternehmen“

  I.Begriffliche Distinktion

  II.Einordnung aus ökonomischer Perspektive

   1.Die produktionsorientierte Sichtweise

   2.Die institutionenökonomische Sichtweise

    a)Eine Ausnahme vom Marktprinzip: Warum?

    b)Das Unternehmen als „Nexus of contracts“

  III.Fazit

 C.„Unternehmenskriminalität“ – Konstruktion eines Begriffs

  I.Empirische Grundlagen

   1.Forschungsberichte zur Unternehmenskriminalität

   2.Forschungsberichte zur Wirtschaftskriminalität

    a)Staatliche Studien zur Wirtschaftskriminalität

     aa)Statistische Eckpunkte: Fallzahlen, Tatverdächtige, Schaden

     bb)Aufklärungsquote, Sanktionierungspraxis und Präventionsaspekte

     cc)Die Kernpunkte der Erkenntnisse

    b)Nicht-staatliche Studien

     aa)Kriminalitätsbarometer Berlin-Brandenburg

     bb)KPMG – Wirtschaftskriminalität in Deutschland

     cc)PricewaterhouseCoopers – Wirtschaftskriminalität

    c)Forschungsprojekt: Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe

   3.Kritische Würdigung der durch die Studien gewonnenen Ergebnisse

  II.Begriffsbildung Wirtschaftskriminalität

   1.Aktuelle Definitionskonzepte

   2.„White collar criminality“ – Die Erkenntnisse von Sutherland

    a)Eine Straftat …

    b)… die von ehrbaren Personen mit hohem Ansehen und sozialem Status …

    c)… im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit begangen wird.

    d)Fortführung und Abkehr von Sutherlands Konzept

   3.Schlussfolgerungen

  III.Wirtschaftskriminologische Theoriebildung – der Bezugsrahmen

   1.Theorie der differentiellen Assoziation

   2.Rational Choice

   3.Die Anomietheorie von Merton

   4.Techniken der Neutralisierung

   5.Kriminogener Einfluss der „Wirtschaft“?

   6.Fazit

  IV.Unternehmenskriminalität – ein „täter“orientierter Versuch der Begriffsbildung

   1.Wirtschaftsstraftäter im Unternehmen

    a)Unternehmen als Lern- und Neutralisierungskontext – sozialpsychologische Gesichtspunkte

    b)Unternehmen als Kontext der Tatgelegenheiten: die „organisierte Unverantwortlichkeit“ und „kriminelle Verbandsattitüde“

    c)Schlussfolgerungen

   2.Unternehmen als Wirtschaftsstraftäter?

    a)Systemtheoretische Perspektive

     aa)Allgemeines

     bb)Unternehmen als „Autopoiesisautopoietische Systeme“

      (1)„Entscheidung“  – „Alternativen“  – „Zeitdimension“

      (2)„Entscheidungsprämissen“ und „Entscheidungsprogramme“

      (3)Mitgliedschaft

      (4)Die Einbettung innerhalb des Wirtschaftssystems

     cc)Von hierarchischen zu heterarchischen Strukturen

     dd)Problem: Informationswege

     ee)Fazit

    b)Das Unternehmen als krimineller Akteur?

     aa)Anthropomorphe Interpretationen – die neue persona oeconomica?

     bb)Dilemmata

     cc)Zwischenergebnis

    c)Das Unternehmen als krimineller Akteur?

  V.Fazit

   1.Abgrenzungen und Definitionsvorschlag

   2.Begriffssubstanz

   3.Schlussfolgerungen

Teil 2Strafrechtliche Regulierung – de lege lata und de lege ferenda

 A.Strafbedürftigkeit

  I.Verantwortungsattribution in komplexen Prozessen

  II.Steuerung des Unternehmens durch Bestrafung der Individuen?

   1.Die Strafbarkeit im Bereich der Sonderdelikte: § 14 StGB und § 9 OWiG

   2.Die Strafbarkeit im Bereich der Allgemeindelikte

    a)Untere Hierarchieebenen

    b)Leitungsebene

     aa)Mittelbare Täter?

     bb)Garanten?

     cc)Die Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG

    c)Der Compliance-Officer

   3.Stellungnahme

    a)Dogmatische Inkonsistenzen

    b)Wahrnehmungsdefizit des Individualstrafrechts

  III.Einbeziehung des Unternehmens in die kriminalstrafrechtliche Kommunikation?

   1.Gegenargument: Selbstregulierung

    a)Governance-Paradox?

    b)Verhandlungen „im Schatten der Hierarchie“

   2.Gegenargument: Fehlende Sanktionslücke

    a)Alternative Steuerungsmodelle im Recht

    b)„Quasi-strafrechtliche Haftung“ des Unternehmens

     aa)Die Geldbuße gegen Unternehmen gemäß § 30 OWiG

     bb)Einziehung

     cc)Verfall

    c)Stellungnahme

     aa)Haftung, die keine Ahndung ist

     bb)Ahndung ohne Vorwurf

  IV.Fazit: Strafbedürftigkeit aus „Pluralität guter Gründe“?

 B.Unternehmensstrafbarkeit – eine Dekonstruktion

  I.Historische Konzepte

   1.Die römische Argumentationslinie

   2.Das kanonische Recht

   3.Weiterentwicklung der kanonistischen Aspekte durch Bartolus und Savigny, Friedrich CarlSavigny

   4.Die germanische Argumentationslinie

   5.Weiterentwicklung des Rechts bis heute

   6.Schlussfolgerungen

  II.Aktuelle Konzepte

   1.Identifikationstheoretische Auffassungen

    a)Darstellung

    b)Kritik

   2.Auf das Kollektiv ausgerichtete Ansätze – Zusatzbedingungen mit Bezug zur Unternehmensstruktur

    a)Darstellung

    b)Kritik

   3.Konzepte originärer Unternehmensdelinquenz

    a)Darstellung

    b)Kritik

  III.Stellungnahme: das Unternehmen als Strafrechtsperson sui generis?

   1.Das Unternehmen als institutionelle Tatsache

    a)Das Unternehmen als „Normadressat“

    b)Personifizierungssubstrat

    c)Fazit

   2.Analoge Handlungsfähigkeit

    a)Vorüberlegungen

    b)Übertragung auf den unternehmensstrafrechtlichen Kontext

   3.Analoge Schuldfähigkeit

    a)Vorüberlegungen

    b)Übertragung auf den unternehmensstrafrechtlichen Kontext

     aa)Andershandelnkönnen des Unternehmens?

     bb)Normativ gesetzte Zuständigkeit des Unternehmens?

   4.Legitimität einer Strafe gegenüber Unternehmen

    a)Gegenargument: „no soul to be damned, no body to be kicked“

    b)Gegenargument: Verstoß gegen das Schuldprinzip

    c)Gegenargument: Mitbetroffenheit Unschuldiger

    d)Gegenargument: Sinn der Strafe

  IV.Fazit

Teil 3Alternativen und Ausblick

 A.Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?

  I.„Unternehmensinterventionsrecht“

   1.„Matrix-top-down“ statt „bottom-up“

   2.Die Unternehmenstat

    a)Tatbestandsverwirklichung

     aa)Die objektive Zurechnungsebene

     bb)Die „subjektive“ Zurechnungsebene

    b)Folgenverantwortungsdialog

   3.Die strafrechtliche Sanktionierung der Unternehmensmitglieder

    a)Zurechnungsmaßstäbe

    b)Besonderheit: Leitungsebene

     aa)Neuausrichtung des strafbaren Unterlassens

     bb)Obliegenheiten und Strafverschärfung

  II.Rechtsfolgen

   1.Wiedergutmachung

   2.Unternehmenskorrektur

 B.Zusammenfassung der Ergebnisse

 Literatur

 Stichwortverzeichnis

Teil 1 Interdisziplinäre Grundlagen der Unternehmenskriminalität

Inhaltsverzeichnis

A.Einführung

B.„Unternehmen“

C.„Unternehmenskriminalität“ – Konstruktion eines Begriffs

Teil 1 Interdisziplinäre Grundlagen der Unternehmenskriminalität › A. Einführung

A. Einführung

1

Blackstone scheint in obigem Zitat ein anderes Unternehmen vor Augen gehabt zu haben als dasjenige, das Anlass für eine nicht abreißende Kontroverse über die Unternehmensstrafbarkeit ist. Das Unternehmen, dem lediglich eine Hilfsfunktion bei der Bewältigung komplexer gesellschaftlicher Aufgaben zukam um die gesellschaftliche Prosperität zu erhöhen, kann heute global player sein. Als corporate citizen spielen Unternehmen eine gesellschaftlich sogar so herausragende Rolle, dass ihre Macht mit der von Staaten oder Religionen verglichen wird.[1]

2

Die Geburt des modernen Unternehmens im industriellen Zeitalter[2] ließ kaum vermuten, was aus dieser Schöpfung des Wirtschaftslebens erwachsen würde: Unternehmen waren anfangs in ihren Interaktionsmöglichkeiten sehr beschränkt, da sie, mit einem konkreten Unternehmenszweck ausgestattet, nur für eine mit dem Zweck in Zusammenhang stehende, begrenzte Zeit existierten, die Höhe der Kapitalisierung festgeschrieben und die persönliche Haftung der Anteilseigner vorgesehen war. Mit Vordringen der Idee einer „beschränkten Haftung“ der Anteilseigner[3] entwickelte sich eine auf Dauer angelegte, organisierte Wirtschaftseinheit, die durch Anerkennung als juristische Person an Interaktionsmöglichkeit gewann und eine immer größer werdende Akkumulation an Kapital und Information darstellte.[4] Die Träger dieser Einheiten waren ursprünglich die Unternehmer, also jene im 18. und 19. Jahrhundert noch als „Fabricanten“ oder „Entrepreneur“ bezeichneten Menschen, die neben der Bereitstellung des notwendigen Kapitals auch die Verwaltung der Mittel für geschäftliche Zwecke, den Entwurf des Betriebsplans und die Beaufsichtigung der Erwerbsgeschäfte zur Aufgabe hatten. Aus diesen „heroischen Erneuerern“,[5] die nach dem Ideal des ehrbaren Kaufmanns oder umsichtigen Buchhalters das Gemeinwohl förderten und als treibende Kraft einer Gesellschaft galten, wurden Ende des 20. Jahrhunderts Mehrheiten von Anteilseignern. Damit ging eine Veränderung der Kernkompetenzen des Unternehmers vom lenkenden Eigentümer zum angestellten Manager einher, die einen veränderten Unternehmertyp hervorbrachte.[6] Die Annahme des Unternehmens als eigenes Rechtssubjekt bis hin zur Anerkennung als Person, die ideologisch aufgeladen werden kann, waren schließlich die Folge des Wunsches einer leichteren Interaktion auf dem Markt.[7] Und die so entwickelte, effektive und flexible Institution scheint der Gesellschaft nun auch Schaden zufügen zu können.[8]

3

Die vorliegende Arbeit setzt an diesem Paradoxon an und stellt trotz einer Fülle von systematischen Überlegungen im thematischen Umfeld „Unternehmen und Strafrecht“ die Frage nach Unternehmenskriminalität neu, um zu wenig beachtete Zusammenhänge zu berücksichtigen. Insbesondere die Prämisse, dass Unternehmen Täter – und damit Kriminelle – sein können, scheint noch nicht ausreichend beleuchtet. Allein die Tatsache, dass Unternehmen als komplexe Organisationen ein größeres Machtpotential in sich vereinigen, bedeutet noch nicht, dass sie dieses Machtpotential bewusst zur Deliktsbegehung einsetzen. Gleichwohl ist zu beobachten, dass Unternehmen zunehmend Adressat gesellschaftlicher Erwartungen werden[9] und die Gesellschaft ihnen zunehmend Verantwortung für Rechtsgutsverletzungen und komplexe Risikoverwirklichungen zuschreibt, die jedenfalls im Zusammenhang[10] mit der Unternehmenstätigkeit stehen.

4

Die folgenden Überlegungen münden also nicht in einem Bekenntnis für oder gegen den vielfach zitierten Satz societas delinquere non potest, sondern gehen seinen Kernprämissen auf den Grund: die implizite Vorstellung, dass Unternehmen „sich vergehen“ können, dass tatsächlich sie es sind, die sich vergehen und dass sie es in einem strafrechtlich relevanten Sinne auch können.

5

Bei dieser Herangehensweise gilt es besonders, zwischen Sein- und Sollensaussagen zu unterscheiden,[11] da gerade hier der Hang zum „anthropomorphen Denken“[12], das die juristische Person und ihre Organe hervorbrachte, zu naturalistischen Fehlschlüssen und einem „Aufdrängen“ der individualstrafrechtlichen Strukturen auf ein viel komplexeres Phänomen führt, das damit letztendlich eben jene Strukturen schwächt. Andererseits scheint die Gefahr des normativistischen Fehlschlusses, also einer Argumentationsweise, die von normativen Prämissen vorschnell zu Gestaltungsempfehlungen gelangt, ohne dass den empirischen Bedingungen hinreichend Beachtung geschenkt wurde, in letzter Zeit unterschätzt worden zu sein.[13] Aus positivistischer Sicht ist es ohne weiteres möglich, eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Unternehmens zu statuieren.[14] Positivistische Freiheit allein ist jedoch ein schwaches Argument, denn obgleich das Recht seine Richtigkeit niemals beweisen kann, scheint Legalverhalten stabiler, wenn es aus Einsicht in die Rechtsordnung erfolgt, mithin eine Internalisierung der Rechtsnormen wahrscheinlich ist. Hieraus folgt, dass die Wirklichkeit berücksichtigt werden muss. Kriminalpolitische Entscheidungen müssen nicht nur ihre Gerechtigkeit gewährleisten, sie müssen auch „rechtfertigen, dass sie ihrem Gegenstand angemessen sind, dass sie ihn zur Kenntnis genommen und verstanden haben“.[15]Hassemer ist zuzustimmen, dass nicht nur eine normative, sondern auch eine empirische Aufgabe zu erfüllen ist und beide ernst genommen werden müssen.[16] Desweiteren schließt die Trennung zwischen Sein und Sollen keineswegs aus, empirische Befunde – nach Maßgabe rechtlicher Zwecke – zu berücksichtigen.[17] Normen des positiven Rechts sind zwar „beliebig bestimmt, aber nicht beliebig bestimmbar“,[18] denn nur so werden „die nötige Bodenhaftung“ und vor allem „pragmatische Grenzen“ für normative dogmatische Konzeptionen gewährleistet, die in der Gesellschaft verständlich sein müssen, um operabel und akzeptabel zu sein.[19]

6

Es wird vorliegend also nicht dem rechtspolitischen „Megatrend“ gefolgt, der sich hinsichtlich der Unternehmensstrafe von der Frage des „ob“ zunehmend auf die Frage des „wie“ verlagerte.[20] Es wird mit dem „ob“ angefangen. Ein Ziel der Untersuchung ist es daher herauszufinden, welche Rationalität dem Unternehmen tatsächlich unterstellt werden kann und welche Konsequenzen sich daraus für eine strafrechtliche Bewertung der Unternehmenskriminalität ergeben. Dabei wird zunächst das Phänomen der Unternehmenskriminalität konkretisiert und die strafrechtsrelevanten Aspekte identifiziert. In einem nächsten Schritt werden die gewonnenen Erkenntnisse in Beziehung gesetzt zu den Regelungsstrategien, die das Strafrecht de lege lata aufweist, aber auch zu den Konzepten, die neue strafrechtliche Wege in Richtung eines Unternehmensstrafrechts vorschlagen. Schließlich soll in einem letzten Schritt eine eigene Konzeption entworfen werden, die insbesondere der Wechselwirkung zwischen den Ebenen des Individuums und der Entität Rechnung trägt und sie auf Sanktionsebene berücksichtigt. Für ein so komplexes Untersuchungsziel, das sowohl kriminologische Begriffsklärung als auch dogmatische Grundfragen und schließlich praktische Konsequenzen mit einbeziehen soll, müssen insbesondere soziologische und ökonomische Erkenntnisse berücksichtigt werden, um weder die kriminologische Analyse noch die strafrechtliche Bewertung „an der Komplexität des Unternehmens vorbei“ zu entwerfen. Der aktuelle kriminalpolitische Druck bleibt dabei zweitrangig, denn trotz aller Modernitätsansprüche[21] und dem Bemühen um pragmatische Ergebnisorientierung:[22]Hefendehl ist durchaus darin zuzustimmen, dass das, „was das Strafrecht in den Augen der Allgemeinheit oder der Rechtspolitik leisten soll und was es tatsächlich leisten kann“, unter Umständen stark divergieren kann.[23]

Anmerkungen

[1]

Vgl. hierzu Weilert ZaöRV 2009, 883 (Fn. 1); Bakan The Corporation, S. 5 ff. und Wells Corporations and Criminal Responsibility, S. 82. Vgl. auch Watter/Spillmann GesKR 2006, 94 (94), die auf eine Studie des Institute for Policy Studies hinweisen, welche die 100 weltweit größten Finanzhaushalte am Umsatz von Firmen bzw. dem Bruttoinlandsprodukt von Staaten im Jahr 2000 gemessen haben. Aus dieser Perspektive betrachtet war General Motors größer als Dänemark und Nestlé größer als Ungarn.

[2]

Sein Ursprung ist daher in Großbritannien zu vermuten. Einige machen die Erfindung der Dampfmaschine 1712 durch Thomas Newcomen zur symbolischen Geburtsstunde, weil hier die Steigerung der Produktivität „per man-hour“ vervielfacht wurde. Vgl. Bakan The Corporation, S. 9 m. w. N.

[3]

Vgl. den Limited Liability Act von 1855 in Großbritannien sowie zur Entwicklung in Deutschland und den USA Luttermann Unternehmen, Kapital und Genußrechte, S. 1, 195 ff. Siehe weiter zu Deutschland Schmoeckel Rechtsgeschichte der Wirtschaft: Seit dem 19. Jahrhundert, S. 116 ff. und zu den USA Bakan The Corporation, S. 10 ff.

[4]

Wells geht davon aus, dass die Anerkennung als Person das Unternehmen in bedeutendem Maße mit Schutz und Sicherheit ausstattete, ohne dass entsprechende Verantwortung oder Verpflichtungen damit einhergegangen wären. Wells Corporations and Criminal Responsibility, S. 2.

[5]

Vgl. zu Begriff und Zusammenhang den Überblick bei Heidbrink/Seele Unternehmertum, S. 10 ff. m. w. N.

[6]

Nach Ansicht von Kohler in: Händler, Unternehmer, Kapitalist und Manager, S. 27 (27) ist davon Abstand zu nehmen, das Unternehmertum aus einer einzigen Perspektive heraus zureichend erfassen zu wollen. Die von Weber noch als asketisch und von „kühler Bescheidenheit“ (Weber Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalimus, S. 55) beschriebene Figur, wird zu einem risikobereiten Manager-Kapitalisten, der die Fähigkeit entwickelt, aus Unsicherheitssituationen und fehlenden Marktinformationen Profite zu schlagen, der durch harten Konkurrenzkampf die Gewinne des Unternehmens, der Eigentümer und Anteilseigner erhöht, ohne auf moralische und gesellschaftliche Regeln übermäßig viel Rücksicht zu nehmen.

[7]

Bakan stellt die Ursprünge dieser Entwicklung in den USA am Beispiel des 14. Zusatzartikels zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika dar, welcher nach dem Sezessionskrieg zur Gleichstellung der Rechte von Afro-Amerikanern und Weißen eingeführt wurde. Section 1 des Zusatzartikels stellt auf den Status als Person ab: „nor shall any State deprive any person of life, liberty, or property, without due process of law; nor deny to any person within its jurisdiction the equal protection of the laws.“ In der unmittelbaren Folge wurde argumentiert, dass das Unternehmen ebenfalls eine (juristische) Person sei und damit beispielsweise ein Recht auf Eigentum haben sollte. Die Argumentation wurde vom Obersten Gerichtshof akzeptiert und von 307 Fällen, die in den Jahren 1890–1910 anhängig wurden, hatten in 288 Fällen Unternehmen Klage erhoben; nur in 19 Fällen traten Afro-Amerikaner für diese Verfassungsrechte ein. Bakan The Corporation, S. 172 (Fn. 28) m. w. N.

[8]

Vgl. zum Schadensumfang die Ausführungen unter Rn. 56 ff.; Rn. 87 ff.

[9]

Waldkirch Unternehmen und Gesellschaft, S. 1 ff. m. w. N.

[10]

Zur Bedeutung dieses Merkmals vgl. Rn. 42 m.w.N.

[11]

Vgl. hierzu nur Hume Ein Traktat über die menschliche Natur, S. 211 ff. (im Original: Hume, A Treatise of Human Nature, Book III, Part I, Sect. I) und Kelsen in: Die Wiener rechtstheoretische Schule, S. 957 (958) im Zusammenhang mit seinen Überlegungen zum Unrecht des Staates.

[12]

Volk JZ 1993, 429 (429).

[13]

Waldkirch nennt als typisches Beispiel die handlungstheoretische Zurechnung sozial unerwünschter Interaktionsfolgen auf Akteure mit entsprechenden moralischen Appellen. Diese forderten die Akteure auf, eine Veränderung ihres Verhaltens zu erzielen ohne zu prüfen, inwiefern diese Akteure dazu imstande sind und inwiefern Anreizgründe gegen diese Verhaltensänderung sprechen.Waldkirch Unternehmen und Gesellschaft, S. 12.

[14]

Vgl. hierzu nur Kelsen Reine Rechtslehre, S. 1.

[15]

So in Bezug auf das Wirtschaftsstrafrecht Hassemer in: Die Handlungsfreiheit des Unternehmers, S. 29 (32).

[16]

Hassemer bezeichnet sogar ein gerechtes Wirtschaftsstrafrecht ohne Bezug zur Wirklichkeit der Wirtschaft als puren Zufall; vgl. Hassemer in: Die Handlungsfreiheit des Unternehmers, S. 29 (32).

[17]

Stuckenberg Vorstudien zu Vorsatz und Irrtum im Völkerstrafrecht, S. 46.

[18]

So formuliert Luhmann Rechtssoziologie 2, S. 210 mit Bezug auf Kraft.

[19]

Stuckenberg Vorstudien zu Vorsatz und Irrtum im Völkerstrafrecht, S. 47.

[20]

Vgl. den Literaturbericht von Kudlich/Wohlers ZStW 2009, 711 (712).

[21]

Gómez-Jara Díez ZStW 2007, 290 (291 f.) weist darauf hin, dass es auch für Deutschland eine Zeitfrage sein wird, bis neue legislatorische Vorschläge für eine Unternehmensstrafbarkeit diskutiert werden – sei es aufgrund nationaler Bedürfnisse, sei es wegen europäischer Verpflichtungen. Jakobs kommentiert den verbreiteten internationalistischen Positivismus m. E. treffend damit, dass auch Unsitten international verbreitet sein können. (Jakobs in: FS f. Lüderssen, S. 559 (Fn. 6)) Dem schließt sich auch v. Freier GA 2009, 98 (100) an.

[22]

In dieser Hinsicht ebenfalls kritisch v. Freier GA 2009, 98 (98).

[23]

Hefendehl JZ 2004, 18 (18) mit Nachweisen zur generalpräventiven (Nicht-)Wirkung von Strafen in Fn. 1.

Teil 1 Interdisziplinäre Grundlagen der Unternehmenskriminalität › B. „Unternehmen“

B. „Unternehmen“

7

Zunächst ist die semantische Hürde zu nehmen. Wenn von Volkswagen die Rede ist, sind die Konnotationen vielfältig: Manch einer wird an das eben erworbene Auto denken, ein anderer an die Kapitalanlage, der Politiker an eine Steuereinnahmequelle, der Angestellte an seinen Arbeitgeber und der Manager an eine Organisation, für die er verantwortlich ist. Die Konnotationen sind so unterschiedlich, wie die Begriffsverständnisse im Recht, in der Ökonomie und in der Soziologie es sind und wenn man die Möglichkeit der strafrechtlichen Haftung eines Unternehmens, wie Volkswagen eines ist, überhaupt in Betracht zieht, muss der abstrakte Begriff „Unternehmen“ so genau wie möglich eingegrenzt werden.

Teil 1 Interdisziplinäre Grundlagen der Unternehmenskriminalität › B › I. Begriffliche Distinktion

I. Begriffliche Distinktion

8

Es ist zu beobachten, dass die rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit Kriminalität aus dem Unternehmensbereich auf einem unübersichtlichen semantischen Feld geführt wird. Die Begriffe Unternehmen, Verband, Unternehmensträger, Körperschaft, Organisation und juristische Person werden nebeneinander oder synonym verwendet und selten ist dabei zu erkennen, inwiefern sie voneinander abgegrenzt werden oder jeweils begrifflich konturiert sind. Diese Entwicklung der Diskussion ist insofern folgenreich, als die hier genannten Begriffe als Ausgangspunkte dogmatischer Überlegungen m. E. in vollkommen unterschiedliche Richtungen führen.[1] Erwägt man die Strafbarkeit juristischer Personen, entfernt man sich von einem empirischen Bezugspunkt, der jedoch für das Verständnis der Kriminalität, auf die das Strafrecht eine Antwort finden will, unerlässlich ist. Eine rein theoretische Auseinandersetzung mit der Frage, ob juristische und natürliche Personen im Strafrecht gleichgestellt sind oder eine Analogie konstruierbar ist, erscheint erschöpfend erwogen und angesichts des oftmals apodiktisch angeführten gewichtigen Kriminalitätsproblems,[2] das die Unternehmenskriminalität darstellen soll, zumindest auch „l'art pour l'art“ zu sein. Es ist eine rechtlich spannende Auseinandersetzung mit einem möglichen Unternehmensträger, aber es bleibt eine rein rechtliche Diskussion.

9

Fällt die Begriffswahl auf Kollektive, Körperschaften oder Verbände,[3] wird zwar an die soziale Einheit – und damit auch an die kriminologisch relevante Grundlage – angeknüpft, jedoch wird damit das Problem sogleich am Spezifikum Organisation verortet. Dies mag eine abstraktere, und damit weite, Herangehensweise sein, die den Blick sogleich auf Mechanismen der Verantwortungsdiffusion lenkt. Ihr ist auch abzugewinnen, dass sie die Metaebene strafrechtlich zu greifen versucht und rechtliche Überlegungen an den Besonderheiten einer Entität anknüpfen und damit an Plausibilität und Konsistenz gewinnen. Allerdings wird dadurch der Blick von wesentlichen Aspekten der Wirtschaftskriminalität abgewendet, die – auch für die abstrakt anknüpfenden Ansätze[4] – a priori als übergeordneter oder zumindest involvierter Topos gilt. Insbesondere der Aspekt der Profitmaximierung oder Gewinnerzielungsabsicht geraten dann als vorpositive Momente in den Hintergrund. Dies mag innerhalb eines Ansatzes, der konsequenterweise von Verbandskriminalität in gleicher oder ähnlicher Form im Wirtschafts- wie im non-profit-Bereich ausgeht,[5] kohärent sein, jedoch bleiben jedenfalls der Einzelunternehmer und die Zwei-Personen-Konstellationen außer Betracht. Zudem ist diesen Überlegungen zur Verbands- und Kollektivstrafbarkeit gemeinsam, dass sie die Kriminalität ausschließlich als aus der Entität als solcher herrührend betrachten und damit nicht offen sind für Differenzierungen, die sich daraus ergeben, dass Entitäten auch ein Kontext für Mikrokriminalität sein können bzw. es schlicht Gruppenprozesse sein könnten, die Rechtsverletzungen bedingen und diese womöglich nicht dem Kollektiv zuzurechnen sind.

10

Aus diesen Gründen wird für die vorliegende Untersuchung das Unternehmen als Ausgangspunkt gewählt und damit einerseits das Kollektiv als möglicher Straftäter in den Blick genommen, andererseits aber auch das Individuum innerhalb eines bestimmten Kontextes beobachtet und schließlich die Wechselwirkung zwischen Mikro-, Makro- und Mesoebene[6] thematisiert. Durch diese Begriffswahl wird also eine rechtsformübergreifende Problemsicht versucht, dabei jedoch in Rechnung gestellt, dass diese vorpositiven Aspekte ihren Ausdruck im Recht gefunden haben müssen, um für dogmatische Konsequenzen überhaupt relevant zu werden.

11

Zu klären ist zunächst, was im Recht unter „Unternehmen“ verstanden wird. Einen ersten Anhaltspunkt bietet hier die zivilrechtliche Dogmatik, die die Abgrenzung der Begriffe juristische Person, Verband und Unternehmen bereits ausführlich thematisiert.[7] Eine allgemeingültige Definition hat sich jedoch auch hier nicht herausgebildet.[8] Es besteht lediglich Einigkeit darüber, dass der Begriff im jeweiligen Normzusammenhang zu interpretieren[9] ist und im Kern drei wesentliche Merkmale des Unternehmens herausgearbeitet werden können: ein Mindestmaß an sachlichen und persönlichen Mitteln, ein Mindestmaß an organisierter Einheit und das äußere Auftreten am Markt.[10]

12

Das „Unternehmen an sich“ galt bislang lediglich als Rechtsobjekt, jedoch mehren sich die Ansätze, die es als „soziale Realität“ und Rechtssubjekt in Betracht ziehen,[11] als „weitgehend vollzogene Loslösung des Unternehmens von seinen Anteilseignern“ oder als „volkswirtschaftliche Größe“ erwägen. Dies schien zunächst zur Klärung der begrifflichen Frage und ohne Differenzierung von juristischer Person, Unternehmensträger und Unternehmen zu erfolgen, jedoch „vergegenständlichte“ dieser Diskurs die „Trennung von Kapital und Herrschaft [als] unmittelbarer Ausdruck der gewandelten Machtverhältnisse“ – vor allem bezüglich der Aktiengesellschaft – und führte Rathenaus Gedanken vom modernen Großunternehmen letztlich weiter.[12]

13

Das „Unternehmen an sich“ zu thematisieren bedeutet zum ersten Mal das Anknüpfen an das soziale Phänomen und nicht lediglich an die rechtliche Einheit juristische Person. Und dies nicht aufgrund einer, für die kriminologischen Überlegungen interessanten, phänomenologischen Herangehensweise. Grund hierfür ist vielmehr, dass juristische Personen – solange es sich um Verbände handelt – grundsätzlich[13] einen Verbandszweck verfolgen, der im Betreiben eines Unternehmens liegen kann.[14] Das Spannungsverhältnis zwischen dem für das Handelsrecht traditionell bedeutsamen Gewerbe, in dem das Kaufmannsrecht entscheidend war, und dem modernen Außenprivatrecht, das im Handels- und Gesellschaftsrecht gespiegelt wird, prägt die Begriffsbildung. Es wird versucht die soziale Realität des Unternehmens als wirtschaftliche und soziale Einheit abzubilden, wenn die Integration der organisatorischen Elemente als selbständige, anbietende und entgeltliche rechtsgeschäftliche Tätigkeit am Markt, die sich durch Planmäßigkeit und Ausrichtung auf Dauer auszeichnet, Definitionskern wird.[15]

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Allerdings ist diese Definition für das Handelsrecht problematisch, denn hier spielt insbesondere – und anders als im Konzern-, Arbeits- und womöglich auch Strafrecht – die Bewertung innerer Strukturen und Vorgänge eine dominante Rolle. Trotz der im Zivilrecht zu beobachtenden Entwicklung, die soziale und sogar politische Dimension der Unternehmen zu berücksichtigen, ist die Rechtsfähigkeit dieser Einheit hier elementar. Zwar wird auch auf der abstrakten Ebene der Rechtsfähigkeit kontrovers diskutiert, ob diese ungeteilt und umfassend begründet werden muss oder eine gestufte Zurechnungsfähigkeit und damit relative Rechtsfähigkeit begründbar ist. Jedoch hat sich die Notwendigkeit eines eindeutig bestimmbaren und rechtsfähigen Unternehmensträgers als Bezugspunkt durchgesetzt. Notwendig ist dies vor allem, weil eine wirtschaftliche Betrachtungsweise stets dem Vorwurf der weichen Abgrenzung oder gar Willkür aufgrund der Konturlosigkeit ihrer Definition ausgesetzt ist und eine Abgrenzung der nach außen auftretenden Entität zur nicht-rechtsfähigen Innengesellschaft nicht geleistet werden kann. Dies ist jedoch relevant, weil der zivilrechtliche Verband auf der Grundlage gegenseitiger Schuldverhältnisse im Innenverhältnis funktioniert, die zwar darüber hinaus einem Verbandszweck dienen und daher eine Verbandsstruktur herausbilden, jedoch das Unternehmen nicht an einer Außengrenze konturieren. Ohne den Unternehmensträger, der sowohl Einzelkaufmann als auch Aktiengesellschaft sein kann, wären also Fragen der Vermögenszuordnung und innergesellschaftlichen Haftung nicht zu lösen.

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Die Interdependenz zwischen sozialer Einheit Unternehmen einerseits und Unternehmensträger andererseits wirkt auch in umgekehrter Richtung: so wird überwiegend angenommen, dass der Verbandszweck – welcher meistens im Unternehmensbetrieb zu sehen sein wird – konstitutive Bedeutung für die juristische Person hat und Unternehmensmäntel, also „leere“ Gesellschaften ohne Geschäftsbetrieb, dogmatisch abzulehnen sind. Zwar sind diese Mantelgesellschaften in der Praxis verbreitet und Rechtsprechung, sowie Literatur, halten ein vollständiges Verbot insbesondere aus praktischen Gründen nicht für durchsetzbar; sie sind bei genauerer Betrachtung aber lediglich rein äußerliche, auf ihre Geschäftsanteile reduzierte und damit nicht mehr lebensfähige Formen einer Gesellschaft.[16] Insofern besteht im Zivilrecht zwar keine der ultra vires doctrine[17] vergleichbare Verwebung von Verbandszweck und Rechtsfähigkeit des Unternehmens, jedoch ist durchaus eine Interdependenz zu bejahen, die dazu führt, dass man Unternehmen und Unternehmensträger nicht vollkommen losgelöst voneinander betrachten kann. Denn: Rechtsfähigkeit setzt Identität und Publizität des Subjekts voraus, welches Eigenschaften sind, die nur dem Menschen von Natur aus zukommen. Bei Unternehmen bzw. Verbänden im Allgemeinen kann jedoch Identität und Publizität nur sichergestellt werden, indem durch staatliche Verleihung der Unternehmensträger kreiert wird. Identität und Publizität des Unternehmens werden also über ihre Unternehmensträger verwirklicht und dies dank – zum einen – dem verfassungsrechtlich geschützten System freier Körperschaftsbildung, – zum zweiten – dem Konzessionssystem, welches über die Registergerichte die Publizität gewährleistet und – zum dritten – dem System der Normativbestimmung, die das Gesellschaftsrecht gestaltet.[18] Die Versuche,[19] den Gegensatz von Kapital und Arbeit zu überwinden und das Unternehmen als übergeordnete Instanz mit Rechtsfähigkeit auszustatten, haben sich daher im Zivilrecht nicht durchsetzen können. Vor allem der Gesichtspunkt, dass der innerhalb der Zivilrechtsordnung stattfindende Rechtsverkehr nicht auf abgegrenzte Zurechnungssubjekte verzichten kann, steht einem alleinigen Anknüpfen an die wirtschaftlich-organisatorische Einheit im Weg.[20]

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Dieses vorläufige zivilrechtliche Fazit spricht jedoch nicht gegen eine Berücksichtigung des Faktischen in Strafrecht und Kriminologie; im Gegenteil: Es wurde herausgearbeitet, dass der Unternehmensträger aufgrund des Regelungskontextes des Zivilrechts ebenfalls maßgeblich für die Definition des Unternehmens sein muss. Die zivilrechtliche Herangehensweise würde jedoch – auf das Strafrecht übertragen – die Gefahr bergen, dass ein Einzelunternehmer – als Unternehmensträger – unter dem Schutzmantel seines Unternehmens eine individuelle Haftung umgehen kann bzw. Handlungen von Unternehmensbeauftragten ihm – als einzigem Unternehmensträger – zugerechnet werden. Er „als Unternehmen“ müsste dann für solche Verfehlungen mittelbar haften, auch wenn ihn keine Schuld trifft. Für die Qualifizierung als strafrechtliches Verhalten kann jedoch nicht die positiv-rechtliche Zuteilung entscheidend sein.

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Insofern muss sich das Strafrecht der sozialen Realität zuwenden und tut es auch. Der Terminus Unternehmen ist bereits im Strafrecht integriert. Allerdings kann nicht ohne Weiteres festgestellt werden, ob an die soziale Entität angeknüpft wird, da man auch hier auf ein unübersichtliches terminologisches Feld trifft: Im Zusammenhang mit der Zurechnung von Verantwortung in § 14 StGB und § 9 OWiG spricht man von „Unternehmen“ ohne eine nähere Umschreibung zu geben[21] und stellt im — in § 14 StGB und § 9 OWiG gleich lautenden — Abs. 2 S. 3 die Begriffe „Unternehmen“ und „Betrieb“ auf eine Bedeutungsebene. Dies zielt normhistorisch wohl darauf ab, klarzustellen, dass kein Unternehmen außerhalb des Anwendungsbereichs von Abs. 2 steht,[22] zeigt aber auch, dass es – ohne tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Begriff – um die primäre Bedeutung des Begriffs als „wirtschaftende Einheit“[23] geht. Anders wird der Begriff im Tatbestand des Subventionsbetrugs (§ 264 StGB) gebraucht, wo in Abs. 6 unter „Betriebe oder Unternehmen“ unstreitig auch öffentliche Unternehmen hinzugezählt werden.[24] Dem steht wieder das Merkmal „Betriebe oder Unternehmen“ des § 265b Abs. 3 Nr. 1 StGB gegenüber, das nur solche „Betriebe und Unternehmen“ umfasst, die „unabhängig von ihrem Gegenstand nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordern“.[25] In § 5 Nr. 7 StGB wiederum scheint der Gesetzgeber von einer unterschiedlichen Bedeutung der Begriffe auszugehen, allerdings könnte sich das Nebeneinanderstellen von „Betrieb“ und „Unternehmen“ auch als rein sprachliches Mittel interpretieren lassen, um die Wiederholung des Wortes „Unternehmen“ zu vermeiden.[26]

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Der strafrechtliche Gesetzgeber scheint die Begriffe „Betrieb“ und „Unternehmen“ also nur teilweise synonym zu verwenden, im Wesentlichen aber keine einheitliche Linie zu verfolgen. Anders die Literatur, die eine allgemein akzeptierte Definition[27] des Begriffs „Unternehmen“ hervorbrachte, die auf dem allgemeinen Sprachverständnis, dass ein „Unternehmen“ stets ein „Mehr“ als der „Betrieb“ darstellt, beruht.[28] Nach überwiegender Ansicht[29] ist hier also ein Betrieb oder Unternehmen eine planmäßig und meist auch räumlich zusammengefasste Einheit mehrerer Personen und Sachmittel zur Erreichung des auf eine gewisse Dauer gerichteten Zwecks, Güter oder Leistungen materieller oder immaterieller Art hervorzubringen oder zur Verfügung zu stellen. Ein Unternehmen kann mehrere Betriebe erfassen. Das Unternehmen wird also überwiegend als die rechtlich-wirtschaftliche Einheit verstanden, während der Betrieb die technisch-organisierte Einheit darstellt.[30] Der Unternehmensbegriff ist also aus strafrechtlicher Perspektive rechtsformübergreifend und auch nicht auf eine bestimmte Organisationsform beschränkt. Er ist weit gefasst, an das wirtschaftsrechtliche Verständnis angelehnt und umfasst sämtliche kaufmännischen und nicht kaufmännischen Gewerbebetriebe, den gesamten Bereich der Urproduktion sowie den der freien Berufe. Keine Unternehmen sind danach private Haushalte, die gesamtwirtschaftlichen Verbraucher und die Träger von hoheitlicher Gewalt im Rahmen ihrer Ausübung.[31]

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Unternehmen sind also zuvörderst selbstständige Produktionseinheiten. Damit begreift dieser Ansatz Unternehmen als Einrichtung, die als solche eine bestimmte gesamtwirtschaftliche Aufgabe, nämlich die Gütererzeugung, erfüllen kann. Gerade in dieser Definition tritt die Unterscheidung zwischen dem Subjekt Unternehmensträger und dem Objekt, also dem im handelsrechtlichen Unternehmensbegriff erfassten Konglomerat aus Sachen, Rechten und sonstigen Beziehungen, in den Hintergrund und ermöglicht eine selbstständige Bedeutung, aber auch eine selbstständige Verantwortung des Unternehmens.[32] Das Unternehmen als „sozialer Verband, der in ihm durch Kapitalbeiträge oder personalen Leistungen kooperierenden Rechtssubjekte und als Institution der Wirtschaftsverfassung“[33] wird in eine rechtlich bedeutsame Position gehoben, ohne dabei die Position der Rechtsträger zu berühren. Diese, ursprünglich wirtschaftsrechtliche, Überlegung soll für das Strafrecht unter der Prämisse gelten, dass der Verhaltensbefehl an die jeweiligen Rechtsträger durchgeleitet wird.[34]

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Das Strafrecht entfernt sich also bereits in seiner Begriffsbildung um einen Schritt vom Zivilrecht, das das Unternehmen als Gegenstand des rechtsgeschäftlichen Verkehrs kennt. Denn zum einen lässt es begrifflich die Möglichkeit des Unternehmens als Rechtssubjekt zu, es gibt zudem aber auch einer wirtschaftlichen Einheitsbetrachtung den Vorzug, die beispielsweise im Sachenrecht nur sehr begrenzt möglich erscheint.[35] Dem ist auch, unabhängig von noch zu erörternden Fragen der Normadressateneigenschaft oder der Tauglichkeit als Strafrechtsperson,[36] zuzustimmen. Im Hinblick auf den Gegenstand vorliegender Untersuchung erschiene es nämlich durchaus problematisch, den Unternehmensbegriff auf ein gegenständliches Substrat wie z. B. das Unternehmensvermögen zu reduzieren. Abgesehen von den erörterten Andeutungen durch Gesetzgeber, Rechtsprechung und Literatur, die auf die Rezeption des Unternehmens als „wesensmäßige Gesamtheit“[37] und Rechtssubjekt im Strafrecht schließen lassen, fehlt diesem Begriff noch die entscheidende Kontur. Die dargestellte praxisorientierte, den Bedürfnissen des Wirtschaftsrechts angepasste Definition umgeht nämlich beispielsweise die bedeutsame Frage, ob das Wesen der Korporation die bloße Addition der Einzelmitglieder ist oder ein sich davon abhebendes eigenständiges Gebilde darstellt. Inwiefern Struktureigenschaften des Unternehmen, die vom Wechsel ihrer Mitglieder unabhängig sind, eine Rolle spielen und ob das Unternehmen in seiner „realen“ – also nicht nur normativ fingierten – Existenz als Adressat von strafrechtlichen Pflichten innerhalb der Rechtsgemeinschaft anzusehen ist, wird also Gegenstand weiterer Überlegungen sein; hierbei wird auch die gesamtwirtschaftliche Funktion des Unternehmens eine Rolle spielen.[38] Relevant wird zudem, inwieweit die „funktionalen Grenzen der Organisationsmodelle Hierarchie und Vertrag“[39] die im Gesellschaftsrecht unverzichtbar sind, um über die Leitungs-, Kontroll- und Mitbestimmungsbefugnisse zu entscheiden, für das Strafrecht eine Rolle spielen. Es ist offensichtlich, dass schon die Haftungsfrage anders zu beurteilen ist, je nachdem, ob ein gefährliches Produkt durch ein Vertragsnetzwerk, durch einen korporativen Akteur Unternehmen oder durch eine ausgegliederte, schwach kapitalisierte Tochtergesellschaft verursacht wird; dies gilt erst recht für strafrechtliche Folgerungen. Für die Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit wird bedeutsam sein, inwiefern die „Eigentümer“ – also die Anteilseigner – einzubeziehen sind,[40] ob ein „System“ aus sich heraus auf die Unternehmensmitglieder wirken kann, inwiefern bestimmte Unternehmensmechanismen überhaupt beherrschbar sind und welchen Zwängen das Unternehmen als korporativer Akteur bzw. seine Mitglieder unterliegen. Wird das Unternehmen – wie bislang von der Rechtsprechung[41] – als hierarchisch-strukturierte Einheit mit regelhaften Abläufen verstanden, leiten sich hieraus andere Prämissen ab als von der Vorstellung einer heterarchen oder flexiblen Struktur.

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An dieser Stelle ist somit festzuhalten: Lediglich der Begriff Unternehmen stellt einen geeigneten sprachlichen Kontext für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand dar. Mit ihm wird deutlich, dass ein Tat- und nicht nur ein Täterstrafrecht Bezugsrahmen ist und entsprechend der topos der Wirtschaft(skriminalität) entscheidende Bedeutung gewinnen kann; die Begriffe Kollektiv[42] und Verband[43] erwiesen sich insofern als untauglich. Der Begriff Unternehmen trägt aber auch dem Gedanken Rechnung, dass die Gründe, die für oder gegen eine Unternehmensstrafe sprechen, mitunter in der spezifischen Differenz zwischen Verband und Mensch liegen; ein Umstand, der über den Begriff „juristische Person“ nicht zu erfassen ist. Schließlich ist der begriffliche Rahmen weit genug, um unterschiedliche Kriminalitätsfaktoren in die Untersuchung einzubeziehen, denn als große Produktionsstätte und wirtschaftlicher Kontext kann das Unternehmen auf den einzelnen neutralisierend wirken ebenso wie es als Organisationseinheit dem Einzelunternehmer entgleiten kann oder als Wirtschaftsakteur womöglich selbst kriminogen wirkt. Die Konturen des Begriffes wurden aber bislang lediglich skizziert, die Schattierungen werden im Laufe der folgenden Überlegungen zu erarbeiten sein.[44]

Anmerkungen

[1]

In Eser/Heine/Huber Criminal Responsibility of Legal and Collective Entities ist der Titel jedoch ganz offenbar im Hinblick auf die unterschiedlichen Herangehensweisen der verschiedenen Rechtsordnungen mit Bedacht gewählt.

[2]

Schünemann in: Deutsche Wiedervereinigung (I), S. 129 (129 ff.).

[3]

So der österreichische Entwurf der Unternehmenshaftung in § 1 Abs. 2 ÖVbVG „Verbände im Sinne dieses Gesetzes sind juristische Personen sowie eingetragene Personengesellschaften und Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigungen.“

[4]

Vgl. beispielsweise die Arbeiten von Kohlhoff Kartellstrafrecht und Kollektivstrafe, S. 192 ff. und v. Freier Kritik der Verbandsstrafe, passim.

[5]

So wohl v. Freier GA 2009, 98 (101).

[6]

Den Begriff Mesokriminalität brachte Alwart Verantwortung und Steuerung von Unternehmen in der Marktwirtschaft, S. 36 in die Diskussion ein.

[7]

Vgl. für das Folgende auch die Darstellung von Kohlhoff Kartellstrafrecht und Kollektivstrafe, S. 230 ff. m. w. N.

[8]

Das HRefG (Vgl. hierzu EntwBegr. BT-Drucks. 13/8444 S. 22 f. und RefEntw BJM 3822/1 unter B 1c) beispielsweise hat den Begriff „Unternehmen“ in § 1 Abs. 2 HGB als Oberbegriff zum Gewerbebetrieb gewählt und somit eine zentrale Position eingeräumt, ohne ihn jedoch näher auszuführen, während in der herrschenden handelsrechtlichen Auslegung das Unternehmen als ein Gebilde gegenständlicher Art begriffen wird und sich aus Sachen (z. B. Betriebsanlagen, Warenlager), Rechten (Geldforderungen, Patente) und sonstigen Beziehungen („good will“, Organisation) zusammensetzt. Dieses „Unternehmen im engeren Sinne“ definiert einen Rechtsgegenstand eigener Art, der im Zivil- und Handelsrecht (gerade auch aufgrund der Nähe zum Vermögensbegriff) bestimmte Funktionen erfüllt, jedoch den Unternehmensträger zwangsläufig zum maßgeblichen Kriterium macht. Vgl. Creifelds/Weber Rechtswörterbuch, S. 1425 und die Überlegungen von Rittner Wirtschaftsrecht, S. 128 f.

[9]

Als Beispiel soll der Normkontext des europäischen Wettbewerbsrechts herausgegriffen werden: Der – zunächst herrschende – materiell-institutionelle Unternehmensbegriff in EuGH Slg. 1962, 653, 687 („Klöckner und Hoesch“) definierte Unternehmen als „einheitliche, einem selbständigen Rechtssubjekt zugeordnete Zusammenfassung personeller, materieller und immaterieller Faktoren, mit welcher auf Dauer ein wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird“. Heute scheint der sogenannte funktionelle Unternehmensbegriffrechtliche SelbständigkeitBeteiligung am WirtschaftslebenHollandDannecker