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Jeremy Bentham

Das Panoptikum

Jeremy Bentham

Das Panoptikum

Aus dem Englischen
von Andreas Leopold Hofbauer

Herausgegeben
von Christian Welzbacher

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Willey Reveley nach Jeremy Bentham: Frühe Planskizze (1790/91) für ein viergeschossiges Panoptikum.

Jeremy Bentham

Panoptikum oder Das Kontrollhaus

Editorische Notiz und Anmerkungen

Jeremy Bentham

Selbstgespräch

Editorische Notiz

Henry Sidgwick

Über Benthams Panoptikum

Editorische Notiz

Andreas L. Hofbauer

Backdrop und Lock-up Beiläufigkeiten zur Gefängniskulisse

Christian Welzbacher

Nachwort

Zeittafel

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Jeremy Bentham (1748-1832). Altersportrait des Philosophen. 1838 aufgelegter Stich von Charles Fox nach einem Gemälde von Henry William Pickersgill (um 1829)

Panoptikum oder Das Kontrollhaus:

die Idee eines neuen Konstruktionsprinzips beinhaltend, anwendbar auf jedwede Einrichtung, in der Personen jeder Art unterzubringen oder zu kontrollieren sind;

was im Besonderen gilt für

Besserungsanstalten

Gefängnisse, Armenhäuser, Lazarette, Fabriken, Manufakturen, Hospitäler, Arbeitshäuser, Irrenhäuser und Schulen.

Beigefügt ein Plan zur Führung solcher Einrichtungen gemäß den neuen Prinzipien:

Abgefasst in einer Reihe von Briefen, die im Jahre 1787 von Kritschew in Weißrussland aus an einen Freund in England gesandt wurden.

Von

Jeremy Bentham, Esquire,

aus Lincoln’s Inn.

 

   VORBEMERKUNG.

Die Sitten reformiert – der Gesundheit einen Dienst erwiesen – das Gewerbe gestärkt – die Methoden der Unterweisung verbessert – die öffentlichen Ausgaben gesenkt – die Wirtschaft gleichsam auf ein festes Fundament gestellt – der Gordische Knoten der Armengesetze nicht durchschlagen, sondern gelöst – all das durch eine einfache architektonische Idee! — Das erlaube ich mir zu behaupten, indem ich die Feder beiseite lege – und genau dasselbe hätte ich auch sagen können, bevor ich sie zur Hand nahm, hätte mir in diesem frühen Stadium schon das Ganze vor Augen gestanden. Eine neue Methode, die darauf abzielt, durch die Kraft des Verstandes die Seelen in einem Umfang zu formen, wie es bislang ohne Beispiel ist; und das bis zu einem ebenfalls beispiellosen Grade, abgesichert gegen Missbrauch durch Jeden, der sich entscheidet, sie anzuwenden. – Das ist das Triebwerk: So sieht die Arbeit aus, die man mit ihm verrichten kann. Inwieweit sie die in Aussicht gestellten Erwartungen erfüllen kann, mag der Leser entscheiden.

Die Briefe, aus denen sich dieses Traktat zusammensetzt, wurden im russischen Kritschew geschrieben und von dort aus im Jahre 1787 nach England gesandt, etwa zur selben Zeit wie die Vertheidigung des Wuchers1. Sie richteten sich an eine bestimmte Person und bezogen sich auch auf eine bestimmte Auseinandersetzung (worüber ich Nachricht aus einer englischen Zeitung erhielt)2; es war jedoch nicht beabsichtigt, sie sofort oder in naher Zukunft einer allgemeinen Öffentlichkeit zu unterbreiten. Die Aufmerksamkeit aber, die in Irland einige Aspekte dieser Untersuchung auf sich zogen – durch die Kenntnisnahme des dortigen Schatzkanzlers, der erst neulich die Absicht der Regierung kundtat, die existierenden Strafanstalten einer Prüfung zu unterziehen –, sind der Grund dafür, dass sie nun in der irischen Presse diskutiert werden.

Was hier gedruckt vorliegt, folgt der handschriftlichen Erstfassung. Es wurden keine Veränderung vorgenommen, abgesehen von der Weglassung einiger unwesentlicher Stellen und von der Hinzufügung einer Nachschrift3, die diese neuen Ideen als Ergebnis einer genauen und kritischen Durcharbeitung darlegen, vornehmlich unternommen hinsichtlich jener bereits erwähnten Auseinandersetzung und unterstützt durch fachkundige Informationen und professionellen Rat.

Sieht er den beschreibenden Teil dieser Briefe durch, so mag es dem Leser dienlich sein, sich daran zu erinnern, dass in der Nachschrift Änderungen vorgenommen wurden, doch fürs Erste muss er sich nicht damit beschäftigen, worin diese bestehen, denn die beschriebenen Einzelheiten dienen in jeder Form gleich angemessen zur Beschreibung des allgemeinen Prinzips und zum Nachweis der Vorteile, den dieses mit sich bringt.

Was das Gefängnissystem betrifft, darf man feststellen, dass ich mich, vielleicht mit einer größeren Freiheit, als man für gewöhnlich zugestehen mag, einer Vielzahl von Maßnahmen bedient habe, die bereits von Anderen umgesetzt oder vorgeschlagen wurden, die sich auf diesem Gebiet betätigt haben. Ein Unterfangen, das ich gerne vermieden hätte. Doch hätte man anders weder dem hier vorgeschlagenen Plan gerecht werden, noch hätte man seine Vorzüge gebührend herausstellen können. Unter den Begriffen, die ich hierbei verwendete, entdeckte ich mit mehr Vergnügen als Verdruss einige, derer ich mich selbst zu einem früheren Zeitpunkt bedient oder die ich gutgeheißen habe. Zufrieden darf ich sagen: Das ist der Beleg dafür, dass das, was andere auch nicht anders gemacht hätten, von mir nun tatsächlich getan wurde, so wie sie es vorgeschlagen haben. Wägt man dies ab, so hoffe ich, dass meine Entschuldigung, die ich in dieser Sache an die ehrenwerten Herren richte, von diesen auch freimütig angenommen wird. Durch gegenseitig vorgetragene Kritik wird es möglich sein, etwaige Fehler, die mir unterliefen und die ich vielleicht bislang übersehen habe, zu beheben. Eine solche Korrektur, anstelle des Tadels, wird mir als Lohn willkommen sein.

Bezüglich Methode und Umfang hätte sich manches erreichen lassen, wäre das Ganze – die Briefe gemeinsam mit der Nachschrift – in einem Stück neu gegossen worden, hätte man also das zusätzliche Material in den Originalentwurf eingearbeitet. Doch die Zeit forderte ihren Tribut; und sollte diese Erfindung von irgendwelchem Wert sein, dann wird ihre Darstellung, so wie sie hier erscheint, um nichts weniger unterhaltend oder aufschlussreich sein, wenn man sie in historischer Perspektive und unter Gesichtspunkten des Fortschritts betrachten wird.

Der abschließende Brief über die Schulen ist eine Art Gedankenspiel [jeu d’esprit], das wohl nur deshalb so beschwingt daherkommt, weil es in einem Augenblick entstand, als der Fluss dieser Gedanken noch ganz vom Reiz des Neuen inspiriert war. Als solches wird er hoffentlich dazu dienen, die Langeweile zu unterbrechen, die eine solch trockene Diskussion mit sich bringt, und deshalb auch Gnade unter der ernsthafteren Leserschaft finden, sollte diese ihm auch nicht zustimmen.

 

BRIEF I.

DIE IDEE DES KONTROLLPRINZIPS.

Kritschew in Weißrussland – 1787

Geschätzter ****, – erst neulich habe ich in einer Ihrer englischen Zeitungen eine Annonce für eine Besserungsanstalt gesehen, wie sie für ******* geplant ist. Es schien mir, dass der Plan zur Errichtung eines Gebäudes, der von meinem Bruder kürzlich mit einer ähnlichen Absicht ausgearbeitet wurde und welchen er jetzt hier als Kontrollhaus oder Elaboratorium verwirklicht, wohl einige Hinweise für die oben angeführte Einrichtung bereithalten dürfte.* Deshalb habe ich mir erlaubt, einige Skizzen in dieser Sache beizulegen. Tatsächlich bin ich überzeugt, dass all dies dazu geeignet ist, auf eine umfassende Art und Weise Anwendung zu finden, und das aus Gründen, die Ihnen rasch einleuchten werden.

Zusammengefasst lässt sich sagen, ein solches Vorhaben kann meinem Dafürhalten nach ohne Ausnahme überall dort Anwendung finden, wo es sich um Einrichtungen handelt, in denen eine Anzahl von Personen innerhalb eines Raumes beaufsichtigt werden soll, der nicht zu groß sein darf, um überdacht oder von einigen Gebäuden eingefasst werden zu können. Unabhängig davon, wie unterschiedlich oder gar entgegengesetzt die Absichten dabei sein mögen: Mag es darum gehen, die Unverbesserlichen zu bestrafen, die Verrückten zu beaufsichtigen, die Gemeingefährlichen zu bessern, die Verdächtigten unter Aufsicht zu stellen, die Müßigen zu beschäftigen, die Hilflosen zu betreuen, die Kranken zu behandeln, die Bereitwilligen anzuleiten zu jeder beliebigen Arbeit oder die zukünftige Generation auf den Pfad der Bildung zu führen: Kurzum, mögen es dauerhafte Gefängnisse auf Lebenszeit oder Untersuchungsgefängnisse zur Unterbringung derer, die auf ihr Gerichtsverfahren warten, Straf- oder Besserungsanstalten, Arbeitshäuser, Manufakturen oder Irrenhäuser oder Hospitäler oder Schulen sein.

Es liegt in all diesen Fällen auf der Hand, dass ein solches Gebäude umso besser seinen Zwecken gerecht werden wird, je dauerhafter die unter Aufsicht gestellten Personen von den zuständigen Aufsehern überwacht werden. Vollkommen wäre ein solcher Zustand dann, wenn jede Person zu jedem Zeitpunkt einem solchen Zwang unterworfen wäre. Da dies unmöglich ist, ist das nächstbeste, dass die Person davon ausgeht, dass dem so sei, und sie auch keine Möglichkeit erhält, sich vom Gegenteil zu überzeugen. Dieser Sache wird, wie man gleich sehen wird, mit dem Entwurf meines Bruders vollständig Rechnung getragen. Und ich meine, es wird ebenso deutlich werden, dass kein anderer Entwurf an ihn heranreichen kann, oder genauer gesagt, würde er in einen anderen Entwurf integriert, dann nur gemäß dem Verhältnis, wie sich dieser andere Entwurf dem hier vorliegenden anzunähern vermag.

Um die Sache abzukürzen, werde ich sogleich die Anwendungsgebiete darlegen, seien sie auch noch so kompliziert, um zu zeigen, wie hier der größten Wirkungsmacht und Vielfalt der Vorsichtsmaßnahmen Genüge getan werden kann. Das betrifft diejenigen Erfordernisse, die für die Idee der Gefangenenhäuser vorgeschlagen wurden: Sichere Verwahrung, Haft, Einsamkeit, Zwangsarbeit und Unterweisung müssen hierbei im Blick behalten werden. Wenn all diese Erfordernisse gemeinsam unter Einhaltung der entsprechenden Sicherheit in den jeweiligen Einrichtungen gewährleistet werden können, dann gilt dies selbstverständlich gleichermaßen für jedes einzelne davon.

 

BRIEF II.

PLAN EINES KONTROLLHAUSES ALS GEFÄNGNIS.

Vor einem Blick auf die Pläne sei der allgemeine Eindruck hier mit Worten beschrieben.

Das Gebäude ist kreisförmig angelegt.

Die Aufenthaltsräume der Inhaftierten liegen am Kreisumfang. Man kann diese auch Zellen nennen.

Diese Zellen sind durch Trennwände voneinander geschieden, und den Häftlingen ist es aus diesem Grunde nicht möglich, miteinander zu kommunizieren; diese Trennwände erstrecken sich wie Radien vom Kreisumfang zum Kreismittelpunkt hin; sie geben auf diese Weise so viel Raum wie nötig, und gewährleisten damit das größtmögliche Ausmaß jeder Zelle.

Der Aufenthaltsraum des Aufsehers befindet sich im Zentrum; man kann diesen Aufseher-Loge nennen.

In den meisten, wenn nicht gar in allen Fällen, wird es angebracht sein, einen leeren Raum oder ein ringförmiges Areal zwischen einem solchen Zentrum und einer solchen Umgebung, die kreisförmig darum angeordnet ist, zu lassen. Man kann diesen Bereich den Zwischenbereich oder die Ringzone nennen.

Ein Durchgang, etwa in der Breite einer Zelle, dient dazu, von außerhalb des Gebäudes zur Loge selbst zu gelangen.

In jeder Zelle befindet sich in der Außenwand ein Fenster, groß genug, nicht nur um der Zelle Licht zu spenden, sondern auch, um durch die Zelle hindurch den jeweils gegenüberliegenden Teil der Loge zu erhellen.

Die innenliegende Seite der Zelle wird von einem eisernen Gitter geschlossen, so dünn beschaffen, dass der Aufseher jeden Winkel der Zelle einsehen kann.

In dieses Gitter ist eine ausreichend große Öffnung in Form einer Tür eingelassen, die dem Häftling zunächst sein Eintreten in die Zelle gestattet sowie dem Aufseher oder irgendeinem seiner Gehilfen jederzeit den Zutritt ermöglicht.

Damit dem Häftling jede Sicht auf die anderen Häftlinge verwehrt bleibt, erstrecken sich die Trennwände noch ein paar Fuß über das Gitter hinaus in den Zwischenbereich hinein; diese vorspringenden Teile nenne ich die verlängerten Trennwände.

Es wird davon ausgegangen, dass das Licht, das durch die Zellen bis in den Zwischenbereich dringt, auch für die Aufseher-Loge ausreichen wird. Zu diesem Zweck sollen sowohl die Fenster in den Zellen, als auch die korrespondierenden Fenster in der Loge so groß sein, wie es die Statik des Bauwerkes und die Gebote der Wirtschaftlichkeit zulassen.

An den Fenstern der Loge sind Blenden angebracht, die bis zur Augenhöhe der Häftlinge reichen, sodass diese, was immer sie unternehmen, nicht über sie hinwegblicken können.

Um das Durchscheinen des Lichts zu verhindern, durch das die Gefangenen trotz der Blenden erkennen könnten, ob sich jemand in der Loge aufhält oder nicht, wird dieser Raum mithilfe von Trennwänden in der Form zweier rechtwinklig aufeinanderstoßender Kreisdurchmesser in Viertel aufgeteilt. Für solche Trennwände ist das dünnste Material ausreichend und sie können nach Belieben verschoben werden; sie müssen nur gerade so hoch sein, dass die Häftlinge nicht über sie hinwegblicken können. Die Türen dieser Trennwände könnten das Durchscheinen des Lichts ermöglichen, wenn sie offen gelassen werden. Um dies zu verhindern, kann nach Wunsch jede Trennwand geteilt werden, wobei die eine Hälfte derart neben die andere gestellt wird, dass eine Öffnung von der Breite einer Türe freibleibt.4

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Willey Reveley nach Jeremy Bentham: Schnitt, Fassadenansicht und Grundriss eines Panoptikums (1791). Der Stich sollte der Buchausgabe beigelegt werden, die Reproduktionen fielen jedoch einem Feuer in der Dubliner Druckerei zum Opfer.

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Detailvergrößerung aus dem von Reveley gefertigten Plan. Die alphabetischen Bezeichnungen sind im Original wie folgt aufgeschlüsselt: »A = Zellen. B und C = Ringzone und Oberlicht. D = Empore der Zellen. E = Eingang. F = Empore des Aufsehers. G = Emporen der Kapelle. H = Loge des Aufsehers. I = Kuppel der Kapelle«. Die Fassadenansicht zeigt eine schmucklose Funktionsarchitektur, die sich leicht als Backsteinbau vorstellen lässt. Die einzigen Gestaltungselemente, die doppelgeschossigen Fensternischen mit Segmentbogenabschluss, dürften statisch bedingt sein.

Diese Fenster der Aufseher-Loge öffnen sich zum Zwischenbereich hin in Form von Türen, und zwar an so vielen Stellen, wie man das für angebracht hält, um so rasch wie möglich in Kontakt mit einer der Zellen zu treten.

Nachts werfen kleine Lampen, unterstützt von Reflektoren, an der Außenseite eines jeden Fensters der Loge Licht in die gegenüberliegenden Zellen und sorgen so dafür, dass die Sicherheit vom Tage auch in der Nacht gewährleistet ist.

Um störende Ausübung von Stimmgewalt zu vermeiden, die andernfalls notwendig wäre, und um zu verhindern, dass die Häftlinge aus der Ferne mitbekommen, dass der Aufseher mit einem anderen Häftling beschäftigt ist, sollten schmale Zinnblechröhren von den Zellen über den Zwischenbereich hinweg zum jeweils gegenüberliegenden Fenster der Loge verlaufen. Durch eine solche Vorrichtung kann auch das geringste Flüstern auf der anderen Seite verstanden werden, besonders dann, wenn man sein Ohr nach Anweisung ordnungsgemäß an das Rohr hält.

Was die Unterweisung angeht, muss der Instrukteur in bestimmten Fällen, bei denen er weder dem Arbeitsprozess beiwohnen, noch dem Lernenden Abläufe direkt beispielhaft veranschaulichen kann, seine Position so oft wie möglich verändern, um sich verschiedenen Zöglingen zuzuwenden; dass er diese zu sich ruft, steht bei dieser Art von Gebäude nicht immer zu Gebote, etwa wenn es sich um Häftlinge handelt. Wann immer Anweisungen verbal und aus einem gewissen Abstand heraus zu tätigen sind, werden diese Röhren von Nutzen sein. Sie werden einerseits sicherstellen, dass der Instrukteur, ohne seine zentrale Position in der Loge verlassen zu müssen, seine Stimme nicht zu erheben braucht, um den Arbeitenden Anweisungen zu übermitteln. Andererseits verhindern sie auch, dass es zu einem Durcheinander kommt, wenn unterschiedliche Instrukteure oder Personen aus der Loge heraus gleichzeitig Zellen anrufen. Auch wenn dies auf den ersten Blick unbedeutend scheinen mag, so wird im Falle von Krankenanstalten die auf diese Weise sichergestellte Ruhe einen zusätzlichen Vorteil erwirken.

Eine Glocke, die ausschließlich dazu bestimmt ist, Alarm zu schlagen, ist in einem Glockenstuhl untergebracht, der das Gebäude krönt. Die Glocke kann mit einem Seil geläutet werden, das in die Aufseher-Loge herabhängt.

Am wirtschaftlichsten und wohl auch am praktischsten dürfte es sein, wenn man die Zellen und den vorgelagerten Bereich mittels der Abwärme aus den Kaminrohren heizt, welche die Anlage durchziehen, ähnlich wie dies auch bei Gewächshäusern gemacht wird. Der vollständige Verzicht auf eine Heizanlage würde sich, angesichts der bei uns in England herrschenden Wetterverhältnisse, verheerend auf die Gefangen auswirken5; auf jeden Fall kann darauf nicht verzichtet werden, wenn Arbeiten im Sitzen verrichtet werden müssen. Die Kaminrohre und die dazugehörigen Öfen sollten sich allerdings nicht, wie das bei den Gewächshäusern der Fall ist, an der Außenseite des Gebäudes befinden, sondern innen untergebracht werden. Auf diese Weise würde der Wärmeverlust reduziert, und der Luftstrom, der dann von allen Seiten in die Zellen eindringt und den notwendigen Durchzug für das Feuer in den Feuerstellen sicherstellt, würde so auch als Lüftung dienen. Mehr dazu jedoch im Abschnitt über die Hospitäler.*

 

BRIEF III.

UMFANG EINES EINZELGEBÄUDES.

Soviel also zu den wesentlichen Teilen des Konstruktionsprinzips. Sie werden jetzt vielleicht neugierig sein, zu erfahren, in welchem Maße ein Gebäude dieser Bauart ausgestaltet werden muss, besonders hinsichtlich der verschiedenen Zwecke, denen es dienen kann. Vertrauenswürdig kann dies nur von einem professionellen Architekten dargelegt werden. Haben Sie dennoch die Freundlichkeit, mir zu gestatten, aufs Geratewohl ein paar Worte in dieser Sache zu verlieren.

Was die Zellen betrifft, so müssen diese natürlich mehr oder weniger geräumig sein, abhängig davon, welche Tätigkeiten in ihnen ausgeübt werden sollen.

Für das gesamte Gebäude gilt, dass es, wenn der Umfang zu gering bemessen wird, nicht groß genug ist, um die hinreichende Anzahl an Zellen zu beherbergen. Wird er zu weit bemessen, so wäre der Abstand der äußeren Fenster zu groß geraten, was dazu führt, dass es in der Loge nicht genug Licht gibt.

Was den speziellen Einzelbau meines Bruders angeht, so wurden die Dimensionen durch die Berücksichtigung der am besten geeigneten Kanthölzer und Balken (die für seine Unternehmung das preiswerteste Material darstellten), sowie durch andere lokale Beweggründe bestimmt. Es soll zwei Geschosse hoch sein, und sein Durchmesser wird von einem Ende zum anderen 100 Fuß [ca. 30 Meter] betragen.6

Nur der Anschauung halber werde ich dieses Maß nun als Beispiel für ein Gebäude heranziehen, das er für England vorschlagen würde.

Nimmt man einen Durchmesser von 100 Fuß an, dann ergeben sich daraus 48 Zellen. Sie sind an der Außenseite 6 Fuß [ca. 1,80 Meter] breit, die Wände mitgerechnet. Der Durchgang durch das Gebäude wäre 8 oder 9 Fuß [ca. 2,40 oder 2,75 Meter] breit.

Ich gehe von der Annahme aus, dass es sich um ein zweigeschossiges Gebäude handelt.

Im unteren Geschoss beträgt die Dicke der Wände 2 ½ Fuß [ca. 0,75 Meter].

Von dort aus beträgt die Tiefe jeder Zelle vom Fenster zum Gitter 13 Fuß [ca. 4 Meter].

Von dort aus bis zum Ende der Trennwände sind es weitere 3 Fuß [ca. 0,90 Meter], woraus sich die Länge der verlängerten Trennwände ergibt.

Die Ringzone ist 14 Fuß [ca. 4,30 Meter] breit.

Insgesamt ergibt sich daher eine Länge, gemessen von der Außenseite des Gebäudes bis hin zur Loge, von 32 ½ Fuß [ca. 9,90 Meter].

Das Doppelte dieser Länge, 65 Fuß [ca. 18,80 Meter], lässt für den Umfang der Loge 35 Fuß [ca. 10,70 Meter] übrig, die Dicke der Wände mitgerechnet.

Im Obergeschoss werden die Zellen nur 9 Fuß [ca. 2,75 Meter] tief sein; die Differenz zwischen diesem Maß und den 13 Fuß [ca. 4 Meter] im Untergeschoss werden von der Empore eingenommen, welche die verlängerten Trennwände umgibt.

Diese Empore liefert im Obergeschoss den Raum für einen dortigen Zwischenbereich; durch Treppen, auf die ich gleich zu sprechen komme, wird eine Verbindung zwischen den Zellen im Obergeschoss, an welche die Empore anschließt, und den Zellen im Untergeschoss hergestellt, zusammen mit dem Zwischenbereich und der Loge.

Derjenige Punkt, der am weitesten von dem Bereich entfernt ist, wo das Licht einfällt, ich meine damit den zentral gelegenen Mittelpunkt des Gebäudes und der Loge, wird einen Abstand von nicht mehr als 50 Fuß [ca. 15,25 Meter] zu diesem haben. Das ist eine Entfernung, die, denke ich, nicht größer ist als jene, die sich in Kirchen finden lässt, auch solchen, die nicht nach Art des hier beschriebenen Gebäudes gestaltet sind und die über Fenster in der gesamten Außenwand verfügen. Doch die Fenster des Aufsehers werden sich nicht weiter als 32 ½ Fuß [ca. 9,90 Meter] vom offenen Tageslicht entfernt befinden.

Aus vielerlei Gründen und in den meisten Fällen wird es, wie mir scheint, angebracht sein, dass ein Logengeschoss für zwei Zellengeschosse zuständig ist. Das wird gerade dann der Fall sein, wenn der Baugrund teuer, die Anzahl der Personen, die es zu kontrollieren gilt, hoch, der Raum, der jeder Person zugewiesen wird, nicht besonders groß ist, und Sparsamkeit und Notwendigkeit wichtiger sind, als der äußere Eindruck.

Zu diesem Zwecke ist der Boden des unteren Logengeschosses um etwa 4 ½ Fuß [ca. 1,40 Meter] gegenüber dem Boden des ersten Zellengeschosses angehoben. Dadurch befindet sich der Blick des Aufsehers, wenn er aufrecht steht, auf der Höhe des schon erwähnten Bodens des Obergeschosses der Zellen oder etwas darüber. Auf jeden Fall kann er auf diese Weise sowohl das Untergeschoss wie auch das Obergeschoss ohne Schwierigkeiten übersehen und braucht dafür seine Position nicht zu verändern.

Für den Zwischenbereich gilt, dass sich dessen Boden nicht auf derselben Ebene wie der Boden der Loge befindet, sondern auf der Ebene des Bodens der im Untergeschoss befindlichen Zellen. Doch im Obergeschoss wird dieser Raum von der bereits erwähnten Empore eingenommen; deshalb entspricht der Höhenunterschied dieses Bereichs vom Boden zur Decke dem beider Zellengeschosse zusammen.

Da sich der Boden der Loge nicht auf dem Bodenniveau eines der beiden Zellengeschosse befindet, sondern dazwischen, muss es in geeigneten Abständen Treppenfluchten geben, die über den Zwischenbereich hinunter zum unteren Zellengeschoss führen und über die Empore hinauf zum oberen Zellengeschoss. Die auf- und absteigenden Treppenfluchten erlauben es den Angestellten des Hauses, sich in das Obergeschoss zu bewegen, ohne dabei den Kontrollraum durchqueren zu müssen.

Die Gesamthöhe, also die Höhe der jeweiligen Einzelteile zusammengerechnet, darf daher mit 18 Fuß [ca. 5,50 Meter] angenommen werden und umfasst somit zwei Zellengeschosse, die von einem Geschoss aus kontrolliert werden. Ein solches Gebäude würde 96 Personen fassen.

36 Fuß [ca. 11 Meter] für vier Zellen- und zwei Logengeschosse: Das entspricht einem Fassungsvermögen von 192 Personen.

54 Fuß [ca. 16,50 Meter] für sechs Zellen- und drei Logengeschosse: Das entspricht einem Fassungsvermögen von 288 Personen.

Und es ist unschwer einzusehen, dass 54 Fuß keineswegs eine übertriebene Höhe darstellen.

Die Zeichnungen, die diesen Schreiben beiliegen sollen,7 gehen von einem Zellengebäude mit vier Geschossen aus.

Im Abschnitt über die Hospitäler wird deutlich werden, dass sogar eine geringere Höhe als 9 Fuß [ca. 2,75 Meter], abzüglich der Dicke des Bodens, der von Rundbögen getragen wird, für die Zellen ausreichend sein kann.

Der Durchgang kann so hoch wie ein oder zwei Zellengeschosse sein, abhängig davon, ob es sich bei der Anzahl der Zellen um zwei oder vier handelt. Der Bereich oberhalb des Durchgangs wird in jedem Fall der Loge zugerechnet, wodurch er an beiden Enden den Übergang zur Welt ohne Türen darstellt und den Aufseher gegen die Gefahr absichert, sich plötzlich als Gefangener seiner Gefangenen wiederzufinden.

Dächte man nun, dass auf diese Weise die Loge nicht genug beleuchtet sei, um einen Diensttuenden kompetent handeln zu lassen, so kann dem etwaigen Mangel abgeholfen werden, indem man einen leeren Raum im Zentrum offenhält, der bis nach ganz oben reicht. Man kann dies den Zentralbereich nennen. Von den Räumen der Loge aus lassen sich die Fenster zu diesem Raum nach Belieben öffnen. Er kann entweder oben offen gelassen oder durch eine Lichtkuppel geschlossen werden. Doch dieser Behelf, der zwar zur Erhöhung der Bequemlichkeit in der Loge beitragen könnte, ist wohl ein beachtlicher Mehraufwand hinsichtlich des Umfangs und der Kosten des Gebäudes.

Andererseits würde eine solche Vorrichtung zusätzlicher Durchlüftung dienen. Und hier ließe sich auch der geeignete Platz für eine Kapelle denken. Die Häftlinge verbleiben in ihren Zellen und die Fenster der Loge, was ja beinahe alle Fenster sind, werden weit geöffnet. Die Vorteile, die sich dergestalt in Sachen Licht und Durchlüftung ergeben, sind nur erreichbar, wenn die Loge unbesetzt bleibt. Und solches kann niemals bei profaner Verwendung derselben geschehen. Sie kann demnach unter Wahrung allen Anstands zum Gottesdienst genutzt werden und auch die üblichen Weihen erhalten. Die Kanzel und der Baldachin können verschiebbar sein. Während der Messe kann die Lichtkuppel, die zu allen anderen Zeiten möglichst offen gehalten werden soll, geschlossen werden.

 

BRIEF IV.

DAS PRINZIP ERWEITERT UM FREIFLÄCHEN.

So gut es mir mit der Kraft der Worte möglich war, habe ich in meinen beiden letzten Briefen versucht, Ihnen eine Vorstellung zu vermitteln, wie sich dieser neue Plan einer Konstruktion in seiner einfachsten Form darstellen lässt. Nun etwas mehr im Hinblick auf zusätzliche Erweiterungen, die sich hierfür anbieten.

Die Höchstanzahl Personen, die in einem solchen Einzelgebäude untergebracht werden kann, muss unter Berücksichtigung der von einer solchen Institution verfolgten Zwecke ermittelt werden; um diese Zahl zu erhöhen, muss selbstverständlich auch das Gebäude vergrößert werden. Man stelle sich also zwei dieser erforderlichen Rundbauten vor: Diese beiden könnten durch eine überdachte Empore, die nach denselben Prinzipien entworfen wurde, zu einem einzigen Kontrollhaus zusammengefasst werden. Und mithilfe einer solchen überdachten Empore könnte auch das Kontrollfeld nach Belieben erweitert werden.

Erhöht man die Zahl der Rundbauten auf vier, könnte man auch ein nicht überdachtes Terrain einbeziehen. Wäre es von überdachten Emporen umgeben, könnte es von allen Seiten her kontrolliert werden und nicht nur von einer.

Ein so umschlossenes Terrain könnte entweder kreisförmig sein, wie die Gebäude selbst, oder auch quadratisch oder rechteckig, ganz so, wie die eine oder andere dieser Formen am besten zu den herrschenden Schönheitsvorstellungen oder den regionalen Vorlieben passt. Errichtet man eine ganze Kette von Kontrollhäusern in beliebiger Länge, die entweder dem gleichen oder unterschiedlichen Zwecken dienen, so könnte auf diese Weise ein Terrain von jeder gewünschten Fläche eingefasst werden.

Für ein solches Vorhaben würde wahlweise ein Aufseher für zwei oder auch mehrere Rundbauten genügen, stünde jedoch für jeden Rundbau ein eigener Kontrolleur zur Verfügung, dann würde man die Kontrollmacht, wenn ich hier diesen Ausdruck gebrauchen darf, in einem solchen mehrteiligen Gebäudekomplex im Vergleich zu jedem Einzelbau, aus denen dieser zusammengesetzt ist, verstärken, da jeder Aufseher mitunter von jedem anderen entlastet werden kann.

In diesem nicht überdachten Areal, das auf diese Weise dem Bereich der Kontrolle zugeordnet wird, könnten Beschäftigungen im Freien durchgeführt werden; oder auch all jene Beschäftigungen, die mehr Platz brauchen, als es die gewöhnliche Gebäudeform zulässt. Einige Insassen könnten hier einen Küchengarten zum Wohle der gesamten Gemeinschaft anlegen und sich bei dessen Pflege abwechseln. Eine solche Möglichkeit, an die frische Luft zu kommen und sich zu ertüchtigen, würde sie erfrischen und ihnen willkommene Ablenkung verschaffen.

Viele Autoren haben sich bereits eingehend und auf gerechte Art und Weise mit den missliebigen und wenig erbaulichen Details einer Disziplinierung beschäftigt, sowohl was die Umstände als auch die Behandlung betrifft, der unterschiedslos alle die unterworfen sind, die möglicherweise noch für unschuldig befunden werden, wie auch jene, deren Schuld bereits bewiesen ist. Und man hat festgestellt, dass Personen mit derart ungleichen Voraussetzungen nicht unter demselben Dach zusammengefasst werden sollten. Schließt man Kontrollhäuser zusammen, so kann diesem feinen Unterschied Rechnung getragen werden, ohne die gebotene Wachsamkeit hinsichtlich sicherer Verwahrung zu verringern, die ja in beiden Fällen gleichermaßen unausweichlich bleibt.

 

BRIEF V.

WESENTLICHE PUNKTE DES ENTWURFS.

Es dürfte von Vorteil sein, bei all den Details, die ich Ihnen bisher unterbreitet habe, klar zu unterscheiden, welche Punkte für diesen Entwurf wesentlich sind und welche nicht. Wesentlich ist demnach die zentrale Position, die vom Aufseher eingenommen wird, in Verbindung mit der wohlbekannten und äußerst effektiven Einrichtung, die es ermöglicht, zu sehen, ohne selbst gesehen zu werden. Was die allgemeine Form