Die Herausgeberin

Christa Nebenführ

Mag. phil., geb. 1960 in Wien. Nach einer Laufbahn als Schauspielerin an Landesbühnen in Deutschland Verlagerung der Theaterarbeit (auch Regie und Dramaturgie) in die freie Szene. Studium der Philosophie an den Universitäten Wien und Stony Brook (USA). Lebt als Autorin in Wien. 1993 Anerkennungspreis für Literatur der Arbeit der Arbeiterkammer Kärnten; 1996 Förderungspreis des Theodor Körner Fonds. Buchpublikationen: „Liebe ist die Antwort, aber was war die Frage“, (Hrsg.) im Wiener Frauenverlag, Wien 1994; „Erst bin ich laut …“, Gedichte, Verlag Grasl, Bad Vöslau 1995; „Inzwischen der Zeit“ Gedichte, Verlag Deuticke, Wien 1997; „Sexualität zwischen Liebe und Gewalt“, Reihe Frauenforschung Bd. 35, Milena Verlag, Wien 1997.

Zahlreiche kürzere Arbeiten in Zeitschriften, Anthologien und im Hörfunk.

1 Vgl. Müller 1988.

2 Vgl. Gerstendörfer 1997.

3 Vgl. Müller 1988

4 Pellat 1967: 434f.

5 Scheich Nefzaui 1966: 139.

6 In gemeinsamer Gedankenarbeit mit Martina Kopf

7 Die zitierten Ausdrücke sind aus: Reger 1985; Wörterbuch Österreichisch-Deutsch 1995; Jutz 1960, Bd. 2.

8 Weitergehend zur sprachlichen und kulturellen Konstruktion von Mädchen: Lauggas 1997.

9 Birkhan 1996.

10 Gerstendörfer 1997: 32

11 Schlegel 1925: 45ff.

12 Duerr 1990.

13 Freud 1980

14 De Sade 1972: 29.

15 Diese Informationen entstammen einem Folder von (I)NTAKT, Johannisstraße 4, D-66111 Saarbrücken, vom April 1996.

16 Vgl. Supp 1998.

Einleitung

Wie bezeichnen wir Frauen jenen Körperteil, mit dem wir sexuelle Lust und den Schmerz der Geburt erfahren und den wir für gewöhnlich vor Fremden verbergen? Die Befragung von über 20 Frauen verschiedenen Alters und aus unterschiedlichen sozialen und kulturellen Umfeldern ergab eine Gemeinsamkeit: sie empfinden und bedauern das Fehlen eines weiblichen Wortes für ihr weiblichstes Körperteil. Es bleiben vor allem medizinische Ausdrücke, die die Vulva auf ihre biologische Funktion reduzieren, oder obszöne, die die Fut oder Votze vom männlichen Blick her bestimmen.

Margit, eine meiner Gesprächspartnerinnen, schlägt vor, das Wort Yoni, das aus dem Kamasutra stammt, zu entleihen, da es noch nicht so abgegriffen, noch nicht so mit dem Beigeschmack von Zote oder Funktionalität versehen ist, wie die in unserem Sprachkreis gebräuchlichen.

Das Wort Scham lehnten alle Frauen ab, da sie sich dafür nicht schämen wollten. Eine Frau, die diesen Terminus gerne benutzt, hätte mir vermutlich gar kein Interview gegeben.

Miki Malör fragte mich: „Ist Dir aufgefallen, daß die meisten Frauen nicht zwischen Vagina und Vulva unterscheiden?“ Mir ist aufgefallen, daß mir dieser Unterschied, obwohl ich ihn schon lange kannte, selbst erst im Zuge der Arbeit an diesem Buch geläufig wurde. Die Unterscheidungslosigkeit ist weit verbreitet: „Oft wird Vagina fälschlicherweise auch für die äußeren weiblichen Genitalien verwendet. Dieser Tendenz, die äußeren Geschlechtsteile durch die inneren zu bezeichnen, liegt auch die Bedeutungsverschiebung des Wortes Vulva zugrunde, bezeichnete doch im Lateinischen Volva oder Vulva die Gebärmutter.“1

Die Sprache ist Indiz für die Zuordnung weiblicher Sexualität unter die Kategorien Tabu und Kommerz. Monika Gerstendörfer hat bei der kritischen Durchsicht einer Broschüre der deutschen Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung entdeckt, daß darin Vokabeln, die die Geschlechtsteile beschreiben, weggelassen werden.

„Benutzt werden die entmenschlichten, medizinischen Ausdrücke der patriarchalen Sprache: Brustwarzen, das Jungfernhäutchen, das zudem zerreißt, Fettgewebe an Po und Hüften usf.“2

Das Verbot oder die vermeintliche Unmöglichkeit, das Geschlechtsteil direkt zu benennen, brachte ein breites Repertoire an Umschreibungen hervor, ganz so, wie das Verbot, den Namen des Satans auszusprechen, mit Hilfe des Leibhaftigen oder des Gott-sei-bei-uns umgangen werden konnte.

Johannes Müller zeigt am Beispiel des Nürnberger Fastnachtspieles, daß harmlose Bilder wie das der Wiese relativ eindeutig der Vulva zuzuordnen waren („[… ] Das sie mich pat, ihr wislein zu meen“), während bei heutzutage gewiß als vulgär einzustufenden Begriffen wie Fotze nicht eindeutig zu entscheiden ist, ob eine ursprünglich unbelastete Bezeichnung des weiblichen Genitals eine Bedeutungsverlagerung zum Mund hin erfahren hatte, oder ob die Bezeichnung für Mund oder Maul verwendet wurde, um die Vulva zu codieren.3 Die metaphorische Bedeutung von Wunde für die Vulva führt über Assoziationen mit der Menstruation zur psychoanalytischen Deutung, die das weibliche Geschlechtsteil als kastrierte Version des männlichen interpretiert. Ihr soll aber, wenngleich ich sie an anderer Stelle noch einmal aufgreifen möchte, hier nicht besonders ausführlich nachgegangen werden, zumal die ausufernde Literatur und Theoriebildung zur Symbolik des Genitalen einem peinlichen Schweigen der direkten Auseinandersetzung mit den Trägern dieser Symbolik gegenübersteht, was den Verdacht nährt, dies sei aus der Ambivalenz von Thema und Tabu entsprungen. Eine Ambivalenz, die für das Sexuelle geradezu konstitutiv zu sein scheint. In diesem Eindruck wird man auch durch einen Kulturvergleich bestärkt. Schon vor über 1000 Jahren verteidigte sich al-Gahiz in der arabischen Welt vor seinen Kritikern mit folgenden Worten:

„Manche von den Leuten, die Frömmigkeit und asketische Lebensführung zur Schau tragen, empfinden Abscheu und verschließen sich, wenn Wörter wie ‚Vulva‘, ‚Penis‘ oder ‚Koitus‘ erwähnt werden, aber die meisten von denen, die sich so verhalten, sind Männer, die nicht mehr Wissen, Edelmut, Vornehmheit und Würde besitzen als das, was zu ihrer Heuchelei im Verhältnis steht.

Wenn sie wüßten, daß Abdallah Ibn Abbas in der Moschee unanständige Verse vorgetragen hat, daß Ali Ibn Abi Talib anstößige Worte ausgesprochen hat und daß Abu Bakr und noch andere ebenfalls solche Worte gebraucht haben, dann würden sie nicht so zimperlich tun.“

Die Worte wurden geschaffen, damit sich die arabisch sprechenden Leute ihrer bedienen, und wenn man der Ansicht gewesen wäre, daß man sie nicht aussprechen dürfe, so hätte ihre Schaffung von Anfang an keinen Sinn gehabt;4 und Scheich Nefzaui zählt für das weibliche Genital 38 Namen, die vermutlich dem Dialekt seines Landes entliehen sind, auf, darunter: el rorbal – das Sieb, el mouaine – die Hilfreiche, el molki – die Langgedehnte, el addad – die Beißerin (dentata?), abou khochime – die eine kleine Nase hat, el gueunfond – der Igel, el hacene – die Schöne, abou belaoum – die Gefräßige, el mokaour – die Grundlose …5

Bei meinen Interviews fiel auf, daß ein privater oder persönlicher Tonfall von den interviewten Frauen beinahe nur dort angeschlagen wurde, wo ein Pseudonym oder ein Künstlerinnenname ihnen einen gewissen Schutz vor der Öffentlichkeit bieten. Wenn das auch den Mut derer, die, meist aus Wut über durch Schweigen selbst erfahrenes Leid, zu großer Offenheit fanden, besonders hervorhebt, sind Respekt und Behutsamkeit geboten. Laufen doch Frauen, die die Abwertung ihrer Geschlechtlichkeit nicht mehr hinnehmen wollen, Gefahr, aufgrund genau dieser Offensive erneut abgewertet zu werden.